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[Vorworte]

 

Vorwort zur ersten Auflage.

Im Sommer vorigen Jahres wurde ich von dem hiesigen Zweigverein des Goethebundes aufgefordert, einige Reden über Lessings Weltanschauung zu halten. Ich sagte gerne zu, auch weil es mir eine erwünschte Gelegenheit war, eine alte, fast leidenschaftliche Liebe, nachdem ich selbst viel erlebt und gedacht, wieder zu pflegen. Die Arbeit der Vorbereitung dehnte sich denn auch bald so sehr aus, daß ich sie nicht bloß für vier Abende getan haben wollte. Dem kam ein Vorschlag des Verlegers, meines Freundes, entgegen, Lessing für seine »Klassiker der Philosophie« zu übernehmen. So ist diese Schrift entstanden. Ich hoffe, daß mancher Hörer meiner Reden sie gerne benützen wird, das Gehörte, freilich in ganz anderer Form, sich noch einmal zu vergegenwärtigen. Und ich wünschte, daß sie nun bei einem größeren Publikum dieselbe freundliche Aufnahme fände wie meine Reden über Lessing hier in der »Arbeiterhalle«. Das glaube ich versprechen zu dürfen, daß sie Lust machen und auch eine gewisse Beihilfe gewähren wird, einen unserer Größten ausgiebiger zu nützen, als es zumeist geschieht.

Die Einleitung und den Schluß bitte ich in den Kauf zu nehmen, obgleich sie gar nicht bloße Nebensache sind. Ich habe viele Gedanken hineingewirkt, die ich nicht bloß für dieses Buch erwogen; aber nun scheinen sie mir selbst mehr zwischen den Zeilen zu stehen, als in den Worten. Möchte es mir einmal vergönnt sein, sie rein und frei zum Ausdruck zu bringen; ich weiß, daß ich manchem damit eine Freude machen würde.

Die Zitate in bloßen Zahlen (z. B. 9, 17) beziehen sich auf Band und Seite der Lachmann-Munckerschen Ausgabe von Lessings Schriften (1886 ff.). Einige Stellen aus den Dramen sind nach Akt und Szene zitiert (z. B. V, 4); die Briefe mit Angabe des Adressaten und des Datums.

Stuttgart, im Mai 1906.
Der Verfasser.

 

Vorwort zur zweiten Auflage.

In den fünfzehn Jahren, die verflossen sind, seit ich diese Schrift geschrieben habe, bin ich auf dem Wege Lessings weiter vorgedrungen und habe, indem ich das Alter, das Lessing erreichte, überschritt, auch die Stufe überschritten, die er erreichte. Damit hat sich zwar nicht meine Auffassung Lessings geändert, wohl aber mein Urteil über den Wert seiner letzten und höchsten Gedanken. Indem ich über ihn hinauskam ( wenn ich über ihn hinauskam!), änderte sich mir natürlich der Aspekt der Welt.

So wurde ich durch die neue Ausgabe dieser Schrift vor die Frage gestellt, ob ich nicht wenigstens Einleitung und Schluß derselben meiner veränderten Stellung zu Lessing entsprechend umarbeiten sollte. Ich glaubte mir diese nicht geringe Arbeit doch ersparen zu dürfen, zu sollen. Denn es hat sich mir, wie gesagt, nicht sowohl meine Auffassung Lessings geändert, als vielmehr nur mein Urteil über das Maß der von ihm erreichten Einsicht. Und dieses meines Urteils bin ich noch nicht so sicher geworden, daß ich es fixieren könnte. Auch möchte ich die mit dieser Schrift beabsichtigte Einführung in die Denkweise Lessings nicht selbst dadurch entkräften, daß ich zugleich über ihn hinauszuführen versuchte. Und endlich: diese Darstellung Lessings ist mir auch ein Dokument meiner eigenen philosophischen Entwicklung; und sie würde als solches entwertet, um nicht zu sagen verfälscht, wenn ich sie von meinem gegenwärtigen Standpunkt aus (oder vielmehr: von dem Punkt aus, den ich jetzt durchlaufe) umkorrigieren wollte.

Inwiefern ich über Lessing hinausgekommen zu sein glaube, kann der Leser, der sich dafür interessiert, aus meiner Schrift »Vom öffentlichen Geheimnis des Lebens« erschließen.

Eßlingen a. N., im April 1921.
Christoph Schrempf.


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