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IX.

Als der Morgen des folgenden Tages heraufgraute, lag Obrist Rosen in einem sehr erfreulichen Traume. Es träumte ihm, er spielte mit seinen beiden Kameraden Rotenhan und Schönbeck ein französisches Kartenspiel. Alle Trümpfe waren in seiner Hand, die andern konnten auch nicht den kleinsten Stich machen. Er blickte triumphierend umher und wollte eben die Karten auf den Tisch legen, um den beiden ihre Ohnmacht zu beweisen. Da faßte ihn eine kräftige Hand am Oberarm und rüttelte ihn, so daß der schöne Traum im Nu von dannen floh.

Mit einem wilden Fluche fuhr er empor und blickte schlaftrunken um sich. Er erkannte Erlach, der in sein Schlafzimmer gedrungen war und, ein Licht in der Hand haltend, vor seinem Bette stand. Sofort war er ganz wach, denn das Gesicht des Generals weissagte ihm nichts Gutes.

»Was ist geschehen?« rief er erschrocken.

»Der Teufel hat uns ein Ei ins Nest gelegt,« erwiderte Erlach. »Der Herzog ist sehr krank, liegt im Fieber, kennt niemanden!«

Rosen antwortete nur durch ein langes Stöhnen. Dann sagte er, hilflos um sich blickend: »Er wird doch nicht sterben?«

»So weit ist es hoffentlich noch nicht.«

»Wer ist bei ihm?«

»Oehme und der deutsche Arzt, Doktor Schmidt.«

»Nicht der Blandini?«

»Der ist fort!« rief Erlach grimmig.

»Wie? Fort? Wohin denn?«

»Ja, wenn ich das wüßte! Wahrscheinlich zu seinem Meister, dem Kardinal.«

»Mein Herr Bruder redet in Rätseln.«

»Nun, ich will dir die Erklärung geben. Ich sah ihn gestern abend, als ich noch einen Rundgang machte, aus dem Hause des Marschalls treten. Ich ging mit einem Blicke an ihm vorüber, der ihn wohl stutzig gemacht hatte. In der Nacht weckt man mich und holt mich zum Herzog. Da steht der Kerl wieder da mit einer Medizinflasche in der Hand. Ich sehe ihn scharf an, er verfärbt sich, geht hinaus. Kurz darauf kommt der Herzog für ein paar Augenblicke zur Besinnung, erkennt mich und flüstert: »Erlach, mich brennts in den Eingeweiden – sollt' ich Gift haben?« Dann schließt er die Augen und liegt da wie ein Toter. Ich, voller Wut, gebe den Befehl, den Blandini zu verhaften. Aber siehe da – er ist nirgends zu finden. Die eine Wache hat einen Menschen über die Mauer wischen sehen. Das wird er wohl gewesen sein.«

»Und du meinst, Herr Bruder, er habe dem Herzog Gift gegeben?«

»Der Doktor Schmidt hat einem Hunde ein paar Löffel von der Medizin gegeben. Sie haben ihm nichts geschadet. Darauf hat sie der Doktor selbst gekostet. Er sagte, es sei eine Medizin, durch die man die Kolik vertreibe, nicht das Gallenfieber, das der Herzog hat. Einem gesunden Menschen schade sie wenig, einem kranken aber könne sie sehr schädlich sein.«

»Das ist ja ein ganz niederträchtiges Bubenstück!« rief Rosen und fuhr in seine Strümpfe. »Ohne daß man einem Menschen geradezu Gift gibt, vergiftet man ihn doch. Auf solche Gedanken verfällt nur ein welsches Gemüt.«

»Ja, in diesen Dingen ist der deutsche Geist dem welschen nicht gleichzumachen. Mit Gift und Dolch und aller Hinterlist wissen sie besser umzugehen als wir. Dessen wollen wir uns freuen, Rosen. – Aber was ist das? Wer spricht da draußen? Das ist doch Rehlingers Stimme?«

Er stieß die Tür auf und trat rasch in das Vorgemach hinaus. »Ihr hier, Herr Kanzler? Sucht Ihr mich?«

»Ja, ich suche Euch, Herr General. Der Herzog ist erwacht und verlangt nach Euch,« erwiderte in unverfälschtem schwäbischen Dialekt der untersetzte Mann mit dem breiten, aber klugen Gesicht, der vor der Tür mit dem Diener Rosens verhandelte. »Der Mensch hier wollte mich nicht zu Euch lassen.«

»Wahrscheinlich, weil sein Herr noch nicht angezogen ist. – Aber was sagt Ihr? Der Herzog verlangt mich zu sprechen? Vorhin, als ich an seinem Lager stand, erkannte er mich nicht.«

»Es scheint eine schnelle Besserung im Befinden des Herrn eingetreten zu sein,« antwortete Ulrich Rehlinger. »Kommt schnell mit. Er ist, wie Kranke sind, etwas ungeduldig.«

Eine Minute später stand Erlach vor dem Bette des Herzogs. Der hatte sich aufgerichtet und streckte ihm die Hand entgegen. Diese Hand war weiß und schmal und zitterte heftig, und seine Augen glühten wie die eines Fieberkranken.

»Ich habe Euch rufen lassen, Erlach,« sagte er, »weil ich will, daß das Heer sofort nach dem Rhein aufbricht. Bei Neuenburg gehen wir über. Ich habe mich entschieden. Ich führe mein Heer ins Reich und schließe mich den Schweden an. Der Banér ist ein grober Geselle, aber ein Mann, dessen Wort noch gelten kann.«

Damit sank er wieder in das Kissen zurück und verlor von neuem das Bewußtsein. Erlach ließ sich auf einen kleinen Sessel dicht neben seinem Lager nieder und saß dort, den Kranken unverwandt anblickend, in trübem Schweigen. Endlich wandte er den Blick von ihm ab und bemerkte den Arzt, der am Fußende des Bettes stand und den Herzog ebenso düster anstarrte wie er selbst.

»Könnt Ihr dem Herzog nichts geben, was ihm hilft?« fragte er flüsternd.

Der Doktor zuckte die Achseln. »Meine Kunst versagt hier.«

»Meint Ihr, daß er Gift erhalten hat?« fragte Erlach in demselben Tone weiter.

»Ich weiß es nicht. Er selber ist der Meinung. Wie ich Euch schon sagte, Herr: er hat eine falsche Medizin erhalten. Ob ihm daneben noch etwas anderes eingeflößt ist – wer kann's sagen?«

Erlach fiel wieder in sein Schweigen zurück und faßte die Hand des Kranken, die unruhig in der seinen zuckte. Die Sonne war inzwischen völlig in die Höhe gestiegen und erfüllte das Gemach mit hellem Glanze. Das Leben in dem Städtchen war erwacht. Von der Gasse herauf ertönten die Stimmen der Soldaten, die vor sich hinpfeifend oder singend mit ihren Pferden zur Tränke zogen oder lachend und schwatzend mit ihren Weibern vor den Türen der Häuser standen. Auch Kindergeschrei ward vernehmbar, die wilde Brut des Krieges balgte sich mit den Spatzen um die Wette im Straßenstaube.

Mit einem Male aber wurde das alles übertönt durch einen kräftigen Gesang, der rasch näher kam. Reiter waren durch das Tor eingerückt, zogen die Straße herauf und bogen nun um die Ecke, und Erlach, der ans Fenster getreten war, erkannte an ihrer Spitze den Freiherrn von Rotenhan, den der Herzog vor einiger Zeit nach Thüringen gesandt hatte. Er kehrte zurück mit dem dort geworbenen Volke, war höchstwahrscheinlich am gestrigen Abend durch die hereinbrechende Nacht verhindert worden, Pontarlier noch zu erreichen, und wollte nun am frühen Morgen dem Herzog die Truppen, die er mitbrachte, vor die Augen führen. Seine Reiter sangen kein Schlachtenlied, auch nicht eines der frechen Liebeslieder, die in allen Lagern erklangen, sondern sie sangen die uralte Volksweise:

Es stand eine Lind' im tiefen Tal,
War unten breit und oben schmal.

Der lange Obrist drunten auf seinem schweren Pferd« erkannte den General oben am Fenster und machte ihm seine Reverenz. Erlach winkte mit der Hand und wollte eben das Fenster öffnen, als ein schwacher Ruf vom Bette des Kranken her sein Ohr erreichte.

Der Herzog lag mit weit geöffneten Augen da, und ein wunderbares Lächeln erglänzte auf seinem blassen, eingefallenen Antlitz. Das Bewußtsein war ihm offenbar noch nicht zurückgekehrt, denn er sprach halblaut abgerissene Sätze vor sich hin, von denen Erlach nur die Worte verstand – »singt meine Mutter? – o wie lange ist's her – und nun wieder« – – und als der Gesang unten verhallte, richtete er sich jählings auf und streckte den Kopf vor, als ob er angestrengt lausche, und dann verwundert im Kreise umherblickend, fragte er: »Was war das? War ich daheim? Dieses Lied sang meine Mutter vor Jahren, als ich ein Knabe war und auf ihren Knien saß. Und nun – wer singt es hier?«

»Herr,« erwiderte Erlach, der nur mühsam seine Bewegung niederzwang, »die Reiter haben's gesungen, die Obrist Rotenhan eben aus Thüringen hergeführt hat. Sie halten unten vor dem Hause.«

Des Herzogs Augen leuchteten auf. »Der Rotenhan ist da? Und seine Reiter kommen mit den alten Liedern aus der Heimat? Bringt ihn sogleich her zu mir!«

Der Befehl war leicht zu vollziehen, denn der schwere Schritt des Obristen polterte bereits die Treppe empor. Als er ins Zimmer trat und den Herzog erblickte, blieb ihm das Wort, mit dem er seinen Herrn begrüßen wollte, in der Kehle stecken, und wie entgeistert starrte er nach dem Lager hin. Erlach machte ihm unwillkürlich ein Zeichen, daß er seine Gefühle etwas weniger deutlich zur Schau tragen möchte, aber der Obrist verstand es nicht und hätte es auch gar nicht über sich vermocht, einen großen Schrecken unter einem höflichen Lächeln zu verbergen, denn die Künste der Verstellung waren dem wackeren Freiherrn aus Thüringen zeit seines Lebens fremd geblieben.

Der Herzog bemerkte wohl, was in der Brust seines Getreuen vorging, und fragte mit einem schmerzlichen Lächeln: »Nun, Rotenhan, du findest mich wohl sehr verändert?«

Da füllten sich die runden blauen Augen des riesenhaften Mannes mit großen Tränen, und er schlug mit der rechten Hand auf seine breite Brust, daß es dröhnte. »Ja, Fürstliche Gnaden. Das mag der Teufel leugnen. Eure Fürstliche Gnaden sind sehr krank! Sie sehen aus, als hätten Sie Gift und Operment eingenommen.«

»Damit bist du vielleicht der Wahrheit sehr nahe,« erwiderte der Herzog.

Der Freiherr erblaßte und wurde gleich darauf blaurot. »Wer?« schrie er, und seine Hand fuhr nach dem Schwerte.

»Wer weiß das, lieber Rotenhan? Ich habe so viele Feinde, und alle sind Schurken. Vielleicht ward es in Rom ausgeheckt, vielleicht auch in Madrid oder in Paris, mich wegzuräumen. In Wien und München sicher nicht, denn der Kaiser und der Bayernfürst sind zwar meine Feinde, aber sie sind Deutsche und Ehrenmänner. Auch wann mir's beigebracht ist, vor wie langer Zeit schon – wer kann das sagen? Sie brauen ja in Welschland und Hispanien Tränklein, die erst nach Monaten zum Tode führen. Beten wir, daß Gottes Gnade die Tücke der Gottlosen noch einmal zuschanden mache. Er, der Allmächtige, vermag alles. Und nun, Rotenhan – die Reiter bringst du also mit. Wie ist dir's sonst geglückt? Hast du getan und tun können, was ich dir aufgetragen habe?«

»Jawohl, Fürstliche Gnaden. Ich habe Ihre Fürstliche Gnaden die Prinzessin Kunigunde nach Breisach geleitet, wie Sie angeordnet und befohlen haben.«

»Das ist gut, Rotenhan, das danke ich dir!« sprach der Herzog und streckte ihm die Hand hin. Dann sprach er vor sich hin, als redete er für sich selber: »Wenn's Gott nicht will, daß wir zusammen leben, so soll sie doch zum wenigsten noch meinen Namen tragen.« Dann saß er lange in sich versunken da und blickte sinnend vor sich nieder, und es war eine tiefe Stille in dem Gemache.

Plötzlich fuhr er auf und richtete den Blick fest auf Erlachs Gesicht. »Wir marschieren noch heute. Auf nach dem Rheine! Und ein Kurier geht sofort nach Breisach und entbietet sie nach Neuenburg. Bringt mir Tinte und Feder und Papier, daß ich ein paar Zeilen an sie schreiben kann!« –

»Der Herzog sieht nicht aus wie ein Hochzeiter!« sagte Erlach düster, als er einige Minuten später mit Rotenhan die Treppe hinunterschritt.

»Nein, bei Gott nicht!« gab der zurück. »Er sieht aus wie einer, der mit dem Tode Hochzeit halten soll. Ich möchte mit unserm Doktor Luther sagen: Wie hat der Teufel dieses Organon geschändet! Die verfluchten Spanier!«

Erlach blieb verwundert stehen. »Ihr meint, spanisches Gift sei ihm gegeben?«

»Das meine ich. Schon vor vier Wochen zeigte er mir einen Brief aus Venedig, der ihn vor spanischem Gift warnte, und einen Brief von Georg Jenatsch aus Graubünden, der auch von spanischen Mordanschlägen sprach.«

Erlach machte eine abweisende Bewegung. »Ich fürchte eher, es ist die Rache des Kardinals, die im Finstern an ihn herangeschlichen ist. Gestern Nachmittag hatte er dem Marschall Guébriant kurz und klar verweigert, Breisach und das Elsaß als französisches Lehn zu nehmen. In der Nacht wird er totkrank, und sein Arzt verschwindet. Das gibt mir genug zu denken!«

»Erlaubt!« erwiderte Rotenhan. »Da müßte ja einer auf den Flügeln des Teufels hin und her geflogen sein zwischen diesem Städtlein und Paris, um die Botschaft hin und her zu tragen.«

»Ach, lieber Rotenhan, das kann alles ein schon vorher abgekartet Spiel sein. Wenn der Arzt erfuhr, daß der Herzog sich wider Frankreich auflehnte, so sollte er ihn aus dem Wege räumen. Die Order kann er schon lange erhalten haben. Der Kardinal ist vorsorglich und blickt weit voraus. Und hat er nicht den größten Vorteil, wenn der Herzog stirbt? Er gewinnt damit für Frankreich ein Heer und ein erobertes Land mit den stärksten Festungen der Welt.«

»Was? Ihr meint doch nicht, daß wir französisch werden sollen?« rief der Freiherr erschrocken und entrüstet.

»Ach, Rotenhan, wie wäre das zu hindern? Das Volk läuft dem zu, der am besten zahlt. Schweden ist fern und hat kein Geld. Die Brüder des Herzogs sind Friedensfürsten und haben sich mit dem Kaiser vertragen und haben auch kein Geld, sind auch keine Feldherren. Was soll werden? Frankreich hat das meiste Geld und wird den gemeinen Mann dadurch zu gewinnen wissen, und wir müssen folgen, sonst sind wir Obristen und Generale gewesen!«

Rotenhan hob beide Hände zum Himmel empor. »Herr Gott!« betete er mit starker Stimme, »laß den Herzog nicht sterben! Hilf, daß er am Leben bleibt und bald geneset, und daß ich als deutscher Edelmann auch fürderhin unter seinen Fahnen kämpfen kann!«

Dieses Gebet des tapferen Kriegsmannes schien eine ganz wunderbare Erhörung zu finden, denn der Herzog erholte sich im Laufe des Tages zusehends. Er mußte zwar zunächst noch in einer Kutsche fahrend dem Zuge der Truppen folgen, aber schon tags darauf erschien er wieder hoch zu Roß inmitten seiner jubelnden Soldaten. Die Macht der Krankheit schien gebrochen zu sein; er war noch etwas bleich und redete wenig, aber die besten Hoffnungen auf baldige Genesung erfüllten sein Herz, und als er in Pfört den Entschluß kundgab, die Hüninger Schanzwerke besichtigen zu wollen, während die Truppen in Neuenburg einrücken sollten, da sagte Rotenhan zu Erlach: »Unser Herr hat sich wieder herausgemacht. Gott hat nicht gewollt, daß der Teufel sein Werk an ihm vollende. Ihm sei Preis und Ehre!«

Er bat sich auch aus, seinen Herrn als Führer von ein paar Reiterfähnlein begleiten zu dürfen, und suchte ihm unterwegs die Zeit zu vertreiben und das Gemüt zu erheitern, indem er ihm allerlei Schnurren und Reiterspäße vortrug, deren er eine ganze Anzahl in seinem Gedächtnis bewahrte. Der Herzog hörte sie mit ruhigem Lächeln an und lenkte das Gespräch gar bald auf die thüringische Heimat, die Rotenhan eben besucht hatte, ließ sich von seinen Brüdern erzählen und von ihren Kindern und fragte so interessiert nach allen möglichen Personen und Begebenheiten, daß Rotenhan sich von Herzen darüber freute und ihn für fast genesen ansah.

Aber in Hüningen wurde er aufs grausamste enttäuscht. Denn kaum war der biedere Freiherr nach einem nicht eben kleinen Abendtrunke in den Schlaf des Gerechten gesunken, so wurde er unsanft geweckt mit der Nachricht, her Herzog liege im Sterben. Das war nun freilich ein falsches Gerücht, aber fast zwei Stunden lang lag er wie leblos da, und als er endlich erwachte, wurde er von furchtbaren Fieberschauern geschüttelt, die die ganze Nacht hindurch anhielten. Erst als die Sonne aufstieg, ließen sie nach, und nachdem er eine Stunde geschlafen hatte, verlangte er, sogleich zu seinen Truppen gefahren zu werden. Man suchte ihm das zunächst auszureden, aber er blieb eigensinnig dabei, und da er es heftiger und heftiger gebot, so mußte man ihm den Willen tun.

So wurde er denn auf ein Rheinschiff getragen und saß dort in einem breiten Lehnstuhle mitten auf dem schmalen Verdeck. Sein Haupt lag tief in den Kissen, und eine warme Wolldecke umhüllte ihn, denn ihn fror, obwohl eine glühende Hitze über den Wassern lagerte.

Leise und langsam glitt das Schiff zu Tal. Rotenhan, der seitwärts auf einer niedrigen Schifferbank kauerte, verwandte kaum einen Blick von seinem Herrn. Er hatte im Laufe seines Lebens viele Hundert Menschen sterben sehen und wußte, daß dieses Angesicht vom Tode gezeichnet war.

Der Kranke lag zunächst ganz still da, aber nach einer Weile drehte er sein Haupt um und sah den Obristen an. Dann kamen Worte aus seinem Munde, die Rotenhan nicht verstand, und endlich Sätze, von denen er nicht wußte, ob sie zu ihm gesprochen waren, oder ob der Herzog wähnte, zu einem andern zu reden.

»Das ist das Ende,« hörte er ihn sagen, – »nun, wie du willst, mein Gott, ich bin bereit – aber was ist die Frucht meines Lebens, die da bleibt? – – ich habe für die deutsche Freiheit gekämpft und ihren Feinden schwere Wunden geschlagen – wird sie errungen werden? – wird dieses Land dem Reiche entfremdet werden – wird Frankreich, das mich verraten hat, die Ernte meiner Siege einheimsen?« – –

»Herr,« sagte Rotenhan, der vor Kummer und Bewegung kaum zu reden vermochte, »wenn Gott es so mit Ihnen beschlossen hat, und Sie meinen, so werden wir alles tun, das Elsaß dem Reiche zu erhalten.«

Der Herzog nickte ihm freundlich zu, aber er antwortete nichts und schloß gleich darauf die Augen. So verharrte er stundenlang, und Rotenhan wußte nicht, ob er schlief oder wachte.

Als das Schiff in Neuenburg anlegte, stand eine riesige Menschenmenge am Ufer. Reiter waren vorangeeilt, um des Herzogs Ankunft zu melden, und im Lager hatte sich das Gerücht verbreitet, er käme als Toter zurück. Darum war das ganze Heer an das Ufer gelaufen, ohne Ordnung und Befehl, und stand nun in dichter Reihe dort, die Leiche zu erwarten.

Als der Herzog das sah, kam Leben in seine zusammengesunkene Gestalt. Seine Augen blickten freudig auf die Soldaten hin, und er hob grüßend die Hand.

Da erhob sich ein betäubendes Freudengeschrei von allen Seiten. Aber als der Lehnstuhl des Herzogs ans Land getragen wurde, verstummte es gar bald und wich einer beklemmenden Stille. Jeder sah es: der bleiche Mann, der da in den Kissen lag, war zwar noch nicht tot, aber er war ein Sterbender.

Lautlos teilte sich der Haufe, um den Trägern Platz zu machen. Da trat plötzlich ein alter Unteroffizier aus der Reihe gerade in die Gasse vor den Fürsten hin. »Gnädiger Herr!« rief er, »ist mir ein Wort vergönnt?«

»Sprich, Hans Greiner aus Eisenach,« erwiderte der Herzog mit müder, aber freundlicher Stimme.

»Gnädiger Herr, Sie werden wohl sterben müssen,« begann der Alte ohne Umschweife.

– »Es wird wohl so des Herrn Wille sein,« sagte der Herzog.

»Weiß Gott, ich möchte darum heulen wie ein altes Weib,« fuhr der Soldat fort. »Aber es ist nicht Zeit dazu. Wir müssen Sie noch etwas fragen, Herr. Es gehen Leute im Lager umher, die bieten Offizieren und Unteroffizieren Geld, daß sie zu Frankreich schwören sollen, wenn Sie tot sind.«

»Sie können meinen Tod nicht erwarten,« murmelte der Herzog.

»Ich habe einem solchen Kerl seinen Taler ins Gesicht geschmissen! Denn Sie können doch nicht wollen, daß wir französisch werden. Wir sind deutsche Knechte und wollen nicht unter den vermaledeiten Franzosen stehen. Befehlt, Herr, wem wir nach Ihnen gehorchen sollen!«

Er schwieg, und einen Augenblick war's stille. Dann aber brach es von allen Seiten los: »Ja, er hat recht! Wir wollen nicht französisch werden! Wir wollen deutsch bleiben!«

Schon während der Rede des Alten, noch mehr aber während dieses Geschreies war mit dem Herzog eine wunderbare Veränderung vor sich gegangen. Das Blut war ihm in die Wangen getreten, seine Augen leuchteten auf, und als wäre er plötzlich genesen, erhob er sich und rief mit einer Stimme, die weithin vernehmbar war: »Meine deutschen Völker! Ich danke euch! Es war meine größte Sorge, daß euch das französische Geld betören würde. Hört meinen letzten Willen: Ihr wendet euch, wenn ich nicht mehr bin, an einen meiner Brüder, ob sie euch führen wollen. Lehnen sie ab, so ziehet den Schweden zu, denn sie sind doch wenigstens unseres Stammes und Glaubens. Und sehet darauf, daß diese Länder dem Reiche erhalten bleiben, und denkt allezeit, wie heute, daran, daß ihr Deutsche seid! Wer nach meinen Worten tut, der sei gesegnet! Lebet wohl!«

Er sank zurück, denn eine neue Ohnmacht überkam ihn, und in tiefem Schweigen geleitete ihn das Heer in die Stadt.


Am andern Morgen in der Frühe standen an dem Uferplatze vor Neuenburg, wo die Schiffe anzulegen pflegten, zwei Männer wohl eine Stunde lang, ohne ein Wort miteinander zu reden, während in gemessener Entfernung von ihnen Knechte mit einer Sänfte hielten. Der eine der beiden war der Obrist Rotenhan, der andere, ein hochgewachsener älterer Mann in der Tracht der evangelischen Geistlichen, war des Herzogs Hofprediger Daniel Rücker. Sie erwarteten ein Rheinschiff, dessen Näherkommen ihnen vom Schlosse gemeldet war.

Das plumpe Fahrzeug kam nur sehr langsam vorwärts, denn es fuhr flußaufwärts, und seine Ruderer hatten mit starkem Wellengang zu kämpfen. Schon von weitem erkannten sie die Prinzessin Kunigunde, die ihnen mit der Hand grüßend zuwinkte. Sowie die Schiffer die Bretter an die Landungsbrücke geschoben hatten, sprang sie zu ihnen herüber. »Wie geht's ihm?« rief sie statt allen Willkommens. »Ist er noch krank?«

Der alte Prediger mußte mehrmals ansetzen, bis es ihm endlich gelang, zu sprechen. »Eure Fürstliche Gnaden wollen sich in Demut beugen unter das, was der Herr unser Gott über Sie verhängt hat -«

»Er ist tot?« schrie sie auf.

Er neigte das Haupt. »Vor anderthalb Stunden ist Herzog Bernhard unter Gebeten und lauter Anrufung Gottes selig entschlafen.«

Die Prinzessin wankte und wäre zu Boden gefallen, wenn sie nicht Rotenhan aufgefangen hätte. Sie klammerte sich an ihn an und lehnte ihr Haupt an die Schulter des alten Vertrauten ihrer Kinderjahre und ließ ihren Tränen freien Lauf. Er stand steif und starr wie ein Baum und rührte kein Glied, während ihm selbst bei ihrem heißen Weinen große Tränen in den grauen Bart rollten.

Endlich, als ihr Schluchzen schwächer wurde, sagte der alte Geistliche: »Wir wollen Eure Fürstliche Gnaden bitten, in die Sänfte dort zu steigen.«

Die Prinzessin hob das verweinte Antlitz empor und machte mechanisch einige Schritte nach der Sänfte hin. Da erklang über ihnen in der Luft ein scharfes, helles Krächzen. Sie schauten empor und sahen einen mächtigen Adler, der etwa fünfzig Ellen über ihnen majestätisch seine Kreise zog.

Erstaunt, fast erschrocken blickten sie einander an, denn sie alle drei wußten, daß in der Stunde, da Herzog Bernhard geboren ward, ein Adler über dem Schlosse zu Weimar erschienen war. Das hatten die erfreuten Eltern und der ganze Hof, insbesondere auch der taufende Pfarrer als ein Vorzeichen künftigen Heldentums des Neugeborenen gedeutet, und in den Lobreden auf den Herzog und in den Flugblättern, die über ihn und seine Siege im Reiche berichteten, wurde das nie zu erwähnen vergessen. Wie wunderbar, daß auch in seiner Todesstunde ein Adler über der Stätte schwebte, wo er verschieden war!

»Es gibt keinen Zufall,« sagte der Prediger feierlich. »Was wir da sehen, ist ein Zeichen des Allerhöchsten, daß heute ein Großer gefallen ist in Israel!«

Die Prinzessin aber schaute mit seltsam leuchtenden Blicken in die Höhe und konnte ihr Auge nicht wenden von dem Schwebenden, der immer tiefer hineintauchte in das dunkle Blau des Himmels. Ein wunderliches Empfinden bewegte dabei ihr Herz. Sie dachte nicht daran, daß nach der Lehre der Kirche die lieben Engelein die Seelen der Entschlafenen heimtragen in Gottes Reich – es war ihr, als sei der königliche Vogel ein Bote Gottes, der herniedergekommen war, die Seele des Helden heimzuholen und sie auf seinen Fittichen aufwärts zu tragen, dem ewigen Lichte zu.


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