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VII.

Auf der Hohen Bastei der Feste Koburg stand Herzog Bernhard und neben ihm ein hochgewachsener Greis mit stark gelichtetem Haupthaar und schneeweißem Barte. Der Alte fröstelte in dem leichten Windhauche, der vom Adlersberge herüberwehte, obwohl die Sonne eines heißen Juninachmittags auf die beiden herniederbrannte und ein dicker Wollmantel seine Schultern umhüllte. Er war offenbar krank, denn er stützte sich fest auf die Brüstung, als ob es ihm schwer würde, ohne Halt zu stehen, und in den funkelnden, scharfen Augen, die tief in ihren Höhlungen lagen, schimmerte ein fieberhafter Glanz.

»Laßt uns hineingehen!« rief Herzog Bernhard, der ihn besorgt immer wieder von der Seite betrachtet hatte. »Die Zugluft hier oben tut Euch nicht gut, Ohm!«

»Es ist wahr, trotz der Hitze in der Natur friert mich's in allen Gebeinen,« erwiderte der Greis. »Ja, seit der Schlag mich getroffen und mir den linken Arm fast gelähmt hat im vorigen Winter, bin ich nur noch ein Schatten meiner selbst. Bald werden die Kirchenglocken läuten da unten in der Stadt und da ringsherum in den Dörfern und werden verkünden, daß der alte Herzog Johann Kasimir nicht mehr ist.«

Bernhard schüttelte den Kopf. »Ihr seht zu schwarz, lieber Ohm. Ich denke. Ihr erholt Euch wohl noch einmal. Eine so knorrige Eiche wie Ihr fällt nicht auf den ersten Streich.«

»Es werden wohl bald noch mehrere Streiche folgen!« rief der alte Fürst. »Das ist ja eben das Verwünschte, daß man in ewiger Sorge lebt, der Anfall könne sich wiederholen.« Er streckte die bleiche, magere Hand nach den Bergen aus. »O du mein weiter grüner Wald – dich betrete ich nimmermehr! Wenn die Blätter da drüben fallen, bin ich ein toter Mann. Nichts, nichts habe ich noch zu erwarten als das Grab.«

»Und wenn Euer Ende auf Erden von Gott beschlossen wäre, nach dem Grabe die ewige Seligkeit,« sagte Bernhard ernst.

Der alte Herzog knurrte und brummte Undeutliches vor sich hin. Dann vernahm der fromme, rechtgläubige Weimaraner zu seinem Entsetzen die Worte: »Kann mir nichts Rechtes darunter denken. Passe nicht dahin. Mir ist's immer am wohlsten gewesen, wenn man den Hirsch und den Eber jagte und hernach einen Hahn ins volle Faß rannte. Gäbe mir der liebe Gott noch zwanzig Jährlein voller Kraft, daß ich reiten und jagen und trinken könnte wie früher – wahrlich, dann wollt' ich gern verzichten auf das Erwachen am jüngsten Tage!«

»Gott rechne Euch Eure Rede nicht zu, Ohm! Ich meine, Ihr sprecht im Fieber!« rief Bernhard erschrocken.

»Ich meine, ich bin ganz bei Sinnen,« entgegnete der alte Herzog trocken. »Wenn man eine Nacht um die andere schlaflos liegt wie ich, da kommen einem solche Gedanken. Man fühlt's, man paßt da nicht hin. Aber es hilft nichts, man muß hinein, entweder in den Himmel oder in die Hölle. Dann also doch lieber in den Himmel. Und derohalben bereite ich mich auch auf ein christlich, selig Abscheiden vor und höre jeden Tag den Hofprediger an, obwohl mir sein Sermon zumeist keine Kurzweil schafft. Auch habe ich beschlossen, noch eine gute Tat zu tun, ehe ich von hinnen gehen muß, und sie soll dir zugute kommen. Sei um vier Uhr auf dem Hofe, du triffst mich da. Eher wird auch Taupadel, den du herbestellt hast, schwerlich ankommen. Ich muß jetzt ein halbes Stündlein ruhen. Da kommt der Hofmedikus schon, mich zu holen.«

In der Tat tauchte in diesem Momente auf der Plattform ein kleiner, spindeldürrer Greis auf, der in einen höchst auffallenden Scharlachmantel gekleidet war und ein ebenso gefärbtes Barett auf dem Kopfe trug. Mit seinem langen, weißen Spitzbarte war er einem verkleideten Ziegenbocke nicht unähnlich.

»Gnädiger Herr: die Medicina!« meckerte er und wies auf den Diener, der ihm mit einer Flasche und einem großen Glase folgte. »Und dann muß sich Eure Fürstliche Gnaden hinlegen!« fügte er wichtig hinzu.

»So gebt Euer Teufelszeug her, Doktor!« sagte der alte Herr mürrisch. Als er das Glas unter vielem Husten, Schelten und Ächzen geleert hatte, trat ein tiefschmerzlicher Ausdruck in sein Antlitz. »O du mein schönes koburgisches Bier!« seufzte er aus tiefster Brust. »Bier über alle Biere! An deiner Statt muß ich nun das elende Gesöff trinken, das ich meinem Hunde nicht gönnen möchte. Die Welt ist ein Jammertal! Gehab dich wohl, Bernhard. Auf Wiedersehen um vier Uhr!«

Auf den Diener gestützt und vom Leibarzt gefolgt, humpelte er von dannen. Bernhard lehnte sich mit dem Rücken an die Brüstung und sah ihm mit einem Blicke nach, in dem Trauer und tiefes Mitleid lag. Der alte Herzog hatte ein ziemlich wüstes Leben hinter sich. Es war eigentlich nicht zu verwundern, daß er wenig Neigung besaß, in das Himmelreich einzugehen. Ihm aber war er immer sehr wohl geneigt gewesen, ja er hatte ihn sichtlich bevorzugt vor allen seinen Verwandten. Starb der Greis, so verlor er einen Freund, und gerade jetzt, nachdem ihm der schwedische Reichskanzler das Herzogtum Franken schon zugebilligt hatte, wäre ihm an der Freundschaft des Mannes, der die starke Feste Koburg besaß, viel gelegen gewesen. Aber es mochte wohl so kommen, wie der alte Fürst ahnend vorausfühlte: den Blätterfall im Herbst erlebte er schwerlich noch. Er war ein vom Tode Gezeichneter. Wurde er aber zu seinen Vätern versammelt, so mußte sein Ländchen an die Altenburger oder an die herzoglichen Brüder von Weimar fallen, und wahrscheinlich würde dann Wilhelm als der älteste versuchen, seine Hand auf diese Burg zu legen. Das wäre seinen Plänen ganz zuwider gewesen, und nach der Nachricht, die er aus Weimar erhalten und die ihn hierher getrieben hatte, durfte er es auch um der evangelischen Sache willen nicht dulden.

Er entnahm der Innentasche seines Rockes ein Brieflein und entfaltete es mit gefurchter Stirn. Das Blatt war von oben bis unten bedeckt mit den Zügen einer zierlichen, aber festen Frauenhand und enthielt zunächst die dringende Bitte seiner Liebsten, nach Weimar zu kommen. Die Hochzeit seines Bruders Albrecht werde die ganze Familie vereinigen, sein Bruder Wilhelm habe sein Erscheinen bestimmt zugesagt, auch die Vettern von Bernburg würden kommen. Ihr ganzes Herz sehne sich nach ihm, sie hätten sich ja auch wieder sechs Monate nicht gesehen. Auf etliche Tage werde er ja abkommen können. Und dann kam eine Notiz, die er wohl hundertmal gelesen hatte, seit der Brief vor vier Tagen in Frankfurt, wo er mit Oxenstierna über das Herzogtum Franken verhandelte, in seine Hände gelangt war: »Mein liebster Schatz wird sicherlich auch mancherley Gutes können ausrichten, so er nach hier kömpt. Denn hier ist der kursächsische Obrist Taube und wartet auf Herzog Wilhelms Liebden, und es heißt vor bestimmt, daß der Kurfürst Seine Liebden wolle zu seinem Generalleutnant machen und ihn ganz für sich einnehmen. Was dann mein liebster Schatz gewißlich nicht gerne sähe.«

Das war eine Bestätigung dessen, was ihm der schwedische Kanzler gesagt hatte. Oxenstierna wußte ganz genau, woher am Dresdener Hofe der Wind wehte, daß man dort des Kriegsführens und vor allen Dingen der Unterordnung unter Schweden übersatt war und am liebsten jeden Tag seinen Frieden mit dem Kaiser gemacht hätte. Er wußte auch, daß der Kurfürst alle Anstrengungen machte, den Herzog Wilhelm mit seinem Heeresteil zu sich herüberzuziehen. Daß der Schwede darüber tief erbittert war, verstand sich von selber, aber auch Bernhard mußte darin eine ungeheure Gefahr für die evangelische Sache sehen. Denn die große Macht des Kaisers und der katholischen Fürsten konnte nur dann gebrochen werden, wenn der Bund der evangelischen Staaten fest zusammenhielt. Fielen mächtige Glieder ab, um Sondervorteile für sich zu erreichen, so war niemals auf einen endgültigen Sieg zu hoffen, und wer also durch Abfall von der gemeinsamen Sache dem Frieden zu dienen glaubte, der bewirkte nur, daß der Krieg endlos weiterbrannte, weil eine Entscheidung nicht herbeizuführen war. Darum sah Bernhard in der Hinneigung seines ältesten Bruders zu Kursachsen eine gefährliche Verirrung und war hierher geritten, um die Ausführung seines Planes ihm unmöglich zu machen.

Noch stand er in solchen Gedanken, da kamen sporenklirrende Tritte die Stufen herauf, und eine kräftige, untersetzte Reitergestalt ward sichtbar. Das war der tapfere Mann, der im vorigen Jahre die Koburg gegen Wallenstein verteidigt hatte und trotz alles Stürmens und Schießens der großen Friedländischen Armee Herr des Platzes geblieben war. Die Wiege seines Geschlechtes stand in Thüringen an einem Nebenflüßchen der Saale, und er betrachtete die Ernestinischen Herzöge noch immer wie seine Landesherren, obwohl er Obrist in schwedischen Diensten war. Er war ein derber, frischer, tapferer Kriegsmann ohne höhere Bildung, aber begabt mit einem scharfen Blick und einer ungewöhnlich großen Portion gesunden Menschenverstandes. Die untätige, zaudernde Kriegsführung seines Obergenerals, des Herzogs Wilhelm, ging ihm gänzlich wider die Natur und war ihm recht eigentlich ein Greuel. Darum gehörten seine Sympathien schon längst dem jüngeren Bruder, der mit seinem Wagemute und seiner Schlaglust so recht ein Herr nach seinem Herzen war.

Als er den Herzog erblickte, riß er sogleich seinen Hut mit den wallenden Reiherfedern vom Kopfe herab und vollführte eine Verneigung, die mehr wohlgemeint als kunstgerecht war.

Bernhard trat lebhaft auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Da seid Ihr ja, mein wackerer Taupadel. Potz tausend – fast eine Stunde früher, als man Euch erwarten durfte! Hat Euch meine Ordonnanz noch in Schottenstein getroffen? Oder waret Ihr schon auf dem Wege hierher?«

»Wir saßen zu Tisch beim Schottensteiner Junker, ich und alle Obristen der Regimenter, die im Itzgrunde liegen, als der Bote Eurer Fürstlichen Gnaden eintraf. Den Braten habe ich noch mit verzehrt. Dann aufs Pferd und hierher! Ich bin hocherfreut, Eure Fürstliche Gnaden zu sehen. Nun wird bald ein frischer Wind wehen«

»Das wollen wir hoffen, lieber Taupadel. Aber zuvörderst bitte ich Euch, mir auf etliche Fragen einen ganz offenen und ehrlichen Bescheid zu geben.«

Der Obrist hob erstaunt den Kopf. »Habe ich etwas pekziert? Bin ich bei Eurer Fürstlichen Gnaden verdächtigt worden?«

»In keiner Weise. Ich frage Euch, weil ich weiß, daß Ihr der Verhältnisse kundig seid, die ich zu wissen begehre. Auch halte ich Euch für einen Mann, der die Wahrheit sagt.«

»Ich bin bereit, Eurer Fürstlichen Gnaden auf jede Frage Antwort zu geben, so gut ich vermag.«

»Nun denn: Ihr hattet begonnen, die Feste Kronach zu belagern. Wer hat meinem Bruder diesen Rat gegeben?«

»Das habe ich getan.«

»Das dachte ich mir und habe meine Freude daran gehabt, daß endlich einmal etwas geschehen sollte. Auch operiertet Ihr mit Glück, wie ich hörte. Wie kam es, daß nun plötzlich die Belagerung aufgehoben ward und mein Bruder abzog?«

Die Mienen des Obristen hatten sich bei dieser Frage tief verfinstert, und er erwiderte grollend: »Da müssen Eure Fürstliche Gnaden den verfluchten sächsischen Federfuchser fragen, der ins Lager kam. Er war kaum eine Stunde da, als Herzog Wilhelm den Befehl gab, die Belagerung aufzuheben.«

»Der Befehl war Euch unlieb?«

»Wie können Eure Fürstliche Gnaden so fragen? Wir hatten den Sieg und die Beute schon halb und gaben sie aus der Hand! Da kann einen ehrlichen Soldaten der Schlag rühren vor Ärger!«

»Und wie dachten die andern Obristen?«

»Alle wie ich, gnädiger Herr!«

»Und da war keiner, der meinen Bruder warnte und ihm gut zuredete?«

»Jawohl, fürstliche Gnaden. Es war einer da, und der war ich. Beschworen hab' ich den Herrn, nicht auf die Sächsischen zu hören. Ich habe ihm gesagt: Nimmermehr würde ein Kurfürst von Sachsen einem Prinzen aus Ihrer Linie trauen, am wenigsten einem so geachteten Fürsten wie Eure Fürstliche Gnaden sind. Niemals würde er eine Macht in Ihre Hand legen; was er Ihnen vormacht, ist eitel blauer Dunst. Aber das war alles in den Wind geredet.«

Mit immer wachsendem Erstaunen hatte ihm der Herzog zugehört. »Ihr wißt also alles, was im Werke ist? Ihr wisset, daß der Kurfürst meinen Bruder von den Schweden abwendig machen und zu sich herüberziehen will?«

»Seit unserm Abzüge von Kronach pfeifen das die Spatzen von den Dächern. Zudem hat Seine Fürstliche Gnaden nicht hinter dem Berg damit gehalten, daß ihm der Kurfürst die Bestallung als seinen Generalleutnant über seine ganze Armee wolle zukommen lassen. Mehrmals schon hat er so halb gefragt, was ich tun würde, wenn er des Kurfürsten Anerbieten annähme.«

»Und was gabt Ihr zur Antwort?«

»Ich habe ihm gesagt: Gnädiger Herr, wollen Sie selbständig ein Heer anwerben und den Krieg auf eigene Faust führen, wie weiland der Mansfelder und der Braunschweiger – wahrlich, dann werfe ich meine Bestallung hin und diene Ihnen mit Freuden. Ein Jammer, daß solches nicht möglich ist! Aber zu dem Sachsen folge ich Ihnen nimmermehr, denn der sucht nur seinen Nutzen, und es ist ihm nicht zu trauen!«

»Gebt mir Eure Hand, Taupadel!« rief Bernhard mit starker Stimme. »Ihr seid mein Mann. Klug und dabei gerade und ehrlich, wie es alte thüringer Art ist. Und nun sagt mir frank und frei noch Eure Meinung über eines: Achtet Ihr dafür, daß ich meinen Bruder umstimmen könnte, so daß er abließe von den Verhandlungen mit dem Sachsen?«

»Eure Fürstliche Gnaden müßten ihm Ihr Heer übergeben und ihn ganz und gar in Ihre Stelle setzen lassen. Dann brächten Sie ihn zu allem. Denn er ist voller Jalousie, wenn ich das sagen darf.«

»Ich denke, das tue ich doch lieber nicht,« versetzte Bernhard lächelnd.

»Das wäre der Teufel, Fürstliche Gnaden!« polterte der Obrist. »Sie sollten vielmehr alle Armeen kommandieren, die gegen den Kaiser im Felde stehen.«

»So lest dieses Schreiben hier, General Taupadel,« sagte der Herzog und überreichte ihm ein zusammengefaltetes und mit dem großen schwedischen Reichssiegel verschlossenes Papier, das er seiner Brusttasche entnahm.

»General?« fragte Taupadel verwundert.

»Ihr seid's, sowie Ihr diesen Befehl ausgeführt habt.«

Der Obrist nahm das Blatt und hielt es eine Armlänge von seinem Gesicht ab, um es zu lesen, denn er war weitsichtig, wie so viele alte Jäger und Soldaten. Er erkannte auf der Stelle die festen Züge des schwedischen Reichskanzlers, und er war bald zu Ende, da das Papier nur eine kurze Ordre enthielt. Mit ernster Miene reichte er es dem Herzog zurück und sagte: »Hätte mir ein andrer das überbracht als Eure Fürstliche Gnaden, so hätte ich mich wohl bedacht, dem Befehle nachzuleben, obwohl ich dazu verpflichtet bin. So aber tue ich's und tue es mit Freuden, denn es stärkt die Macht Eurer Fürstlichen Gnaden, und die kann nicht stark genug sein. Sie sind in diesen Tagen die einzige Hoffnung der deutschen Nation, Herr, sie kann sich durch keinen andern wieder erheben, wenn nicht durch Sie. So befehlen Sie denn über mich. Und ich meine, Sie werden die Truppen, so Sie sie einmal haben, nie wieder von Ihnen lassen!«

»Niemals, Taupadel, das gelobe ich Euch. Werden aber die andern Obristen so denken wie Ihr, oder werden sie Späne machen?«

»Ich acht', sie werden denken wie ich. Auch gilt bei ihnen mein Wort und Beispiel nicht wenig, wenn sie sich wider Vermuten zuerst weigern wollten,« erwiderte Taupadel mit Selbstgefühl.

»Wie weit ist's von hier nach Schottenstein?«

»Ein guter Gaul schafft's in einer Stunde.«

»Dann werden wir unverzüglich hinreiten, denn die Herren sitzen gewiß den ganzen Nachmittag noch bei Wein und Bier und Karten beisammen. Ich will Urlaub nehmen von meinem Ohm. Er hat mich auf vier Uhr in den vorderen Hof bestellt, weiß nicht, was er dort vorhat. Es ist noch nicht so weit, aber gehen wir einstweilen hin.«

Auf dem ziemlich geräumigen Vorderhofe der Feste stand die ganze Besatzung in einem Halbkreise geordnet, als der Herzog mit Taupadel den Platz betrat. Befremdet ließ er die Augen über alle diese kriegerischen Gesichter hingleiten, von denen ihm manches von früher her bekannt erschien.

»Was soll das?« fragte er den Hauptmann der Schar. »Was wollt ihr hier?«

»Ich weiß es nicht. Fürstliche Gnaden, der Herr hat's befohlen.«

»Wo ist Euer Herzog?«

»Er wird noch ruhen. Fürstliche Gnaden.«

»So ruft mich, wenn er kommt. Ich gehe einstweilen mit Taupadel zu den Pferden,« sagte Bernhard, aber kaum hatte er ein paar Schritte nach den Ställen hin getan, so hörte er seines Ohms dünne, heisere Stimme. Der fürstliche Greis trat eben, gefolgt von seinem vierschrötigen Kanzler und zwei Dienern, aus dem Portal des Haupthauses heraus. »Ah, da bist du ja, Bernhard. Und Ihr auch schon hier, Taupadel? Das ist schön. Seid mir willkommen! Ich denke, Ihr seid Seiner Liebden willfährig in dem, was er von Euch haben will. Sonst soll Euch meinetwegen der Teufel holen!«

Taupadel, der die polternde Art des alten Herrn kannte, verneigte sich lächelnd. »Ich stehe Seiner Fürstlichen Gnaden in allen Dingen zu Befehl.«

»Das ist gut. Ihr seid ein wackerer, redlicher Thüringer! Und nun komm her, Bernhard! Du sollst etwas hören, was dich freut. Die Schweden wollen dich zu einem Herzog in Franken machen. Das ist löblich. Aber sie wollen die festen Häuser zu Würzburg und Bamberg selber mit ihrem Volke besetzt halten, so lange der Krieg währt. Das ist ruppig, und da schaut der Pferdefuß heraus. Mit der einen Hand geben sie, mit der andern Hand nehmen sie und zeigen an, daß sie dich nicht wollen stark werden lassen in Franken. Aber wir wollen zusehen, ob wir ihnen nicht eine Nase drehen können. Kanzler, lies vor, was ich mit dir aufgesetzt habe!«

Der große, breite Mann trat einige Schritte vor, verneigte sich vor Bernhard und las mit einer Stimme, als ob er einen Toten hätte auferwecken wollen, die Urkunde ab, die er in der Hand hielt. Darin tat Herzog Johann Kasimir von Sachsen-Koburg männiglich kund und zu wissen, daß er seinen freundlichen, lieben Neffen, Herrn Bernhard Herzog zu Sachsen, zum Mitbesitzer seiner festen Burg Koburg annehme, wofür ihn von heute ab jeder zu achten habe. Er erlaube ihm auch, soviel Kriegsvolk hineinzulegen, wie ihm beliebe, und über alles Geschütz und sämtlichen Proviant zu verfügen nach Gutdünken.

Herzog Bernhard stand ein paar Augenblicke wie erstarrt da. Was ihm hier in den Schoß fiel durch das Wohlwollen seines alten Oheims, war ein gewaltiger Zuwachs von Macht. Sein Herzogtum Franken war erst dann etwas wert, wenn er der alleinige Herr eines festen Platzes war, und die starke Koburg lag dicht an seiner Grenze.

Er schloß den Greis stürmisch in seine Arme und vermochte vor Bewegung kaum zu reden. »Habe dich nicht!« sagte der alte Herr gänzlich ungerührt. »Ich denke an die vielen dummen und geärgerten Gesichter, die es nun geben wird, und habe meine Freude daran. – Kanzler, lies den Eid vor, und ihr –« wandte er sich an seine Leute, »ihr sprecht ihn nach!«

Mit schallender Stimme, wie vorher die Urkunde, las jetzt der Kanzler die Eidesformel vor, und die gesamte Mannschaft schwor mit erhobener Hand, daß sie Seiner Fürstlichen Gnaden wolle treu und gewärtig sein mit Blut und Leben und ihm gehorchen als ihrem Herrn.

»Und nun muß ich dir des weiteren kund und zu wissen tun,« sagte der alte Herzog, »daß ich einen ungeheuren Durst habe. Ich werde dem alten Esel, der mir einen Tee in den Leib füllen will, ein Schnippchen schlagen und mit dir einen guten, starken Trunk tun.«

»Heute nicht, lieber Ohm! Ich bitte dich vielmehr, mir für heute Urlaub zu geben. Ich will mit Taupadel nach Schottenstein reiten, um die Obristen zu gewinnen, die dort bei dem alten Junker zechen. Aber morgen früh führe ich selbst ein paar Fähnlein auf die Burg.«

»Das ist mir unlieb,« erwiderte der Herzog mißvergnügt. »Ich hatte mich darauf gefreut. Indessen geht dein Werk vor, und so fahre nur hin. Den Trunk verschiebe ich aber nicht, denn es ist eine Sünde, einen großen, starken Durst ungenutzt zu lassen.«

Bernhard trat dicht an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Mein Herr Oheim wird an seinen leidenden Zustand denken und des Guten nicht zuviel tun. Mir sollt' es bitter leid sein, wenn ich Euch verlöre.«

»Ach was!« knurrte der Greis, »ist es nicht besser, der Blitz erschlägt einen, als daß man an einem langsamen Feuerlein zu Tode röstet? Fändest du mich nicht mehr vor, wenn du wiederkehrst, so würde deine Trauer bald gestillt sein. Und in der Burg bist du nun, und ich meine, auch wenn ich tot bin, wird dich niemand hinauswerfen können. Gehab dich wohl für heute, Bernhard, und viel Glück und gute Verrichtung! Bringe den Schottensteiner morgen mit. Ist ein wackerer Kumpan, hat einst das große Auerhorn droben auf einen Ritt ausgetrunken. Wollen probieren, ob er's noch kann!« –

»Das war, mit Permission zu sagen, die beste Tat, die Herzog Johann Kasimir in seinem Leben vollbracht hat,« sagte Taupadel, als er danach an der Seite des Herzogs die Straße dahinritt, die an der Itz abwärts führte.

»Ich kann's ihm nimmer genug danken,« erwiderte Bernhard ernst. »Die Burg soll in meiner Hand etwas anderes bedeuten als bisher. Darum muß ich einen ganzen Mann hinsetzen, auf den ich mich unbedingt verlassen kann. Wollt Ihr den Befehl dort, Taupadel?«

»Fürstliche Gnaden, ich diene Ihnen, wo Sie mich hinstellen. Aber ich will Ihnen nicht verhehlen, daß ich am liebsten mit Ihnen zöge. Ich bin des tatenlosen Liegens satt, und vor der Hand wird schwerlich ein Feind die Feste bedrängen.«

»Ich begreife das!« entgegnete Bernhard, und im Grunde war er froh, daß der alte Haudegen lieber mit ihm ziehen als hierbleiben wollte. Denn es lag ihm daran, alle diese Regimenter, die in der Gegend standen, möglichst rasch von dannen zu führen, ehe sein Bruder von Weimar zurückkehrte. »Aber,« setzte er hinzu, »denkt darüber nach, Taupadel, wen Ihr mir als Befehlshaber der Burg vorschlagen wollt. Euer Name wird in der Historia weiterleben als der des tapferen Verteidigers dieser Feste. So möchte ich von Euch wissen, wen Ihr für wert haltet, nach Euch hier das Kommando zu führen. Überlegt es Euch und sagt es mir und dem Herzog morgen.«

Viel mehr wurde zwischen den beiden nicht geredet auf dem Wege, denn sie ließen die Gäule wacker ausgreifen und ritten wirklich schon eine Stunde später die gewundene Dorfstraße von Schottenstein empor nach dem Schlosse, das über den Bauernhäusern schwer und wuchtig thronte.

Droben saß der alte Schottensteiner mit seinen Gästen beim Becher. Die Strahlen der Abendsonne, die durch die hohen Fenster in den großen Herrensaal hineinfielen, blitzten auf in den Gold- und Silbermünzen, die auf der Tafel lagen. Denn nach dem Essen und einem schweren Trunke waren die Herren zum Spiel übergegangen, am obern Ende des Tisches klatschten die Karten, am untern rasselten die Würfel auf dem harten Eichenholz.

Da erklangen auf den Steinfließen des Vorsaals klirrende Tritte, die Tür flog auf, und der Herzog stand auf der Schwelle, hinter ihm Taupadel. Alle wandten ihre erhitzten und weingeröteten Gesichter dem Eingange zu. Einen Augenblick verblüfftes Schweigen, dann fuhren sie wie mit einem Rucke von ihren Stühlen empor, und ein lauter Heilruf scholl dem Eintretenden entgegen.

»Es ist mir leid, daß ich die Herren stören muß,« sagte der Herzog, dem Nächststehenden leutselig die Hand hinstreckend, »aber ich habe eine Botschaft des Herrn Reichskanzlers an die Obristen der Regimenter, die unter meines Herrn Bruders Liebden bei Koburg stehen. Die leidet keinen Aufschub.«

Er machte eine kleine Pause und fuhr dann fort. »Seit mehr als einem Jahre ist dieses Heer jeder großen Aktion ferngeblieben. Ohne Ruhm, ohne Beute zieht ihr hin und her von Franken nach Thüringen und von Thüringen nach Franken. Andere nehmen Städte ein und gewinnen Siege; ihr steht immer zur Seite!«

»Nicht unsere Schuld!« klang eine scharfe Stimme.

»Nein, wahrlich nicht eure Schuld. Ihr gehört vielmehr zu den Besten, die im Felde stehen. Und wir brauchen euch da, wo die Schwerter klirren. In ein paar Wochen ziehe ich aus, den Krieg in des Kaisers Erblande zu tragen. Möchtet ihr nicht mit, ihr Herren, wenn's nach Wien geht?«

»Vivat Herzog Bernhard!« schrien einige. »Aber wir stehen unter Herzog Wilhelms Befehl!« rief einer dagegen.

»Ihr standet unter meines Bruders Befehl. Hier ist die Order vom Reichskanzler, die euch unter meinen Befehl stellt. Obrist Rosen, nehmt sie und seht sie Euch an! Reicht sie herum und gebt sie einem jeden in die Hand. Wer will zurückbleiben? Wer möchte nicht hinaus aus dem faulen Leben? Wer weigert sich, mir zu folgen?«

»Keiner!« schrie der Obrist Rosen. »Hier meine Hand, Fürstliche Gnaden!« Und »Vivat Herzog Bernhard!« von allen Seiten.

»So haltet euch bereit, morgen nach Bernburg abzurücken.« Er ergriff ein großes Glas, das ihm zunächst stand, und hob es hoch empor. »Dies euch zum Wohle, wackere Kameraden!«

Und wieder brauste es durch den Saal: »Vivat Herzog Bernhard!«


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