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Zweites Buch


I.

Armand Jean du Plessis, Kardinal-Herzog von Richelieu, war in seinen jungen Jahren und noch weit über die Jugendzeit hinaus ein wilder Lebemann gewesen. Der Freudenbecher, den das Leben einem reichen und vornehmen Manne zu bieten hat, war von ihm ausgeschlürft worden bis auf die schale Neige. Wo zu einem fröhlichen Jagen geblasen ward, wo man bunte Feste, Aufführungen und Maskeraden veranstaltete, da war der Herzog stets mit dabei gewesen, und er hatte am längsten die Nächte hindurch ausgedauert an den Tischen, auf denen die Würfel rollten und die Goldstücke klirrten, und wo der feurige Wein der Champagne in Strömen floß. Am meisten von den Genüssen allen hatte er die Freuden der Liebe ausgekostet, denn dem schönen und geistvollen Manne war Frauengunst im Übermaß zuteil geworden. An dem galanten Hofe von Paris war er einer der galantesten Kavaliere gewesen, und als schon die höchsten Würden und Ehren des Staates und der Kirche sich auf sein ehrgeiziges Haupt häuften, hatte noch mancher seine geschmeidige Gestalt in den verschiedensten Verkleidungen nächtlicherweise in den Straßen von Paris erkannt, wenn er irgendwohin zu einem Stelldichein eilte.

Das war nun alles vorüber, mußte leider vorüber sein, denn Seine Eminenz war, etwas vor der Zeit, alt geworden. Der perlende Wein wollte nicht mehr so recht schmecken, die Genüsse der Tafel verloren mehr und mehr ihren Reiz. An den Spieltischen ward er schon längst nicht mehr gesehen, denn seitdem er der allmächtige Minister und der eigentliche Beherrscher Frankreichs geworden war, spielte er ein Spiel, das hundertmal aufregender war, und bei dem Krone und Länder den Einsatz bildeten. Und die Freuden der Liebe? O, es wurde ihm da noch mancherlei nachgesagt, aber von all den boshaften Gerüchten beruhten nur wenige auf Wahrheit. Der Kardinal hatte einen viel zu guten Geschmack, als daß er in seinem gebrechlichen Zustande die Rolle eines Seladon hätte spielen mögen. Er litt fast beständig die Schmerzen der Gicht, so daß ihm das Gehen und Stehen sauer ward, und zuweilen wurden ihre Anfälle so heftig, daß sie ihn tagelang an das Bett oder den Krankenstuhl fesselten. So war es ihm vorgestern ergangen. Die große Zehe seines rechten Fußes war zu einer glasigen Birne angeschwollen, und jedes Auftreten war unmöglich gewesen. So hatte er am gestrigen Tage zu seinem großen Ärger und Leidwesen eine wichtige Staatsaktion, den Einzug des Herzogs von Weimar und seinen Empfang bei Hofe, versäumen müssen. Er wußte bis jetzt auch nur gerüchtweise, wie die Sache verlaufen war, und erwartete mit Ungeduld die Ankunft des Vertrauten, der ihm über alles, was gestern sich ereignet hatte, Bericht abstatten sollte. Er saß in dem großen Prunkzimmer seines Palais in der Rue Condé, zurückgelehnt in einen tiefen, mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Armsessel nahe am Fenster und beobachtete das Treiben draußen auf der Straße. Dabei war er selbst für die Vorübergehenden und -fahrenden nicht sichtbar, sondern er sah alles in einem kleinen, blanken Spiegel, der vor dem Fenster angebracht war.

Es war nicht viel zu sehen, was seine Aufmerksamkeit erregte, und er lehnte sich bald in die Kissen zurück und warf nur hin und wieder einmal einen Blick nach dem Spiegel hin. Zuweilen liebkoste er lässig das vor ihm sitzende weiße Windspiel, ein Geschenk der Königin Anna, oder er horchte auf das helle Mädchenlachen, das von jenseits des Korridors, wenn einmal drüben eine Tür geöffnet wurde, in sein stilles Gemach hineinklang. Seine Nichte, die schöne Herzogin von Anguillon, die ihm das Haus führte, hatte Besuch.

Plötzlich richtete er sich interessiert in die Höhe. Ein plump gebauter Wagen, nur von einem Pferde gezogen, kam schnell die Straße herab und hielt bald vor dem Hause. Ein kleiner, beweglicher Mann in der Ordenstracht der Kapuziner entstieg ihm, und eine Schar von Dienern stürzte aus dem Portale heraus, um ihn vom Wagen zu helfen und ihn ins Haus zu geleiten. Sie verneigten sich dabei vor dem unscheinbaren Mönche, als wäre er ein Fürst oder gar der König selbst, und sie hatten alle Ursache zu dieser devoten Höflichkeitsbezeugung. Denn der kleine Pater Joseph war der Beichtvater ihres Herrn, des Kardinals, gelegentlich auch der Beichtvater Ludwigs des Dreizehnten und der einflußreiche Freund und Berater beider, dessen, der die Krone trug, und dessen, der die Macht der Krone in seinen schlanken, weißen Händen hielt. Ohne anzuklopfen und ohne daß ein Diener ihn vorher meldete, trat der Mönch in das Gemach. Er hatte die Kapuze über den Rücken zurückgeschlagen, und wer den gewaltigen Kopf sah, der auf der kleinen Gestalt saß, der mochte es wohl begreifen, daß der zarte, feingliedrige Mann berufen war, in der Welt eine bedeutende Rolle zu spielen. Man hätte dieses bronzefarbige Antlitz mit den scharfgeschnittenen Zügen wohl vergleichen können mit dem Antlitz eines Gregor oder Innocenz oder sonst eines der weltbeherrschenden Päpste, wenn mehr Ruhe darin gewesen wäre. Es zeigte aber das überlebendige, immer wechselnde Mienenspiel des Südfranzosen.

»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte er beim Eintreten, beugte beide Knie schnell vor dem Kardinal und stand ebenso schnell wieder auf, so daß es aussah, als habe er einen Knix vollführt.

»In Ewigkeit. Amen!« erwiderte Richelieu und machte mit der Rechten das Kreuzzeichen. »Ich habe dich längst erwartet, Joseph. Komm, setze dich zu mir. Wie kommt es, daß du so spät erscheinst?«

Der Mönch ließ sich auf einen niedrigen Sessel dicht bei dem Kardinal nieder und gab zur Antwort: »Ich konnte beim besten Willen nicht früher zu Eurer Eminenz kommen, denn Ihre Majestät hatten die Gnade, mich zu sich zu befehlen. Es handelte sich um die Nonnen von St. Cyr. Die Königin will –«

»Ach, laß das jetzt. Erzähle mir's später,« unterbrach ihn der Kardinal. »Jetzt berichte mir: Wie ist der Weimarer angekommen? Wie empfing ihn Paris? Wie war der Empfang bei Hofe? Wie hat er sich benommen?«

»Der Herzog von Weimar wurde eingeholt wie ein regierender Fürst, vom Volke bestaunt und bejubelt wie ein Gott und hat sich benommen wie ein Bär. Der Haushofmeister Seiner Majestät erwies ihm die Ehre der Einholung mit einer Suite hoher Edelleute und geleitete ihn von Vincennes durch den Wald nach der Stadt. Er ritt auf einem großen, stattlichen Pferde, hinter ihm eine Menge von Adel, man sagt, es seien Grafen und Prinzen darunter gewesen. Der erste Eindruck, den ich vom Herzog empfing, war ein sehr günstiger, denn er sieht gar nicht breit und dick und plump aus, wie sonst die deutschen Tiere fast alle. Er hat einen schlanken, gefälligen Wuchs, ein feines, längliches Gesicht, gebogene Nase, sehr scharfe, durchdringende Augen. Ich dachte bei mir, der Mann verdiente es nach seinem Äußern, ein Franzose zu sein. Er grüßte sehr höflich nach allen Seiten, und er hatte leider alle Augenblicke, ja eigentlich beständig zu grüßen, denn wie ihn die Pariser empfingen, Eminenz, das war ein Skandal, es empörte mein christkatholisches Gemüt. Ich ärgere mich jetzt noch, wenn ich daran denke.«

Der Kardinal lächelte. »Wundert's dich, du welterfahrener Mann, daß der Pöbel bei einem Schauspiele lärmt und jubelt? Auch wenn der Großtürke einzöge, würden sie jauchzen und Beifall klatschen.«

»O Eminenz – wenn's nur der Pöbel gewesen wäre! Aber es war die Elite von Paris. Eine Karosse neben der andern stand links und rechts von der Straße, auf der er hereinkam. Der Adel war da, die Herren und Damen vom Hof, von der reichen Bürgerschaft ganz zu schweigen! Und diese Leute gebärdeten sich alle wie unsinnige, aufgeregte Narren. Die Herren riefen ihm schmeichelhafte Worte zu, die Damen wehten mit weißen und bunten Tüchern und überschütteten ihn mit Blumen, die dann sein Roß zertrat. Es war eine unwürdige Szene, Eminenz! Man feierte den Ketzer, als wäre der Heilige Ludwig aus seiner Gruft gestiegen!«

Der Kardinal blickte nachdenklich vor sich hin. »Ein Vertrag mit ihm wäre also populär,« murmelte er.

Dem scharfen Ohre des Paters waren diese Worte nicht entgangen. Er zog die Stirn in Falten und sagte scharf: »Jawohl, Eminenz, das wäre er gewiß! Aber unserer heiligen katholischen Kirche zuträglich? Wohl schwerlich. Denn er würde viele Gewissen beunruhigen und verwirren.«

Richelieu bewegte abwehrend die Hand. »Davon reden wir später. Wie war der Empfang in Saint Germain?«

»Nach Eurer Eminenz eigenem Rate überaus gnädig. Der König empfing ihn im großen Saale; auch der Bruder der Majestät war da und beide mit großem Gefolge. Ich habe, in einer Ecke stehend, alles mit angesehen. Unser Herr begrüßte ihn mit liebenswürdigen Worten, die der Herzog verbindlich erwiderte. Er spricht nicht übel Französisch, Eminenz. Aber gleich kam der deutsche Tölpel wieder zum Vorschein. Denn was geschah? Der König bedeckte, nachdem der Herzog gesprochen hatte, sein Haupt mit dem Hute. In demselben Augenblicke, Eminenz, in demselben Augenblicke, als hätte er nur darauf gewartet, stülpt sich dieser Bauer den Hut gleichfalls auf den Kopf. Alles war starr. Der Herzog von Alençon ward beinahe ohnmächtig vor Schrecken und stammelte so laut, daß er es hören konnte: Er bedeckt sich! Er bedeckt sich! Aber er ignorierte das völlig und stand breit und frech mit dem Hute auf dem Kopfe vor der Majestät.«

»Nun, und der König?«

»Der König in seiner unvergleichlichen Gewandtheit und Politesse beendete die üble Szene auf der Stelle indem er den Hut wieder abnahm und ihn so nötigte, das Gleiche zu tun. Mir aber, Eminenz, und wohl allen, die das mit ansahen, war ein Schrecken in die Glieder gefahren über die dreiste Anmaßung dieses Herzogs ohne Land, und hatte ich mich auf der Straße als guter Katholik geärgert, so geriet hier im Königssaale mein französisches Herz in zornige Wallung und erfüllte sich mit Abneigung gegen diesen Menschen.«

Der Kardinal hatte die ganze Rede, die der Mönch gestikulierend hervorsprudelte, vollkommen unbewegt angehört. »Mir wurde berichtet,« sagte er in gleichgültigem Tone, »er wäre auch bei der Königin gewesen. Wie ist dieser Empfang verlaufen?«

»Er war bei Ihrer Majestät, gleich nachdem ihn der König verabschiedet hatte. Bei dieser Audienz war ich nicht persönlich zugegen. Aber die Königin war sehr entzückt von ihm und nannte ihn einen scharmanten und galanten Kavalier. Und wie ich mit großer Verwunderung höre, hat sich auch der König sehr günstig über ihn geäußert, trotz der Frechheit, die er an den Tag legte. Und, Eminenz, die Damen der Königin! Das Volk ist ganz in Ekstase. Er hat sie halb verrückt gemacht.«

»Wozu nicht viel gehört,« warf der Kardinal trocken ein und setzte dann ernsthaft hinzu: »Es ist wirklich merkwürdig, welch eine Macht dieser Herzog von Weimar auf die Menschen ausübt. Meinen guten la Valette, der ihn anfänglich haßte, hat er auch ganz und gar für sich eingenommen. Es ist fast zum Lachen, mit welchem Eifer und mit welcher Wärme er ihn protegiert.«

»Ja,« sagte der Mönch unmutig, »Eure Eminenz hatten die Gnade, mich die Briefe des Herrn Kardinals la Valette lesen zu lassen, und ich sagte Ihnen ja gleich, daß ich über ihren Ton erschrocken war. Ein Fürst unserer Kirche sollte so nicht über einen Ketzer schreiben. Mir ist das eher zum Weinen als zum Lachen. Ich bete zur allerheiligsten Jungfrau, daß er nicht auch Eure Eminenz bezaubere.«

»Das dürfte ihm sehr schwer fallen,« erwiderte Richelieu mit einem kalten Lächeln. »Es ist mir noch niemals passiert, daß ich einer Bezauberung unterlegen bin.« Er zog eine große, goldene, mit Brillanten besetzte Uhr hervor und warf einen kurzen Blick darauf. »Ah, noch zehn Minuten! Dann wird er hier sein.«

»Wer? Der Herzog von Weimar?«

Der Kardinal nickte. »Er hat sich bei mir um zehn Uhr ansagen lassen. Ich habe ihm erwidert, ich würde mir's zur Ehre anrechnen, seinen Besuch zu empfangen, und lasse ihn mit meiner eigenen Equipage abholen. Was machst du denn für ein Gesicht, Joseph? Du verziehst ja den Mund, als hättest du Schlehensaft getrunken.«

»Ja, Eminenz!« rief der Pater erbittert, »es kommt mir wie Wermuth und Galle auf die Zunge, wenn ich sehe, was für ein Wesen mit diesem kleinen deutschen Herzog, diesem Ketzer aus dem Geschlechte der Erzketzer, gemacht wird. Morbleu! Mir dreht sich das Herz um!«

Der Kardinal lachte. »Ach, guter Joseph,« rief er, die Arme weit ausreckend, »was kümmerte mich der Mensch, wenn wir ihn nicht brauchten! Die Deutschen sind mir allesamt widerwärtig, am meisten die deutschen Großen. Denn was sind sie? Eine Hammelherde geistloser, plumper Dummköpfe, wüste Trinker, aufgeblasene grobe Polterer! Aber leider ist uns dieses Volk sehr gefährlich, denn sie sind die besten Kriegsleute der Welt, sie und die Spanier! Es fehlt dem deutschen Kaiser nur ein Feldherr. Hätte er den, so stände sein Heer bald vor Paris! Und dieser Herzog Bernhard ist ein Feldherr, der einzige von allen Führern, die jetzt auf dem Kriegstheater agieren. Deshalb müssen wir ihn immer mehr an uns fesseln, wir müssen. Was leistet dieser Mensch?! Seit der Schlacht bei Nördlingen –«

»– die er verloren hat,« warf der Pater gehässig ein.

»Die er verloren hat, wie wohl jeder große Feldherr einmal Unglück hat. Also, seit der Schlacht bei Nördlingen, nun seit anderthalb Jahren, widersteht er dem Kaiser mit einem erbärmlichen Heere. Er ist unser Grenzschutz, obwohl wir ihn miserabel und ganz unzulänglich unterstützt haben. Er vollführt einen meisterhaften Rückzug vor Gallas und lockt diesen General in Gegenden, wo sein Heer zugrunde gehen muß. So gewinnt er durch den Rückzug mehr als durch eine siegreiche Schlacht. Meisterhaft! Meisterhaft! Und mein lieber la Valette, den ich ihm mit einem Heere zu Hilfe gesandt habe, hat gar nichts, gar nichts im Felde ausgerichtet. Unter uns können wir ja das offen aussprechen. Die Soldaten haben ganz recht, wenn sie auf den Kardinal-General ein Spottlied singen mit dem Refrain: Où est le duc de Weimar? Joseph, siehst du mit deinem klaren Kopf nicht ein, daß wir den Mann brauchen? Siehst du nicht ein, daß wir ihn ganz anders unterstützen müssen wie bisher? Wir haben dem Kaiser den Krieg erklärt, so müssen wir ihn auch mit Nachdruck führen. Das soll für uns der Herzog von Weimar tun.«

Der Mönch saß eine Weile finster brütend da. »Wer sich fest auf einen Rohrstab stützt, dem durchbohrt er die Hand,« murmelte er.

»Leuten, die keine Eisenhandschuhe tragen, mag das so gehen,« versetzte der Kardinal. »Wir werden die Vorsicht gewiß nicht außer Augen lassen.«

»Und doch gefällt mir's nicht, daß ein Ketzer unsere Kriege führen soll,« brummte der Pater.

»Mir auch nicht, dessen sei versichert. Aber wir brauchen ihn. Wir haben keinen andern.«

Wieder saß der Pater ein paar Augenblicke stumm da, dann fuhr er mit einem Male heftig von seinem Sessel empor und fuchtelte aufgeregt mit den Armen in der Luft herum. »Eminenz, Eminenz, ich kann's nicht glauben! Ist Frankreich wirklich so arm, das große Frankreich? Hat es wirklich keinen, der unsere Heere führen könnte? Keinen Feldherrn?«

»Mein lieber Joseph, die bedeutenden Feldherren sind so selten wie die hundertkarätigen Diamanten. Aber einen haben wir allerdings, der noch so halbwegs diesen Namen verdiente. Ich fürchte indessen, er wird dir noch unwillkommener sein als der deutsche Herzog. Denn Heinrich von Rohan möchtest du wohl nicht an der Spitze unserer Armada sehen?«

Der Pater sprang einen Schritt zurück. Sein Gesicht lief dunkelrot an, und seine Augen funkelten. »Blasphemie, so etwas auch nur zu denken!« stieß er hervor. »Der Hugenott! Der Rebell! Schlimm genug, daß er wieder zu Gnaden angenommen ist. Schlimm genug, daß er wieder ein Kommando in der Schweiz bekommen hat. Ich habe Eure Eminenz immer gewarnt, leider vergeblich!«

Der Kardinal zuckte die Achseln. »Staatsraison, guter Joseph. Wir dürfen ihn nicht brüskieren, denn du weißt ja, daß es nur sehr langsam gelingen wird, seinen Einfluß zu brechen. Er ist das Haupt der Hugenotten. Und, lieber Freund, er ist, wie ich eben sagte, das einzige militärische Talent, das wir zurzeit haben. Er ist der letzte Trumpf, den wir ausspielen können. Kommt der Vertrag mit Herzog Bernhard nicht zustande, so muß der Herzog von Rohan unser Heer führen.«

»Nun,« zischte der Pater, »dann ist mir der deutsche Herzog noch dreimal lieber. Dann macht ihn in des Teufels Namen zum Pair von Frankreich und laßt ihn die ganze Armada Seiner Majestät kommandieren!«

Der Kardinal unterdrückte mit Mühe ein Lächeln, denn er hatte die Wirkung seiner Worte genau vorausgesehen. Er wußte, daß sein Vertrauter den hugenottischen Herzog von Rohan nicht nur als Katholik haßte, sondern ihn mit seinem persönlichen Hasse verfolgte aus Gründen, die er noch nicht in Erfahrung hatte bringen können. Er lächelte nun wirklich, als der Pater leidenschaftlich fortfuhr: »Ich wollte es schon längst Eurer Eminenz mit allem Freimute sagen, daß die Behandlung, die der Familie Rohan hier zuteil wird, nicht so ist, wie sie es verdient. Man überhäuft sie mit Aufmerksamkeiten. Man verkehrt mit den Leuten, als ob der Herzog des Königs loyalster Untertan wäre, als ob er nie gegen die Majestät in Waffen gestanden hätte. Zu meinem Schmerze, Eminenz, macht auch Eure Nichte keine Ausnahme. Ich sah vorhin die Karosse der Rohans vor dem Hause, und ich bemerke, daß sie noch immer da steht.«

»Ja, die junge Prinzessin Marguerite ist drüben bei meiner Nichte, schon eine Stunde lang und wohl noch länger. Ich kann das der Herzogin nicht verdenken, denn das Mädchen ist entzückend. Sie ist das preziöseste Geschöpf am ganzen Hofe, und jedesmal, wenn ich sie sehe, wird der Wunsch in mir rege, zwanzig bis dreißig Jahre jünger zu sein.« Er warf eine Kußhand nach der Richtung, wo der Salon der Damen war.

»Eminenz!« rief der Mönch. Es klang wie ein Schmerzensschrei.

Richelieu lachte. »Sei ruhig, Joseph. Ich bin alt und habe die Gicht. Übrigens habe ich dir eine Neuigkeit zu verkünden in bezug auf die Rohanschen Damen. Im tiefsten Vertrauen sage ich dir: Die Herzogin hat hin und wieder eine Hinneigung zu unserm heiligsten Glauben bekundet, die zu den besten Hoffnungen berechtigt. Deshalb verbiete ich meiner Nichte den Verkehr nicht, ich begünstige ihn vielmehr.«

Die Wirkung dieser Worte war wunderbar. Des Paters noch eben so finsteres Gesicht verklärte sich förmlich, und seine Augen glitzerten wie die eines Panthers, der ein Reh in erreichbarer Nähe wahrnimmt.

»Das wäre ein Triumph unserer Kirche, wie er schöner nicht gedacht werden könnte,« sagte er nach ein paar Augenblicken überraschten Schweigens. »Und wenn wir die Frau gewännen, vielleicht die Tochter dazu, so würde das der Schelm nie verwinden.«

»Horch!« unterbrach ihn der Kardinal. »Die Prinzessin verabschiedet sich drüben. Sie geht die Treppe hinunter. Und dort kommt auch schon der Sechserzug heran, in dem ich den Herzog von Weimar habe einholen lassen, und den ich ihm schenken werde.«

Er richtete sich mit Mühe auf und bat: »Hilf mir, Joseph, daß ich bis an die Treppe gelange. Ich muß ihm entgegengehen.«

»Aber Eminenz! Bei Ihrem leidenden Zustande! Können Sie ihn nicht hier sitzend empfangen?«

»Nein, nein! Der Mann ist mir zu wichtig. Er soll mir nicht von vornherein verstimmt werden. Faß an, guter Joseph.«

Ächzend humpelte der Kardinal durch das Zimmer, indem er sich fest auf den Arm des Paters stützte. Nachdem er auch noch den Vorsaal durchschritten hatte, blieb er aufatmend an dem Pfeiler der Treppe stehen, die abwärts führte. »Ein schweres Stück Arbeit für einen, den das Podagra peinigt,« murmelte er.

»Viel zu viel Ehre für den Ketzerfürsten!« brummte der Mönch.

»Still!« flüsterte der Kardinal. »Er kommt!«

Langsam, als wenn ihm das Steigen Mühe mache, kam Herzog Bernhard die halbdunklen Treppen empor. Der Kardinal streckte ihm schon, als er noch ziemlich weit unten war. die Hand entgegen und rief: »Willkommen, Fürstliche Gnaden, hochwillkommen! Ich preise den Tag, der mir die Erfüllung meines Wunsches bringt, den ersten Kriegshelden Europas von Angesicht zu sehen!«

»Viel Ehre für mich, daß mich der größte Staatsmann der Zeit so freundlich empfängt,« erwiderte Bernhard, aber seine Stimme klang seltsam gepreßt, und als er nun oben ins Helle trat, bemerkte der Kardinal mit Erstaunen und Bestürzung, daß er totenbleich war und daß große Schweißperlen auf seiner Stirn standen. Auch war die Hand, die er ihm darreichte, eiskalt und zitterte merklich.

»Mein Gott!« rief Richelieu. »Ist Eure Durchlaucht unwohl geworden? Darf ich ein Glas Wein anbieten oder eine erfrischende Limonade?«

»Ich danke Eurer Eminenz. Ich bin nicht unwohl,« erwiderte der Herzog. »Aber ich habe soeben eine Dame gesehen, eine Dame –« er brach ab und blickte wie geistesabwesend die Treppen hinunter.

Dem Kardinal blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen. Es war ihm noch nie vorgekommen in seinem Leben, daß der Anblick eines weiblichen Wesens einen Mann so ganz aus der Fassung gebracht hätte. Und das war der Herzog von Weimar, dem die Fama eisige Kälte gegen die Frauen nachsagte! Die Männer waren doch alle einander gleich! – Er hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken.

Aber sein Erstaunen wuchs, als der Herzog, ebenso geistesabwesend wie vorher, weiter sprach: »Es ist unmöglich, daß sie hier ist! Unmöglich! Sie müßte ja mit Doktor Fausts Zaubermantel hergeflogen sein! Habe ich eine Vision gehabt? Wie geht das zu?«

»Meinen Eure Durchlaucht die junge Dame, die soeben das Haus verließ?« fragte der Kardinal.

»Ich sah nur einen Augenblick das Gesicht, als sie sich aus ihrem Wagen bog.«

»Nun, deren Anwesenheit ist sehr leicht zu erklären. Sie besuchte meine Nichte, die Herzogin von Angouillon.«

»Wie?« rief der Herzog. »Sie ist ein Wesen von Fleisch und Blut?«

»Sehr viel lebendiges, heißes Blut, und das Fleisch ist nicht übel!« erwiderte der Kardinal mit einem sardonischen Lächeln. »Es ist die junge Herzogin von Rohan, der Eure Durchlaucht begegnet sind.«

»Die Tochter Heinrichs von Rohan?«

»Desselben.«

Der Herzog strich sich mehrmals über die Stirn und sagte dann, tief aufatmend: »Dann hat sie die merkwürdigste, die unglaublichste Ähnlichkeit mit einer Dame, die in Weimar lebt. Wunderlich, höchst wunderlich! – Aber Eure Eminenz wollen verzeihen, daß ich unsere Bekanntschaft so eigentümlich einleite. Die Sache ist zu wunderbar! Seltsameres habe ich nie erlebt!«

»Nun,« erwiderte Richelieu, »so erfreulich es ist, über Damen zu sprechen, so werden wir doch freilich gleich das Thema wechseln müssen. Ich bitte Eure Durchlaucht, einzutreten.«

»Nach Eurer Eminenz!« versetzte der Herzog und bestand darauf, daß der Kardinal voraushumpelte. Er kannte die ungeheure Eitelkeit des großen Staatsmannes und hatte den Grundsatz, nachgiebig in der Form, aber fest in der Sache zu handeln.

Der Kardinal wurde von Pater Joseph wieder in seinen Sessel geführt, und der Herzog nahm ihm gegenüber Platz. Er bemerkte mit Befremden, daß der Mönch keine Miene machte, sich zu entfernen, und sagte deshalb in höflichem, aber entschiedenem Ton: »Eure Eminenz wünschen Zeugen unseres Gespräches? Da darf ich wohl bitten, meinen Rat heraufholen zu lassen, der unten in der Kutsche sitzt?«

»Nein, nein,« erwiderte Richelieu, »wir unterreden uns, denke ich, am besten allein. Gehe hinüber, guter Joseph, und warte, bis ich dich nachher holen lasse.«

Widerwillig, mit einem finstern Blick auf den Herzog, schritt Pater Joseph hinaus. In dem kleinen Schreibgemache, das jenseits des Korridors lag, warf er sich sogleich auf die Knie nieder und zog seinen Rosenkranz hervor. Er betete hundert Paternoster dafür, daß die Unterredung seines Herrn und Freundes mit dem Ketzer Günstiges für Frankreich und die heilige Kirche zeitigen möge. Aber als er mit den hundert Paternostern zu Ende war, mußte er wohl noch eine Stunde harren, bis er hörte, daß der Herzog sich empfahl und die Treppe wieder hinabschritt. Gleich darauf rief ihn ein feines Klingelzeichen zum Kardinal hinüber.

Richelieu saß in seinem Lehnstuhle und rief dem Eintretenden entgegen: »Er war fort, wie der Blitz, ehe ich dich rufen konnte, mich zu stützen, denn er wollte nicht, daß ich mich bemühen sollte. Das muß man sagen, er ist höflich, wie ein französischer Edelmann.«

»Und was haben Eure Eminenz mit ihm ausgemacht?«

»Er ist auf unsere Bedingungen im ganzen und großen eingegangen. Er stellt uns ein Heer von achtzehntausend Mann, das er unter der Oberhoheit des Königs kommandiert. Dafür erhält er von uns jährlich vier Millionen Livres.«

»Nicht billig,« warf der Pater ein.

»Aber auch nicht allzu teuer,« versetzte der Kardinal. »Krieg führen kostet nun einmal Geld. Das wollen wir gern zahlen. Viel unerfreulicher war mir eine andere Forderung, von der er aber nicht abzubringen war. Er verlangt die Landgrafschaft Elsaß, wenn er sie erobert hat, als dauernden Besitz.«

»Das haben ihm Eure Eminenz doch nicht zugestanden?«

Der Kardinal zuckte die Achseln. »Ich mußte. Er gab nicht nach, und die Unterhandlung durfte um keinen Preis scheitern! Um keinen Preis!«

»Eminenz!« rief der Mönch fast wütend. »Das katholische Land unter einem ketzerischen Fürsten? Wie wollen Sie das verantworten vor Gott und unserem Heiligen Vater in Rom?«

»Frage lieber, wie ich es als Franzose verantworten will. Das ist viel wichtiger,« erwiderte der Kardinal. »Denn die Kirche prosperiert von selbst, wenn Frankreich prosperiert. Und das sage ich dir, daß der Herzog das Elsaß nicht behalten darf, denn es würde uns bald ein ebenso gefährlicher Nachbar wie Spanien. Er mag das Land erobern, aber nicht für sich, sondern für uns. Ich weiß, du bist klug genug, das zu verstehen.«

Er warf dem Mönch einen eigentümlichen Blick zu, und der verstand ihn auf der Stelle. Er neigte das Haupt und murmelte: »Für Frankreich und die heilige Kirche ist alles erlaubt.«

»Noch eines!« sagte Richelieu. »Du hast gesehen, welch ungeheuren Eindruck die kleine Marguerite Rohan auf ihn gemacht hat. Sie gleicht, aus seinen wirren Reden zu schließen, einer Dame, die er geliebt hat oder noch liebt. Behalten wir das scharf im Auge! Wenn die Damen des Hauses zu uns überträten, und wenn er sich mit der Tochter Rohans liierte, wäre uns das sehr nützlich.«

»Eminenz!» rief der Pater, jetzt nicht wütend, sondern mit freudefunkelnden Augen. »Sie sind der größte Diplomat, den die Welt bisher gesehen hat. Dieser Einfall! Wer kommt darauf!«

»Schmeichle nicht!« erwiderte der Kardinal. »Zwischen uns ist das nicht nötig. Gehe hinüber und bringe mir Feder und Tinte. Ich will den Vertrag skizzieren, den wir mit dem Weimarer abschließen wollen. Ich denke: was auch auf dem Papiere stehen wird, die Verbindung mit dem Herzog wird Frankreich nützlich sein!«


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