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II.

Ein feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen –

so klang es dem Könige brausend entgegen, als er aus der Dorfstraße herausgeritten kam. Denn die Aufstellung der Regimenter war soeben vollendet worden, und der angeordnete kurze Feldgottesdienst nahm seinen Anfang.

Gustav Adolf entblößte sein Haupt und zügelte sein Roß. Er fiel mit seiner hellen, kräftigen Stimme in den Gesang der Soldaten auf der Stelle ein und sang das gewaltige Lutherlied bis zu Ende mit. Als dann der Feldprediger des zunächststehenden Regimentes den sechsundvierzigsten Psalm sprach, bewegte der König die Lippen und sprach leise Wort für Wort nach, und nach dem Vaterunser und Segen stimmte er selbst das Lied an: »Verzage nicht, du Häuflein klein.« Gustav Adolf ließ dieses Lied jedesmal von seinem Heere singen, wenn eine Schlacht bevorstand, und heute mochte es wohl eine besondere Bedeutung für ihn haben. Denn er wußte, daß des Friedländers Armee stärker war als die seine. Kam nun etwa noch der wilde Pappenheim, den der kaiserliche Feldherr zu Hilfe gerufen hatte, mit seinen Reitern von Halle her rechtzeitig auf dem Schlachtfelde an, so stand das schwedische Heer einer bedeutenden Übermacht gegenüber.

Während des Singens war der Nebel fast völlig verschwunden, und die Sonne goß ihr Helles Licht über das weite Feld. Da sprengte der König vor die Front der deutschen Regimenter, die Bernhard führen sollte. Mit dem größten Erstaunen sah der Herzog, daß Gustav Adolf mit einem Male verwandelt erschien. Er trug nicht mehr, wie vorher, die Stirn gesenkt, als drücke ihn die Sorge nieder, sondern stolz und gebietend saß er im Sattel, und seine Augen leuchteten.

»Meine Freunde!« rief er, »Offiziere und Soldaten, ich beschwöre euch, heute eure Pflicht zu tun! Ihr streitet heute nicht nur unter, sondern neben und mit mir. Mein Blut und Leben werden euch den Weg zur Ehre zeigen. Folgt mir nur, so vertraue ich zu Gott, daß ihr einen Sieg gewinnt, der euch und euren Nachkommen zum Segen gereichen wird. Wo nicht, so ist es geschehen um eure Freiheit und euer Leben. Wollt ihr kämpfen, wie es redlichen deutschen Kriegsleuten ziemt?«

»Ja, ja!« schrien die Soldaten. »Drauf, drauf!«

Der König hob grüßend die Hand und ritt hinüber zu seinen Schweden, und wenige Minuten später erhielt Bernhard den Befehl zum Vorrücken. Das ganze schwedische Heer setzte sich in Bewegung und zog langsam über die ebenen Felder den Wallensteinern entgegen, die hinter der Heerstraße in schnell aufgeworfener Verschanzung den Angriff erwarteten. Bald erkannte der Herzog die Kanonen, die vor drei Windmühlen aufgefahren waren, im Hintergrunde ein gewaltiges Viereck der Infanterie und zur Seite vor den Geschützen die Kürassiere des Grafen Piccolomini. Wie aus Erz gegossen saßen die schwarzen Reiter drüben auf ihren starken Gäulen, keine Hand regte sich, kein Schuß blitzte auf, in starrer, unheimlicher Ruhe, wie eine riesige Gewitterwand vor dem losbrechenden Sturm, stand das ganze kaiserliche Heer und erwartete das Herannahen der Schweden.

Noch etwa dreihundert Schritte weit waren die beiden Armeen voneinander entfernt, da klang vom rechten Flügel her, wo der König war, Helles Trompetengeschmetter. Hornsignale pflanzten sich fort von Regiment zu Regiment. Das war das verabredete Zeichen zum Angriff. Mit einem Male begannen die Kanonen zu donnern, die vor der Masse des Fußvolkes im Zentrum hergefahren waren, in ihr dumpfes Dröhnen mischte sich das helle, scharfe Knattern der Falkonetts auf den beiden Flügeln, und mit dem lauten Feldgeschrei: »Gott mit uns!« setzten sich die Reiterregimenter zur Attacke in Trab.

Wie dumpfes Heulen antwortete es von drüben: »Jesus Maria!« und noch einmal: »Jesus Maria!« Dann schollen laute welsche Kommandoworte, die Kanonen öffneten ihren ehernen Mund, und ein Hagel von Eisenstücken sauste den Heransprengenden entgegen.

Herzog Bernhards Reiterschar schrie laut auf, aber nicht vor Angst oder Entsetzen, sondern dem Feinde zum Spott, denn die Kugeln waren fast alle über ihre Köpfe hinweggegangen.

Aber nun kamen die kaiserlichen Kürassiere herangebraust, und die beiden Reiterharste trafen mit furchtbarem Anprall aufeinander. Hüben und drüben stürzten Männer und Pferde und wälzten sich im wüsten Knäuel auf der Erde, Klinge klirrte an Klinge, Schüsse knatterten, überall wildes Schnauben der Rosse, Geschrei und Gestöhn und dumpfes Aufschlagen von tausend Rossehufen. So wogte wohl eine halbe Stunde lang die Reiterschlacht ohne Entscheidung, und während die Männer keuchend miteinander rangen, verschwand auf einmal die Sonne wieder, und der vorher so strahlende Himmel ward bleigrau. Der Nebel sank von neuem über das Gefild herab und vermischte seine feuchten, weißen Schwaden mit dem Dampfe der Geschütze und dem Dunste des Blutes der erschlagenen Menschen und Pferde.

Der Herzog war nicht mit in dem Gewühl, denn noch war es für den Feldherrn nicht Zeit, sich persönlich einzusetzen. Seine wackeren deutschen und livländischen Reiter taten schon von selbst ihre Schuldigkeit und bedurften seiner Anfeuerung nicht. Immer mehr neigte sich in dem langen, zähen Ringen der Sieg auf ihre Seite, die kaiserlichen Schwadronen, so wütend sie sich auch wehrten, wichen langsam zurück und warfen endlich die Rosse zur Flucht herum.

Mit Hellem Siegesgeschrei folgten die Herzoglichen nach, aber sie hatten zu früh gejubelt. Die Fliehenden bogen zur Seite aus, und die Nachdrängenden sahen sich auf einmal einer wohlverschanzten mächtigen Batterie von Geschützen gegenüber. Und als sie diesmal aufbrüllten, da rissen ihre eisernen Kugeln wohl fünfzig Männer mit einem Male aus den Sätteln.

»Zurück!« schrie der tapfere Obrist von Rosen, der schon aus mehreren Wunden blutete, aber noch aufrecht und fest im Sattel saß. Er sah vor den Kanonen die ausgeworfenen Gräben und spitzen Palisaden und erkannte, daß Reiterei allein diese Batterie niemals erobern könne.

Die Reitermasse flutete zurück, und der Obrist sprengte zu dem Herzog hin und stattete ihm Rapport ab.

Sogleich gab Bernhard den Befehl, die Infanterie seines linken Flügels solle vorrücken und die Batterie im Sturm nehmen, und als jetzt herjagende Windstöße hier und da den Nebel wieder zerteilten, sah er auch drüben den Gewalthaufen des Fußvolkes vorgehen, um hinter dem Graben die Kanonen zu verteidigen. Ein Offizier auf hohem, hagerem Rappen wies ihnen mit dem gezogenen Degen die Richtung und trieb sie vorwärts. Der Obrist von Gersdorf, der gerade in Bernhards Nähe hielt, schwur Stein und Bein, das sei der Herzog von Friedland selber. »Ich kenne den Kerl und erkenne ihn, und wenn er zweitausend Schritte weit von mir stünde. Seht den roten Mantel, fürstliche Gnaden, und die roten Federn auf dem Hut! Die trägt kein anderer da drüben! Und den Gaul kenne ich auch, auf dem er sitzt. Sieht aus wie eine Schindmähre, hat aber den Leibhaftigen in sich.«

Er winkte zwei seiner Musketiere zu sich heran, die der Herzog als Scharfschützen kannte, und steckte jedem aus seiner Tasche etwas zu. »Kugeln, aus Erbsilber gegossen, fürstliche Gnaden!« sagte er. »Ich führe solche immer mit mir herum. Mit gewöhnlichen Kugeln ist denen nicht beizukommen, die gefroren sind durch die verfluchte Passauer Kunst. Und der Friedländer ist gefroren, das steht fest.«

Bernhard nickte, denn auch er traute dem unheimlichen Feldherrn zu, daß er sich teuflischer Künste bediene. Aber einer Antwort ward er enthoben. In dem Augenblick jagte eine königliche Ordonnanz heran, ein junger Offizier von den småländischen Reitern. »Der König hat die feindliche Reiterei auf dem rechten Flügel geworfen. Er befiehlt, daß überall die Infanterie vorrücken soll zum Sturm auf die Batterien!« meldete er.

»Sagt der Majestät: Ich bin schon dabei. Da kommen meine Kanonen. Wie geht's dem Könige?«

»Gut, gut!« rief der schwedische Rittmeister und stob von dannen.

Zwei Minuten später hatte Bernhards Fußvolk die Landstraße überschritten und stürzte sich voller Wut und Kampfbegierde auf die feindliche Infanterie. Aber trotz aller Tapferkeit gelang es ihnen nicht, die Kaiserlichen auch nur um einen Schritt zurückzudrängen. Die Colloredoschen Füsiliere waren eine erlesene Truppe und dazu gewaltig in der Überzahl, und so viele ihrer niedergehauen und geschossen wurden, es traten immer sofort andere in die Lücken, und auch als der Herzog selbst das zweite Treffen heranführte, war der eiserne Ring nicht zu durchbrechen. Es schlug die Mittagsstunde auf dem Turm des brennenden Lützen, da führte der Herzog selbst die Sturmkolonnen zurück. Die Feinde drängten nicht nach, denn sie waren selbst aufs furchtbarste erschöpft; auch war es wohl der Plan des Friedländers, das feindliche Heer sich bei einem zweiten Ansturm noch mehr verbluten zu lassen.

So entstand hier zwischen den beiden Armeen ein Zwischenraum, fast so breit wie er gewesen war beim Beginn der Schlacht, und abgesehen von einigen Schüssen, die noch gewechselt wurden, trat eine kurze Kampfespause ein.

Bernhard war bald hier, bald da, ordnend, ermunternd, anfeuernd, und auf seinen Ruf und Befehl hin schlossen sich die Glieder der Regimenter von neuem. Eben war er im Begriff, die Seinen zum zweiten Male zum Sturm zu führen, da bot sich ihm ein Anblick, der ihm ein paar Augenblicke das Blut in den Adern erstarren ließ.

Von rechts her, wo im Zentrum der Schlacht Reiterei und Fußvolk durcheinanderwogten, brach aus dem Pulverdampf ein lediges Roß hervor. Es war über und über mit Blut bedeckt und raste eine Strecke weit zwischen den beiden Heeren über den zerstampften und zerwühlten Boden hin. Dann stand es mit einem Male still, stieß mehrmals hintereinander seinen schrillen, gräßlichen Todesschrei aus und sank sterbend zusammen.

Bernhard bog sich auf seinem Gaule weit vor und stierte ungläubig und entsetzt das verröchelnde Tier an. Äffte ihn ein schrecklicher Spuk? Das war doch des Königs braunes Leibroß, das den Helden in die Schlacht getragen hatte?! Was war geschehen? War das Furchtbare Wahrheit? War er gefallen?

Noch hielt der Herzog starr auf seinem Rosse, da preschte der General Graf Knipphausen heran. »Der König ist tot. Es ist alles verloren!«

»Nein!« schrie Bernhard und reckte sich hoch in den Bügeln auf. Die lähmende Starrheit war im Nu von ihm abgefallen, und eine schreckliche Erbitterung hatte ihn erfaßt. »Nein! Nichts ist verloren«

»Aber der rechte Flügel weicht schon!« klagte Knipphausen.

»Anhalt!« rief Bernhard dem Führer des zweiten Treffens zu, der eben herankam, »der König ist gefallen. Ich habe das Kommando! Ihr bleibt hier stehen und greift nur an, wenn die Friedländischen über die Gräben kommen. Sonst erwartet Ihr weitere Order!« Damit wandte er sein Roß und jagte hinüber nach dem rechten Flügel.

Dort formierten gerade Stahlhanske und Eberstein, so gut es ging, die Reiterregimenter neu, die von dem kaiserlichen Fußvolk zurückgeschlagen waren. Die beiden Obristen weinten vor Wut und Schmerz, denn sie wußten schon, daß der König gefallen war, und verzweifelten am Sieg. Nur einen ehrenvollen Rückzug gedachten sie sich zu erkämpfen.

Da tauchte plötzlich in ihrer Nähe der Herzog von Weimar auf und seine Stimme schmetterte wie rollender Donner in die bestürzten, entmutigten Reihen: »Finnen! Deutsche! Schweden!« rief er, »euer König und unser Verfechter der Freiheit ist tot. Für mich ist das Leben kein Leben mehr, wenn ich seinen Tod nicht rächen soll. Wohlan! Greift unverzagt den Feind an! Wer beweisen will, daß er den König lieb gehabt hat, der tue es jetzt. Folgt mir und fechtet als ehrliche Soldaten!«

Damit riß er dem Fahnenträger des småländischen Regimentes die Standarte aus der Hand, wirbelte sie mit der linken Hand hoch in der Luft empor, warf sein Roß gegen den Feind herum und sprengte, den blanken Degen in der Rechten schwingend, gerade auf die Linien der Kaiserlichen los.

Einen Augenblick stutzten die Reiter. Dann brach ein lauter Schrei aus aller Munde, und vorwärts ging's hinter dem Führer her in wildem Rosseslauf. Wie eine verheerende Hagelwolke brausten die sechs Regimenter daher, unaufhaltsam, alles niederreitend. In Zeit von wenigen Minuten war die feindliche Kavallerie geworfen, zersprengt, auf die Vierecke des Zentrums zurückgeschleudert und diese selbst dadurch zum Weichen gebracht.

Wie ein gemeiner Reiter hatte Bernhard mit eingehauen. Nun aber, als er sah, daß die Feinde wichen, zügelte er sein Roß und ließ seine Leute unter ihren Obristen weiterkämpfen. Er ritt wieder hinüber zum linken Flügel, und nach einem furchtbaren Gemetzel gelang es auch hier, die feindlichen Regimenter zurückzudrängen und die Batterie zu nehmen.

Der Tag war für den Friedländer verloren, und auch Pappenheim, der am Nachmittag mit seinen Reitern eintraf, vermochte nicht mehr, dem Schicksal in die Zügel zu fallen. Wohl schien es einen Moment, als werde er dem vordringenden Herzog von Weimar mit seinen frischen Truppen doch noch den Lorbeer entreißen, aber eine tödliche Kugel traf ihn und warf ihn auf den Sand. Da ergriff seine Kürassiere, die ihn für fest gehalten hatten, eine abergläubische Furcht, und sie flohen eilig von dannen. Nur bei den drei Windmühlen in der Nähe des brennenden Lützen tobte noch in der Abenddämmerung der Kampf, aber als die früh hereinbrechende Novembernacht ihre dunklen Fittiche über das Land legte, da gingen auch dort die Kaiserlichen zurück, ihre Glieder lösten sich auf, und die geschlagenen Männer warfen Panzerstücke und Waffen weg, weil sie ihnen auf der Flucht hinderlich waren.

Die Sieger blieben auf der schwer erkämpften Wahlstatt und schickten sich an, wie Brauch war, hier die Nacht zu verbringen. Von einer Verfolgung der Feinde konnte gar nicht die Rede sein, denn die Mannschaften und Pferde waren bis auf den Tod erschöpft.

Die Troßknechte und Buben kamen aus dem Lager von Meuchen herbei, suchten Holz und Reisig und zündeten Feuer an. Um diese Feuer lagerten sich die müden Krieger; kein Scherzwort wurde laut, kein Liederklang, nur das Ächzen der Verwundeten unterbrach die schauervolle Stille der Nacht. Der Sieg war wohl erstritten, aber die Siegesfreude fehlte. Es war zu viel edles Blut geflossen; selbst den älteren schlachterprobten Kriegern graute es, als sie die Leichenhügel beim matten Schein der Feuer liegen sahen. Und hätte man auch alle diese Tausende verschmerzen wollen – einen konnte man nicht verschmerzen, einer war nicht zu ersetzen. Der König, der Herz und Haupt seines Heeres gewesen war, zu dem jeder einzelne aufgeblickt hatte wie zu einem Vater – der König war tot.

Herzog Bernhard ritt neben dem Fürsten von Anhalt nach Meuchen zurück. Er wollte dort in einem Bauernhause ein paar Stunden schlafen und dann wieder Knipphausen ablösen, der jetzt auf dem Schlachtfelde wachte. Das Suchen nach des Königs Leichnam hatte er aufgegeben, nachdem er fast eine Stunde lang bei Fackelschein mit einer Schar Getreuer auf der Walstatt umhergeirrt war. Der anhaltische Vetter sprach, um ihn aufzuheitern, von der herrlichen Viktoria, die sie errungen, und von dem Strahlenglanze des Ruhmes, den er sich um sein Haupt gewunden hätte. Aber Bernhard hörte kaum, was er sagte, und erwiderte ihm kein Wort. Er überdachte, was des Königs Tod bedeuten mochte für Deutschland, für die Sache des reinen Evangeliums und für sein eigenes Schicksal, und der heißeste Schmerz und die tiefste Trauer füllten seine Seele.

In starrem Schweigen ritt er ein in das Dorf, das wieder, wie am Morgen, voller Soldaten war. Auf dem Platze vor der Kirche brannten zwei helle Feuer, und zwischen ihnen erkannte er den alten Schulmeister von Meuchen, der, von schwedischen Reitern umringt, mit Hobel und Beil starke, breite Bretter bearbeitete. Denn der Alte war nicht nur Lehrer der Kinder und Küster des Kirchleins, er wußte sich auch als Tischler sein Brot zu verdienen, ja seine Hände erwarben ihm oft mehr, als ihm die Arbeit seines Kopfes einbrachte.

Der ungewöhnliche Anblick des schreinernden Kinderlehrers riß den Herzog aus seinen Gedanken. Er lenkte sein Roß zu ihm hin und fragte: »Was tust du da?«

Der Alte, in die Arbeit vertieft, hatte nicht acht gehabt auf sein Kommen. Jetzt wandte er sich rasch herum, und als er den Herzog erkannte, sank er auf die Knie und hob beide Arme zum Himmel empor. »Gelobt sei Gott!« rief er, »es ist noch einer Übrig, der den Streit des Herrn führen kann auf Erden wider die Söhne des Abgrundes, die Christi Reich zerstören wollen! Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist deines Vaters Wille, dir das Reich zu geben. Der Löwe aus Mitternacht, den der Herr gesandt hatte nach den Worten seines Propheten, ist tot, und wir zimmern hier seinen Sarg, aber – –«

»Wie?« unterbrach ihn Bernhard. »Des Königs Sarg? Habt ihr seinen Leichnam gefunden?«

Der alte Küster deutete nach der Kirche. »Dort, wo er heute früh noch den Leib und das Blut des Herrn empfangen hat, dort liegt nun sein Leib mit der blutigen Wunde, die ihm die Mordknechte des Friedländers beigebracht haben. Und wollt Ihr hören, gnädiger Herr, wie der gottselige Held gestorben ist, so kommt mit in mein Haus. Dort liegt der Page, der Euch heute früh zum Könige rief, und ein Arzt ist bei ihm und verbindet ihn, und wenn es Gott gefällt, so kann er wohl gerettet werden. Denn die Jugend kann oft überstehen, was keiner für möglich hält.«

Bernhard hörte schon längst nicht mehr auf das, was der Alte in seiner feierlichen, gesalbten Redeweise sagte. Sofort nach seinen ersten Worten hatte er sich zu der Kirchhofspforte hingewendet, durchschritt rasch das schmale Stück des Friedhofes und trat in das Gotteshaus ein, indem er die vor der Tür wachenden Offiziere mit einem kurzen Neigen des Hauptes grüßte.

An der Stelle, wo er heute früh mit Gustav Adolf gekniet hatte, stand ein rohgezimmerter Holztisch, und auf ihm lag die Königsleiche. Man hatte sie bereits gewaschen, in Leinen gehüllt und eine Decke von blauem Samt darüber hingebreitet. Das edle Antlitz schimmerte wachsbleich im Scheine der Altarkerzen, die es aus nächster Nähe voll beleuchteten. Man konnte den Zügen des Toten nicht ansehen, daß er auf gewaltsame Weise sein Leben verloren hatte, denn sie waren voll des tiefsten Friedens.

Bernhard trat schweigend an die Leiche heran und sank dann an ihrer Seite auf die Knie. Ein Tränenstrom stürzte aus seinen Augen, und ein Weinkrampf schüttelte seine Glieder.

So lag er, die Hände gegen das Holz des Tisches gepreßt, eine geraume Zeit, und nur mühsam vermochte er sich endlich zu fassen. Er erhob sich, drückte einen Kuß auf die bleiche Stirn des Toten und wandte sich dann dem Ausgange zu. Es stand bei ihm fest, daß er die teure Leiche am nächsten Morgen früh selbst nach Weißenfels zur Königin bringen müsse, und er schickte sich an, die nötigen Befehle zu geben.

Da löste sich aus dem Dunkel des Hintergrundes der Kirche eine riesige Gestalt, die dort wohl schon lange gestanden haben mochte, und kam mit schweren Tritten auf ihn zu. Um die zerschundene Stirn trug der Hüne ein blutiges Tuch, und sein Panzer war vom Blut und Staub der Schlacht noch über und über bedeckt.

Bernhard erkannte den schwedischen Obristen Stahlhanske, und eine Röte des Zornes stieg ihm ins Gesicht, Schämte er sich auch seiner Tränen nicht, so war es ihm doch widerwärtig, daß gerade der sie gesehen hatte. Denn Stahlhanske war wohl der tapferste Mann des Heeres, aber rücksichtslos und hart und ihm von jeher abgeneigt. Er wollte mit einem finsteren Blicke und ohne Gruß an ihm vorüber, aber aufs höchste erstaunt blieb er stehen, denn er sah, daß der Riese plötzlich das Knie beugte.

»Herr Herzog von Weimar,« sprach er mit seiner tiefen, ungefügen Stimme, »ich war Euch feind. Ihr wißt es. Aber heute bitte ich Euch das ab. Von heute bin ich Euch Freund und ergebener Diener. Ihr habt meinen König gerächt und seine Schlacht gewonnen. Wart Ihr nicht, so war es aus mit unserem Ruhme. Darum müßt Ihr nun unser Heer führen alle Tage, bis der Krieg ein Ende hat.« Er stand schwerfällig auf und stieß sein Schwert auf den Boden. »Das sage ich, Herr Herzog, und verflucht sei, wer anders redet!«

»Herr Obrist Stahlhanske,« erwiderte Bernhard, »was Ihr da sagt, löscht allen Groll in meinem Herzen. Ich danke Euch. Gebt mir Eure Hand; es gibt keinen in der Armee, der heute mehr getan hätte wider den Feind! Ich nehme Eure Freundschaft und Euer Gelöbnis an. Überträgt mir die Krone Schwedens den Befehl, so rüste mich Gott der Herr mit der Kraft dazu aus, daß ich ihn allezeit wie heute führe.«


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