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III.

Die Herzogin von Angouillon stand in ihrem Ankleidezimmer vor einem hohen Spiegel und betrachtete sich prüfend von allen Seiten. Ihr hohe, leider, leider schon ein wenig zu frauenhafter Fülle neigende Gestalt war in ein Prunkgewand von dunkelroter Seide gekleidet, aus dem sich die schimmernden Schultern, die vollen Arme und die prächtige Büste, leicht umkräuselt von kostbaren, cremefarbigen Spitzen, blendend heraushoben. In dem blauschwarzen Haar glänzte ein Krönlein von Brillanten; sonst war sie, wie die fast jedes Jahr wechselnde Mode es gerade einmal vorschrieb, ohne jeden Schmuck.

Aber sie bedurfte auch keines Schmuckes. Es war das Bild einer fast vollendet schönen Frau, das der Spiegel zurückwarf, und sie stellte das mit Befriedigung fest, während sie sich, der Zofe leise Winke gebend, kokett hin und her drehte. Ja, ihre einunddreißig Jahre waren ihr nicht anzusehen. Nur das schärfste Auge konnte die spinnfädendünnen Fältchen wahrnehmen, die von den Winkeln der Augen ausliefen, und nur ein winziges Teilchen rosenroter Farbe genügte, um sie zu verdecken. Unter den vielen schönen und pikanten Frauen des Hofes war sie sicherlich eine von denen, die durch ihre Erscheinung die Blicke der Männer am meisten auf sich lenkten. Der Herzog von Weimar hatte neulich, wie ihr hinterbracht worden war, die Äußerung getan, wenn ein Paris von neuem den Apfel zu vergeben habe, so müsse er ihn entweder der Königin selbst oder der Herzogin von Angouillon oder der Prinzessin Rohan reichen. Dieses Urteil hatte ihr Herz zugleich mit stolzer Freude und mit zorniger Eifersucht erfüllt – nicht etwa auf die Königin, denn in bezug auf sie hatte der Herzog wohl nur aus Courtoisie geredet, aber auf das alberne achtzehnjährige Gänschen, die Rohan. Wie war es nur möglich, daß ein Mann wie er Gefallen finden konnte an diesem unreifen Dinge, das sich nicht anzuziehen wußte, nicht zu plaudern verstand und sich mit offensichtlicher Indignation abwendete, wenn die Unterhaltung gerade am interessantesten wurde! Nun, in spätestens einer Stunde würde sie ja mit ihm zusammentreffen an der Tafel der Königin. Die Rohans würden nicht da sein, denn sie gehörten nicht zu den Intimen der Majestät. Da wollte sie es schon so einrichten, daß sie seine Nachbarin wurde, und dann wollte sie dafür sorgen, daß das Bild des Nönnchens, wie sie ihre Nebenbuhlerin nannte, in seinem Herzen ganz verbleichte.

Noch stand sie in solchen Gedanken, da ward im Vorzimmer ein leises Hüsteln hörbar und das Aufstampfen eines Stockes. Sogleich verschwand die Zofe, geräuschlos und ohne eines Winkes zu bedürfen, aus dem Gemache, denn der Kardinal, dessen Nahen sich ankündigte, litt keine Dienstboten im Zimmer, außer wenn sie darin etwas zu verrichten hatten.

Richelieu trat langsam ein. Der letzte Gichtanfall, der heftigste und schmerzhafteste seit Jahren, machte ihm noch immer das Gehen sauer, und er stützte sich schwer auf seinen Stock mit der elfenbeinernen Krücke.

Ein paar Augenblicke blieb er auf der Schwelle stehen, und sein Auge überflog die Gestalt der schönen Frau, die noch immer vor dem Spiegel stand. Ein leises, mokantes Lächeln zuckte dabei um seine Lippen. Dann sagte er sarkastisch, indem er hinter sich die Türe schloß: »Prachtvoll, Clarence, wirklich prachtvoll! Nur schade, daß der Putz vergeblich angelegt ist.«

»Wie?« rief die Herzogin. »Ist das Diner bei der Königin abgesagt?«

»Das nicht, es findet zur angesagten Stunde statt. Aber der Herzog von Weimar wird nicht dabei sein, denn er ist, wie man mir im Augenblicke meldete, nicht unerheblich erkrankt.«

Die Herzogin war eine gute Schauspielerin und hatte ihre Mienen vorzüglich in der Gewalt. Aber sie konnte nicht verhindern, daß sie jäh erbleichte und daß ihr die Knie zitterten. Sie mußte sich schnell auf ein kleines Taburett niederlassen, das neben dem Spiegel stand.

Der Kardinal hatte sie, während er sprach, aufs schärfste beobachtet; eine solche Wirkung seiner Worte hatte er doch nicht erwartet. Sein Antlitz zeigte den Ausdruck ärgerlicher Überraschung.

»Sieh, sieh!« sagte er. »So, so!« Dann ließ er sich gleichfalls nieder, weil ihn das Stehen anstrengte, und ließ seine Blicke unausgesetzt auf seiner Nichte ruhen, die sich vergeblich bemühte, eine harmlose und unbefangene Miene zur Schau zu tragen. Das gelang ihr nun freilich nicht, sie wurde unter seinen prüfenden Blicken immer verwirrter, und als er nun plötzlich zu lächeln begann, ward sie glühend rot und wandte sich mit einer jähen Bewegung von ihm ab.

Der Kardinal brach in ein leises Gelächter aus. Es klang wie das heisere Krähen eines Hahnes. Dann sagte er plötzlich ernsthaft: »Clarence, du? Es ist nicht möglich! Du hast dich verliebt? Du? Es ist nicht möglich!«

»Und wenn es so wäre?« flüsterte die Herzogin, noch immer ihr Antlitz abgewendet haltend.

»Wenn es so wäre, so wäre es eine unbeschreibliche Torheit.«

»Warum?«

»Aus vielen Gründen, von denen ich dir nur einige nennen will. Er ist ein Protestant, du bist katholisch. Er ist Deutscher, du Französin, Pariserin, die in der deutschen Luft nicht atmen könnte, unterbrich mich nicht – du kannst nachher reden. Er ist nicht reich – du auch nicht. Er ist ein Mann, der an seinem Weibe nichts höher schätzen würde als Züchtigkeit, und eheliche Treue, und das – o, wie soll ich es sagen, ohne unhöflich zu werden – nun, o – das dürfte er bei einer Dame unserer Kreise am wenigsten finden. Ist's nicht so, meine Liebe?«

Die Herzogin fuhr empört herum und blickte ihn zornig an. »Armand! das ist nicht die Sprache eines Kavaliers gegen eine Dame!«

»Ich spreche jetzt nicht als Kavalier, sondern als – nun sagen wir, als dein väterlicher Freund. Darum erlaube mir, daß ich dir noch etwas Bitteres sage. Du bist wenig jünger wie der Herzog, und der liebe Gott ist nun einmal so ungalant, daß er auch die schönen Frauen altern läßt. Jetzt bist du der vollerblühten Rose gleich. In etlichen Jahren, gerade wenn er auf der Höhe des Lebens steht, wirst du der halbentblätterten Rose gleichen. Frage dich selbst, ob das ein Glück für dich werden kann!«

Eine finstere Wolke des Anmutes hatte sich während seiner Worte auf die weiße Stirn der Herzogin herabgesenkt, und zornig nagte sie an der vollen, roten Unterlippe. Konnte man einer Dame etwas Garstigeres sagen, als indem man sie an das Unangenehmste erinnerte, was es auf Erden gab, an das Altern?

Mit einem Male aber sprang sie auf, warf den Kopf in den Nacken zurück und begann übermütig zu lachen. »Ach was!« rief sie. »Noch ist die Rosenzeit, noch bin ich schön! Das Heute ist mein! Was frag' ich nach dem Morgen oder gar nach dem Übermorgen! Ich sehe ein Glück vor mir, und ich will es haben. Mein Herz lechzt danach wie der Gaumen einer Verdurstenden nach Wasser!«

»Dein Herz? Hast du eines? Bisher hattest du nur Sinne!« warf der Kardinal halblaut ein.

»Mag sein! Aber jetzt habe ich ein Herz, und es schreit laut nach Liebe. Und du, Armand, du solltest mir dazu helfen, daß es nicht vergebens schreit, daß ich mein Ziel erreiche.«

Der Kardinal schüttelte abweisend den Kopf und preßte heftig die Lippen zusammen. Da stürzte sie leidenschaftlich zu ihm hin und warf sich zu seinen Füßen. »Armand!« flehte sie mit aufgehobenen Händen, »hilf mir! Du vermagst ja so viel! Und wenn du mir nicht helfen willst, so stelle dich mir wenigstens nicht in den Weg!«

»Steh auf!« sagte der Kardinal schroff. »Wozu das Echauffement? Wozu die Komödie?«

»Armand, bei Sainte Marie, es ist diesmal keine Komödie! Es ist mir heiliger Ernst!«

»Noch einmal: stehe auf! Eher spreche ich kein Wort mit dir!«

Sie gehorchte und erhob sich langsam von ihren Knien. Dann stand sie mit niedergeschlagenen Augen vor ihm.

»Clarence!« sagte Richelieu, »ich hätte dir niemals eine solche Torheit zugetraut. Eine Frau in deinen Jahren« – hier zuckte sie zusammen – »und vor allen Dingen von deinen Erfahrungen sollte klüger sein. Du solltest wissen, welches das wahre Verhältnis ist zwischen Mann und Weib und solltest die sogenannte Liebe« – er lachte wieder sein heiseres, krähendes Lachen – »den fünfzehnjährigen Klosterschülerinnen überlassen.«

Die Herzogin hob plötzlich den Kopf und sah ihn an, und der Blick, den sie auf ihm ruhen ließ, machte, daß er sein Gesicht mit einem unbehaglichen Ausdrucke zur Seite wandte.

»Nach meinen Erfahrungen müßte ich allerdings an Liebe nicht mehr glauben, sondern nur brutale Leidenschaft bei den Männern voraussetzen. Du weißt ja auch, wem ich die schlimmste dieser Erfahrungen verdanke. Ich kam mit dreizehn Jahren in deine Nähe. Soll ich dich daran erinnern, wie du meine Kindheit vergiftet, wie du meine Seele gemordet hast? Und nun, da du etwas sühnen könntest von der ungeheuren Schuld, hast du nur Hohn und Spott für mich und weigerst mir deine Hilfe!«

Sie warf sich, ohne auf ihre kostbare Toilette zu achten, über ihr Bett, und ein trockenes Schluchzen erschütterte ihren Körper.

Der Kardinal schwieg und blickte scheu zu ihr hinüber. Endlich sagte er mit ganz veränderter Stimme: »Ich hielt es für meine Pflicht, dich zu warnen. Willst du auf die Warnung nicht hören, so steht das bei dir. Aber zu helfen vermag ich dir nicht, denn wisse, der Herzog von Weimar liegt in den Banden der Marguérite von Rohan. Er ist ihr erklärter Liebhaber. Wahrscheinlich wird er bald ihr Gatte sein.«

Die Herzogin fuhr empor. Aus ihrem Antlitz war jeder Blutstropfen gewichen. »Woher weißt du das?« schrie sie auf.

»Aus ganz sicherer Quelle. Er ist fünfmal bei ihr gewesen, mehrmals viele Stunden lang. Es ist kein Zweifel. Finde dich damit ab!«

Die Herzogin stierte wild vor sich hin und schwieg. Wohl eine Minute lang saß sie so da, ohne sich zu regen, und der Kardinal schaute angelegentlich zum Fenster hinaus, als interessiere ihn das Duell zwischen zwei Spatzen, das draußen auf dem Fensterbrett ausgefochten wurde. Dann kam es mit einem Male kaum hörbar von ihren Lippen: »Sie darf nicht leben bleiben, die Ketzerin!«

»Clarence!« sprach der Kardinal streng und erhob sich, »du bist jetzt wahnsinnig! Deine verrückte Leidenschaft raubt dir die Besinnung. Aber hoffentlich hast du noch soviel Verstand übrig, daß du dir genau einprägst, was ich dir jetzt sage: Hüte dich, irgendetwas gegen die Rohans zu unternehmen! Sie stehen gerade jetzt unter dem besonderen Schutze beider Majestäten.«

Die Herzogin zuckte mit einem höhnischen Lächeln die Achseln. »Wer glaubt dir das? Die Gedanken der Königin kenne ich. Sie haßt die Ketzer!«

»Aber,« sagte Richelieu, »wie nach den Worten der Schrift die Engel im Himmel sich über einen bekehrten Sünder mehr freuen als über neunundneunzig Fromme, so pflegen bekehrte Ketzer bei ihr in der höchsten, der allerhöchsten Gnade zu stehen. Denke an Monsieur und Madame von Lignerolle! Mit den Rohans könnte es ähnlich gehen. Die Herzogin hat schon zweimal einer Messe beigewohnt – vor der Hand heimlich und verschleiert, aber vielleicht kommt der Tag, an dem sie es öffentlich tut. Welch ein Triumph wäre ihr Übertritt für unsere Kirche! Und wie würde dann die Gnade der Majestät sie bestrahlen!«

Die Herzogin sah ihn starr an. Dann schrie sie plötzlich überlaut: »Ah! Hier erkenne ich deine Hand! Du hast den Herzog mit den Rohans zusammengebracht! Du hast es bewirkt, daß sie bei allen Festen an seiner Seite war. Du willst die Rohans bekehren und durch sie den Herzog!«

Der Kardinal verfärbte sich. Er wußte, daß sie eine kluge Frau war, aber für so klug hatte er sie doch nicht gehalten. Was er mit seinem Pater Joseph erwogen und nur dem König und der Königin anvertraut hatte, damit die Majestäten den Plan förderten, das hatte sie klar erkannt.

Er überlegte blitzschnell, was er ihr erwidern sollte, aber er wurde der Antwort überhoben. Denn mit einem Male faßte sie hastig mit beiden Händen nach ihrem Herzen, stieß einen leisen Wehruf aus und sank hintenüber auf ihr Bett.

Er trat eilig auf sie zu und betrachtete sie dann eine Weile schweigend. Das Antlitz war wachsbleich, die Augen waren geschlossen, ihre Arme hingen schlaff an den Seiten herab. Kalt, ohne die geringste Bewegung zu verraten, blickte er auf die Frau hernieder, an der er mehr gefrevelt hatte als an jeder andern, und die ihm manchmal schon in den letzten Jahren unbequem gewesen war, weil sie ihn an Dinge erinnerte, an die er nicht gern erinnert werden wollte. »Käme sie nicht wieder zu sich,« dachte er, »so wäre das wohl das beste für sie und mich.«

Ungeniert schob er das Kleid zurück und fühlte nach ihrem Herzschlag. Er war noch zu spüren, wenn auch sehr matt und leise.

Er schritt zu dem kleinen Toilettentischchen an der Wand, ergriff eine silberne Klingel, die dort stand, und läutete heftig. Sogleich stürzte die Zofe aus dem Nebenzimmer herbei.

»Madame ist ohnmächtig geworden,« sagte er, »ziehe sie aus und bringe sie zu Bett. Ich werde selbst Befehl geben, daß der Arzt geholt wird.« Der Arzt – überlegte er, während er in seine Gemächer hinüberging, wird sie zunächst im Bett halten und ihr dann einen längeren Hausarrest zudiktieren. Unterdessen mögen die Dinge sich entwickeln. Wenn doch der Herzog von Weimar bald wieder gesund werden wollte! –

Dieser Wunsch des Kardinals erfüllte sich. Herzog Bernhard war nach zwei Tagen so weit genesen, daß er das Bett verlassen konnte. Er saß in der Frühe vor einem mageren Morgensüpplein, das er mit Appetit verzehrte, und betrachtete die Fülle von kostbaren Blumen, die ihm auch heute wieder von den Majestäten und den Herren und Damen der Hofgesellschaft zugegangen waren.

»Es ist seltsam, Ponikau,« sagte er zu seinem alten Rat, »wie höflich in den Formen dieses Volk ist. Der König selbst und sogar die Königin haben sich täglich dreimal nach meinem Befinden erkundigen lassen, und der Kardinal hat mir einen ausgezeichneten Arzt geschickt. Darin können wir Deutsche noch etwas von ihnen lernen.«

»Es ist das erste Mal, daß ich aus Ihrem Munde ein günstiges Urteil über die Franzosen höre,« bemerkte Ponikau nicht gerade erfreut, denn ihm war alles französische Wesen von Grund aus verhaßt.

»Es betrifft nur etwas Äußerliches, Ponikau. Irgendwelche Vorzüge hat wohl jedes Volk, auch die Türken zum Exempel, denn sie sind tapfer und halten ihr Wort. – Was gibt es?« wandte er sich an den Pagen, der mit einem Brief in der Hand ins Zimmer trat.

»Das hier hat einer oder vielmehr eine für Eure Fürstliche Gnaden abgegeben,« sagte der Jüngling mit verschmitztem Lächeln.

»Einer oder eine? Was soll das heißen?«

»Herr, an die hintere Pforte kam ein Mönch. Aber als ihm einen Moment die Kapuze zurückrutschte, erkannte ich ganz deutlich, daß es ein Weib war.«

»Ich habe weder mit Mönchen noch mit Weibern etwas zu schaffen,« sagte der Herzog unwillig. »Gib her!«

Es war ein winziges Brieflein, das ihm der Page hinreichte, aber es schien einen sehr bedeutungsvollen Inhalt zu haben. Denn während der Herzog las, verfinsterte sich sein Antlitz in erschreckender Weise, und als er damit zu Ende gekommen war, warf er es zornrot auf den Tisch und knirschte: »Ein Bubenstück! Eine schändliche Intrige!«

»Um Gotteswillen, regen sich Eure Fürstliche Gnaden nicht so auf!« rief der Rat. »Sie sind kaum vom Fieber genesen.«

»Ich bin schon ganz ruhig, Ponikau,« erwiderte Bernhard, der schnell seine Fassung wiedererlangte, »aber ich muß sogleich zur Herzogin von Rohan. Laßt anspannen!«

Ponikau scheuchte mit einem Winke den Pagen hinaus, der noch mit offenem Munde und vor Neugier weit aufgerissenen Augen dastand, und sagte dann: »Unmöglich, Fürstliche Gnaden! Sie würden die Dame noch in ihrem Bette finden. Die französischen Damen sind unglaubliche Langschläferinnen!«

»Nicht die Rohans. Sie reiten jeden Morgen aus und kehren um diese Stunde zurück.«

»Aber es ist doch keine Zeit zu Besuchen, Fürstliche Gnaden!«

»Um so besser. Denn zur Besuchszeit träfe ich vielleicht den Grafen Soundso oder irgendeine Gräfin oder Herzogin dort an, oder die Damen wären ausgefahren. Ich will sofort hin, Ponikau, hört Ihr? Sofort!«

Der alte Rat ging kopfschüttelnd nach der Tür. Vor der Schwelle wandte er sich noch einmal um. »Fürstliche Gnaden besprechen sonst alles mit mir. Wollen Sie mir nicht das Vertrauen erweisen, mir zu sagen, um was es sich handelt? Ich möchte Euer Fürstlichen Gnaden gern zu Diensten stehen, wenn Sie den Rat eines alten Mannes annehmen wollten.«

»Ich erzähle es Euch später, Ponikau. Jetzt brauch' ich keinen Rat und will keinen Rat!«

»Und wollen Eure Fürstliche Gnaden nicht Ihren leidenden Zustand bedenken und sich schonen? Ich bitte Sie! Läßt sich die Visite nicht verschieben?«

»Nein, Ponikau! Es steht das Heil einer Seele auf dem Spiel und mehr noch, es muß ein großer Triumph des Antichrists verhindert werden. Laßt anspannen!«

Eine Viertelstunde später stand Bernhard im Saale der Herzogin von Rohan. Die Dame, eine noch immer schöne Frau im Anfang der vierziger Jahre mit etwas weichen Zügen und einem träumerischen Ausdruck in den blauen Augen, war in der Tat soeben von ihrem gewöhnlichen Morgenausritte zurückgekehrt und hatte kaum das Reitkleid mit einem bequemen Hausgewande vertauscht, als ihr der Herzog von Weimar gemeldet wurde. Sie lächelte, denn sie konnte diesem Besuche nur eine Deutung geben. Wenn dieser Mann, der eben erst vom Krankenlager erstanden war, zu einer Stunde, die aller Etikette Hohn sprach, in ihr Haus kam, so mußte ihn ja wohl ein starker Magnet anziehen. Nun, ihr war es recht. Der Herzog hatte ihr Herz ebenso gewonnen wie die Herzen der meisten vornehmen Damen in Paris, und ihre Tochter war in dem Alter, in dem die Mädchen ihres Standes sich zu vermählen pflegten. Und er war ja der berühmteste Feldherr, der zurzeit lebte, und ihr Gemahl, der Herzog von Rohan, hatte ihr von Chur in der Schweiz aus geschrieben, nach seiner Meinung stünde ihm eine große Zukunft bevor. Wunderlich nur, daß ihre Tochter so kühl geblieben war! Eben vorhin, als sie mit ihr allein gewesen war, hatte sie ihr erklärt, sie sei wohl überhaupt nicht zur Liebe geschaffen, und wenn sie katholisch wäre, so würde sie am liebsten in ein Kloster gehen. Heiter, aber seelenruhig hatte sie hinzugesetzt: »Wollt ihr aber, daß ich den Herzog von Weimar nehme, so nehme ich ihn. Er ist doch wenigstens ein Mann, ganz anders als die Puppen und Gecken, die hier herumflanieren. Und werde ich sein Weib, so werde ich ihm auch eine treue Gattin sein.« Dann hatte sie nach einer Weile hinzugesetzt: »Hält er um meine Hand an, so sage also unbedenklich ja. Muß ich eines Mannes Weib werden, so will ich wenigstens einem gehören, der weit über mir steht!« Daraufhin hatte die Herzogin sich entschlossen, die Werbung des Herzogs anzunehmen, natürlich unter der Voraussetzung, daß ihr ferner Gemahl sie billigen würde.

Mit einem halben Lächeln trat sie in den Salon, wo er ihrer wartete, aber es erstarb sofort, als sie seiner ansichtig wurde. Sie erschrak, als sie sah, wie bleich sein Antlitz war und wie düster seine Augen brannten, und sie erschrak noch mehr, als er jetzt ihre Hand an die Lippen führte, denn seine Hände waren kalt wie Eis.

»Mein Gott, Sie sind ja noch krank, Herzog!« entfuhr es ihr. »Sie hätten noch nicht ausgehen sollen!«

»Eine ungeheuer wichtige Sache führt mich her, Madame,« erwiderte er. »Sie litt keinen Aufschub.«

Die Herzogin lächelte wieder. Auch diesem berühmten Manne erschien also seine Liebesangelegenheit als etwas ungeheuer Wichtiges.

Der Herzog bemerkte ihr Lächeln und sagte ernst und traurig: »Ich glaube, Madame irrt sich über den Zweck meines Kommens! Wollen Sie die Gnade haben, das hier anzusehen und mir zu sagen, ob Ihnen die Handschrift bekannt ist?«

Befremdet warf die Herzogin einen Blick auf die Aufschrift des Briefes. »Sie ist mir unbekannt.«

»Jedenfalls ist sie verstellt,« sagte der Herzog, »aber ohne Zweifel ist der Brief von einer Person geschrieben, die die Pläne und Gedanken des Kardinals Richelieu genau kennt. Ich bitte Madame, den Brief zu lesen.«

Die Herzogin ergriff das Blatt, und Bernhard betrachtete gespannt ihre Züge, während sie las. Sie drückten erst Erstaunen aus, dann eine tiefe Bestürzung, und endlich, ehe sie noch ganz zu Ende gekommen war, ließ sie den Brief mit einem Schrei fallen und sank in einen der niedrigen Sessel, die vor ihr standen.

»Ist es Wahrheit, Frau Herzogin von Rohan, was dieser Brief enthält? Wollen Sie wirklich übertreten zur Kirche Roms?« fragte Bernhard finster.

»Nein, nein!« rief sie. »Das ist Verleumdung!«

»Und haben Sie auch nicht die Messe zweimal besucht?«

Sie senkte schuldbewußt das Haupt. »Das ist wahr!«

»Herr und Gott! Warum taten Sie das? Dachten Sie nicht an Ihren edlen Gemahl?«

»Ach, um seinetwillen tat ich's ja!« rief die Herzogin, in Tränen ausbrechend. »Es wurde mir gesagt – man sagte – die königliche Gnade – er bedarf sie jetzt sehr nach Fehlschlagen einiger kriegerischer Unternehmungen – die königliche Gnade würde sich ihm besonders zuwenden, wenn wir uns nicht so rigoros erzeigten und hin und wieder einmal einer Messe beiwohnten.«

»Ihre Tochter ist auch mitgegangen?«

»Nein, ich allein.«

»Auf diese Weise gedachte man also, Sie zu fangen, Sie allmählich hinüberzuziehen. Und ich sollte dann durch Sie und Ihre Tochter eingefangen werden. Ha, mit welchen Mitteln diese Menschen arbeiten! Man wendet sich an die Gattenliebe und weiß auf diese Weise eine schwache Frau zu verführen, daß sie schweres Unrecht tut.«

»Ach, Herzog,« rief sie, heftiger weinend, »ist es wirklich ein großes Unrecht? Was ist die Messe! Eine Zeremonie –«

»Täuschen Sie sich nicht, Madame!« sagte der Herzog streng. »Die Teilnahme an dieser Zeremonie ist für jeden Protestanten verwerflich und für Sie dreimal verwerflicher als für jeden andern. Es muß Tausende von Gewissen verwirren, wenn bekannt wird, daß die Herzogin von Rohan zur Messe geht. Und wie muß es Ihren Gemahl kränken, wenn er's hört! Er hat für seinen Glauben gelitten und gefochten, er hat seinen Glaubensgenossen in diesem Lande erstritten, daß man ihnen widerwillig Frieden und Duldung gewähren muß. Er ist das Haupt der Evangelischen in Frankreich wie einst der verehrungswürdige Coligny, und wenn ich seinen Glauben nicht teile, denn ich bin Lutheraner, so hat er doch meine höchste, meine allerhöchste Achtung. Und ich gebe Ihnen den Rat, Madame, reisen Sie auf der Stelle zu ihm nach Chur und teilen Sie ihm mit, was Sie getan haben und warum Sie es getan haben, denn sonst wird es ihm von anderer Seite beigebracht und dürfte ihn tief verwunden. Sie sind dort ganz sicher, vielleicht sicherer als hier.«

Die Herzogin hatte zu weinen aufgehört und blickte betroffen vor sich nieder. »Sie haben vielleicht recht, Herzog,« sagte sie endlich mit unsicherer Stimme. »O, ich sehe es ein, ich habe eine große Torheit begangen!«

»Sie haben dem Teufel einen Finger gegeben, und er wird bald die ganze Hand fordern. Sie sind insgeheim zur Messe gegangen, der Kardinal wird bald fordern, daß es öffentlich geschehe. Reisen Sie ab, Madame, und machen Sie so einen Strich durch die Rechnung dieses Menschen!«

»Und meine Tochter? Soll ich sie unterdessen hier lassen?«

»Ihre Tochter nehmen Sie mit. Ich wiederhole: Sie sind dort in voller Sicherheit.«

Das klang so kühl und gleichgültig, daß die Herzogin verwundert, fast erschrocken zu ihm aufschaute. Der Herzog verstand den Blick und neigte traurig das Haupt.

»Ich weiß wohl, Madame, warum Sie mich so ansehen,« begann er, »und ich muß Ihnen ein Bekenntnis ablegen. Haben Sie ein Unrecht getan, so bin auch ich vor Ihnen eines Unrechts schuldig. Ich bin öfter in Ihr Haus gekommen, als es sich geziemte. Ich habe dadurch wohl Hoffnungen erweckt, die ich nicht erfüllen kann. Was mich zu Ihrer Tochter trieb, war ein seltsames Spiel der Natur, eine wunderliche Ähnlichkeit mit einer Dame, die – die meine Braut ist.«

Die Herzogin zuckte zusammen. Der Herzog fuhr nach einer kleinen Pause mit leiser Stimme fort: »Ich hätte Ihnen sofort darüber reinen Wein einschenken sollen. Das habe ich nicht getan, und das ist meine Schuld. Ich bitte Gott, daß ich das Herz Ihrer Tochter nicht in Unruhe gebracht habe. Das sollte mir bitter leid tun, denn ich habe sie sehr schätzen gelernt und wünsche ihr von Herzen alles Gute.«

Die Herzogin hatte, während er sprach, ihre Fassung wiedergewonnen und erhob sich jetzt ganz in der Haltung der großen Dame. »Herr Herzog von Weimar,« sagte sie, »Sie sind sehr offen. Und so will ich Ihnen ganz offen antworten auf Ihr Bekenntnis. Machen Sie sich keine Sorgen um die Ruhe meiner Tochter! Ich als Mutter habe natürlich geglaubt, daß Ihre häufigen Besuche einen ganz bestimmten Zweck haben müßten, und habe nachgeforscht, wie meine Tochter über Sie denkt. Sie achtet Sie, Herr Herzog, aber sie liebt Sie nicht!«

»Gott sei Dank!« rief Bernhard. »Gott sei Dank, daß er es so gefügt hat! Und nun, Frau Herzogin, leben Sie wohl und haben Sie Dank für alle Freundlichkeit, die Sie mir erwiesen haben! Ihrer Tochter richten Sie wohl meine Abschiedsgrüße aus. Auch ich verlasse Paris schon übermorgen. Wenn ich auch noch unwohl bin und vielleicht schon in Vincennes liegen bleibe – hier halte ich es nicht mehr aus. Die Luft dieser Stadt drückt auf meine Seele wie ein giftiger Brodem. Gott behüte mich davor, daß ich jemals wieder hierher kommen muß! Und vermelden Sie Ihrem Gemahl meinen Gruß, und versichern Sie ihn meines hohen Respektes. Leben Sie wohl, Frau Herzogin!«


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