Daniel Paul Schreber
Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken
Daniel Paul Schreber

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Nachträge, erste Folge. (Oktober 1900 bis Juni 1901.)

I. Wunder betreffend. (Oktober 1900.)

Die gegen mich gerichteten Wunder nehmen selbstverständlich unausgesetzt ihren Fortgang. Dabei tritt aus den bereits früher mehrfach erwähnten Gründen je länger je mehr der Charakter eines verhältnismäßig harmlosen Schabernacks in den Vordergrund. Ein kleines Beispiel möge als Beleg dienen.

Am 5. Oktober 1900 wird mir beim Rasieren vom Barbier, wie auch schon früher wiederholt geschehen, eine kleine Schnittwunde beigebracht. Bei dem darauffolgenden Spaziergange im Garten begrüße ich den Reg.-Assessor M.; dieser faßt sofort nach der Begrüßung die an sich gar nicht auffällige, mit einem Stückchen Schwamm etwa folgender Größe O bedeckte Schnittwunde ins Auge und fragt nach der Veranlassung, die ich dann wahrheitsgemäß dahin angebe, daß der Barbier mich geschnitten habe.

Der kleine Vorgang ist für mich, der ich den tieferen Zusammenhang kenne, äußerst interessant und lehrreich. Die Schnittwunde war, wie mir nach zahlreichen ähnlichen Erscheinungen ganz unzweifelhaft ist, die Folge eines göttlichen Wunders und zwar eines vom oberen Gotte ausgehenden. Dieser hatte, einer »Störung« in dem früher mehrfach besprochenen Sinne bedürftig, der Hand des Barbiers durch entsprechende Einwirkung auf dessen Muskeln eine hastige Bewegung gegeben, durch welche die Schnittwunde entstanden war.

Daß Reg.-Assessor M. dann sofort auf diese kleine Wunde zu sprechen kam, beruht darauf, daß Gott (unter den mir gegenüber eingetretenen weltordnungswidrigen Verhältnissen) die Folgen an mir geübter Wunder mit Vorliebe zum Gegenstand einer Unterhaltung machen läßt; die den Strahlen eigentümliche Eitelkeit fühlt sich dadurch geschmeichelt.Eine ganz ähnliche Erscheinung wie beim Menschen. Auch Menschen werden sich regelmäßig angenehm berührt fühlen, wenn irgendein Erzeugnis ihrer Arbeitsleistung, ihres Fleißes usw. von anderen der Aufmerksamkeit gewürdigt wird. Die Einwirkung durch Wunder auf Reg.-Assessor M. ist dabei augenscheinlich eine doppelte gewesen, einmal auf seine Augenmuskeln, so daß er die Wunde und das Stückchen Schwamm über meinen Lippen überhaupt bemerkte, und sodann auf seine Nerven (seinen Willen), daß er daraus den Anlaß zu einer Frage nach dem Grunde der Verletzung entnahm. Die Frage selbst wurde etwa mit den Worten: »Was haben Sie denn da am Munde?« an mich gestellt.

Ähnliche Beobachtungen habe ich in unzähligen Fällen in betreff allerhand kleiner Unsauberkeiten gemacht, die während des Essens bei mir entweder am Munde oder an der Hand oder auch am Tischtuch und Serviette gewundert werden. Ganz besonders häufig geschieht dies namentlich auch bei Besuchen meiner Frau und meiner Schwester, wenn ich z. B. in deren Gegenwart den Kakao einnehme. Kakaoflecke werden dann durch Wunder auf meinen Mund, meine Hand, mein Tischtuch oder meine Serviette geschmiert, und meine Frau oder Schwester verfehlen dann nicht ganz regelmäßig, die betreffenden Unsauberkeiten zum Gegenstand einer natürlich im Tone eines gelinden Vorwurfs gehaltenen Bemerkung zu machen.

Erfahrungen ähnlicher Art mache ich auch häufig an der Tafel des Anstaltsvorstandes oder bei anderen Anlässen. Wiederholt sind an den ersteren, wenn ich an den Mahlzeiten teilnahm, Teller ohne irgendwelche unsanftere Berührung mitten entzweigebrochen oder es wurden irgendwelche Gegenstände, die die bedienenden Personen, andere Anwesende oder ich selbst in Händen habe (z. B. eine meiner Schachfiguren, mein Federhalter, meine Zigarrenspitze usw.), plötzlich zu Boden geschleudert, so daß sie sodann, soweit sie zerbrechlich sind, auf natürlichem Wege entzweigehen. In allen diesen Fällen handelt es sich um Wunder; die entstandenen Schäden werden deshalb mit Vorliebe, nach Befinden geraume Zeit später, von meiner Umgebung zum Gegenstand einer besonderen Unterhaltung gemacht.

II. Verhältnis der göttlichen zur menschlichen Intelligenz betreffend. (11. Oktober 1900.)

Ich glaube den Satz aufstellen zu dürfen, daß die göttliche Intelligenz mindestens gleich ist der Summe aller in vergangenen Generationen dagewesenen menschlichen Intelligenzen. Denn Gott nimmt nach dem Tode alle Menschennerven in sich auf, vereinigt also die Gesamtheit ihrer Intelligenzen in sich unter (allmählicher) Abstreifung aller derjenigen Erinnerungen, die nur für die betreffenden Einzelwesen von Interesse waren und daher nicht als Bestandteile einer allgemein wertvollen Intelligenz in Betracht kommen.

Unzweifelhaft ist z.B. für mich, daß Gott der Begriff der Eisenbahnen, deren Wesen und Zweckbestimmung bekannt ist. Woher hat Gott diese Kenntnis erlangt? An und für sich hat Gott (unter weltordnungsmäßigen Verhältnissen) von einem rollenden Eisenbahnzug, wie von allen sonstigen Vorgängen auf der Erde, nur den äußeren Eindruck; die Möglichkeit wäre gegeben gewesen, sich durch Nervenanhang bei irgendeinem mit dem Eisenbahnwesen vertrauten Menschen näheren Aufschluß über Zweck und Funktion der Erscheinung zu verschaffen. Doch lag hierzu schwerlich irgendwelche Veranlassung vor. Im Laufe der Zeit wuchsen Gott die Nerven ganzer Generationen von Menschen zu, denen sämtlich die Bedeutung der Eisenbahn geläufig war. Damit wurde die Kenntnis des Eisenbahnwesens von Gott selbst erworben.

Soll man deshalb annehmen, daß Gott seine ganze Weisheit nur aus der Intelligenz früherer Menschengenerationen schöpfe? Offenbar spricht alles gegen eine Bejahung dieser Frage. Wenn Gott selbst es gewesen ist, der den Menschen gleich anderen Geschöpfen erst geschaffen hat, so kann man unmöglich annehmen, daß seine Intelligenz nur eine aus der menschlichen abgeleitete sei. Man wird nicht umhin können, rücksichtlich einer gewissen, namentlich der die Schöpfungsvorgänge selbst betreffenden Sphäre des Wissens eine ursprüngliche göttliche Weisheit anzunehmen. Damit ist indessen vielleicht nicht unvereinbar, daß Gott in allen Dingen, die menschliche Einrichtungen, menschliches Geistesleben, menschliche Sprache usw. betreffen, die unzweifelhaft auch hier bei ihm vorhandene Einsicht erst durch Aufnahme unzähliger Menschennerven erworben hat. Die letztere Annahme erscheint fast unabweislich infolge des Umstandes, daß Gott sich (wie schon früher unter weltordnungsmäßigen Verhältnissen im Verkehre mit den Seelen in der Form der Grundsprache) so auch mir gegenüber der menschlichen Sprache, insbesondere der deutschen Sprache bedient und zwar auch dann, wenn dies wie bei den »Hilfe«-rufen oder von Seiten des niederen Gottes Ariman, sobald er an der Seelenwollust teilnimmt, mit den Worten »Freut mich« im Ausdruck einer echten Empfindung geschieht oder in letzterer Beziehung wenigstens geschah.

III. Menschenspielerei betreffend. (Januar 1901.)

In betreff der sogenannten Menschenspielerei (vergl. Kap. VII und namentlich Kap. XV der »Denkwürdigkeiten«) hat sich seit Niederschrift meiner »Denkwürdigkeiten« der Kreis meiner Beobachtungen nicht unerheblich erweitert. Ich habe seitdem zahlreiche, neuerdings fast alltägliche Spaziergänge und kleinere und größere Ausflüge in die Stadt und in die Umgebung von Pirna unternommen, einige Male das Theater daselbst, sowie die Anstaltskirche zur Beiwohnung bei dem Gottesdienste besucht und einmal sogar eine Besuchsreise zu meiner Frau nach Dresden gemacht. Dabei habe ich natürlich eine große Menge anderer Menschen, in Dresden das ganze Getriebe einer Großstadt gesehen. Es ist mir hierbei unzweifelhaft geworden, daß, was ich auch schon vorher für wahrscheinlich halten mußte, es außer den von Strahlen beeinflußten Lebensäußerungen der Menschen (und Tiere) auch noch Lebensäußerungen gibt, die vom Strahleneinflusse unabhängig sind (Vgl. Kap. XV der Denkwürdigkeiten, wo ich dies noch eine dunkle Frage bezeichnet habe.)Daß mir diese Frage früher dunkel erscheinen mußte, sowie überhaupt die ganze obige Ausübung, wird vielleicht einigermaßen verständlich werden, wenn man bedenkt, daß ich sechs Jahre lang innerhalb der Mauern der Anstalt eingesperrt gewesen bin, in welcher ich, abgesehen von kurzen, ärztlichen Besuchen und vereinzelten Besuchen meiner Angehörigen, nur geistig gestörte Personen und ungebildete Pfleger gesehen habe. Wenn ich z.B. im Theater eine Vorstellung oder in der Kirche eine Predigt mitanhöre, so kann es mir nicht in den Sinn kommen, zu behaupten, daß jedes Wort, das von den Schauspielern auf der Bühne oder von dem Geistlichen auf der Kanzel gesprochen wird, durch wundermäßige Einwirkung auf die Nerven der betreffenden Menschen hervorgerufen worden sei; ich kann selbstverständlich keinen Zweifel darüber hegen, daß die Theatervorstellung oder der Gottesdienst in der Kirche im ganzen ebenso verlaufen sein würde, wenn ich für meine Person nicht daran teilgenommen hätte. Und doch haben mir meine Wahrnehmungen bei diesen und zahlreichen ähnlichen Gelegenheiten die Gewißheit verschafft, daß meine Anwesenheit in solchen Fällen allerdings nicht ohne Einfluß auf die Lebensäußerungen anderer Menschen bleibt, sondern daß nunmehr, um die für den Rückzug erforderlichen »Störungen« (vgl. Kap. X und XV) hervorzubringen, in irgendwelcher Weise an den in meiner Nähe befindlichen Personen herumgewundert werden muß. Am wenigsten auffällig ist dies gerade bei meinen Besuchen des Theaters und der Kirche geschehen. Der Grund liegt darin, daß Gott bei diesen Anlässen gewissermaßen selbst mit im Theater und in der Kirche war (d.h. im Wege des Nervenanhangs an allen Gesichts- und Gehörseindrücken, die ich während der Theatervorstellung und des Gottesdienstes empfing, teilnahm) und diese Eindrücke das Interesse der jederzeit schaulustigen Strahlen in so hohem Maße erregten, daß die Rückzugstendenz nur in dem durch die äußeren Verhältnisse vielleicht unumgänglich nötig gemachten Mindestmaße hervortrat. Immerhin ging es auch hier nicht ganz ohne »Störungen« ab, die sich jedoch zumeist nur in einzelnen leisen Worten der in der Kirche oder im Theater anwesenden Personen oder in Hustenanfällen der Schauspieler oder einzelner Personen aus dem Theaterpublikum oder der Kirchengemeinde und dergleichen äußerten.

Die auf Wundern beruhende Ursache war dabei für mich, wie in anderen Fällen infolge der jedesmal gleichzeitig in meinem Kopfe eintretenden Schmerzempfindung (vgl. Kap. XV der Denkwürdigkeiten) und zum Teil auch des sich anschließenden Stimmengeredes vollkommen unzweifelhaft. Ähnliches erlebe ich ausnahmslos bei jedem Ausgang, der mich in die Straßen der Stadt Pirna oder in deren Umgebung, in Geschäftslokale, die ich dabei etwa betrete, in Restaurationen, die ich etwa besuche, führt; selbst mir völlig fremde Personen, die bei dem Besuche von Wirtschaften in den umliegenden Dörfern zufällig mit in demselben Raume anwesend sind, lassen solchenfalls in ihren Unterhaltungen ganz vorzugsweise solche Worte hören, die in Beziehung zu dem in Kap. IX erwähnten Aufschreibematerial stehen. Allerdings will ich nicht unbemerkt lassen, daß das Aufschreibematerial infolge seiner stetig fortschreitenden Vermehrung jetzt vielleicht schon die überwiegende Mehrzahl aller in der menschlichen Sprache vorkommenden Worte umfaßt. Der Gedanke an einen bloßen Zufall scheint daher äußerst nahe zu liegen; immerhin bleibt die beständige Wiederholung gewisser Worte auch jetzt noch auffällig genug, um über die absichtliche Anregung der betreffenden Menschennerven zum Gebrauche dieser Worte keinen Zweifel zu lassen. Ebenso auffällig bleibt die lautlose Stille, die bei gewissen Gelegenheiten (vgl. bereits Kap. XV der Denkwürdigkeiten) in meiner Umgebung einzutreten pflegt, namentlich, wenn ich Klavier spiele und gleichzeitig den Text des betreffenden Musikstückes lese, also die den Inhalt desselben bildenden Worte in der Nervensprache aufsage, oder ein Buch, eine Zeitung, ein Stück aus meinen »Denkwürdigkeiten« usw. mit Aufmerksamkeit lese oder wohl auch ausnahmsweise einmal laut singe. Man sollte doch meinen, daß auch während dieser Zeiten z.B. der Verkehr der Pfleger zu ihren gewöhnlichen Geschäften auf dem Korridor, das Heraustreten einzelner Patienten aus ihren Zimmern usw. fortdauern müßte. Dies geschieht aber fast niemals, wohl aber ganz regelmäßig sofort im ersten Gesicht (Augenblick), wenn ich die betreffende Beschäftigung aufgebe, d.h. zum Nichtsdenken übergehe oder die durch die Vereinigung aller Strahlen bedingte Hochgradigkeit der Seelenwollust einen Rückzug und zu diesem Behufe eine »Störung« erforderlich macht. Ich kann mir dies nicht anders erklären, als in der Weise, daß die betreffenden Personen zwar die Fähigkeit zu derartigen Lebensäußerungen auch ohnedies besitzen, dennoch aber im gegebenen Augenblicke eine Veranlassung dazu nicht empfinden würden, sofern nicht durch Strahleneinwirkung der Entschluß zur Vornahme irgendeiner Tätigkeit in meiner Nähe, Verlassen ihrer Zimmer, Öffnung des meinigen (von Seiten der Patienten sehr häufig ganz zwecklos) usw. in ihnen angeregt würde.

IV. Halluzinationen betreffend. (Februar 1901.)

Unter Halluzinationen werden meines Wissens Nervenreize verstanden, vermöge deren der denselben ausgesetzte, in krankhafter Nervenverfassung befindliche Mensch die Eindrücke von irgendwelchen in der Außenwelt sich abspielenden, sonst namentlich dem Gesichts- und Gehörssinn zugänglichen Vorgängen zu haben glaubt, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind. Die Wissenschaft scheint nach demjenigen, was ich darüber z.B. bei Kräpelin, Psychiatrie Bd. I, Seite 102 ff. der 6. Auflage lese, für alle Halluzinationen die Existenz eines realen Hintergrundes zu verneinen. Dies ist nach meinem Dafürhalten mindestens in solcher Allgemeinheit entschieden unrichtig. Auch ich bezweifle zwar keineswegs, daß in sehr vielen, wenn nicht den meisten Fällen die bei den Halluzinationen vermeintlich wahrgenommenen Gegenstände und Vorgänge nur in der Vorstellung der Halluzinanten selbst vorhanden sind. Unzweifelhaft verhält es sich z.B. so in den auch mir als Laien bekannten Fällen, daß ein am delirium tremens Leidender etwa »Männle« oder »Mäusle« zu sehen glaubt, die natürlich in Wirklichkeit nicht existieren. Das gleiche mag für viele andere der von Kräpelin besprochenen Gesichts- und Gehörstäuschungen (vgl. Bd. I, Seite 145 ff. der 6. Auflage) angenommen werden dürfen. Allein sehr erhebliche Bedenken dürften sich einer derartigen, ich möchte sagen, rationalistischen oder rein materialistischen Auffassung in denjenigen Fällen entgegenstellen, wo man es mit Stimmen »von übernatürlichem Ursprünge« (vgl. Kräpelin Bd. I, Seite 117 der 6. Aufl.) zu tun hat. Ganz sicher kann ich natürlich nur von meinem eigenen Falle behaupten, daß bei den betreffenden Nervenreizen in der Tat eine von außen her wirkende Ursache in Frage steht; es liegt aber nahe, daß ich aus den Erfahrungen, die ich an mir selbst mache, die Vermutung ableite, es könne sich auch in vielen anderen Fällen ähnlich verhalten oder verhalten haben, d.h. es könne auch bei anderen Menschen dasjenige, was man sonst nur als subjektive Nervenreize (Sinnestäuschungen, Halluzinationen oder laienmäßig ausgedrückt, leere Hirngespinste) aufzufassen geneigt ist, doch, wenn auch in ungleich schwächerem Maße, als bei mir der Fall ist, auf einer objektiven Ursache beruhen, mit anderen Worten, der Einfluß übersinnlicher Faktoren sich geltend machen.

Um diesen Gedanken verständlich zu machen, werde ich versuchen, die Gesichts- und Gehörseindrücke, die ich als »Stimmen«, »Visionen« usw. empfange, noch etwas näher zu beschreiben. Dabei betone ich von neuem, wie schon an anderer Stelle (Kap. VI der Denkwürdigkeiten) geschehen, daß ich nicht im mindesten Anstand nehme, das Vorhandensein eines krankhaft erregten Nervensystems als Voraussetzung für das Hervortreten aller derartiger Erscheinungen anzuerkennen. Menschen, die so glücklich sind, sich gesunder Nerven zu erfreuen, können (in der Regel wenigstens)Als denkbare Ausnahme vergegenwärtige ich mir z.B. die Fälle, in denen wir nach biblischen Berichten von visionsartigen Vorgängen hören. keine »Sinnestäuschungen«, »Halluzinationen«, »Visionen« oder welche Ausdrücke man sonst für die betreffenden Vorgänge wählen mag, haben; es wäre daher gewiß zu wünschen, daß alle Menschen von Erscheinungen der besprochenen Art befreit bleiben; sie würden sich wahrscheinlich dann in den meisten Fällen subjektiv ungleich wohler fühlen. Damit ist aber meines Erachtens keineswegs gesagt, daß die aus der krankhaften Beschaffenheit des Nervensystems resultierenden Vorgänge überhaupt der objektiven Realität entbehren, d. h. als Nervenreize anzusehen seien, denen jede äußere Ursache fehle. Eben deshalb vermag ich durchaus nicht in die Verwunderung einzustimmen, die Kräpelin an verschiedenen Stellen seines Werkes (z.B. Bd. I, S. 112, 116, 162 ff. der 6. Auflage) darüber ausspricht, daß die »Stimmen« usw. über die Gesichts- und Gehörshalluzinationen meist eine viel höhere überzeugende Gewalt behaupten, als »alles Reden der Umgebung«. Der Mensch mit gesunden Nerven ist eben demjenigen gegenüber, der infolge seiner krankhaften Nervenverfassung übersinnliche Eindrücke empfängt, sozusagen geistig blind; er wird daher den Visionär ebensowenig von der Unwirklichkeit der Visionen überzeugen können, wie etwa der körperlich sehende Mensch von dem (körperlich) Blinden sich einreden läßt, daß es keine Farben gebe, Blau nicht Blau, Rot nicht Rot sei usw. Dies vorausgeschickt, teile ich über die Natur der mit mir redenden Stimmen und die mir zuteil werdenden Visionen das Folgende mit.

Die »Stimmen« äußern sich bei mir als Nervenreize, die, wie bereits in den »Denkwürdigkeiten« hervorgehoben – mit alleiniger Ausnahme einer einzigen Nacht, Anfang Juli 1894, Kap. X im Anfang – durchweg den Charakter leise Geräusche von dem Klange bestimmter menschlicher Worte haben. Inhaltlich und namentlich in Ansehung des Tempos, in welchem gesprochen wird, haben sie im Laufe der Jahre die allermannigfaltigsten Veränderungen erfahren.

Das Wichtigste ist darüber bereits in den »Denkwürdigkeiten« mitgeteilt worden; vorherrschend ist namentlich infolge der stilistischen Unvollständigkeit der gebrauchten Redensarten der reine Blödsinn und eine ansehnliche Menge von Schimpfworten, die lediglich auf meine Aufreizung berechnet sind d.h. mich veranlassen sollen, das zu gewissen Zeiten zum Schlafe erforderliche Schweigen zu brechen. Wenn aufreizende Stimmen nach Kräpelin Bd. 1, Seite 116 der 6. Auflage auch von anderen Gehörshalluzinanten vernommen werden sollen,Daß. wie Kräpelin Bd. I, Seite 116 der 6. Auflage berichtet, diese aufreizenden Stimmen von manchen Halluzinanten für von grunzenden Schweinen, schimpfenden oder bellenden Hunden, krähenden Hähnen usw. ausgehend gehalten werden, beruht nach meinem Dafürhalten auf ganz derselben Erscheinung, deren ich im Kap. XVII der Denkwürdigkeiten am Schlusse bei Besprechung der subjektiven Gefühle der scheinbar sprechenden Kettendampfer, Eisenbahnen usw. gedacht habe. Es handelt sich insoweit offenbar nur um ein bloßes Mitklingen gleichzeitig gehörter äußerer Geräusche zu den als Nervenreize vernommenen Stimmen, so daß diese Geräusche die von den Stimmen gesprochenen Worte wiederzugeben scheinen. Wohl zu unterscheiden davon sind wenigstens bei mir die wirklich sprechenden Stimmen der Vögel, der Sonne usw. so ist dagegen ein Umstand bei mir zu bemerken, der, wie ich glaube, meinen Fall so charakteristisch aus allen ähnlichen Erscheinungen heraushebt, daß eine Parallele zwischen den bei mir vorhandenen Sinnesreizen und den etwa sonst bei anderen Menschen vorkommenden Halluzinationen gar nicht gezogen werden kann, folglich auch auf eine gänzlich davon entschiedene Ursache geschlossen werden muß. Ich nehme an. obwohl ich darüber natürlich nicht genau unterrichtet sein kann. daß es sich bei anderen Menschen nur um intermittierende Stimmen handelt, also die Halluzinationen nur in mehr oder weniger großen, von stimmenfreien Zuständen unterbrochenen Pausen auftreten. Bei mir dagegen sind Pausen des Stimmengeredes überhaupt niemals vorhanden; seit den Anfängen meiner Verbindung mit Gott – mit alleiniger Ausnahme der allerersten Wochen, wo es neben den »heiligen« noch -»unheilige« Zeiten gab (vgl. Kap. VI der Denkwürdigkeiten gegen das Ende) – also seit nunmehr nahezu sieben Jahren habe ich – außer im Schlafe – niemals auch nur einen einzigen Augenblick gehabt, in dem ich Stimmen nicht vernommen hätte. Sie begleiten mich an jedem Orte und bei jeder Gelegenheit; sie ertönen weiter, auch wenn ich mit anderen Menschen ein Gespräch unterhalte; sie nehmen unbehindert ihren Fortgang, auch wenn ich mich noch so aufmerksam mit anderen Dingen beschäftigte, z.B. ein Buch oder eine Zeitung lese, Klavier spiele usw., nur werden sie natürlich, solange ich selbst mit anderen Menschen laut rede oder im Alleinsein laut spreche, von dem stärkeren Klange des gesprochenen Wortes übertönt und auf so lange zeitweise für mich nicht hörbar. Das sofortige Wiedereinsetzen der mir wohlbekannten Phrasen, nach Befinden mit einem aus der Mitte derselben herausgegriffenen Klange, läßt mich aber auch solchenfalls erkennen, daß der Faden der Unterhaltung inzwischen weiter gesponnen worden ist, d.h. die Sinnesreize oder Nervenschwingungen, durch welche die den Stimmen entsprechende schwächere Klangwirkung hervorgerufen wird, auch während meines Lautsprechens fortgedauert haben.

Dabei hat die Verlangsamung des Tempos, mit welchem gesprochen wird und deren ich bereits in Kap. XX der Denkwürdigkeiten gedacht habe, auch in der seitdem verflossenen Zeit in einer fast alle Vorstellungen übersteigenden Weise mehr zugenommen. Der Grund davon ist bereits früher angegeben worden; je mehr die Seelenwollust meines Körpers sich gesteigert hat – und diese ist infolge des ununterbrochen fortdauernden Zuströmens von Gottesnerven in rapidem, stetigem Wachstum begriffen, um so mehr ist man genötigt, die Stimmen immer langsamer sprechen zu lassen, um mit den dürftigen, immer wiederkehrenden Phrasen,»Hätten Sie nicht Seelenmord getrieben«; »nun muß er doch wohl mürbe sein«; »das will ein Senatspräsident gewesen sein«; »schämen Sie sich denn nicht« scil. vor Ihrer Frau Gemahlin; »warum sagen Sie's nicht« scil. laut? »sprechen Sie noch« scil. fremde Sprachen? »das war nu nämlich« scil. nach der Seelenauffassung zuviel usw., usw. über die man verfügt, die ungeheuren Entfernungen, welche die Ausgangsstellen von meinem Körper trennen, zu überbrücken. Das Gezisch der Stimmen läßt sich daher jetzt am ersten mit der Klangwirkung vergleichen, die das Geräusch des aus einer Sanduhr herabträufelnden Sandes verursacht. Einzelne Worte kann ich zumeist gar nicht mehr unterscheiden oder würde sie nur mit gespanntester Aufmerksamkeit unterscheiden können. Natürlich nehme ich mir aber nicht die mindeste Mühe dies zu tun, sondern suche im Gegenteil dasjenige, was gesprochen wird, möglichst zu überhören. Freilich kann ich dabei nicht vermeiden, daß wenn ich doch einzelne Worte aus dem mir wohlbekannten Phrasenmaterial vernehme, sich dann unwillkürlich die Erinnerung an den mir infolge der tausendfältigen Wiederholung der betreffenden Phrasen bekannten Fortgang derselben einstellt und also dann der »unwillkürliche Erinnerungsgedanke«, wie die Erscheinung in der Seelensprache genannt wird, von selbst eine Fortschwingung meiner Nerven bis zum Abschlüsse dieser Phrasen veranlaßt. Auf der andern Seite verschafft mir gerade die übermäßige Verlangsamung des Tempos, die zunächst und längere Zeit hindurch als eine Erhöhung der nervösen Ungeduld (vgl. Kap. XVI der Denkwürdigkeiten) von mir empfunden wurde, eine mehr und mehr wahrnehmbare Erleichterung. Solange ich auf die Stimmen hörte und unwillkürlich hören mußte, war die oft sekundenlang andauernde Verzögerung der erwarteten Fortsetzung für mich über die Maßen peinlich; nachdem aber neuerdings die Verlangsamung noch weiter fortgeschritten ist, so daß die Stimmen, wie bereits erwähnt, überwiegend zu einem unverständlichen Gezisch ausarten, ist es mir möglich geworden, mich daran zu gewöhnen, daß ich, solange ich nicht eine Beschäftigung (Klavierspielen, Lesen, Schreiben usw.) treibe, die die Stimmen ohnedies untergehen läßt, ich einfach in der Nervensprache anhaltend 1, 2, 3, 4 usw. zähle und mir damit Pausen des Denkens (den sog. Nichtsdenkungsgedanken) verschaffe. Ich erziele damit wenigstens den Erfolg, daß nunmehr ein Schimpfwort gesprochen werden muß, welches deutlich an mein geistiges Ohr schallt und das ich dann ruhig in beliebiger Wiederholung in meine Nerven hineinsprechen lasse. Das in solchen Fällen regelmäßig folgende Schimpfwort ist so gemein, daß ich es dem Papier nicht anvertrauen will; wer sich dafür interessieren sollte, könnte es aus vielen meiner verstreuten Aufzeichnungen entnehmen. Sind auf die angegebene Weise die »inneren Stimmen« zum Schweigen gebracht, so ertönen dann infolge der wieder notwendig gewordenen Annäherung der Strahlen irgendwelche beliebige Worte aus den Kehlen der mit mir sprechenden Vögel von außen her an mein Ohr. Was diese inhaltlich ausdrücken, ist mir natürlich gleichgültig; daß ich mich – nach jahrelanger Gewöhnung – nicht mehr beleidigt fühlen kann, wenn mir von einem Vogel, den ich gelegentlich füttere, etwa zugerufen (oder richtiger zugelispelt) wird »Schämen Sie sich nicht« (vor Ihrer Frau Gemahlin)? und dergleichen, wird man verständlich finden. In dem Besprochenen liegt wiederum eine glänzende Bewährung des Satzes, daß jeder Unsinn, der auf die Spitze getrieben wird, schließlich einmal einen Grad erreicht, wo er sich selbst vernichtet – eine Wahrheit, die der niedere Gott (Ariman) selbst schon vor Jahren in häufiger Wiederholung in der Formel zum Ausdruck zu bringen pflegte »Aller Unsinn hebt sich auf«.

Ebenso wie die Gehörsreize (Stimmen, Gehörshalluzinationen) sind auch die Gesichtsreize (Gesichtshalluzinationen) bei mir zwar nicht ganz, aber doch annähernd in gleichem Maße perennierend. Ich sehe mit meinem geistigen Auge die Strahlen, die zu gleicher Zeit Träger der Stimmen und des auf meinen Körper abzuladenden Leichengiftes sind, als langgezogene Fäden von irgendwelchen, über alle Maßen entlegenen Orten am Horizonte nach meinem Kopfe herüberkommen. – Sie werden nur meinem geistigen Auge sichtbar, wenn mir die Augen infolge von Wundern geschlossen werden oder wenn ich die Augen freiwillig schließe, d.h. sie spiegeln sich dann in der angegebenen Gestalt als lange nach meinem Kopf züngelnde Fäden auf meinem inneren Nervensysteme. Ich nehme dieselbe Erscheinung in entsprechender Weise mit meinem körperlichen Auge wahr, wenn ich die Augen offenhalte, d.h. ich sehe dazu jene Fäden gleichsam von irgendeiner oder mehreren Stellen weit jenseits des Horizontes bald nach meinem Kopfe zustreben, bald sich wieder von demselben zurückziehen. Jedes Zurückziehen ist mit einer deutlich fühlbaren, zuweilen recht intensiven Schmerzempfindung in meinem Kopfe verbunden.Häufig auch an anderen Körperteilen, je nachdem das Leichengift außer im Kopfe von anderen Strahlenfäden gleichzeitig irgendwo anders abgeladen wird. Hierbei kommen eigentlich alle übrigen Körperteile abwechselnd in Betracht; bald wird der Bauch (dies stets unter der gleichzeitigen Frage: »Warum sch.....Sie denn nicht?«) mit Unrat gefüllt, so daß ein bisweilen bis zu plötzlicher Diarrhöe sich steigernder Ausleerungsdrang entsteht; bald entstehen Stiche in den Lungen, im Samenstrang. Lähmung der Finger (namentlich beim Klavierspielen und Schreiben), bald mehr oder weniger heftige Schmerzen in den unteren Extremitäten (Kniescheibe, Oberschenkel, Anschwellen der Füße, so daß die Stiefel drücken), wenn ich marschiere usw. usw. Übrigens beruhen nicht alle Wunder auf Abladen von Leichengift, sondern sind – ohne Dazwischenkunft des letzteren – in vielen Fällen, wie beim Schließen der Augen, allen Lähmungserscheinungen usw., offenbar eine unmittelbare Äußerung der Strahlenkraft.. Die in meinen Kopf hineingezogenen Fäden – zugleich die Träger der Stimmen – beschreiben dann in meinem Kopfe eine kreisende Bewegung, die ich am ehesten damit vergleichen kann, als ob mein Kopf von innen heraus mit einem Schleifbohrer ausgehöhlt werden sollte.

Daß damit recht unangenehme Empfindungen verbunden sein können, wird man sich vorstellen können; der eigentliche körperliche Schmerz ist jedoch wenigstens jetzt – schon seit einer Reihe von Jahren – das Nebensächliche. Der Mensch kann sich eben im Punkte körperlicher Schmerzen an sehr vieles gewöhnen, was demjenigen, der die Erscheinung zum ersten Male an seinem Körper erlebte, über die Maßen erschrecken und ihm fast unerträglich dünken würde. So sind denn auch bei mir wenigstens in neuerer Zeit die Schmerzempfindungen, von denen ich an keinem Tage ganz verschont bleibe und die in ganz regelmäßiger Abwechslung mit Wollustzuständen auftreten, fast niemals von solcher Heftigkeit, daß ich an Vornahme irgendwelcher geistiger Beschäftigung, an ruhiger Unterhaltung mit anderen Menschen usw. ernsthaft verhindert würde. Viel lästiger sind für mich die Brüllzustände, die als regelmäßige Begleiterscheinungen eines Strahlenrückzugs auftreten, einmal weil ich es natürlich als unwürdig empfinde, infolge der gegen mich geübten Wunder gewissermaßen wie ein wildes Tier brüllen zu müssen und sodann, weil das Brüllen bei anhaltender Wiederholung eine sehr unangenehme, in gewissem Sinne ebenfalls schmerzhaft zu nennende Erschütterung des Kopfes hervorruft. Trotzdem bin ich darauf angewiesen, das Brüllen, wenn es ein gewisses Maß nicht übersteigt, zu manchen Zeiten über mich ergehen zu lassen, namentlich in der Nacht, wo die sonst zur Abwehr geeigneten Mittel: lautes Sprechen, Klavierspielen usw. nicht oder nur in beschränktem Maße anwendbar sind. Das Brüllen bietet mir dann den Vorteil, daß alles, was weiter in meinen Kopf hineingesprochen wird, von dem Getöse des Brüllautes selbst übertönt wird, so daß bald wieder eine Vereinigung aller Strahlen eintritt, die unter Umständen zum Wiedereinschlafen führt oder mir wenigstens am frühen Morgen, wenn die Zeit des Aufstehens nahegerückt ist, aber mein Wohnzimmer wegen der darin erforderlichen Vorkehrungen des Lüftens, Reinemachens usw. noch nicht für mich betretbar ist, mir wenigstens das Verbleiben im Bette in einer zuweilen körperlich überaus wohligen Verfassung ermöglicht.

In allen Stücken muß mich eben der für die Strahlen anscheinend unverständliche, für den Menschen aber so unendlich wichtige Zweckgedanke leiten, d.h. ich muß mich in jedem gegebenen Augenblick fragen: Willst du jetzt schlafen oder wenigstens ausruhen oder eine geistige Beschäftigung treiben oder eine körperliche Funktion verrichten, z.B. selbst ausleeren usw.? Zur Erreichung jedes Zweckes ist bei mir in der Regel eine Vereinigung aller Strahlen erforderlich, selbst zum Ausleeren, denn, wie schon früher erwähnt (Kap. XXI der Denkwürdigkeiten am Ende), sucht man, obwohl man viel vom »Sch.....« spricht, doch jedesmal dann, wenn es wirklich zum Ausleeren kommen soll, den Ausleerungsdrang wegen der durch die Befriedigung desselben entstehenden Seelenwollust durch Wunder wieder zurückzudrängen. Ich muß daher, wenn die Zeit zum Schlafen, Ausleeren usw. da ist, nach Befinden selbst eine Zeitlang andere Übelstände, wie das Brüllen usw., vorübergehend in den Kauf nehmen, um den in concreto verfolgten und für das allgemeine körperliche Wohlbefinden nun einmal erforderlichen Zweck wirklich zu erreichen; das Ausleeren insbesondere, das sonst durch Wunder zu hindern versucht wird, bringe ich jetzt am besten in der Weise fertig, daß ich auf dem Eimer vor dem Klavier sitze und solange Klavier spiele, bis ich erst pissen und dann – in der Regel mit einiger Anstrengung – auch wirklich ausleeren kann. So unglaublich dies alles klingt, so ist doch alles tatsächlich wahr; denn durch das Klavierspielen erzwinge ich jedesmal eine Wiederannäherung der Strahlen, die sich von mir zurückzuziehen versucht haben, und besiege dadurch den Widerstand, den man meiner Anstrengung, zum Ausleeren zu gelangen, entgegengesetzt hat.

In betreff der Gesichtserscheinungen (Gesichtshalluzinationen) habe ich noch einige interessante Punkte nachzutragen. Zunächst habe ich zu bemerken, daß die nach meinem Kopfe züngelnden, allem Anscheine nach von der Sonne oder vielleicht auch noch von zahlreichen anderen entfernten Weltkörpern herkommenden Strahlenschäden nicht in gerader Linie, sondern in einer Art von Schleife oder Parabel auf mich zukommen, ähnlich etwa wie bei den Wettspielen der Römer die Streitwagen um die meta herumfuhren oder bei einem sogenannten Schleuderkegelschub die an einen Faden gebundene Kugel erst um einen Pfahl herumgeworfen wird, ehe sie in die Kegel selbst hineinfällt. Diese Schleife oder Parabel nahm ich in meinem Kopf (bei offenen Augen am Himmel selbst) deutlich wahr; die als Träger der Stimmen fungierenden Fäden kommen daher, obwohl sie anscheinend mindestens zum Teil von der Sonne ausgehen, in der Regel nicht aus der Richtung, wo die Sonne am Himmel wirklich steht, sondern aus einer mehr oder weniger entgegengesetzten Richtung. Ich glaube dies mit dem bereits früher (Kap. IX der Denkwürdigkeiten) besprochenen »Anbinden der Strahlen an Erden« in Verbindung bringen zu dürfen. Die direkte Annäherung der Strahlen muß eben durch ein mechanisches Hindernis aufgehalten oder wenigstens verlangsamt werden, weil sonst die Strahlen infolge der längst übermäßig gewordenen Anziehungskraft meiner Nerven in einer meinen Körper beständig mit Seelenwollust überschüttenden Weise auf mich zuschießen würden, mit anderen Worten, Gott, wenn ich mich so ausdrücken darf, sich gar nicht am Himmel zu halten vermöchte. Dabei tauchen – jetzt in verhältnismäßig kurzen Zwischenräumen – helle Lichtpunkte in meinem Kopfe oder bei offenen Augen am Himmel auf. Es ist die Erscheinung, die ich früher (Kap. VII, Anmerkung 44 der Denkwürdigkeiten) als die Ormuzdsonne bezeichnet habe, weil ich der Meinung war, daß die Lichtpunkte als Reflexwirkungen eines bestimmten ungeheuer entfernten Weltkörpers anzusehen seien, der eben infolge seiner ungeheueren Entfernung für das menschliche Sehvermögen nach Art der Sterne die Gestalt einer winzigen Lichtscheibe oder eines Lichtpunktes annehme. Nach den unzähligen gleichartigen Beobachtungen, die ich im Laufe der Jahre weiter gemacht habe, bin ich geneigt, diese Auffassung in etwas zu berichtigen. Ich glaube jetzt annehmen zu dürfen, daß die Lichtpunkte vielmehr die von der Gesamtmasse der Nerven des oberen Gottes (Ormuzd) losgelöster Strahlenteile sind, die nach Erschöpfung der mit Leichengift beladenen unreinen Strahlenfäden jeweilig erstmalig ais reine Gottesstrahlen zu mir heruntergeschleudert werden. Diese Auffassung stütze ich darauf, daß ich die Lichtpunkte meist gleichzeitig mit den als Gehörseindruck auftretenden Hilferufen wahrnehme, so daß ich anzunehmen habe, daß die Hilferufe eben von diesen in irgendwelchem Angstzustand herabgeschleuderten, für das Auge infolge ihrer Reinheit als Lichteindruck sich darstellenden Strahlen oder Nerven des oberen Gottes herrühren. Darüber, daß es sich dabei um Nerven des oberen Gottes handelt, habe ich aus Gründen, die hier näher darzulegen zu weit führen würde, nicht den mindesten Zweifel. Auch dafür, daß die Hilferufe nur für mich, nicht für andere Menschen wahrnehmbar sind (vgl. Kap. XV der Denkwürdigkeiten), glaube ich jetzt eine befriedigende Erklärung gefunden zu haben. Es liegt vermutlich eine ähnliche Erscheinung vor wie beim Telefonieren, d.h. die nach meinem Kopfe ausgesponnenen Strahlenfäden wirken ähnlich wie die Telefondrähte, so daß die an und für sich nicht allzu kräftige Klangwirkung der anscheinend in sehr bedeutender Entfernung ausgestoßenen Hilferufe in derselben Weise nur von mir empfunden werden kann, wie nur der telefonisch angeschlossene Adressat, nicht aber beliebige dritte Personen, die sich zwischen der Ausgangsstelle und dem Bestimmungsorte befinden, das mittelst Telefons Gesprochene zu hören vermögen.

V. Die Gottesnatur betreffend. (März und April 1901.)

Meine Erlebnisse in den letzten sieben Jahren und die unzähligen Äußerungen der göttlichen Wundergewalt, die ich dabei an mir selbst und an meiner Umgebung erfahren habe, haben mich im Laufe der Jahre sehr häufig zum Nachdenken über die Frage veranlaßt, wie man sich, wenn ich so sagen darf, die räumlichen Existenzbedingungen Gottes vorzustellen habe. Das Wichtigste ist darüber bereits in meinen Denkwürdigkeiten Kap. I mitgeteilt worden. Die Annahme einer besonderen Ormuzdsonne, von der ich früher (Kap. VII Seite 137) ausgegangen bin, habe ich nach dem im vorigen Abschnitte darüber Bemerkten neuerdings aufgegeben. Dagegen möchte ich die Vorstellung, daß die luft- und wärmespendende Kraft unserer Sonne und aller übrigen Fixsterne nicht eigentlich eine ihnen selbst innewohnende, sondern in irgendwelcher Weise von Gott abgeleitete sei, wenigstens als Hypothese aufrechterhalten. Die Analogie der Planeten würde dabei, wie schon erwähnt, nur mit großer Vorsicht herangezogen werden dürfen. Denn so viel steht nun einmal unzweifelhaft für mich fest, daß Gott durch Vermittlung der Sonne mit mir spricht und ebenso durch Vermittelung derselben schafft oder wundert. Die Gesamtmasse der göttlichen Nerven oder Strahlen könnte man sich als eine nur auf einzelne Punkte des Himmelsraumes verstreute oder – selbstverständlich noch weit entfernter, als die äußersten mit unseren schärfsten Fernrohren noch wahrnehmbaren Himmelskörper – den ganzen Raum erfüllend vorstellen. Mir will die letztere Annahme als die wahrscheinlichere dünken; sie scheint mir fast ein Postulat sowohl der Ewigkeit, als der gewaltigen Kraftentfaltung zu sein, die auf so ungeheuere Entfernungen in Ansehung der schaffenden Tätigkeit im allgemeinen und – unter den jetzt eingetretenen weltordnungswidrigen Verhältnissen – der wundermäßigen Einwirkung auf einzelne lebende Wesen immer noch stattfindet. Diese wundermäßige Einwirkung selbst ist für mich nach tausendfältigen Erfahrungen eine absolut sichere Tatsache, an deren Wahrheit nicht der leiseste Zweifel möglich ist; im übrigen kann es sich bei dem vorstehend Bemerkten natürlich nur um hingeworfene Gedanken handeln, denen ich selbst nur den Wert einer Hypothese beimesse und die ich daher nur deshalb zu Papier bringe, um künftigen Geschlechtern den Stoff zu weiterem Nachdenken zu geben.

Meine früher entwickelten Vorstellungen von der Unfähigkeit Gottes, in dem mir gegenüber durch ausschließlich bei einem einzigen Menschen genommenen Nervenanhang entstandenen weltordnungswidrigen Verhältnisse, den lebenden Menschen als Organismus richtig zu beurteilen (Kap. V, Kap. XIII und Kap. XX der Denkwürdigkeiten) habe ich im wesentlichen aufrecht zu erhalten. Meine seitdem gemachten Erfahrungen haben das dort Gesagte nur bestätigt. Namentlich bleibt es dabei, daß Gott, der unter normalen Verhältnissen nur einen Verkehr mit Seelen und – zum Zwecke der Heraufziehung ihrer Nerven – mit Leichen unterhielt, mich unter gänzlicher Verkennung der aus dem Vorhandensein eines lebenden Körpers sich ergebenden Bedürfnisse wie eine Seele oder unter Umständen wie eine Leiche behandeln, mir die ganze Denk- und Empfindungsweise der Seelen, deren Sprache usw. aufnötigen zu können glaubt, beständiges Genießen oder beständiges Denken von mir verlangt usw. usw.

Darauf beruhen die zahllosen Mißverständnisse, die ich auf seiten Gottes voraussetzen muß; daraus sind die nahezu unerträglichen geistigen Martern entstanden, die ich Jahre hindurch zu ertragen gehabt habe. Solange Gott durch meine Vermittlung (Teilnahme an meinen Augeneindrücken) etwas sieht, solange die in meinem Körper vorhandene Seelenwollust ein Genießen ermöglicht, oder solange meine Denktätigkeit in Worten formulierte Gedanken zutage fördert, auf solange ist Gott gewissermaßen befriedigt, auf solange tritt die Neigung, sich von mir zurückzuziehen, entweder gar nicht oder doch nur in demjenigen Mindermaße hervor, das, wie ich annehmen muß, durch die vor Jahren einmal getroffenen, weltordnungswidrigen Einrichtungen (Anbinden an Erden usw.) in periodischer Wiederkehr bedingt ist. Beständiges Genießen oder beständiges Denken ist nun aber wieder für den Menschen nicht möglich. Sobald ich mich daher dem Nichtsdenken hingebe, ohne gleichzeitig eine Pflege der Wollust in dem früher bezeichneten Sinne eintreten zu lassen, ist der Rückzug der Strahlen mit den für mich mehr oder weniger unangenehmen Begleiterscheinungen (Schmerzempfindungen, Brüllzustände und dazu irgendwelcher Lärm in meiner Nähe) sofort wieder da. Regelmäßig werden mir dabei auch die Augen durch Wunder geschlossen, um mich der Augeneindrücke zu berauben, da sonst diese auf die Strahlen ihre anziehende Wirkung behaupten würden.

Die Wiederannäherung erfolgt jetzt infolge der stetigen Zunahme der Seelenwollust, an der alle »inneren Stimmen« zugrunde gehen, in immer mehr und mehr sich verkürzenden Zwischenräumen. Nach Verschiedenheit der außerhalb eingerichteten »Systeme« handelt es sich oft um wenige Minuten. Es treten dann eben Wollustzustände ein, die beim Liegen im Bett zum Schlafe führen müßten; allein eine dem Bedürfnisse der menschlichen Natur entsprechende Dauer des Schlafs ist damit keineswegs immer gewährleistet; es kommen auch jetzt noch Nächte vor, wo ich nach kurzer Dauer des Schlafs erwache und Brüllzuständen ausgesetzt bin. Halten diese eine längere Weile an, ohne zum Wiedereinschlafen zu führen, so lege ich mir natürlich die Frage vor, ob es nicht besser sei, das Bett zu verlassen und irgendeine Beschäftigung zu treiben, nach Befinden selbst eine Zigarre zu rauchen. Maßgebend muß für mich dabei natürlich immer die Zeit sein, in der man lebt. Mitten in der Nacht oder bei strenger Kälte entschließe ich mich höchst ungern zum Verlassen des Bettes; ist der Tagesanbruch bereits nahegerückt und glaube ich für die betreffende Nacht wenigstens notdürftig ausreichenden Schlaf gehabt zu haben, so ist das Aufstehen für mich durchaus kein erhebliches Opfer; ich befinde mich dann außerhalb des Bettes in der Regel sehr wohl; natürlich habe ich aber, wenn ich einmal aufgestanden bin, damit bis zu einer etwaigen Rückkehr in das Bett auf Schlaf verzichtet. Das Aufstehen selbst kann nur unter akuten, zuweilen noch recht heftigen Schmerzen bewerkstelligt werden; vor Weihnachten waren dieselben eine Zeitlang so intensiv (von hexenschußartiger Beschaffenheit), daß ich das Aufrichten im Bett und das Aufstehen nur mit Hilfe eines Pflegers bewerkstelligen konnte, der damals auf mein Ersuchen einige Nächte im Nebenzimmer schlief.

Zusatz vom Juni 1901. Zu der Zeit, wo ich diese Zeilen hinzufüge, sind die Erscheinungen wieder andere: unmittelbar nach dem Verlassen des Bettes treten Lähmungserscheinungen im Oberkörper (Schulterblatt usw.) und in den Oberschenkeln ein. die zwar nicht besonders schmerzhaft, aber doch so intensiv sind, daß ich zunächst völlig Kontrakt bin und kaum aufrecht gehen kann. Diese Erscheinungen sind jedoch wie alles, was auf Wundern beruht, ganz vorübergehend; in der Regel habe ich bereits nach wenigen Schritten die gewöhnliche Gangart wiedererlangt und bin sodann am Tage sogar zu ganz ansehnlichen Marschleistungen befähigt, wie ich denn in der letzten Zeit wiederholt Ausflüge mit Besteigung des Porsbergs, des Bärensteins usw. unternommen habe. Ich kann nur lebhaft bedauern, daß alle diese Vorgänge nicht zum Gegenstande eingehender wissenschaftlicher Beobachtung gemacht werden; wer mich früh aufstehen sähe, würde es gewiß unbegreiflich finden, daß derselbe Mensch im Laufe des Tages jeder körperlichen Anstrengung sich gewachsen zeigt. Gleichwohl verstehe ich es. daß die Ärzte, die ich wiederholt schriftlich eingeladen habe, Beobachtungen in betreff der an meinem Bette sich abspielenden Vorgänge zu machen, sich nicht veranlaßt gesehen haben, der Sache näher zu treten. Denn was sollten sie denn schließlich machen, wenn sie sich dem Eindruck nicht entziehen könnten, daß irgend etwas Wunderbares, mit der gewöhnlichen menschlichen Erfahrung nicht Vereinbares mit mir vorgehe? Wollten sie auch nur die Möglichkeit einräumen, daß es sich um Wunder handle, so würden sie vielleicht fürchten müssen, sich vor Fachgenossen, vor einer religionslosen Presse und der gesamten, dem Wunderglauben wenig günstigen Richtung unserer Zeit lächerlich zu machen. Außerdem werden sie vermutlich gegenüber Dingen, die ihnen unerklärlich vorkommen müssen, eine gewisse natürliche Scheu empfinden; eine Verpflichtung zu näherer Untersuchung liegt ihnen um so weniger ob, als sie sich sagen dürfen, daß, wenn wirklich Wunder in Frage sein sollten, die ärztliche Wissenschaft weder berufen, noch befähigt sein würde, den Zusammenhang der Erscheinungen aufzuklären.

Recht merkwürdige Dinge sind auch mit mir vorgegangen, als ich seit Beginn dieses Monats angefangen habe, in der Elbe zu baden, zunächst im Bassin für Nichtschwimmer, dann auch am gestrigen Tage (21. 6.) zum ersten Male in der nur für geübte Schwimmer zugänglichen freien Elbe. Beim Baden im Bassin traten einige Male – immer rasch vorübergehend – ziemlich energische Lähmungserscheinungen ein; ich fürchte dieselben jedoch nicht, da dieselben immer nur einzelne Extremitäten betreffen und ich ein so geübter Schwimmer bin, daß ich nötigenfalls, zumal auf dem Rücken schwimmend, einen Arm oder ein Bein oder auch beide vorübergehend entbehren kann und zudem die Lähmungen den Gebrauch der betreffenden Gliedmaßen zwar etwas erschweren, niemals aber vollständig aufheben. Bei dem gestrigen Baden in der freien Elbe war namentlich eine übermäßige Beschleunigung des Atems durch Wunder, sowie während ich auf einer im Wasser schwimmenden Walze saß, ein durch Wunder angeregtes Zittern des ganzen Körpers bemerkbar, die Lähmungserscheinungen traten dagegen wenig hervor, waren aber bei einigen späteren Bädern in der freien Elbe wieder stark bemerkbar. Alle diese Dinge sind eben einem stetigen Wandel unterworfen und werden sich voraussetzlich in Zukunft immer mehr und mehr abschwächen. Ich weiß dabei ganz genau, was ich meiner Leistungsfähigkeit zutrauen darf und fürchte mich deshalb auch nicht, ungeachtet aller dieser Erscheinungen im tiefen Wasser zu baden; man wird sich aber vorstellen können, daß immerhin eigentümliche Gefühle in einem Menschen entstehen müssen, der beim Schwimmen in tiefem Wasser jeden Augenblick darauf gefaßt sein muß, daß irgendein seine körperliche Beweglichkeit erschwerendes Wunder geübt wird.

Hochinteressant ist für mich die Frage, ob Gott dadurch, daß er zu mir in ausschließlichen Nervenanhang getreten ist und ich demzufolge der einzige Mensch geworden bin, der sein ganzes Interesse in Anspruch nimmt, auch das Seh- und Wahrnehmungsvermögen nur noch in Ansehung meiner Person und desjenigen, was in meiner unmittelbaren Nähe vorgeht, behauptet hat. Ich wage diese Frage noch nicht zu beantworten; wohl möglich ist es aber, daß die Erfahrungen, die ich in Zukunft noch machen werde, mir zuverlässige Anhaltspunkte für eine Bejahung oder Verneinung dieser Frage gewähren. Die Licht- und Wärmeausstrahlung der Sonne teilt sich unzweifelhaft nach wie vor der ganzen Erde mit; für keineswegs ausgeschlossen möchte ich es aber halten, daß das damit verbundene Sehvermögen zufolge der den Strahlen, d. h. der Gesamtmasse der Nerven Gottes ausschließlich nach meiner Person gegebenen Richtung eben auf dasjenige, was mit mir und in meiner unmittelbaren Nähe geschieht sich beschränkt, – ähnlich etwa wie von der auswärtigen Politik der Franzosen noch lange Jahre nach dem siebziger Kriege gesagt zu werden pflegte, daß die gleichsam hypnotisch nur nach dem Loche in den Vogesen hinstarre. Die Sonne ist eben nicht selbst ein lebendes oder sehendes Wesen, sondern das von ihr ausgehende Licht ist oder war nur das Mittel, vermöge dessen Gott die Füglichkeit der Wahrnehmung alles desjenigen, was sich auf der Erde ereignete, erlangte. Gewundert wird jedenfalls nur an meiner Person und in meiner unmittelbaren Nähe. Hiervon habe ich gerade in den letzten Tagen wieder einige eklatante Beweise erhalten, die an dieser Stelle anzuführen sich nach meinem Dafürhalten der Mühe verlohnt. Der 16. März – ich glaube mich im Datum nicht zu irren – war der erste Tag in diesem Jahr, an dem bei heller Sonnenbeleuchtung eine eigentlich frühlingsmäßige Temperatur herrschte. Ich ging am Vormittag in den Garten, wo ich jetzt in der Regel nur eine halbe bis dreiviertel Stunde verweile, da der Aufenthalt im Garten – außer soweit ich Gelegenheit zu lauter Unterhaltung habe, woran es bei der fast nur aus Verrückten bestehenden Umgebung nahezu gänzlich mangelt – sich meist zu einem beinahe unausgesetzten Brüllen gestaltet. Die vorhergehende Nacht war sehr mangelhaft gewesen, so daß ich stark ermüdet war. Ich setzte mich demzufolge auf eine Bank, wo ich – wie jetzt in beschäftigungslosen Zeiten in der Regel – zur Betäubung der eingehenden Stimmen anhaltend (in der Nervensprache) 1, 2, 3, 4, zählte. Die Augen wurden mir durch Wunder geschlossen, und es trat darauf nach kurzer Zeit Schlafanwandlung ein. Nunmehr erschien – und dieser Vorgang wiederholte sich in der kurzen, etwa halbstündigen Dauer des Gartenaufenthaltes nach inzwischen erfolgtem Aufstehen auf verschiedenen Bänken dreimal hintereinander – jedesmal eine Wespe unmittelbar vor meinem Gesichte, um mich, wenn ich gerade im Einschlafen war, aus dem Schlafe aufzuscheuchen. Ich glaube behaupten zu dürfen, daß es die einzigen Wespen waren, die an dem betreffenden Tage überhaupt erschienen, denn bei den Umgängen zwischen den Sitzpausen habe ich nichts von Wespen bemerkt. Die Wespen waren diesmal, wie ich aus für mich zweifelhaften Gründen, die hier darzulegen zu weit führen würde, anzunehmen habe, ein Wunder des oberen Gottes (Ormuzd); noch im vorigen Jahre wurden dieselben von dem niederen Gotte (Ariman) gewundert; die Wunder des oberen Gottes hatten damals einen noch erheblich feindseligeren Charakter (Aufhetzung von Verrückten usw.) Am Nachmittag des folgenden Tages wurden, während ich bei einem Ausgang nach der benachbarten Ortschaft Ebenheit in dem Garten des dortigen Gasthofs saß, in entsprechender Weise wiederholt einzelne spielende Mücken vor meinem Gesicht gewundert und auch diesmal nur in meiner unmittelbaren Nähe.

Am heutigen Vormittage (19. März), wo ähnliche Witterungsverhältnisse wie am 16. März herrschten, hatte ich mir vorgenommen, beim Spaziergang im Garten das Wespenwunder gewissermaßen zu provozieren. Ich setzte mich auf eine Bank, worauf alsbald die gewohnten Erscheinungen: Schließen der Augen und Brüllwunder eintraten und ich meinerseits, um das Weitere abzuwarten, im stillen zählte. Nunmehr aber wurde die »Störung« in anderer Weise geübt; während ich ruhig auf der Bank saß und nur ab und zu den gewunderten Brüllaut ausstieß, hatte sich mir ein Patient genähert, den ich vorher nicht hatte bemerken können, da mir natürlich die Augen wieder durch Wunder geschlossen worden waren, und versetzte mir ohne jede Veranlassung meinerseits einen ziemlich heftigen Stoß gegen meinen Arm, so daß ich natürlich aufstand und die Ungezogenheit mit ein paar lauten Worten zurückwies. Der betreffende Patient war mir vorher völlig unbekannt gewesen, seinen Namen habe ich durch alsbaldige Befragung eines Pflegers als G. ermittelt. Der kleine, an sich sehr unbedeutende Vorgang mag zugleich als Beweis für die enormen Anforderungen gelten, die jahrelang während des Aufenthalts im Anstaltsgarten an meinen Takt und meine Mäßigung gestellt worden sind, da wie bereits früher (Kap. XX) der Denkwürdigkeiten erwähnt, derartige wörtliche und tätliche Angriffe auf mich früher sehr häufig waren und der tiefere Grund, die Strahleneinwirkung, immer derselbe war.

An verschiedenen Stellen habe ich der »Hauptgedankenlosigkeit« der Strahlen oder des Umstands, daß die Strahlen der Gedanken entbehren, Erwähnung getan. Die betreffende Vorstellung ist nicht spontan in mir entstanden, sondern beruht auf Äußerungen, die ich von den Stimmen selbst empfangen habe und noch empfange; auch jetzt noch höre ich fast alle zwei Minuten nach Abhaspelung der übrigen abgeschmackten Phrasen die Redensart: »Fehlt uns nun der Hauptgedanke.« Irgend etwas Reales muß dieser Redensart jedenfalls zugrunde liegen und ich halte es daher der Mühe wert, die Sachbewandtnis, die es damit haben mag, mit einigen Worten zu erörtern. Die Hauptgedankenlosigkeit der Strahlen ist keinesfalls in dem Sinne zu verstehen, daß Gott selbst seine ursprüngliche Weisheit verloren oder auch nur irgendwelche Einbuße daran erlitten habe; wäre dies der Fall, so könnte er offenbar auch nicht mehr die Fähigkeit haben, in den Nerven der Menschen, welche meine Umgebung bilden, irgendwelche Entschließungen anzuregen, irgendwelche Äußerungen, die ihrem Bildungsschatze entsprechen, durch Wunder zu veranlassen usw., er könnte nicht mehr, was doch alles tatsächlich auch jetzt noch andauernd geschieht, die Blickrichtungswunder üben, Examinationsversuche mit mir anstellen (vgl. Kap. XVIII der Denkwürdigkeiten) usw. usw.

Ich glaube daher annehmen zu dürfen, daß diejenige Weisheit, die Gott von vornherein eigen war, in demselben Maße (und nach Befinden in Ansehung des lebenden Menschen mit derselben Begrenzung) der Gesamtmasse der Strahlen, soweit sie sich als ruhende Masse darstellt, auch jetzt noch innewohnt und die mit dem Worte »Hauptgedankenlosigkeit« zu verbindende Vorstellung sich nur auf die Strahlen in dem durch die Anziehungskraft meiner Nerven entstandenen weltordnungswidrigen Bewegungsverhältnisse gegenüber einem einzelnen Menschen sich bezieht. In dieser Hinsicht habe ich daran zu erinnern, daß ich mit den göttlichen Strahlen oder Nerven niemals ausschließlich unmittelbaren Verkehr gehabt habe, sondern daß sich stets zwischen Gott und mir sogenannte Mittelinstanzen befunden haben, deren Einwirkung jeweilig erst eliminiert sein mußte, ehe die reinen Gottesstrahlen zu mir gelangen konnten. Es waren dies, und sind es teilweise auch noch jetzt, die »geprüften Seelen«, deren Zahl früher eine sehr große war (vgl. Kap. VIII und Kap. XIV der »Denkwürdigkeiten«) und derjenige Rest der ehemaligen »Vorhöfe des Himmels,« der zur Verlangsamung der Anziehung aufgespart worden war und der, wie ich anzunehmen habe, mit gewissen Nerven der Vögel identisch ist, die seitdem als »sprechende Vögel« unausgesetzt mit mir reden.

Alle diese Mittelinstanzen, also der noch vorhandene Rest der geprüften Seele des Professor Flechsig und die in den Vogelleibern steckenden Überbleibsel der »Vorhöfe des Himmels« haben ihre frühere, der menschlichen entsprechende oder dieselbe vielleicht noch überragende Intelligenz vollkommen eingebüßt; sie sind völlig gedankenlos geworden. Die betreffende Entwicklung mag in einen gewissen Vergleich mit demjenigen gebracht werden, was man im menschlichen Leben »das Vergessen« nennt. Auch der Mensch vermag nicht alle Eindrücke, die er im Leben empfängt, auf die Dauer in seinem Gedächtnisse aufzubewahren; viele Eindrücke, namentlich unwichtigere, gehen rasch verloren. Ein entsprechendes Verhältnis scheint in noch ungleich stärkerem Grade in Ansehung solcher Seelen stattzufinden oder stattgefunden zu haben, die anstatt, wie es die weltordnungsmäßige Bestimmung der Seelen verstorbener Menschen gewesen wäre, Gott eingefügt zu werden und damit – nur unter allmählichem Verluste gewisser persönlicher Erinnerungen – der göttlichen Intelligenz mitteilhaftig werden, als Einzelseelen sozusagen ohne Zusammenhang mit Gott herumflatterten, – ein Vorgang, der eben in der Weltordnung gar nicht vorgesehen, sondern nur durch die weltordnungswidrige Gestaltung der zwischen Gott und mir entstandenen Beziehungen veranlaßt worden war. Alle diese, vielleicht je nur auf einen einzigen oder einige wenige Nerven zusammengeschmolzenen Einzelseelen haben die Denkfähigkeit völlig verloren und, wie es scheint, nur ein gewisses Empfindungsvermögen bewahrt, das ihnen die Teilnahme an der von ihnen zu gewissen Zeiten in meinem Körper angetroffenen Seelenwollust als angenehm oder als einen Genuß erscheinen läßt. Auch die selbständige Fähigkeit der Sprache ist ihnen damit verlorengegangen, mit der alleinigen Maßgabe, daß die Vögel, wie schon erwähnt, in den Augenblicken (Gesichtern) die Teilnahme an der Seelenwollust meines Körpers noch der Worte »Verfluchter Kerl« oder »Ei verflucht einigermaßen« fähig sind – ein Umstand, der mir zugleich unwiderleglich beweist, daß es sich um Reste von Seelen handelt, die früher die Grundsprache sprachen.

Die Echtheit der Empfindung beim Gebrauch der angegebenen Worte im Gegensatz zu den ihren Nerven nur »eingebläuten« Phrasen, die sie sonst sprechen (vgl. Kap. XV der Denkwürdigkeiten Anmerkung 92) wird für mich in völlig zweifelloser Weise erkennbar durch die Verschiedenheit einesteils der Wirkung – echte Stimmen fügen mir weder Schmerzempfindungen, noch sonstige Schäden zu, sondern tragen zur Erhöhung der Seelenwollust bei – andernteils des Klangs und namentlich des Tempos, mit welchem gesprochen wird. Die echten Worte ertönen überaus rasch mit der allen Nerven eigentümlichen Geschwindigkeit und stechen von den bloß eingebläuten Phrasen immer auffälliger ab, je mehr das Tempo der letzteren verlangsamt worden ist. Etwas sprechen müssen nun aber auch diese an sich gedankenlosen Nerven, um ihre Annäherung zu verlangsamen. Da es ihnen selbst an Gedanken fehlt und auch an denjenigen Stellen (Weltkörpern, »Erden«), von denen aus ihre Beladung mit Leichengift erfolgt, denkfähige Wesen nicht vorhanden sind – mag man sich nun diese zugleich das Aufschreiben besorgenden Wesen als menschenähnliche Gestalten nach Art der »flüchtig hingemachten Männer« oder wie sonst immer vorstellen, – so kann die an sich ruhende Gesamtmasse der göttlichen Strahlen bei jedesmaliger Annäherung ihnen nur dasjenige zum Sprechen mitgeben oder einbläuen, was man bei mir als unentwickelte Gedanken liest (in der Regel unter Fälschung in das Gegenteil), oder was man über die Wunder zu sagen weiß, die jeweilig an mir geübt werden, oder man muß auf das früher erwähnte Aufschreibematerial zurückgreifen (im wesentlichen meine eigenen früheren Gedanken), oder endlich man kann, wenn das Übrige abgehaspelt ist und man bei mir nur das Nichtsdenken antrifft, nur zu der letzten Phrase seine Hilfe nehmen »Fehlt/uns nun der Hauptgedanke«, worauf sich dann weiter wieder anschließt »Warum sagen Sie's nicht« seil, »laut« usw. usw. Dies ist die ungefähre Vorstellung, die ich mir von der in tausendfältiger Wiederholung erwähnten »Hauptgedankenlosigkeit« der Strahlen gebildet habe; natürlich kann es sich dabei nur um Vermutungen handeln, da dem Menschen hier, wie bei allen anderen übersinnlichen Verhältnissen; die volle Einsicht in den wahren Sachverhalt verschlossen ist; wenigstens annähernd glaube ich aber mit dem vorstehend Entwickelten das Richtige getroffen zu haben.

Daß Gott selbst oder, um daneben den anderen wahrscheinlich auf ganz dasselbe hinauskommenden Ausdruck zu gebrauchen, die Gesamtmasse der ruhenden Strahlen sich eine höhere Intelligenz, ja voraussichtlich eine aller menschlichen Intelligenz unendlich überlegene Weisheit bewahrt hat, dafür fehlt es mir auch sonst nicht an gewissen Anhaltspunkten. Namentlich kommt hierbei eine Anzahl der nicht echten, sondern nur zum »Auswendiglernen« oder »Einbläuen« verwendeten Redensarten des niederen Gottes (Ariman) in Betracht, die zum Teil schon früher erwähnt sind (Kap. XIII und Kap. XXI der Denkwürdigkeiten) und auf die ich in dem gegenwärtigen Zusammenhange noch einmal zurückkomme (»Hoffen doch, daß die Wollust einen Grad erreicht«; »die dauernden Erfolge sind auf seiten des Menschen«; »aller Unsinn hebt sich auf«; »regen Sie sich nur geschlechtlich auf«; »die Wollust ist gottesfürchtig geworden« usw. usw.Jetzt werden übrigens diese Redensarten von den Stimmen längst nicht mehr gebraucht, da sie sämtlich bei beständiger Wiederholung auf Formen des Nichtsdenkungsgedankens hinauskommen und daher dem Zwecke einer Verlangsamung der Anziehung nicht mehr dienen könnten; ich habe sie aber alle in meinem Gedächtnisse aufbewahrt und bringe sie daher ab und zu gelegentlich durch willkürliche Reproduktion in Erinnerung. Ich muß gestehen, daß ich die darin liegenden Wahrheiten zum Teil selbst erst nach Jahren als solche erkannt habe, während ich mich anfangs wenigstens gegen einige derselben sehr skeptisch verhielt. Hierher gehört u.a. die von dem niederen Gotte vor Jahren (bereits etwa 1894 oder 1895) gleichsam als Direktive für mein Verhalten in häufiger Wiederholung ausgegebene Redensart »Meinetwegen muß die Losung sein«. Es sollte damit ausgedrückt werden, daß ich mich aller und jeder Sorge für die Zukunft entschlagen und – wohl im Vertrauen auf die Ewigkeit – die Gestaltung meiner persönlichen Schicksale ruhig der von selbst eintretenden Entwicklung der Dinge überlassen solle. Damals vermochte ich den Rat, daß ich mich über alles, was mit mir geschehe, mit einem gleichgültigen »Meinetwegen« hinwegsetzen solle, noch nicht als sachgemäß anerkennen und ich muß hinzufügen, daß dies damals vom menschlichen Standpunkte aus betrachtet auch natürlich war.

In jener Zeit waren die Gefahren, von denen ich durch Wunder stündlich an Geist und Körper bedroht war, noch zu furchtbar und die Schäden, die an meinem Körper angerichtet wurden, zu entsetzlich (vgl. Kap. XI der Denkwürdigkeiten), als daß ich mich zu dem Gefühle absoluter Gleichgültigkeit gegen dasjenige, was einmal künftig aus mir werden solle, hätte aufschwingen können. Die Sorge für die Zukunft liegt dem Menschen, zumal in gefährlicher Lebenslage, einmal im Blute. Mit der Zeit hat mich aber allerdings die Gewöhnung und die sichere Erkenntnis des Hauptpunktes, daß ich keinesfalls für meinen Verstand etwas zu fürchten habe, dazu geführt, mir die mit der Losung »Meinetwegen« ausgedrückte Anschauung in betreff der Frage nach der Zukunft nahezu vollständig anzueignen. Ich habe zwar zuweilen auch jetzt noch recht widerwärtige Zeiten durchzumachen; es kommen auch jetzt noch einzelne Tage und Nächte vor, in denen es infolge der Brüllzustände, der durch das Stimmengeschwätz entstehenden geistigen Foltern und der sich hin und wieder dazugesellenden körperlichen Schmerzen, ich darf wohl sagen, kaum auszuhalten ist. Allein diese Rückschläge sind stets nur von kurzer Dauer; sie beruhen regelmäßig darauf, daß man gegenüber der abermals wahrnehmbar gewordenen Steigerung der Seelenwollust meines Körpers zu weiterer Verschärfung der mir gegenüber angewendeten »Systeme« in betreff der Verteilung der mit mir redenden Stimmen oder Strahlenfäden, in betreff der Einrichtung des Stimmengeredes usw. verschritten ist, immer mit dem Zwecke, eine Verlangsamung der Anziehung herbeizuführen, eine Entfernung in größere Weiten zu ermöglichen und womöglich eine Vereinigung aller Strahlen, die zur Wollust und zum Schlafe führen muß, zu verhindern. Allein dieser Zweck wird niemals auf eine nennenswerte Dauer wirklich erreicht; bald hat das Wachstum der Seelenwollust auch diese neue Verschärfung überwunden und es treten dann meist eine Zeitlang nur um so angenehmere körperliche und geistige Zustände für mich ein. Ähnliches wie in betreff der Losung »Meinetwegen« habe ich auch in betreff des anderen Satzes »Aller Unsinn hebt sich auf« zu sagen. Damals, als ich diesen Satz noch von den Stimmen hörte – vor einer langen Reihe von Jahren, jetzt höre ich denselben schon längst nicht mehr – konnte ich mich von der Richtigkeit desselben noch nicht ohne weiteres überzeugt halten. Ich erinnerte mich, daß der Unsinn sowohl in der Geschichte einzelner Menschen, als ganzer Völker zuweilen eine recht geraume Zeit seine Herrschaft behauptet und dabei zuweilen zu Katastrophen geführt hat, die in der Folgezeit durchaus nicht immer wieder ausgeglichen werden konnten. In Ansehung meiner hat mich aber die Erfahrung mehrerer Jahre doch dazu geführt, mich zu der Richtigkeit des Satzes zu bekehren; ein Mensch, der wie ich in gewissem Sinne von sich sagen darf, daß ihm die Ewigkeit dienstbar sei, kann allerdings allen Unsinn ruhig über sich ergehen lassen in der sicheren Annahme, daß schließlich doch einmal ein Zeitpunkt kommen müsse, wo der Unsinn sich ausgetobt haben werde und von selbst wieder vernunftgemäße Zustände eintreten.

Ich habe bei den vorstehend besprochenen Redensarten etwas länger verweilt, weil sie für mich von großem Wert waren als Beweise dafür, daß die überlegene göttliche Weisheit in diesen (wie in vielen ähnlichen) Punkten schon vor Jahren gewisse Wahrheiten erkannt hatte, die mir erst sehr viel später einleuchtend geworden sind. Unendlich schwierig bleibt für mich die Frage, wie ich diese überlegene Weisheit mit der in anderen Beziehungen wieder hervortretenden Unkenntnis mit der, wie der Erfolg lehrt, durchaus verkehrten Einrichtung der mir gegenüber erfolgten Gesamtpolitik usw. in Einklang bringen soll.Die Verkehrtheit wurde ja auch, wie bereits im Kap. XIII der Denkwürdigkeiten erwähnt, von dem niederen Gott (Ariman) selbst mit der Redensart: »Das sind nun die Folgen der berühmten Seelenpolitik« anerkannt. Diese Frage beschäftigt mein Nachdenken seit Jahren fast unausgesetzt, gleichwohl habe ich mir zu sagen, daß ich zu einer vollständigen Lösung wohl niemals gelangen werde, sondern daß dieselbe etwas Rätselhaftes wohl immer für mich behalten wird. Denn daran muß ich nun einmal festhalten, daß in dem weltordnungswidrigen Verhältnisse, das zwischen Gott und mir entstanden ist, Gott den lebenden Menschen nicht kennt. Er muß es mindestens früher für möglich gehalten haben, mir den Verstand zu zerstören oder mich blödsinnig zu machen; er mag dabei von der Vorstellung ausgegangen sein, daß er es mit einem ohnedies schon nahezu blödsinnigen, vielleicht auch sittlich unwürdigen Menschen zu tun habe, und er mag mit dieser Vorstellung zugleich, ich möchte sagen, die Gewissensbedenken beschwichtigt haben, die sonst der mir gegenüber verfolgten Politik eigentlich hätten entgegenstehen müssen. Diese Unkenntnis meiner geistigen und sittlichen Verfassung hat sich in früheren Jahren wahrscheinlich jeweilig auf längere Zeit behaupten können, als die Zurückziehung und Wiederannäherung immer nur in größeren Zwischenräumen erfolgte.

Jetzt ist infolge der rapiden Zunahme der Seelenwollust die Periodizität eine sehr viel kürzere geworden; die Unkenntnis weicht daher vermutlich immer sehr bald der besseren Einsicht. Gleichwohl besteht aber nun einmal die für Seelen, wie es scheint, unbezwingliche Neigung, sich zurückzuziehen, sobald ein den weltordnungsmäßigen Daseinsbedingungen der Seelen (der Seligkeit) entsprechendes Genießen an meinem Körper auch nur in einem einzigen Augenblick nicht möglich ist oder man ist durch die früher nun einmal getroffenen weltordnungswidrigen Einrichtungen gezwungen, sich zurückzuziehen, obwohl man sich eigentlich sagen könnte, daß die Zurückziehung keinen Erfolg von irgendwelcher nennenswerten Dauer verspricht, sondern alsbald wieder eine Annäherung erfolgen muß, bei der die Strahlen unter »Hilfe«-rufen, also in Angstzuständen, zu mir heruntergeschleudert werden.

Diese Erscheinung läßt sich eben nur aus dem vom menschlichen durchaus verschiedenen Charakter der Seelen erklären. Männliche Todesverachtung, wie sie in gewissen Lebenslagen vom Menschen, etwa im Kriege vom Soldaten und namentlich vom Offizier erwartet wird, ist nun einmal den Seelen ihrer Natur nach nicht gegeben. Sie gleichen insoweit kleinen Kindern, die auf ihre Naschware – die Seelenwollust – nicht einen Augenblick verzichten können oder wollen; wenigstens scheint dies in betreff derjenigen Strahlen zu gelten, von denen als den jedesmal zunächst Beteiligten die Entschließung über einen Rückzug abhängt. Daraus ergibt sich, daß Gott fast in allem, was mir gegenüber geschieht, nachdem die Wunder ihre frühere furchtbare Wirkung zum größten Teile eingebüßt haben, mir überwiegend lächerlich oder kindisch erscheint. Daraus folgt für mein Verhalten, daß ich häufig durch die Notwehr gezwungen bin, nach Befinden auch in lauten Worten den Gottesspötter zu spielen; ich muß dies zuweilen tun, um der entfernten Stelle, die mich mit den Brüllzuständen, dem unsinnigen Stimmengeschwätz usw. manchmal in nahezu unerträglicher Weise quält, zum Bewußtsein zu bringen, daß man es keineswegs mit einem blödsinnigen, sondern mit einem die ganze Situation vollkommen beherrschenden Menschen zu tun habe. Auf das allerentschiedenste habe ich aber auch hier wieder zu betonen, daß es sich dabei nur um eine Episode handelt, die, wie ich hoffe, spätestens mit meinem Ableben ihre Endschaft erreichen wird, daß daher das Recht, Gottes zu spotten, nur mir, nicht aber anderen Menschen zusteht. Für andere Menschen bleibt Gott der allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde, der Urgrund aller Dinge und das Heil ihrer Zukunft, dem – vermögen auch einzelne der herkömmlichen religiösen Vorstellungen einer Berichtigung bedürfen – Anbetung und höchste Verehrung gebührt.

VI. Betrachtungen hinsichtlich der Zukunft, Vermischtes. (April und Mai 1901.)

Dasjenige, was ich in Kap. XXII der Denkwürdigkeiten in betreff einer Genugtuung, die mir bevorstehe, oder eines Lohnes, den ich für die erlittenen Schmerzen und Entbehrungen erwarten dürfe, ausgeführt habe, nimmt, wie mir nach neueren Wahrnehmungen scheinen will, eine mehr und mehr greifbare Gestalt an. Ich glaube schon jetzt nach Verlauf weniger Monate etwas deutlicher sagen zu können, in welcher Richtung die Belohnung erfolgen wird. Augenblicklich ist allerdings mein Leben noch ein sonderbares Gemisch von Wollustzuständen, Schmerzempfindungen und anderen Widerwärtigkeiten, zu denen ich außer dem eigenen Brüllen den blödsinnigen Lärm rechne, der vielfach in meiner Nähe getrieben wird. Jedes Wort, das in irgendwelcher Unterhaltung mit mir gesprochen wird, ist noch mit einem gegen meinen Kopf geführten Streiche verbunden; die dadurch erzeugte Schmerzempfindung kann zu gewissen Zeiten, d.h. wenn die Strahlen einen Rückzug in zu große Ferne genommen haben, einen ziemlich hohen Grad erreichen und deshalb namentlich nach vorausgegangenen mehr oder weniger schlaflosen Nächten in beträchtlichem Maße abspannend wirken, zumal, wenn noch andere durch Wunder veranlaßte Schmerzen, z. B. Zahnschmerzen hinzutreten.

Auf der anderen Seite ergeben sich für mich alltäglich in mehrmaliger Wiederkehr Zeiträume, in denen ich sozusagen in Wollust schwimme, d. h. ein unbeschreibliches, der weiblichen Wollustempfindung entsprechendes Wohlbefinden meinen ganzen Körper durchströmt. Dabei ist keineswegs immer erforderlich, daß ich meine Phantasie in geschlechtlicher Richtung spielen lasse; auch bei anderen Anlässen, z.B. wenn ich eine mich besonders ergreifende Stelle eines Dichtwerks lese, ein mich ästhetisch besonders erfreuendes Musikstück auf dem Klavier spiele oder bei Ausflügen in die Umgebung unter dem Eindruck eines besonderen Naturgenusses stehe, erzeugt die auf der Seelenwollust beruhende Wohligkeit nicht selten Momente in denen ich, wie ich wohl sagen darf, eine Art Vorgeschmack der Seligkeit empfinde. Zur Zeit handelt es sich allerdings häufig nur um Empfindungen von kurzer Dauer, indem gerade zur Zeit der höchsten Wollustempfindung Kopf- oder Zahnschmerzen gewundert werden, um eben das auf die Strahlen schließlich unwiderstehlich wirkende Wollustgefühl nicht recht aufkommen zu lassen. Wie sich der ganze Mensch bei solchen Zuständen befinde, ist manchmal eine schwer zu beantwortende Frage; ich genieße zuweilen von unten herauf bis zum Halse die höchste Wollust, während gleichzeitig mein Kopf vielleicht in ziemlich übler Verfassung ist.

Die künftige Entwicklung der Dinge wird aber, wie ich nach mehrjähriger Erfahrung voraussagen zu können glaube, immer mehr dahingehen, daß die Schmerzempfindungen zurücktreten und die Wollust- oder Seligkeitszustände überwiegen. Die Seelenwollust nimmt eben beständig zu, daher wird die Wollustempfindung immer mehr der vorherrschende Eindruck sein, den die Strahlen beim Eintritt in meinen Körper empfangen; daher gelingt es schon jetzt häufig nicht mehr und wird voraussetzlich künftig immer weniger gelingen, die zur Abschwächung des Wollustgefühls beabsichtigten Schmerzen meinem Körper wirklich zuzufügen. Man will zwar, wie ich aus dem gleichzeitigen Gerede der Stimmen unzweifelhaft entnehme, etwa »meine Augen verwundern,« d.h. Leichengift in meine Augen spritzen oder Zahnschmerzen erzeugen, d.h. das Leichengift in meinen Zähnen abladen usw.; allein immer häufiger erreichen die Strahlen die betreffenden Stellen meines Körpers gar nicht mehr, weil die an den anderen Körperteilen hervorgerufene Wollustempfindung prävaliert; das meinen Augen oder Zähnen zugedachte Leichengift wird dann irgendwo anders, etwa am Busen, oder an den Armen, oder an irgendeiner anderen Stelle meines Körpers, unschädlich abgeladen. Demnach glaube ich für eine vielleicht nicht mehr allzuweit entfernte Zukunft voraussagen zu können, daß ich gewissermaßen schon bei Lebzeiten die Seligkeit, die anderen Menschen erst nach dem Tode verliehen ist, im voraus genießen werde. Daß diese Seligkeit in der Hauptsache ein wollustmäßiges Genießen ist und zu ihrer vollen Entfaltung der Vorstellung, ein weibliches Wesen zu sein oder werden zu wollen, bedarf, entspricht natürlich an und für sich meinem Geschmacke nicht; ich habe mich aber der weltordnungsmäßigen Notwendigkeit zu fügen, die mich, soll nicht mein körperliches Befinden durch Schmerzen, gewundertes Brüllen und blödsinnigen Lärm meiner Umgebung nahezu unerträglich werden; zur Gewöhnung an derartige Vorstellungen zwingt.Auch hier würde das Gesagte sich jetzt etwas modifizieren. Als hochbedeutsamer Ersatz für die mir entzogene Möglichkeit, meine geistigen Kräfte in anderer Weise im Dienste der Menschheit zu verwerten und mir damit Ehre oder Ruhm vor Menschen zu erwerben, kommt dabei die Erkenntnis Gottes und göttlicher Dinge in Betracht, die ich durch die unausgesetzte Berührung mit göttlichen Strahlen erlangt habe. Zugleich darf ich die Hoffnung hegen, daß ich der Mittler sein werde, durch dessen persönliche Schicksale die von mir erlangte Kenntnis fruchtbringend verbreitet werde, und daß es mir auf diese Weise beschieden sein werde, der übrigen Menschheit noch weit über meinen Tod hinaus zur Gewinnung richtiger Anschauungen über das Verhältnis zwischen Gott und Welt und zur Erschließung religiöser Heilswahrheiten zu dienen.

Wie sich die Dinge bei meinem voraussetzlich doch irgendeinmal zu erwartenden Ableben gestalten werden, vermag ich natürlich nicht vorauszusagen. Nach dem in Kap. XXII der Denkwürdigkeiten hierüber Bemerkten halte ich eigentlich nur den Tod an Altersschwäche für möglich. Ich muß den Wunsch hegen, daß, wenn einmal mein letztes Stündlein schlägt, ich nicht mehr in einer Heilanstalt, sondern in geordneter Häuslichkeit in der Umgebung naher Angehöriger mich befinde, da ich vielleicht einer liebevolleren Pflege bedürfen werde, als mir in einer Anstalt zuteil werden kann. Auch erachte ich es nicht für ausgeschlossen, daß an meinem Kranken- oder Sterbelager irgendwelche außergewöhnliche Erscheinungen zu beobachten sind und ich muß daher wünschen, daß der Zutritt zu demselben Männer der Wissenschaft aus verschiedenen Gebieten des menschlichen Wissens ermöglicht sei, die daraus nach Befinden wichtige Schlußfolgerungen in betreff der Wahrheit meines religiösen Vorstellungskreises abzuleiten vermögen werden. – Augenblicklich bin ich dem Ziele meiner Entlassung noch ziemlich fern; die erstinstanzliche Entscheidung in dem in Kap. XX der Denkwürdigkeiten erwähnten Entmündigungsprozesse ist (durch Urteil des Landgerichts Dresden vom 15. April 1901) zu meinen Ungunsten ausgefallen. Noch kenne ich die Begründung des Urteils nicht und vermag daher nicht zu sagen, ob ich durch Einlegung der Berufung höhere Instanzen mit der Sache befassen werde. Jedenfalls habe ich das sichere Vertrauen, daß ich, wenn auch nicht in allernächster Zeit, so doch im Laufe von einigen Jahren die Aufhebung der Entmündigung und zugleich die Entlassung aus der hiesigen Anstalt werde durchsetzen können.

Ich schließe an das Vorstehende noch einige Bemerkungen an, die in keinem näheren Zusammenhang damit stehen und die ich nur deshalb an gegenwärtiger Stelle mit unterbringe, weil ich ihnen um ihres geringeren Umfangs willen nicht einen besonderen Abschnitt widmen will.

*

Sehr viel habe ich im Laufe der vergangenen Jahre angeregt durch die mir zuteil gewordenen übersinnlichen Eindrücke, über Gegenstände des Volksaberglaubens nachgedacht. Dieselben erscheinen mir jetzt, ebenso wie mythologische Vorstellungen älterer Völker, in einem wesentlich anderen Lichte als früher. Ich bin der Meinung, daß den meisten Vorstellungen des Volksaberglaubens irgendein Körnchen Wahrheit, irgendeine Ahnung übersinnlicher Dinge zugrunde liegt, die im Laufe der Zeit einer größeren Anzahl von Menschen aufgegangen ist, freilich vielfach von willkürlichen Zutaten der menschlichen Einbildungskraft derart überwuchert, daß das Körnchen Wahrheit kaum noch herauszuschälen ist. Ständen mir hinreichende literarische Hilfsmittel zu Gebote, so würde ich vielleicht versuchen, unter diesem Gesichtspunkte einer größeren Anzahl von Äußerungen des Volksaberglaubens eine Betrachtung zu widmen.

In Ermangelung derartiger Hilfsmittel will ich mich auf zwei Beispiele beschränken. Bekannt ist der Aberglaube von der Geisterstunde, welche den Geistern für ihren Verkehr mit Menschen ausschließlich gestattet ist und welche dieselben zwingt, mit dem Glockenschlage eins ihre Gräber wieder aufzusuchen. Nach meinem Dafürhalten liegt diesem Aberglauben die richtige Ahnung zugrunde, daß Träume nicht immer bloß von außen her unbeeinflußte Vibrationen der eigenen Nerven eines schlafenden Menschen sind, sondern daß dieselben unter Umständen allerdings auf einem Verkehr mit abgeschiedenen Seelen (einem von diesen Seelen, vorzugsweise verstorbener Angehöriger, genommenen Nervenanhang Kap. I der Denkwürdigkeiten) beruhen. Die Stunde nach Mitternacht, als die Zeit des tiefsten Schlafes, wird dabei mit einem gewissen Recht als die für einen solchen Verkehr geeignetste Zeit betrachtet. Als eines zweiten Beispiels gedenke ich der Vorstellung, welche sich mit der Redensart verbindet, daß der Teufel durch das Schlüsselloch kriecht. Das Richtige an dieser Vorstellung liegt meines Erachtens darin, daß es in der Tat kein von Menschen geschaffenes mechanisches Hindernis gibt, welches geeignet wäre, der Strahleneinwirkung den Eingang zu verwehren. Daß dem so ist, erlebe ich an meinem Körper in jedem gegebenen Augenblicke; keine noch so dicke Mauer, keine geschlossene Fensterscheibe und dergleichen vermag zu hindern, daß die Strahlenfäden in einer für den Menschen eigentlich unverständlichen Weise sich hindurchziehen und bis zu beliebigen Teilen meines Körpers, namentlich nach meinem Kopfe vordringen.

*

Für den Fall der Veröffentlichung meiner gegenwärtigen Arbeit bin ich mir wohl bewußt, daß es eine Persönlichkeit gibt, die sich durch eine solche Veröffentlichung verletzt fühlen könnte. Es ist dies der Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig in Leipzig. Hierüber habe ich mich bereits in einer unter dem 4. Februar d. J. an die hiesige Anstaltsdirektion gerichteten Vorstellung verbreitet, deren Wortlaut ich nachstehend wiedergebe:

»Der Kgl. Anstaltsdirektion ist bekannt, daß ich mich mit dem Gedanken einer Veröffentlichung meiner Denkwürdigkeiten trage und dieselbe nach erfolgter Aufhebung meiner Entmündigung zu erreichen hoffe.

Zweifel, ob die Veröffentlichung statthaft sei, haben mich lang und viel beschäftigt. Ich habe mir nicht verhehlt, daß mit Rücksicht auf gewisse Abschnitte meiner Denkwürdigkeiten der Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig in Leipzig sich veranlaßt fühlen könnte, meine Bestrafung wegen Beleidigung, ja sogar nach Befinden die Einziehung des ganzen Druckwerks als den Tatbestand einer strafbaren Handlung darstellend (§ 40 StGB) zu beantragen. Ich habe mich schließlich aber doch dafür entschieden, an dem Vorhaben der Veröffentlichung festzuhalten.

Ich weiß mich auch dem Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig gegenüber von jeder persönlichen Animosität frei. Ich habe demzufolge in meine Denkwürdigkeiten nur solche ihn betreffende Angaben aufgenommen, die nach meinem Dafürhalten zum Verständnis meiner ganzen Darlegung gar nicht entbehrt werden können. Ich würde insbesondere die vielleicht etwas anzügliche und für den Zusammenhang nicht unbedingt notwendige Anmerkung (gestrichen) meiner Denkwürdigkeiten im Falle einer Veröffentlichung streichen. Ich hoffe, daß dann auch bei Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig das wissenschaftliche Interesse an dem Inhalte meiner Denkwürdigkeiten etwaige persönliche Empfindlichkeiten zurückdrängen würde. Für den entgegengesetzten Fall ist das Gewicht, das ich auf Bekanntgabe meiner Arbeit mit Rücksicht auf die davon verhoffte Bereicherung der Wissenschaft und Klärung religiöser Ansichten lege, eine so große, daß ich selbst die Gefahr einer Bestrafung wegen Beleidigung und eines mir durch eine etwaige Einziehung drohenden Vermögensverlustes auf mich nehmen würde.

Der Kgl. Anstaltsdirektion mache ich diese Mitteilung selbstverständlich nicht in der Absicht, eine Meinungsäußerung derselben darüber zu erbitten; ob sie die Möglichkeit einer Bestrafung für gegeben erachte, sondern lediglich, um auch hiermit einen neuen Beweis zu liefern, wie reiflich ich bei allen meinen Handlungen die Folgen im voraus erwäge und wie wenig also bei mir davon die Rede sein kann, daß ich ein Mensch sei, der die Fähigkeit, seine Angelegenheiten zu besorgen, ermangele.

Sonnenstein, den 4. Februar 1901.

In vorzüglicher Hochachtung
(Folgt Unterschrift)

Hieran mögen noch einige Bemerkungen angeschlossen werden.

Daß Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig von den äußeren Vorgängen, die mit meinem Aufenthalt in der von ihm geleiteten Universitäts-Nervenklinik in Leipzig zusammenhängen, wenigstens im allgemeinen noch eine Erinnerung hat, habe ich als selbstverständlich vorauszusetzen. Dagegen wage ich nicht bestimmt zu behaupten, ob auch die übersinnlichen Dinge, die mit seinem Namen in Verbindung stehen und bei denen mir dieser Name von den Stimmen genannt worden ist und noch jetzt täglich genannt wird – obwohl die persönlichen Beziehungen zu Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig für mich längst in den Hintergrund getreten sind und daher ohne äußere Einwirkung schwerlich mein Interesse noch fortgesetzt erwecken würden – jedenfalls zum Bewußtsein gekommen sein müssen. Ich habe die Möglichkeit zugelassen, daß er in seiner Eigenschaft als Mensch denselben fern gestanden hat und noch fern steht; dunkel bleibt natürlich die Frage, wie bezüglich eines noch lebenden Menschen von einer von ihm unterschiedenen, außerhalb seines Körpers befindlichen Seele die Rede sein kann. Daß es eine solche Seele oder wenigstens einen solchen Seelenteil gegeben hat und noch jetzt gibt, ist gleichwohl nach den von mir unmittelbar gemachten tausendfältigen Erfahrungen für mich gewiß. Ich habe demnach auch als möglich anzuerkennen, daß alles, was in den ersten Abschnitten meiner Denkwürdigkeiten über Vorgänge berichtet worden ist, die mit dem Namen Flechsig in Verbindung stehen, nur auf die von dem lebenden Menschen zu unterscheidende Seele Flechsig sich bezieht, deren besondere Existenz zwar gewiß, auf natürlichem Wege aber nicht zu erklären ist. Es liegt mir also durchaus fern, mit der von mir beabsichtigten Veröffentlichung die Ehre des lebenden Geh. Rat Professor Dr. Flechsig in irgendwelcher Weise anzugreifen.Übrigens habe ich bei der wiederholten Durchsicht, der ich meine Arbeit nach Beendigung des Entmündigungsprozesses unterzogen habe, so vieles daran gestrichen, geändert und in der Ausdrucksweise zu mildern gesucht, daß, wie ich glaube, von einem beleidigenden Inhalt derselben nicht mehr die Rede sein kann. Ich hoffe damit alles dasjenige gegenstandslos gemacht zu haben, was noch in den Gutachten, in den Urteilen erster und zweiter Instanz sowie in meinen eigenen Prozeßschriften hinsichtlich einer mir möglicher Weise drohenden Bestrafung gesagt worden ist.

VII. Feuerbestattung betreffend. (Mai 1901.)

Die in neuerer Zeit ziemlich lebhaft gewordene, in besonderen Vereinen organisierte Bewegung für Feuerbestattung regt eigene Gedanken in mir an, deren Mitteilung vielleicht nicht ohne Interesse ist. Die von kirchlich-gläubiger Seite gegen diese Art der Leichenbestattung erhobenen Bedenken verdienen nach meinem Dafürhalten die allerernsteste Berücksichtigung. Denn es wird allerdings die Frage aufgeworfen werden dürfen, ob nicht derjenige, der seine Leiche der Feuerbestattung unterwerfen läßt, damit auf eine Wiedererweckung im jenseitigen Leben verzichte oder der Anwartschaft auf die Seligkeit sich beraube.Daß nach der Weltordnung an sich eine Fortdauer nach dem Tode oder eine Seligkeit stattfindet, ist für mich nach dem Gesamtinhalte meiner früheren Darlegungen (vergl. insbesondere Kap. I der Denkwürdigkeiten) vollkommen unzweifelhaft. Damit steht natürlich nicht im Widerspruch, daß auf solange, als die weltordnungswidrige ausschließliche Beziehung zwischen Gott und meiner Person dauert, die Neubegründung von Seligkeiten nach meinem Dafürhalten suspendiert ist (vergl. Kap. II am Ende und Kap. V am Ende der Denkwürdigkeiten).. Auch die Seele ist nichts rein Geistiges, sondern beruht auf einem materiellen Substrat, den Nerven. Hätte daher die Feuerbestattung eine vollständige Vernichtung der Nerven zur Folge, so würde damit auch ein Aufsteigen der Seele zur Seligkeit ausgeschlossen sein. Ob die angegebene Voraussetzung zutrifft, wage ich als Laie in der Physiologie der Nerven nicht bestimmt zu behaupten. Nur soviel scheint mir unzweifelhaft, daß die Frage wesentlich anders liegt, als in denjenigen Fällen, in denen der Körper eines Menschen etwa bei Brandunglücken oder bei mittelalterlicher Ketzer- und Hexenverbrennung dem Feuertode ausgesetzt worden ist. Der Feuertod ist in solchen Fällen wohl wesentlich ein Erstickungstod; von einer vollständigen Vernichtung des Körpers ist dabei schwerlich die Rede; selbst die Weichteile werden wahrscheinlich meist nur angekohlt werden; eine gänzliche Zerstörung der Knochen und der in ihnen (insbesondere in der Schädeldecke) steckenden Nervenenden findet dabei sicher nicht statt. Diese Fälle lassen sich also mit der modernen Feuerbestattung kaum vergleichen, bei der in eigenen Krematorien unter Entwicklung exorbitanter Hitzgrade, Absperrung der atmosphärischen Luft usw. eine vollständige Vernichtung alles dessen, was von den Menschen nach dem Tode noch vorhanden ist, bis auf ein geringes Häuflein Asche, methodisch angestrebt und vielleicht auch erzielt wird. Ich halte es demnach zum mindesten für nicht unwahrscheinlich, daß dabei auch mit den Nerven eine physiologische oder chemische Veränderung vorgeht, die eine Wiedererweckung derselben im jenseitigen Leben ausschließt.

Diesen Erwägungen gegenüber muß nach meinem Dafürhalten weit zurücktreten, was zugunsten der Feuerbestattung unter ästhetischen, sanitären oder volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten geltend gemacht zu werden pflegt. Auch in letzterer Beziehung sind die vermeintlichen Vorteile wohl äußerst prekärer Natur; insbesondere wird der durch Ersparung von Friedhöfen usw. erhoffte wirtschaftliche Gewinn wohl durch die gewaltigen Kosten ausgeglichen werden, welche die Feuerbestattung – wenn man sie sich als eine allgemein gewordene Einrichtung vorstellt – verschlingen würde. Auf Jahrhunderte hinaus ist vermutlich nicht daran zu denken, daß der überwiegende Teil der Bevölkerung die alte Sitte der Leichenbeerdigung aufgeben sollte. Daß jedesmal ein Zeitpunkt kommen sollte, wo etwa jedes Dorf oder jeder kleinere Bezirk sein eigenes Krematorium besitzen würde, will mir kaum wahrscheinlich dünken. Allein die für das sittliche Gefühl entscheidende Frage wird immer die bleiben, ob die moderne Feuerbestattung mit der Hoffnung auf eine künftige Seligkeit verträglich ist.

Ich weiß wohl, daß es viele Menschen gibt, die an dieser Frage ziemlich gleichgültig vorüberzugehen geneigt sind. Es handelt sich dabei nicht immer bloß um Äußerungen des Unglaubens, d. h. um bewußte Anhänger des Atheismus. Der Widerwille gegen die Vorstellung einer mit dem eigenen Körper nach dem Tode vorgehenden Verwesung drängt bei manchen Menschen jede andere Erwägung zurück; unklare Vorstellungen über die Natur des im jenseitigen Leben zu erwartenden neuen Daseins erzeugen, zumal bei pessimistisch angelegten Naturen nicht selten Stimmungen, in denen sie sich und anderen vorreden, es liege ihnen gar nichts an einer Fortdauer nach dem Tode, es sei ihnen ganz recht, wenn mit dem Tode alles aus sei und alles, was von ihnen noch vorhanden sei, so vollständig als möglich verschwinde, um nicht für andere Menschen als Gegenstand eines doch vielleicht nur geteilten Interesses zurückzubleiben. Allein ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, daß solche Stimmungen niemals länger anhalten werden, als bis einmal die Schrecken des Todes wirklich in greifbare Nähe gerückt sind. Irgendeines Trostes, irgendeiner Hoffnung bedarf auch der Mensch, der vielleicht zu langem, schmerzvollen Krankenlager niedergestreckt, sich der Gewißheit des bevorstehenden Todes nicht mehr verschließen kann; furchtbar können die Leiden werden, wenn der Sterbende nach dem in religiösen Dingen von ihm eingenommenen Standpunkte sich jeder Hoffnung beraubt glaubt und sich damit auch die Tröstungen der Religion unempfänglich gemacht hat. Für denjenigen, der die Anordnung einer Feuerbestattung getroffen hätte, käme vielleicht der quälende Zweifel hinzu, ob er nicht gar selbst dazu beigetragen habe, sich jeder letzten Hoffnung zu verschließen. Wohl dem, möchte ich ausrufen, der in solcher Lebenslage wenigstens noch die Möglichkeit gegeben sieht, die Anordnung der Feuerbestattung zu widerrufen, die er in gesunden Tagen vielleicht in mehr oder weniger leichtfertiger Stimmung getroffen hatte!

Die Frage, ob die Geistlichkeit bei einer Feuerbestattung aus Rücksicht auf die leidtragenden Hinterlassenen den kirchlichen Segen erteilen oder Trostworte sprechen dürfe, mag nach individueller Auffassung einer verschiedenen Beantwortung unterliegen. Daß die Lage des gläubigen Geistlichen dabei eine ungemein schwierige ist, scheint mir zweifellos. Denn er wird sich dem Eindruck nicht entziehen können, daß derjenige, der die Feuerbestattung angeordnet hat, bei einer Entscheidung, die für die Frage der Fortdauer nach dem Tode wenigstens nach Befinden von Bedeutung ist, eine starke Gleichgültigkeit an den Tag gelegt habe; zudem werden wohl fast alle Geistlichen mindestens eine Ahnung des von mir entwickelten Zweifels haben, ob denn eine Seligkeit nach vollständiger Vernichtung der Nerven überhaupt noch möglich sei?

Man lasse sich auch nicht durch den Einwand täuschen, daß die Annahme, es könne die Feuerbestattung irgendwelchen Einfluß auf die Möglichkeit einer Wiedererweckung nach dem Tode äußern, sich mit der Vorstellung von Gottes Allmacht nicht vereinigen lasse. In absoluter Unbegrenztheit ist eben diese Allmacht nicht vorhanden; es ist z. B. auch für Gott nicht möglich, etwa einer Kindesseele oder der Seele eines in Sünden versunkenen Menschen dasselbe Maß von Seligkeit zu verschaffen, das der Seele eines gereiften Mannes von der intellektuellen Bedeutung einer unserer geistigen Größen in Kunst und Wissenschaft oder der Seele eines sittlich hochstehenden Menschen zuteil wird. Demnach verbleibt allerdings die Möglichkeit, daß der Mensch durch eigene Veranstaltungen, die Aussicht auf ein Wiederaufleben nach dem Tode, die ihm an sich nach der Weltordnung gewährt ist, sich selbst verschließen könne. Die menschliche Willensfreiheit ist hier, wie sonst, durch Gottes Allmacht nicht aufgehoben (vgl. Kap. XIX der Denkwürdigkeiten), aus dem Gebrauche, den der Mensch von seiner Willensfreiheit macht, können mithin Folgen sich ergeben, die auch von Gott nicht wieder rückgängig zu machen sind.


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