Arthur Schnitzler
Der Schleier der Beatrice
Arthur Schnitzler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Akt.

Ein Saal im Schlosse. Nach hinten zu vollkommen offen in den Garten führend. Zwei Reihen von je vier Säulen schließen den gedeckten Raum ab, so daß der Weg ins Freie gleichsam durch drei Thore offen steht. Rechts und links je eine Thüre. Rechts außerdem ein Fenster, von dem angenommen wird, daß es in einen tieferliegenden Hof hineinschaut. Zu beiden Seiten des Säulenganges Freitreppen, welche in einer Windung zur Terrasse emporführen. die, dem Zuschauer natürlich unsichtbar, auf den Säulenpaaren ruhend gedacht wird. – Der Saal ist hell beleuchtet; der Garten durch Fackeln erhellt, welche unruhig brennen, so daß über dem großen Wiesenplan ein ungewisses Licht verbreitet ist und die Schatten der Bäume, von denen die Wiese umgeben ist, in wechselnder Größe erscheinen. Für Augenblicke scheint der Garten wie in Dunkel zu versinken. Man hört entfernte Musik. Über den Rasen sieht man Paare gleiten und wieder verschwinden. Im Hintergrund ist eine stete, aber undeutliche Bewegung. Im Augenblick, wie der Vorhang aufgeht. ist der Saal leer.

Es treten auf durch die Thür links: Lucrezia und Isabella.

Isabella. Wo ist unser Begleiter?

Lucrezia. Verschwunden.

Malvezzi und Zampieri aus dem Garten.

Zampieri. Heut' wird erst offenbar, wieviel Schönheit Bologna birgt! Seid gegrüßt, schöne Damen!

Isabella. Seid nicht gar zu stolz auf Eure Vaterstadt. Wir kommen aus Florenz.

Malvezzi zu Lucrezia. Aus Florenz? Ihr auch?

Isabella. Sagt uns doch: sind wir hier wirklich im Schloß des Herzogs? Und ist es wahr, daß er seine Hochzeit feiert?

Zampieri. Ihr zweifelt? Hier könnt Ihr ihn selbst sehen. Er weist in den Garten.

Isabella. Laßt uns näher hin. Mit Zampieri in den Garten.

Malvezzi. Warum so schweigsam?

Lucrezia. Was wollt Ihr?

Malvezzi. Euch gefallen!

Lucrezia. Wünscht es Euch lieber nicht!

Malvezzi. Nichts Andres mehr, solang Ihr mir erlaubt, in Eurer Nähe zu bleiben.

Lucrezia. Ihr seid jung!

Malvezzi. Achtzehn vorüber. Alt genug, um vor Liebe zu sterben.

Lucrezia. Gebt acht, daß Ihr nicht die Wahrheit sprecht, ohne es zu wollen. Beide in den Garten.

Aus dem Garten rasch: Rosina. Orlandino folgt ihr.

Orlandino. Ist dies ein Wiedersehen!

Rosina hört nicht auf ihn.

Orlandino. Wer es geahnt hätte – abends, als wir einander vor Eurem Hause sahen! Wohin blickt Ihr denn?

Rosina in den Garten schauend, angstvoll. Nun geht er!

Orlandino. Wer?

Rosina. Nein – er bleibt und spricht! Wer ist's, mit dem der Herzog spricht?

Orlandino. Silvio Cosini, sein Geheimschreiben

Rosina für sich. O, hätten seine Worte Kraft, ihn an den Boden zu nageln! Zu Orlandino. Saht Ihr – – die Herzogin, meine Schwester?

Orlandino. Ich hatte die hohe Ehre, ihr beim Mahl gegenüber zu sitzen.

Rosina. War sie schön?

Orlandino. Da dürft Ihr Niemand fragen, der Rosina liebt. –

Rosina. Sagt, Orlandino –

Orlandino. Rosina?

Rosina. Wo ist das Schlafgemach der Herzogin?

Orlandino nach links weisend. Es liegt auf jenem Flügel.

Rosina. Dort?

Orlandino. Ja. Die schmale Treppe gegenüber dem Springbrunnen führt hinauf.

Rosina befremdet. Nicht dort? Weist nach rechts.

Orlandino. Nein.

Rosina für sich. So ist sie vielleicht noch im Garten? Aber wie ist das möglich? Allein? – Nein! Ab in den Garten.

Orlandino ihr nach. Wohin? Was wollt Ihr?

Der junge Bruni mit Margerita treten links auf.

Margerita. Die Augen brennen mich! Wo bin ich denn?
Ich will zurück!

Bruni.                         Bleibt doch! Noch saht Ihr nichts.
Ich will Euch führen, zeigen all die Pracht!

Margerita. Ich geh' nicht weiter – nein!

Bruni.                                                     Schaut nur um Euch!

Margerita. Ist's wahr? Hier wohnt der Herzog?

Bruni.                                                                 Saht Ihr nicht
Schon oft das hohe Thor, durch das wir schritten?

Margerita. Und Ihr, wer seid Ihr denn? Seid Ihr derselbe,
Der an mein Fenster kam?

Bruni.                                       Ich bin's. Und ich
Hab' Euch geladen in des Herzogs Namen.
Seht nur, da sind noch Viele so wie Ihr.
Im Garten tanzen sie, auf der Terrasse
Ergeh'n sie plaudernd sich mit jungen Herrn,
Und Alle schau'n wie Ihr, mein schönes Kind,
Und wie die Fürstin selbst, so vielen Glanz
Zum ersten Mal.

Margerita.               Ist's wirklich Beatrice,
Des Nardi, des verrückten Nardi Tochter?

Bruni. Sie ist's.

Margerita.       Wie wunderbar! Und warum riefet
Ihr grade mich?

Bruni.                       Weil Ihr mir längst bekannt.
Oft in der Dämm'rung lehntet Ihr am Fenster.
Ich ging vorüber.

Margerita.                 Ja, Ihr seid es. Doch warum
Bin ich Euch hergefolgt?

Bruni.                                     Bat ich Euch nicht?

Margerita. Ich träumte schon, drum wurd' es Euch so leicht.
Und wißt Ihr, was ich dachte, als das Lärmen
In meine Kammer von der Straße drang,
Und Euer Antlitz starrte durch mein Fenster?

Bruni. Was dachtet Ihr?

Margerita.                     Die Feinde wären da,
Der Borgia selber – ja, mir war zuerst –
So träumt' ich noch – Ihr wärt der Borgia –, Ihr!

Bruni. Ich schwör's, der thät' Euch Schlimm'res nicht als ich.

Margerita. Ich will nach Haus! Die Mutter wird sich ängsten!

Bruni. Seht!

Margerita.   Was?

Bruni.                     Dies ist der Herzog!

Margerita.                                               Ja. So nah
Hab' ich ihn nie geseh'n.

Bruni.                                     Nun kommt zum Tanz!
Wie aber nenn' ich Euch?

Margerita.                               Marg'rita heiß' ich.

Bruni. O schönste Margerita, kommt! Beide in den Garten.

Cosini von links; erster Bote von rechts.

Cosini. Woher?

Erster Bote. Vom Thore San Martino.

Pause.

Cosini. Es ist gut. Wart' im Schloßhof mit den Andern.

Erster Bote ab.

Zweiter Bote tritt auf von rechts.

Cosini. Was bringst Du?

Zweiter Bote. In der Sacristei der Kirche San Domenico haben wir einen Mann ergriffen, der sich dort offenbar verbergen wollte, und der unsere Sprache nicht zu verstehen schien. Man untersuchte ihn und fand Briefschaften in sein Wamms eingenäht.

Cosini. Wo sind sie?

Zweiter Bote. Mein Hauptmann hat sie in Verwahrung genommen und den Mann in Ketten legen lassen.

Cosini. Wer ist Dein Hauptmann?

Zweiter Bote. Herr Campeggi.

Cosini. Er möge selbst kommen und den Gefangenen sowie die Papiere mitbringen.

Zweiter Bote ab.

Guidotti kommt aus dem Garten. Ein prächtiges Fest, Herr Schreiber! Aber es ist nicht vollkommen, eh' wir dem Mariscotti den Kopf abgehauen haben.

Cosini. Ich denke, es giebt heute bessere Unterhaltung. Seht doch, hier sind die schönsten Frauen und Mädchen von Bologna.

Guidotti. Bester Herr Schreiber, was kümmert das uns! Was sind uns die schönsten Mädchen von Bologna! Ich bin dreiundsechszig. Ich muß mir ein anderes Vergnügen suchen.

Cosini. Nun, ich weiß mich einer Nacht in Cypern zu erinnern – es sind noch keine drei Monat her –

Guidotti. Ja, mein Guter – Cypern – Cypern! Was vermag der Süden nicht alles!

Magnani kommt aus dem Garten. Cosini – Guidotti – laßt uns doch einen letzten Versuch wagen!

Cosini. Was für einen?

Magnani. Unsern Herzog zu beschützen!

Cosini. Wovor?

Magnani. Mit Beatrice Nardi allein zu sein.

Cosini. Magnani, wahrhaftig, Ihr seid nicht bei Sinnen!

Magnani. Seid Ihr denn blind? Könnt Ihr glauben, daß all' dies mit natürlichen Dingen zugegangen ist? Hier ist etwas im Spiel, das ich nicht auszusprechen wage. Und ich habe die Überzeugung, daß der Herzog einer großen Gefahr entgegen geht. Bedenkt doch! Ein Wesen, das er zum ersten Mal sah – und auf einen Blick von ihr – bei Gott, es war nicht mehr als das! – macht er sie zur Herzogin von Bologna! Und das vor einem solchen Tag, wie der, der uns morgen bevorsteht!

Cosini. Eben vor einem solchen – sonst hätt' er's nicht gethan.

Guidotti. Was fürchtet Ihr denn eigentlich? Sprecht es doch deutlich aus! Glaubt Ihr an eine Art von Hexerei?

Magnani. Laßt uns von diesem Worte absehen. Aber wer weiß, von welchen Mächten dieses Mädchen gelenkt wird, mit Willen oder ohne Willen. Ich bitt' Euch, steht mir bei, wenn ich den Herzog zum letzten Male anflehe!

Guidotti lachend. Allein zu schlafen?

Cosini. Es ist unmöglich, Magnani, seht's doch ein!

Magnani. Es ist nicht unmöglich! Wenn seine Sehnsucht nach ihr so groß wäre, ginge er nicht, wie ich's eben sah, einsam unter den Bäumen auf und ab. Ich schwör' Euch, es sind ihm die gleichen Gedanken aufgestiegen wie uns!

Cosini. Nein, Magnani, das Zeichen, das der Himmel sandte, macht ihn so ernst.

Magnani. Wurde denn Bonatto schon zu Rat gezogen? Hat er es gedeutet?

Cosini. Ja. Und nicht anders, als wir Alle im Stillen und der Herzog selbst. Das ist's, was ihn nachdenklich macht, denn ob er auch überzeugt war, daß der morgige Tag nichts Gutes bringen kann, – es macht schaudern, zu wissen, daß es in den Sternen schon beschlossen ist.

Guidotti. Der Teufel hol' Euch, Cosini, und den zeichendeutenden Bonatto nicht minder! Ich sag' Euch, dergleichen ist nicht so viel wert! Wißt Ihr, was mir geschah an dem Tag, bevor wir auf Reisen gingen? Vor meinen Fenstern wurde ein Erschlagener gefunden – mit siebzehn Wunden! Und wißt Ihr, wer mich am dringendsten beschwor, daheim zu bleiben? Unser armer Pitti! Und nun seht: – Ich bin heil nach Haus gekommen, und Pitti liegt draußen auf der Heerstraße, genau so tot, als er es mir prophezeit hat. Es ist alles Unsinn. Es kommt, wie's will.

Cosini. Mitternacht ist nah.

Magnani. Ist es nur gewiß, daß der Herzog unserm Rate beiwohnen wird? Die Befehle befinden sich doch bereits alle in den Händen der Führer?

Guidotti als hätte er nachgedacht. Ich will Euch sagen, Magnani, was Ihr dem Herzog für einen Vorschlag machen sollt. Morgen früh, als würdigen Abschluß dieser Hochzeit, soll er seine junge Gattin, ob sie nun eine Hexe ist oder nicht, zum Fenster hinunterwerfen in den Graben, wo die Leoparden gehalten werden.

Cosini. Was hättet Ihr davon? Sie sind ja gezähmt.

Guidotti. O, nichts leichter, als sie wild zu machen! Man schleudert einfach brennende Fackeln unter sie.

Arlotti und Valori, zwei Hauptleute, kommen.

Cosini. Guten Abend, Arlotti. Guten Abend, Valori.

Begrüßung.

Arlotti. Sind wir im rechten Saal?

Cosini. Gewiß.

Valori. Wer ist hierherbeschieden außer uns Beiden?

Cosini. Der Graf Fantuzzi und Ribaldi.

Arlotti. Warum sind wir hierherbeschieden, Herr Cosini? Ist And'res beschlossen worden?

Cosini. Wie meint Ihr das?

Arlotti. Nun, ich denke – lachend hat unser Herzog Lust, Hochzeit zu feiern, so gelüstet ihn wohl auch nach Honigwochen.

Valori. Sagt uns doch, Herr Cosini, ist denn auch Alles wahr, was man in der Stadt erzählt?

Cosini. Es kommt darauf an, was man Euch erzählt hat.

Valori. Ich wage es kaum zu wiederholen. Man spricht von dieser Feier wie von einem Maskenfest.

Ribaldi kommt. Begrüßung.

Cosini. Nur der Graf Fantuzzi läßt auf sich warten.

Magnani. Und der Herzog selbst.

Guidotti. Seht, hier wandelt er umher, als wenn es keinen Borgia, keinen Mariscotti, als wenn es nicht einmal eine Beatrice gäbe.

Ribaldi. Ich bitt' Euch! Zeigt mir das Mädchen!

Guidotti. Das Mädchen? Was für ein Mädchen? Die Herzogin, meint Ihr?

Ribaldi. Nun ja, die aussehen ist, für eine Nacht die Herzogin zu spielen!

Cosini. Was fällt Euch ein, Ribaldi! Sie ist so gut Herzogin von Bologna, als es jede Andere wäre, die der Kardinal selbst dem Herzog angetraut hätte!

Ribaldi. Der Kardinal? Wie? Ihr spaßt wohl?

Arlotti. Nun seht Ihr ja, daß wir's wissen!

Cosini. Was?

Arlotti. Nun, man erzählt, es wäre durchaus nicht der Kardinal gewesen, sondern ein florentinischer Spaßmacher, und das Ganze, wie ich schon sagte, ein Maskenfest.

Cosini. Ich bitt' Euch!

Magnani. Wie kann man glauben, daß der Herzog von Bologna sich in solcher Weise an der Kirche versündigen würde.

Ribaldi. Ei was, Sünde! Den Kardinal hat der Papst eingesetzt, der Papst will unser Verderben, und Cesar ist sein Sohn! Es wäre gar keine üble Art gewesen, das ganze Gesindel zu verhöhnen.

Guidotti. Meiner Seel', Ihr habt Recht! Nun thut's mir selbst leid, daß es ein echter Kardinal und eine echte Hochzeit war.

Magnani. Laßt solche Worte, wenn's beliebt. Die Kirche bleibt heilig, wenn jetzt auch ihre oberste Macht in unwürdige Hände gelegt ist. Wir wollen nicht gehört haben, was Ihr sagtet!

Cosini. Still, der Herzog!

Der Herzog kommt aus dem Garten. Alle neigen sich vor ihm.

Herzog. Wo ist Andrea?

Cosini. Er ist der Einzige, der noch fehlt.

Herzog zu Arlotti. Ihr steht am Thor von Saragossa?

Arlotti. Jawohl, mein Fürst!

Herzog. Mit wie Vielen?

Arlotti. Sechshundert Armbrustschützen.

Herzog. Sechshundert?

Arlotti. Es ist uns noch gelungen, mein Fürst, in der fünften Nachmittagsstunde zweihundert von Imola aus in die Stadt zu führen. Jetzt wär' es nicht mehr möglich, über diese Straße hierher zu gelangen.

Herzog. Ihr standet in mailändischen Diensten, Ribaldi?

Ribaldi. Bis vor einem halben Jahre, mein Fürst. Aber dort giebt's nichts mehr zu thun.

Herzog. Ich kannte Euern Namen längst. Ihr habt unter dem jungen Sforza gefochten.

Ribaldi. Drei Mal! Gegen Pisa, Ravenna und gegen Rom.

Herzog. Ich fürchte, Ihr habt einen schlechten Tausch gemacht.

Ribaldi. Mein Fürst, ich bin stolz, endlich einmal unter einem Bentivoglio fechten zu dürfen, selbst wenn ich bei dieser Gelegenheit das letzte Mal meine Kunst zeigen sollte.

Herzog. Wie steht's bei Euch, Valori?

Valori. Hoheit, die Zahl der Meinen wächst mit jedem Augenblick. Und es wird notwendig, einen Teil von denen, die sich freiwillig melden, an andere Führer zu weisen. Von allen Seiten kommen sie. Ganz junge Burschen, sogar Gewerbsleute scharen sich zusammen und verlangen nach Waffen. Sie sind berauscht von Haß gegen den Borgia und sehnen den Morgen herbei.

Campeggi tritt auf.

Cosini. Endlich!

Herzog. Wer ist's?

Cosini. Der Hauptmann Campeggi.

Campeggi. Ich bin hierher befohlen, mein Fürst, um persönlich Papiere zu überbringen, die wir abends bei einem Verdächtigen gefunden haben, der sich in der Kirche San Domenico verstecken wollte. Er überreicht die Papiere.

Herzog. Laßt sehen! – Ohne Aufschrift. – Erbricht das Siegel. Das sind Zeichen, die mir fremd sind – kennt Ihr sie, Cosini?

Cosini. Diese hier sehen beinahe aus wie assyrische – nein – es sind völlig willkürliche – es ist zweifellos eine Geheimschrift.

Herzog. Was ist's mit dem Mann, dem sie abgenommen wurden?

Campeggi. Er verweigert jede Antwort, vielmehr, er thut, als wenn er unsere Sprache nicht verstünde – oder er versteht sie in der That nicht.

Herzog. Es wäre nicht das erste Mal, daß sich Cesar solcher Leute bedient. Wo ist der Mann?

Campeggi. Er wartet weit'rer Befehle im Hof des Schlosses, mein Fürst.

Herzog. Von solch Einem können wir freilich auf keine Weise etwas erfahren.

Guidotti. Laßt es mich versuchen, Herzog! Ich möchte meinen Kopf verpfänden, daß ich ihn unsere Sprache reden mache!

Herzog. Wenn Ihr dessen so sicher seid, Guidotti, – führt ihn zu dem Manne, Campeggi.

Campeggi und Guidotti ab.

Herzog. Im übrigen – was können uns diese Briefe Neues lehren? Was können sie an unseren Entschlüssen ändern?

Magnani. Mein Fürst –

Herzog. Was wollt Ihr, Magnani?

Magnani. Verzeiht Eurem treuen Diener ein kühnes Wort!

Herzog. Redet!

Magnani. Hütet Euch vor der Herzogin!

Herzog. Ihr hegt mehr Treu' als Klugheit, Herr Magnani!

Dritter Bote tritt ein.

Cosini. Hier kommt Botschaft vom Thor von Garisenda!

Herzog. Nun?

Dritter Bote. Herr, schwere Nebel liegen im Thal; was hinter ihnen sich vorbereitet, darüber fehlt jede Vermutung. Nur eins ist gewiß: daß die feindlichen Truppen gegenüber der Vorstadt von Isaia noch näher herangerückt sind: – die uns am nächsten wären durch einen Pfeilschuß zu erreichen.

Herzog. entläßt ihn durch ein Neigen des Kopfes.

Dritter Bote ab.

Herzog. Wo bleibt Andrea? Sendet nach ihm aus!
        Cosini giebt einen Auftrag.
        Die übrigen sind etwas beiseite getreten.
So haben meine Wünsche keine Kraft mehr!
Und gab doch eine Zeit, da, kaum gedacht,
Nicht ausgesprochen, jeder ward erfüllt.
Nicht Wunder nahm's mich, wär' Filippo Loschi
Mir auf dem Weg begegnet, den ich kam –
Nein, früher, in Neapel oder Rom –
Nun bin ich in Bologna, will ihn seh'n
Und ruf' ihn, und er sagt: Ich will nicht kommen!

Cosini. Bewegt Euch das so sehr, mein Fürst?

Herzog.                                                           Erzählt
Mir mehr von ihm, erklärt mir seine Weig'rung!

Cosini. So gut ich's konnte, that ich's. Doch ich weiß,
Es läßt sich klarer so als kürzer sagen
Mit diesem einen Wort: Er scheint mir närrisch!

Herzog. Kurz – das ist wahr! Doch glaub' ich, Ihr, Cosini,
Und Euresgleichen könnt nicht ganz versteh'n,
So klug Ihr seid, was solche Menschen treibt,
Den Kopf zu schütteln oder »ja« zu nicken, –
Wie erst so vieles Andre! Mir ist manchmal
Als ahnt' ich das Geheimnis solcher Seelen!

Guidotti kommt. Ein Spaß, Herzog, ein wahrer Spaß! Hört doch, wie er uns're Sprache reden kann, hört! Er reißt das Fenster auf.

Stimme des Gefangenen im Hof. Weh mir, weh mir, mein Aug'! mein Aug'!

Herzog. Was habt Ihr gethan?

Guidotti. Nun, hört Ihr, daß er ein so guter Italiener ist wie wir Alle! Erlaubt Ihr, Herzog, daß ich ihn frage? Meine Stimme soll ihm die Wahrheit aus der Kehle kitzeln!

Herzog. Fragt ihn!

Guidotti zum Fenster hinaus. Wem, Du Schuft, solltest Du die Briefe überbringen?

Stimme. Weh, mein Auge!

Guidotti. Gieb Acht – Du hast noch eines zu verlieren!

Herzog. Wer sandte Dich?

Stimme wimmernd. Der edle Herr Alberto Casca!

Magnani. Der Sekretär des Cesar!

Herzog. Casca, sagtest Du?

Stimme. Alberto Casca!

Herzog. Drei Wochen sind's, da saß er mir 'genüber,
An Alexanders Tafel – wißt Ihr's noch?

Cosini. An meiner Seite!

Herzog. An wen sind diese Briefe? Deinen Auftrag!

Stimme. An den Herzog von Bologna!

Herzog. Wie? Sag's noch einmal!

Stimme. Die Briefe sind an den Herzog von Bologna!

Cosini. Wie ist des Herzogs Name?

Stimme. Weh, mein Auge!

Guidotti. Du Schuft – wie heißt der Herzog von Bologna?

Stimme. Mariscotti!

Bewegung.

Herzog. Ah, war es so gemeint?

Cosini.                                         Das ahnte Casca nicht,
Daß noch der rechte Herzog heim wird finden!

Herzog. An meinen Erben schon der Brief gesandt!
Und wir – mißtrauisch, daß wir früher flohen,
Vertrauten dennoch so an einem Tag –
Ich will's wie eine schwerste Schuld gesteh'n –
Doch war's kein Tag, nur eine Stunde – nein!
Es war ein Augenblick, da mich's durchfuhr
Wie eine Wahrheit: alle andern Fürsten
Verachtet Borgia, ich allein erschien ihm
Als seinesgleichen, wert sein Freund zu sein –
Jawohl, es war ein Augenblick, doch glaubt' ich's!
Und während wir an seiner Tafel saßen,
Schrieb Casca an den Herzog Mariscotti!

Guidotti. Euere Hoheit, was soll weiter mit dem Mann gescheh'n?

Herzog. Mit diesem? Laßt ihn frei, nur ruft den Arzt,
Daß er das wunde Aug' ihm erst verbinde!
Doch Mariscotti –

Guidotti mit leuchtenden Augen. Mariscotti?

Herzog. Man öffne seinen Kerker, laß' ihn glauben,
Er sei befreit, führ' ihn herauf in Luft
Und Licht, behandle ihn mit größter Ehrfurcht,
Als hätte sich sein Los gewendet, – dann
Geleite man ihn höflich in den Garten.
Dort aber – bind' man ihn an einen Baum,
Inmitten aller dieser Lustbarkeiten.
Das Lachen und die Seufzer wilder Lust
Umtön' ihn, seine Blicke tauchen ein
In üppiges Gewirr berauschter Leiber;
Was Menschen seiner Art an Wonnen kennen,
Im Flackerleuchten dieser roten Nacht
Tanz' es um ihn, daß wütende Begier
Ihm in die kettenlahmen Glieder fahre. –
Ihr aber, Guidotti, neben ihn
Stellt Euch mit bloßem Degen hin und wartet,
Bis Euch Befehl wird, in den Morgenthau
Zertret'nen Wiesengrüns sein Haupt zu schleudern!
        Jetzt tritt er nach hinten, ruft in den Garten.
Ihr Andern, nützt die Zeit! Nehmt meinen Garten
Als duftend Lager Eurer Freuden hin!
        Zum Himmel weisend.
Ein Baldachin ist herrlich aufgespannt
Und spottet mit den ew'gen Sternen, die
Vor fernen Zeiten stolz're Menschenpaare
In keuscher Freiheit sich umschlingen sah'n,
Der letzten Scham. Ich aber, Euer Fürst,
Jeglichem Bund, der heute Nacht sich schließt,
Geb' ich die Weihe. Heiligt andre Ehen
Unlöslichkeit und Dauer, geb' ich diesen,
Was Euch Beweglichen, Veränderungsfrohen,
Euch Menschen besser ziemt, das schnellste Ende –
Sie alle löst das erste Grau'n der Früh'.
Doch was aus der Entzückung dieser Stunde
Aufsprießen mag zu seiner Zeit, das trage
So wunderbaren Ursprungs Zeichen mit,
So lang' es lebt. – Adlig geboren nenn' ich
Die Sprossen dieser Nacht, da Euer Fürst
Mit Beatrice Nardi Hochzeit hält.

Ab nach links.

Die Anderen entfernen sich nach der andern Seite. Der Saal wird leer. auch dunkler; einige Lichter verlöschen; die Fackeln im Garten immer unruhiger, düsterer; aus der Wiese undeutlich wahrnehmbare Bewegung; Paare gleiten vorüber, umarmen sich, sinken hin, doch Alles wirkt wie Schattenbilder; manchmal stürzen Frauen wie fliehend vorbei.

Die nächsten Scenen sehr rasch.

Orlandino und Rosina aus dem Garten.

Orlandino. Rosina!

Rosina. Warum belügt Ihr mich? Dort ist kein Schlafgemach – gewiß nicht das Schlafgemach der Herzogin, denn es ist leer!

Orlandino. Ihr wagtet es, dorthin – – ? Was ist Euch, Rosina? Was wollt Ihr von Beatrice in diesem Augenblick?

Rosina. Nun ist es zu spät.

Orlandino. Rosina!

Rosina. Ist's wahr, daß Ihr mich liebt?

Orlandino. Rosina!

Rosina. Und wärt bereit, Alles zu thun, was ich verlange?

Orlandino. Versprecht Ihr mir das Gleiche?

Rosina. Alles – wenn Ihr –

Orlandino. Was?

Rosina drängt sich an ihn. So – Sie unterbricht sich wieder. Ihr seid zu feig dazu wie ich! Ab in den Garten.

Orlandino ihr nach.

Margerita eilt aus dem Garten in den Saal; Bruni folgt ihr.

Margerita. Ich will nicht mehr zurück – die Luft ist glühend –
Mir war's, die Flammen schlichen mir ans Kleid!
Lebt wohl!

Bruni.               Was fällt Euch ein, Marg'rita?

Margerita.                                                       Schaut –
Wie heiß sie sich umschlingen! Niemals hab' ich's
Im Tanze so geseh'n!

Bruni küßt ihren Nacken.   Wie lieb' ich Euch!

Margerita. Mich schwindelt! – Seht, die Fackeln tanzen mit,
Als lebten sie! – Laßt mich – ich bitt Euch, laßt mich!

Sie läuft, er folgt ihr in den Garten.

Malvezzi und Lucrezia treten auf.

Lucrezia. Nun wißt Ihr Alles. 's ist ein hoher Preis.

Malvezzi. Ich nehm's als witz'gen Einfall. Ja, ich seh',
Ihr wollt mich schrecken.

Lucrezia.                                 Nein, es ist ein Schwur,
So heilig, als Ihr jemals einen thatet.

Malvezzi. Und wenn Ihr mich so sehr entzückt, Lucrezia,
Daß ich's drauf wage? Einmal Euch umschlingen –

Paare vorüber in den Garten.

Lucrezia. Und dann vorbei für immer alle Freuden?
O, dankt mir, daß ich ehrlich bin 'gen Euch.
Ich sag' Euch, jede Andre, die Euch sah
Und so begehrenswert Euch fand wie ich,
Verschwiegen hätt' sie ihren Schwur und Euch
Im Taumel eines Kusses ihre Nadel
Ins Herz gestoßen.

Malvezzi.                     Doch bedenkt auch das:
Ich bin gewarnt, ich kann mich vor Euch hüten,
Geschmeidig bin ich, Euerm Arm kann ich,
Wann's mir beliebt, rasch mich entwinden.

Lucrezia.                                                           Glaubt Ihr?

In diesem Augenblick läuft Isabella vorüber, indem sie sich die Kleider vom Leibe reißt.

Isabella wie im Taumel. O, warum ist der schönste Jüngling nicht schön genug –? warum ist der stärkste Mann nicht stark genug –? warum ist die tiefste Wollust noch immer keine Lust? Ich sterbe vor Sehnsucht! Vorbei in den Garten.

Lucrezia. Ist die nicht schöner, als ich bin? Ich bitt' Euch,
Nehmt sie an meinerstatt. Ihr dauert mich,
Seid jung und liebenswürdig.

Malvezzi.                                     Jedes Wort
Füllt mich aufs Neu' mit Glut! O kommt!

Lucrezia.                                                         Wahrhaftig, –
Mich schauert vor der rätselhaften Macht,
Die aus Florenz in diese Stadt mich sandte,
Um Euch –

Malvezzi.         Zu lieben, herrlichste Lucrezia!

Beide in den Garten.

Einige junge Adlige in der Halle.

Erster in den Garten sehend. Wer ist die?

Zweiter. Ich kenn' sie nicht. Ich habe sie nie gesehen.

Dritter. Sie ist aus Florenz.

Erster. Wie ihre Haut flimmert im Schein der Fackeln!

Zweiter. Ich habe nie geahnt, daß Frauen so schön sein können!

Erster. Wie sonderbar! Nun wagt sich Keiner hin; ganz allein steht sie da.

Zweiter. Sie sinkt hin – sinkt hin – Alle in den Garten.

Rosina kommt.
War das nicht meiner Nächte heiße Sehnsucht,
Von wilden Armen so umfaßt zu sein,
Auf meinem Hals begier'ge Lippen fühlen
Und meinen ganzen, wundgeküßten Leib
Hingeben trunk'nen Augen so wie die!
Und jetzt, da die erwünschte Stunde kam,
Durchschauerts mich vor jeglicher Berührung,
Und mein Verlangen ward zum Haß.

Bennozzo eiligst vom Garten herkommend. Rosina!

Rosina fährt zusammen.
Du bist's? Du wagtest Dich herein?

Bennozzo.                                               Dich such' ich!
Rosine Dich! Was ist das für ein Fest?
Gott auf den Knieen dank' ich, daß Du hier!
Wie bebt' ich, daß Du Eine warst von Diesen,
Die auf den Wiesen unter Bäumen liegen
Und lachen, seufzen, schrei'n, und deren Antlitz
Ich nicht erkennen wollte – Wohin starrst Du?

Herzog kommt von links.

Rosina hat ihn erblickt; der Herzog geht auf sie zu, Bennozzo weicht erschrocken zurück.

Herzog ruhig zu Rosina.
Du wirst mir sagen, wo sie ist!

Rosina sieht ihn starr an.

Herzog.                                           Nun – hörst Du?
Wo Beatrice ist!

Rosina.                       Sie ist nicht dort,
Wo Ihr sie suchtet?

Herzog.                         Deine Augen glänzen,
Wie wenn ein arger Streich gelang. Ich fragte,
Wo Beatrice ist – verstehst Du mich?

Rosina wie jubelnd.
Sie ist nicht dort? Ist's wahr, sie ist nicht dort?

Herzog. Du sollst mir sagen, wo sie ist!

Rosina.                                                     Ich weiß nicht.

Herzog. Lüg' nicht!

Rosina.                     Ich lüge nicht!

Herzog.                                           Noch gestern schliefst Du
Mit Beatricen in der gleichen Kammer, –
Wenn's Eine wissen kann, bist Du's!

Rosina.                                                     Ich schwör' Euch
Bei allen Heil'gen, Herzog. ich weiß nichts!

Herzog. Warum dies Lächeln dann, als hätt' ein Glück
Ich Dir verkündet?

Rosina.                         Weil – Ihr's thatet, Herr!

Herzog. nachdem er sie lange betrachtet.
Und ahnst auch nicht –

Rosina.                                 Ahnt' ich's, so schwieg ich nicht!

Cosini ist eingetreten.

Herzog. Cosini, ruf' mir augenblicks den Bruder
Der Herzogin herbei.

Cosini.                               Man sah ihn nicht.
Er hielt sich fern.

Herzog.                       Man such' ihn, bring' ihn her!

Cosini ab; kommt bald wieder mit Magnani.

Herzog zu Rosina.
Und Deine Mutter schaff' Du mir zur Stelle!
Den Vater auch!

Rosina zu Bennozzo.   Sahst Du die Eltern nicht?

Bennozzo. Gewiß. Sie stehen Beide vor dem Thor,
Man ließ sie nicht herein, die Wachen höhnten:
So'n häßlich altes Weib, das dürfe nicht
Ins Schloß! Und als sie rief: Ich bin die Mutter
Der Fürstin! lachten Alle.

Rosina.                                     Geh' und hol' sie!

Bennozzo ab.

Herzog zu Cosini und Magnani, die dastehen, ohne eine Frage zu wagen.
Die Herzogin ist fort.

Cosini.                               Ist fort? Wie das?

Herzog. Verschwunden.

Magnani.                         Ist es möglich?

Herzog.                                                     So unsäglich
Genarrt bin ich! Von wem? Von ihr? Von Allen?
Erweisen soll sich's bald! Man bringe
Zum Schweigen die Musik! Das Fest ist aus!
        Musik verstummt.
        In den Garten.
Hört Ihr? 's ist aus! Jagt diese Dirnen fort
Aus Schloß und Garten! Diese Nackte dort
Mit Peitschenhieben! Und ein Ende macht
Mit Mariscotti.
        Die alten Nardis sind gekommen; Wachen hinter ihnen, auch Bennozzo.
                          Wo ist Eure Tochter?
Wo habt Ihr sie versteckt? Wieviel bezahlt Euch
Der Borgia oder einer seiner Schurken
Für diesen prächt'gen Spaß?

Fr. Nardi. Euere Hoheit, Eure erhabene Hoheit – Gnade – Gnade! Ich bin unschuldig! Ich habe Beatrice nicht versteckt! Ich weiß nicht, wo sie ist, bei allen Heiligen schwör ich, daß ich nicht weiß, wo das unglückselige Kind ist!

Herzog zum alten Nardi.
Sprich Du! Nun, hörst Du nicht?

Der alte Nardi klatscht in die Hände und lacht.

Herzog.                                             Spielt der den Narr'n?

Fr. Nardi. Eure Hoheit, wie würde er solches wagen? Mein Mann ist verrückt, wirklich verrückt, schon lang, seit vielen Jahren schon. Eure Hoheit – ich bin schuld daran, ich hab' ihn dazu gemacht. Seht, wie wahrhaftig ich bin, ich gestehe es ein, so wahrhaftig bin ich! Ich elendes Weib habe ihn dazu gemacht mit meinen Sünden, und er weiß so wenig wie ich, wo Beatrice ist!

Herzog.
Kein Haar wird Dir gekrümmt, was Du auch sagst,
Sprich frei! Mein fürstlich Wort: Dir droht nicht Strafe!

Fr. Nardi. Ich kann nichts sagen – ich weiß nichts – auch auf der Folter könnt' ich nicht mehr sagen! War denn jemals eine Mutter so hochbeglückt als ich, da der Herzog meine nied're Tochter zur Gattin wählte?

Herzog. Weib! Du gebarst sie, zogst sie auf, Du hast ihr,
Eh' sie zur Hochzeit ging, das Haar gekämmt –
Sie sprach zu Dir! Was sprach sie, eh' sie ging?
Wo war sie gestern früh, wo gestern Abend?
Nenn' mir die Menschen alle, die sie kennt!

Fr. Nardi. Eure Hoheit, sie kennt Niemand, als die Gewerbsleute, die in unserer Nähe wohnen, ihre Frauen und Kinder. Lauter harmlose, brave Leute – da ist zum Beispiel Einer, der heißt Capponi, und ein Anderer – – aber wie kann ich alle die Namen nennen? Und sie lebte wie alle jungen Mädchen unseres Standes. Sie war ein braves Kind – beim Himmel, sie war ein braves Kind! Nie ging sie allein fort!

Rosina. Das ist nicht wahr! Gar oft ging sie allein.

Fr. Nardi. Nun, und wenn sie allein ging? Wohin denn anders als vor die Thore, auf die Wiesen, spazieren, und wenn wir sie suchten, brauchten wir nie weiter zu gehen, als bis zu dem Hügel, wo das Kloster San Luca steht. Da lag sie im Grünen vor den Mauern, und manchmal war sie da eingeschlafen. Und dann weckten wir sie –

Herzog. Schwatz' nicht so unnütz! Du weißt mehr, Rosina!

Rosina. O Herr, ich schwör' Euch, – wüßt' ich, wo sie finden,
Ich schleifte selbst sie her; daß Ihr die Schmach,
Die sie Euch zufügt, ahndet nach Gebühr!

Herzog. Was ich zu thun gedenke, steht bei mir.
Wär' sie nur da! Ich muß sie wiederhaben!
Was trieb sie fort, und welche Macht war wirksam –?

Guidotti kommt aus dem Garten.
Mein Fürst, es ist nach Euerm Wort geschehn.

Herzog sieht ihn an, ohne zu antworten; spricht dann weiter.
Hatt' ich sie doch gekannt! Hätt' ich die Stunde,
Die eine nur genutzt, so kannt' ich sie,
Und wüßte, wer sie ist, und was sie lockte;
Ob sie ein Kind noch war, ob sie vertraut
Mit Zärtlichkeit und Trug, ob sie verschlagen,
Ob ohne Falsch. Doch diese Fragen trinken
Den Sinn aus der Gewißheit eines Morgen –
Was kümmern sie in einer solchen Nacht?
Und jetzt dürst' ich nach Antwort so, als stünden
Endlose Reihen künft'ger Tage da;
Ins Unermess'ne reckt sich meine Sehnsucht,
Und alles Andre wird zu nichts. Gleichgültig
Seid Ihr mir Alle und was Euch bedroht,
Gleichgültig meine Stadt; die Schlacht von morgen
Ein sinnlos blutiges Gezänk, da mir
So wenig Abscheu gegen Cesar blieb,
Als Liebe für Bologna und für Euch!
Mein ganzes Leben ist zusamm'gepreßt
In dieses Eine: – Wo ist Beatrice?
Was ist's, das so unsäglich mich verwirrt?
Nicht ird'sche Lust, alltägliches Verlangen
Nach einem schönen Weib hat so viel Macht –
Es kündet also höhere Bestimmung,
Des Schicksals Wille sich gebiet'risch an.
Schafft Beatrice mir, so bin ich Euer,
Wie ich's gewesen, und ich mach' Euch frei!
Bringt sie mir wieder, und Bologna wird
Von allen Städten dieses Lands die erste!
Schafft Beatrice mir, so wird der Adler,
Der mit zerschoss'nem Flügel niedersank
Vor San Petron, den Borgia selbst bedeuten,
Dem hier sein Ende wird – nicht mich!

Einige. Die Herzogin!

Beatrice ist im Garten erschienen. – Ungeheures Erstaunen.

Herzog. Beatrice!

Schweigen.

Beatrice bleibt anfangs zwischen den Säulen stehen.
So war ich länger fort, als ich gedacht.

Herzog. Wo kommst Du her?

Beatrice.                                 Ich komme aus der Kirche.

Herzog. Was thatest Du?

Beatrice als spräche sie nach. Gebetet hab' ich dort
Für Euch, für mich, für Alle.

Herzog.                                       Hast gebetet?

Beatrice mit wachsender Sicherheit.
Bei San Petron.

Magnani zu Cosini.   Das ist unmöglich!

Cosini.                                                     Schweigt!

Herzog. Du hast gebetet? Jetzt? In San Petron?

Beatrice. Unwiderstehlich zog es mich dahin.

Rosina. Du lügst!

Herzog zu Rosina. Laßt sie! Zu Beatrice. Was war es, das Dich hinzog?

Beatrice. Es senkte wie Erleuchtung sich herab,
An solchem Ort in solchem Augenblick
Sei mein Gebet von tiefster Kraft erfüllt.

Rosina. Seht, wie sie zittert!

Herzog.                               Schweige! ZuBeatrice. Du sprich weiter
Und hab' nicht Furcht.

Beatrice.                           Sie seh'n mich Alle an –
Doch zittr' ich nicht. Es nah'n die Morgenschauer,
Die fühl' ich früher als die andern Menschen.

Herzog. Weht's aus dem Garten Dich so fröstelnd an,
So führ' ich Dich in wohlverschloss'nen Raum,
Dort sollst Du mir erzählen, mir allein,
Was ich Dich frage. Wahrlich, wie Du bebst!
Komm, Beatrice, nimm den Schleier um,
Daß Deine Haut die Schauer minder fühle.

Beatrice greift nach ihrem Hals, merkt, daß sie ohne Schleier ist, zuckt zusammen.

Herzog. Wo ist er?

Beatrice.                 Nun, ich ließ ihn wohl zurück.

Rosina. Nein, als Du fortgingst, warst Du drein gehüllt!

Herzog. Du sahst sie gehn?

Rosina.                               Ja, doch ich ahnte nicht,
Daß sie zur Kirche wollte.

Beatrice.                                   In der Kirche –
Ja, ganz genau, dort liegt er – vor'm Altar –
Wenn er nicht auf der Straße mir herabglitt
Von meinen Schultern!

Magnani.                             Herr!

Cosini.                                           Schweigt doch!

Magnani.                                                                 Verzeiht
In Gnaden mir, mein Fürst, die Fürstin lügt!

Bewegung.

Herzog. Was wagst Du?

Magnani.                         Nach Vollzug der heil'gen Handlung
Ließ ich die Thüren sperren, denn mir ahnte,
Daß frische Weih'n dem Gotteshaus geziemten,
Das diese hier betrat. Ich selbst als letzter
Verließ die Kirche, dann die Sakristei –
Die Herzogin kommt nicht von San Petron!

Schweigen.

Herzog. Wo warst Du? Rede! Und wo blieb der Schleier?

Beatrice. Ich weiß nicht, wo er ist. Nun ist er fort.

Herzog. Schaff' mir ihn her!

Beatrice.                               Ich soll –

Herzog.                                                 Du sollst mit mir
Den Schleier holen, wo Du ihn verlorst.

Beatrice. Ich kann nicht.

Herzog.                           Wie? Ist, was mich dort erwartet,
So über alle Maßen schauervoll,
Daß Du Dich schwerer'n Grimms von mir versiehst,
Als wenn Du weigerst, was ich Dir befehle?
So höre, Beatrice, Dir ist Alles,
Wie ungeheuer Deine Schuld sich zeigt,
Schaffst Du den Schleier, ist es Dir verzieh'n.
War's frevler Anschlag wider Deinen Herrn
Im Bund mit meinen Feinden, war's ein Werk
Gottloser Zauberei, das Du versucht,
War's frühe Untreu wider Deinen Gatten –
Ich bin bereit, so gänzlich zu verzeih'n,
Daß Du als Herzogin rückkehrst ins Schloß,
Wär's auch von einem höchst verruchten Ort.
Willst Du noch mehr, so sprich!

Beatrice.                                           Ich kann nicht hin!

Herzog. Bedenke, was Du sagst!

Beatrice.                                     Ich kann nicht hin!

Herzog. Verstandst Du mich denn nicht? Dir droht nicht Strafe,
Du bleibst die Fürstin, und Du bleibst mein Weib, –
Und bin ich nicht mehr hier, liegt's diesen ob,
Beim letzten Schwur, den ihre Treu' mir leistet,
Dein Haupt wie ein unschuld'ges zu beschützen.
Doch nun die Wahl. Schaffst Du den Schleier nicht –

Beatrice. Ich kann nicht, Herr!

Herzog.                                   So jag' ich Dich davon!

Beatrice schaut ihn zuerst groß an, dann wendet sie sich, als wollte sie gehen.

Herzog. Was willst Du thun?

Beatrice.                                 Ihr sagt's ja. Ich muß geh'n.

Herzog. Nicht so! nicht gleich! Im Schein der ersten Sonne,
Mit wüsten Haaren und zerriss'nem Hemd –
Als meine Hure, allem Volk zum Spott
Laß' ich von Knechten über'n Hof Dich treiben!

Beatrice. Thut, was Ihr müßt. – Den Schleier hol' ich nicht.

Magnani. Nicht Schmach ist's, was dergleichen Frauen schreckt.

Herzog. Bedenk's ein letztes Mal. Dich zu bestrafen
Gebricht's mir nicht an Macht. Erspar' es mir,
Sie bis an ihre Grenzen auszudenken!

Fr. Nardi. Beatrice – mein Kind! Der Fürst ist ja so gnädig!

Beatrice. Ich kann nicht hin!

Herzog.                                 Dein letztes Wort?

Beatrice.                                                             Es ist's.

Herzog nach einer kleinen Pause.
Somit erklär' ich Beatrice Nardi
Verlustig ihres herzoglichen Rangs
Und sende sie zurück, woher sie kam.
Euch übergeb' ich sie, Carlo Magnani,
Zu schleunigem Gericht und Urteilsspruch –
Mir kündet die Vollstreckung früh am Morgen.
        Wendet sich zu gehen. Langsam links die Stufen hinauf.

Magnani. Dank, Fürst, für den gesegneten Entschluß!

Beatrice. Wo geht er hin? Was soll mit mir gescheh'n?

Fr. Nardi. Mein Kind, Du sollst sterben! Verstehst Du denn nicht, Du sollst sterben!

Beatrice angstvoll. Sterben? Sterben?

Magnani zu den ringsum versammelten Edlen.
Ihr Herrn, uns bleibt kaum Zeit, die Form zu wahren.
Und da mir unbeschränkte Vollmacht ward,
So wähl' ich Euch, Ihr edeln Herren alle,
Die Zeugen dieses unerhörten Falls,
Als Richter, mir vom Schicksal beigesellt,
Und klage diese: Beatrice Nardi
Vor so berufnem Kreis und allem Volk
Der Hexerei und des Verrates an,
Und trage an, trotz des verjährten Brauchs,
Der martervoll're Bußen auferlegt,
Der fürstlichen Vergangenheit gedenkend,
(So kurz sie währte und so schlimmer Art
Sie auch errungen ward, so bleibt sie fürstlich:)
Auf Tod durchs Schwert und noch in dieser Stunde.

Beatrice schreit.
Ich will nicht sterben! Nein, ich will nicht sterben!
Tot sein ist fürchterlich! Ich will nicht sterben!

Magnani. Führt sie hinab!

Beatrice.                             Ich will den Schleier bringen!
        Zu Knechten, die sie ergreifen wollen.
Laßt mich!

Magnani.         Führt sie hinab!

Beatrice.                                   Hört Ihr mich nicht?
Ich will den Schleier holen! Ruft den Herzog!

Magnani. Es ist zu spät.

Fr. Nardi. Es ist nicht zu spät! Man will eine Unschuldige umbringen! Eure Hoheit! Ich will schreien, daß die Mauern zusammenstürzen! Der Herzog soll wiederkommen!

Magnani. Der Teufel hol' die Alte!

Guidotti kommt aus dem Garten, in größter Erregung.
Ihr Herren, wer sah von Euch das junge Weib,
Das mit Malvezzi war vor einer Stunde?

Zampieri. 's war Eine aus Florenz.

Andere.                                         Was ist's mit der?

Ganz im Hintergrund des Gartens sieht man eine Leiche vorübertragen.

Herzog von der Terrasse aus, dem Publikum unsichtbar, sehr laut.
Ist's Mariscotti, den die Leute tragen?
Zur Mauer von Isaia mit dem Leichnam!
Hinausgeschleudert das verruchte Haupt,
Auf daß sie's finden, wenn die Sonne aufgeht!

Guidotti. Dafür hab' ich gesorgt. Doch dieses, Herr,
Ist des Malvezzi Leich'. Bewegung. Im Grase lag er;
Von dieser Nadel war sein Herz durchbohrt.

Einige. Die Florentinerin!

Andere.                             Man suche sie!

Einer. Kein Weib ist mehr im ganzen Schloß zu seh'n.

Zampieri. Sie kam mit der, die man hinausgepeitscht.

Zweiter Adeliger. Leicht kenntlich, denk' ich, wird die Allen sein!

Erster Adeliger. Die stürzte hin am Thor – die sagt uns nichts mehr!

Beatrice ist in den Garten gestürzt, hat sich niedergeworfen, sieht zur Terrasse auf; flehend.
O Herr!

Herzog.       Grau'nvolle Nacht! Er beginnt langsam die Stiegen herunterzukommen.

Beatrice.                                   Ich habe Furcht –
Sie töten mich – und ich will leben, Herr!
Den Schleier hol' ich Euch – – ich will nicht sterben!
O kommt, ich bitt' Euch!

Magnani.                               Herzog, hört sie nicht!
Es bringt Gefahr – geht nicht!

Herzog ist auf den letzten Stufen.

Beatrice.                                         Nehmt meine Hand!

Herzog. Was soll mir Deine Hand?

Beatrice.                                         O bitte, nehmt sie!
Ihr müßt sie halten – müßt sie immer halten!
Das Eine thut mir: laßt mich nicht allein,
Wenn ich mit Euch dahin geh'! Und noch Eins –
Das fleh' ich – fragt mich nicht – ich fleh' Euch an –
Fragt mich um nichts!

Herzog.                             Bin ich erst dort mit Dir,
Was brauch' ich noch zu fragen!

Beatrice.                                           Schwört mir das,
Daß Ihr nichts fragt, und haltet meine Hand!

Herzog. Ich halte sie.

Beatrice.                     So kommt!

Sie zieht ihn nach hinten; Magnani scheint folgen zu wollen.

Herzog.                                           Daß Niemand folge!
Hört Ihr? Bei Strafe seines Lebens – Keiner!

Alle bleiben wie gelähmt stehen. In diesem Augenblick kommt Francesco, der mit größtem Erstaunen Alles sieht und nach vorn stürzt, als wenn er Jemanden etwas fragen wollte.

Rosina schreit. Feiglinge! Feiglinge!

Vorhang.


 << zurück weiter >>