Arthur Schnitzler
Der Schleier der Beatrice
Arthur Schnitzler

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Dritter Akt.

Im Hause des Filippo Loschi. Geräumiges Gemach. Rechts hinten ein alkovenartiger Raum, zu dem drei Stufen hinaufführen; schwere dunkelrote Vorhänge, halb gerafft, scheiden ihn von dem Hauptraum. Im Hintergrund ein großes Fenster. geschlossen, Blick auf die Thürme der Stadt. Rechts vorn eine Thüre, links die Thüre, welche auf die Terrasse führt, offen. In der Mitte des Gemachs, etwas mehr gegen links, ein gedeckter Tisch, auf dem zwei Armleuchter stehen, jeder mit fünf Kerzen, die herabgebrannt sind; auf dem Tisch Reste eines Mahls; um den Tisch Stühle. Ein kleines Tischchen nahe dem Fenster. Isabella, Lucrezia, die Musikanten, Filippo. Isabella sitzt auf einem Sessel am Tisch, schläft mit herunterhängenden Armen. Lucrezia liegt auf den Stufen, die zum Alkoven führen, den Kopf auf der obersten. Der erste Geiger liegt auf der Schwelle der Terrassenthüre ausgestreckt. Der zweite Geiger schläft auf einem Sessel nahe dieser Thüre. Der Lautenspieler auf einem Stuhl, den Kopf auf dem Tisch. Der Flötist liegt vor dem Tisch im Vordergrunde ausgestreckt. Filippo kommt eben die Stufen vom Alkoven herab, langsam durch den Saal nach vorn.

Filippo. Sie schlafen Alle, Frau'n wie Musikanten.
Hier auf dem Boden stumme Instrumente,
Die leeren Gläser da, noch feucht ihr Grund,
– So viel Gefäße ausgerauchter Freuden!
War nicht, wie Satan in den Zauberring,
In diese eine Stunde alle Lust
Der Welt geschlossen? Heiße Trunkenheit,
Musik, Umschlungensein von weichen Armen –
Was blieb zurück? Nichts als befreites Atmen,
Daß es vorbei, und Sehnsucht nach Alleinsein!
So wär' auch Dieses ohne Sinn versucht,
Und nichts mehr weiß ich, was mich hält, zu gehn!
        Nach einigem Sinnen.
Doch Eins! Ein Wort, im Anfang kaum vernommen,
Nun klingt es laut und lauter in mir fort,
Als griffe mit bewegtem Fingerspiel
Die Hoffnung selbst an meiner Seele Saiten.
Wenn's Wahrheit würde, und sie käme wieder,
Und dürft's doch nur, um hier mit mir zu sterben!
Dies wäre, und nur dies allein Besitz!
        Pause.
Ist dies nur meiner Feigheit neu'stes Kleid?
Herab mit ihm! Nun steht sie nackt und höhnt:
Du kannst allein nicht fort, noch jetzt verlangt's
Nach Beatrice Dich; und wie ein Kind
Sich eine Puppe mitnimmt in sein Bett,
So willst Du sie ins Nichts hinübernehmen,
Die Dich nicht faßt, sich nicht und nicht das Nichts!
        Pause.
        Nach einem Sinnen, wie erwachend. Ruft.
Wacht auf! Die Nacht ist weit!

Zweiter Geiger erhebt sich kerzengrade vom Sessel und knickt gleich wieder zusammen.

Der Flötist auf dem Boden, greift nach seiner Flöte und bläst einen Lauf.

Der Lautenspieler schläft weiter.

Erster Geiger streckt sich, nimmt den Bogen, klopft auf den Fußboden, als wenn er das Zeichen zum Beginn gäbe. Also vorwärts! Er erhebt sich. Entschuldigen Euer Gnaden, ich bin nur einen Augenblick eingenickt!

Filippo. Ein Augenblick? So schlieft Ihr stundenlang!
's ist Mitternacht vorbei!

Der erste Geiger tippt dem Lautenspieler mit dem Bogen auf den Kopf. Auf, auf!

Alle Musikanten erheben sich und stellen sich auf der Terrasse auf, bleiben aber sichtbar.

Isabella ist erwacht, lächelt, schaut Filippo mit großen Augen an. Mein schöner Filippo!

Filippo. Ich hoff', Ihr ruhtet wohl und träumtet süß!

Isabella. Doch war nicht Alles Traum, nicht wahr, Filippo!

Filippo. Ich weiß wahrhaftig nicht!
        Die Musikanten spielen.
Genug! Ich sagte schon: Das Fest ist aus!
Ihr sollt nach Hause gehn – Ihr Alle mein' ich!

Er sieht mit einem flüchtigen Blick Isabella und dann Lucrezia an, die, gleichfalls erwacht, auf den Stufen des Alkovens sitzt und den Filippo betrachtet.

Isabella. Du schickst uns fort? Und mitten in der Nacht?
Bist Du so jung und bist so rasch ermüdet?
Und wohin soll man gehn zu solcher Stunde?

Die Musikanten bereit, fortzugehen. Gute Nacht, gnädiger Herr! Vielen Dank! Gute Nacht! Gute Nacht!

Filippo. Euch ist gewiß bekannt, wo man heut' Nacht
Noch fröhliche Gesellschaft findet. Führt
Die beiden Mädchen hin!

Isabella. Doch bringt uns in die lustigste Gesellschaft!
Zu Jünglingen, die gestern heimgekehrt
Aus einem Krieg und morgen wieder fortziehn –
Ich liebe Jugend nicht, die sparsam ist!
Zu Männern, die man morgen früh zum Tod führt,
Bringt mich, daß keine Scham die Lust verkürze!

Filippo. Dergleichen find'st Du heut' genug!

Isabella.                                                       Doch wollt' ich,
Du wärst von diesen einer, mein Filippo!

Lucrezia ist herbeigekommen.
Ich weiß, warum Du alle wegschickst!

Filippo.                                                         Wie?

Lucrezia. Du willst mich ganz allein bei Dir behalten!

Filippo. Was fällt Dir ein? Geh' mit den Andern!

Lucrezia.                                                             Nein.
Filippo, dies ist nicht Dein Ernst!

Filippo.                                                 Gewiß!
So ernst, als das Gleichgült'ge immer sein kann!

Lucrezia. Du bist kein Lügner, und Dein Auge sprach:
Lucrezia, bleib'!

Filippo.                       Wann hätten meine Augen das
Gesagt?

Lucrezia.     Vor einer Stunde, da sie tief
In meine tauchten.

Filippo.                         So? Ich weiß nicht mehr. Er wendet sich entschieden ab.

Lucrezia schmerzlich.
Du schickst mich nicht fort!

Filippo.                                         Ganz gewiß, Lucrezia!

Lucrezia. Wohin?

Filippo.                   Thörichte Frage! Geh', wohin Du willst!

Lucrezia. Filippo, ich bin treuer als die Andern!

Filippo. Seit wann?

Lucrezia.               Seit ich Dich sah! Laß diese fort sein,
So wirst Du seh'n, wie treu!

Filippo.                                         Für eine Nacht!
Für einen Augenblick!

Lucrezia.                           Und doch für immer!
        Sie zieht ein kleines Fläschchen aus ihrem Busen.

Isabella zu den Musikanten.
Ich nehm Euch Alle mit mir nach Florenz.
Dort sollt Ihr meine Hauskapelle sein!
        Zu Lucrezia gewendet.
Ich will so eine haben wie die Flavia!
Lucrezia, Du – bleibst Du? Wir Andern geh'n!

Filippo. Wart' nur, sie geht mit Euch.

Lucrezia flehend.                               Filippo, laß mich
Bei Dir! Sieh', was ich thu'!
        Sie leert aus dem Fläschchen einige Tropfen in ein Weinglas.

Filippo.                                         Ein Liebestrank?
Dies faßt' ich nie, daß solcher Sieg Euch freut!

Lucrezia. Den hätt' ich insgeheim ins Glas geleert.
Das ist ein and'rer.

Filippo ernster.               Und was soll's damit?

Lucrezia. Behältst Du mich nur diese Nacht bei Dir,
Beim ersten Grau'n der Früh' will ich ihn trinken,
So glaubst Du wohl, daß ich die Treu' Dir halte.

Filippo. sieht sie an, greift nach dem Glas, als wollte er den Trank auf den Boden leeren. Im selben Augenblick ertönt die

Stimme Ercole's im Garten.
Filippo!

Isabella.       Deinen Namen ruft man, hörst Du?

Filippo aufmerksam werdend.
Ich höre. He! wer ist's?
        Er stellt das Glas auf das Tischchen neben dem Fenster.

Ercole näher.                       Ich – Ercole!
        Er erscheint in der Thür.

Filippo höchst erstaunt.
Du bist's? Wo kommst Du her? Was willst Du hier?

Ercole sich vor den beiden Mädchen verbeugend.
Ich finde mehr, als ich gehofft. Filippo –
Nun bin ich nah' daran, Dich zu versteh'n!

Filippo. Was willst Du? frag' ich noch einmal. Wie kommst Du
Zu dieser Zeit, auf diesem Weg zu mir?

Ercole. Nicht meine Schuld ist's, daß ich diesen wählte.
Ich klopft' an Deine Thür, es war vergeblich,
Kein Diener that mir auf.

Filippo.                                   Ich hab' sie fortgeschickt!
Heut' Nacht soll Jeder leben, wie's ihn freut.

Ercole. Das thun sie wahrlich in Bologna heut'!
Vor Deinem Fenster rief ich dann – umsonst!
Zur Thür des Gartens eilt' ich – fest verschlossen!
So blieb mir nichts, als über Deine Mauer
Zu klettern, und ich that's und bin bei Dir!

Filippo. Ist, was Du bringst, so wichtig, daß sich's lohnt,
Den Hals zu brechen?

Ercole.                               Wichtig? –– Nicht für Dich!
Auch komm ich nicht zu Dir und bring' Dir nichts;
Den schönen Damen hier gilt mein Besuch.

Isabella lachend. Was ist das für ein Mensch? Kennt Ihr uns denn?
Und kennt Ihr uns, wer wies Euch denn hierher?
Gewiß – Tibaldi war's!

Ercole.                                 Den kenn' ich gar nicht!

Isabella. Nigetti!

Ercole.                 Diesen Namen hört' ich nie!
Doch Euch, Ihr schönen Mädchen, kenn' ich gut.

Isabella. Ich sah Euch nie!

Ercole.                               Ich erst in dieser Stunde.
Doch weiß ich ganz gewiß, käm' Euch die Laune,
All die zu Tisch zu laden, die Ihr liebtet,
Ihr müßtet Stühle von den Nachbarn leih'n.

Isabella lachend. Ich hoff', Ihr seid nur mitternachts so frech!

Ercole zu Lucrezia.
Ihr aber, da Ihr dreizehn Jahre zähltet,
Habt solche Fragen an die Nacht gethan,
Daß sie allein durch eines Jünglings Mund
Euch die ersehnte Antwort geben konnte.
Wagt nun zu sagen, daß ich Euch nicht kenne,
Weil Eure Namen mir verschwiegen sind!

Filippo. Ich kenne Leute von mehr Witz, die nicht,
Ihn anzubringen, über Mauern klettern!
Sag' endlich, was Du willst!

Ercole.                                         That ich's noch nicht?
Zu einer Hochzeit lad' ich diese Schönen.

Isabella. Nun drückt er sich auf einmal vornehm aus!

Ercole. Ich spaße nicht. Zu uns'res Herzogs Hochzeit
Lad' ich Euch ein!

Filippo.                         Genug der Narrenspossen!

Ercole. Wie? Possen? Nun – doch hört!

Lärm auf der Straße.

Isabella.                                                   Was ist's für Lärm?

Filippo. Betrunk'ne treiben auf der Straß' ihr Wesen,
Wie manchmal auch im Haus.

Ercole am Fenster, reißt es auf.       Nun hört Ihr's besser!

Man hört Stimmen von der Straße; dazwischen klingt Frauenlachen.

Die Stimmen einander ablösend.
Der Herzog von Bologna lädt Euch ein!
Ihr schönen Frauen! Hochzeit giebt's im Schloß!
Weit offen steh'n die Thore, Saal und Garten –
Der Herzog von Bologna feiert Hochzeit –

Stimmen, Lachen verklingen.

Isabella. So ist es wahr?

Ercole.                             Mein Mund kennt keine Lüge!

Filippo. Was für ein Einfall? Heut' nacht – beim Himmel –
Das ist 'ne Art, die letzte hinzubringen!
Und so lädt er die Gäste?

Isabella.                                   Geh'n wir hin!
Mich dünkt, dort werd' ich finden, was ich suche!

Isabella am Fenster, Ercole bei ihr, Lucrezia tritt zu ihnen.

Filippo für sich.
Ob Beatrice auch den Ruf gehört?
Gewiß! – Ob sie ihm folgte? – Warum nicht?
Was darf unmöglich scheinen?

Isabella.                                           Aber sagt,
Wer ist die Braut?

Ercole.                           Nun kommt das ganz Verrückte!
Die Tochter eines Wappenschneiders ist sie,
Ein einfach Mädchen, sechszehn Jahr erst alt
Doch schön! – O schön!

Filippo.                                   Ihr Name –?

Ercole.                                                       Beatrice Nardi!

Filippo. Was sagst Du? Sag's noch einmal!

Ercole.                                                       Beatrice –
Doch was bewegt Dich so?

Filippo sich fassend.                     Euch doch nicht minder?
Ein einfach Mädchen – wie? – der Name war –
Verstand ich's recht – Menardi?

Ercole. Beatrice Nardi.
Der Herzog sah sie gestern auf der Straße
Und war entzückt von ihr und nahm sie sich.

Filippo sich beherrschend.
Nahm sie sich? Wie man eine Sklavin nimmt?
Er winkte, und sie folgt' ihm? Sag' uns doch,
Wie all dies sich begab! 's ist wunderbar!

Ercole. Noch wunderbarer, als Ihr denken könnt,
Geschah dies Alles. Er begegnet' ihr,
Im gleichen Augenblick, da sie – merkt auf! –
Zur Trauung schritt an des Verlobten Seite.

Filippo. Sehr wahr! Noch wunderbarer, als ich dachte!
Sprich weiter!

Ercole.                   Nun, der Herzog hielt sie an –

Stimmen auf der Straße, näher als früher.

Stimmen. Von tausend Lichtern glänzen Schloß und Garten!
Kommt, schöne Frau'n, der Herzog lädt Euch ein
Zur Hochzeit mit der schönen Beatrice!

Filippo. Er hielt sie an – und weiter –

Ercole.                                               Nun, sie sprach:
In Euer herzogliches Schlafgemach
Tret' ich als Herzogin, nicht anders ein!

Isabella. Die Unverschämte!

Filippo. Und dieser Vit – – – wie hieß er nur – ich meine –
Der Bräutigam – er ließ all dies gescheh'n?

Ercole. Der arme Junge! Keiner denkt mehr sein.

Filippo. Gab sie gutwillig hin?

Ercole.                                     Sagt' ich's noch nicht?
Aus Gram hat er sich umgebracht.

Isabella.                                                 Der Narr!

Ercole. Ein ärg'rer, als Ihr meint! Der Herzog trug ihm
Als Gattin eine reiche Dame an.

Filippo. Und sie? Erstarrt' ihr nicht das Blut zu Eis?

Ercole. Sie scheint nicht von so weichlicher Gesinnung.

Filippo. Was that sie, als er starb? Schrie sie nicht auf?
Schien sie sich elend nicht vor allen Frauen?

Ercole. Von einem Schrei ist nichts bekannt. Sie ward
Mit aller Pracht zur Hochzeit angethan,
Der Herzog kam mit herrlichen Geschenken,
Und halb Bologna folgte ihrem Weg,
Zur Kirche San Petron. In aller Form
Nahm dort der Kardinal die Trauung vor.

Isabella. Wart Ihr dabei?

Ercole.                             Gewiß. Und ein Gedränge
War in der Kirch' und auf dem Platz und solch
Ein aufgeregtes Hin und Her, das wuchs
Ins Ungemess'ne, als der Himmel selbst
Ein sonderbares Zeichen sandte.

Filippo.                                               Welches?

Ercole. Im selben Augenblick, da Bentivoglio
Vor dem Altar mit Beatrice stand,
Fiel aus den Lüften unter alles Volk,
Das auf dem Markt sich drängte, schwarz geflügelt,
Ein angeschoss'ner Adler, schlug um sich
Mit schweren Schlägen und verendete alsbald.

Isabella. Ein böses Zeichen!

Ercole.                                   Wohl! Das meinen Alle!

Filippo. Und sahst Du Beatrice selbst?

Ercole.                                                 Ich sah sie
Da sie herab der Kirche Stufen schritt.
Sie war sehr bleich, doch von der besten Haltung.
's ist die geborne Fürstin, sagten Manche,
Doch And're sagten –

Isabella.                             Daß sie ihn verhext!

Ercole. 's ist auch ein Wort wie 'n andres.

Schweigen.

Filippo plötzlich lebhaft.
Nun seht, wie rasch der Ort sich fand, die Nacht
In größ'rer Lust zu enden, als sie anfing!
Dankt diesem guten Boten, laßt von ihm
Den Weg Euch weisen und lebt wohl!

Ercole.                                                       So kommt!
Willst Du nicht mit uns geh'n, Filippo?

Filippo. Dorthin – mit Euch?

Es blitzt einen Augenblick über seine Stirn, als dächte er an alle Möglichkeiten, die sein Erscheinen zur Folge haben könnte.

Lucrezia ganz nahe bei Filippo.
Hör' mein Gelöbnis, eh' ich geh', Filippo!
Da Du der Treue Schwur verschmähst.

Isabella.                                                       Ich wette,
Sie schwört Dir was! Das ist so ihre Art.

Lucrezia.                                                         Mich wird
Kein Jüngling mehr umfangen, es sei denn
An seines Lebens letztem Tag! – Leb' wohl! –

Isabella, Lucrezia, Ercole und die Musikanten links ab.

Filippo allein, in höchster Erregung.
Sie feiert Hochzeit mit dem Herzog und
Ich warte, daß sie wiederkommt! Von mir
Geht sie nach Hause, läßt von Vittorino
Zur Ehe sich bereden, geht mit ihm
Zur Kirche, trifft 'nen Andern auf dem Weg,
Der Herzog ist, und laßt mit ihm sich trauen,
Indes der And're stirbt – ich aber warte!
Sie, jenen Sternen gleich, die einen Himmel
In einem Augenblick durchmessen, jagt
Durch eine ganze Welt, seit Abend wurde –
Und ich warte!

Die Thür rechts öffnet sich, Andrea steht da.

Filippo ihm entgegen; spricht gleich in höchster Erregung weiter.
Andrea, kommst Du endlich? Mach' es rasch!
Ich bin höchst ungeduldig, daß es ende!

Andrea in großem Befremden.
Find' ich Dich so bereit?

Filippo.                                   Was zögerst Du?
So weißt Du nichts! Ich hab' ein Wort gebrochen!

Andrea. Ich weiß –

Filippo.                     Doch weißt Du nicht, warum und wie –

Andrea. Du wirst mir's sagen. Darum kam ich her.

Filippo. So lausche gierig, wie die Rache selbst!
An Deiner Mutter Bett, die sterben wollte,
Sank ich zu Teresinas Füßen hin.
Der ich dreifache Andacht weihen mußte,
Die meine Braut, die meines Freundes Schwester,
Die einer Mutter Atem angstvoll lauschte –
Mit heißen Lippen drängt' ich an ihr Ohr.
Und Worte, jedes so verrucht und wild,
Wie man sie Mädchen zuraunt in der Schenke,
Entströmten diesem Mund. Und als sie endlich
Mit einem Blicke nur mich geh'n hieß und
Ich ging, war's nicht die Reue, die mich forttrieb,
Nur Zorn versagter Lust. – Und vor die Stadt,
Wo Spiel und Tänze waren, eilt' ich hin
Und warf mich weg, so ganz und so im Wahnsinn,
An Eine, die so völlig and'rer Art,
Daß ich wie Einer bin, der hundert Jahre
In einem Zauberreich umhergeirrt,
Wo man ihm Alles, was ihm von der Erde
Anhing, so nahm, daß fürder die Gemeinschaft
Der Menschen ihm verwehrt ist und nichts übrig,
Als was Du bringst, – und also nehm' ich's hin.

Andrea. Weißt Du nicht mehr? – So weiß ich mehr als Du,
Der nur den eignen Jammer kennt; ich fand
In stummem Wahnsinn Teresina wieder.

Filippo entsetzt zurückfahrend.
Braucht es noch dies? Und säumst Du immer noch?

Andrea. Warst Du gefaßt, von Mörderhand zu sterben?

Filippo. Nicht so . . . . ich kann's versteh'n!
        Er nimmt seinen Degen, der nah dem Alkoven an der Wand lehnt.
                                                              Nun sieh! Es soll
Ein ehrlich Fechten sein – ich will mich wehren –
Und nicht zum Schein – gieb Acht –

Andrea hat den Degen gezogen.                 Filippo – nein!
Nicht also darf ich Dich von hinnen senden.

Filippo. Es will kein Gott, kein Priester meine Beichte.

Andrea hat den Degen gehoben, läßt ihn wieder sinken.
Was ist's, das mir den Arm mit einmal lähmt?
Beim Himmel! einen Andern find' ich hier,
Als den mein Zorn gesucht: vor diesem da
Verlischt mein Haß, wie jählings ausgeblasen
Vom Sturmwind eines ungeheuren Wehs.
Wohl sucht' ich den, der unser Haus beleidigt,
In Wahnsinn meine edle Schwester trieb –
Doch den nicht minder – dem ich Freund gewesen.
Zwar töten wollt' ich, der so Vieles nahm –
Doch den beweinen, der in frühern Tagen
Mehr gab, als er uns jemals nehmen konnte –
Wie's Menschen seiner Art von Gott geschenkt.
Wohl sucht' ich einen schuldigen Filippo –
Doch wollt' ich ihn so herrlich, als er war!

Filippo erregt, fast gequält.
Was war ich denn? Von Augenblickes Gnaden
War über Andern ich ein Mensch. Doch jetzt
Tauch' ich so tief hinab, daß ich zu Knechten,
Zu Bauern auf dem Feld, mühsel'gen Trägern
Aufwärts wie zu Gebenedeiten schau'!
Jetzt neid' ich, deren Tage, aufgereiht
An eines Vorsatz' starr gewebtes Band
Gleich Edelsteinen, sich zum Dasein fügen,
Nicht schlottern, falsch' und echte durchgeschüttelt
Auf lock'rer Schnur. So einer möcht' ich sein,
Der festen Schritts und lächelnd vorwärts wandelt,
Derselbe aufsteht und zur Ruh' sich legt,
Nicht heute Gott und morgen Affe ist!
Den, der heut' seine Hochzeit feiert, neid' ich,
Den Bentivoglio, der an jedem Tag
Sein Leben trinkt aus tausend klaren Quellen,
Und jede weckt den Durst und jede löscht ihn.
Ihn drückt der Stunde Last niemals zu schwer
Und nie so leicht, daß er sich fliegen däuchte!
Wär' ich wie der, und wär' ich über Menschen
Wie über feuchtes Gras dahingeschritten,
Daß mir der Fuß vom Thau des Lebens dampft,
Das ich zertrat, so wär ich ohne Unrecht; –
Ich durft' es thun! Und trät' mir wer entgegen
Mit eines Rächers Anseh'n, lacht' ich ihm
Als einem Thoren ins Gesicht. Doch mir
Ziemt solche Kühnheit nicht. Und Deine Milde
Gießt Scham wie glüh'ndes Oel in mein Seele.
Als wer erscheinst Du hier, wenn Du nicht strafst?

Andrea. Bist Du so eilig, Dein gequältes Herz
Dem Degen eines Freundes anzubieten,
So weiß ich eine bess're Sühne – komm!

Filippo befremdet.
Wohin?

Andrea.       In eine gute, prangende Gefahr.

Filippo. Mit Dir –?

Andrea.                 Nicht weit von mir! Folgst Du mir hin
Und siehst Du noch der nächsten Sterne Glanz,
Dann will der Himmel selber nicht Dein Ende!

Filippo. Soll ich zuletzt mit falscher Münze zahlen?
Es wär' nicht ehrlich, hinzuzieh'n mit Euch,
Mich Dir und diesen Braven zu gesellen!
Ein herrliches Geschenk ist Euer Leben.
Wie mit hellgold'ner Flut ein edler Becher
Zum Rand gefüllt mit tausend Möglichkeiten.
Drin wogen Abenteuer, hoher Ruhm,
Der Jugend Reichtum, alles Glück der Welt,
Und Unermess'nes trinkt der Boden auf,
Auf den's verschwend'risch fließt in blut'gen Bächen.
Daneben meine Neige anzubieten,
Wär' so beschämend als betrügerisch.

Andrea. Jetzt eben Neige – morgen Überfluß,
Da Du's für ein Unendliches dahingiebst.
Und eh' Du gehst, geleit' ich Dich zu Einer,
Der morgen sich des Klosters Thüre aufthut,
Um nie sich ihrem Ausgang zu eröffnen.
Vielleicht bringt Deine Reu' und Dein Entschluß
Verlor'nes Licht den kranken Sinnen wieder,
Die reine Hand erhebt sich, Dich zu segnen,
Und dann, entsühnt, am Thore von Isaia
Harrst Du – mit mir – des ungeheuren Tags!

Filippo. Andrea!

Andrea.               Komm!

Filippo.                               Was zeigst Du mir, Andrea?

Beatricens Stimme draußen rechts.
Filippo!

Filippo weicht von Andrea zurück, steht wie erstarrt.

Beatrice von draußen.
Hörst Du, Filippo? Thu' die Thür mir auf!
Ich finde nicht zu Dir! Der Gang ist dunkel.

Andrea höchst erstaunt, sieht Filippo fragend an.

Filippo schweigt.

Kurze Stille.

Beatrice von draußen.
Filippo, hörst Du nicht?

Filippo.                                 Ich komme!

Andrea.                                                   Was ist dies?

Filippo. Andrea, geh! Vergiß, was ich gesagt!
Gab ich ein Wort? Erschien's Dir so? Nun denn,
Ich brach es noch einmal. In diesem Augenblick
Geschieht so Ungeheures –
Daß Alles Andre nichts wird. Geh'! Leb' wohl!

Andrea. Filippo.

Filippo. Sprich meinen Namen nicht mehr aus! Vergiß ihn!

Beatrice von draußen.
Filippo!

Filippo. Leb' wohl!

Andrea.                   Auf immer?

Filippo.                                         Ja. Hier durch den Garten –

Andrea. Filippo!

Filippo.                 Soll ich auf die Knie' vor Dir?
Dich Bitten, daß Du meinen Namen, mich
Und jedes Wort vergiß't, das ich gesprochen?

Andrea. Es ist gescheh'n! Er geht über die Terrasse ab.

Filippo schließt ab.

Beatrice ferner als früher.
Filippo!

Filippo öffnet die Thür rechts.

Beatrice noch draußen.
Dort ist's? Ich ging ganz irr. Nun bin ich da.
        Sie ist in der Thür sichtbar. Weißes Kleid, weißer Schleier um das Haupt.
Du ließest lang mich rufen.

Filippo im höchsten Staunen.         Beatrice!
Bist Du des Herzogs von Bologna Gattin?

Beatrice. Ich bin's.

Filippo.                     Und bist bei mir?

Beatrice.                                                 Du siehst es ja! –
So nimm mich doch in Deine Arme! Karg
Ist uns die Zeit gemessen, mein Geliebter!

Filippo zurückweichend.
Hinweg! Wie dunkle Schleier liegt um Dich
Der letzten Stunden Rätsel, schwer gefaltet!
Laß sie zur Erde gleiten, gleich wie den,
Der Dir das Haupt umhüllt!

Der Schleier gleitet zu Boden.

Beatrice.                                     Sieh, ich bin da,
Bereit, mit Dir den letzten Weg zu geh'n!
Thut jetzt ein Fragen not?

Filippo.                                   Du bist mir fremd,
Wie solchen Wegs Genossin mir nicht sein darf.

Beatrice. Wie anders glaubt' ich mich von Dir empfangen!
Was kann Dir alle Pracht und Buntheit sein
Vergangener Stunden, da die letzte kommt!
Sieh, wärst Du, seit ich Dich zuletzt geseh'n,
Mit hundert Teufeln durch die Luft geflogen,
Ich fragte nicht darum. Und war ich selber
An diesem Abend eine Königin,
Der sich die Welten beugen, oder war ich
Die Dirne eines Narr'n, was kümmert's Dich,
Da ich nun bei Dir bin, mit Dir zu sterben?

Filippo. Du kommst von Deinem Hochzeitsfest! Sie werden
Dich suchen!

Beatrice.             Weiß ja niemand, wo ich bin!
Und niemand sah mich geh'n und niemand folgt!

Filippo. So sprich, wie sich's begab! Du kannst nicht mehr. –
Dem, was gescheh'n ist, in die tiefste Seele
Zu schau'n, bin ich bestellt, daß ich's ergründe!
So sprich!

Beatrice.         Es ist nun einmal so! Warum
Kannst Du's denn nicht versteh'n? Weißt Du's nicht mehr?
Du hast mich fortgeschickt um einen Traum, –
Da war ich so allein, und Vittorino
Schien Zuflucht mir und Sicherheit und Ruh'.
Und als der Herzog kam und mich gewahrte,
Da dacht' ich: Nun erfüllt sich ja mein Traum.
Und herrlich däucht' es mich, die Fürstin sein
An eines Fürsten Seite, und so ward ich
Sein Weib.

Filippo.             Und warum bliebst Du nicht? Warum
Entflohst Du? Denke, was Du thatest, – bist
Als Herzogin aus Deines Gatten Schloß
Am Tag der Hochzeit, bist aus Pracht und Größe –
Aus Licht und Leben fortgestürzt zu mir!
Zu mir, den Du vor kurzer Weile lächelnd
Und weinend – Beides war um Deine Lippen! –
Verlassen, bist zu mir zurück, wo Dich
Ein kurzes und verderblich Glück erwartet!
Warum? warum?

Beatrice.                   Weil ich mich nach Dir sehnte!
Mit solcher Sehnsucht, daß sie mächt'ger war
Als Alles. Und je mehr die Stunde nahte,
Da ich Dir ganz verloren war, so mächt'ger
Rang meine ganze Seele nur nach Dir!
Mir war, nun gäb' ich alle Größe hin
Und alles Glück der Erde, Licht und Leben –
Nur einmal noch in Deinem Arm zu sein!
Und wie Erlösung aus der tiefsten Not
Flog der Gedanke auf: ich kann Dich sehen,
Ich muß nur fort von hier und hab' Dich wieder
So eilt' ich fort.

Filippo.                     Wie das?

Beatrice.                                   Die Tafel war
Zu Ende; lärmend ist das Fest, im Garten
Die Lichter flackern, Schatten seh'n wie Menschen
Und Menschen seh'n wie Schatten aus, die Thüren
Steh'n alle offen, üb'rall drängen Leute,
Und dieser Schleier hüllt mich bis zur Stirn.
Nun auf die Straße, aus des Schlosses Nähe,
Rasch fort, und durch die wohlbekannten Gassen
Im Flug zu Deinem Haus – und bin bei Dir!
Und bin's! Siehst Du, ich bin's! So ist's gekommen.
Und sieh: mir ist, es könnt' nicht anders sein.
Du fragst mich aber so und starrst mich an,
Als wär's weiß Gott wie wunderlich gescheh'n.

Filippo. sie lang betrachtend.
Nicht wunderlich, für Dich nicht! – Nein! – Du bist
Zu staunen nicht gemacht. Niemals hat Dich
Des Daseins Wunder namenlos erschreckt,
Nie bist Du vor der Buntheit dieser Welt
In Andacht hingesunken, und daß Du,
Die Beatrice ist, und ich, Filippo,
Sich unter den unendlich Vielen fanden,
Hat nie mit tiefem Schauer Dich erfüllt.
Und daß Dein Vater toll, füllt nicht mit Bangen,
Daß Vittorino starb, der Dich geliebt,
Nicht mit dem fürchterlichsten Graun Dein Herz.
Und daß Du Fürstin von Bologna bist,
Macht Dich so wenig staunen, Beatrice,
Wie wenn sich eine Mück' auf Deine Hand setzt.
Und wenn Gespenster aus dem Grabe kämen,
        Beatrice zittert.
Ich weiß, sie schreckten Dich, – wie Fledermäuse –
Doch auch nicht mehr und nicht auf andre Art.
Und Du hast Recht. All dies, was Dir gescheh'n,
Ist nichts. Des Lebens Unruh' und Verwirrung
Mit allem rätselvollen Licht und Lärm,
Mit aller Angst und allen Wonnen – nichts
Zu dem, was noch bevorsteht, Beatrice,
An diesem Ort, der keine Rückkehr schenkt.

Beatrice. Den sucht' ich.

Filippo.                             Doch begreifst Du's? Schau um Dich.
All dies ist Dasein – das bist Du, das ich,
Hier unten ruht die Stadt, drin atmen Menschen,
Dort stürzt ins Weite Straß' und Straße hin
Ins Land, ans Meer, – und überm Wasser wieder
Menschen und Städte; – ober uns gebreitet
Dies blauende Gewölbe und sein Glanz,
Und alles dies ist unser, denn wir sind!
Und morgen schon gehört es uns so wenig,
Als alles Lichtes Wunderfülle Blinden,
Gelähmten aller Wege Lust und Fernen.
Bedenk': ein hundertjähr'ger Greis ist jünger,
An Hoffnung reicher, als wir Beide sind –
Verstehst Du das?

Beatrice nickt.

Filippo auf die Kerzen deutend.
                              Sind diese hier erloschen,
So sind wir's längst – verstehst Du's, Beatrice?
Dein schöner Leib, den ich umschlungen halte,
Durchrauscht von Deinem heißen Blut, ist nichts
Als eine Sache, wen'ger als ein Stein;
Der bleibt, auch hingeschleudert, was er war,
Du aber, die jetzt duftet und erbebt,
Sehnsücht'ge Wünsche Jedem, der Dich sähe,
In allen Sinnen regte, bald bist Du
Ein Ding, davor ihm graut, am nächsten Tag
Zum Ekel ihm, Gefahr am übernächsten,
Davor man sich bewahrt und tief Dich eingräbt
Zu Andern, die vermodern. Und mich selbst,
Mich würde schaudern, Dich im Arm zu halten,
Der Haar und Kleid noch duftet, nicht der Atem!
Verstehst Du's, Beatrice?

Beatrice.                                 Ja.

Filippo.                                         Und dies:
Nur mit den armen Worten der Gewohnheit
Nennt unser Mund das Ewig-Unbegriff'ne;
Und so wie jene, die im Glanz des Lebens
Aufleuchteten, uns ist der letzte auch,
Bevor er kommt, nichts als ein Augenblick.
Doch was er birgt an ungeheuern Schrecken,
Ob wir in tausendfacher Kraft und Qual
Das abgelebte Dasein neu durchfliegen,
Ob nicht ein neues kommt, ein niegeahntes –
Ob uns im freigewählten Hingang nicht
So nutzlos schmerzensvolle Sehnsucht anfällt,
Ins Licht zurückzukehr'n, daß alle Pein,
Die wir jetzt denken können, uns erscheint,
Wie Hauch der Lüfte – Niemand hat's erzählt.

Beatrice sich an ihn schmiegend.
Nimm mich in Deine Arme!

Filippo.                                         Doch nun – Denke,
Daß Rettung möglich, wenn wir's kühn versuchen.
Schirmt uns das Schicksal, mag die Flucht gelingen
Hinaus ins Glück! Mit diesem einen Wort
Laß ich die Welt aufs Neue Dir ersteh'n!
Die Sonne geht Dir morgen auf wie heut',
Des Frühlings Blüh'n, der Erde üppig Weben,
Des Lebens Brausen ist um Dich wie heut' –
Ein Ja, wir wollen's wagen – sprich es aus!

Beatrice. Wenn das gemeint war – laß mich lieber geh'n.

Filippo. Warum?

Beatrice.             Nach solchem Tag zusammen leben,
Das könnten And're, doch nicht Du und ich!
Du quältest mich zu sehr!

Filippo.                                     Doch lebten wir!

Beatrice. Wie bald in Ekel sänken wir dahin,
Wohin wir jetzt erhob'nen Hauptes schreiten.
Wir wollen sterben, darum kam ich her.

Filippo. Dank, Beatrice! So ist's gut. Nun seh' ich,
Du bist bereit. Ränn' unser Leben weiter,
Den Schmutz der letzten Stunden brächten wir
Nie wieder fort; und die Gewißheit nur,
Daß unser Ende nah' ist, macht uns rein
Wie Kinder. Komm', laß uns des hohen Glücks
Auch ganz genießen! Er führt sie an den Tisch, schenkt ein.
                                  Komm, wir wollen trinken!
Nun sind dies keines Mahles Reste mehr.
Denn zwischen jenem Mahl und dieser Stunde
Liegt ein Entschluß, der Ewigkeiten gilt.
        Sie trinken.
Was nimmer möglich, wenn wie Irrgestalten
Hoffnung und Angst in uns're klare Seele
Trüg'rische Schatten werfen, nun geschieht's!
Wir leben unser eig'nes Sein. Mit Willen
Dahinzugehn, ist Freiheit, und mich dünkt,
Die einz'ge, die uns Sterblichen gegönnt ist!

Beatrice. Wo geht die Sonne auf?

Filippo.                                         Dort über'm Thurm.
Und warum fragst Du?

Beatrice.                           Denkst Du's nicht, Filippo?
War das nicht uns'rer Abendküsse Sehnen,
Daß wir einmal vereint das Dämmern schau'n,
Erwachend Mund an Mund und Herz an Herzen?

Filippo. Das ward uns nicht bestimmt.

Beatrice.                                               Warum –? Und heut',
Filippo? Niemand ahnt, wohin ich ging,
Und Niemand folgte, Niemand kann uns finden.
Die ganze Nacht ist unser, und im ersten
Aufglüh'n des Tag's, Filippo, soll's gethan sein!

Filippo. Das ist nicht mehr in unserer Macht, Geliebte.

Beatrice. Warum?

Filippo sehr ruhig.
Seit Du dies Glas an Deine Lippen führst,
Trinkst Du den Tod.

Beatrice.                         Trink ich –

Filippo.                                                 In diesem Wein
Den Tod.

Beatrice.         Den Tod –

Filippo.                               So, denk' ich, wird es leicht.

Beatrice. in unsäglichem Schreck.
Das ist der Tod?

Filippo.                       Was schaust Du so mich an?
Als wär Dir Angst?

Beatrice.                       Aus diesem Glas hab' ich
Den Tod getrunken?

Filippo.                           Ja, wie ich, Geliebte.

Er nähert sich ihr, sie weicht leicht zurück.

Beatrice. Wie lang ist's Zeit?

Filippo.                                   Ich weiß es nicht. Sekunden,
Minuten oder Stunden – doch es kommt.
Das Grau'n der Frühe seh'n wir nimmermehr.
        Sie schauen einander ins Auge. Filippo ihr näher.
Komm, Beatrice!

Beatrice.                     Wer wird früher fort?

Filippo. Weiß nicht!

Beatrice.                   So kann's geschehen, daß Du vor mir –
Daß Du mich hier allein läßt?

Filippo.                                           Möglich.
Doch nicht auf lang'. Nun komme, Beatrice!
Die wen'gen Augenblicke, die noch sind,
Laß uns mit tiefster Seligkeit erfüllen!
Nun will ich nicht, daß nur die dünnste Seide
Mein Glüh'n von Deinem scheide, Deines Leib's
Berauschte Wärme, eh' sie ganz entflieht,
Ein letztes Mal will ich sie fühl'n, und durstig
Den letzten Atemzug von Deinen Lippen
Mit meinen trinken, Beatrice!

Er zieht sie nach rückwärts.

Beatrice wie er sie gleichsam erstarrt ansieht. Laß mich!
Ich meine, hab' Geduld – sieh – meine Hände
Sind noch ganz heiß – so ist der Tod noch fern!
Ich will nicht, daß Du so in Hast mich nimmst!
Auch hab' ich dieses Glas nicht ganz geleert –
Wer weiß, wie lang 's noch währt, wie lang
Ich leiden muß – das will ich nicht! Hätt'st Du
Zu mir gesagt: Auf einmal trink' es aus!
Wozu Betrug? Ich kam doch, um zu sterben!
Nun ist dies alles häßlich und verdorben!
So wollt' ich's nicht!

Filippo.                             Verstehst Du's endlich ganz?
Was Dich umfängt, begreifst Du, und begreifst
Nun, da Du stirbst, den Tod! Vorher war's nichts
Als nur ein Wort wie and're!

Beatrice.                                       Schmäh' mich nicht!
Es mußte anders kommen! Aber so
Ist's wie ein Morden aus dem Hinterhalt.
Nie glaubt' ich, daß Du tückisch bist und feig –
Jetzt hass' ich Dich!

Filippo.                           Genug des eklen Jammers!
Geh', wie Du kamst, nur rat' ich Dir zur Eile!

Beatrice. Giebt's Rettung? Wohin soll ich? Sag' es schnell!

Filippo. Wohin Du willst! Die ganze Welt ist offen!
Es war kein Quentchen Tod in diesem Wein,
Und wie zuvor ist alles Leben Dein.
Mit einer guten Lüge kehre heim.
Bist Du zu dumm, Dir eine auszudenken,
Streu ich Dir einen Sack voll Lügen hin!
Sag', daß es Dich ins Vaterhaus gelockt,
Den toten Vittorino zu betrachten!
Wie? Wär' dies nicht so glaublich, als es soll?
Sag', daß Du in die Kirche gingst zu beten
Für Deinen Gatten, für die Stadt, sag', daß
Dies ein Gelübde war, gethan, als Dich
Der Herzog freite! Sage, was Du willst,
Nur kehr' zurück, eh' sie mit Fackeln suchen!
Du willst das Leben. Geh', da draußen wartet's,
Und nimmt Dich gierig auf als sein Besitz.

Beatrice vernichtet.
Vergieb mir!

Filippo.                 Wie? Was giebt's denn zu verzeih'n?
Betrogst Du mich? Ich hätte Dich betrogen,
Hätt' ich die Laune, die Dir kam, genutzt,
Und Dich mit mir gelockt, wo Du nicht hin willst!
Logst Du? Du kannst es kaum so gut wie ich!
Nur ist's Dein Wesen, daß mit jedem Pulsschlag
Durch Deine Adern and're Wahrheit rinnt.

Beatrice. Lass' mich bei Dir!

Filippo.                                   Geh' doch!

Beatrice auf den Knieen.                             Lass' mich bei Dir!

Filippo. Warum? Ich liebe Dich nicht mehr. Du bist
Nichts Andres mehr, als was mich sonst umgiebt,
Wie Licht und Luft. Es wäre Eigensinn,
Dich mitzunehmen.

Beatrice.                       Jag' mich nicht davon!
Ich will von Dir nicht so verachtet sein,
Daß Du mich unwerth hältst, mit Dir zu sterben,
Und mich in's Leben heimschickst wie ein Kind,
Das solcher Reise Sinn doch nicht verstünde.
Zu Deinen Füßen fleh' ich!

Filippo ganz kalt.             Beatrice,
Geh' rasch! Mit jedem Laut, den Du verschwendest,
Wächst die Gefahr.

Beatrice.                       Was willst Du thun?

Filippo.                                                           So geh'
Was kümmert's Dich? Für sich, wie in Verzweiflung.
                                    Ah, brachte mir nicht Einer
Auf seinen Händen alles Daseins Hoheit
Und Kraft zurück, die schon verloren war,
Und warf ich's nicht zum zweiten Male hin,
Da ich die Stimme einer Fremden hörte
Im Gange vor der Thür? Erschauernd. Nun ist's genug!

Beatrice. Ich bleibe!

Filippo.                       Geh!

Beatrice.                               Kannst Du davon mich jagen?

Filippo. Gieb Acht, wie rasch!
        Er nimmt das Glas, in das Lucrezia das Gift gegossen hat, und leert es rasch.
                                          Ja – ja – das ist der Tod.
        Er wankt.

Beatrice schreiend.
Filippo, das – ich will's ja thun! Sie reißt ihm das Glas aus der Hand.
                                                    Mit Dir –
        Setzt das Glas an die Lippen.

Filippo schlägt ihr das Glas verächtlich aus der Hand, stürzt zurück, fällt, so daß er auf die Stufen des Alkovens zu liegen kommt, den Kopf im Alkoven. Während er hinstürzt.
Betrüg' Dich nicht! Entflieh! Das Leben wartet!

Beatrice. Filippo – Du – ich will's ja thun – sieh her!
        Sie bückt sich nach dem Glas.
Sag' mir ein Wort! Ich will's ja thun! Stirb nicht!
Ich will mit Dir – bleib da – Filippo – rede!
        Starrt ihn an.
Ist das der Tod? – Nein, nein! – Filippo! Schreiend. Rede!
        Sie erschrickt vor ihrer hallenden Stimme.

Lärm auf der Straße. – Fackelbeleuchtung, die auf Sekunden einen roten Schein ins Gemach wirft.

Beatrice. Weh mir! Wie läßt Du mich allein! – Sie kommen! –
Was ist das? – Ah – Am Fenster; sie versucht, sich in einen Teil des Vorhangs zu hüllen.

Stimmen.                         – Zur Hochzeit uns'res Fürsten
Mit Beatrice, Eurer schönsten Schwester!
Geöffnet stehen Thore, Saal und Garten! Verklingend.

Beatrice. Sie wissen's nicht! Doch Alle werden's wissen –
        Sie bückt sich wieder nach dem Glas, riecht daran.
O könnte der Geruch mich töten! Nichts –
Als wär' es ausgedampft! Nun wär's vorbei!
Ich läge da wie er. Und nun muß ich
Allein – – doch wie? – und hol' ihn doch nicht ein!
Im Garten will ich's thun, und so! Gebärde, als wollte sie sich erdrosseln.
                                                      Es kann
So furchtbar nicht im weiten Raume sein,
Als hier!
        undeutliche Stimmen in der Ferne.
              Sie holen mich! Sie werden mich erwürgen!
Was hab' ich denn gethan? So schlimmen Tod
Verdien' ich nicht! (Stille.) Vorüber! Niemand kommt
Mich suchen! Niemand weiß – ich kann zurück!
Wahrhaftig – kann zurück! Was bleib' ich denn?
Hältst Du mich da? Als zög's an meinem Kleid!
        Zurück zu Filippo.
Läßt Du mich fort? – Du – Du – sag' ich, Filippo –
Und bist's nicht mehr – bist wen'ger als ein Stein!
's ist ja nicht möglich! Alles Leben schenk' ich
Dahin, wachst Du auf einen Augenblick
Nur auf! Sie faßt seine Hand.
                So warm! Du atmest ja – Du lebst!
Auch dies war eine Prüfung nur, zu seh'n,
Daß ich Dich liebe? Auf, Filippo, komm!
Wir wollen flieh'n, zusammen flieh'n! Das Glück
Wird uns gehorchen, und das Leben braust
Um uns, die Sonne geht uns wieder auf –
Komm doch, wir wollen flieh'n und leben – leben!
Filippo –
Sie beugt sich über ihn, begreift jetzt, daß er tot ist, erhebt sich mit einem furchtbaren Schrei der Angst, reißt zugleich die Vorhänge des Alkovens herunter, so daß sie Kopf und Rumpf Filippo's vollkommen überdecken, läuft hinaus und schreit im Hinauslaufen, wie von Sinnen:
                Leben! – –

Vorhang.


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