Arthur Schnitzler
Der Schleier der Beatrice
Arthur Schnitzler

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Es ist ziemlich dunkel geworden, durch die Allee aus dem Hintergrund kommt Beatrice, nicht sehr eilig, wie schwebenden Gangs. Filippo geht ihr entgegen.

Beatrice. Da hast Du mich! Wie dunkel ist es hier!
Die Straßen sind beinah noch hell. Und höre,
Die Unruh' draußen! Aber hier ist's still.
Ich wollt', ich könnte lange bei Dir bleiben.

Filippo. Das wirst Du!

Beatrice sich auf die Bank niederlassend.
                              Laß' mich jetzt ein wenig ruh' n.
Ich bin ganz müd'. Was hab' ich Alles heut'
Geseh'n – gehört! Ganz wirr bin ich.

Filippo wie zu einem Kind.                         Weißt Du,
Daß großes Übel diese Stadt bedroht?

Beatrice. Bin doch kein Kind! Wie sollt' ich das nicht wissen?
Hätt' bald nicht hergefunden. Auf dem Platz
Vor San Petron gab's ein Gedränge! denk nur,
Der Kamm aus meinem Haar ist fort! Er glitt
Herunter, – hätt' ich mich nach ihm gebückt,
Nie wieder hätt' ich aufsteh'n können.

Filippo.                                                       Sage:
Dich ängstigt nicht, was Du gehört?

Beatrice.                                                 O sehr!
Und viele haben Angst! Doch Andre freu'n sich,
Die reden laut und kühn, und Einen hört' ich,
Der stellte auf die Stufen sich und rief:
Dem Borgia Tod! Lachend. Da schrie'n gleich Alle mit!

Filippo betrachtet sie mit einem entzückten Blick.
Liebst Du mich sehr?

Beatrice.                           Du fragst? Ich lieb' Dich so,
Daß alles anders ist, seit ich Dich kenne.
Wie soll ich dies nur sagen? Sieh', mir ist,
Als wären lauter Puppen sonst um mich
Die Menschen alle: – und seitdem – nun ja,
Seit jenem Fest – drei Tag' erst, denk' Filippo,
Daß ich zum ersten Mal Dich sah – drei Tage,
Der Tanz vor'm Thor, das Spiel, das Armbrustschießen,
Der Wettlauf von den zahmen Leoparden,
Das ist drei Tag' erst! –– Nein, wie alles anders
Und bunt ward – und die Puppen Menschen! Wie erfreut. Sieh!
Das wollt' ich sagen.

Filippo entschlossen.           Höre, Beatrice!
Noch heut verlassen Du und ich die Stadt.

Beatrice sieht ihn erstaunt an.

Filippo. Versteh' mich gut! So kühn die Leute reden,
Der Tod schwebt über allen Dächern. Ich
Und Du, wir wollen leben, Beatrice!
Drum sollst Du mit mir fort.

Beatrice.                                     Noch heute?

Filippo.                                                             Ja.
Weil schon das Morgen uns vernichten kann.
Bist Du bereit?

Beatrice.                 Mit Dir?

Filippo.                                   Mit mir.

Beatrice.                                               Wohin?

Filippo. Nicht dies ist wichtig! Bist Du nur bereit?

Beatrice. Doch ist's gewiß, Du läßt mich nicht allein?

Filippo. Du Kind!

Beatrice.             O glaube nicht, daß ich mich fürchte!
Wie oft, bis tief zur Dunkelheit, bin ich
Auf Wies' und Feld und Hügeln vor den Thoren
Herumspaziert, und niemand war mit mir.
Doch sah ich immer uns're Thürme ragen,
Und leises Summen kam zu mir von weitem,
Und immer wußt' ich: unten ist die Stadt.
Doch in der Fremde kann man sich verirren.

Filippo. Für Dich wird nirgends Fremde sein. Ganz andres
Bleibt zu bedenken. Niemals, Beatrice,
Wirst Du die Deinen wiederseh'n.

Beatrice.                                               Die Meinen? Sinnt.
Siehst Du, dies alles hab' ich langst gefühlt!
Jetzt aber weiß ich's erst.

Filippo.                                     Was denn?

Beatrice.                                                     Denk' nur:
Mir ist, als hätt' ich in der Eltern Hause
Nur ausgeruht, wie man auf Reisen thut,
Und käme von wo anders her und müßte
Wo anders hin; und wacht' ich morgens auf,
Und schaute so um mich, da war mir oft –

Filippo. Wie war Dir da?

Beatrice.                         Als wär' ich nicht zu Haus.

Filippo zerstreut.
Nun ja. Er ist ausgestanden und die Stufen hinaufgegangen.

Beatrice.     Was blickst Du aus?

Filippo.                                         Die Stunden flieh'n.
Ich sehe nach dem Diener, nach den Pferden.

Beatrice. Sagt' ich Dir schon? Mein Bruder ist Soldat!

Filippo. Ich kenn' ihn nicht.

Beatrice.                             Vergeßlicher! Du kennst ihn!
Sahst ihn doch an dem gleichen Tag wie mich
Zum ersten Mal – im gleichen Augenblick.
Er war mit mir, Rosina, meine Schwester,
Und Vittorino –

Filippo leichthin.       Der in Dich verliebt ist?

Beatrice. Sieh, das vergaß er nicht!

Filippo zerstreut.                               Dein Bruder ließ
Sich werben?

Beatrice.               Nein, der lief gleich selber hin
Zum Thor von San Vitale. Dort steh'n Alle,
Die frei sich melden. Ja, das ist auch Einer,
Der riefe: Tod dem Borgia! Der ist wild!

Filippo. Da giebt's viel Thränen wohl bei Euch zu Haus?

Beatrice. Wer sollte weinen? Meine Mutter liebte
Francesco nie; die Schwester freut sich eher,
Da sie nun ganz nach Wunsch wird schalten können.

Filippo. Und Du?

Beatrice.             Er will ja fort, wie sollt' ich weinen?

Filippo. Und Euer Vater?

Beatrice.                         Kann's ja nicht versteh'n.

Filippo. Wie meinst Du das?

Beatrice.                               Hab' ich Dir's nicht erzählt?
Für ihn steht Alles still seit sieben Jahren,
Und Alles, was wir thun, ist Spiel von Kindern.

Filippo betreten.
Wie das?

Beatrice.       Die Leute sagen: Tollheit sei's.
Ich aber weiß ganz gut, 's ist was gescheh'n
Vor sieben Jahren, das ergriff ihn so,
Daß ihm die Zeit erstarrt ist. Und so kommt's, –
Wir sind noch heut' für ihn die kleinen Kinder
Von damals. Und so spricht er auch zu uns, –
Und nimmt uns auf die Knie', mich und Rosina, –
Francesco läuft davon – erzählt uns Märchen,
Und wiegt uns, singt dazu, – wir müssen lachen.

Filippo näher zu ihr.
Du lachst? – Ist dies nicht ohnegleichen traurig?

Beatrice. Was weiß er denn davon? – So wird er alt
Und fühlt es nicht, und meine Mutter blieb
So schön und jung für ihn als je, und Alles,
Was sie ihm Schlimmes zugefügt, vergaß er.

Filippo sie lange betrachtend.
Wie gut, daß ich aus all dem Dich entferne!
Wie gut, daß Du ein Kind, so wirst Du mein,
Wie Du es mußt. Denn ich hab' nichts als Dich.
Ich hatte mancherlei, doch nichts war ganz,
So warf ich Alles hin für Dich allein.
Denn Dich besitz' ich, und Besitz ist Glück,
Und nur was wir erschaffen, ist Besitz.

Beatrice. Wie gut gefällst Du mir, wenn Du so sprichst!
        Sie steht auf.
Nun ist's auch über Deinem Garten Nacht.
Ich frag' Dich was, Filippo!

Filippo wieder aufblickend, zerstreut. Nun, ich höre.

Beatrice zu ihm tretend.
Sag' doch: wirst Du mein Pferd beim Zügel halten?
Drauß' auf der finstern Straße?

Filippo lachend.                                 Immerfort?

Beatrice. Das mußt Du thun! Versprich's mir!

Filippo küßt sie lächelnd; dann ungeduldig.       Kommt er nicht?
Wir wollen ihn im Haus erwarten. Wein und Früchte
Steh'n auf dem Tisch, ein Mahl vor uns'rer Reise.
Komm, Beatrice! Er beginnt, die Stufen hinauf zu gehen.

Beatrice noch im Garten, folgt ihm.
                            Hab' ich's schon erzählt?
Den Herzog sah ich.

Filippo stehen bleibend.
                                  So?

Beatrice.                                 Und er sah mich –

Filippo sich nach ihr umwendend.
Was soll mir das?

Beatrice.                     Er ritt durch uns're Straße,
Und blickte lang mich an.

Filippo.                                     Das ist die Art
Von Männern, schöne Frauen anzuschau'n.
Was geht's Dich an?

Beatrice.                         Rosina stand daneben.
Denk' nur: kein Blick auf sie! Ich glaubte schier,
Sie würde krank vor Schmerz, denn Du mußt wissen,
Sie liebt ihn sehr, den Herzog – Andre liebt sie auch,
Um wahr zu reden, doch den Herzog so,
Daß sie dies Jahr, das er auf Reisen weilte,
Vor Sehnsucht krank ward, – und nun kommt er wieder,
Und reitet uns vorbei, und sieht nur mich.

Filippo. Du eitles Kind, bewegt Dich das so sehr?

Beatrice. Nicht darum sagt' ich's, hätt's auch schon vergessen.
Nur träumt' ich dann so wunderlich –

Filippo.                                                       Bei Tage?

Er kommt die Stufen langsam herab.

Beatrice. Es war so schwül. Ich ging in meine Stube,
Nur um dem Zorn Rosinas zu entflieh'n, –
Geschlagen hätt' sie mich, sie that's schon oft, –
Und auch ein anderes Kleid – für Dich – zu nehmen,
Und andre Schuh'. Da setzt' ich mich aufs Bett
Und wollte mir die Bänder schnüren, weißt Du,
Und schlummert' ein und träumte sonderbar.
Sonst schwindet jeder Traum, wenn ich erwache,
Den aber seh' ich so vor mir –

Filippo.                                             Was war's
Für Traum?

Beatrice.             Denk' nur: ich war die Herzogin!

Filippo tritt herunter, auf sie zu.

Beatrice. Was hast Du?

Filippo.                         Beatrice! – Nun, erzähle!

Beatrice. Ich war die Herzogin. Auf einem Thron
In einem großen Saal bin ich gesessen,
Der Herzog neben mir, und viele Menschen –
Es waren hundert oder tausend, Männer
Und Frau'n und Kinder waren da, dieselben,
Die täglich in den Gassen ich begegne.
Auch Du warst da und knietest vor mir nieder,
Wie all die Andern. Doch ich wußte nicht,
Daß Du Filippo warst; es war Dein Antlitz eben!
Du gingst vorüber wie die Andern und
Verschwandest. Sieh, auch dieses weiß ich noch,
Daß ich die Hand hier sie hebt ihre Linke auf die Lehne stützte,
Den weichen Samt mit meinen Fingern strich,
Und so hab' ich gelächelt, siehst Du – fürstlich!
Ein wenig stolz, doch gütig auch. Dann klang
Musik, so schön und voll wie viele Orgeln!
Doch wußt' ich: keine Orgeln sind's – und suchte
Mit meinen Augen nach den Musikanten
Und fand sie nicht. Da stand der Herzog auf,
Nahm meine Hand und führt' mich durch den Saal,
Vorbei den Menschen, die sich tief verneigten.
Die große Thüre that sich auf, und plötzlich
Verstummte die Musik, und Stille war,
So still, wie's auch in tiefster Nacht nicht ist.
Nun schritten wir durch einen schmalen Gang,
Der ohne Decke war. Die Wände reichten
Unendlich hoch, und oben war der Himmel,
Viel weiter, als er sonst, mit roten Wolken.
Dann schritten Stufen wir hinab in's Dunkle –
Ich sah den Herzog nicht, sah gar nichts mehr,
Mit einmal hört' ich seine Stimme nah
An meinem Ohre »Beatrice« flüstern,
Und heller wurd' es, grüne Kerzen brannten
In einer Ampel ob dem Bett, ich sah
Des Herzogs Augen leuchten über mir –
Und fühlte seine Lippen nah den meinen,
Noch spürt' ich ihren Hauch – und so erwacht' ich.

Filippo. Beatrice!

Beatrice etwas erschrocken, unsicher, aber ohne Verständnis.
                      Ist dies ein wunderlicher Traum!

Filippo.                                                                       Beatrice!
Und so kommst Du zu mir!

Beatrice.                                   Sollt' ich nicht kommen?
Nein, wie Du seltsam bist! Was ist Dir nur?

Filippo. Kommst so beschmutzt hieher –

Beatrix heiter, als hätte er sie mißverstanden.
                                                          Ein Traum war's doch!

Filippo. Ich wollt', es wäre Wahrheit, Beatrice!
So könnt' ich eher ohne Schmerz und Ekel
Dich seh'n; das Leben selbst thut Alles ab.
Doch Träume sind Begierden ohne Mut,
Sind freche Wünsche, die das Licht des Tags
Zurückjagt in die Winkel uns'rer Seele,
Daraus sie erst bei Nacht zu kriechen wagen;
Und solch ein Traum, mit ausgestreckten Armen,
Sehnsüchtig läßt er, durstig Dich zurück.
So wenig warst Du mein, daß, schlossest Du
Die Augen, Deine Seel' auf Abenteuer
Ausfliegen konnte, und ich war Dir nur
Von Tausend Einer, kniete wie die Andern
Vor Dir und war Dir nichts und bin Dir nichts,
Ich, der Dir so viel gab, als Du nicht ahnst,
So viel, daß meiner Liebe wert zu sein,
Dich Ekel fassen müßte, wenn Du denkst,
Es leben and're Männer auf der Welt!
Willst Du, daß, dem gefäll'gen Eh'mann gleich,
Ich fremden Kuß von Deinen Lippen trinke,
Und kommst daher als Dirne Deines Traums?
Geh, Beatrice!

Beatrice.                 Ja, was that ich denn?
Liebst Du mich jetzt nicht mehr, Filippo –? Du! . . .

Filippo. Dich lieben? Grau'n vor Dir hat mich erfaßt.

Beatrice. Filippo, nie bis heut' dacht' ich des Herzogs!

Filippo. Doch heute warst Du sein!

Beatrice.                                         Im Traum!

Filippo.                                                               Drum geh!

Beatrice. Du sagst es ganz im Ernst, Filippo wie?
So nimmst Du mich nicht mit auf Deine Reise?

Filippo. Nun braucht es keiner Reise mehr!

Beatrice.                                                       Glaubst Du,
Ich ginge nicht voll Freuden mit Dir fort?
Ich lieb' Dich ja, Filippo!

Filippo.                                     O, ich weiß!
Auch heute gingst Du fort mit mir, so gern,
Als Du mir vor drei Tagen bist gefolgt!
So geh' doch!

Beatrice.               Und wann soll ich wiederkommen?

Filippo. Wiederkommen?
Zu mir? Ja, sage, hast Du's nicht gefaßt?
Nie wieder, nie!

Beatrice mit großen Augen. Nie wieder, nie!

Filippo.                                                           Noch einmal
Nur Deine Hand berühren, macht mich schaudern!
Doch Dich umarmen, da ich Dich erkannt, –
Beim Himmel, eher schlief' ich mit Gespenstern –
        Mit einer Gebärde des Schauderns.
O geh'!

Beatrice.     So ist es wahr, er schickt mich fort!

Er wendet sich ab, sie bleibt stehen. Pause.

Filippo sich zu ihr wendend.
Sind's Thränen?

Beatrice.                 Sieh', so lieb' ich Dich!

Filippo.                                                         Und als
Der Fächer Dir zerbrach am ersten Abend,
Im selben Augenblick, da hinter Dir
Die Thür zum Garten schloß, in diese Schatten
Wie in die Dunkel eines neuen Schicksals
Du tratest, hast Du damals nicht geweint?
So große, dumme Thränen einem Fächer –
Und mir! Denn Eins ist Dir so schwer, so leicht
Wie's And're! Lebe wohl!

Beatrice.                                   Und niemals wieder?

Filippo. Im Leben nicht!

Beatrice lächelt.

Filippo.                           Und warum lächelst Du?

Beatrice. Im Leben nicht – Du sprachst es selber aus!
Fühl' ich, daß ich nicht sein kann ohne Dich,
Und hab' zu sterben Lust, so komm' ich wieder,
Und nehm' Dich mit.

Filippo.                           So spielst Du mit dem Tod,
Wie mit dem Leben! Geh' und lebe wohl!

Beatrix. Auf Wiederseh'n, Filippo!

Filippo.                                             Lebe wohl!

Beatrice geht langsam durch die dunkle Allee nach hinten und verschwindet.

Filippo allein; hat ihr nachgesehen. Nach einer längeren Pause.
Als schwebte sie davon!
Und diese glaubt' ich mein! Vor Scham vergeh' ich!
Ist's auch der Menschen Los, nie ganz besitzen,
Sie spotten dieses Fluchs; denn Keiner auch
Schenkt ganz sich her. Nur ich, der Tiefbetrog'ne,
Gab Alles hin für nichts, Ruhm, Ehr' und Mut,
Und war bereit, so vor der Feinde Droh'n
Wie vor dem Degen eines Freund's zu flieh'n,
Als rechter Bube!
                            Eil' ich ihr nicht nach?
Es gab' ein Mittel, kühn und ohnegleichen,
Sie zu gewinnen! Den, der sie mir nahm
Im Traum, in Wahrheit töten! Doch der Einfall,
Statt mich zum Schloß des Herzogs hinzujagen,
Bannt hier mich fest, und der Entschließung Kraft
Stirbt auf dem steilen Weg zur That dahin.
Daß ich sie heimgeschickt mit schönen Worten,
Ist mir genug. Und quillt aus dieser Thorheit
Einmal ein Lied, so ist's der höchste Preis,
Den mir das Leben hinwirft für die Schmach,
Daß ich zu schwach bin, es mit Stolz zu leben.
        Er lauscht.
Das Thor wird aufgethan! Mit Hoffnung. O wär's Andrea!
Wie schnell kam dies! Nun giebt's in dieser Stadt
Nicht einen Zweiten, so bereit wie mich,
Dies Alles zu beenden.

In der Thür, welche aus dem Zimmer auf die Terrasse führt, erscheinen: Antonio Nigetti und Tito Tibaldi; der Eine sehr dick und groß, der Andere zierlich und klein. Mit ihnen Lucrezia und Isabella, zwei florentinische Courtisanen. Hinter ihnen, wie sie allmählich weiter nach vorn treten, vier Musikanten: zwei Geiger, ein Flötist und ein Lautenspieler. Noch bevor sie auftreten, hört man sie spielen. Die Musikanten bleiben auf der Terrasse stehen. Zwei Diener mit Fackeln haben sich zur Seite der Thür aufgestellt.

Tito angeheitert. Das ist Filippo Loschis Haus, und hier ist er selbst! Seid uns gegrüßt, Filippo Loschi!

Antonio betrunken. Schweigt, Ihr verfluchten Musikanten. Soll man Euch die Instrumente in Stücke hauen?

Die Musik verstummt.

Tito. Filippo Loschi, wir wünschen Euch einen guten Abend! So unbedeutende Geschöpfe wir sind, wir haben ein gewisses Recht dazu, Euch einen angenehmen Abend zu wünschen, da wir ihn selber bringen.

Antonio. Wir bringen ihn selbst als nichtswürdige Geschöpfe, die wir sind.

Tito. Denn wenn diese schönen Mädchen sich an Euerm Anblick ebenso sehr berauschen, als an Euern Liedern, so ist Wahnsinn ihr Los und das unsere Verzweiflung.

Antonio schreiend. Das unsere Tod!

Filippo sehr befremdet, aber höflich.
Ich bin erfreut, so heit're junge Herr'n
Und schöne Frau'n in meinem Haus zu seh'n,
Jedoch –

Isabella.         Ihr seid sehr liebenswürdig!

Lucrezia.                                                   Ihr seid schön!

Filippo. Zwar unbekannt, nenn' ich Euch doch willkommen!

Tito. Ich heiße Tito Tibaldi. Dieser: Antonio Nigetti. Aber was können Euch unsere Namen bedeuten?

Antonio. Niederträchtige Namen!

Tito. Man wird sie mit uns begraben, und früher, als uns lieb ist; so ist es nicht der Mühe wert, sie zu merken. Und was wir sind? jung, reich und gewissermaßen schön!

Antonio. Hübsch, höchstens hübsch!

Tito. Und morgen nichts mehr von alledem!

Antonio. Elende Speise für Würmer!

Filippo belustigt.
Das wolle Gott verhüten!
Für sich. Was sind das für komische Menschen?

Tito. Und diese hier sind junge Mädchen aus Florenz. Sie sind nach Bologna gekommen, um zehn oder zwölf lustige Tage mit uns zu verbringen. Für die Lustigkeit haben wir bestens gesorgt, nur die Zahl der Tage steht nicht bei uns. Jeden ihrer Wünsche haben wir ihnen erfüllt; – aber da sie vernahmen, daß vielleicht schon morgen unsere geliebte Stadt an allen vier Ecken in Flammen aufgehen wird, hatten sie nur mehr einen –

Isabella. Euch zu sehen! Denn Eure Lieder, Filippo, sind so süß, wie der Hauch des Geliebten über schlafenden Wimpern, und so schmeichlerisch, wie göttliches Verzeihen für alle Sünden.

Filippo der immer heiterer wird.
Seh' ich Euch an, so wollt' ich eh'r, sie reizten
Zu neuen Euch.

Lucrezia. Filippo, hättet Ihr nicht hier geweilt,
Wo Ihr auch lebtet, dorthin war mein Weg –
Und mußt' ich barfuß stein'ge Pfade wandeln!
Und ist es wahr, daß morgen tausend Schrecken
Einzieh'n in diese Mauern, lachend werf' ich
Mich in den Staub – ich lebte lang genug,
Haucht Ihr nur einen Kuß in meine Locken!
Doch wär't Ihr tot gewesen, niemals wieder
Hätt' ich wie and're Frauen lächeln können,
So liebt' ich Euch, noch eh' ich Euch geseh'n.

Filippo für sich.
Will dieser schwere Tag so heiter enden?
Als glitt' ihm von den kummermüden Schultern
Dunkles Gewand, und säh' ich zum Beschluß
In lichter Seide seine Glieder spielen?
        Zu den Andern.
Wie dank' ich für so vieles? Was beliebt
Den Gästen? Hier im Garten auszuruh'n,
In grünen Gängen sanft sich zu ergeh'n,
Im Saal an Obst und Wein sich zu erlaben?

Tito. Soll es uns armseligen Narren wirklich vergönnt sein, den letzten Abend uns'res jämmerlichen Lebens –

Antonio. Ein Leben von Schurken und Tagedieben!

Tito. Am Tische des herrlichen Filippo, an der Seite des Unvergleichlichen zu verbringen?

Antonio. Ertöne, holde Flöte, Lautenspiel, umschwärme mich! –

Musik.

Filippo. Was mein bescheidnes Haus so edeln Gästen
Gewähren kann, ist gern und rasch geschafft.
        In der Thüre, für sich.
Kam Alles dies zu spät? Es ist zur Stelle!
So kam es früh genug. Der nächsten Stunde
Erwartung rinnt erwärmend durch das Blut,
Und mit Behagen ahn' ich ihre Fülle!
        Er geht in den Saal.

Antonio. Nun, folgen wir ihm, holdeste Isabella!

Isabella. Was wollt Ihr von mir?

Antonio. Isabella! Euer zärtlicher Antonio bittet um Euern Arm!

Isabella. Ist denn niemand da, der mir diesen Betrunkenen vom Halse schafft?

Tito. Lucrezia!

Lucrezia. Wer seid Ihr denn?

Tito. Wer ich bin, Lucrezia? Derselbe, meine Schönste, dem Ihr erst heute Mittag gestattet habt, diese Perlen um Euern weißen Hals zu schlingen.

Lucrezia reißt sich die Perlen vom Hals und wirft sie ihm vor die Füße.
Da habt Ihr sie! Und nun weiß dieser Nacken
Von Euern Perlen nichts und Euern Armen!

Antonio und Tito sehen einander betroffen an.

Filippo wiederkommend.
Bereitet ist die Tafel, tretet ein!

Isabella. O liebster Filippo! Wollt Ihr nicht erst diese unleidlichen häßlichen und heiseren Leute fortweisen lassen?

Filippo. Was soll ich? Wie?

Tito zu Lucrezia. Ihr werdet mir doch wenigstens erlauben, an Eurer Seite Platz zu nehmen, holde Lucrezia?

Lucrezia. Das dürft Ihr! Aber hört: berührt Ihr nur
Mein Knie – ich schwör' es! diese Nadel stech' ich
Mitten ins Herz Euch!

Tito ängstlich. Doch seid Ihr glücklicherweise nicht gewohnt, Schwüre zu halten.

Lucrezia. Der Liebe Schwüre nicht – doch solche halt' ich!
Fragt Euern Vetter in Florenz!

Antonio. Angebetete Isabella, ich hoffe, Ihr werdet mich nicht in gleicher Weise bedrohen, wenn ich es wage –

Isabella. So grausam bin ich nicht als Lucrezia, und eben darum rat' ich Euch: entfernt Euch lieber! Ihr habt uns zu Filippo Loschi gebracht, Euer Amt ist zu Ende! Von dieser Sekunde an gehört Euch kein Blick, kein Wort mehr – Affe! Dieses war das letzte! – Kommt, schönster Filippo!

Filippo belustigt.
Ihr Herren, glaubt, daß ich untröstlich bin!
Doch ratet selbst: was ist zu thun?

Antonio. Laßt es gut sein. Tito, wir wollen gehen. Es giebt andere Weiber und tugendhaftere, ja vielleicht sogar lasterhaftere, was mir noch lieber wäre!

Tito hebt die Perlen vom Boden auf. Für diese hier wird sich ein geschmeidigerer Nacken finden!

Filippo. Ihr Herren, hört – wir wollen um sie fechten!

Isabella. Was hilft's ihnen, wenn sie Dich verwunden? Lieber küssen wir Deine blutenden Wunden, als ihre Lippen!

Antonio wütend. So wünscht' ich, sie kämen aus Neapel, nicht aus Florenz! He, Musikanten! Folgt uns zurück zu Menasci und ertränkt unseren Ärger in heiteren Tönen!

Isabella. Was fällt Euch ein? Zu den Musikanten. Ihr bleibt! Wir wollen in den Saal, Filippo – diese aber mögen hier auf der Terrasse stehen bleiben und spielen, spielen, immerzu spielen.

Musik beginnt.

Lucrezia. So tön' es durch die off'ne Thür zu uns
Und hüll' in helle Klänge uns're Wonnen,
In milde Weisen unsern Schlummer ein!

Battista kommt rasch von hinten. Gnädiger Herr – Er hält erstaunt inne.

Filippo der eben mit den Mädchen in den Saal wollte, wendet sich um.

Battista noch atemlos. Die Pferde, gnädiger Herr!

Musik verstummt.

Filippo. Was für – Er erinnert sich und lacht.

Battista. Es ist mir gelungen, gnädiger Herr, um den Preis von zweihundert Goldstücken –

Filippo. Du hast sie mir verschafft?

Battista. Mit der größten Mühe, gnädiger Herr!

Filippo. Indessen fing ein andres Stück hier an!
Und er läuft wie 'n verschlaf'ner Komödiant
Mit seiner alten Rolle auf die Scene.
Ist's wahr, Du hast die Pferde mir verschafft?

Battista ganz erschrocken. Herr, ich schwöre Euch, sie stehen vor der Gartenthüre, ich habe sie an die Gitterstäbe gebunden!

Filippo mit einem plötzlichen Entschluß.
Für diese beiden Herr'n steh'n sie bereit!
Schlagt's mir nicht ab! Bedenkt: der gute Alte,
Die ganze Stadt sucht' er nach ihnen ab.

Tito. Herr, ist es durchaus notwendig, mit so schwer gekränkten Personen noch Scherz zu treiben?

Antonio. Es schreit zum Himmel!

Filippo. Da sei Gott vor! Als Zeichen meines Danks,
Daß Ihr so gut den Weg zu mir gefunden,
Und zu so guter Zeit, als Ihr nicht ahnt,
Nehmt dies Geschenk! Battista, Du geleite
Bis vor die Thür die Herren, und in die Bügel,
Wofern es nötig – was mir möglich scheint –
Hilf ihnen mit der schuld'gen Höflichkeit.
Lebt wohl und laßt's Euch in Menascis Schenke
So wohl geh'n, als Ihr mir's daheim vergönnt!

Battista, Antonio und Tito ab.

Isabella lachend. Lebt wohl!

Beide Mädchen in den Saal.

Die Musikanten spielen.

Filippo allein auf den Stufen der Terrasse; lebhaft.
Hinnehmen mit Entzücken, was sich schenkt,
Und frei zu sein? Mit Macht an sich zu reißen,
Und selbst sich zu behalten, wär' es das,
Was diesen Augenblick so leicht emporträgt!

Die Mädchen von drinnen. Filippo!

Filippo. Vielleicht auch, daß das Leben vor dem Ende
Mir bunte Abenteuer sendet, wie die Bilder,
Die durch die Sinne jagen, eh' man einschläft; –
Wach sein ist's nicht mehr, und noch nicht der Schlaf . . .

Die Mädchen erscheinen in der Thür. Filippo!

Filippo. Ich komme! – – Nicht mit schwerem Sinn bedacht,
Nein, ganz gelebt sei endlich diese Nacht!

Die Musikanten spielen, Filippo geht in den Saal, von den Mädchen an der Thür empfangen. Der Vorhang fällt.


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