Arthur Schnitzler
Der Schleier der Beatrice
Arthur Schnitzler

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Erster Akt.

Der Garten des Filippo Loschi. Im Hintergrund grenzt er an eine Mauer, die man nicht ganz sieht, da sie durch Bäume zum großen Teil verdeckt wird. Die Mauer ist ziemlich hoch. Jenseits von ihr, durch eine supponierte Straße getrennt, sieht man Kirchtürme, Häuser; in der Ferne Hügel. Rechts vorn führt eine breite Freitreppe sechs Stufen aufwärts zu einer Art offener Vorhalle, die von drei Säulen gestützt ist. Diese Vorhalle ist rechts hinten durch die Façade des niederen Hauses abgeschlossen. In der Mitte der Façade eine Thür, die in das Innere des Hauses führt. – Drei Alleen münden im Vordergrund; eine kommt von links vorn, eine andere von rechts hinten, also hinter dem Hause hervor – eine dritte Allee vereinigt sich vorn mit der linken und verliert sich nach einer Biegung im Hintergrund. (a, b, c.) Vor dem Hause, ziemlich nahe, ein hoher Baum, eine Marmorbank unter ihm. Heißer Sommernachmittag. Filippo Loschi auf der Bank ausgestreckt, die Arme unterm Kopf gekreuzt. Agostino Dossi steht links von ihm, die Laute in der Hand. Eben spielt er die letzten Akkorde. Nun läßt er die Laute sinken. Stille.

Filippo. Zu Ende?

Agostino.             Ja.

Filippo.                     Hast Du das Lied gemacht?

Agostino. Ich sagte lieber nein. Denn Worte giebt's,
Die selbst sich ihre Melodie erschaffen,
Und diese sind davon.

Filippo.                               Ich möcht' ihn kennen,
Der diese Worte fand.

Agostino.                           Träumst Du, Filippo?

Filippo. Nicht mehr als sonst an lichten Sommertagen. Als besänne er sich.
Hast Du den Namen schon genannt?

Agostino.                                                Filippo!
Ist's möglich, daß Du Dein Gedicht nicht kennst?

Filippo aufschauend.
Ich selbst?

Agostino.         Und kennst es nicht?

Filippo.                                             Beim Himmel, nein!
's ist wohl zu lange her.

Agostino.                             Zu lang, Filippo?
Noch blüh'n die gleichen Rosen hier am Strauch,
Seit Du's ersannst.

Filippo.                         Kein Jahr noch!

Agostino.                                               Noch kein Monat!

Filippo sehr lebhaft, wie für sich.
Noch nicht drei Tage!

Agostino.                           Nein, 's ist länger her.

Filippo ist aufgestanden.
Und so entfremdet meinem Heut' dies Gestern,
Daß sie, 'genüber Aug' in Aug' gestellt,
Einander nicht erkennen, Brüdern gleich,
Die nachts auf dunkler Straße sich begegnen.
Nein, Agostino, nenn' es nicht mein Lied.
Was wir vergessen konnten, war nie unser;
Nur was wir halten, was wir jederzeit
Rückrufen können, wenn es noch so tief
In unserer Seele sich versteckte, noch so weit
In einem Winkel sich der Welt verbarg,
Gehört uns zu. Dies Lied ist nicht mehr mein!

Agostino. Nicht Dein dies Lied? Es war für Teresina!
Und Du erkennst es nicht?

Filippo.                                     So wenig kenn' ich's,
Als hätt' ich's nie gehört.

Agostino.                               Und sprichst dies aus,
Als durftest Du's vergesset

Filippo.                                       Nein, als müßt' ich –
Und nicht dies Lied allein!

Agostino wie in Angst.               Filippo, sag' mir,
Was ist geschehn? Drei Tag' lang blieb Dein Haus
Verschlossen mir und allen andern Freunden,
Heut' endlich läßt Du – ohne Lust – mich ein,
Zerstreut, verlegen reichst Du mir die Hand,
Dein Auge glänzt wie von verliebten Träumen; –
Was ich, höchst seltsam, Dir berichten komme –
Wie müß'ges Schwätzen weisest Du von Dir
Und bittest mich um Lautenspiel und Sang.

Filippo. Wahrhaftig, bat ich Dich? Sag' doch, was giebt's?
Venedig zieht heran, ja, so begannst Du –
Und Mariscotti ist ein Schurke – nicht?

Agostino. Wir fürchten's. Doch nicht von Venedig sprach ich.
Der Herzog von Romagna droht mit Krieg.

Filippo ganz mechanisch.
Der Borgia? Das ist schlimm!

Agostino.                                       Schlimm? Mehr als das!
Unheimlich hört sich's an, daß seit zwei Tagen,
Als hätte sie ein Sturm zu uns gejagt,
Vom Süden und vom Westen –

Zwei Diener des Filippo sind aus der Tiefe des Gartens gekommen, sie tragen Körbe; sie haben die Allee (c) mit Blumen bestreut und gehen daran, auch die Treppe zu bestreuen. Aus der anderen Allee (b) kommen zwei andere Diener, welche Schüsseln mit Obst und Zuckerwerk tragen, und über die Stufen ins Haus gehen. Filippo folgt ihnen mit den Augen.

Agostino ist befremdet, hat sich unterbrochen und spricht jetzt weiter.
                                                  Was ist dies?
Bereitest Du ein Fest?

Filippo.                               Das arme Wort!
Nun ja, was von dem Stumpf der Kerze kommt,
Wie was die Sonne sendet, heißt uns Licht; –
So feir' ich denn ein Fest.

Agostino.                                 An solchem Tag?
Du bist gelaunt zu scherzen! – Hör' mich an:
Mit jeder Stunde rücken Cesars Scharen
Bologna näher, und Herr Mariscotti,
Der uns'rer teuern Stadt Geschicke lenkte,
Solang der Herzog fern, erscheint geneigt
Dem Borgia sich und uns zu überliefern.
Was zur Verteidigung er anbefahl,
Ist Trug, zu schlecht, um Narren naszuführen,
Die Thore, heut gesperrt und wohlgehütet,
Vor morgen Abend fliegen alle auf,
Cesar zieht ein, und wir sind seine Knechte.

Filippo beunruhigt.
Gesperrt die Thore, alle, auch für uns?

Agostino. Wie das – für uns?

Filippo.                                   Ich meine, niemand kann
Die Stadt verlassen?

Agostino.                         Wie? Du willst –

Filippo.                                                         Antworte –
Kein Ausweg aus der Stadt? Nein, 's ist nicht wahr.
Sie können nicht von allen Seiten kommen!

Agostino. Bist Du von Sinnen? Willst Du fort?

Filippo.                                                               Sagt' ich's –?

Agostino. Bologna willst Du? willst die Braut verlassen?

Filippo. Ich habe keine.

Agostino.                       Wie?

Filippo.                                     Hab' keine Braut!

Agostino. Nein, dies ist nicht Filippo, der so sprach –
Sag', daß Du einer bist, der sich mit List
In meines Freunds Gestalt verkleidet hat,
Und daß der selbst, gegebnem Worte treu,
In dieser Stunde dort ist, wo er soll.

Filippo. Filippo bin ich, der ich immer war.

Agostino. So hat ein Zauber Dich der Braut entfremdet,
Doch der Dich rückruft, ist von größrer Macht.
Dringend. Eh' diese Sonne untergeht, Filippo,
Wer weiß, vielleicht in dieser Stunde schon,
Hat Teresina niemand mehr als Dich.
An ihrer Mutter Sterbelager wacht sie
Allein – zum unglücksel'gen Los bestimmt
Am gleichen Tag, was ihr von Menschen wert,
Die Mutter – und den Bruder zu beweinen.

Filippo. Kam eine schlimme Nachricht von Andrea?

Agostino. Nein, keine schlimme kam – wie keine gute;
Doch 's ist gewiß: er selbst – kommt nicht zurück.

Filippo. Was sagst Du da? –

Agostino.                             Andrea kommt nicht wieder!
Wie keiner rückkehrt, der vor einem Jahr
Mit unserm Herzog auf die Reise ging,
Wie Bentivoglio selbst nicht wiederkehrt.

Filippo. Wer sagt's? Sind sie nicht auf dem Heimweg Alle?

Agostino. Sie waren's – jetzt sind sie auf einem andern!

Filippo. Ist dies gewiß?

Agostino.                       Die letzte Kunde kam
Aus Rom. Der Herzog, heute scheint's unglaublich,
Verließ die Stadt, wo ihn die Herren Borgia
Bewirtet, lebend; – seither aber kam
Kein Bote, keine Nachricht nach Bologna,
Und was der Papst in Rom versäumt, wir fürchten,
Er ließ es auf dem Weg hierher besorgen,
Und Mariscotti wußte auch um dies.

Ercole Manussi ist durch die Thür auf die Terrasse getreten.
In Flammen steht die Welt! Was kümmert's Euch?
        Er geht die Stufen herunter.
Der Eine lümmelt auf der Bank, der And're
Hält seine Laute zärtlich in den Armen,
Und über Rosen schreit ich zu Euch hin.
So wißt Ihr nichts?

Filippo.                           Umfriedet ist mein Garten,
Die Fenster sind verhängt, den Lärm und Unsinn,
Der durch die Straßen fegt, lass' ich nicht ein;
Es finden seine Boten doch den Weg.

Agostino. Was giebt's?

Ercole.                           Der Herzog ist zurückgekehrt!

Agostino. Ist das gewiß?

Ercole.                             Hier diese Augen sah'n ihn.

Agostino. Hörst Du, Filippo? Zu Ercole. Sag' uns mehr!

Ercole.                                                                           Noch Nachts,
Durch welches Thor, weiß niemand, – unerkannt
Betrat er seine Stadt. Schon früh am Morgen
Schwirrt' ein Gerücht durch die bewegten Gassen,
Dran keiner glaubte. Man erzählte mehr:
Des Mariscotti Neffe sei entflohen,
Er selber läg' in Ketten. Doch's blieb still
Rings um das Schloß. Die Wachen zogen auf,
Wie sonst, und von den Türmen, von den Mauern
Kam immer neue Kunde: daß von Süden,
Endlos gereiht, die röm'schen Truppen nah'n,
Daß in Faënza Cesars Schützen steh'n,
Und auf der fernen Straße von Montese,
Als flög' es aus dem Boden mit dem Staub,
Der es umhüllt, ein Heer von Reitern wüchse.
Nun wußten wir verloren die Fünfhundert,
Die Mariscotti gestern ausgeschickt,
Nur um zu früh verdächtig nicht zu sein.
Und Unruh' lohte auf, durch jene Fabel,
Von Bentivoglios Heimkehr unterzündet.
Man fühlte sich bedroht, wenn nicht verraten.
Die Söldner an dem Thore von Isaia
Beschließen vor das Schloß zu ziehn und dort
Antwort zu fordern, was die Absicht sei.
Ribaldi führt sie hin, und ihnen nach
Stürzt flutend aufgeregtes Volk zum Thor.
Da springt es auf, und uns entgegen tritt
– Drang denn kein Schrei des Jubels bis hierher? –
Der Bentivoglio und Dein Freund Andrea!

Filippo steht erregt auf.
Auch er?

Ercole.           Drum wundert's mich, daß Du daheim.
Und ist Dir nicht bekannt, daß er zurück ist,
Weißt Du auch nicht, daß seine Mutter starb,
Heut Nacht, noch eh' er kam?

Agostino.                                       Hörst Du, Filippo?
Die Mutter Teresinas tot!

Filippo kühl verlegen.               So war's
Andrea nicht vergönnt, sie zu umarmen?

Agostino. Und weiter sagst Du nichts, Filippo?

Filippo.                                                               Wahrlich,
Daß diese güt'ge Frau verschied, ist schmerzlich.

Ercole befremdet.
Wo bin ich hier? Bald scheint mir selbst, was draußen
Sich zuträgt, nicht mehr wahr! In diesen Zweigen
Ruht laue Luft, die nichts vom glüh'nden Ernst
Des Tages weiß. Was ist's mit Dir, Filippo?

Filippo schweigt.

Agostino. Besinn' Dich und geh' hin.

Filippo.                                               Wohin?

Agostino.                                                         Es giebt
Nur einen Weg für Dich. Vergingst Du Dich,
Vergaßest Dein Gelöbnis, – diese Stunde
Weckt die Erinn'rung dran aus tiefstem Schlaf.
Und zögerst Du, dem reinen Blick der Braut
Die treuvergess'ne Stirn zu bieten, denk', –
An einem Sarg wird manche Schuld verzieh'n!

Filippo mit plötzlicher Heftigkeit.
Wer spricht von Schuld? Im Herbste fallen Blätter,
Im Frühjahr sprießen andre! Sagt Ihr drum,
Daß Einer schuldig ward? Ich bin es nicht!
Es sei, daß Schuldigsein bedeutet: ew'gen
Gesetzen unterworfen sein. Ist's so,
Dann wartet Schuld von Kindheit auf in uns,
Wie unser Tod in unserm Busen harrt,
Solang wir atmen. Wenn ich schuldig bin,
So ist die Jugend ein Geschenk der Hölle,
Ist Schönheit Sünde und das Glück ein Gift,
So tückisch wie kein andres.

Ercole.                                         Ist es das?
Nun, – hab' ich's recht gefaßt, mit kleinern Worten
War's abzuthun. Sag' doch in Kürze so:
Mir hat die lange Brautschaft nicht behagt,
Und meine durst'ge Jugend suchte Trost
Bei Einer, die gefällig war und hübsch.

Filippo nach kurzem Besinnen.
Ich sag' in Kürze: geht, ich bitt' Euch, Beide!

Ercole will zuerst auffahren, dann ernst.
Für kleinen Zank zu ernst ist dieser Tag.
Drum rat' ich Dir: begrüße Deinen Freund,
Eh' er Dich fragen kommt, wie Du's vergaßest.

Filippo. Die Antwort finden, denk' ich, steht mir zu.

Ercole. Doch ihm das letzte Wort, und allzu teuer
Wär' so ein Rausch bezahlt. Es sei, Du denkst,
Ob so, ob anders, kommen wird es doch.

Filippo. Wie meinst Du das?

Ercole.                                   Nun hört! Für diesen Kopf
Und den und Deinen und für jeden so,
Der heut' auf Bologneser Schultern sitzt,
Geb' ich Gebärde so viel nicht mehr. Rings ganz umschlossen
Ist uns're Stadt, und daß der Herzog heimkam,
Freu'n sich nur die, die vor dem Thor zu sterben
Als besseres Los begrüßen, denn der Gnade
Des Borgia überliefert sein und leben.
Bolognas Freiheit ist dahin, und wer
Sie liebt, mit ihr. Den Herzog kenn' ich wohl.
Er säumt nicht einen Tag. Vor morgen Abend
Ist die Entscheidung da, doch giebt's nur eine.
Drum sucht' ich Euch. Jedoch bevor ich kam,
Ging ich in meine Werkstatt, schlug in Stücke
Den angefang'nen Guß, dann sperrt' ich zu.
Denn was auch über uns beschlossen sei,
So wie wir uns in guten Tagen fanden,
Laßt uns zusammenbleiben bis zum Ende.

Filippo wie aufschreiend.
Zu Ende? Kam dies Alles über Nacht?
Kein Ende, nein, für mich kein Ende!

Battista der Diener Filippos, kommt von der Terrasse. Gnädiger Herr, der Geheimschreiber Seiner Hoheit des Herzogs, der edle Herr Silvio Cosini, ist eben in das Haus getreten.

Filippo. Wer, sagst Du?

Agostino. Silvio Cosini?

Battista. Der Geheimschreiber Seiner Hoheit des Herzogs.

Filippo. Und fragt nach mir?

Battista. Der Herr Geheimschreiber kommt zu dem gnädigen Herrn im Auftrage Seiner Hoheit.

Filippo. Im Auftrag?

Agostino.                 Geh', Battista,
Dein Herr läßt bitten.

Battista ab.

Filippo.                             Was will mir der Herzog?
Er kennt mich nicht.

Ercole.                           So kennt er Deinen Ruhm.

Silvio Cosini kommt von der Terrasse.

Filippo ihm entgegen.
Ich bin Filippo Loschi, den Ihr sucht.
Seid mir willkommen, edler Herr Cosini.
Hier meine Freunde: Agostino Dossi
Und Ercole Manussi.

Cosini.                               Wohlbekannt.
Zu Ercole. Der Fechter, der im Park zu Cento steht,
Ist Euer Werk?

Ercole.                     Er ist's.

Cosini zu Agostino.                 Und täusch' ich mich,
Wenn ich in Euch den Jüngling wiederkenne,
Der uns – wann war's nur? –

Agostino.                                       Als von Padua
Der Fürst an unsres Herzogs Tafel speiste.

Cosini sich erinnernd.
Am Tag, bevor Bologna wir verließen.
Glaubt mir, wir hörten manchen Lautenspieler
Seit jenem Tag – es kam Euch keiner gleich.
So nehm' ich's denn als gutes Zeichen an,
Die Meister dreier Künste hier zu finden.

Agostino. Verstattet unserm Staunen eine Frage.
Wann kamt Ihr an?

Ercole.                         Es hieß, daß nur der Herzog
Und Graf Andrea heimgekehrt, die Andern
Noch auf dem Weg und mit sehr wenig Hoffnung,
Die Heimat jemals wieder zu begrüßen.

Cosini. Vor gar so bösem Abschluß unsrer Fahrt
Bewahrte uns der Himmel. Mit sechs Freunden
Erreicht' ich wenig Stunden nach dem Herzog
Die Stadt. Und auch zehn Tiere, reich beladen,
Ja, selbst drei Wagen brachten wir nach Hause,
Darauf so selt'ne Schätze sind, daß uns
So Kön'ge als Gelehrte drum beneiden.

Ercole. So wett' ich, es sind griech'sche Manuskripte,
Von Euch entdeckt!

Cosini.                           Auch daran fehlt es nicht.
Und Münzen, Edelsteine, alte Waffen,
Auch prächt'ge Stoffe giebt's, genug, um zwanzig
Der schönsten Frau'n Bolognas drein zu kleiden.
Und dann aus Marmor einen Speerwerfer,
So ist die Haltung – leider fehlt ein Arm –
Vor unsern Augen aus dem Schutt gegraben
Bei Carsoli – gäb's Gott, es blieb' uns Muße,
Nach Cento in den Garten ihn zu setzen.
Zu Ercole. Zu Seiten jenes Fechters, der uns wert.
Und doch, soviel wir bringen, uns ward mehr
Geraubt, und mehr als solche Schätze. Zwei
Der Unsern, Gofalo und Marco Pitti,
Den Blick schon diesen Thürmen zugewandt,
Erlagen Mörderstreichen, sieben Knechte
Mit ihnen.

Ercole.             Wie? So fielt Ihr doch den Leuten
Des Borgia in die Hände?

Agostino.                                 Armer Pitti!
Ich kannt' ihn wohl! Wie fröhlich zog er aus, –
Und nun im Angesicht der Heimat sterben!

Cosini. Dem Herzog war es zugedacht, wir wissen's!
Ihm gab der Himmel ein, vorauszueilen,
Auf anderm als dem vorbestimmten Weg.
Doch nun, soviel zu sagen wäre, endlich
Zu meines Herren Auftrag.
Da Agostino und Ercole sich entfernen wollen. Kein geheimer,
So wenig als der Ruhm Geheimnis ist.
Zu Filippo. Ich bin gesandt, Euch meines Herzogs Gruß,
Bewunderung, und für den heut'gen Abend
Den Ruf an seinen Hof zu überbringen.

Filippo. An Eures Herzogs Hof?

Cosini etwas befremdet, scherzend. Wohl auch des Euern!

Filippo. Doch wagt' ich nie, zu meines Herren Füßen
Von meinen armen Liedern eins zu legen –

Cosini. Ein Andrer that's für Euch!

Filippo.                                           Der Graf Andrea?

Cosini. So ist's. Gar oft, wenn uns der Reise Zufall
Im Freien rasten ließ, las uns Andrea –
Der Herzog schwärmt für seiner Stimme Wohllaut –
Aus dem Petrarca vor und aus Vergil.
Doch Eure Verse spricht er frei. Da leuchtet
Sein Aug' in Stolz, daß solche Wunderworte
Die hohe Tugend seiner Schwester preisen,
Und daß sie Euch verlobt, der sie besang.
Ja, glaubt mir: Eurer Lieder heiße Andacht
Entflammte Manchen unter uns so sehr, –
Nicht mich, Ihr Herren, mein' ich, ich bin alt –
Daß, Euch bewundernd, er zugleich Euch grollte,
Der Sehnsucht weckt und sie mit gleichem Wort,
Die hoffnungslose, in Verzweiflung wendet.
Der Herzog aber, mehr bewegt als alle,
Sprach so zu uns: An eines Fürsten Seite
Ist solchen Dichters Platz; ich danke Gott,
Der mir vergönnt hat, dieser Fürst zu sein;
Und kehr' ich nach Bologna heim, so sei
Vor allen Andern er zu mir geladen.
Getreu dies zu bestellen ist mein Amt.
Im ungewissen liegt der nächste Tag,
Und etwas aufzuschieben wäre kühn.
Zu selt'nem Fest lädt Euch der Herzog ein,
Umglüht von roten Fackeln der Gefahr,
Und unter schicksalsvollen Sternen. Drum,
Gefällt's Euch, Herr Filippo, folgt mir gleich.

Filippo nach kurzem Schweigen.
Ihr seid am falschen Orte, Herr Cosini!
Ich bin heut' nicht mehr, den der Herzog sucht,
Und folgt' ich seinem Ruf, wie ein Betrüger
Stünd' ich vor ihm. Drum und aus andern Gründen –
Wenn's Euch beliebt, aus Laune, bleib' ich fort.
Es feiert Jeder so sein Fest für sich,
Mit gleichem Recht, mit anderm Sinn ein Jeder.

Cosini sich zu den Andern wendend, erstaunt.
Ihr Herr'n –

Ercole.               's ist eine Laune, wie er sagt,
Und weggespült vom nächsten Augenblick.

Cosini. So wart' ich einer klaren Antwort. Stellt,
Ich bitt' Euch, Euer Nein auf kräft'ge Füße.
Zum Herzog kann mich dieses nicht geleiten.
Daß man ihm weigert, was er anbefiehlt,
Erfuhr kein Bentivoglio je, viel wen'ger,
Daß einem güt'gen Wunsch man sich versagt;
Zu guter Stunde nicht, wie gar in solcher,
Da jedes Ja und Nein zum Zeichen wird,
Und mehr bedeutet als sich selbst.

Filippo.                                                 Sehr wahr!

Dumpfes Glockengeläute von den Türmen.

Agostino. Was soll dies Zeichen? Kündet es Gefahr?

Ercole. Von allen Thürmen klingt's!

Agostino.                                           Wie Totenglocken!

Cosini. Das sind sie.

Ercole.                       Niemals hört' ich sie so mächtig!

Agostino. Doch einmal: als des Herzogs Mutter starb!

Cosini. Und weiß man hier nicht, wem sie heute gelten?

Agostino verstehend.
Der Gräfin Leichnam bringt man wohl zur Gruft?

Cosini. In dieser Stunde.

Agostino.                         Komm', Filippo!

Ercole.                                                         Höre,
Zum Hause der Fantuzzi woll'n wir Alle!

Filippo. Mich laßt daheim!

Agostino.                             So ist es wahr, Filippo,
Daß alle Stimmen, die auf Erden gelten,
Sinnlos vorüberhallen Deinem Ohr?
Noch tönt es von den Türmen. Komm', Filippo,
Was Dich umhüllt in diesen letzten Tagen,
War Wahn – in dieser Stunde fällt es ab!

Filippo mit mehr Überlegenheit als Pathos, aber sehr lebhaft.
Wahn ist nur Eins: das nicht verlassen können,
Was uns nichts ist, ob Freund, ob Frau, ob Heimat, –
Und Eins ist Wahrheit: Glück, woher es kommt!

Agostino. Dies Deine Antwort?

Filippo.                                       Nimm es so.

Cosini.                                                             Und auch
Dem Fürsten sendet Ihr nicht and're?

Filippo.                                                     Nein.

Ercole. So laßt uns geh'n, Ihr Herren. Es ist nicht Zeit,
Verrückte klug zu machen.

Cosini.                                     Herr Filippo,
Um meines Fürsten wie um Euretwillen
Kränkt's mich, so unbegreiflichen Empfang
Der ehrenvollen Botschaft ihm zu melden.

Agostino. Ich flieh' ohn' jeden Abschied Deine Nähe,
Als Eines, der nichts mehr mit uns gemein.

Ercole, Agostino, Cosini ab.

Wenn sie fort sind, bleibt Filippo eine Weile still, dann geht er rasch durch die Allee (c) nach hinten und lauscht. Er kommt wieder nach vorwärts, nähert sich dem Hause, geht drei Stufen hinaus, bleibt auf der dritten Stufe stehen und ruft.

Filippo. Battista!

Battista erscheint gleich auf der Terrasse, wo er stehen bleibt. Gnädiger Herr?

Filippo. Du wirst zwei Pferde schaffen auf der Stelle.

Battista macht ein erstauntes Gesicht.

Filippo. Verstehst Du mich? Zwei Pferde!

Battista. Heute, gnädiger Herr?

Filippo. Was geht's Dich an, ob heut, ob morgen!

Battista. So war's nicht gemeint, gnädiger Herr! Wie dürft ich wagen – aber ich will nur bemerken, daß es eine vollkommene Unmöglichkeit sein wird, heute Pferde zu bekommen.

Filippo. Geh' zum Regondi, vierundzwanzig hat der
Im Stall!

Battista. Herr, gerade von dem weiß ich zuversichtlich, daß er kein einziges mehr hat. Ghiberti hat alle in Beschlag genommen.

Filippo. Wer ist Ghiberti?

Battista. Der Reiterhauptmann Ghiberti! Am Thor von San Stefano!

Filippo. So geh' zu einem andern! Suche beim
Marsiglio, – besser noch – thu' in der Stadt
Dich um und kauf' sie Söldnern ab!

Battista. Herr!

Filippo. Nimm Geld, soviel Du willst! Nur schaff' mir Pferde!
Und säum' nicht länger! Geh'! Hast Du sie erst,
So hörst Du alles, was zu wissen not.
Noch eins: auf Deinem Wege hör' um Dich,
Nach Botschaft von den Thürmen, welche Straße
Noch frei, wo – Er unterbricht sich.
                          ah, wo ein Entkommen möglich.
Und wenn – Doch geh'! Ruft ihm nach.
                                      Battista!

Battista. Gnädiger Herr?

Filippo. Dies ist für Dich allein.
Und jetzt geh' rasch und komme rasch zurück!

Battista geht.

Filippo allein. Verläßt die Stufen, eilt, als wenn er etwas gehört hätte, wieder durch die Allee (c) nach hinten, dann kommt er langsam nach vorwärts und beginnt zu sprechen.
Auf leichten Flügeln rauscht mein Leben hin;
Sie aber hängen schwere Worte dran,
In ihre Tiefen es zu zieh'n. Was ist mir
Dies alles? Wo ich bin, gilt nicht, was unten
Schicksal und Weg bestimmt. Entkommen, sagt' ich?
Dies ist kein Flieh'n. Ich schließ' die Thür nicht ab,
Und wenn Andrea kommt, steh' ich ihm Rede.
Doch sein zu warten, hält mich hier so wenig,
Als dieser Stadt Gefahr. Und hätt' ich Macht,
Mit einem einz'gen Hauch sie zu befreien,
Doch Beatrice wär' mir drum verloren,
Gäb' ich Bologna hin; – und loht in Flammen
Die Heimat hinter mir, wär's mir nichts weiter,
Als meines Glückes würd'ger Opferbrand.


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