Maximilian Schmidt
Die Schwanjungfrau
Maximilian Schmidt

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Die Schwanjungfrau

Hochlandsbild

von

Maximilian Schmidt

 

 

Leipzig
H. Haessel Verlag

 


 

Seiner Majestät

König

Ludwig II. von Bayern,

dem

großsinnigen Beschützer

volkstümlicher Dichtung

 

in allertiefster
Ehrfurcht und Dankbarkeit
gewidmet.
       

 

 

I.

DasZum Dialekte: Die richtige Aussprache des Dialektes besteht hauptsächlich in der Betonung des hohen und tiefen a sowie in der Anwendung von Nasallauten. Die hohen a sind durch aa bezeichnet, die Nasallaute durch einen Accent? Außerdem ist folgendes zu bemerken:
    a und an' steht statt des unbestimmten Artikels ein und einen, wobei das a ebenfalls hochtönig ist, gleichwie in da, welches statt des bestimmten Artikels der oder statt dir steht, wie ma statt mir. – aa (hochtönig) steht statt auch, au, ä und anderen Doppellauten.
    Die durch Apostroph gekürzten Worte mei', dei', sei', scho', no', ma', na', (mein, dein, sein, schon, noch, man, nein) sind mit einem Nasallaut auszusprechen, ähnlich wie das französische non. I hon steht statt ich habe. Alles übrige erklärt sich wohl selbst oder ist eigens angeführt.
Berchtesgadenerlandl ist das an Naturschönheiten reichste Gebiet, die Perle der nördlichen Alpen; ihm gebührt unter allen Punkten der deutschen und helvetischen Alpen unbedingt der erste Preis. Man versteht 10 darunter den von der Bischofswieser-, Ramsauer- und Königssee-Ache durchrauschten, von mächtigen Gebirgen und Felswänden rings umschlossenen Thalkessel, dessen unvergleichlicher Reiz der harmonische Einklang ist, zu dem sich hier alles vereint hat.

Berchtesgaden mit der ehemaligen fürstlichen Propstei und den prächtigen Spitztürmen seiner Stiftskirche selbst liegt auf schluchtigen, hügeligen Halden, deren immer wechselnde Gestaltung das Auge stets von neuem fesselt. Seine Häuser kauern malerisch auf den Höhen oder verbergen sich geschämig in den Tiefen. Die Berghänge rings um den schönen Markt sind mit saftigen Wiesen belegt und von laubfrischen Buchen- und Ahorngruppen beschattet, welche hoch hinauf die Gehänge tannendunkler Vorberge umsäumen, aus denen rauschende Bergwasser niedertosen und über welche im flimmernden Hochduft rings 11 in der Runde die imposante Bergwelt in eigenartiger Schönheit emporragt.

Teils bis zum Gipfel hinauf begrünt und bewaldet, teils als schauerliche Wände mit hoch hinauf ins Wolkenreich strebenden Felsenzinken reihen sich an den sagenhaften Untersberg und das grüne Hochthal der Zill die majestätischen Gebirgsgruppen des Göll mit dem Schwarzort, Hochbrett und Jenner, dann die Funtenseetauern, die Schönfeldspitze, der Hochkalter, das Lattengebirg, die Reitalp und alle überragend wie die Tiara des Hohenpriesters, die herrlichen Hörner des Bergkönigs, des hohen Watzmanns.

Wohl mochte der alte Riesenkönig oft sein schneebedecktes Haupt schütteln über das wechselvolle Schicksal des zu seinen Füßen liegenden, etwa vier Quadratmeilen umfassenden Ländchens. Oft zuckt aus dräuenden Gewittern sein strafendes Wildfeuer herab, oft verhüllt er sich mißvergnügt in das dichte Gewand der aus den Tiefen aufbrauenden Nebel, aber noch öfter lächelt er hernieder im freundlichen Lichte der ihn umkosenden Sonnenstrahlen, die ihn zum Morgen- und Abendgruße glühend umarmen, oder von den silbernen Fäden des Mondes zur riesigen Leuchte umsponnen und umflirrt von den zum Reigen versammelten Elfen der Berge.

Und warum sollte er auch zürnen, der alte Riese? Sonst gaukelte um ihn häßliche Drachenbrut, und wilde Tiere durchstreiften die unwirtsame Wildnis um und unter ihm, ihr unheimliches Geschrei erfüllte die Luft und tönte von den Felsenwänden schaurig wieder, während kein erquickendes Lüftchen sich aus den schneebedeckten oder moorigen Thälern zu ihm empor zu schwingen und sein Haupt zu umkosen vermochte.

12 Jetzt ist es anders geworden. Statt dem Geheul der wilden Tiere hallt das Jauchzen fröhlicher Menschen von Thal und Bergen, tönt aus grüner Matte das Geläute der weidenden Herden und klingen im Thale die hellen Glocken zur Andacht. Die Wildnis ist ein Paradies geworden, die Zuflucht der nach Gesundheit und Erholung lechzenden Fremden; der würzige Hauch der Alpenblüten und honigduftender Gräser ist nun des Königs Weihrauch, und statt der Drachen steigen zu seinem Throne frohe Menschen, die ihn mit schönem Sang begrüßen und von seiner Hochwarte aus mit Entzücken hinausschauen in die weite Welt, mit ihren Blicken das unübersehbare Flachland umspannend und die wunderschöne Welt der Berge.

Und das alles verdankt der Felsenkönig, verdanken die Menschen, die hier ihre Heimat gefunden, einem edlen Weibe, der Gräfin Irmengard von Sulzbach, kraft deren Gelöbnis im zwölften Jahrhundert (1120) in dem Wald- und Jagdgebiet Berchtesgaden von Mönchen des Klosters Rottenbuch unter Propst Eberweins Leitung ein Kloster und Dom erbaut, die Wildnis kultiviert und durch fleißige, der Holzschnitzerei kundige Ansiedler und andere Handwerker aus dem Aufenthalte der wilden Tiere und dem Schlupfwinkel der Drachen eine Stiftshütte Gottes und eine Heimat fleißiger Menschen geschaffen worden. Ein rühriges Leben begann, die Hochwälder erklangen von den Axthieben der Klosterleute und die düstere Lampe des Bergmanns flimmerte alsbald in den Stollen des unter Propst Dietrich im Jahre 1174 aufgeschlossenen, salzreichen Tuvals, auf dessen Schätzen die durch ansehnliche, ihm von Kaiser und Papst verliehene Vorrechte selbständig gemachte Fürstpropstei ihre irdische Wohlfahrt aufbaute, 13 welche so schnell zum Gedeihen und zur Blüte kam, daß selbst der nachbarliche Erzbischof von Salzburg nicht zu erhaben war für den Neid.

Und der Neid brachte in das Thal des Friedens den Krieg, angefacht und geführt von Männern des Friedens, irdischen Besitzes halber, das Gesetz wendend nach dem Rechte des Stärkeren. Jahrhunderte währte der Hader, der wohl das Volk bedrückte, weniger aber die infulierten Pröpste. Ersteres verarmte in den Fesseln der Leibeigenschaft, Not und Elend machten es krank und verkommen, während die Pröpste und Stiftsherren im Überflusse schwelgten und infolge ihrer Mißwirtschaft bald gezwungen wurden, Land und Leute an Bayern zu verpfänden, das, lange über des Ländchens Selbständigkeit wachend, es endlich nach vielen Wandlungen im Jahre 1810 durch den Frieden von Schönbrunn als Eigentum erhielt.

Nun begannen auch für das kleine Ländchen bessere Zeiten; das Volk wurde frei, der Preis der Arbeit erhöht, Viehzucht und Feldbau erweitert, und bald ward Berchtesgaden der Lieblingsaufenthalt seines milden, königlichen Regenten.

Der alte Watzmann mußte schweigend alles mit ansehen. Wie oft mochte er da die Zeiten der Urwildnis zurückgewünscht, wie mochte ihn die Lust der Pröpste angeekelt haben, wenn er dabei die Thränen des gedrückten Völkleins sah und seine lauten Klagen hörte!

Aber heute – zu Anfang der fünfziger Jahre – war es ja anders; heute hallten himmelanstrebende Juhschreie herauf, Böllerschüsse erdröhnten und die Luftwellen trugen feierliche Fanfaren heran, denn der Landesherr König Max II. zog mit seiner Familie in Berchtesgaden 14 ein, um in seinem prächtigen neuerbauten Hause Sommeraufenthalt zu nehmen.

Das ganze Völklein war auf der Reichenhaller Straße den Ankommenden entgegengeeilt. Festlich geschmückte Jungfrauen brachten dem geliebten Herrscherpaare Willkommensgrüße mit Almenrausch und Edelweiß, welches oben am Watzmann gepflückt worden, der heute in wunderbar lichter Weiße zum blauen Himmel emporragte, als wollte auch er dem freundlichen Landesvater ein herzhaftes »Grüaß di Gott!« zurufen.

»Juhu! Juhu!« jauchzte das Volk, und der Fürst wie seine Familie fühlten sich hier daheim in ihrem lieben Berchtesgaden.

Stille war es inzwischen auf den anderen Straßen, besonders auf jener, welche von Salzburg durch das schmale Thal der Alpe zwischen den roten Wänden und Niederungen des Unterberges und den Ausläufern des hohen Göll zu dem heute festlich geschmückten Orte herführte. Nur ein einziger Wanderer kam rüstigen Schrittes von dort her. Staunend blickte er auf zu den hohen Bergriesen und frohen Herzens jubelte er hinauf und erfreute sich an dem schönen Echo seiner Lieder.

Er mochte etwa vierundzwanzig Jahre zählen und war nach Jägerart gekleidet, das heißt, er trug einen grünen, mit Spielhahnstoß geschmückten Hut, eine graue Joppe und Beinkleider von der gleichen Farbe, welche in die hohen Wadenstiefel gesteckt waren. Er trug einen alten Rucksack, der vollgepfropft aussah, aber nichts anderes enthielt, als seine Wäsche; um die Schulter hing sein in einem alten Futteral aus Juchtenleder wohlverwahrtes Gewehr. Er war kräftig gewachsen und aus seinem 15 hübschen, etwas dunkelfarbigen Gesichte blickten zwei dunkle, große Augen, ein kleines, schwarzes Schnurrbärtchen bedeckte seine Oberlippe, und üppiges Haar wallte unter dem Hute hervor. In der Hand trug er einen festen Stock, dessen gebogener oberer Teil mit einer schönen Schnitzerei versehen war, einen Jäger mit einem Schwane darstellend. Aus der äußeren Seitentasche seiner Joppe ragte ein kleines, aus Gamskrückl gefertigtes Tabakspfeifchen hervor und im Knopfloche hatte er einen mit Perlen gestickten Tabaksbeutel mit einem hölzernen Stopfer hängen, welch letzterer gleichfalls eine Schnitzarbeit zeigte, eine schöne Jungfrau in langem Kleide, mit wallendem langem Haar und mit von Almenrausch und Edelweiß bekränzter Stirne.

Der junge Mann trug seinen ganzen Reichtum mit sich. Und er war reich durch sein heiteres Gemüt; mochten auch in der alten Börse nur noch wenige Groschen vorhanden sein, das konnte sein Herz nicht bedrücken angesichts der unendlichen Herrlichkeit dieser schönen Welt, welche sich ihm hier aufthat.

Wo die Straße eine Biegung macht und das Thal der lustig daher rauschenden Ache sich erweitert, wo zum erstenmal das schöne Berchtesgadenerlandl sich den erstaunten Blicken zeigt, da hielt er Rast unter einer riesigen Esche, da jauchzte er, überwältigt von der sich ihm darbietenden Pracht. Doch während freudige Juhus sich aus seiner Brust lösten, fielen auch Thränen aus seinen Augen, eine tiefe Rührung bemächtigte sich seiner – es war ja die Heimat seiner guten Mutter, die ihn so sehr entzückte, seiner Mutter, die bis zu ihrem Tode ein ungestilltes Heimweh hatte nach dem schönen Berglande und dem Sohne 16 nichts anderes hinterlassen konnte, als den Rat, dorthin zu ziehen, wo sie so glücklich gewesen und wo auch er sein Glück finden würde.

Seine Mutter war die Tochter eines Berchtesgadener Jägers und zog nach dem Tode ihrer Eltern als das Weib eines braven Jägers ins Unterland, an die Donau, wohin dieser von seinem bisherigen Standpunkt Bartlmä aus versetzt ward. Das Glück ihrer Ehe konnte die Sehnsucht nach der verlassenen Heimat nie ganz verwischen. Das Alpenblümchen kann im Flachlande nicht gedeihen, und so fühlte auch Frau Perlacher sich nirgends heimisch, so reizend auch die Gegend war, in welcher sie ihr Familienglück aufbaute. Am fernen Horizonte tauchten bei hellem Wetter die Spitzen des Watzmanns auf, und nach diesem fernen Riesengebirge blickte sie dann oft mit unendlicher Wehmut. In solchen Stunden zeigte sie dann ihrem Söhnchen Berchtold den heimatlichen Berg und dieses mußte mit seinen kleinen Händchen den fern herblickenden Gipfel begrüßen. Von diesem Berge, von diesem Ländchen erzählte sie dem wißbegierigen Kinde, und die Sagen und Lieder dieses Berglandes waren es, mit denen sie den zur Ruhe gelegten Knaben einschläferte und in süße Träume wiegte.

Kurz vor ihren Tode blickte sie noch hinein zu den in seltener Klarheit leuchtenden Spitzen des Watzmanns.

»Durt ziag hin,« sagte sie zu dem kleinen Sohne, »wennst amal groß bist – grüß mir die Berg und den See vom lieben Berchtesgaden, durt wird mei' Geist dir nah sein, durt find'st dei' Glück!«

Und sie schloß die treuen Augen auf immerdar. –

Berchtolds Vater erzog seinen Knaben zum edlen 17 Waidwerke. Er hatte später die Försterei eines adeligen Gutsbesitzers übernommen und hoffte, einst diese Stelle seinem Sohne überlassen zu können. Da mußte der kräftig herangewachsene junge Mann zum Militär, bald darauf starb sein Vater, und da auch das Gut in andere Hände überging, wurde des jungen Jägers Hoffnung, seinem Vater im Amte folgen zu können, zu nichte. Nach dreijähriger Dienstzeit beim Militär ward er ständig beurlaubt, aber auch brotlos. Nirgends konnte er eine Unterkunft als Jäger finden und als er schon verzagen wollte, kam ihm plötzlich die Prophezeiung seiner guten Mutter in den Sinn, von weiter Ferne leuchteten ihm die Hörner des Watzmanns zu und dorthin setzte er nun seinen Wanderstab.

Er nahm den Weg über Salzburg; von dort kam er heute her. In Schellenberg nahm er seinen Morgenimbiß zu sich und traf hier mit einem bei seiner Kompagnie gestandenen jungen Burschen, Namens Peter Graf, zusammen. Sie waren sich während ihrer gemeinschaftlichen Dienstzeit nicht besonders hold. Beide waren die besten Scheibenschützen, aber Berchtold eroberte zum Verdrusse des Kameraden stets den ersten Preis. Auch galten beide für die stärksten Männer der Kompagnie und bei hin und wieder ausgeführten Ringkämpfen war es meistens wieder Berchtold, der den anderen besiegte. Oft kam es da zwischen beiden zu wirklichen Ringkämpfen, in denen Peter immer zu Boden geworfen wurde. Das versöhnende Gemüt des Siegers brachte aber stets wieder das gespannte Verhältnis und die Eifersucht zum leidlichen Auskommen.

Heute traf er diesen Widerpartner im Gasthause zu Schellenberg. Sie begrüßten sich als Freunde und tranken über dem unerwarteten Wiedersehen in den Bergen wohl 18 mehr als Berchtold gewohnt war und seine Börse vertragen konnte.

Peter, in etwas defekter Berchtesgadener Kleidung, mit Spitzhut, Joppe und Kniehösln, erzählte dem Kameraden, daß er sich durch Edelweißbrocken ernähre, daß er aber nebenbei noch anderen Verdienst habe, an dem er den ehemaligen Kompagniekameraden wollte Anteil nehmen lassen. Er sagte ihm aber nicht, was das für ein Verdienst sei.

»Heunt Nacht,« sagte er, »kimmst zu der Schenk im greana Baam, durt find'st mi – durt kriegn ma a Gerstl!«

Und als Berchtold verwundert fragen wollte, auf welche Art und Weise, war der Grafenpeter durch die Küchenthüre verschwunden. Zur Hauptthüre aber traten zwei Gendarmen ein.

Berchtold machte sich jetzt ebenfalls auf den Weiterweg und die fortwährend neuen Eindrücke, hervorgerufen durch die stets wechselnde Scenerie der zu beiden Seiten des Weges befindlichen Bergabhänge, ließen dem jungen Mann nicht Zeit, über das unerwartete Zusammentreffen und die große Zutraulichkeit des einstigen Kompagniekameraden nachzudenken.

Sein Entzücken erreichte den Höhepunkt, als er jetzt an dem Platze angelangt war, wo sich all die Herrlichkeit des schönen Berchtesgadenerlandes vor ihm aufthat. Wie erwähnt, bemächtigte sich seiner zugleich eine tiefe Rührung, als er den nun ganz nahe vor ihm stehenden Watzmann, den sonst nur von den weit entfernten Vorbergen des bayrischen Waldes begrüßten Bergkönig, erblickte und ihm die Grüße seiner längst verstorbenen Mutter überbrachte. Und es ward ihm eigentümlich zu Mute; er glaubte sich 19 wieder gegrüßt von all den Bergen rings umher, auf denen so oft der Mutter Auge geruht, zu denen sie sicher auch emporgestiegen in den frohen Tagen ihrer Jugend.

Rechts von der Straße zweigt hier ein schmaler Weg nach der sogenannten Gern ab, von welcher ein geschwätziges Bergwasser herabeilt. Eine riesige Esche breitet ihre schattenreichen Äste über die Straße und eine an ihrem Stamme angebrachte hölzerne Bank ladet den Wanderer zur Ruhe ein.

Hier ließ sich auch Berchtold nieder. Er wollte all die Eindrücke, die so verschiedenartig sein Gemüt bewegten, vorübergehen lassen, ehe er zum schön gelegenen Markte emporstieg.

Vor seinem Geiste tauchten all die Sagen und Märchen auf, welche ihm seine Mutter von ihrer Heimat erzählt, aber er konnte sich nur mehr unklar derselben entsinnen. Daß ein wilder König, Namens Watzmann, samt einer Frau und sieben Kindern in Stein verwandelt worden, und daß der große und kleine Watzmann nebst seinen sieben Felsenzinken der Sage nach diese Königsfamilie sein soll; daß die Arche Noahs an der obersten Spitze Halt gemacht hat und noch heute einige Trümmer jener Arche dort oben sichtbar sind, dies und anderes fiel dem jungen Manne wohl ein, vergebens aber besann er sich auf das Märchen von der Schwanjungfrau in dem zu Füßen des Watzmanns liegenden, felsumschlossenen See. Und doch erzählte ihm gerade davon die Mutter am liebsten.

Es war die Jungfrau, welche sein halbverbrannter Pfeifenstopfer vorstellte, den er jetzt zur Hand nahm, während er sich alle Mühe gab, die Sage wieder in sein 20 Gedächtnis zurückzurufen. Er hatte den Kopf an die Esche gelehnt, er schloß die Augen und dachte und dachte.

Sei es nun infolge des in Schellenberg genossenen Weines und der Ermüdung, sei es infolge der gerade jetzt ihm besonders fühlbaren Hitze der hoch am Himmel stehenden Julisonne – der junge Mann verfiel in einen festen Schlaf und das geschnitzte Bildnis in seiner Hand verfloß in seine Träume, in schöne Träume, denn er lächelte und öffnete nur widerstrebend die Augen, da er ganz in der Nähe einen Gesang hörte. Aber er rührte sich nicht von der Stelle, denn vorüber huschte im weißen, wallenden Gewande, die goldenen Locken geschmückt mit Almenrausch und Edelweiß, eine blaue Schärpe um die Schulter, eine herrliche Jungfrau – die Schwanjungfrau. Sie sah ihn einen Moment freundlich lächelnd an und nickte mit dem Kopfe, wobei aus den Locken ein Zweiglein Almenrausch zur Erde fiel. Dann entschwand sie seinen Blicken auf dem Wege in die Gern.

Berchtold schloß die Augen wieder, um den Traum fort zu träumen, und sein tiefes Atmen bezeugte, daß ihm das auch gelungen. Aber es währte nicht mehr lange. Plötzlich erwachte er und sein erster Blick fiel auf ein häßliches, dicht neben ihm sitzendes Weib. War es ein Kobold, eine Hexe? Berchtold sprang erschrocken auf.

»Wohl bekomm's! G'segn's Gott!« rief die Alte lachend und dabei gähnend, »hast mi schier selm zum Duseln ang'steckt. Ja, ja, 's is hoaß heunt!«

Die so Sprechende hatte ein schwarzes Tuch um ihren Kopf gewunden, den gestrickten braunen, mit breiten roten und grünen Streifen umfaßten Berchtesgadener Spenzer und einen grünen, verschossenen Rock an. Sie trug dazu 21 blaue Strümpfe und Pantoffel. Ihr Gesicht glich ganz dem einer Zigeunerin, nur hatte sie an der rechten Seite des Halses einen riesigen Auswuchs, eine sogenannte Schilddrüse, die ihr weit über die Schulter herabhing. Sie rauchte aus einer ziemlich langen, ganz gewöhnlichen Tabakspfeife, daß der Qualm in dichten Wolken sie umgab. Neben ihr lag eine Strickerei mit langen, hölzernen Nadeln, ein angefangener Spenzer, wie sie selbst einen solchen trug, und daneben stand eine Flasche mit einem dunklen Inhalt.

Berchtold, noch halb von seinem Traume befangen, sah mit eigentümlichen Blicken nach dieser rätselhaften Erscheinung.

Sein erster Gedanke war, dieses hexenartige Weib möchte etwa die Schwanjungfrau in neckischer Verwandlung sein. Ganz gewiß hatte er die schöne Jungfrau selbst vorüberwallen sehen – er konnte das nicht geträumt haben – dort ging sie hin, die Stirne geschmückt mit Alpenrosen und – dort lag am Boden das herabgefallene, rote Sträußchen, es kam von ihr. –

Berchtold eilte hinzu und hob die Blüte auf; es war ihm ganz sonderbar zu Mute. Als er den Blick jetzt wieder zu der Alten wandte, sah er sich von dieser lächelnd angestarrt.

»Moanst nit, du traamst?« fragte sie ihn und trank aus ihrer Flasche. »Da trink, damit'st wieder nüchtern wirst. Wollt wetten, du bist z'viel einkehrt und hast dernthalbn da einduselt. Trink, sag i, und spreiz di nit lang – da kriagst glei wieder liachte Augn, wie's a rechta Jagasbua braucht.«

Berchtold schämte sich über sein Erschrecken. Er wollte 22 den ersten Trunk, der ihm in der neuen Heimat gereicht wurde, nicht verschmähen. Vielleicht, dachte er lächelnd, ist es nur eine Probe, und wenn er getrunken, verwandelt sich die Hexe in das schönste Traumbild.

So denkend, griff er nach der ihm dargereichten, langhalsigen Flasche und setzte dieselbe, nachdem er ihren Rand unwillkürlich mit seinem Ärmel abgewischt, an seinen Mund.

»G'segn's Gott!« sagte die Alte lächelnd und Berchtold that einen herzhaften Schluck.

»Pfui Teufl!« schrie er und spie den Saft mit einem schauerlichen »brrr!« heraus. »Ja was is denn dös für a Hexentrank?«

»Was?« rief die Alte, die Flasche an sich reißend. »An' Hexentrank nennst die Raritätsessenz? Dös is a Nagerlmet, den i mir selm ansetz – aus lauter rasse Nagerl. Bua, dös is scharf, dös wirmt di, dös is besser, wie'r Enzian oder gar der Plempl von an' Bier. Du bist 'n halt nit g'wöhnt.«

»Na'!« erwiderte der nun wieder völlig frisch gewordene Jäger; »bewahr Gott, daß i so was gwöhna muaß! Wie nur a leibhaftiger Mensch, no' dazua a Wei', so was awibringa kann!«

»Ja no', der Hunger treibt Bratwürst awi und der Durst an' Schampani; wennst aber nix anders hast, aft is der Nagerlmet aa nit schlecht. Sunst hon i 'n nur als Medizin g'macht für d' Kinderkranketen, zumal für d' Blattern, denn woaßt, i bin diermal a Fretterin (Arzneipfuscherin), aber mit der Zeit hon i dös guate Saftl selm liabn gwöhnt. Hackara!« fuhr sie jetzt plötzlich auf, »wennst nix hast sunst und dennast koa' Wasser trinkn willst, was 23 thuast denn nacha nit alles! I halt 'n für guat und daß er mir schmeckt, is d' Hauptsach. Ebba nit?«

»Ja, ja,« meinte der Jäger, »'s is halt Gwohnheit. Därf Enk vielleicht a Pfeifen Tabak gebn aus mein' Beutel?«

»Dös därfst scho',« entgegnete barsch das Weib; »is mir eh der meinige ausganga. Was hast denn für an' Pfifferling?«

»An' Spezial!« antwortete Berchtold lachend. »I verhoff, daß er besser is, als dei' Knaster, den d' grad g'raucht hast. Der riecht verdächti.«

»Mir scheint, du bist a bsunderer, weil's d' nix an mir achtst. Wo kimmst denn her? Bist zum Förster her versetzt worn, weilst dei' Bix in an' solchen Fuatteral tragst? Wenn iatzt a Hirschel über 'n Weg springet, wie wolltst d'es denn machen?«

»Laufa ließ i 's. I hon koa' Recht zum Schiaßn da, i suach mir erst a Stell, i hoff, i kriag oane, nacha trag i mei' Bix scho' frei.«

Die Alte hatte sich inzwischen ihre Pfeife gestopft und mit einem Schwamm, welchen sie mittels Stahl und Feuerstein glühend gemacht, angezündet. Sie schmauchte einigemale sehr behaglich.

»Is nit schlecht!« sagte sie, »aber der mei' is mir liawa – leih wir den Stopfer a weng – höllsaxendi – dös is ja gar d' Schwanjungfer vom Königssee. No' ja, die hat si scho' schön verbrennt bei dir!«

»A Frag!« sagte Berchtold. »Seids Ös scho' lang neben wir gsessn? Habts nit gsehgn, daß a weiße Frau vorbei is, grad so, wie die und – dös Almasträußl – 24 wie kann dös daher komma sein? Wißts nix! Sagts mir's, i bitt Enk.«

»D' Schwanjungfrau willst gsehgn habn? Bua, dös waar a Glück – da versäums ja nit und geh außi zum Königssee, wer woaß? Kunnt ja sein! Aber i moan halt allwei, du hast traamt. Gsehgn hon i nix, wier i donna kemma bin, als di – ja nomal, a großmächtiger, weißer Vogel is mir über'n Kopf g'flog'n, gegn d' Schönau und 'n See zua – ausgsehgn hat er, wier a Gans!«

»Ja, ja, i hon halt traamt,« sagte Berchtold lachend. »Aber möchts mir nit weiters erzähln, was 's mit der Schwanjungfrau für a Bewandtnis hat?«

»Da muaßt di an den Stopferschnitzler wenden – glei durt obn hat er sei' Hütten in der Gern, siehgst ja eh 's Dachl – der alt' Weyerzisk woaß all's, er schnitzelts ja allweil und da kannst dir nacha glei an' andern Stopfer kaafa; den kannst mir schenka.«

»Dös kann i nit,« entgegnete der Jäger, »es is a Angedenken von mein' verstorbna Vatan.«

»Ja, ja, nacha halt'n in Ehrn!« fiel die Frau schnell ein, »alles muaß ma' in Ehrn haltn, was von die Eltern kimmt; 's is gar so schön, wennst sagn und denkn kannst, 's giebt ebban, der dei' Sach amal acht, und waar's no' so g'ring!«

»Kennts Ös so was nit denkn?« fragte der Jäger, der schon längst wieder auf der Bank neben der Alten Platz genommen.

»I?« fragte die Alte und lachte dann hell auf. »Wer wird denn von der Rappelleni oder der Rappelgräfin so a Gmüat verlanga, von der kropfigen, rappelköpfigen Hex!«

25 »A Gräfin? Seids Ös a Gräfin?« fragte der Jäger verwundert.

»Ja, no', d' Leut hanseln mi mit dem Nama, wenns aa wissen, daß 's mir anamal an' Stich ins Herz giebt. Aber was fragen d' Leut nach an' altn Wei! Mei' rechter Nam' is Magdalene Graf und ganz von Rechts wegen sollt' i Schweiger hoaß'n. So hat mei' Bua ghoaßn, wier i no' a saubers Deandl gwen bin. 'n Schweiger sei' Ödl und Vata is Knapp' gwen in der Salin', und wie's von alters her bei uns eing'führt war, hat der Sohn 's Handwerk von sein Vatan, und koa' anders ausübn därfen. Aber halt mei' Schweiger hat die Arbet im Bergwerk nit votragn, der Schnaufer is eam ausganga, d' Aderlaß hat nix gholfa und so hat er's denn mit ara andern Arbet versuacht. 's Gadlmachen (Schachtelmachen) hat 'n gfreut und weil er koa' Berechtigung dazua kriegt hat, hat er an' Selbsterer (Arbeiter auf eigne Faust) gmacht und da hat 'n unser geistliche Obrigkeit wegn Gwerbsbeeinträchtigung gstraft und schikaniert. An an' Konsens zum Heiraten war nit z'denken und so is er ausgwandert auf Münka außi und hat beim alten Kurfürsten (Karl Theodor), der die Berchtesgadener hat guat leiden kinna, a Konzession kriegt zum Gadlmacha und d' Erlaubnis zum Heiraten. No ja, da hon i nit lang gfragt und bin ohne Erlaubnis von seiner fürstlichen Gnaden – denn woaßt, ohne die hat koa' Berchtesgadener auswandern oder si außer Lands verheiratn dürfen – auf und davon auf Münka. I bin mit 'n Schweiger kopliert worn und halt so recht glückli ham ma glebt. A Deandl hat uns unser Herrgott gschenkt und nix is uns abganga, nix als die Berg, als unser Berchtesgadnerlandl. 's Hoamweh is 's 26 gwen, Not und Elend in der alten Hoamet ham ma bald vergessen und an nix denkt, als daß 's halt in die Berg so gar viel schö'!«

»Grad wie bei meiner Muata',« unterbrach sie der Jäger, »und die is über dem Hoamweh gstorbn.«

»Uns aber hat's verdorbn!« fuhr die Alte fort. »Da ham ma uns 1798 durch a Schriftstuck von unserm Fürstpropst schrecka lassen, d' Hauptsach is aber dengerst d' Sehnsucht nach der Hoamat gwen. In dem Schriftstuck hat's ghoaßn, i woaß 's no' auswendi, daß alle bisher ohne herrschaftlichen Konsens außer Landes befindlichen Unterthanen, wo sie sich aufhalten mögen, zurückkehren sollen, um die durch ihr verbotenes Austreten »verworchene« Landeshuld gegen vorbehaltene Bestrafung auszuwirken und zu fernerem Gehorsam sich einzustellen, widrigenfalls sie als leibeigene Unterthanen auf Erfragen hereinberufen und den Reichskonstitutionen gemäß vindiziert, auf Betreten aber gegen sie als treulose Verräter des Vaterlandes mit Konfiszierung Hab und Gutes, Versendung auf Galeeren, auch nach Gestalt der Sache noch schärfere Leibesstrafe verfahren werden solleLandesstatuten der gefürsteten Propstei Berchtesgaden. Oberbayr. Archiv..

Auf dös Schriftstuck auffi hon in mein' Schweiger dahin bracht, daß er mit mir z'ruck is in d' Hoamat. I hon ghofft und vertraut auf die Huld und Gnad von unserm geistlichen Landesfürsten, aber da hon i mi schön gschnidn. Mit der Geign ham's mein Mo' gstraft und mit ara schwern Geldstraf, daß all unser Hab und Guat drauf ganga is, mir haben's 'n Maulkorb anglegt und mi' an d' Schandsäuln gschlagn, unser Heirat ham's für 27 ungilti erklärt und ham mi von mein' Mann mit Gwalt trenntDie Folterwerkzeuge, sowie ein Richtschwert, dann die als Hoheitssymbole den Fürstpröpsten vorgetragenen Scepter und Schwert wurden 1865 in das bayr. Nationalmuseum zu München abgeliefert.. Mei' Deandl ham's a ledigs Kind ghoaßn, 's Grafenkind ham's sie's gspöttelt. Mein' Mo' ham's wieder ins Bergwerk gsteckt und i hon gstrickt und gstrickt aaf Hallein ummi in d' Fabriken. Der meinige Mo' hat's nit lang damacht und is gstorbn, grad wie's aa mit 'n letztn FürstbischofJoh. Konr. Freiherr von Schroffenberg. Er war zugleich Bischof zu Freysing und Regensburg und starb den 4. April 1803. von unserm Landl seiner Herrlichkeit aus is worn. Da is d' Hetz anganga in unsern Landl. Bal is 's salzburgerisch, bal boarisch, glei drauf österreichisch und aftn wieder welsch worn, wie's der Toskaner Ferdinand kriegt hat. Anno fünf, z' Weihnachten, i denk's no' guat, hat uns 's Christkindl auf amal wieder österreichisch gmacht und uns 'n Kaiser Franzl zum Herrn gebn. Mei liawe Zeit, der hat's guat gmoant mit uns; d' Leibeigenschaft hat er aufghobn, wir san aus die Hund Menschen worn, aber halt mei' Schweiger hat's nimmer dalebt. Krieg über Krieg, Not und Elend is über 's Landl kommen, der Hunger und 's hitzi Fiaber ham regiert, mei' ganze Froandschaft is elendi z' Grund ganga, i hon 's alloa' damacht, i und mei' »ledige« Tochter. Endli san ma anno zehni guat boarisch worn. Dös war a Jubel, wie der Vater Max 's erstemal zu uns einakemma is! I hon aa Vivat g'schrien, denn i hon 's best ghofft, daß iatzt mei' Deandl wieder ehrli wird. Aber da san a fünf, a sechs Jahr im Krieg dahin ganga, und eh die Sach entschieden, is mei' Deandl g'storbn, im Kindsbett g'storbn und d' Leut 28 ham glacht und ham gsagt: »Iatz is halt wieder a Grafenkind mehr aus der Welt.« A Jaga hat ihr's antho', hat ihr z'erst d' Heirat versprocha, aftn hat er's sitzn lassn, hat a andere gnumma und is weit furt. Wohl hat er ehrli mir a Geld eingschickt, bis er vor a etli Jahr g'storbn is. I alloa' woaß aa sein' Nam, den nit amal sei' Suhn woaß, der Peter. So hon i mi dahingfrett mei' ganz's Lebn lang und wenn i oft rappelköpfi worn bin über mei' Gschick – no', hon i koa Ursach dazua? I hon 'n Peter christli auferzogn, kann i was dafür, daß er a halbeter Loder worn is? Hat 'n der Spott von die Leut nit selber dazua gmacht? 's Grafenkind hams 'n als kloaner gschimpft und später aftn 'n Grafen Peter. No', da spielt er halt aa diemal 'n Grafen im Wirtshaus und auf die Berg. I hon koa' Gwalt mehr über eam, aber büaßen muaß i alles, was er thuat. Höllsaxendi! dös wird mir schon bal z'wider! Da möcht i oft scho' alles zsammschlagn und nix gfreut mi mehr auf der Welt! Nit amal d' Lustbarkeit hon i heunt anschaugn mögn, wie 's 'n Küni empfanga ham – mir schneid't a iade Freud ins Herz. Ja, ja, es geht nix über aa' braven Suhn, der si um sei' Muatta annimmt. Der Peter hat koan solchen Geist!«

»Der Peter Graf?« fragte Berchtold überrascht, »dersel, der z' München beim Militär war?«

»Kennst'n?« fragte die Alte dagegen. »So lang er beim Militär war, is 's ja recht gwen, aber sitta, daß er wieder zruck is, is der Tuifi in eam gfahrn – a Loder is 's, a Trinka und Spieler, a nixnutziger!«

Nun war es Berchtold klar, zu welchem Zwecke ihn Peter für heute Nacht in die Schenke bestellt – ganz gewiß zu keinem guten. Und dessen Großmutter war es, 29 die ihn unbewußt jetzt vor ihm warnte. Er errötete. Schon das Zusammenkneipen mit diesem Burschen in Schellenberg konnte ihm Schaden bringen und wenn man ihn jetzt wieder mit dessen Großmutter beisammen sähe, könnte das nicht mißdeutet werden?

Rasch stand er auf.

»Liawe Frau,« sagte er, »pfüat Gott iatz – i hon lang gnua grast't.«

»Wo gehst denn hin?« fragte die Alte, der es gar nicht recht war, daß sie der hübsche Bursche schon verlassen wollte. »Ge, laß mi mitgehn, es passiert wir gar so selten, goar niemals sag, daß i mit an' braven Menschen a Unterhaltung hon – laß mi mitgehn, du steuerst ja 'n Markt zua.«

Berchtold blickte nach der vom Markte herabführenden Straße, auf welcher sich mehrere Leute näherten.

»Aha!« rief die Alte, ebenfalls hinblickend, »kemma d' Leut zruck vom Einzug. Da waar eh koa' Ruah mehr aaf mein' Leibplatzl. Am Weg kannst mir aftn dazähln, wo du herkimmst und was d' suachst.«

»'s Glück suach i,« entgegnete Berchtold. »Da folg i glei Enkern Rat und birsch mi aaffi zum Schnitzler.«

»Ah so! z' wegn der Schwanjungfrau? Du Schliffl, du! No ja, du bist schon aaf der rechten Fährt! Möchts dir gehn, wier 'n Jaga Berchtold –«

»Der Jaga Berchtold bin i ja selm!« sagte der Bursche lachend.

Die Alte erschrak.

»Was? Am End gar da Berchtold, da wilde Jaga?« fragte die Alte entsetzt.

»Wie's moants!« gab der Bursche lachend zurück, 30 nicht ahnend, daß hierum der wilde Jäger »Bartold« oder »Berchtold« genannt und allenthalben noch sehr gefürchtet wird.

»Gott steh mir bei und alle Heilin!« rief jetzt die Alte und eilte, so rasch sie es vermochte und sich mehrmals bekreuzend, von dannen.

Der Jäger sah ihr kopfschüttelnd nach.

»D' Leut ham recht,« sagte er für sich, »dera rappelts nit weng!«

Dann aber schlug er den Weg nach der Gern ein, den Weg, auf welchem die Schwanjungfrau entschwunden. War's auch nur geträumt – kommt doch auch das Glück oft im Traume.

Die Rappelgräfin oder Rappelleni eilte dem Markte zu. Sie teilte den Vorübergehenden mit, daß der wilde Jäger in der Nähe sei; aber man lachte sie nur aus.

Berchtolds Gedanken aber waren bei dem reizenden Traumgebilde, denn er träumte noch wachend von der Schwanjungfrau. 31

II.

Das kleine Haus des Schnitzers stand in etwas erhöhter Lage in der von einem frischen Bergwässerlein durchströmten Gern. Es war, wie alle Wohngebäude hierorts, aus Holzbalken zusammengezimmert und hatte ein flaches, steinbeschwertes Legschindeldach, einen unteren und oberen »Gaden« (Wohnungsräume), zu welchen man über eine Freitreppe von außen gelangte. Eine Galerie oder »Laagn« zog sich um den ersten Stock.

Durch einen dunklen Flötz gelangt man zur Wohnstube, in welcher der große, grüne, rings mit Bänken umgebene Kachelofen weit vorspringt. Der hölzerne Plafond ist schwarz angestrichen, die Wände ringsum mit Lehm beworfen und geweißt. Gleichwie um den Ofen zieht sich eine Bank rings an der Wand herum. In der vorderen Ecke steht der große, spiegelblank gescheuerte Tisch. Ein prächtig geschnitztes, altersschwarzes Kruzifix hängt oben in der Ecke, nebenan stehen zu beiden Seiten auf kleinen Postamenten Maria und Joseph. Zunächst der Thüre, welche in die Schlafkammer führt, hängt eine altertümliche Uhr und an dem mit Blumenstöcken bestellten Fenster steht der Werktisch mit der Drechslereinrichtung, während die nahen Wände mit den zur Schnitzarbeit und Drechseln 32 nötigen Werkzeugen, als Messern, Meißeln, Sticheln u. s. w., behangen sind.

Durch die kleinen Fenster streift der Blick über eine Tannengruppe hinweg zum Watzmann und Hochkalter. Ein heiterer Frieden liegt über dem ganzen Hause, und diesen Frieden, den andere in Reichtum und Ruhe oft umsonst zu finden hoffen, schufen hier Genügsamkeit und Arbeit. Diese beiden Tugenden gereichen den Berchtesgadenern wohl ebenso zur Zierde wie ihrem Landl die unvergleichliche Schönheit der Natur.

Die in acht Bezirken, sogenannten »Gnodschaften« zerstreut lebenden Berchtesgadener sind Älpler, Holzknechte, Holzschnitzer oder Bergknappen. Der bescheidene Landbau an den Hängen gewährt nur spärlichen Ertrag. Die einzelnen Gütchen, Lehen genannt, sind so klein, daß keines derselben für sich allein den Unterhalt einer Familie sichern würde, weshalb die meisten Handwerker, Bauern und Taglöhner zugleich auch Schnitzarbeiter sind, deren Material in Holz, in Knochen und Elfenbein besteht. Alle die kleinen Kunstwerke, womit die Kinder in Europa spielen und die auch in andere Weltteile verführt werden, sind im Berchtesgadener Lande verfertigt. Plumpe Bauernhände fertigen Werke, deren feine Ausarbeitung jeden Kunstdrechsler beschämt.

Das Kunsthandwerk ist hier vorwiegend Hausindustrie und beschäftigt gewöhnlich die ganze Familie. Ahorn, Linde, Zirbelkiefer, Fichte, Tanne, Lärche, Apfel-, Birn- und Nußbaum, sowie der Wachholder liefern das Material, welches gemäß ererbten Rechtes gegen unbedeutende Gilten (etwa 30 Pfennig per Stamm) aus der königlichen Salinenwaldung abgegeben wird.

33 Die ältere Einteilung der Kunstholzhandwerker hat sich gewohnheitsmäßig bis auf den heutigen Tag erhalten. Da giebt es große und kleine Schachtelmacher (»Gadlmacher«), Trücherl-, Rößel-, Löffel-, Herrgotts- und Soldatenschnitzer, Pfeifen-, Pipen- und Trompetendreher, Rechen- und Holzschuhmacher &c., neben welchen konzessionierten Meistern noch sogenannte »Fretter«, jetzt auf »eigene Faust«, arbeiten. Man ist im ungewissen, ob man mehr über die Billigkeit dieser Waren oder über die Geschwindigkeit staunen soll, mit welcher sie verfertigt werden. Diese Fertigkeit verdanken sie meist dem Umstande, daß jeder Arbeiter sein Leben lang nur ein und denselben Gegenstand arbeitet. Der Herrgottschnitzer macht ewig nur seinen Herrgott, ein anderer nur Posthörnln oder Tanzdocken, oder Trommler mit Schlegel u. s. w. Dies hat aber auch seine Gefahren, denn wenn das spielende Kindervolk draußen in der Welt launisch plötzlich einen Artikel verwirft, so verursacht das zu Berchtesgaden großen Jammer, Angst und Not, denn der arme Schnitzler muß dann oft im hohen Alter alles vergessen, was er erlernt und Zeit seines Lebens geübt hat, muß sich auf ein ganz neues Spielzeug einüben und so das Schnitzen wieder von vorne beginnen.

Diese Sitte des lebenslänglichen Einerlei ist nicht willkürlich, sie entstand aus dem hier herrschenden Kastenzwang. Jedem Handwerker ist nämlich die Art seiner Ware seit Jahrhunderten vorgeschrieben. Er darf nicht Artikel verfertigen, welche anderen zur Beschäftigung und zum Broterwerb eingeräumt sind und sollte ihn auch Neigung und Gewinn noch so sehr dazu einladen. In Berchtesgaden folgt der Sohn immer seinem Vater im Handwerk; der Drechsler kann nur einen Drechsler, der Schnitzer 34 nur einen Schnitzer, der Schachtelmacher nur einen Schachtelmacher erzeugen, und der Vater ist auch der Meister des Sohnes.

Dadurch wurden jene Zwistigkeiten verhindert, welche Neid und Eifersucht unter Arbeitern gleichen Faches zu erregen pflegen, aber auch die Kunst zum Handwerk herabgewürdigt, denn nur durch die Konkurrenz wird Nacheiferung bewirkt und ohne diese schlummert der Trieb nach Vervollkommnung. Der Sohn macht alles dem Vater nach, übt nur die Hand und nie den Geist. Und doch giebt es Arbeiter, welche sich weit über die Linie der Mittelmäßigkeit erhoben, ja selbst zu Künstlern aufgeschwungen haben; alle aber teilen sie das allgemeine Los der Dürftigkeit. Die schöne Göttin mit dem Füllhorn hat wohl die Gegend, aber nicht die armen Bewohner mit ihren Gaben bedacht.

Ob nun diese Armut der Arbeiter auf Rechnung der Habsucht und Härte zurückzuführen ist, womit die Verleger denselben ihre Waren mehr abdrücken, als abkaufen, ob sie in dem kleinen Umfange der Gründe (ein Lehen mit 8–10 Morgen heißt schon groß; die meisten haben nur 4–6 und noch weniger), in dem rauhen Klima und der Undankbarkeit des Bodens, vielleicht auch in der vernachlässigten Kultivierung ihrer Gründe zu suchen ist, darüber wurde schon viel geschrieben, am richtigsten aber dürfte die Annahme sein, daß die angeführten Punkte alle zusammen das ihrige redlich zu jener traurigen Erscheinung beitragen.

So knüpfen sich an die Weihnachtsfreuden unserer Kindertage der Schweiß und die Sorge des armen Arbeiters, und wir ahnen es im glücklichen Jubel nicht.

Seit durch die Gewerbefreiheit der ausgebildete 35 Kastenzwang beseitigt und durch Errichtung der Industrieschule bessere Bildung erzielt worden, blüht die Holzindustrie in Berchtesgaden in einer Weise, daß sie sowohl in technischer Vollendung, wie im Preise, die Konkurrenz der Schweizer Arbeiter zu überflügeln vermag.

Zu Beginn unserer Erzählung, Anfang der fünfziger Jahre aber war dieses Arbeitervölklein trotz aller Anstrengung der edlen Landesfürsten noch in großer Dürftigkeit, doch es kannte, wie gesagt, auch jene Genügsamkeit, welche ihm die Lust und Freude an der schönen Bergheimat nicht zu verkümmern vermochte. Die früher blaßgelben, abgehärmten Gesichter verschwanden allmählich und machten einem durchschnittlich wohlgebildeten, etwas mehr romanischen, als germanischen Gepräge Platz.

Der Berchtesgadener ist zuverlässig, gutmütig, munter, aber auch selbstbewußt und nicht geneigt, sich etwas zu vergeben. Die gewinnende Ehrlichkeit und Offenherzigkeit seines bescheidenen, ruhigen und doch sicheren und selbstbewußten Benehmens macht einen ebenso vorteilhaften Eindruck wie die kleidsame Bergtracht, welche seine meist kräftigen Glieder umhüllt.

Trotz des oben erwähnten Kastenzwanges in Fabrikation der Ware erwuchs doch in Mitte des Landes, das den Mechanismus seit Jahrhunderten bewahrt, ein Künstler, würdig eines schönern Himmels und eines glücklicheren Zeitalters. Es war Franziskus Weyer, genannt der Weyerzisk, derselbe, dessen Wohnung wir beschrieben und dessen Thüre sich der junge Jäger Berchtold näherte.

Weyerzisk war ein kleines, altes Männlein. Sein hagerer Körper war in eine rupfene Pfoad (Hemd), eine alte blaue Jacke und eben solche Zwilchhose gekleidet. Ein 36 Fuß war nackt und man sah ihm an, daß ihn nur selten ein Schuh bedeckte; der andere Fuß war in alte Leinwandflecke gewickelt. Ein Marmorblock war ihm darauf gefallen und hatte ihn schwer verletzt. Er konnte nur mit aller Vorsicht auf demselben auftreten und selbst dann noch verursachte es ihm große Schmerzen.

Der etwas große Kopf des kleinen Männchens stand zu dem schmächtigen Körper in keinem Verhältnis. Aber dieser Kopf mußte jedem einen gewissen Respekt einflößen. Unter einer breiten, gewölbten Stirne lagen ein Paar dunkle, ausdrucksvolle Augen, sein glattrasiertes Gesicht hatte einen ungemein sanften Ausdruck, das kahle, nur rückwärts mit länglichem weißen Haar bedeckte Haupt trug er infolge eines kleinen Auswuchses an der rechten Seite des Halses etwas nach links geneigt, dabei war das Kinn nach vorn geschoben, so daß das ganze geistvolle Gesicht stets etwas nach aufwärts gerichtet war.

Weyerzisk gehörte zu den Feinschnitzern. Sein Hauptverdienst bestand in früheren Zeiten in der Fertigung von Pfeifenstopfern, welche am oberen Teile kleine Figürchen, meistens Jäger, Gebirgsdeandln, Gemsen und andere auf das Gebirgsleben bezügliche Gegenstände darstellten. Sein Urödl und Ödl, sowie sein Vater hatten gleichfalls diese Figuren geschnitzt, und der Sohn schnitzte sie wieder, seit er das Schnitzmesser zum erstenmal in die Hand genommen. Aber Weyerzisk ließ es dabei nicht bewenden, er arbeitete noch anderes, er war ein verschämter Künstler. Er wußte den Meißel zu führen. Da er aber nicht zum »Handwerke der Bildhauer« gehörte, so wagte er es nicht, um eine »Konzession« hierzu nachzusuchen, und durch diese Verschämtheit, deren Grund jedenfalls in den beengenden 37 Verhältnissen jener Zeit zu suchen ist, ging für Berchtesgaden vielleicht ein Thorwaldsen, ein Michel Angelo verloren.

Der Mann, welcher, sobald dich sein Talent durch den Anblick jener idealen Meisterwerke in Italien, oder auch nur in München, erhöht und veredelt haben würde, Ruhm und Reichtum erwerben mußte, zehrte in Berchtesgaden am Hungertuche, bis sich am Abende seines Lebens dessen Verhältnisse im Gegensatze zu den früheren glänzend gestalteten.

Der alte Schnitzer war längst Witwer und hatte eine Tochter, ein bildsauberes Deandl. Gleich ihrer Mutter diente sie dem Schnitzer zum Modell bei Anfertigung der Schwanjungfrau. Das prächtige, lange Haar, die ebenmäßigen Züge hatten sich von der Mutter auf die Tochter vererbt und als diese einen Holzschläger, Grillersepp mit Namen, geheiratet, auch auf deren Zwillingstöchter, deren Geburt der jungen Frau das Leben kostete.

Der Grillersepp nahm bei der Holzarbeit die Stelle eines Meisterknechts ein und hatte einen ziemlich guten Erwerb. Doch mußte er die meiste Zeit des Jahres auf der Holzstube und bei der Arbeit zubringen und so blieb ihm nichts anderes übrig, als seine mutterlosen Kinder dem Ödl, dem Weyerzisk, zur Erziehung zu überlassen, und der Alte unterzog sich diesem Geschäfte mit aller Hingebung. Ein armes Weib, welches ihm das Hauswesen führte, unterstützte ihn dabei.

Der Grillersepp ließ an Sonn- und Feiertagen, an welchen er regelmäßig seine Kinder aufsuchte, so viel von seinem verdienten Gelde zurück, daß der alte Ödl in dieser Beziehung keine Sorge zu haben brauchte und es bemächtigte sich des Alten beim Anblick des Gedeihens seiner beiden 38 Enkelinnen ein so freudiges Gefühl, wie es früher bei den drückenden Lebens- und Arbeitsverhältnissen niemals über ihn gekommen.

Regerl und Sabina hießen die Zwillingsschwestern; sie krabbelten rechts und links zu seinen Füßen, während er seine Pfeifenstopfer schnitzte, und ihr Lächeln, ihr Gekose machte ihm das alte Herz vor Freude hüpfen. Stundenlang konnte er mit ihnen plaudern, konnte ihnen kleine Lieder singen lehren, Liebe zu Gott und der Herrlichkeit der Welt erwecken, bis die sich sehr ähnlich sehenden Kinder in die Schule mußten, worauf sie dann den des Lesens unkundigen Großvater ihrerseits in der Fibel zu unterrichten strebten und es auch so weit brachten, daß er seinen Namen lesen und schreiben konnte.

In diese Zeit nun fällt der Aufschwung des alten Schnitzers vom Handwerke zur Kunst. Die Liebe hatte sein Herz, seinen Geist erhoben, der Anblick der schönen, engelgleichen Enkelinnen zauberte ihm stets das Bild seines Weibes, seiner Tochter vor Augen und er ließ sich einen weißen Marmorblock in seine Werkstatt wälzen und meißelte dort nur nach einer flüchtigen Bleistiftskizze die Schwanjungfrau mit dem Gesichte seiner verstorbenen Tochter, deren getreue Züge sich in den beiden Enkelinnen Regerl und Sabina wiederspiegelten.

Die Statue war in Lebensgröße. Üppige Haare wallten über die Schultern hinab; ein leichtes Gewand, welches die schönen Formen des Körpers wohl ahnen ließ, war mit Meisterschaft dem weißen Marmor entmeißelt. Das Bild hatte Leben. Lebendig blickten die schönen Augen, lebendig gestalteten sich die Züge zu einem anmutigen Lächeln. Der aus Almenrausch und Edelweiß 39 gewundene Zweig in den Haaren schien zu zittern beim leisen Windeshauch; nichts fehlte, als die Farbe, um die Statue für lebendig zu halten.

Der alte Schnitzer nannte dieses Bildnis »die Schwanjungfrau« und mit innerer Befriedigung blickte er stets nach diesem Kunstwerke, aus welchem ihn die eigene Liebe anmutete, mit welcher er es geschaffen, denn es liegt ein eigener Zauber in dem Blicke, mit dem ein Künstler sein der Vollendung nahe gerücktes Bild betrachtet. Der Genius lächelt aus ihm und ist kindlich froh.

So vergingen ihm die Jahre. Die Enkelinnen wuchsen heran; sie blühten wie Almenrausch im Morgentau, die Fülle ihrer blonden Haare, die prächtigen blauen Augen, das feingeschnittene Gesicht, die Lust des Lebens auf demselben und der frohe Gesang von ihren Lippen – der alte Schnitzer wußte wohl, wie reich ihn dies alles machte.

Der Grillersepp hatte sich inzwischen zum Rottmeister aufgeschwungen und wollte sich nun selbst wieder ein Heim gründen. Er forderte deshalb die beiden Zwillingsschwestern zu sich nach Hause. Aber da gab es einen langen und heftigen Kampf, dessen Friedenspräliminarien zu dem Resultate führten, daß eines der Mädchen zum Vater gehen, das andere aber beim Ödl verbleiben sollte.

Regerl traf dies letztere Los; Sabina aber ging mit dem Vater, der die Holzarbeit an der Königsbachklause übernommen und führte ihm in einem kleinen Häuschen zu Königssee-Dorf die Wirtschaft.

Regerl dagegen wurde die treue Pflegerin des alternden Großvaters. Dieser hatte als Nebenbeschäftigung und um der geliebten Enkelin einmal ein Andenken zu hinterlassen, eine Büste aus weißem Marmor gefertigt, 40 welche den ehrwürdigen Greis selbst darstellte. Seinen Augen und seinen Lippen war so viel Sanftes und seinem ganzen Gesichte so viel Ausdruck gegeben, daß man die Büste nicht ohne Rührung betrachten konnte. Da, als er noch die letzte Hand anlegte, fiel das Kunstwerk vom Tische zu Boden. Der Alte suchte den Fall dadurch zu mildern, daß er seinen Fuß schnell unterstellte. Wohl verhinderte er dadurch die Verstümmelung seines Kunstwerkes, aber der Block schlug ihm am Vorderfuß eine schmerzliche Wunde, die ihm nun schon seit Monaten nicht mehr gestattete, das Haus zu verlassen, so daß der Alte sich nur mittels eines krückenartigen Stockes oder auf einem Fuße hüpfend in der Stube hin und her bewegen konnte.

Wie war ihm das gerade heute so schmerzlich, da der König seine prächtige Villa in Berchtesgaden wieder bezog! Er hatte den Fürsten wohl öfters gesehen, als er noch Kronprinz, doch niemals, seit er Regent war. Und er sehnte sich danach, ihn zu sehen, zu sehen mit seinem Künstlerauge, denn das dritte und letzte Kunstwerk sollte eine Büste des geliebten Fürsten werden. Mit diesem Werke wollte er dann hervortreten am Rande seines Lebens, wollte der Mitwelt noch zeigen, daß das arme Berchtesgadenerlandl nicht lauter mechanische Handwerker, daß es auch Künstler hervorbringen könne. Schon hatte er sich aus Lehm ein Modell zurecht gemacht, aus einigen schlechten Bildern seinem Gedächtnis nachgeholfen, aber er wollte ihn noch von Person sehen, ehe er den Meißel an den Marmor setzte.

Wie erwähnt, war dies heute nicht möglich. Dafür aber ging Regerl hin und zwar auf Wunsch des Bürgermeisters von Berchtesgaden als Prangerin, als 41 Festjungfrau. Das Mädchen war mit mehreren anderen hierzu auserwählt, noch mehr, sie mußte den Willkommsgruß sprechen. Es wurden natürlich nur die schönsten Mädchen aus allen Gnodschaften hervorgesucht, keine aber durfte sich, was Schönheit anbelangte, mit Weyerzisks Enkelin messen. Sie kleidete sich nach dem Vorbilde der Schwanjungfrau, der alte Ödl steckte ihr selbst den Zweig von Almenrausch und Edelweiß in die goldigen Haare. Er that dies mit Künstlerhand, und als Regerl fertig vor ihm stand, da lächelte er, der Alte, er vergaß die Schmerzen seines Fußes und sagte scherzend zu dem Mädchen:

»Grüaß ma 'n Maxl und schaug 'n fest an, was der Hauptzug is in sein' Gsicht. Dös mirk dir guat, daß i 's Modell danach kann richten. Für di mach i 's, Regerl – dei' Glück soll's gründen – so, und iatz geh und schaug 'n an – vergiß nix, bring mir 'n hoam!«

Und 's Deandl eilte fort – sie sah den König an, aber auch sein Auge weilte länger auf Regina, als auf dem anderen Mädchen, er nahm huldvollst den Alpenstrauß aus ihren Händen und richtete freundliche Worte und Fragen an sie.

Die Festjungfrauen wurden in die königliche Villa beschieden und mit Andenken beschenkt. Regina aber, die Sprecherin, erhielt des Königs gemaltes Bildnis in einem goldenen Medaillon und mit diesem Geschenk eilte sie überglücklich nach Hause zu dem mit Sehnsucht ihrer harrenden Großvater.

So kam sie an der Esche vorüber, an welcher Berchtold saß. Er sah ihr freudestrahlendes Gesicht – es war kein Traum. –

»Bringst'n Kini!« rief ihr der alte Schnitzer entgegen.

»G'wiß!« erwiderte das Mädchen freudig. »Nur schnell 's Modell her, daß i nix vergiß.«

Sie eilte in die Nebenkammer, nahm ihre blauseidene Schärpe ab und legte sie um die Marmorschultern der Schwanjungfrau. Auch ihren Blumenkranz setzte sie der Marmorstatue aufs Haupt. Dann kehrte sie rasch in die Werkstube zurück, nahm das Thonmodell und trug es zum Werktische des Meisters.

»Z'erst schaugts Enk dös Bildl an,« sagte das Mädchen, »dös i vom Kini gschenkt hon kriegt – es is scho' troffen, aber halt nit so ganz aafs Leben, da« – dabei deutete sie nach dem Modell – »rechts und links von die Mundwinkl is a Zug nach abwärts, halt a so a recht freundlicher Zug zum Gernhabn – sehgts, a so – ja, ja, recht! – grad a so hat er mi angschaut; sunst wißt i nix ausz'setzn.«

Das Mädchen hatte selbst mit dem beinernen Griffel keck einige Eindrücke in den weichen Thon gemacht, sie verstand ja auch zu schnitzen, und die Striche, welche sie machte, waren so sicher und gaben dem Bildnis sofort jenen freundlichen, herzgewinnenden Zug, welcher dem Fürsten eigen war. – Befriedigt, glücklich blickte dann das Alter und die Jugend nach dem Modelle.

»I wer mi ge iatz ausziagn,« sagte Regerl, »und nacha Fuatta schneidn gehn für d' Bläß.«

»Ja, ja,« entgegnete der Alte, »i hons scho' an' etli Mal plärn hörn; warm is 's, sie wird aa 's Tränken brauchen.«

»Glaabs leicht aa,« sagte das Mädchen, »sie därf nimmer länger wartn!«

Sie eilte in ihre Kammer, wo sie sich rasch 43 umkleidete und Sichel und Schubkarren nahm, um für die Kuh von dem nebenan bis zum Waldgelände reichenden Wiesenflecke Futter zu holen.

Der alte Schnitzer studierte indessen an dem Modell und dem Bilde. Sein Lächeln zeigte, daß er mit seiner Arbeit zufrieden sei und mit einem triumphierenden Blicke musterte er den weißen Marmorblock, aus welchem er das fertige Modell zu meißeln beabsichtigte.

»Mit Gottes Hilf,« sagte er, »wird's mir glinga. Frisch an d' Arbet – freudi und schneidi!« 44


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