Maximilian Schmidt
Die Schwanjungfrau
Maximilian Schmidt

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IX.

Berchtold hatte in der That im Berchtesgadener Landl sein Glück gefunden. Es war, als ob ein unsichtbarer Geist ihm die Wege ebne, was er begann, glückte ihm. Sein heiteres Wesen, seine Freude zur Thätigkeit, sein Pflichtgefühl erwarben ihm das unbedingte Vertrauen seiner Vorgesetzten, und nachdem der Revierjäger vom Königsee wegen anhaltender Krankheit in Ruhestand gegangen, ward vorerst kein anderer an diese Stelle versetzt, sondern Berchtold provisorisch mit Leitung der Försterei betraut. Er zeigte bei Anlegung der neuen Reitwege in den östlichen Königsseealpen große Umsicht und schritten dieselben rasch ihrem Ende entgegen. Beginnend vom sogen. Kessel, wo einstens ein sinniger Bürger Berchtesgadens die Anlage der Natur benützt, und einer Bergschlucht die Form eines englischen Gartens verliehen, zog sich einer derselben in bequemen Serpentinen über den Waldabhang hin zur Gotzenthal- und Seeaualp, welche zunächst den Gotzen- und den Seetauern liegen, und weiter hinaus zur Gotzen- und Regenalpe bis hin zu dem königlichen Jagdstand am hohen Lahfeld. Eine Menge von Arbeitern waren hiebei beschäftigt, und es herrschte daher auf dem ganzen östlichen Gebiete des Sees ein reges Leben. Die 135 mächtigen Hiebe der Holzaxt und des Steinhammers vermengten sich mit dem fröhlichen Juchzen der Almbesucher und dem Geläute des Almviehes, während der aus seinen Horsten aufgeschreckte Adler schweigend über den grauen Felsenwänden kreiste.

An den Feiertagen ging dann Berchtold die Gamseln aus und orientierte sich in seinem Felsen- und Waldrevier, besonders im Quellengebiet des Rötbaches, in welchem von jeher der beste Wildstand gehegt wurde.

Dies ist auch das Jagdrevier der Wurzelgräber und Edelweißbrocker; insbesondere am Regenbergl und an der fast senkrecht in die Fischunkel abfallenden Langthalwand gedeihen das Edelweiß und die Gentianen, aus welch letzteren ein bis zwei Meter langen Wurzeln der berühmte Enzian gebraut wird, wie nirgends anderswo. Beide Pflanzen kamen aber auch bereits in Gefahr, gänzlich ausgerottet zu werden, weshalb von seiten der Forstbehörde das Wurzelgraben und Edelweißbrocken als Geschäfts- und Handelsartikel in diesem Reviere aufs strengste und bei Strafe verboten ward, welches Verbot auch im Interesse des hierum gehegten Wildstandes nötig geworden. Dies schloß nicht aus, daß die munteren Bergfahrer ihre Hüte mit dem schönen Edelweiß schmücken durften und Berchtold selbst von diesen und anderen Bergbleameln manch frischen Strauß nach Hause trug. Den ersten reichte er dem Edelfräulein, das ihm sein Glück begründet, und welches sich herzlich darüber freute, sich für einen solch würdigen Mann verwendet zu haben. Den zweiten Strauß aber erhielt sein Regerl. Er hatte sich nicht nur sein Glück im schönen Berchtesgadenerlandl geholt, er hatte es auch gebracht, 136 zuerst in das junge Herz des schönen Regerls und gewiß nicht minder in das jugendfrische Herz des alten Schnitzers.

Durch die Verkettung jener Umstände, die den Besuch des Edelfräuleins in der ärmlichen Werkstätte Weyerzisks veranlaßten, ward der bis jetzt unbekannte Künstler ans Tageslicht gebracht; er lernte das Glück des Künstlers auch kennen: die Anerkennung, die höchste Anerkennung, die er sich wünschen mochte, die seines Königs.

Da saß er wieder eines Tages an dem Modell und legte noch die letzten Striche mit dem Griffel an. Der weiße Marmor, aus dem er die Büste meißelte, stand bereits auf einem Blocke und waren die Konturen im Groben ausgehauen. Da erschienen zwei Herren in seiner Stube – ein Ausruf des freudigsten Schreckens entfuhr den Lippen des alten Mannes, denn der eine der Herren war der König, welcher ihn freundlich grüßte, der andere ein Adjutant. Rasch wollte er von seinem Sitze herab, aber der König, von seinem kranken Fuße unterrichtet, hieß ihn sitzen bleiben.

»Bleibt auf Euerm Thron,« sagte er lächelnd, auf den hohen Drehstuhl deutend, »hier seid Ihr der König und Meister, und Ihr seid es mit Recht!« Dabei blickte er erstaunt nach dem Modell zu seiner Büste.

»Ich hörte von diesem Werke und bin gekommen, Euch zu sitzen, falls es nötig. Ich finde, daß es nicht nötig ist.«

»I seh nix,« sagte der alte Schnitzer, dem fortwährend die Thränen über die Wangen liefen, »d' Augen san mir überganga, dös Glück, die Ehr is oamal z'groß!« Und der Alte weinte wie ein Kind.

»Faßt Euch nur,« sagte der Fürst, in freundlichstem 137 und gnädigstem Tone, »ich will einstweilen Eure anderen Kuustwerke und Schönheiten betrachten. Ah – da präsentiert sich schon die lebendige, das ist das Regerl, nicht wahr, die mir den schönen Willkommsgruß gesagt und nebenbei meine Züge für des Großvaters Modell fixierte, und dann als Schwanjungfrau meinen Jäger halb verrückt machte? Du bist ja ein prächtiges Mädl und wirst einmal auch eine brave Försterin werden!«

»Gewiß, Herr Küni!« erwiderte Regerl, mit ihren feuchten blauen Augen den König treuherzig anblickend, und die Hand aufs Herz legend.

Der König legte seine Hand auf das Haupt des jungen Mädchens und blickte vergnügt auf das herrliche, unschuldsvolle Gesicht.

»Schreib mir noch jemand über die Häßlichkeit meiner Berchtesgadener!« rief er seinem Begleiter zu, zum Schnitzer aber sich wendend, sagte er. »Da hattet Ihr freilich ein prächtiges Modell zu Eurer Schwanjungfrau, die meinen Jäger so verwirrte. Ich wünsche die Statue zu sehen.«

»Regerl, mach d' Kammerthür auf!« rief der Alte. »A mei'! es ist soviel nit dran an der Arbet. Iatzt, weil's a Küni betracht, fühl i 's, wie kloa und nixnutzi mei' Werk is!«

Regerl hatte die Thüre geöffnet und des Königs Blicke waren von der Statue wie gebannt. Schweigend betrachtete er lange das Werk.

Den alten Schnitzer litt es jetzt nicht mehr auf dem Stuhle. Er war mit Regerls Unterstützung zum Eingange der Thüre gehinkt und lehnte sich an die Schwelle, des Königs Blicke neugierig verfolgend. Kaum getraute er sich zu atmen.

138 Endlich wandte sich der Fürst nach ihm, es war ein Blick der Hochachtung, der lange auf des Alten ehrlichem und durchgeistigtem Antlitz haftete, dann reichte er ihm die Hand und sagte.

»Ihr seid ein Künstler!«

Ein feuriger Strahl belebte des Künstlers Auge. Ehrfurchtsvoll küßte er die königliche Hand. Nun fiel des Königs Blick auf die Büste von Weyerzisk selbst und wenn möglich, steigerte diese noch des Fürsten Bewunderung, und gerührt wandte er sich jetzt wieder an den Meister und sagte:

»Daß ich Euch erst so spät kennen lernen mußte! Ihr sollt keine Holzteller und Kochlöffel mehr arbeiten dürfen, es wäre ein Raub an der Kunst. Ich werde dafür sorgen, daß Ihr dieser allein leben könnt. Für diese Kunstwerke bin ich Abnehmer, und werde ich die Werke nicht nach Eurem bescheidenen »Tagelohn« taxieren, sondern nach dem der Kunst, wenn Ihr mir anders dieselben ablassen wollt.«

»Na', na',« sagte der Alte, »nix von Lohn. Ös habts mi an' Künstler gnennt, Herr Küni, und dös ist dös höchst, was i mir hätt wünschn könna! Halts es da Müh wert, so nehmts es von mir an als Gschenk, und redts nix von Lohn, mir gnüagt die Ehr und mei' Stolz!«

»Das ist echte Künstlersprache,« entgegnete der König lächelnd. »'s ist genial, aber nicht praktisch. Fügt Euch nur meinem Willen, und Stolz und Ehre wird Euch überdies niemand mehr nehmen. Meine Büste sollt Ihr fertig machen und das Weitere laß ich Euch wissen.« Und sich zu Regerl wendend, die mit freudestrahlendem Blick auf des Königs Worte lauschte, sagte er:

139 »Deinen Perlacher ernenne ich zum Oberjäger in Königssee, halte mit ihm bald Hochzeit, ich werde es an einem ergiebigen Geschenke nicht fehlen lassen.« Dann verabschiedete er sich von den beiden Beglückten in herzlich herablassender Weise und verließ mit seinem Begleiter gerührt die arme Hütte.

Noch an demselben Tage ward dem alten Meister eine über alles Erwarten große Summe überbracht und gingen damit die gedachten Kunstwerke in das Eigentum des Fürsten über. Sie sollten bis zur Vollendung der Königsbüste an Ort und Stelle verbleiben und dann insgesamt verpackt werden. So war es dem Weyerzisk noch am Rande seines Lebens vergönnt, ganz allein in seiner Kunst zu wirken. Alle Entbehrungen vergangener Tage, sie waren vergessen, der Glanz seiner scheidenden Sonne verdrängte die düsteren Schatten, welche oft über dasselbe verbreitet waren. In rätselhafter Schnelligkeit hatte er des Königs Büste vollendet, es war ihm herrlich gelungen, und er war mit sich selbst zufrieden. Aber sie erregte auch nicht minder des Fürsten Zufriedenheit, welcher wiederholt den bescheidenen Künstler mit seinem Besuche beglückt, aufs höchste belobt und königlich belohnt hatte.

Für den andern Tag war die Verpackung und Absendung der Kunstwerke festgesetzt, und der Meister hatte nur noch auf Wunsch des Königs die Signatur einzumeißeln: »Opus monticolae Berchtesgadensis Weyerzisk pictoris.« Der Alte that dies mit gehobener Stimmung, und als es Abend wurde, mußte ihm Regerl auch sein letztes Werk in die Kammer tragen, in welcher die Statue der Schwanjungfrau und seine eigene Büste standen und wo sich sein Bett befand. Die Werke seiner verborgenen 140 Kunst, die ihm sein Leben versüßt, die ihn unter den drückendsten Verhältnissen zum Gotte machten, sie sollten, ehe sie ihn für immer verließen, noch die letzte Nacht sein Lager umgeben, sein letzter Blick beim Einschlafen sollte noch auf sie gerichtet sein, von ihnen wollte er träumen und von dem Glück, das sie ihm am Abende seines Lebens gebracht. Auf sie sollte noch sein erster Blick beim Erwachen fallen, ein schmerzlicher Abschiedsblick.

Und dieser fiel darauf; aber es war kein schmerzlicher, es war ein Blick vollen Entzückens, denn als der Alte nach sanftem Schlafe morgens die Augen öffnete, beleuchtete die aufgehende Sonne die Marmorwerke mit wundervollem Scheine. Die Lichtwellen schienen die Werke lebendig zu machen; wie dortmals der junge Berchtold, so blickte jetzt der Meister nach seinen eigenen Werken.

»Regerl, Regerl!« rief er, »kimm und siehg die Pracht.«

Regerl riß mit dem Rufe die Thür auf:

»Was giebt's, Ödl?«

Und der im Bette Sitzende erwiderte mit verklärten Zügen.

»'n Himmel giebt's, 'n Himmel giebt's, möcht er nit vergehn!«

Und er verging ihm nicht mehr. Sanft fiel er auf das Kissen zurück, sein leibliches Auge war geschlossen, sein geistiges aber schwebte in des Himmels Pracht, von dem ihn nicht der Schreckensruf, die heißen Thränen der treuen Enkelin zurückriefen.

Weyerzisk war tot!

Die letzten Augenblicke seines mühseligen Lebens verklärte ihm der Götterfunke der Kunst. Ihm ward ein beneidenswertes Ende. 141



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