Maximilian Schmidt
Die Schwanjungfrau
Maximilian Schmidt

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VII.

Regerl, die schöne Enkelin des Weyerzisk, hatte in der vergangenen Nacht auch so ihre eigenen Träume gehabt. Der hübsche, fremde Jäger, den sie auf der Bank unter der Esche gesehen, schien sich während ihrer Träume einen Ruheplatz in ihrem Köpfchen – es war nicht recht zu unterscheiden, ob nicht auch in ihrem Herzen – gesucht zu haben. Und da blieb er ebenso angepickt sitzen, wie gestern unter der Esche, als Regerl im Kleide der Prangerin an ihm vorüber eilte und ihn anlächelte.

Regerl lächelte zwar gestern so im Vorübergehen jedermann an, der ihr begegnete, sie hatte wohl Grund, ein recht heiteres Gesicht zu machen, aber der hübsche, fremde Jäger, der auch bei ihrem Ödl längere Zeit verweilte, wie sie von der Wiese aus sah, wo sie Futter für die Bläß holte, wie sie vom Stalle aus merkte, wo sie die Kuh fütterte und dann an der Thüre der Stube hörte, in welche sie sich in geradezu kindischer Scheu nicht hineintraute, so lange er da war – dieser Jäger wollte nicht vorüber. Und als er ging, sah sie ihm lange nach, es war ihr wundersam zu Mute, wundersam waren ihre Träume. Und heute meinte sie, als sie dem Ödl die Morgensuppe mit einem freundlichen Gruße hinstellte:

»Dös war gestern a recht a guldana Tag!«

108 Der alte Weyerzisk nickte freundlich und zustimmend. Auch er gedachte Berchtolds, des ersten, den seine Werke begeistert. Jetzt waren ihm diese noch einmal so wert. Vermochten sie schon den naturwüchsigen Burschen zu rühren, welch ganz anderen Eindruck mußten sie auf den gebildeten Beschauer hervorbringen! Das war ja längst sein Wunsch, aus dem Munde eines Kenners ein Urteil zu hören und es dünkte ihm ein solch günstiges Urteil das höchste Glück zu sein.

Mit frischem Eifer ging er heute an die Arbeit, erst an den Broterwerb – Kochlöffel und Teller. Aber während dieses mechanischen Schnitzens und Drechselns war sein Auge nach dem Modelle der Königsbüste gerichtet, öfters legte er seine Arbeit beiseite und verbesserte mit dem Bossiergriffel dort und da, und sein ehrwürdiges Gesicht blieb heiter. Öfters lächelte er bei der Erinnerung an des Jägers Bekenntnis, daß er sein Regerl für die leibhaftige Schwanjungfrau gehalten und, was seit Jahren nicht mehr der Fall gewesen, Regerl hörte ihn manch lustiges Liedchen summen und da hielt sie es für ihre Pflicht, mit ihrer hellklingenden Stimme den Liedern, welche des Ödls Sinn durchkreuzten, Klang und Melodie zu verleihen, was dem Alten gar wohl gefiel.

Dabei kehrte sie alles spiegelblank, staubte jedes Eckchen und Fleckchen sorgsam ab und gab nicht eher Fried', bis alles nett und sauber war. Dann schaute sie vors Haus, erst zu der Bläß, dann zu den Hühnern, sah in das kleine Gemüse- und Blumengärtchen, jätete das Unkraut aus und spielte dann eine Weile mit der grauen Katze.

Als sie dann mit Aufräumen und Säubern der Milchwaidlinge fertig war, ging sie wieder in die Stube, nahm 109 eine Näherei zur Hand und leistete dem Ödl so lange Gesellschaft, bis es Zeit war, in die Küche zu gehen, um das einfache Mittagsmahl zu bereiten.

Im Gärtchen hatte sie, wie sie es gewöhnlich that, einige Nelken gepflückt und eine davon in das braune Wollröckl an ihre Brust gesteckt. Dem Ödl reichte sie die anderen Blumen, er hielt etwas darauf und steckte in der Regel eine Nelke hinters Ohr, um sie zeitweise herabnehmen und sich an ihrem Dufte erfreuen zu können. Da ging das Arbeiten noch einmal so leicht und bis zum Mittagessen hatte der alte Schnitzer so viele Löffel und Teller fertig, daß er nachmittags an seinem Modell arbeiten konnte.

Regerl hatte außer dem Hause zu thun und der Alte war ganz in seine Arbeit vertieft, als es an der Thüre klopfte und auf das »Herein« des Alten eine elegant gekleidete Dame eintrat.

»Seid Ihr der Weyerzisk?« fragte die junge, schöne Dame, den Alten freundlich grüßend.

Der Schnitzer bejahte es. Er hatte sein Modell schnell mit einem Tuche überdeckt, wie er es zu thun von jeher gewohnt war, wenn ein Fremder in seine Werkstatt trat. Diese Gewohnheit datierte aus jener Zeit her, in der er noch nicht berechtigt war, irgend etwas anderes zu »handwerken.« Er hieß die fremde Dame Platz nehmen, entschuldigte sich, daß er ihr seines kranken Fußes wegen nicht selbst einen Stuhl hertragen könne und sagte weiter. »Eigentli hoaß i Sebastian Franziskus Weyer und mei' Haus hoaßt 's Weyerlehen. Aus dem Franziskus ham d' Leut an' Zisk g'macht und so is Weyerzisk mei' 110 Handwerksnam' worn. Und also mit was kann i Euer Gnaden deanle sein?«

»Ich komme, um mich nach einem jungen Jägerburschen, Namens Berchtold Perlacher, zu erkundigen,« sprach jetzt das Fräulein. »Ich weiß, daß er gestern hier bei Euch war. Ich bin mir über den Mann nicht recht klar. Seine Zeugnisse sind ganz vortrefflich, besonders ist seine Arbeitsliebe und Nüchternheit gerühmt. Es wollte mir aber gestern, als ich ihn am Obersee zufällig traf, bedünken, als hätte es mit dieser Nüchternheit doch einen kleinen Haken. Oder sollte er etwas zu viel oder zu wenig da oben haben?« Dabei deutete sie nach der Stirne. »Kurz, ich wäre Euch recht dankbar, wenn Ihr mich über ihn aufklären wolltet.«

Weyerzisk war dazu gerne bereit. Er erzählte der Fremden, was er von Berchtolds Vater und seit gestern von dem jungen Manne selbst wußte und erwähnte dabei auch der Schwanjungfrau, für welche der Jäger im Halbschlafe sein Regerl gehalten. Auch von dem Entzücken des Jägers beim Anblicke der Marmorstatue berichtete er und meinte, Berchtold sei jedenfalls unter dem Einflusse, den diese Fee auf ihn gemacht, nach dem Obersee gekommen.

Das Edelfräulein hörte dem Alten vergnügt zu. Als er geendet, erzählte sie ihm ihrerseits, wie auch sie der Jäger in aller Wirklichkeit für die Schwanjungfrau gehalten, ihr sogar seine Papiere anvertraut habe und heute sicher zum Stelldichein unter der Esche komme, um seine Bestallung aus den Händen der Fee zu erhalten. Sie teilte dann dem Alten mit, daß Berchtolds Vater noch in gnädiger Erinnerung bei dem König stehe und der Fürst dem braven Sohne gerne eine Gnade wolle angedeihen lassen.

111 Es sollte dieses noch von dem Ergebnis ihrer Unterredung mit dem Schnitzer abhängen und da seine Auskunft für den Jäger so günstig sei, so wolle sie nicht mehr säumen und es ermöglichen, daß Berchtold bis nach Sonnenuntergang mit seinem Anstellungspatent überrascht werden könne. Und als jetzt Regerl eingetreten war, welche das Fräulein sofort als die Sprecherin des Willkommgrußes erkannte, meinte dasselbe, »es wäre das beste, Regerl hole gegen Abend Berchtolds Papiere bei ihr ab und übergebe sie dem Burschen, denn, habe sie den Sinn des Jägers gestern verwirrt,« schloß sie, »so sei es nicht mehr als billig, daß sie ihm heute den Kopf wieder zurechtbringe.«

Regerl war tief errötet, erst schon über den Besuch der hohen Dame, die sie sofort erkannte, dann noch mehr darüber, daß sie bestimmt sein sollte, dem hübschen Jägersmann sein Glück mitteilen zu dürfen.

Das Fräulein erkannte wohl dieses Errötens Bedeutung, sie reichte ihr freundlich die Hand.

»Du brinnst ja, Regerl,« sagte der Alte lachend, »irger wie 's Almrausch drin auf 'n Marmorkopf.«

»Dös is nur der Widerschein von die roten Nagerln da,« antwortete Regerl, und um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, ging sie zur Kammerthüre und dieselbe öffnend, sagte sie:

»Da sehgts dös Almarausch, dös der Ödl moant; sit gestern is 's verblaßt.«

»Mach d' Thür zua!« rief der Ödl.

Aber das Edelfräulein hatte die Statue bereits erblickt. Staunend fragte sie den Alten:

»Wie kommt Ihr zu diesem Kunstwerk?«

»Wier i dazua kimm?« erwiderte der Alte lächelnd.

112 »Der Marmorstoa' is vom Untersberg und meine Händ und der Meißel dort, die ham dös ander verschuld't.«

»Ihr habt das gemacht?« fragte das Fräulein mit ungläubiger Miene. »Ihr, der Teller- und Kochlöffelschnitzer?«

»Ja, i,« erwiderte der Alte selbstbewußt, »i, der Sebastian Weyerzisk.«

»Ist das nur möglich?« rief das Fräulein bewundernd aus. Als sie aber jetzt aufmerksam die edlen Züge, das ruhige, klare Auge des Alten betrachtete, da fand sie sofort die Möglichkeit und wie entschuldigend sagte sie: »Ihr müßt mir verzeihen. Ein solches Kunstwerk konnte ich nicht in Eurer Hütte, nicht von einem gewöhnlichen Arbeiter erwarten. Ich habe nicht leicht eine schönere Madonna gesehen.«

»A Madonna mit an' silbern Ruder, die eam ummi schifft ins Paradies?« sagte Weyerzisk. »So weit will i nit freveln, daß i mei' Machwerk für würdi halt, daß zu eam bet' wird; na', na', dös hon i nit vomoant!«

»Wie leicht betet sich's zu diesem Bilde!« sprach das Edelfräulein. »Milde, Güte, Friede, Freude, Trost und Hoffnung, ach alles, alles liegt in diesen wunderbaren Zügen! Könnt Ihr noch über die Statue verfügen? Ist sie Euch verkäuflich? Dieses Bild muß in eine Kirche, es wird jeder zur Zierde gereichen. Hätte ich die Mittel, es zu erwerben, ich wüßte sofort eine Verwendung. Aber ich werde jemand anderen dafür interessieren. Wie haltet Ihr das Werk im Preise? Was ist es Euch wert?«

»Ös moants, was 's kost'?« fragte der Alte. »Was 's mir wert is? Viel, mei' halbets Lebn, es war mei' 113 Trost in Not und Kümmernis, mei' Muat, mei' Freud, von dera Stund an is 's mei Stolz!«

»Also ist dieses Werk noch verkäuflich?« fragte die Dame, ihre Augen stets auf den wunderbaren Mann gerichtet.

»Verkäufli? Ja no', freili 's Regerl braucht ja a Geld, wenn amal der Hochzeiter ins Haus kimmt.«

»Was verlangt Ihr?« fragte das Fräulein.

»Was willst verlanga?« entgegnete Weyerzisk. »Wenn i 's zammzähl, die Tag und Stunden, wo i dran g'arbet hon, so kann's netta a hundert Tag ausmacha. Is 's wohl z' viel, wenn i für 'n Tag an Zwanzger (24 kr.) verlang'?«

»Und was weiter?« fragte das Fräulein verwundert.

»Weiter? Ja no', der Marmelstoa kost mir nixi, grad 's Herfahrn mit a Paar Ochsen, mei' 'sel wacht nit viel aus.«

»Habt Ihr das Werk um diesen Preis schon angeboten?« fragte die Dame erstaunt und gerührt zugleich.

»No' niermals,« entgegnete der Alte. »Leicht is 's Enk z' viel; ja no', i woaß nit, was so a Stück wert is.«

»Das wißt Ihr freilich nicht!« versetzte das Edelfräulein, dem Alten die Hand reichend, »Ihr wißt nicht, welch herrliches Werk Ihr da geschaffen. Ein Zwanziger per Tag und der Fuhrlohn! Da hättet Ihr Euch mit dem Tellermachen mehr verdient! Aber seid unbesorgt; ich werde dafür Sorge tragen, daß Euch dieses Kunstwerk abgekauft wird und zwar um einen Preis, der seinem Werte näher kommt. Der Genius des Künstlers, der aus dem Marmor spricht, der ist allerdings nicht zu bezahlen, 114 denn es ist die Seele, die Ihr dem Werke eingehaucht, Eure eigne Seele.«

»Ja, ja,« rief der Alte begeistert und Thränen glänzten in seinen Augen, »so, so – so hon i 's vomoant, i hon 's nit sagn kinna, was i wolln und wier i 's wolln. Ös, gnä Fraaln, habt's es gsagt, mei' Seel is 's, die eam einghaucht hon, dem Marmelstoa' und dös is 's, was mir so trauli entgegenscheint, was mi anhoamelt, so bekannt, halt grad so, als waar's a Stuck von mir, mei' Seel is 's, mei Seel!«

Der Alte war zur Kammer hingehinkt, er wollte seine eigne Seele erschauen in dem Anblick der friedlichen Züge der Schwanjungfrau.

»Es sind Regerls Züge, die Ihr zum Vorwurf genommen,« sprach das Edelfräulein; »der junge Perlacher ist zu entschuldigen, daß er über diesen Zügen verwirrt geworden. Regerl, es ist Ihre Schuldigkeit, ihn wieder hellsehend zu machen. Kommen Sie vor Abend ins Schloß und fragen Sie nach mir. Man wird Sie sofort zu mir führen.«

Jetzt fiel ihr Blick auf Weyerzisks Porträtbüste und unwillkürlich entschlüpfte ihr abermals ein Ausruf der Bewunderung.

»Iatz müaßts aa no' sei' neueste Arbet betrachten,« sagte Regerl hocherfreut darüber, daß die vornehme Dame des Großvaters Arbeiten so belobte. »Da sehgts, dös soll unser Küni wern.« Dabei zog sie das Tuch von dem Modell.

»Er ist es ja schon!« rief das Fräulein erfreut.

»Is er's,« fragte Weyerzisk, vor Freude errötend, »hon i sein' Geist einig'haucht, siehgt ma' sei' schöne Seel aus 'n G'sicht? Siehgt ma's?«

115 »Ja, man sieht sie,« sagte das Fräulein gerührt. »Doch ich werde Euch jemanden senden, der ein besseres Urteil zu geben vermag, als ich, die ich nur so viel von der Sache verstehe, daß jede Kunstsammlung auf diese Werke stolz sein müßte.«

Und als sie sich jetzt zum Gehen anschickte, da hätte sie so gerne gefragt, ob der Mann in Not sei und wie sie ihm helfen könne. Aber sie wagte es nicht. Ihr Blick suchte deshalb nach einem Gegenstande, den sie kaufen könnte, aber er begegnete nur Kochlöffeln und Tellern. Schnell entschlossen, sagte sie:

»Erlaubt mir, daß ich diese Sachen Euch abnehme, – ich habe dafür Verwendung.«

»So nehmts nur, was 's brauchts,« antwortete Weyerzisk; »'n Verleger därfts halt nix sagn davon; dem waar's nit recht, wenn i unter der Hand ebbas hergebet. I gieb Enks aber gwiß aa nit teurer, als 'n Verleger.«

Die Dame reichte ihm ein Goldstück hin.

»Mir sind die Sachen von Eurer Hand das, o, noch viel mehr wert,« sagte sie.

»Waar nit aus!« rief der Alte errötend. »I nimm koa' Almosen an! Na', na', liebs, guats Fraaln, i hon koans angnomma, wier i schier dahungert bin, und iatzt geht ma so weit nix mehr ab. Laßts mir mein' Stolz, und wollts mir a Freud macha, so erlaubts mir, daß Enk die Schwanjungfrau schnitzeln därf zum Angedenken, so wie i 's gestern 'n Berchtold gschnitzelt hon. Ös brauchts koane Teller und Kochlöffel. Wollts aber oa', so kostens Enk so viel, wier an' Verleger und nit um an' Pfenning nimm i mehr, so wahr i der Sebastian Weyerzisk bin.«

116 »So schnitzt mir das Figürchen. Bis wann seid Ihr damit fertig?«

»'s dauert gar nit lang,« erwiderte Wastl, »ös kinnt's es scho' abwarten.«

Und schon hatte er das Schnitzmesser in Bewegung.

Staunend schaute ihm das Edelfräulein zu. Mit rätselhafter Schnelligkeit entstand aus dem Klötzchen Lindenholz eine Figur, das Ebenbild der Schwanjungfrau mit Regerls Gesicht.

Lächelnd übergab sie der Alte dem Edelfräulein und dieses zog jetzt einen Ring vom Finger und reichte ihn dem wunderbaren Manne.

»Erlaubt mir, Euch als Gegenandenken diesen Ring mit den drei Rubinen zu geben,« sagte sie.

Aber der Alte lachte.

»Für meine Händ paßt koa' solches Ringl, aber i nimm's mit Dank. Es is dös erste rare Gschenk in mein' Lebn, dös i krieg und annimm, dös erste Vergelts Gott, dös i dafür bring. Erlaubts, daß i 's mein Regerl gieb? Für dera ihre Finger paßt's leicht besser, dös Ringl mit die roten Stoa'. Geh donna, Deandl. So! Siehgst, dös glanzt ja sakrisch schö' und so bedank di halt bei dem gnä Fräuln.«

Regerl küßte der Dame die Hand. Dann reichte letztere dem Alten die Hand zum Abschiede, verhieß ihm baldiges Wiederkommen und ließ sich von ihm versprechen, sein Kunstwerk nicht zu veräußern, ohne ihr vorher Mitteilung darüber gemacht zu haben.

Dann entfernte sich die Dame, welche heute gleich einer gütigen Fee das ärmliche Haus betreten, von dessen Reichtum die Mitwelt keine Ahnung hatte, bis der Zufall, 117 ein gütiges Geschick das Edelfräulein herabsteigen ließ zur dürftigen Hütte des armen Handwerkers, den sie wieder verließ als großen und seltenen Künstler.


Berchtold saß, wie schon erwähnt, vor Sonnenuntergang an der Esche. Schon schimmerte das Abendrot auf den Spitzen des Watzmanns und des Hochkalters und über den Waldungen lag der violette Duft, jenes zauberische Licht, welches gestern die Marmorstatue in des Meisters Hütte mit scheinbarem Leben erfüllt.

Berchtold fühlte eine gewisse Scham in sich. Was mußte das Edelfräulein von ihm denken! Von ihm, dem starken Jägerburschen denken, der die Schwäche hatte, an eine wirkliche Schwanjungfrau zu glauben? Er fürchtete, von ihr recht herzlich ausgelacht zu werden; er hatte es wohl verdient.

»Hätt' i nur meine Zeugnis und waars scho' wieder furt!« dachte er bei sich.

Er harrte lange Zeit. Mehrere Damen gingen an der Esche vorüber dem Markte zu, keine achtete seiner.

Da er nur eine städtisch gekleidete Dame im Sinne hatte, übersah er es beinahe, daß ein Mädchen in Berchtesgadenertracht vom Markte her sich näherte und gerade auf die Esche zuschritt. Erst als es ganz nahe war und der Jäger Regerls Züge deutlich sah, entfuhr ihm ein Ausruf des Erstaunens.

Das war das Gesicht der gestern an ihm vorüberschwebenden Gestalt, das waren auch die Züge der Marmorstatue und diejenigen Sabinas, seiner Schifferin. Er war für den ersten Moment wieder ganz verwirrt.

»Du bist der Jäger Perlacher?« fragte das Mädchen »Grüaß di Gott! I bring dir a Botschaft, a guate.«

118 Sie zog aus ihrem »Wollröckl« ein Päckchen Papiere hervor. Bei dieser Gelegenheit sah Berchtold den Ring mit den Rubinen, den Regerl von dem Edelfräulein erhalten, den Ring, den er gestern, dessen war er fest überzeugt, am Finger jener Erscheinung am Obersee hatte funkeln gesehen.

Nun war es für ihn kein Zweifel mehr, das vor ihm stehende Mädchen war die Hofdame, die sich einen Spaß gemacht und sich in die hiesige Landestracht verkleidet hatte.

»Gnä Fräuln,« sagte er, sich erhebend und den Hut abnehmend, »heunt bin i scho' a bißl gscheita, als gestern. Lachens mi nur aus; aber alles in allem is 's verzeihli, daß i a so a Dalk bin.«

»Bleib dennast sitzen!« sagte Regerl heiter. »I bin ja koa' Fraaln, bloß 's Regerl vom alten Schnitzer durt obn, wost gestern so lang gwen bist. Da soll i dir deine Papier wieder bringa und drunter find'st a Schreibn, dös sollst glei lesen. I moan, es kunnt di gfreun.«

Der Jäger nahm die Papiere und öffnete hastig ein versiegeltes Schreiben, in welchem wörtlich stand:

Der Jäger Berchtold Perlacher hat sich sofort zur Dienstesleistung beim Revierjäger in Königssee zu melden, wo er seine weiteren Instruktionen empfangen wird.

Das K. Forstamt Berchtesgaden.            

»Juche!« schrie Berchtold, dann aber ergriff er Regerls Hand und drückte einen heißen Kuß darauf.

»Vergelts Gott, gnä Fräuln!« sagte er. »Iatz kinnts mit mir Dummheiten machen, so viel als 's wollts. Ös habts mir a Stell verschafft, iatz is alles guat. Da, nehmts vor allem dös Beuterl wieder; a Postschein is 119 drin. I nimm koa' Geld an als Almosen. Ja, wenn's d' Schwanjungfrau wirkli gwen waarts, wie i gestern glaubt hab, da machet i mir koa' Gwissen draus, denn von die guatn Geister soll ma' alles annehma, was 's eam gebn. Aber von Enk, gnä Fräuln, nimm i nix. Ös habts mir so viel gebn, daß i gar nit gnua danken kann. A Stell' beim Förster in Königssee – juhu! Mei' Muatterl hat dennast recht ghabt, mei' Glück is gmacht!«

Regerl ließ sich die Hand wohl küssen und lachte dazu.

»Aber Jaga,« sagte sie, »i bin gwiß koa' Fräuln; i bin bloß beauftragt, dir dös z' gebn. I bin ganz g'wiß 's Regerl.«

»I wollt, du wärst 'n Weyerzisk sei' Regerl, nacha wüßt' i scho', was i thaat.«

»Du därfst es keck thoa. I bin wahrhafti nix anders.«

»No', so schmatz i dir nit lang d' Hand, sondern – siehgst es, so machet i's 'n Regerl.«

Er hatte dabei das Mädchen geküßt, bevor es sich dessen versah.

»Aber Jaga,« sagte das Deandl, über und über errötend, »hör auf; i – bin dennast wieder lieber 's Fraaln, ja, ja, g'wiß bin i 's! Thue nur wieder dein Huat awa und küß ma d' Hand.«

»I bitt di da Gottswilln, bleib's Regerl – nur a Minuten no',« sagte Berchtold und blickte mit Entzücken nach dem schönen Mädchen, dessen Augen ebenfalls freudig erglänzten und das mit innigem Wohlgefallen den jungen Mann betrachtete.

»Iatz is mir alles klar. Woaßt, mit 'n Amt is mir aa der Verstand kemma. Du bist 's Regerl, der Sabina ihra Schwester und 's Edelfräuln hat dir die Papier für 120 mi übergebn. Wie hoaßts denn? Wo triff i 's denn, daß i ihr danken kann? – Aber dös Ringl?! Is 's am End dennast anders, bist du, san Sie, verzeihns, dös verkleid'te Edelfräuln? Jeß, i woaß nimmer, wo mir der Kopf steht und mei' Herz – nur ebbas woaß i gwiß –«

»Und was is dös?« fragte Regerl ermunternd.

»Daß wenn du 's Regerl bist, du die mei' wern muaßt und kostets mei' Lebn. Du bist dös Glück, dös mir mei' Muatta prophezeit hat, daß i 's da herin finden werd; du bist dös Glück! Ja lieb's Deandl, du bist es!«

»I?« fragte Regerl, ihre Hand ans Herz drückend, »i?«

»Ja, du! O, nur a weng wennst mi du aa gern ham kaanntst, nur a ganz kloa's weng.«

Regerl ließ ihm ihre Hand, die er drückte und blickte ihm treuherzig in die Augen, indem sie sagte:

»A weng nit – aber viel, recht viel. Pfüat Gott, pfüat Gott!«

Sie riß sich los und eilte davon, dem Häuschen des Ödls zu.

Berchtold streckte seine Arme der Fliehenden nach. Dann aber schnalzte er mit dem Finger und den Hut über sich schwingend, schickte er der sich Entfernenden einen freudigen Juhschrei nach.

»'s Regerl is 's! 's Regerl is 's!« rief er mit fast kindischer Freude und ganz von seinem Glücke überwältigt, »'s Regerl muaß die mei' wern. Uijuhuhu!«

»Juhu!« hallte es wieder, aber nicht als Echo, sondern als Abschiedsgruß von den Lippen des an der Schwelle seines Häuschens angelangten, überglücklichen Deandls.

Und dieses Juhu verkündete Berchtold mehr, als tausend Worte, daß sie schon sein war mit ganzer Seele. 121



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