Maximilian Schmidt
Die Schwanjungfrau
Maximilian Schmidt

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IV.

Berchtold wanderte thalaufwärts durch die reizende Schönau, in welcher zerstreut die Gebirgshäuschen der Landleute, Lehen genannt, teils in der Ebene, teils auf den Abhängen der Berge malerisch liegen, dem König der Seen zu durch blühende Wald- und Wiesengründe, zwischen deren schattigen Ahorn- und Platanengruppen die Berge in stets wechselnder Gestalt, bald vereinzelt, bald zur imposanten Kette verbunden, hervorleuchten, entlang der aus dem See heranstürzenden meergrünen Achen.

Das ist ein herrliches Stück Erde, dieses Königsthal. Hier unter den leise rauschenden Blättern der riesigen Laubbäume wandelt sich's so wohl, fern vom Getriebe der großen Welt, sich ganz dem Eindrucke einer herrlichen Natur überlassend. Und wenn die untergehende Sonne die Firnen, die in Hochduft flimmernden Klippenwände vergoldet, wenn das entzückende Spiel des Lichts durch das Gezweig flimmert, die Waldungen mit violettem Hauche übergossen, die honigduftenden Wiesen in magischer Farbenpracht erscheinen, wenn das in Kaskaden herabstürzende oder durch Felsblöcke sich Bahn brechende Bergwasser sich in flüssiges Gold verwandelt und die vom Felsen abfallenden Tropfen in allen Farben des Regenbogens herniederfallen, dazu die Vögel singen und die Menschen jauchzen und 58 zwischen moosgepolsterten Felsblöcken das trauliche Geläute der grasenden Herden ertönt: wem riefe es nicht da mit tausend schmeichelnden Stimmen zu: Verweile hier und ruh' dich aus!

Auch Berchtold fühlte sich wunderbar ergriffen. Das holde Gesicht seiner Traumgestalt wollte ihm nicht mehr aus dem Sinn, deren Zusammenhang mit dem Marmorbild vermochte er sich nicht zu enträtseln. Er konnte sich auch nicht lange seinen Gedanken in dieser Richtung überlassen. Gleich ihm schlugen viele meist elegant gekleidete Leute den Weg zum Königssee ein. Hin und wieder vernahm er, daß die königliche Familie dort eine Wasserfahrt unternehme, daß ihrer Ankunft zu Ehren eine Berg- und Seebeleuchtung stattfinde. Er vernahm auch auf der jenseits des Ufers sich hinziehenden Straße Wagengerassel und Pferdegetrabe.

»Der König!« rief es plötzlich, und Berchtold beeilte sich, gleich vielen anderen, zu einer Stelle zu gelangen, wo sich die Wege verbinden, um den geliebten Landesvater zu sehen; aber es wollte ihm nicht glücken. So eilte er denn mit jener ansteckenden Hast vorwärts, welche die rege gemachte Neugierde hervorruft, vorüber an grün geränderten Hügeln, an losgerissenen, ungeheuren, mit Tannen gekrönten, mit Moos, Epheu und Immergrün überzogenen Felsblöcken und endlich an dem kleinen Dörfchen Königssee vorüber nach der nördlichen Bucht des Sees.

Das letzte Abendrot brach sich soeben an dem bewaldeten Vorsprunge des hohen Jenners und spiegelte sich in den zitternden, sonst grünlichten, von einem leichten Winde berührten Fluten, welche an die scharf und trotzig 59 in die schmale Bucht vorspringende, vorerst den See noch verbergende Wand des Falkensteins spielend anschlugen.

Eine Menge Leute waren auf dem Ländeplatz versammelt. Markige Schiffer und schmucke Schifferinnen in der kleidsamen Berchtesgadener Tracht sind des Winkes des als »Seekarl« bekannten Schiffmeisters gewärtig. Die Buben in blaugrauen »Juppen,« grünen Hüteln, schwarzen hirschledernen Kniehösln mit grünen, breiten Hosenträgern, rotem Halstuch, grauen oder grünen Wadenstrümpfen und Schnürschuhen, die Deandln in langleibigem, rund ausgeschnittenem, schwarzem, mit Goldnähten besetztem Samtmieder, dem leicht um den Nacken geschlungenen Halstuch, in schönen, weiten, etwas über den Ellenbogen reichenden Hemdärmeln, kurzem Persrock und weißer Schürze, teilweise auch in braunen, am Halse mit grünen und roten Streifen eingefaßten Wollröckeln, das flotte, grüne, mit Adlerflaum und Federn geschmückte sogenannte Herzog Max Hütel auf ihrem mit grünen Bändern durchflochtenen, um das Haupt gewundenen Zöpfen tragend.

Eine Menge kleiner Nachen gleiten auf der leuchtenden Flut dahin. Böllerschüsse erdröhnen von allen Seiten und nimmer endende Juhus und Gesang hallen von den Bergen herab und wieder hinauf, und weithin durch die Luft trägt der Abendwind die lustigen Klänge einer den See durchkreuzenden Kapelle. Längst war das mit Blumenguirlanden geschmückte Schiff der königlichen Familie, umgeben von zahllosen Kähnen, welche ihre Begleiter trugen, in den weiten See hinausgefahren.

Berchtold sah diesem Treiben mit großem Vergnügen zu. Die Lust des Volkes war ansteckend.

»Grüaß di Gott!« riefen ihm hin und wieder die 60 drallen Mädchen zu, wenn sie an ihm vorübereilten. Berchtold erwiderte freundlichst diese Grüße. Die schmucken Deandln gefielen ihm gar wohl, mehr als auf den übrigen haftete aber sein Auge auf einem in ein braunes Wollröckl gekleideten Mädchen, welches eben einen schönen Buschen Edelweiß ins Wasser werfen wollte, den ihr ein kleines Mädchen mit einigen Worten überreicht hatte.

»Was thuast?« fragte sie der Jäger. »Wirst do' den Buschen net von dir werfen?«

»Warum denn nit?« fragte das Mädchen ihrerseits. »Mi gfreut er nit, i mag 'n nit!« Und sie warf ihn von sich. Er fiel aber nicht ins Wasser, sondern in ein kleines Schiffchen.

Berchtold sah das schöne Mädchen einige Zeit an. Er mußte selbst über sich lächeln – wieder ward er an die Schwanjungfrau erinnert.

»Bist du a Schifferin?« fragte er sie jetzt.

»Eigentli nit,« antwortete das Deandl, »aba diemal muaß i halt aa zuawa, wenn Not an Mann is. Es is a alts Recht von mein' Vatan, dös er nit gern aufgiebt. Er moant, nix soll ma verachtn, was eam an' etli Kreuzer einbringt. Du bist leicht a nuia Jagasg'hilf aaf Bartlmä, weilst mir ganz fremd bist?«

»I hoff, daß i net umasunst daher groast bin und an' Deanst krieg'« erwiderte Berchtold. »I bin am Weg nach Bartlmä, aber ich sehg schon, heut is für mi koa' Glegnat.«

»Warum nit?« fragte das Mädchen. »Für d'Jaga san extrige Schiff in der Hütt'n, du därfst di nur an Seeer wenden – oder is 's ebba, daß d' nit fahrn kannst, i ruader di scho' eini; i wollt, i därft einifahrn in See, 61 daß i d'Bergfeuer sehget, und wenn der Herr Mann (Mond) scheint, is 's woltern so schö' durt drinn. Ge zua, sag, du magst nit selm fahrn, daß i weiter kimm; bei mir geht's schnell.«

»Dös wär mir freili recht,« meinte der Jäger; »aber – dös kost a Geld und i –«

»Natürli, du hast koans,« fiel das Mädchen lachend ein. »Dös thuat nixi, dernthalbn bist bei uns herin grad so g'acht, denn grad dernthalbn san wir alle so lusti, weil wir alle mitanand nix ham und koans aafs ander neidi sei' kann. Und du – du hast a gewaltigs Aussehgn, und an' Geist im Gsicht, so recht a Jagagstalt; da wird's nit feihn. Steig nur ein! I hoaß Sabin –, da is mei' Schiffel – i red glei mit 'n Seeer.«

Und ohne Berchtolds Antwort abzuwarten, begab sich Sabina zum Schiffmeister, besprach mit ihm einiges und kehrte alsbald zu dem mit sich noch unschlüssigen Jäger zurück.

»'s is alles in bester Ordnung!« rief sie ihn an, sprang ins Schiff und ergriff die Ruder. »Steig nur ein!«

Und Berchtold that nach dem Wunsche des Mädchens. Es war dasselbe Schiff, in welches Sabina das Edelweiß geschleudert hatte. Im nächsten Augenblicke stieß der Kahn ab. Die Schifferin jauchzte ihren Genossinnen zum Abschied zu und diese erwiderten mit jauchzender Antwort.

Berchtold blickte lachend zurück; da sah er hinter der Schiffhütte den Grafenpeter mit gerötetem, aufgeregtem Gesicht, mit geballter Faust dem Schiffe nachdrohen.

Wem galt dies Drohen? Ihm, weil er nicht zum gewünschten Stelldichein kam, oder seiner Schifferin?

Berchtold blickte wieder nach vorwärts, Sabina saß, das Gesicht zu ihm gewendet, aber ihre freundlichen Züge hatten sich verdüstert.

»Steht durt net der Grafenpeter?« fragte der Jäger.

»'s wird woltern der Loder sei', der schlecht,« entgegnete Sabina. »Aber frag' mi nix mehr heunt um den, heut is 's so schö' im See, siehgst, wie der Vollma' auffasteigt über d'Schönau, bis ma ummi san ums Eck vom Falkenstoa', leucht der See schon und da denkst aftn an gar nix mehr, als an die Leut, die 's d' gern hast und an die Schönheit von unserer Hoamat. Sehg i den durt, wird's mir schwaar ums Gmüat, grad wie da herin zwischen die Felsenwänd, wo's Wasser schwarz wird überm grausen Abgrund, wo Sunn und Ma' nit rastn mögn, wo der Sturm d' Welln oft haushoch aaffi peitscht zu die Wänd, daß d' oft moanst, 's End der Welt is da. So wier i mach, daß i außi kimm in 'n Weitsee, da wird's mir wieder leicht – schaug an, ob's da nit schö'? Uijuhuhu!!«

Der Kahn hatte um die Ecke gebogen und ein Zauber that sich auf. Im magischen Vollmondsglanze schimmerte der Spiegel der breiten, langen Wasserfläche des rings von steilen, im Mondlicht gleißenden Felsenwänden eingeschlossenen Meers. Ein glänzender, silberner Hochduft schien wie ein zweiter See von Äther über dem gewölbten Wasserspiegel zu liegen, über den Hochriesen des steinernen Meeres, des Watzmanns und des Königsseegebirges breitete sich ein tiefdunkler, dicht mit Sternen beflockter Himmel aus, während die wunderbare Scheibe des Vollmondes gerade ober dem See langsam ihre Bahn zog.

Um die aus den Felsenritzen sprossenden Gräser, um die leichtbewegten Zweige der auf moosigem Untergrunde, auf den Felsenwänden gewachsenen Tannen und Fichten 63 schienen die Elfen ihre Schleier gewoben zu haben, es flirrte um sie das silberne Mondlicht, welches auch die von den Rudern fallenden Wassertropfen in schimmerndes Gold und Silber verwandelte. Es war ein wunderbar bezaubernder Anblick.

»Gelt,« sagte Sabina zu dem sprachlos staunenden Jäger, »da denkt ma' nit ans Geld, nit an d' Sorg, halt grad an dös, was ma' siehgt und an die, von dene ma' wünschet, daß s'es mit oan sehgeten.«

»Ja!« versetzte der Jäger und er gedachte seiner Mutter. So hatte sie ihm den See geschildert bei Vollmondschein, er fand ihn schöner, als er es sich vorzustellen, schöner als die Mutter es zu beschreiben vermochte, denn keines Menschen Hirn vermag die Herrlichkeit einer solchen Vollmondnacht am Königssee sich zu vergegenwärtigen, keine Zunge und keine Feder sie zu schildern.

Aber schon ward Berchtolds Aufmerksamkeit wieder auf etwas Neues gelenkt. Ein gewaltiges, donnerähnliches Schießen machte die Luft erzittern, es kam von dem an der Schallwand abgebrannten Pistolenschusse, dessen schwellende Schallwogen mächtig grollend, mit dröhnenden Schlägen untermischt, hin und zurück durch das ganze Gebirge, bis in die fernsten Thäler hinein, in zehnfachem Echo wiederhallten.

Dies war das Zeichen zum Anzünden der Bergfeuer, und im Nu flammte und loderte es rings auf den Felsenspitzen und Wänden auf, die Sterne schienen vom Himmel herabgefallen und sich an den Felsen angeklammert zu haben. Hundertfach spiegelten sich die Feuer im See und mischten ihren rötlichen Schein mit dem Silberstrahl des Mondes.

64 Hell jauchzte es von allen Seiten unten und oben, und sicher war in diesem Augenblick das Herz des Königs bewegt, dem Himmel, Natur und Volk diese herrliche Stunde bereiteten.

Berchtold war wie gebannt unter dem erhebenden Eindruck all dessen, was er sah und hörte.

»I muaß mir ge 's Pfeiferl ankennten,« sagte er jetzt; »die Schönheit macht mi ganz damisch und i kunnt wieder einschlafen und d' Schwanjungfrau kaant mir wieder 'n Kopf vozwirrn.«

»Was d' sagst!« versetzte das Mädchen lachend.

»Ja, ja,« versicherte Berchtold; »der alt Weyerzisk hat mir so viel Schöns dazählt, daß i allwei dran denkn muaß.«

»Der Weyerzisk? Dös is ja mei' Ödl!« rief das Mädchen. »I bin d' Sabin – 'n Rottmeasta Grillersepp sei' Tochter. Bist leicht beim Ödl gwest heunt?«

Und als es Berchtold bejahte und ihr von dem Alten erzählte, freute sich das Mädchen herzlich.

»Hast es 's Regerl nit gsehgn?« fragte sie.

Aber der Jäger konnte nicht antworten. Ein Schiff mit jungen Burschen und Deandln ruderte ganz in ihrer Nähe, und diese hatten einen schönen, fröhlichen Gesang angestimmt, in welchen Sabina sofort einfiel.

Auch Berchtold nahm am Gesange Anteil, er fühlte, daß seine Stimme noch nie so voll und schön geklungen, als zwischen diesen herrlichen Felsenwänden, und sein Jodler stand dem der hiesigen Bewohner an Schönheit und Fertigkeit nicht im mindesten nach.

Hallende Juhus folgten dem Gesange und von allen Seiten antwortete frohes Jauchzen, vermischt mit dem 65 Tosen und Rauschen der über die Felswände herabstürzenden Wildwasser.

Die Scenerie nimmt an Großartigkeit zu, je näher man dem grünen Vorlande St. Bartholomä kommt. Die Riesenmasse des Watzmanns und das Felsenhorn der Hachelwand steigt zur Rechten aus der wildschauerlichen, ungeheuren Schlucht des Eisthales auf, Mauern türmen sich auf Mauern, Felsen auf Felsen in Form von Pyramiden, Türmen und Kämmen fast dreitausend Meter hoch hinauf in den dunkelblauen, ernsten und majestätischen Äther, vom silbernen Hauche des Mondes leise umschleiert, während am geheimnisvollen Ende des Sees die Wände des steinernen Meeres herniederstarren, das lustige Gemsenheim, wo der Königsaar um den Felsenhorst kreist und der pfeifende Schrei des Murmeltieres ertönt.

Berchtold war von der Großartigkeit dieser Naturschönheit so überwältigt, daß er fast erschrak, als jetzt seine freundliche Schifferin sagte: »Iatz landn ma ge zuari in Bartlmä. I moan aber, du kimmst heunt 'n Förster nit am g'legensten; kunnt leicht sei', daß der Kini durt aussteigt und daß gar neamd aaf di acht hat. Moanst ebba nit, daß 's gscheita waar, wir fahrn 'n See no gar aaffi – so prächti is 's gar selten und an deina Stell, woaßt, was i thaat? I gaang aaffi zum Obersee, heunt is der Weg beleucht', weil der Kini aa hingeht, so was hast nit gsehgn deina Lebta.«

»Sehgn möcht i's freili,« meinte der Jäger, »aber 's is mir zwegn a Nachtherberg.«

»A Nachtherberg? die kriegst drobn aaf der Saletalm da is a meinige Freundin durt als Sennin, die b'halt di 66 scho' aaf der HeßHeß = das sogenannte Heubödel in der Kuchel, gerade über der Schlafkammer der Sennerin. In Tirol sagt man »Hoß.« und giebt dir aa an' Schmarrn und an' Enzian; es kost' di nix, i richt dir's scho'.«

»I moan selm schier, daß i 'n Första heunt koa' große Freud mach. –«

»G'wiß nit. Und wenn ma' ebban um ebbas angeht, is 's anemal d'Hauptsach, sagt der Ödl, daß ma' nit unglegn kimmt.«

Es ward also beschlossen, die Fahrt bis ans Ende des Sees fortzusetzen. Dasselbe war durch eine Menge von Feuern gekennzeichnet, welche ihren rötlichen Schein weit hinein warfen in die Flut des Sees und wie mit bengalischen Flammen die kahlen Felsenwände beleuchteten.

Berge traten hinter Bergen hervor, wie Scene hinter Scene. Hier der Burgstall, der Simmers, die Jagdköpfe, dort der Karlsberg, die Schlangwand, der Wildpalfen. Der Schönfeldspitz ging unter und der Hochfunkel, die Blühnbacherscharte, die Kammer- und Waldhüttenwand und alles überragend die beiden Teufelshörner gingen auf wie die Gestirne des Himmels, zu denen sie sich erheben.

Der Königssee ist vom Obersee nur durch einen breiten Erdwall getrennt, der aus dem Gerölle niedergestürzter Felsenwände gebildet, sich quer zwischen beiden Gewässern ausspannt. Dieser auf solche Weise geschaffene grasbewachsene Hochrücken heißt die Saletalp.Der gewaltige Einsturz soll am 3. und 4. Januar 1117 geschehen sein. Auf der Saletalpe hat sich der regierende Herzog von Meiningen ein trauliches Schweizerhäuschen gebaut und verweilt jährlich längere Zeit dortselbst. Mehrere Sennhütten, weidende Herden und der lustige Gesang der 67 Sennerinnen bringen hier Leben und Bewegung in die sonst so großartige Einsamkeit.

Heute war nun freilich auf Berg und See ein frohes Treiben. Nicht wie sonst durfte Sabina hier landen, der Schiffordner rief ihr zu, so lange zu warten, bis die höchsten Herrschaften, welche soeben vom Obersee zurückkehrten, wieder zu Schiffe gestiegen und die Rückfahrt angetreten hätten.

Dies währte nicht lange; alsbald fuhr das königliche Schiff mit mehreren anderen vorüber. Deutlich konnte man das Königspaar erkennen und ein freudiger Juhschrei löste sich aus Berchtolds und Sabinens Brust, daß es vielfach von den Felsen wiederhallte. Lange sahen sie dem festlich geschmückten Schiffe nach, das einen langen Silberstreifen in den Wellen zurückließ. Dann landeten sie.

»Dierweil i zum Burgei sein Kaser geh – siehgst, glei durt donni – und für di Quartier mach, steigst aaffi zum Obersee. Du bist in etli Minuten durt. Schaug dir 'n an, juchaz, wenn's dir gfallt und kimm nacha aaf d' Alm; kann sei', daß d' mi no' triffst, wennst di nit z' lang vohaltst. Gieb her dei' Bix und 'n Rucksack, i bring dir 'n aaffi zum Burgei, aftn brauchst nix z'schleppn.«

Berchtold ließ alles geschehen. Er versprach, in kürzester Zeit zurück zu sein, und eilte, während Sabina zu Burgeis Alm schritt, einem neuen Wunder dieser Bergwelt entgegen.

Der Steig zum Obersee war zwar nicht mehr künstlich beleuchtet, doch schien der Mond so hell, daß dies gar nicht nötig war. Kein menschliches Wesen war nun hier mehr unterwegs, hehre Stille herrschte in diesem Felsenthal mit seinen fürchterlichen, fast senkrecht einfallenden Wänden.

68 Jetzt ward der Fuß des Wanderers plötzlich gehemmt, vor ihm eröffnete sich im Zauberlicht des Mondes eine Feenwelt, das innerste, erhabene Heiligtum der Wasserwelt dieses Landes. Von keinem Lufthauche bewegt, ruhig und klar, aus Gold und Silber, Blau und Grün zusammengeflossen, leuchtete der kleine See, in welchem die Riesenmauern der Alpen, einer Fata morgana gleich, sich spiegelten. Das flimmernde Silber der nächtlichen Leuchte zitterte von dem steinernen Meere her über der blaugrünen Flut und schwebte empor an den kahlen Wänden, während das blaue Himmelsdach, mit Millionen hellglitzernder Sterne besäet, dieses Fleckchen Erde für sich zu umspannen schien als eine eigne Welt, geschaffen nur für holde Feen, für den König dieses Sees, für die Schwanjungfrau –

Berchtold konnte dieses nicht ausdenken. Was war es, das sich so plötzlich von der Bank erhob, welche unter einer riesigen, breitästigen Esche am Seegestade angebracht ist?

Es war eine feine, hohe Gestalt in lichtweißem Gewande, das Mondlicht spiegelte zitternd ihr Bild zurück aus der Flut, ihr goldenes Haar schmückte ein Kranz von Alpenrosen –

Berchtold hielt den Atem an sich, ihm war ganz wunderbar zu Mute; vor ihm stand, dessen war er gewiß, die Walküre des Seekönigs, die Schwanjungfrau.

Ob bei diesem wundersamen Zumutesein dem Jäger nicht im ersten Augenblick das Haar zu Berge stand, ob ihm nicht unwillkürlich gruselte, wer kann es wissen? Aber die Mahnung des alten Schnitzers, das Glück des Augenblicks zu erfassen, klang ihm noch in den Ohren, und Berchtold wollte dieser Mahnung folgen.

69 »Bist du endlich da?« fragte bei seiner Annäherung die Erscheinung mit lieblich klingender Stimme; »es ist Zeit!«

Berchtold erkannte aus dieser Ansprache, daß er von der Jungfrau schon erwartet worden sei, und erwiderte, seinen Hut abziehend und einige Komplimente machend: »Fräuln oder Gnä Frau – Sie wern verzeihn, wenn i net woaß, wier i glei sagn soll – es is 's erst' Mal, daß i so a' hoh'n Frau gegenüber steh –«

»Du kennst mich doch!« sagte die Erscheinung.

»Ja freili!« entgegnete der Jäger, durch den heiteren Ton der Fee ermutigt. »Sie san mir heunt mittag, wie i unter der großn Eschen z'nachst Berchtesgaden eing'schlafen war, schon im Traam erschiena, der Weyerzisk hat mir 's weiter dazählt, daß 's so wohlthäti san und an' arma Jaga gern zum Glück verhelfa, wenn er's würdi is. Sie wern's ja wissen von meiner Muatta, die aar a guater Geist is und mi nit umsunst da eina ghoaßn hat, daß mir halt nix über d' Jagerei geht, und was 's Geld anbelangt und d' Edelstoa', so frag i nix danach, wenn i nur mei' Auskomma und a Arbet und a freudigs Bluat hon, sunsten hon i nix vonnöten.«

Die Erscheinung war durch einen herabhängenden Eschenzweig den Blicken des Jägers teilweise verdeckt, sie selbst aber konnte die vom Monde beleuchteten Gesichtszüge Berchtolds wohl erkennen. Sie mußte lächeln.

»Für wen hältst du mich denn?« fragte sie den Jäger.

»Ja no', halt für d' Schwanjungfrau, für d' Tochter vom Seekini – is 's net a so?«

Ein leiser Ausruf entfuhr den Lippen der Fee; der Jäger konnte nicht erkennen, ob es gelacht oder gejubelt war.

»Es ist so!« entgegnete jetzt die Erscheinung, »so 70 wahr du der Jäger Berchtold bist, so wahr bin ich die Schwanjungfrau!«

Diese Antwort brachte auf den Jäger eine solche Wirkung hervor, daß er sich unwillkürlich aufs Knie niederließ. Die Fee hatte sich ihm ja selbst als die Schwanjungfrau förmlich vorgestellt. Sie wußte seinen Namen, natürlich, warum sollte sie das nicht? – Kurz, der Moment war da, das Glück zu erfassen.

»Was verlangst du von mir?« fragte jetzt huldvoll die Erscheinung.

»I hoaß Berchtold Perlacher,« entgegnete der junge Mann, »mei' Vata war früher Jaga in Bartlmä, i möcht halt aar a Anstellung kriegn und an' Vodeanst, da« – dabei zog er ein Päckchen Papiere aus der Seitentasche seiner Joppe, »da san meine Zeugnis, i kann's schon lesen lassen und –«

»Gieb mir die Papiere,« sagte die Fee mit freundlicher Stimme.

Berchtold reichte ihr dieselben hin. Er berührte dabei die wunderbar weiche und feine Hand, sein Auge suchte auch das Antlitz der Jungfrau, aber diese gewährte ihm den Anblick desselben nicht, sie hielt ihre linke Hand, an welcher ein Ring mit drei hellglitzernden Rubinen funkelte, davor, während sie mit der rechten Berchtolds Papiere entgegennahm.

»Hole dir morgen die Antwort – unter der Esche an der Straße nach Schellenberg,« sagte sie gütig, »morgen gegen Abend, wenn die untergehende Sonne sich im Wasser spiegelt, die Firnen leuchten und der Vollmond heraufsteigt. Wirst du es wagen, wieder zu kommen?«

»Und wenn zehn Teufel mir 'n Weg verwehreten, 71 i kimm!« rief der Jäger, »und scho' heunt sag i vergelts Gott!«

»Da nimm einstweilen das!« sprach die Jungfrau, dem Jäger ein kleines, rotsamtenes, mit Goldperlen gesticktes Beutelchen überreichend. »Du bist nicht unbescheiden und wirst das Wenige ehren; es ist alles, was ich bei mir habe.«

»Aber i bitt Eana,« entgegnete Berchtold, »dös braucht's ja gar net. Aaf der Saletalm unten kost's mir ja heunt eh nix, 's Ahnderl vom Weyerzisk, Sabin hoaßt 's, hat mi hergfahrn und sorgt dafür, daß i beim Burgei a Nachtherberg krieg und an' Schmarrn, kann sei' aar an' Enzian – sunst brauch i nix.«

»Deine Schifferin ist also noch da?«

»Ja, vorn is 's. I glaab scho', daß 's mi no' abwart.«

»Hast du sonst kein Schiff gesehen – mit einem starken Ruderer?«

»Na',« versetzte Berchtold.

»Dann ist es Zeit, daß ich gehe,« sprach die Erscheinung. »Blicke in den See hinein und erhebe dein Auge nicht eher, als bis ich von dannen; dann verweile noch ein Viertelstündchen. Denk an meine Huld und jetzt lebe wohl!«

»Pfüat Gott!« sagte Berchtold. »Vergelts Gott für alles!«

Und er blickte, wie ihm geheißen, in den See, dessen leicht bewegte Wellen das lichte Gewand der Erscheinung wiederspiegelten, welche jetzt hinter seinem Rücken verschwand und dem Gestade des Königssees zuschwebte.

Berchtold saß auf der Bank unter der breitästigen 72 Esche. Sein Herz klopfte vor Freude, sein Glück war gemacht. Seine gute Mutter, der alte Schnitzer, seine Ahnung, nichts hatte ihn betrogen, er konnte nicht anders, er mußte seinen glücklichen Gefühlen durch einen Juhschrei Ausdruck geben. Er ließ ihn hinaushallen aus seiner freudig bewegten Brust, hin über die mondhelle Fläche des zauberischen Sees, und von den Felsen klang es wieder in vielfachem Echo, als wäre ein Chor von Geistern lebendig geworden, die in wunderbarer Harmonie ihre Stimmen vereinten mit dem Freudenrufe des überglücklichen Berchtold. 73


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