Maximilian Schmidt
Die Schwanjungfrau
Maximilian Schmidt

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V.

In der Sennhütte der Saletalpe war das saubere Burgei Regentin. Es war ein echtes, lebfrisches Sennadeandl, und eine rastlos thätige, das Wohl ihrer unterhabenen Pflegebefohlenen stets im Auge behaltende Almdirn. Ihr kleiner Bruder, der Lenzl, ein pausbackiger, zwölfjähriger Bua war als Hüatabua bei ihr, und außerdem befand sich noch eine schon ältere Person, »d' Nandl,« als sogenannte Schoßdirn zeitweise da, welche täglich die Milch und die Butter nach Königssee und Berchtesgaden zu verbringen hatte. Die Besucher des Obersees gingen selten an der Sennhütte vorüber, ohne sich durch ein Glas frische Gebirgsmilch zu erquicken. Mit einem hellklingenden Juh! begrüßte sie Burgei schon beim Landen und wenn sie wieder die Rückfahrt angetreten, schickte sie ihnen noch weithin hallende Grüße nach.

Ein kleines, wohlgepflegtes Almgärtchen befand sich neben der an einen Felsblock gelehnten Hütte, angefüllt mit Alpenrosen und Edelweiß, mit welchem hier mancher bequem den Hut schmückte, um dann im Lande draußen als kühner Bergsteiger angestaunt zu werden.

Aber auch eßbare Gegenstände baute Burgei in diesem Gärtchen, wie Salat, Rettich und weiße Rüben, welche 74 mitunter Abwechselung in das Einerlei der Almkost – Millisuppn und Schmarrn – bringen sollten.

Auf der Saletalm war stets lustige Zeit, denn:

»Wann die Glocke hell klingt
Und die Sennerin schön singt
Und der Guggezer schreit,
Is die lustige Zeit!«

Heute aber war Burgei ganz absonderlich lustig, heute hallte ihr Jodler und Berggruß noch einmal so schön, denn sie galten dem an ihrer Hütte vorbeigehenden Königspaar, und dieses hielt gerne an, um sich vom Burgei ein Glas Milch kredenzen zu lassen und sich mit dem Mädchen in leutseligster Weise zu unterhalten. Auch der kleine Lenzl erfreute sich des Erinnerns des Monarchen und griff glücklich nach der ihm dargereichten Hand.

»Lenzl, wie steht's heuer mit deinen Rüben?« fragte ihn der König heiter.

»No', san nit schiach,« erwiderte der Bub. »Mögts oa?«

»Heute nicht mehr,« entgegnete der Fürst lachend, »aber es kann sich schon wieder schicken zur Jagdzeit.« Und gnädigst grüßend entfernte er sich, seiner Begleitung das kleine Abenteuer erzählend, welches er im vorigen Herbste mit diesem Buben hier hatte.

Es wurde eine Hirschjagd abgehalten und das Edelwild von den Treibern und Hunden aus den hohen Waldungen und von den Felsen und Klippen herab zu Thal gesprengt. Der Fürst hatte in der Nähe der Saletalm, am Fuße des Abhanges einer Schwarzwaldung seinen Standpunkt und war der Jagd gewärtig, die lange auf sich warten ließ.

Da erblickte er den in seiner Nähe auf einem 75 Felsblock sitzenden kleinen Hüterbuben, den Lenzl, welcher soeben damit beschäftigt war, sich weiße Rüben zu schälen und mit großem Appetit zu verzehren.

Der König näherte sich dem Knaben und fragte ihn freundlich: »Kleiner, was treibst du da?«

Lenzl erkannte in dem vor ihm Stehenden sofort den König. Er nahm seinen alten Filzhut ab und sagte, ihn mit treuherzigen Augen anblickend:

»A Ruam schäl i mir zu mein' Intabrot.«

Der Fürst sah nach der saftigen Rübe und fragte: »Hast d' keine mehr? Ich möchte eine kosten.«

»So viel 's mögts. Warts nur a weng, glei bin i wieder zruck.«

Er legte die halbverzehrte Rübe und sein altes Taschenmesser auf den Felsblock und eilte wie der Blitz dem Almgärtl neben der Sennhütte zu, um frische Rüben zu holen.

Dem Fürsten gefiel das flinke, gefällige Bürschchen gar wohl. Er wollte sich mit ihm einen Spaß machen und steckte schnell dessen Messerl zu sich. Lenzl war mit drei schönen Rüben rasch wieder zur Stelle und reichte sie lächelnd dem Fürsten.

»So kann ich sie nicht essen,« meinte dieser, »du mußt sie mir schälen. Ich habe mein Messer vergessen.«

»Dös kann leicht sei',« entgegnete Lenzl und griff nach dem Platze, auf welchem er sein Messerl hingelegt hatte. Aber siehe da – es war verschwunden. Der Bub durchsuchte verlegen alle seine Taschen, ging dann suchend um den Stein herum, schüttelte den Kopf, kratzte sich hinter den Ohren und sah endlich den König mit eigentümlich zweifelhaften Blicken nach der Quere an.

76 »Was suchst du denn?« fragte ihn dieser jetzt.

»Mei' Messer,« antwortete Lenzl. »I hon's ganz gwiß da donna glegt, eh i um d' Ruam gloffa bin und iatzad – iatzad is 's halt nimmer da. Dös is a bsunderer Fall!«

Der König strich sich schmunzelnd den Schnurrbart und ergötzte sich an der Verlegenheit des Knaben; dann fragte er.

»Du hast doch nicht auf mich Verdacht, daß ich dir dein Messerl genommen habe?«

»O beileib, Herr Kini!« erwiderte der Bub; »so was trauet Enk dengerst nit zua – aba,« stotterte er mit vor größter Verlegenheit gerötetem Gesichte, »aba –«

»Was aber? Sag frisch und frei, was du denkst,« ermunterte der Fürst. »Gelt, du glaubst wirklich, ich habe dir's genommen?«

Und Lenzl antwortete jetzt ohne Zagen:

»I moan grad nit, daß 's ma 's gnumma habts, aber i moan halt, wenn's 's nit zu mir donna kema waats, so hätt' i mei' Messerl no'!«

Der gute König lachte herzlich über diese drollige und doch so richtige Antwort, zog das Messer hervor und sagte, es dem Buben überreichend, in wohlwollendster Weise:

»Sieh, da hast du dein Messerl wieder und weil es dir so schön gelungen, mir die Wahrheit zu sagen, ohne dabei grob zu sein, so gebe ich dir für deine drei Rüben drei Dukaten in deine Sparbüchse und hast du einmal etwas nötig, so wende dich nur an mich; ich werde dich nicht vergessen.«

Der überglückliche Lenzl machte seiner Freude durch einen Juhschrei Luft.

In diesem Augenblicke begann die Jagd, der König 77 eilte zu seinem Standplatz zurück und kam eben recht, einen durch das Gezweig brechenden Zwölfender aufs Korn zu nehmen und mit sicherem Schusse niederzustrecken.

Während nun der König seiner Begleitung dieses kleine Abenteuer in heiterster Weise erzählte, war Lenzl ganz glücklich, daß sich der Monarch noch so gnädig seiner und seiner Rüben erinnerte, und ebenso glücklich war das schöne Burgei über die ihr zu teil gewordenen gnädigen Worte des Königspaares. Lange juchzte sie demselben nach – jetzt aber hielt sie plötzlich inne. In ihrer Nähe hörte sie einen Juchezer, den sie sofort erkannte. Er kam von ihrem Buam, dem Holzernazi, den sie weit von sich weg auf der Holzstube an der Königsbachklausen vermeinte.

Sie sang ihn auch sofort an:

»Die Sennerin auf der Albn
Thut an' Juchzer, an' halbn,
An halbn thuat da Bua,
Wenn er hinkimmt, dazua.«

Und der Holzernazi sang ihr die Antwort zu:

»Bergauf bin i ganga,
Bergab bin i grennt,
Da hat mi mei' Dirndl
Am Juchezen kennt!«

»Und an no' was sollst mi kenna!« rief ihr jetzt der schöne, kräftige Bursche zu, indem er das Dirndl umhalste, »an mein herzhaften Bussei – so – schnaggeln muaß's!«

Es waren aber auch ein paar herzhafte Küsse und sicher wären es der noch mehr geworden, hätte sich nicht Burgei frei gemacht und gerufen.

»Ja Nazi, wie führt di heunt no' der Weg daher?«

Der lustige Bursche sang ihr sogleich die Antwort auf ihre Frage: 78

»Da Ma'schei', da Ma'schei'
Der zimt mi so schö',
Daß i alle helln Nacht
Zu meim Burgei muaß geh'.«

Und die Sennerin erwiderte, ihn liebkosend:

»An' iads hat sei' Örtl,
An' iads hat sei' Stell,
Und so guat zimt's di nindert,
Magst sei' wodawell

»Aber iatz sag mir,« rief sie dann, »hast di wirkli nit vogange – heunt, an an' Werklta?«

»Schlackarawall,« entgegnete der Bursche, »voganga? I kenn gar koan richtigern Weg, als den her zu dir. I hon ja heunt wieder zu'n an' Schiffer umsatteln müaßn, woaßt, weil da Küni mit seine Leut am See fahrt, da bild't si der Seekarl ein, i waar halt von frühersher no' von die bessern Fahrer oana und da hat mi mei' Rottmoasta, der Grillersepp, awalassen von der Königsklausen zum See. I hon aa ganz alloa' a bildsaubers Fraaln, a Hoffraaln ham's g'sagt, is 's – Schlackarawall, is die schö'! – glei hinterm Küni sein' Schiff herfahrn müassn. Iatz is 's umi aaf'n Obersee, da möchts no' an' etli Zeit alloa bleiben, hat 's gsagt, weil's der Ma'schei' gar a so gfreut und i sollt, sobald da Küni wieder zruck is, aaffi gehn zu der großn Eschn am Obersee und solls nacha awaweisen, und wieder nachifahrn aaf Bartlmä, wo's Feuerwerk abbrennt wird. No', iatz woaßt alles. Ladst mi leicht nit ein, daß i in d' Hüttn einigeh?«

»Ganz alloa' bleibt das Fraaln am See obn?« fragte Burgei statt aller Antwort.

79 »So is 's,« entgegnete der Bua. »Ja no', wenn i dazua kimm, is 's nimmer alloa', woaßt!«

»Hätts nit glaabt, daß d'so g'scheit worn bist!« versetzte Burgei in schnippischem Tone. »Dernthalb hast di heunt aa so schö' gwandt, grad als gaangst aus, daß di d' Stadtleut halt so recht angaffa!«

»Burgei!« rief der Bursche lachend, »i glaab gar, du eiferst! Schlackarawall, du wirst dengerst nix Unrechts denkn? I und a solches Fraaln! Ge zua –«

»Du gehst nit aaffi!« gebot Burgei. »I leids nit! Beim Ma'schei' san d'Grafen und Bauernburschen nit leicht unterschiedli, bsunders wenn's alle gleich gwandt san und leicht, daß oana die naturbrauna Knie besser gfalleten, als die nußfarbigenDie Städter bräunen, wenn sie Kniehösln tragen, ihre Kniee oft mit dem Safte von grünen Nüssen, damit sie von denen der Gebirgsbewohner nicht allzusehr abstechen.. Nix wird draus –«

»Schlackarawall!« rief der Bursche und lachte.

»Ja, lach nur und sag Schlackarawall! I hon scho' viel dazähln hörn. D' Nandl drin woaß gnua selli Gschichtn und –«

»Da bin i scho' mit 'n Kochlöffel!« rief die Alte, unter die Thüre des Kasers tretend. »Heunt wird nixi g'strittn da an dem Platzl, wo der Küni leibhafti 'n Burgei d' Hand gebn hat. Recht hat 's Deandl! I ließ an' so an' saubern Buam aa nit alloa' mit wem is 's da will für a Weibats, wenn der Herr Ma' so schö' schein' thuat. Drum gieb enk an' Rat. Der Lenzl kann ja mit aaffi steign und i moan, Burgei, du kannst di aftn scho' beruhinga.«

»Bist einverstanden?« fragte Burgei den Nazi.

80 »Was willst machn!« entgegnete dieser. »I muaß zu all'm »Ja« sagn, sunst krieg i koa' Bussei mehr und hör koa' lustigs Gsangl von mein herzallerliebstn Schatzerl!«

»So sollst glei oans hörn,« erwiderte Burgei lächelnd und sang:

»A Herzerl, a treu's
Is so rar aaf der Welt,
Wie ban uns in die Bergn
A Metzensack Geld!«

Und sprechend fügte sie hinzu: »So und iatz bist höfli eingladn in d' Hüttn,« nahm den Burschen untern Arm und führte ihn in die Kuchel, in deren vorderer Ecke der Tisch steht, an welchem sie Platz nahmen. Der fette Schmarrn brodelte in der Pfanne am offenen Herdfeuer, dessen Rauch sich in Ermangelung eines Kamins langsam durch das mit großen Steinen beschwerte Legschindeldach der aus Baumstämmen gefertigten Hütte hindurchzog. Die alte Nandl rührte und stieß fleißig mit dem Kochlöffel in der Pfanne.

»Leg no' an' Brocken Schmalz zua,« sagte Burgei zu der Dirn, »und im Teller drin is no' a griebener Zucker. I woaß 's schon, daß der Nazl gern nascht. Dierweil, bis 's Essen firti, schlagst mir a weng d' Zidan. Du woaßt scho', wie's mi gfreut, wennst mir oans vürsingst. Heunt is 's ja so recht a Tag zum Singa und Lustigsein!«.

»Du hast mi scho' am Bandl,« meinte der Bursche gutmütig lachend, griff einige Accorde auf der Zither und sang dann mit frischer Stimme und prächtigen Schlußjodlern, in welche Burgei und selbst die alte Nandl fast andächtig einstimmten: 81

      Was wohl d' Liab is?

Mir zimt, ma' sollt manen,
Die Liab waar a Stern,
So hell und so feurig,
Daß ma' blend't schier kunnt wern.

Derweil is 's a Wildbach
Voll Gfahr und voll Graus,
Und wer amal 'nein fallt,
Kummt schwerli mehr 'raus.

Die Liab is a Garterl,
Kunnt ma' öfters aa maan,
Wo Tausende Bleamerln
Sich abbusseln thoan.

Doch sein all die Bleamerln
Von weitem bloß schön:
Wer Dornen will g'spüren,
Muaß naschend zuagehn.

Is denn d' Liab nit der Himmel?
Hab i in Pfarrer z'naxt gfragt.
»Ja, was dir nit einfallt!«
Hat er mir drauf gsagt.

»Die Liab is a G'fängnis,
Das mirk dir, mei' Bua,
Und die sakrischen Diandlan
Han den Schlüssel dazua!«Die Melodie zu diesem Liede ist im Koschat-Album zu finden.

»Der Küni kimmt zruck!« rief jetzt Lenzl zur Thüre herein. »Tummelts enk, daß 's außa kemmts!«

Alle im Kaser Anwesenden rannten zur Thüre hinaus und befriedigten nochmals nicht nur ihre Neugierde, sondern auch ihre Freude, denn wiederholt grüßte das Königspaar freundlich zu den Bewohnern der Almhütte hin, die ihm wieder laute Juhus nachschickten.

82 »Wennst eam halt dengerst an' Almaschmarrn antragen hättst!« meinte die mit dem Kochlöffel dastehende Nandl, »an' bessern macht eam leicht d' Künigin aa nit, als wier i 'n drin in der Pfanna hon und 's waar eam was Seltsams.«

»I laaf nachi,« rief Lenzl, »und sag eam's.«

»Ob'st dableibst!« rief Burgei, den Buben packend. »Schaamst di nit? Dös kaam ja dengerst außa, als wennst wieder a paar Goldstückeln möchst!«

»Ja so!« erwiderte der kleine Lenzl, »dös hon i nit bedenkt.«

»No', so machts halt aftn ös, daß 's eini kemmts und Mahlzeit halts!« sagte Nandl. »I richt glei an.«

Dieser Einladung ward denn auch Folge geleistet und alsbald stand die Pfanne auf einem hölzernen Teller auf dem Tische. Ein Weidling Milch und ein Laib Brot vervollständigten die Mahlzeit. Jedes bekam seinen Löffel, Lenzl betete laut ein kurzes Tischgebet und in fröhlichster Unterhaltung ward der Abendimbiß eingenommen.

Sie waren damit noch nicht fertig, als Sabina an der offenen Thüre erschien.

»Jeß, d' Sabina!« rief Burgei erfreut. »Du kimmst grad no' recht zum Auskehr! Setz die nur glei zuawa und iß.«

»Dernthalbn bin i nit kemma,« erwiderte das Mädchen, »sondern um a Nachtherberg geh i di an für den Jaga, dem dös G'wehr da und der Rucksack ghörn. Hebs aaf und laß eam, sobald er kimmt, nix abgehn. Er wird Hunger habn und Durst. Zahln laßt eam nix, i bin Zahler, und morgen fruah laßt'n mit der Nandl außi fahrn aaf Bartlmä, denn woaßt, er möcht zum Förster 83 und weil heunt koa' richtige Zeit dazua is, hon eam die Pracht vom See zoagt und daß i nit in Königssee auf der Länd hon bleibn müaßn. I bin ja heunt a Schifferin; der Nazl wird dir's eh gsagt habn.«

»Wenns eam auf der Straa in der Schupfa draus gut gnua is, so is 's eam gern vogunt,« antwortete Burgei. »Und an' Schmarrn und a Milli kriegt er aa no'.«

»Und an' Enzian därfst eam scho' aa gebn,« versetzte Sabina.

»Ja wer is denn der Jaga?« fragte Nazl.

»Dös woaß i nit weiter,« antwortete Sabina. »I frag aa d' Leut nit gern aus, aber so viel is gwiß, es is a richtiger und a braver Mann. Und also geh i wieder. I mach, daß i 'n Küni sein Schiff nachi kimm und 's Feuerwerk in Bartlmä sehg. Pfüat Gott mitanand.«

Die Anwesenden grüßten sie freundlich. Burgei aber geleitete sie eine Strecke weit gegen das Gestade hinab. Da sagte sie zu ihr.

»Hast leicht 'n Grafenpeter verkehrt?«

»Du därfst nix Unrechts denkn,« erwiderte Sabina mit Nachdruck. »I kenn den Jaga erst, sitta daß i 'n aaffag'fahrn han. Beim Ödl is er gwest und aaf Bartlmä möcht er – hon's ja eh scho' g'sagt.«

»Was is 's aber mit 'n Grafenpeter?« fragte Burgei hartnäckig weiter.

»Mit dem is 's nix,« entgegnete Sabina. »I mag koan solchen Loder mehr, der d' Arbet scheut und nix treibt, als 's Edelweiß awiholn von die Berg und nacha 's Geld verlumpen. Du woaßt es, wier i 'n gern ghabt hab, mei' Voda hat 'n als Holzschlager angstellt, aber er halts bei koana Arbet aus, in die Berg umasteign taugt 84 eam besser, Edelweiß brockn mit Lebensg'fahr und diem an' Wilderer machn, woaßt, dös is sei' Sach. I aber hon eam versichert, daß i nix mehr von eam wissen will, so lang er nit wieder a feste Arbet hat und ehrli sei Brot vodeant.«

»Da hast recht ghabt!« pflichtete Burgei der Freundin bei, »und wenn's grad is, 's giebt ja Buam gnua, die a bravs Deandl, wir du bist, z'schaatzen wissen. Moanst nit?«

»Du moanst – ganz aufgebn?« fragte Sabina, den Kopf schüttelnd. »Wolln hätt' i's schon oft, erst heunt wieder, wier er mir an' frischen Buschn Edelweiß durch a kloans Deandl aaf der Länd draus zugschickt hat. So lang i 'n sehg, kaannt eam, woaß Gott was! anthoa', und dös war aa der Hauptgrund, warum i gmacht hon, daß i 'n Jaga hon aaffafahrn därfn, aber bin i weit von eam, dann ziagts mi hin, der Haß und die Liab fanga völli 's Rankeln an – und halt anamal bleibt d' Liab obn auf. Wo dös außi soll, i woaß 's nit.«

»Hat si schon gar viel gricht aaf der Welt,« tröstete Burgei, »wirst aa du dein' Friedn kriegn.«

»Mein Friedn?« entgegnete Sabina traurig, »den krieg i so leicht nimmer. Am Tag muaß i jeden Augenblick denkn, iatzt schiaßt 'n a Jaga zam, der 'n dawischt beim Wildern, oder wieder, daß er beim Edelweißbrockn awistürzt über d' Felsenwand und si dafallt im grausen Gwänd, und nachts wieder sehg i 'n bsoffen im Wirtshaus all sei' Gerstl votrinka, statt daß er sei' alt's Ahndl unterhalt, und so sehg i lauter Angst und Kümmernis und dengerst – dengerst muaß i 'n gern haben.«

85 Sabina hatte sich schluchzend an die Brust der Freundin geworfen.

Diese wußte auf diesen Herzenserguß nichts zu erwidern, sie fühlte, wie auch ihr die Thränen über die Wangen herabrannen.

Jetzt bemerkte sie aber, wie eine weißgekleidete Frauengestalt schnellen Schrittes auf dem Steige vom Obersee herankam.

»Aha,« sagte sie, »durt kimmt dös Hoffraaln, die mei' Nazl vom Obersee hätt' abholn solln. Dös muaß eam glei sagn. Pfüat di Gott, Sabina, tröst di, es kann no' all's recht wern. Für den fremdn Jaga wird scho' gsorgt. Pfüat di Gott!«

»Pfüat Gott!« rief Sabina der rasch zu ihrer Hütte eilenden Burgei nach, trocknete sich mit der Schürze die Thränen und ging zu ihrem Schiffe.

»Schifferin!« hörte sie sich jetzt von der rasch ihr nacheilenden Dame anrufen.

Sabina hielt und erwartete deren Ankunft. Das Deandl erkannte in ihr die Baronesse N., die Hofdame der Königin, und grüßte sie ehrerbietig.

»Willst du mich in deinem Schiffe mitnehmen?« fragte das Fräulein. »Mein Fährmann, der Holzernazi, scheint mich vergessen zu haben.«

»'s is mir a große Ehr,« entgegnete Sabina. »Steigts nur glei ein, i bin ganz laar. Der Nazl aber, der hat si halt bei sein Burgei verhalten – da laaft er daher. Laßts eam's nit entgelten. Er hat 's Burgei gar so gern und kimmt von der Holzstubn obn seltn awa ins Thal.«

»Entgelten?« fragte das Fräulein lachend. »Im Gegenteil, ich bin ihm sogar zu Dank verpflichtet, daß er 86 nicht kam. Ich hätte sonst nicht ein so köstliches Abenteuer erlebt.«

»Gnadn Fraaln!« rief jetzt, kaum zu Atem kommend, der herbeieilende Nazl, »Sie wern verzeihn – a bißl gsunga ham wa' ob'n im Kaser, und a bißl 'gessn und –«

»A bißl busselt!« vervollständigte Sabina, nun wieder lachend.

»Das sind triftige Entschuldigungsgründe,« meinte das Fräulein. »Es sei dir vergeben. Damit du übrigens nicht so urplötzlich von deinem Burgei scheiden mußt, fahre ich mit Sabina zurück. Bist du einverstanden? Ein Trinkgeld lasse ich dir schon zukommen.«

»Gnä Fraaln!« erwiderte Nazl, »i hon meinoad! koans vodeant. Es is mir aa gar nit recht, daß i Eahna nit zruckfahrn soll – aber was willst macha? Aaf d' Alm geh i aa nimmer zruck. I fahr in Enkerer Näh, aft wenn's was brauchts, bin i glei da. I hon's 'n Seeerer ghoaßn, daß i recht acht gieb und da soll si nix feihn!«

Noch während Nazl sprach, hatte Sabina ihren Nachen abgestoßen. Nazl folgte einige Augenblicke später nach.

»Juhu!« tönte es jetzt von der Sennhütte herab und »Juhu!« war die lustig klingende Antwort aus den beiden Schiffen.

Die Baronesse erkundigte sich nun bei Sabina nach dem Jäger, den sie am Obersee getroffen und diese erzählte ihr, was sie von demselben wußte. Freilich war das nicht viel, aber das Mädchen meinte, der Weyerzisk, ihr Ödl, wisse jedenfalls mehr, weil er ihm von der Schwanjungfrau erzählt habe, die ihm, wie der Jäger sagte, den Kopf ganz »vozwirrt« hätte. Außerdem sei der Förster von Bartlmä ein alter Bekannter von des Jägers Vater und 87 der junge Mann hoffe, durch diesen einen Dienst zu bekommen.

Dem Fräulein genügten für heute diese Mitteilungen. Sie überließ sich nun schweigend dem Eindrucke, welchen die Herrlichkeit dieser nächtlichen Fahrt in ihr hervorzauberte und auch Sabina, die mit gleichmäßigem Ruderschlag das Schiff vorwärts brachte, überließ sich ihren Gedanken. Sie blickte einigemal nach dem Edelweißbuschen, der hinter ihrem Sitze lag, nicht mehr von ungefähr hingeworfen, sondern sorgsam hingelegt.

Sanft über die Tiefen dahingleitend, trug sie der Kahn vor das grüne Vorland St. Bartholomä, welches gleich einer Insel im Meere von der übrigen Welt abgesondert ist. Das kleine, mit zwei niederen Kuppeltürmen versehene Kirchlein ist an das ehemals fürstliche JagdschlößchenDas Kirchlein ward schon im Jahre 1134, das Jagdschloß durch den Fürstpropst Kajetan von Nothafft 1732 erbaut. angebaut, um welches sich rings umher in der Form eines Halbzirkels ein sanfter Grasboden ausbreitet, auf welchem Kühe und Kälber weiden, und den ein stiller Eschen- und Buchenhain umzieht. Im Schlößchen wohnt der Förster und wird daselbst eine durch die berühmten Saiblinge allbekannte Wirtschaft ausgeübt.

Heute nahm die königliche Familie unter den durch buntfarbige Lampions beleuchteten Baumgruppen das Souper zu sich, nach dessen Beendigung ein Kunstfeuerwerk abgebrannt werden sollte.

Das Edelfräulein landete an diesem Eilande und schloß sich wieder dem Hofe an. Sie reichte Sabina zum Abschied die Hand und versprach ihr, beim Weyerzisk ein Andenken für sie zu hinterlegen.

88 Sabina ließ die Ruder sinken und übergab ihr Schifflein dem Spiele der ruhigen Flut. Und als dann die bengalischen Feuer die Felsenwände und das Wasser in feenhafter Beleuchtung widerstrahlen ließen, zahllose Leuchtkugeln und Raketen zum Himmel strebten und wieder in den See hernieder fielen, als sie die Rufe und das Jauchzen so vieler glücklicher und froher Menschen vernahm, da leuchtete in ihren Augen eine Thräne, und diese Thräne fiel auf das Edelweiß, das sie, ohne es selbst zu wissen, in die Hand genommen und an die Lippen geführt hatte.

Zum Ländeplatz in Königssee zurückgekehrt, erwartete sie bereits ihr Vater, der Grillersepp, ein kräftiger, durch viele und anstrengende Arbeit abgehärteter Mann von gutmütigem Äußern und heute ebenfalls in feiertägiger Gebirgstracht. Er führte das Mädchen nach einem dem Gasthause schräg gegenüber liegenden Häuschen.

Auf dem kurzen Wege dahin hörte man den Gesang und das Johlen einer schon sehr angeheiterten Gesellschaft, die im Wirtshause saß. Ganz besonders aber und in fast unangenehmer Weise machte sich einer der Lärmenden bemerkbar und dem braven Mädchen gab es einen Stich ins Herz, als der Vater sagte:

»Hörst 'n wieder, den nixnutzigen Loder?«

Sabina nickte bejahend und ihren Händen entglitt der frische Edelweißstrauß, den sie erst kurz mit ihren Thränen benetzt und der nun beschmutzt vom Staube der Straße durch die Tritte der Wanderer vernichtet wurde.

Dieses Lärmen der Trinkenden steigerte sich mit der zunehmenden Stunde und gestaltete sich schließlich in ein wildes Schreien und Schimpfen, in ein gegenseitiges Drohen und das Ende war eine unfreiwillige Entfernung des 89 Hauptruhestörers und Raufboldes, des angetrunkenen Grafenpeter und dessen Verbringung in Haft.

Die zum Fenster hingeeilte, aufs heftigste erschrockene Sabina sah das Blinken der Gewehre mehrerer Gendarmen und hörte das Fluchen des unbändigen Burschen, ihres Geliebten. Drinnen in der Gaststube aber waren die Leute um den Holzernazi beschäftigt, der aus einer großen, aber glücklicherweise nicht lebensgefährlichen Wunde blutete. Die Veranlassung zu dem Streite gab der Jäger Berchtold.

Nazi hatte sich nämlich über den arbeitsscheuen Peter lustig gemacht, mit dem Sabina ein für allemal abgerechnet habe, weil sich ein jedes rechtschaffene Deandl über einen solchen Loder schämen müsse. Und als der Grafenpeter 90 den Beweis dafür verlangte, war Nazi unbedachtsam genug, ihm mitzuteilen, daß Sabina seinem Burgei in seiner Gegenwart einen Jägerburschen aufs dringendste empfohlen und sich für seine Verpflegung und Nachtherberge als Zahlerin erklärt habe.

Der Holzernazi sprach die Wahrheit, aber in der Hitze des Gespräches mochten seine Worte mehr Hohn und Spott enthalten, als er vielleicht beabsichtigte, kurz, der Grafenpeter brach in Verwünschungen und Drohungen gegen den ihm wohlbekannten Jäger aus und begann mit dem Holzernazi auch bald zu raufen, wobei er ihm die erwähnte Wunde beibrachte.

Als der Grafenpeter unter Sabinas offenem Fenster vorüberschritt, blickte er unwillkürlich auf und erkannte sofort das Deandl.

»Elende Dirn!« rief er ihr zu; »Gnad eam Gott, wenn i wieder mit eam zammtriff!« Dann schwieg er und entfernte sich mit seiner Eskorte die Straße hinauf.

Sabina blickte noch lange nach der Stelle, wo er ihren Augen entschwand. Die rötliche Scheibe des Vollmondes war über die stolzen Gipfel des Watzmanns hinübergezogen und nichts erhellte mehr die Nacht, als das Geflimmer des gestirnten Himmels. Kühle Lüfte strichen von der Bucht des Königsees herauf. Sie verkündeten den nahenden Morgen. Sabina fröstelte es; leise schloß sie das Fenster und suchte ihr Lager wieder auf.

»Elende Dirn!« sagte sie, unter stillem Weinen des Burschen Worte wiederholend. »Und dengerst – dengerst muaß i di gern habn!« 91


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