Maximilian Schmidt
Humor (erste Reihe)
Maximilian Schmidt

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Lustige Haft.

I.

Mensch, du mußt brummen! Brummen an einem der größten Flüsse Deutschlands, in hochromantischer Lage, auf der hoch am jäh abfallenden Felsen thronenden, die zu ihren Füßen liegende schöne Stadt und die Landschaft ringsumher beherrschenden Feste!

Dieses Los traf den jungen Gesandtschafts-Attaché Otto Ritter von Bormann, den beliebtesten Kavalier der Residenz, von vielseitiger, gesellschaftlicher Begabung, einen der hübschesten und liebenswürdigsten Männer und Tänzer. Er hatte sich für eine der schönsten Damen geschlagen, den ehrabschneiderischen Gegner stark, aber nicht gefährlich verwundet, und wenn auch alles sagte, diesem sei Recht geschehen, so sprach das Gesetz: »Mensch, du thatest Unrecht, und zwei Monate Festungshaft sei die wohlverdiente Strafe!«

Die ganze vornehme Gesellschaft, der Hof voran, nahmen lebhafteste Teilnahme an dem kleinen Mißgeschick des jungen Mannes, und dieser hätte natürlich die prächtige Herbstzeit auch lieber im Gebirge oder an einem der herrlichen Seen verlebt, als dort oben hinter den altersgrauen 184 Mauern, welche zwar der Landschaft hohen Reiz verliehen, in dem Innern Ottos aber ein gewisses Gruseln verursachten, als er an einem herrlichen Herbstmorgen von der Stadt aus, wo er übernachtet, die Schritte fast zögernd hinanlenkte zum steilen Pfade, der ihn zur Feste brachte.

Einigermaßen beruhigte ihn das Bewußtsein, daß der Kommandant der Feste, Oberst von Nordeck und dessen Frau vor vielen Jahren mit seinen Eltern sehr befreundet waren, und auch er erinnerte sich aus seiner Kindheit her noch des freundlichen Offiziers. – Aber »tempi passati!« dachte er – jetzt wird er im Dienste ergraut sein, und zeigte er mir vordem lachend die Buchstaben der bemalten Fibel, so zeigt er mir heute sicherlich die Buchstaben der strengen Instruktion – seine Pflicht – und wäre er noch so jovial, er kann im wesentlichen nichts an meiner Lage ändern, ich muß brummen!

Ein donnerndes »Halt!« schreckte den in seine Gedanken vertieften, der herrlichen Gegend nicht achtenden jungen Mann plötzlich auf. Er war am ersten, düsteren Thoreingang der Festung angelangt; ein Soldat streckte ihm das gefällte Gewehr entgegen.

Otto folgte dem Befehle und hielt.

»Es darf niemand ohne Erlaubnis herein!« schrie der Posten.

»Ich bin so glücklich, diese Erlaubnis zu besitzen,« sagte Bormann lächelnd. »Rufen Sie nur den Kommandanten der Thorwache.«

Dies geschah. Der dienstthuende Unteroffizier kam ihm höflich entgegen, und als ihm Bormann mitteilte, er wünsche den Festungskommandanten zu sprechen, gab er ihm einen Soldaten als Führer mit, der ihn zur 185 Kommandantenwohnung geleitete. Otto mußte unwillkürlich lächeln, wenn er bedachte, wie viel weniger höflich der Empfang des Unteroffiziers gewesen sein dürfte, hätte er in ihm einen Gefangenen geahnt.

Der Oberst umarmte ihn, sobald er den Namen Otto Bormann gehört; er hatte den Knaben so oft auf den Knieen geschaukelt und sich an ihm erfreut, auch jetzt erfreute er sich herzlich des jungen Mannes und bewillkommnete ihn wie einen lieben Besuch, nicht wie einen Gefangenen. Er stellte ihn sofort seiner Gemahlin und Tochter vor, die den Angekommenen gleichfalls aufs liebenswürdigste begrüßten und Otto zu der Meinung veranlaßten, eines so herzlichen Empfanges halber könne man schon einige Monate »brummen.«

»Zum Brummen werden wir Ihnen hier keine Zeit lassen,« sagte der Oberst. »Wir werden Ihre gesellschaftlichen Talente auszubeuten suchen. Sie sollen in das tägliche Einerlei dieses Aufenthaltes frisches Leben bringen, das soll Ihre eigentliche Strafe sein. Fügen Sie sich dem, so lasse ich Sie auf Ihr Ehrenwort hin frei im Festungsrayon herumgehen, wo nicht, lasse ich Sie in Fesseln legen und werfe Sie in das finsterste Verließ, wo Heulen und Zähneklappern herrscht.«

»Brr, wie schaurig!« rief Otto lachend. »Da will ich mich doch lieber Ihren Anordnungen fügen. Fesseln wird zwar jeder fühlen, der sich eines so liebenswürdigen Empfanges von Ihrer Seite zu erfreuen hat, aber sie sind leicht zu ertragen. Verfügen Sie ganz über mich. Kann ich dazu beitragen, Ihnen ein paar fröhliche Stunden zu schaffen, so bin ich gern dazu bereit, ja ich halte es geradezu für meine Pflicht.«

186 Adele, des Obersten Töchterchen, dankte für diese Bereitwilligkeit mit holdem Lächeln und in ihrem Köpfchen entstand sofort ein kühner Plan. Sie hatte ein kleines Herzensgeheimnis, und dieser junge, gefällige Mann, auf den ihr Vater so große Stücke zu halten schien, war ganz dazu angethan, ihr Vertrauter zu werden. Sie zweifelte keinen Augenblick, daß er gern die Hand bieten würde, wenn es galt, das Glück ihres Lebens erringen zu helfen, und als er ihr nun die Hand küßte und sich anschickte, mit dem Oberst von dannen zu gehen, da sah sie ihm vertrauensvoll in die Augen.

Adele zählte kaum achtzehn Jahre. Aus ihrem unschuldsvollen Gesichtchen leuchtete ein Paar treuer, blauer Augen, ihre Lippen waren rot wie Kirschen und ihr üppiges, hellblondes Haar fiel in langen, dichten Flechten über die Schultern hinab. Die Gattin des Obersten dagegen war eine stattliche Frau in den besten Jahren und mußte in ihrer Jugend sehr schön gewesen sein.

Otto hoffte für sich im Kreise dieser Familie mehr Vergnügen, als auf seiner Arreststube, die ihm der Oberst sofort anweisen lassen wollte.

Zu diesem Behufe führte er ihn nach dem Adjutanturgebäude, wo sich das Dienstbureau befand.

Er bot ihm eine Zigarre an, hing sich in Bormanns Arm und ging mit ihm über den Hof, dabei sich angelegentlichst nach seinem alten Freunde, Ottos Vater, erkundigend. Plaudernd stiegen sie die Treppe zur Adjutantur hinauf und traten in diese ein.

Der Adjutant sprang sogleich von seinem Stuhle auf und stand stramm und unbeweglich da.

»Das ist der Herr, welcher auf zwei Monate 187 interniert bleibt,« stellte der Oberst diesen dem Adjutanten vor. »Die Papiere habe ich auf meinem Schreibtische liegen lassen; ich schicke sie dann herüber. Machen Sie den Herrn mit der Instruktion bekannt und weisen Sie ihm ein passendes Zimmer an.«

»Sehr wohl, Herr Oberst!« antwortete der Adjutant.

»Sonst nichts Neues« fragte der Kommandant.

»Nein, Herr Oberst! Doch ich wollte eben gehorsamst melden, daß einer der Militärsträflinge heute Morgen einen Fluchtversuch machte, von einem Soldaten der Besatzung aber eingeholt und wieder zurückgebracht wurde.«

»Also doch etwas Neues! Wie heißt der Soldat?«

»Das weiß ich nicht.«

»Das sollen Sie aber wissen!« ließ ihn der Oberst ziemlich ungnädig an. »Der Mann muß belobt werden. Ich will mich auf der Wache selbst erkundigen.«

Damit entfernte sich der Oberst eiligst.

Der Adjutant nahm jetzt eine andere Miene an. Er dehnte und streckte sich, um die durch die stramme Haltung anscheinend steif gewordenen Glieder wieder in Bewegung zu bringen. Dann sah er mit geradezu ärgerlichen Blicken nach dem neuen Ankömmling.

»Warum haben Sie sich nicht zuerst bei mir gemeldet?« fragte er ihn in gereiztem Tone.

Bormann merkte aus diesem Dienstton, daß der Adjutant die freundschaftliche Gesinnung des Obersten nicht teile, und er war verlegen um die Antwort, welche er dem Offizier geben sollte, der, an den Spitzen seines blonden Schnurrbärtchens drehend, ihn vom Kopf bis zum Fuße musterte.

188 »Haben Sie meine Frage nicht gehört?« fragte der Oberleutnant abermals.

»O ja,« erwiderte Otto lächelnd, »aber Sie scheinen zu vergessen, daß ich über den Dienstgang hier erst belehrt werden muß, bevor ich Ihnen einen Grund für mein Handeln zu nennen schuldig sein dürfte.«

»Sie scheinen mit Ihren Antworten schnell fertig zu sein,« entgegnete der Adjutant.

»Wie Sie sahen, ließ ich mich zweimal fragen,« lächelte Otto.

Jetzt bemerkte der Offizier die Zigarre in Bormanns Hand.

»Was ist das?« rief er entrüstet. »So etwas ist mir doch noch nicht vorgekommen! Sie erlauben sich, mit brennender Zigarre hier zu erscheinen!«

»Ah, Verzeihung!« sagte Bormann, die Zigarre auf den Ofen legend, »ich dachte, weil der Herr Oberst  –«

»So?« unterbrach ihn der Offizier. »Sie haben eine sonderbare Meinung, wenn Sie glauben, Sie hätten als Gefangener dieselben Rechte, wie der Oberst. Da hört sich doch mehreres auf! Sie werden bald eines anderen belehrt werden!«

»Ihr freundlicher Empfang belehrt mich bereits,« erwiderte Otto. »Doch ich glaube – die Instruktion –«

»Ja, die sollen Sie hören!« rief der Adjutant, ein großes Buch zur Hand nehmend. Er setzte sich nieder und las die ersten Paragraphen mit gleichgültigem Tone. Als er aber zu dem Passus kam, welcher von der Flucht handelte, wurden seine Worte langsamer und er las mit erhobener Stimme, jedes Wort betonend: »Paragraph zwölf: Sollte sich ein Gefangener durch die Flucht befreien wollen, so 189 hat die Wachtmannschaft den Befehl, nach vorhergegangenem »Halt!« Feuer zu geben und nach dem Flüchtlinge zu schießen. Haben Sie mich verstanden?«

»Ich glaube, ja,« entgegnete Otto.

In diesem Augenblick drang aus dem Hofe die Stimme der Oberstin herauf. Der Adjutant eilte sofort zum Fenster, öffnete den ohnehin nur angelehnten Flügel ganz, und indem er hinabgrüßte, verzog sich sein Gesicht plötzlich zu einem zuckersüßen Lächeln. Die Damen schienen sich unten mit einem eben angekommenen Besuche zu unterhalten.

Jetzt kam der Offizier vom Fenster zurück, nahm seine Dienstmiene wieder an und las den Paragraph zwölf wiederholt vor. Dann aber zog es ihn wieder nach dem Fenster. Die Stimmen der Damen entfernten sich, und jetzt mußten dieselben in das Wohngebäude eingetreten sein. Der Adjutant verbeugte sich noch einmal mit verbindlichstem Lächeln, rieb sich vergnügt die Hände und sah noch einige Minuten, seinen Schnurrbart drehend, zum Fenster hinaus. Dann aber schien er sich plötzlich wieder des Gefangenen zu erinnern, dessen Anwesenheit er ganz vergessen hatte.

»Ja so!« sagte er, sich zu diesem wendend und nahm das Buch wieder auf. »Also,« begann er, »haben wir den Paragraph zwölf über die Flucht und das Erschießen schon?«

»Schießen Sie immerhin noch einmal, es thut nicht weh,« entgegnete Otto lachend.

»Soll das ein Witz sein?«

»Wenn Sie ihn als solchen gelten lassen!«

»Unverschämt!« brummte der Offizier vor sich hin.

190 »Sie wissen nun alles,« sagte er dann. »Außer der Freistunde von elf bis zwölf bleiben Sie in Ihrer Stube eingesperrt. Haben Sie Geld, so ist Ihnen gestattet, sich abends ein Glas Bier durch den Profoßengehilfen bringen zu lassen. Besitzen Sie außer diesen hellen Sommerkleidern noch einen Anzug?«

»Ich habe meinen Koffer in der Stadt unten zurückgelassen. Er steht im Hotel »zum wilden Mann«, wo ich auf kurze Zeit abgestiegen bin. Ich werde ihn hierher bringen lassen.«

»In »wilden Mann« sind Sie abgestiegen?« fragte der Offizier erstaunt. »Sie besuchen einen solchen Gasthof ersten Ranges?«

»Ich mußte mich doch auf hierher vorbereiten,« antwortete Bormann lächelnd.

Der Adjutant schien jedoch diese Anspielung nicht zu verstehen.

»Merkwürdig!« sagte er. »Immer nobel – immer nobel! Da wundert man sich dann, wenn der Begriff von Mein und Dein verloren geht.«

»Wie verstehen Sie das?« fragte Otto.

»Nach dem Sinne,« lautete die Antwort.

Jetzt war die Geduld des jungen Mannes zu Ende.

»Mein Herr,« sagte er, »ich muß mir die Bemerkung erlauben, daß ich hier bin, eine zweimonatliche Festungshaft zu erstehen, nicht aber, Ihre geradezu unartigen Bemerkungen mir gefallen zu lassen. Ich bin der Gesandtschaftsattaché von Bormann, und mein Vergehen besteht darin, daß ich im Duell einen frechen Burschen verwundete, der sein loses Maul nicht zähmen wollte, nicht aber in der Verwechslung von Mein und Dein.«

191 »So – o – o?« versetzte der Offizier errötend. »Sie sind Herr von Bormann? Ich habe ja Ihre Papiere noch nicht gelesen, ich hielt Sie für jemand, der wegen Defraudation hierher verurteilt wurde und heute ankommen muß. Habe ich Ihnen die Instruktion schon ganz vorgelesen? Ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht.«

»Das sind Milderungsgründe,« entgegnete Otto.

Der Offizier war jetzt augenscheinlich in Verlegenheit, die er umsonst zu verbergen suchte. Er läutete und der Profoß, einen großen Schlüsselbund in der Hand, erschien.

»Zu Befehl, Herr Adjutant!« sagte er, sich bemühend, seine dicke Figur in eine militärische Haltung zu bringen.

»Weisen Sie diesem Herrn Nr. 14 als Arreststube an.«

»Sehr wohl, Herr Adjutant. Aber an der Menage kann er heute nicht mehr teil nehmen,« erwiderte der Profoß.

»Warum?« versetzte der Offizier. »Man teilt sie eben so ein, daß eine Portion mehr herauskommt.«

»Wenn Sie es wir gestatten wollen, werde ich mir meinen Mittagstisch anderswo suchen,« warf Bormann ein.

»Wo?« fragte der Adjutant.

»An der Tafel des Herrn Obersten,« lautete die Antwort.

»Jetzt, da schau her!« rief der Profoß verwundert.

»Sind Sie schon eingeladen?« fragte der Adjutant spöttisch.

»Noch nicht,« antwortete Otto. »Aber ich bin überzeugt, der Herr Oberst läßt mich nicht Hunger leiden und wird gern sein Brot mit mir teilen. Ich glaube, er kommt, und nun wird die ebenso unerquickliche, als komische Szene gottlob ein Ende haben.«

Die Thüre öffnete sich und der Oberst erschien. Adjutant und Profoß machten wie auf Kommando »Stillgestanden!«

»Was wollen Sie hier?« fragte der Oberst den Profoßen.

»Diesen Arrestanten habe ich auf Befehl des Herrn Adjutanten auf Nr. 14 zu verbringen. Ich fragte nur gehorsamst wegen der Menage an, da heute für diesen Mann nicht angetragen ist.«

»So? Und was wurde Ihnen befohlen?«

»Daß ich die Portionen so einrichten soll, daß ich auch für diesen Mann eine heraus–« er stockte unwillkürlich.

»Was heraus?« fragte der Oberst.

»Heraus – schinden kann.«

»Ist gut!« sprach der Oberst. »Treten Sie ab!«

»Vorwärts Marsch!« rief der Profoß, Otto am Rockkragen fassend.

»Sind Sie des Teufels?« rief der Oberst. »Kehrt Euch, Marsch!«

Der Profoß stolperte mit seinem Schlüsselbunde zur Thür hinaus.

»Welche Nummer haben Sie Herrn von Bormann angewiesen?« fragte jetzt der Oberst den Adjutanten.

»Nr. 14,« entgegnete dieser.

»Mit der Aussicht auf die Wallmauer,« lachte der Oberst. »So gar hart wollen wir's ihm doch nicht machen. Herr von Bormann kann das Zimmer neben dem Theatersaal beziehen, und was die Menage anbelangt, so wollen 193 wir diese aus meiner Küche »herausschinden«, das heißt, wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, während Ihres Aufenthaltes mein Gast zu sein.«

»Mit Vergnügen,« sagte Otto, »wenn es nicht gegen die Vorschrift ist.«

»In der Regel speisen zwar die Arrestanten nicht an der Tafel des Kommandanten,« versetzte der Oberst heiter, »aber es giebt Ausnahmen von der Regel, und eine Zuschrift aus dem Kabinett hat mich beauftragt, Ihnen den Aufenthalt auf der Festung in jeder Weise zu erleichtern.«

Der Adjutant erblaßte zuerst, dann bedeckte ein tiefes Rot sein Gesicht. Er mußte sich's im stillen eingestehen, daß er einen Fehler gemacht.

»Ich werde Ihnen gleich selbst Ihr Quartier anweisen,« sagte der Oberst zu Bormann, und den Adjutanten flüchtig grüßend, verließ er die Kanzlei.

Otto war zu sehr Diplomat, um des Adjutanten Verlegenheit nicht zu bemerken, und da er keinen unangenehmen Eindruck in demselben zu hinterlassen wünschte, sagte er zu ihm: »Vielleicht gelingt es mir, im Laufe der Zeit Ihr Wohlwollen zu gewinnen, das mir ein Mißverständnis in der ersten Stunde versagt hat.«

Der Adjutant stutzte einen Augenblick, dann sagte er: »Sie werden mich schon besser kennen lernen!«

Otto folgte dem Obersten nach. Er wußte nicht, sollten des Adjutanten Worte eine Entschuldigung oder eine Drohung sein, doch hatte er nicht Zeit, darüber nachzudenken, denn schon war der Oberst an seiner Seite, der ihn freundlich fragte, wie ihm der Adjutant gefalle.

»Gar nicht!« bekannte Bormann offen.

»Dann geht es Ihnen, wie mir,« versetzte der Oberst. 194 »Der erste Eindruck ist immer der richtige, das habe ich schon oft bestätigt gefunden. Der Mann ist von einer Schüchternheit, die bei einem Soldaten geradezu ein Verbrechen ist.«

»Von Schüchternheit habe ich bei ihm gerade nichts bemerkt,« meinte Bormann. »Im Gegenteil hatte ich Gelegenheit, zu erfahren, daß er wenigstens nach unten hin, sehr »schneidig« sein kann.«

»Nach unten hin? Das mag sein. Haben Sie das beobachtet, vielleicht dem Profoßen gegenüber?«

»Nein, ich machte diese Beobachtung schon mehr an mir selbst. Ich stand heute sehr unten. Freilich hat man als Arrestant nicht Anspruch auf besondere Zuvorkommenheit.«

»Man darf aber nie vergessen, wen man vor sich hat und weshalb der betreffende Arrestant ist,« sagte der Oberst. »Selbst Männer, die sich in unglückseliger Stunde eines Verbrechens schuldig gemacht, bedürfen unseres Mitgefühls. Gerade sie empfinden ein unfreundliches Benehmen am schmerzlichsten, und nichts drückt sie moralisch mehr nieder, als wenn man sie mißachtet. Sie glauben nicht, wie rührend dankbar sie oft sind, wenn man freundlich mit ihnen spricht und sie ihrer Bildung gemäß behandelt. Dieses Bewußtsein, manchem Unglücklichen sein trauriges Los erleichtern zu können, macht mir meine Stellung hier erträglicher und erhält mir meinen Humor, der mir über manches Unangenehme hinweghilft.«

Sie waren inzwischen an das Hauptgebäude der Festung gelangt, der»Prälatenstock« geheißen, da die Festung ehemals eine befestigte Abtei gewesen, in welche sich die Bischöfe in unruhigen Zeiten zurückzuziehen pflegten. Alles 195 zeugte von früherer Pracht und Herrlichkeit. Sie stiegen über eine breite Marmortreppe hinauf in die sogenannte Prälatenwohnung. Ein breiter, heller Gang, dessen Wände und Decke mit reicher Stuccatur verziert war, welche die Einfassung der überall angebrachten, noch in frischen Farben erglänzenden Freskogemälde bildete, führte an eine große Flügelthür, deren vergoldetes Schnitzwerk das Auge auf sich zog.

Otto konnte einen Ausruf der Bewunderung nicht unterdrücken, die sich noch steigerte, als der Oberst die Thür öffnete und ihn in den sogenannten Fürstensaal eintreten ließ. Die Wände waren hier mit Malereien und vergoldeten Arabesken überzogen, große Spiegel waren an den Pfeilern angebracht und ein hoher Marmorkamin bildete für sich ein eigenes Prachtstück in dem Saale. Aus den Fenstern aber eröffnete sich dem entzückten Blick die reizendste Landschaft, am Horizonte abgegrenzt durch dunkle Waldungen, zu Füßen der mächtig dahinrauschende Strom und darüber hinweg die Stadt mit ihrer Menge von Giebeln und Türmen. Von letzteren ertönte soeben das Mittagsgeläute mit allen Glocken und zitterte in zauberischen Akkorden hinauf zu der hochgelegenen Feste.

Otto konnte sich an dem Bilde nicht satt sehen und trennte sich nur ungern von dem Fenster.

»Diesen Anblick sollen Sie auch von Ihrer Arreststube aus genießen,« versprach der Oberst. »Folgen Sie mir!«

Nun trat der Oberst mit seinem Begleiter in den Theatersaal. Auch dieser strotzte von silbernen Verzierungen, und, was Ottos Blick gleich auf sich zog, ein vollständiges Theater mit neuen Coulissen stand im Hintergrunde.

»Wie, die Bühne ist noch erhalten?« rief er.

196 »Das überrascht Sie?« fragte der Oberst, zufrieden schmunzelnd. »Sie sehen hier mein bescheidenes Werk,« fuhr er fort. »Was Sie hier sehen, ist meine Arbeit, die Coulissen sind von mir gemalt in meinen Mußestunden.«

»Ah, das ist ja herrlich!« rief Bormann. »Hier wird hoffentlich auch gespielt?«

»Freilich!« entgegnete der Oberst. »Ich sehe von Zeit zu Zeit größere Gesellschaft bei mir, Familien aus der Stadt kommen herauf und dann wird Theater gespielt. O, wir können uns schon sehen lassen!«

»Zweifle nicht im mindesten. Wer sind die Darsteller?«

»Meine Frau, meine Tochter, ich selbst, Herren und Damen aus der Stadt; es finden sich darunter immer welche, die Talent und Lust zur Sache haben. Unter meiner Leitung geht die Vorstellung vor sich. Leider haben wir aber einen schweren Verlust zu beklagen, der unsern Spielen einen argen Stoß versetzte. Der frühere Adjutant, ein erster Liebhaber par excellence, wurde versetzt, und der jetzige hat keine Idee vom Theaterspielen, ist überhaupt viel zu langweilig und schüchtern. Da liegt nun die ganze Plage auf mir, und wenn ich mich auch gerne plage, so ist es doch immer angenehmer, wenn man noch Hilfe dabei hat.«

»Dann lassen Sie mich diese Hilfe sein, Herr Oberst,« bat Bormann. »Ich bin mit Leib und Seele dieser Sache zugethan, und brauchen Sie einen ersten Liebhaber, so stelle ich mich gleichfalls als solcher zur Verfügung.«

»Sie? Ja, Sie sehen mir ganz darnach aus, als ob Sie das Zeug dazu hätten!« sagte der Oberst erfreut. »Ich nehme Ihr Anerbieten an. Das ermöglicht mir, mein neuestes Lustspiel bald zur Aufführung zu bringen.«

197 »Ah, Herr Oberst sind auch Dichter?« fragte Otto.

»Was man so fürs Haus braucht,« sagte der Oberst, vergnügt lächelnd. »Zu jener Zeit, da ich noch Leutnant war, mußte man rein aus Verzweiflung zur Kunst greifen, wenn man nicht vor Langeweile sterben wollte, und so eine Neigung bleibt dann das ganze Leben lang. Man singt mit Scheffels Kater:

Eig'ner Sang erfreut den Biedern,
Denn die Kunst ging längst ins Breite;
Seinen Hausbedarf an Liedern
Macht ein jeder selbst sich heute.

Und so habe auch ich ein »Heer von Liedern« gedichtet, als ich noch verliebt war, späterhin wählte ich die Prosa und vor allem das Lustspiel. Wir haben schon mehrere Stücke hier aufgeführt, die Anerkennung fanden. Mein letztes Lustspiel, von welchem ich vorhin sprach, war schon halb eingeübt, da fuhr wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Versetzung des Adjutanten dazwischen, für den dieser langweilige Mensch aus der Garnison unten in die Festung heraufkommandiert wurde. Da kam die Sache in's Stocken. Nun aber, wenn Sie den Liebhaber übernehmen wollen, dann wird gespielt. Wie wird sich meine Frau und besonders Adele über diese Nachricht freuen!«

Bormann besah sich die Bühne und machte dem Oberst das Kompliment, daß Einrichtung und Malerei ganz vorzüglich sei, und daß er vor Begierde brenne, sich auf diesen Brettern zu versuchen. Strahlend vor Vergnügen führte ihn nun der Kommandant in das anstoßende Zimmer, welches er ihm als »Arrestlokal« anwies. Dasselbe war nicht sehr groß und hatte nur ein Fenster, auch war es nur notdürftig möbliert, aber der Oberst versprach, alles 198 Nötige herbeischaffen zu lassen. Otto hatte nur einen Blick für die herrliche Aussicht, die er schon wieder bewunderte.

»Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Güte,« sagte er, dem Oberst die Hand reichend. »Ich werde hier herrliche Monate verleben! Wie schön ist es, hier eingesperrt zu sein!«

»Nun, auf die Dauer bleibt es doch ein Gefängnis,« meinte der Oberst. »Es ist eben ein goldenes Vogelhaus in einem prächtigen Park. Ich kenne das aus Erfahrung. Ich war hier selbst unfreiwillig einige Monate zu Gast, als ich einen Kameraden, der meine Frau mit Zudringlichkeiten belästigte, im Zweikampfe verwundete. Je entzückender die Natur ist, desto mehr sehnt man sich hinaus. Jetzt aber lassen Sie uns zur Menage gehen und sehen, ob, wie der Profoß meint, eine Portion für Sie herauszuschinden ist.«

Unter heiterem Geplauder verging das Mahl. Der Kaffee wurde im Garten des Kommandanten eingenommen, welcher gerade unter den Fenstern von Bormanns künftiger Wohnung lag. Neben diesem Garten befand sich, durch eine Mauer mit Schießscharten geschieden, ein zweiter, etwas tiefer liegender, kleinerer Garten, welcher dem Adjutanten zur Benützung überlassen war. Man konnte den jungen Offizier durch die Schießscharte wohl sehen. Er saß in der Laube und starrte regungslos in die Stadt hinab.

»Da sitzt er drunten, wie der Ritter Toggenburg,« sagte der Oberst. »Der Mensch ist ohne Freud' und ohne Leid. Er sitzt anscheinend ganz gedankenlos da; man sollte doch meinen, in seinem Alter käme er auf Gedanken, die ihn in Bewegung brächten.« Und leise sagte er zu 199 Otto: »Wenn der Mensch nur wenigstens verliebt wäre! Aber ohne jede Leidenschaft, das ist zum Totschießen.

Otto trennte sich nach eingenommenem Kaffee von der kleinen Gesellschaft, um sein Zimmer in Ordnung zu bringen und seinen Koffer aus dem »wilden Mann« holen zu lassen. Der Oberst schickte ihm Zeitungen und mehrere seiner poetischen Arbeiten, darunter auch das neue Lustspiel, in welchem Otto seine Gastrolle als erster Liebhaber spielen sollte. Abends ward Bormann wieder zum Essen in den Kommandantengarten geladen, wo man blieb, bis die kühle Nachtluft zum Rückzug zwang. Mit großem Vergnügen suchte dann Bormann sein reizend gelegenes Zimmer auf, um ausruhen und mit sich allein sein zu können.

Er saß noch lange am offenen Fenster und blickte hinaus auf das vom Mondlicht reizend beschienene Thal, auf den in glitzernden Wellen spiegelnden Strom und die hell erleuchteten Häuser der Stadt. Es lag ein unbeschreiblicher Zauber in dieser reizenden Mondlandschaft. Er hatte das Licht längst ausgelöscht, denn ein Nachtschmetterling nach dem andern war neugierig ins Zimmer gekommen, um sich nach dem hier ungewohnten Schimmer umzusehen und sich in der Flamme die Flügel zu verbrennen.

Da war es ihm, als hörte er die unter seinem Fenster befindliche Gartenthür leise öffnen. Ein flüchtiger Blick und er erkannte beim Mondlicht des Obersten Töchterchen und in respektvoller Entfernung, gleichsam als Leibwache, das Stubenmädchen. Otto zog seinen Kopf rasch zurück, lehnte das Fenster leise zu und wartete hinter dem Vorhange der Dinge, die da kommen sollten.

Adele ging geraden Weges auf die Schießscharte zu, 200 durch welche man in den Garten des Adjutanten blicken konnte, und bald hörte er sie einige Male husten. Dann bemerkte er, wie in dem tiefer gelegenen Garten ein Mann der Mauer zueilte, eine kleine Leiter anlegte und so hoch hinanstieg, daß er durch erwähnte Schießscharte in den Garten des Kommandanten blicken konnte. Er blickte zwar jetzt nicht in den Garten, sondern in zwei prächtige Augen, in denen das Mondlicht wiederstrahlte, und Otto sah ganz deutlich, wie er seinen Arm durch die Scharte zwang und Adelens Hand erfaßte.

Bormann mußte unwillkürlich lächeln. Das waren Pyramus und Thisbe aus dem Sommernachtstraum, wie sie sich durch die Ritze einer improvisierten Mauer ihre Liebesbeteuerungen zuflüstern. Aber noch konnte er das Gesicht des Pyramus nicht erkennen, so viel er sich auch Mühe geben mochte, denn es war zu verlockend, das süße Geheimnis zu entdecken. Was die beiden sprachen, darauf achtete er nicht, er wußte ohnedem, daß sie sich zu solcher Stunde und auf diese Weise nicht über das Wetter unterhielten. Jetzt machte der Unbekannte eine Bewegung mit dem Kopfe, das Mondlicht fiel voll auf seine Züge und beleuchtete das Gesicht – des Adjutanten.

Bormann mußte an sich halten, um einen Ruf der Überraschung zu unterdrücken. Der langweilige Adjutant, der, wie der Oberst noch vor wenigen Stunden ärgerlich bemerkte, nicht einmal verliebt sein konnte, stieg jetzt wie ein Romeo zu seiner Julia empor. Davon hatte der Oberst gewiß keine Ahnung, sonst würde er über den Offizier ein anderes Urteil gefällt haben. Es war also ein geheimes Liebesverhältnis, das so schnell entdeckt zu haben, dem jungen Manne großes Vergnügen gewährte. Während er 201 über die sich unter seinem Fenster abspielende Szene lächelte und sich alle Mühe gab, nichts zu hören, wurde er plötzlich durch die Nennung seines Namens überrascht.

»Daß dieser Bormann gerade da oben wohnen muß!« sagte der Offizier ärgerlich. »So wird uns auch die einzige Möglichkeit, uns hier allein sprechen zu können, genommen. Aber das soll er mir büßen! Er kommt mir schon einmal unter die Zähne, mag ihn dein Papa auch noch so sehr in Schutz nehmen.«

»Nein, lieber August,« sagte Adele, »gerade in ihn setze ich mein Vertrauen. Ich hielte es fürs beste, wir machten ihn zum Mitwisser unseres Geheimnisses. Ich glaube, er könnte uns nützlich sein, da Papa so große Stücke auf ihn hält.«

»Ihn um eine Gefälligkeit angehen,« erwiderte der Offizier, »nein, Adele, das ist nichts. Wir müssen unsere Rendezvous hier aufgeben, so lange dieser Herr da oben wohnt. Der würde sich eine Lust daraus machen, mich in Verlegenheit zu bringen.«

»Meinst du?« antwortete das Mädchen, »das glaube ich nicht. Eine Ahnung sagt mir, daß er dazu beitragen wird, unser Glück zu begründen. Aber du mußt dich unserm Hause mehr nähern, mit Papa in freundschaftlichere Beziehungen zu kommen trachten.«

»Versuchte ich denn nicht schon alles?« versetzte der Adjutant. »Als es mir endlich nach langer, langer Mühe gelungen war, die Adjutantenstelle hier auf der Festung zu erlangen, um dir, die ich bereits seit zwei Jahren anbete, nahe sein zu können, da wurde ich von deinem Papa so ungnädig als möglich empfangen, er behandelte mich wie einen Korporal, und wenn ich seitdem mit ihm 202 zusammenkomme, so schnürt es mir förmlich die Kehle zu, ich vermag nichts zu sagen als »sehr wohl!« und »zu Befehl!« und dein Papa ist sichtlich erfreut, wenn er mich entlassen kann. O, er wird niemals in unsere Verbindung willigen.«

»Wie du so mutlos bist!« sagte Adele. »Du kennst Papa nicht; er hat ein gutes Herz. Um mich glücklich zu machen, willigt er in alles, und wenn du dich nur einmal entschließen kannst, dich ihm zu nähern, so wird noch alles gut werden. Jetzt aber lebe wohl, liebster Mann: ich hoffe, dich bald bei Papa zu sehen.«

»Denke an mich, liebster Schatz,« sagte der Adjutant zärtlich, »und gebe ich dir am Kanzleifenster das Zeichen mit den gekreuzten Linealen, dann ist die Luft hier wieder rein und wir treffen uns abends auf wenige Minuten. So lange der Herr da oben ist, wird freilich dieses Glück selten sein, aber ich werde mein Möglichstes thun, ihn von da zu vertreiben, verlaß dich drauf! Adieu, süßes Kind! Vielleicht sehen wir uns schon morgen wieder.«

Otto hörte, wie sie sich gegenseitig die Hände küßten, und Adele huschte dann ins Haus zurück. Dann stieg auch der Adjutant die Leiter hinab, legte sie auf den Boden nieder und machte eine Bewegung, die eine merkwürdige Ähnlichkeit mit dem Drohen der Faust hatte, was wahrscheinlich dem unliebsamen Störenfried galt; dann verschwand auch er.

Bormann schloß jetzt das Fenster. Er dachte darüber nach, wie ihm der erste Tag seines Hierseins gleich Freunde und Feinde gebracht, und ob wohl seine Haft das Glück zweier Liebenden zur Folge haben könnte. Dann machte er nochmals Licht und durchstöberte die Manuskripte, die 203 ihm der Oberst zur Durchsicht geschickt. Es war ein ganzer Stoß.

»Nun, das alles durchzulesen, das giebt eine hübsche Arbeit,« sagte er lächelnd. »Es ist wirklich schade, daß ich gar so wenig Neigung in mir fühle, das Zeug kennen zu lernen. Was mache ich da? Am besten wird es sein, ich lese von jedem Heft die erste und die letzte Seite und verwende meine ganze Aufmerksamkeit für das neu einzustudierende Lustspiel.«

Dasselbe lag gleichfalls im Manuskript vor ihm, und seine Rolle, von schöner Hand abgeschrieben, war beigegeben. Das Stück war betitelt: »Der geprellte Alte.«

»Guter, bester Oberst!« rief Otto lachend, »diesen Titel hat dir dein Verhängnis in die Feder diktiert. Du sollst die Geister nicht umsonst beschworen haben!«

Jetzt schlug die Mitternachtsstunde.

»Schildwach! Hab Obacht!« tönte es von dem Posten auf dem Walle, und alle Wachen auf den äußeren Werken wiederholten langsam und feierlich diesen Ruf.

»Ich lege mich wenigstens mit dem Bewußtsein zu Bette, vortrefflich bewacht zu sein!« sagte Otto zu sich. Und als er im Bette lag, fügte er den Wunsch bei: »Möchten alle Gefangenen so gut schlafen, wie ich!«

Jetzt fiel ihm die Drohung des Adjutanten ein, daß er ihn aus diesem Zimmer vertreiben wolle. Was konnte er vorhaben? »Vielleicht sehen wir uns schon morgen wieder,« sagte er mit Bezug auf Ottos Vertreibung. Er schien also schon einen Plan gefaßt zu haben.

»Als Diplomat habe ich zu viel vernommen, um nicht auf meiner Hut zu sein,« sagte Bormann zu sich selbst. Dann stand er nochmals auf, sperrte die Thüre nach dem 204 Theatersaale ab und stellte zu größerem Schutz noch einen Tisch davor, um im Schlafe nicht auf unangenehme Weise überrascht zu werden. Er ahnte, daß irgend ein Schabernack in Szene gesetzt werden solle, um ihm den Aufenthalt in diesem prächtigen Zimmer zu verleiden.

»Was nun auch kommen mag, es trifft mich nichts unvorbereitet,« sagte er, sich selbst tröstend, und wenige Minuten später träumte er bereits. 205

II.

Er mochte ungefähr eine Stunde geschlafen haben, da erwachte er plötzlich. Es war kein freiwilliges Erwachen, doch war es ihm in den ersten Minuten nicht recht klar, wodurch er aufgeschreckt worden. Es mußte ein Geräusch im Theatersaale gewesen sein. Er setzte sich im Bette auf und horchte. Nicht lange, so hörte er deutlich das Rollen von Kugeln, welche bald an seine Thüre, bald nach der Bühne geschleudert wurden. Dazwischen klangen Laute wie schmerzliche Seufzer.

»Aha,« dachte Bormann, »das Vertreibungsmanöver beginnt!«

So gern er gewußt hätte, was er für eine lärmende Nachbarschaft habe, so unterließ er es doch, Licht zu machen.

»Die Gespenster scheuen das Licht,« sagte er, »und ich will dem guten Freunde die Freude nicht verderben.« Er drehte sich nach der andern Seite, legte sich bequem hin und versuchte wieder einzuschlafen, da außen eine Ruhepause eingetreten war. Bald aber ging der Spektakel von neuem an und zwar in einem Grade, daß an ein Schlafen schlechterdings nicht mehr zu denken war. Die Kugeln rollten hin und her, bald langsamer, bald schneller, dann war es, als ob etwas Lebendiges hin- und hersauste, 206 die Laute und Seufzer wurden stärker, und Otto war jetzt nicht mehr länger im Zweifel darüber, daß da draußen von Katzen eine Jagd auf Mäuse und Ratten abgehalten werde. Daß man den Katzen Kugeln angehängt, um den Lärm zu vergrößern, war nicht schwer zu erraten.

Im ersten Augenblicke wollte Otto Licht machen und sich über den Grund seiner Vermutung vergewissern. Doch bei näherer Überlegung erkannte er, daß durch Öffnen der Thüre die Jagd leicht in sein eigenes Zimmer verlegt werden könnte, und das wäre sicher noch unangenehmer gewesen. So entschloß er sich, den Tag abzuwarten, der ja schon gegen vier Uhr zu grauen begann. Nachdem es so hell geworden, daß er durch das Schlüsselloch in den Saal sehen konnte, stellte er seine Beobachtungen an. Richtig, da waren zwei große Katzen, die mit Mäusen spielten und von denen jede an einer langen Schnur eine hölzerne Kugel nachzog. In der Mitte des Saales stand eine Mausfalle. Jetzt öffnete sich leise die Thüre, welche vom Fürsten- in den Theatersaal ging, und der Profoß, der ihn gestern beim Kragen packen wollte, erschien in derselben. Er hatte die Stiefel ausgezogen und schlich in Strumpfsocken leise vorwärts nach der Stelle, wo die Mausfalle stand, nahm diese unter den Arm, löste von den Katzen, die sofort zu ihm herankamen, die Kugeln und jagte sie zur Thüre hinaus, die er dann leise hinter sich wieder zuschloß.

Bormann lachte jetzt laut auf.

»Dieser erste Versuch ist dir mißglückt, Adjutantchen!« sagte er. »Warten wir die andern ab.« Und nun legte er sich wieder zu Bett und holte das Versäumte redlich nach. Er schlief noch, als man ihm das Frühstück brachte, 207 und mußte erst durch Klopfen an seine Thür geweckt werden.

Kaum hatte er sich angekleidet, erschien auch schon der Oberst.

»Ich gehe in die Stadt hinab, um meine Schauspieler zusammenzutrommeln,« sagte er. »Gleich morgen halten wir Leseprobe. Nächster Tage wird das jetzige Detachement abgelöst, und der neue Hauptmann, der mit seiner Kompagnie kommen wird, ist eine ganz vorzügliche Kraft. Es wird alles vortrefflich gehen. Wie hat Ihnen mein Stück gefallen?«

»Ganz vorzüglich,« beteuerte Otto höflich. »Wem aber werden Sie die Rolle des »geprellten Alten« zuweisen? Sie muß sehr gut gespielt werden und bedarf einer guten Charakterisierung.«

»Ich spiele sie selbst,« sagte der Oberst. »Die Haupteigenschaft besitze ich, nämlich das Alter.«

»Ja, dann bleibt nichts zu wünschen übrig,« meinte Bormann. »Ich beginne sofort mit dem Studium meiner Rolle. Die Liebhaberin ist doch Fräulein Adele?«

»Jawohl!« antwortete der Oberst. »Das Mädel spielt ganz nett, recht naiv und hat ein prächtiges Organ. Hauptmann Bergen, der, wie erwähnt, nächstens hier eintreffen wird, übernimmt die komische Rolle, und die andern Partieen sind nicht von Belang.«

»Hauptmann Bergen ist hierher kommandiert?« fragte Otto erfreut. »Da treffe ich ja einen lieben Freund.«

»Nun, dann werde ich ihm noch heute die erfreuliche Nachricht von – Ihrem Besuche bringen. Schade, daß Sie nicht im »wilden Mann« ein Schöppchen mit uns trinken können! Meine Frau wird sich erlauben, Ihnen 208 ein Frühstück hieher zu schicken. Bei Tisch treffen wir uns wieder. Benutzen Sie meinen Garten nach Gefallen und vertreiben Sie sich die Zeit, so gut Sie können.«

Bormann beruhigte den Oberst deshalb und geleitete ihn bis zur ersten Thorwache, wo er sich von ihm empfahl. In den Schloßhof zurückgekehrt, sah er auf einer Bank vor der Profoßenwohnung die zwei Katzen sich sonnen. Er mußte beim Anblick dieser Nachtgespenster lächeln. Er näherte sich der Bank und streichelte die Katzen. Da trat der Profoß aus der Thüre, eine Pfeife im Munde und eine rote Hauskappe auf dem Kopfe.

»Guten Morgen!« wünschte Bormann.

»Guten Morgen!« erwiderte der Profoß in etwas gereiztem Tone, denn es ärgerte ihn, daß dieser Gefangene seiner Macht entrückt war und ihm so die vielen Trinkgelder entgingen, welche bei dessen gewöhnlicher Haft unvermeidlich in seine Taschen hätten fließen müssen, denn die verschiedenen kleinen Dienste und Gänge, die Extrabereitung der Speisen von seiten seiner Frau, das hätte alles bezahlt werden müssen, wenn Bormann nicht des Obersten Gast gewesen wäre.

Otto, der so zu sagen »eine gute Nase hatte« und den Braten roch, sagte zu ihm, er wisse wohl, was sich dem Profoßen gegenüber gehöre, und wenn er auch vorderhand nichts aus der Küche seiner Frau nötig habe, so werde der Herr Profoß ihn doch so generös finden, als wenn er seine Verpflegung durch dessen Vermittlung erhielte.

»O bitte,« stammelte der alte Veteran, »nicht nötig! Alles freier Wille! Salutiere! Sind der Freund unsers Kommandanten! Vortrefflicher Mann! War ein Teufelskerl! Hat allen Mädchen die Köpfe verrückt! Schöne Zeit gewesen!«

209 Diese Sätze wurden kurz abgestoßen, mehr herausgebellt, als gesprochen, aber sie waren immerhin ein Zeichen, daß der Profoß in einer versöhnlicheren Stimmung war.

»Haben Sie gut geschlafen?« fragte jetzt der alte Soldat, den jungen Mann fest anblickend, mit eigentümlichem Tone.

»Geht an,« entgegnete dieser. »Etwas unruhig.«

»Unruhig?« fragte der Profoß. »Möchte nicht in den alten Zimmern schlafen. Ehemalige Klosterherrn! Weißer Bischof! Eingemauerte! Man erzählt manches. Sollen schon Erdrosselungen vorgekommen sein – früher – sagt man – Gespenster! Möchte nicht dort schlafen!«

»So, ist es das?« sagte Bormann ernst. »War das, was ich heute nacht hörte, übernatürlich?«

»Sie haben einen Spuk gehört?« that der Alte erschrocken. »Da blieb' ich keine Nacht länger. Haben im andern Flügel auch schöne Zimmer, auch schöne Aussicht, aber Ruhe und Frieden. Muß nicht Gespenster stören. Oberst sagen – wird noch heute ein anderes Gemach bestellen.«

»O, ich fürchte mich gar nicht,« beteuerte Bormann. »Heute nacht bleibe ich jedenfalls noch. Geht dann der Spektakel wieder an, so ziehe ich aus. Ich möchte aber die Ursache niemand wissen lassen.«

»Diskretion!« versicherte der Profoß. »Haben Recht! Viel Plaudern taugt nichts! Probieren Sie's noch diese Nacht. Halten Sie sich ja ruhig, könnte sonst gefährlich werden. Weiß, was ich weiß.«

Otto empfahl sich jetzt rasch von dem Alten, denn er hätte das Lachen nicht mehr länger zurückhalten können.

210 »Nun warte,« sagte er für sich, »heute nacht wollen wir den Geist erlösen!« Er benutzte den Vormittag dazu, sich einen Plan zurecht zu legen, wie er den Geist erlösen und zugleich Adelens Vertrauen belohnen könne. Als er dieser beim Mittagstisch gegenübersaß, da dachte er: »Was würdest du für Augen machen, wenn du ahnen könntest, was ich seit gestern abend alles weiß.«

Der Oberst war ganz heiter aus der Stadt zurückgekehrt und sprach nur vom Liebhabertheater, das nun als gesichert betrachtet werden konnte.

Adele fragte den Gast einigemale, wie er die erste Nacht als Gefangener geschlafen und ob er auch geträumt habe, da Träume, die man an einem fremden Ort in der ersten Nacht hat, gern in Erfüllung gehen. Aber Otto hütete sich wohl, von den durchwachten Stunden zu sprechen, die er dem Adjutanten zu danken hatte.

»Ich schlafe so fest,« sagte er, »daß ich durch nichts zu erwecken bin, und gehe in der Regel früh zu Bette.«

»So?« fragte das Fräulein. »Um welche Zeit?«

»Gewöhnlich um neun Uhr,« log Bormann.

Adelens Augen leuchteten auf; ein Gedanke durchzuckte sie. Otto, der diesen Gedanken kannte, studierte sich einen Traum zusammen, den er vergangene Nacht gehabt haben wollte.

»Denken Sie nur, Fräulein, mir träumte von Ihnen,« sagte er.

»Von mir?« fragte das Mädchen neugierig und errötend.

»Ja, von Ihnen, und sogar von Ihrer Hand.«

»Von meiner Hand?«

»Sie hatten Ihre Hand in eine Maueröffnung 211 gebracht und so eingezwängt, daß Sie weder vor- noch rückwärts konnten. Da erschien ich als Retter, suchte Ihre Hand zu befreien, und –«

»Und?« fragte die Oberstin.

»Legte sie in die Ihres Bräutigams.«

»Das träumte Ihnen?« rief Adele. Die Frage klang sehr ungläubig und errötend sah sie mit so forschendem Blick auf Otto, daß dieser den seinen beinahe senken mußte.

»Nun,« meinte die Oberstin, »bestelle dir bei Herrn Bormann dann nur den richtigen Bräutigam.«

»Da haben Sie das richtige Thema gewählt,« sagte der Oberst, »das spinnt sich ins Unendliche. Jetzt giebt es aber Besseres zu thun, als von Bräutigams zu träumen. Jetzt heißt es Rollen lernen, denn in vierzehn Tagen muß die Aufführung vor sich gehen.«

Nach Tische traf es sich, daß Adele mit Bormann allein in der Fensternische stand. Jetzt konnte sie ihre Neugierde nicht mehr länger bezähmen, sie mußte wissen, wie sie daran war.

»Ist Ihr Traum Thatsache?« fragte sie ihn leise.

»Das größte Stück davon ist Phantasie,« bekannte er aufrichtig. »Wenn Sie meiner Dienste bedürfen, so können Sie auf mich vertrauen.«

Adelens dankbarer Blick zeigte, daß sie ihn verstanden habe.

Nachmittags sah Otto am Fenster der Adjutantur die zwei gekreuzten Lineale. Als er abends mit den andern im Kommandantengarten saß, studierte er sich einen kleinen Racheplan zusammen, und Adelens Blick, der sehr oft auf die bekannte Schießscharte fiel, zeigte ihm das Wie. Als 212 sich bei eintretender Dunkelheit die Familie zurückzog, bat er, noch ein Viertelstündchen hier bleiben zu dürfen, um seine Rolle durchzudenken. Das war dem Oberst ganz recht und man wünschte sich gegenseitig »gute Nacht.«

Nun ging Bormann sofort an die Ausführung seines Planes. Er verstopfte die Schießscharte so fest mit Erde und Steinen, daß die Hinwegräumung ohne lärmende Werkzeuge gar nicht möglich war. Dann eilte er auf sein Zimmer und erwartete hinter dem Vorhange, was sich infolge der gekreuzten Lineale da unten ereignen würde.

Er mußte lange warten. Endlich, es mochte ungefähr zehn Uhr sein, öffnete sich wieder die Thüre unter seinem Fenster und das kleine Fräulein huschte nach der Schießscharte, während das Stubenmädchen an der Thüre Wache hielt. Zu gleicher Zeit erschien auch der Adjutant, legte die Leiter an die Mauer und stieg hinauf.

Jetzt hörte Bormann ganz deutlich, wie beide kratzten und scharrten; aber es half nichts. Der Keil, den Otto hineingezwängt, steckte zu fest.

»Alle Teufel!« rief der Adjutant, »wer hat das gemacht? Adele, bist du da?«

»Bst!« sagte diese, »nicht so laut! Man könnte uns hören. Ich kann die Öffnung nicht aufmachen; es ist wie eingemauert.«

»Warte,« rief der Offizier, »ich hole eine längere Leiter und steige über die Mauer zu dir hinüber.«

»Um Gotteswillen, nein!« antwortete Adele. »Ich gehe wieder ins Haus zurück, leb wohl!«

»Bleibe,« rief der Adjutant, »ich muß zu dir!«

Jetzt hielt es Otto an der Zeit, seine Freundesrolle zu beginnen. Er riß am Fenster, daß es laut klirrte, 213 Adele entfloh sofort ins Haus. Otto öffnete nun das Fenster ganz und rief hinab. »Was giebt's da unten?«

Der Adjutant stand noch immer auf der Leiter.

»Was soll's geben?« rief er gefaßt zu Bormann hinauf. »Ich mache meine nächtliche Ronde.«

»Das ist ein verteufelter Dienst, nachts auf den Festungsmauern herumzuklettern!« lachte Bormann. »Da ziehe ich mein bequemes Bett vor.«

»Das ist mir gleich, was Sie vorziehen,« entgegnete der Offizier, die Leiter hinabkletternd.

Otto hatte das Fenster wieder geräuschvoll geschlossen und sah dann zu, wie sich der Adjutant langsam entfernte.

»So,« sagte er für sich, »das war die Rache für die verdorbene Nacht. Jetzt will ich für heute sorgen.

Er nahm eine lange Stange aus dem Theatersaal und band sein Betttuch daran; dann machte er aus Papier eine Bischofsmütze und befestigte sie auf der Stange. An die Mütze hing er eine aus Papier geschnittene Totenlarve. Diese Dinge richtete er dann so täuschend auf einen Stuhl, zunächst der Eingangsthüre im Fürstensaal, daß man glauben konnte, es säße das riesige Gespenst eines Bischofs da.

Wieder ward es Mitternacht, wieder hörte er den langgedehnten Ruf der Schildwachen, dann war alles ruhig.

»Mein Bischof muß sich da draußen langweilen,« sagte Otto zu sich, »und ich kann den Schlaf kaum mehr zurückhalten, wenn der Profoß nicht bald seine Gespenster bringt. Oder sollte man wir heute Ruhe gönnen?«

Er hatte dies noch nicht ganz ausgedacht, als ein furchtbarer Schrei ertönte. Es war ein Schrei des Entsetzens, der aus dem Fürstensaal kam und in der Nacht unheimlich in den leeren Räumen hallte.

214 Bormann zündete das Licht an und begab sich durch den Theatersaal nach dem Fürstensaale. Da sah er auf dem Boden den Profoß wie regungslos daliegen. Otto neigte sich zu ihm, hob seinen Kopf empor und bemerkte zu seiner Beruhigung, daß er noch atme. Schnell eilte er in sein Zimmer zurück, holte Wasser und übergoß ihm damit Gesicht und Brust. Das hatte gute Wirkung. Otto entfernte schnell die Ursache des Schreckens und näherte sich dann wieder dem noch immer am Boden liegenden Profoßen.

»Wie ist Ihnen,« fragte er ihn, als dieser sich einigermaßen wieder erholt hatte und die Augen aufschlug.

»Sie hier, Herr Bormann,« fragte der Profoß 215 befremdet. »Was thun Sie bei mir? Sapperment! Hausordnung!«

»Ich bin nicht bei Ihnen, sondern Sie bei mir. Sapperment! Haben Unrechtes thun wollen! Sind bestraft worden,« rief Bormann lachend.

Jetzt setzte sich der Profoß auf, sah herum und besann sich, indem er sich an der Stirne rieb. Allmählich schienen ihm seine Gedanken wieder zu kommen.

»Jesses, was hab' ich geseh'n!« rief er, und seine wenigen Haare sträubten sich nach aufwärts. »Da hat er gesessen im silbernen Ornat mit der Bischofskappe! Zähnegrinsend! Hohläugig! Gott steh' wir bei!«

»Kommen Sie in mein Zimmer,« sagte Bormann. »Ich habe noch ein Restchen Wein, das trinken Sie, und dann Vertrauen um Vertrauen.«

Der Profoß folgte ihm wie ein Kind. Der Name »Wein« war ein Magnet, der selbst in dieser kritischen Lage seine Macht auf ihn übte. Otto gab ihm die Flasche, aus der er in tiefen Zügen trank. Das machte ihn gesprächig.

»Schleswig-Holstein gewesen,« sagte er. »Nichts gegen den heutigen Schrecken!«

»Das glaube ich,« entgegnete Otto. »In der Regel fürchtet man sich aber vor Geistern nur da, wo keine vorhanden sind. Doch das ist nun abgethan. Gestehen Sie jetzt ehrlich ein, was hatten Sie um diese Stunde im Fürstensaal zu thun? Wollten Sie einen Herrn Bormann aus seinem Zimmer vertreiben, wie man den Fuchs ausräuchert?«

»O, Herr Bormann: Ihr Wein ist sehr gut! Fuchs ausräuchern? Ich? Weiß nicht –«

»Sie entschlüpfen mir nicht. Gestehen Sie die Wahrheit nicht sofort, so laß ich gleich den weißen Bischof 216 kommen. Ich kann das. Damit Ihnen aber das Eingestehen leichter wird, will ich Ihnen sagen, daß ich Ihren Schabernack von der vorigen Nacht vollständig durchschaut, die Katzen mit den hölzernen Kugeln selbst gesehen und Sie dazu, Sie, der das alles auf Befehl des Adjutanten ausführen mußte, um mich aus dieser Wohnung zu vertreiben. Heute nacht wollten Sie Ähnliches beginnen, aber der weiße Bischof hat mich davor bewahrt.«

Der Profoß staunte ihn mit weit aufgesperrtem Munde an.

»Sie wissen das?« fragte er. »Aber nein! Dienstgeheimnis! Gestern, ja! Heute – Scharren im Kamin – nein, nichts!«

»Also im Kamin sollten Sie heute scharren? Sehr erfindungsreich! Gehen Sie jetzt nur nach Hause und schlafen Sie. Und damit Sie keine Furcht mehr haben vor dem weißen Bischof, Sie Held, so setzen Sie seine Mütze auf und nehmen Sie seine Larve vors Gesicht. Bringen Sie diese Sachen dem Herrn Adjutanten nebst meinem Dank, und melden Sie ihm, daß ich mich durch solche Kindereien nicht aus diesem Zimmer vertreiben lasse.«

Damit stülpte er ihm die papierne Bischofsmütze auf den Kopf und zeigte dem Verblüfften seinen ganzen Geisterapparat.

»Esel gewesen!« rief der Profoß, sich vor die Stirne schlagend. »Memme! Ein Leintuch und eine Papiermütze! Meine Reputation! Meine Autorität! Sapperment! Hol mich der Teufel, Sie sind ein Mann! Gute Nacht! Sapperment, weißer Bischof!«

Unter diesen Ausbrüchen seiner Stimmung entfernte er sich. Otto leuchtete ihm die Treppe hinab 217 und gab noch an die Frau Profoßin einen schönen Gruß auf.

»Braucht nichts von dieser Blamage zu wissen,« weinte ihr Eheherr. »Ist gegen die Disziplin. Herr Bormann, Sie haben mir ordentlich aus dem Hause geleuchtet. Ist mir recht geschehen. Danke!«

Dann entfernte er sich, und auch Otto suchte sein Bett. Es tagte bereits im Osten, als er das Licht ausblies.

»Recht angenehme Nächte!« sagte er lachend. »Ich glaube jedoch, ich habe mir ein für allemal Ruhe geschaffen.«

Niemand in der Festung hatte von diesem Abenteuer im Fürstensaale eine Ahnung. Der Profoß aber mußte infolge des ausgestandenen Schreckens das Bett hüten.

Als Otto andern Tages gegen Mittag mit Fräulein Adele im Garten zusammentraf, benutzte er diese Gelegenheit des Alleinseins, als Freund, wie sie es ihm gestern erlaubte, zu ihr zu sprechen. Er gestand ihr, daß er die Schießscharte verstopfte, um sich an dem Adjutanten zu rächen, und daß er dann dessen Übersteigen der Mauer verhinderte, weil es für sie unpassend gewesen wäre, um diese Stunde mit ihm allein zu sein.

Adele, erst über und über rot, erfaßte jetzt seine Hand und dankte ihm für seine Freundschaft. Sie versprach ihn, sich zu keinem nächtlichen Rendezvous mehr verleiten zu lassen, und Otto teilte ihr, um sie vollständig zu beruhigen, einen Plan mit, mittelst dessen er ihren Vater für den Erwählten ihres Herzens zu gewinnen hoffte. Adele war entzückt über seine Idee und sagte ihn, sie lege ihr Geschick in seine Freundeshand und überlasse es ihm, zu handeln, wie er es für gut finde. Ihre Mutter aber wollte sie in das Geheimnis ziehen.

218 Jetzt kam der Oberst, und sein erster Blick fiel auf die verstopfte Schießscharte.

»Sehen Sie nur dieses neue Hirschauerstückl!« sagte er zu Bormann. »Verstopft der Adjutant die Schießscharte, damit man ihn nicht mehr in seinem Garten sitzen sieht. Das ist doch zum Lachen! Ein so junger, hübscher Mensch – und ein solcher Griesgram!«

Adele wurde wieder verlegen und eilte unter dem Vorwande, den Tisch zu decken, ins Haus zurück.

»Das muß ich sofort wegräumen lassen,« sagte der Oberst, die Schießscharte betrachtend.

»Warum?« fragte Otto. »Was liegt daran, ob man den Adjutanten in seinem Garten schmachten sieht oder nicht?«

»Was schmachten?« rief der Oberst. »Das ist es ja eben! So jung sein, die Uniform tragen, und nicht einmal verliebt sein!«

»Wer kann das wissen?« sagte Otto. »Stille Wasser sind tief. Solche Leute klettern oft nachts über Mauern und Zinnen und brechen sich den Hals mit Wollust im Dienst der Liebe.«

»Nun, bei dem hat man so etwas nicht zu fürchten. Ich glaube nicht, daß der imstande wäre, einer Dame eine ordentliche Liebeserklärung zu machen.«

»Wollen Sie es darauf ankommen lassen?« fragte Otto lächelnd. »Wenn ich dem Treiben dieses Herrn ein wenig nachspüren darf, so liefere ich Ihnen binnen vierzehn Tagen den Beweis, daß er nicht nur bis über die Ohren verliebt sein kann, sondern auch in der Wahl seiner Dame einen Geschmack verrät, der ihm nur zur Ehre gereicht.«

219 »Das wollten Sie mir während Ihres Hierseins beweisen?« lachte der Oberst.

»Ja, ich verpflichte mich dazu.«

»Da wette ich doch, was Sie wollen, daß Ihre Forschungen vergebens sind,« rief der Oberst.

»Ich nehme die Wette an,« sagte Otto. »Sie sollen ihn vor der Dame seines Herzens knieen sehen!«

»Bestimmen Sie den Preis der Wette,« befahl der Oberst, »doch denken Sie dabei daran, daß Sie verlieren werden.«

Otto überlegte einen Moment.

»Gut,« sprach er dann. »Gewinne ich, was geschieht, wenn Sie den Adjutanten vor seiner Herzenskönigin knieen sehen, dann verlange ich von Ihnen einen Kuß.«

»Für die Dame Ihrer Phantasie?« fragte der Oberst. »Recht gern, wenn sie hübsch ist.«

»Nicht für die Dame, sondern für den Adjutanten,« erklärte Bormann.

»Den Adjutanten soll ich küssen?« rief der alte Herr verwundert. »Was fällt Ihnen ein? Der müßte mich ja doch für einen Narren halten. Man küßt doch nicht ohne Grund.«

»Einen Grund wollen Sie haben? Nun, dann schmollieren Sie mit ihm, und der Grund ist gefunden.«

»Wie Sie nur auf so etwas kommen können! Der Chargenunterschied würde mich gewiß nicht hindern, auch nicht das Alter, soweit wird man mich kennen; aber man muß in diesem Falle doch gut Freund mit dem andern sein, man muß sich gern haben. – Doch was besinne ich mich lange! Das Verlieren ist ja doch an Ihnen! Also, ich gehe darauf ein!«

220 »Ihre Hand darauf?«

»Hand und Wort!« entgegnete der Oberst. »Jetzt aber bestimme ich Ihre Strafe. Sie sind verurteilt, bei der nächsten Unterhaltung drei von mir verfaßte, lange Balladen auswendig zu lernen und tadellos vorzutragen.«

»Geben Sie mir die Balladen,« sagte Otto. »Ich studiere sie schon jetzt ein.«

»Das wird Ihnen sehr zu gute kommen!« meinte lächelnd der Oberst. »Doch jetzt kommen Sie; es ist Essenszeit.«

Arm in Arm schlenderten die beiden nach dem Hause, wo das Diner schon der Ankommenden harrte.

Nachmittags kamen mehrere Herren und Damen aus der Stadt, welche beim Liebhabertheater mitwirken sollten, mit Ihnen auch Hauptmann Bergen, der Bormann aufs herzlichste begrüßte. Der Hauptmann war ein Mann von stattlicher Figur, und obwohl er schon die Mitte der Vierziger überschritten, zeigte sein glänzend schwarzes Haar noch kein Atom von Grau. Er galt ehedem für einen der schönsten Offiziere in der Armee und war unter dem Namen »Friederich der Schöne« bekannt. Er hatte ein außerordentlich gesellschaftliches Talent und Otto dankte einen großen Teil seiner diesbezüglichen Gaben diesem Vorbilde. Wo Bergen in Garnison stand, da wurde die Langeweile mit Feuer und Schwert vertrieben und Witz und Humor herrschten an ihrer Stelle; deshalb war er auch überall gern gesehen und stets der Mittelpunkt der männlichen gesellschaftlichen Welt. Nicht minder würdigten die Damen seine Bemühungen. War er es doch, der Tänzchen und Bälle und alle möglichen Belustigungen arrangierte und ihren Wünschen aufs angenehmste 221 entgegenkam Auch dem Oberst war Bergen stets ein höchst willkommener Besuch.

Sobald sich eine Gelegenheit fand, nahm Otto den Freund auf sein Zimmer, wo er ihm seine Erlebnisse seit seinem Hiersein mitteilte und ihm von den Manövern des Adjutanten erzählte.

»Der Adjutant ist sonst ein ganz liebenswürdiger Mensch,« versicherte Bergen. »Ich weiß, der Oberst ist gegen ihn eingenommen, aber mit Unrecht. Er wird ihn bald näher kennen lernen und dann gewiß anders behandeln.«

»Ich glaube, sein Hauptverbrechen ist, daß er nicht Theater spielen kann,« meinte Bormann.

»Wenigstens würde ihm das einige Sympathie des Obersten gewinnen,« bestätigte der Hauptmann. »Aber um auf die Spukgeschichte zurückzukommen, die ist so drastisch, daß ich lebhaft bedauere, sie nicht zum besten geben zu dürfen. Ich werde übrigens den Geisterzitierer ins Gebet nehmen, und du sollst von nun an Ruhe haben.«

Er begab sich auch sofort zum Adjutanten, und schon nach einer Viertelstunde kam er in Begleitung desselben zurück.

»Mein Kamerad hier ist bereit, dir in jeder Weise für die kleinen Angriffe Satisfaktion zu geben,« sagte Bergen zu Otto. »Er erkennt sich als besiegt an und verspricht dir, dich künftig in Frieden zu lassen und denselben auch nicht zu stören, wenn du ihm das Vergnügen gönnst, sich dir in freundlicher Weise nähern zu dürfen.«

»Mit Freuden!« sagte Otto, dem etwas verlegenen Adjutanten die Hand reichend.

»Damit Sie mich aber für keinen Narren halten, werde ich Ihnen die Beweggründe, welche mich zu so 222 sonderbarem Handeln bestimmten, unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitteilen,« erklärte der letztere.

»Nicht nötig!« gab Bormann zurück, »ich kenne sie bereits.«

»Nicht möglich!« rief der Adjutant errötend.

»Sie vergessen, daß ich Diplomat bin,« machte ihn Otto aufmerksam. »Als solcher sehe ich mehr als andere, suche für jedes Warum das Darum, und Sie haben mir das letztere zu finden wahrlich nicht schwer gemacht.«

»So haben Sie mich vorgestern abend gesehen?« fragte der Offizier.

»Gewiß. Und für die Katzenunterhaltung habe ich mich durch Verstopfen der Schießscharte gerächt.«

»Sie?«

»Freilich. Es beruht alles auf Gegenseitigkeit. Für die mir heute nacht angedachte Kaminscharrerei ließ ich »den weißen Bischof« erscheinen. Der arme Profoß gespenstert gewiß nicht mehr.«

»Ich erkläre mich, wie gesagt, für besiegt,« sagte der Adjutant.

»Und Sie geben mir jede Satisfaktion.«

»Jede!«

»Nun, dann verlange ich von Ihnen, daß Sie sofort diese Rolle, welche ich zu spielen übernommen habe, einstudieren und sich von mir und meinem Freunde Bergen darin unterrichten lassen. Doch darf niemand darum wissen, am wenigsten der Oberst.«

»Das wird gut werden,« erwiderte der Adjutant lächelnd. »Ich habe in meinem Leben nie Theater gespielt, und werde mich dabei nur wieder blamieren.«

»Die Liebe kann alles, nur nicht seiltanzen,« 223 entgegnete Otto. »Das Theaterspielen ist unter dem »alles« noch inbegriffen. Lassen das Weitere unsere Sorge sein. Ich bringe Sie Ihrem Ziele näher, vielleicht ganz nahe. Habe ich Ihnen erst meinen Plan enthüllt, so bin ich sicher, daß Sie gar nichts Eifrigeres mehr zu thun haben, als an Ihrer Rolle zu studieren. Vergessen Sie nicht, daß Fräulein Adele Ihre Partnerin ist. Das wird in Ihr Studium das nötige Feuer bringen.«

»Wohlan,« sprach der Offizier, »ich habe mich Ihrem Wunsche zu fügen, und Sie haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn Sie künftig an mir statt des Polter- einen Plagegeist erhalten.«

»Als letzterer werden Sie mir gewiß angenehmer sein, ich werde dann doch ruhig schlafen können.«

»Pax vobiscum!« rief lachend der Hauptmann. »Da sieht man, zu was das Reden gut ist. Das Gold des Schweigens wäre in diesem Falle Blech gewesen.«

»Ob aber das Reden meiner Rolle mir Silber bringt, das möchte ich auch bezweifeln,« meinte der Adjutant.

»Silber bringt es Ihnen nicht,« entgegnete Otto, »aber ein allerliebstes Weibchen, wenn es nach meinem Wunsche geht.« 224

III

Bormanns Festungshaft gestaltete sich in der liebenswürdigen Gesellschaft, in der er verkehrte, zu einer Reihe schöner Tage und Stunden, und auch seine Freunde hatten sich so an den heiteren jungen Mann gewöhnt, daß es dem Obersten fast leid that, als er eines Tages ein Schreiben erhielt, das ihm anzeigte, daß Bormanns Gefangenschaft statt der festgesetzten drei Monate auf einen herabgesetzt wurde. Es kam ihn schwer an, Otto von der Begnadigung zu verständigen.

»Wäre es nach mir gegangen,« sagte er bei dieser Gelegenheit zu dem jungen Manne, »ich hätte Ihnen noch einige Monate zugelegt.«

»Sehr liebenswürdig!« versetzte dieser lachend^»Ich weiß übrigens die Schmeichelei, welche in Ihren Worten liegt, zu schätzen, und, aufrichtig gesagt, ich wüßte mir keinen reizenderen Aufenthalt, als hier, wo Natur und Menschen wetteifern, das Leben so schön zu machen.«

Die Damen gratulierten ihm zwar herzlich zu der ihm zu teil gewordenen Gnade des Fürsten, aber ihr Nachsatz war auch nur ein Bedauern, den liebgewonnenen Hausgenossen so bald schon wieder fortziehen zu sehen.

»Es ist nur gut, daß ich das Theater noch rechtzeitig angesetzt habe,« meinte der Oberst. »Jetzt trifft es sich 225 so, daß Sie gerade am Tage der Vorstellung frei werden und demgemäß Ihre Rolle als freier Mann spielen können.«

»Das ist mir auch sehr angenehm,« versicherte der junge Mann. »Ich verliere zwar dabei etwas an Interesse in den Augen des schönen Geschlechts, das dem Gefangenen sicher ungleich mehr Sympathie entgegengebracht hätte; aber ich kann mich freier bewegen und das besonders Ihnen gegenüber, Herr Oberst, den ich nun einmal nach Vorschrift meiner Rolle prellen muß.«

»Glauben Sie, das Stück gefällt?« fragte der Oberst zum so und so vielten Male, denn es war ihm stets eine Freude, eine bejahende Antwort zu hören. »Ich meine, es wäre nicht so ganz ohne Witz und Humor.«

»Es ist allerliebst!« versicherte Otto. »Es wird einen für alle vergnügten, für Sie aber ganz besonders ehrenvollen Abend geben.«

»Besonders interessant wird es, wenn Sie die drei Balladen noch zum besten geben,« lachte der Oberst, »Sie studieren doch daran?«

»Wohl. Aber nicht aus Furcht vor der zu verlierenden Wette.«

»Wollen Sie wirklich noch nicht einsehen, daß Sie verlieren?« fragte der alte Herr. »Wie ich höre, kommen Sie öfter mit dem Adjutanten zusammen. Finden Sie ihn nicht unheilbar?«

»Ganz und gar nicht. Der Mann sah sich in der ersten Zeit seines Hierseins nichts weniger als wohlwollend behandelt und das schreckte ihn. Kommt man ihm freundlich entgegen, so taut er auf und man hat einen gutmütigen, gesetzten Mann vor sich.«

226 »Der mehr reden kann, als ›Sehr wohl!‹ und ›zu Befehl‹?« fragte der Oberst.

»Gewiß,« antwortete Otto. »Es wird von Ihnen abhängen, Herr Oberst, ihn mit meinen Augen zu erkennen.«

»Glauben Sie, daß ihm darum zu thun ist? Ein junger Mann, der das Schießloch verstopft, um ungesehen in seinem Garten schmollen zu können, hat keinen Sinn für gesellschaftliche Kreise. Übrigens habe ich allerdings selbst einen Teil der Schuld zu tragen. Es ist wahr, ich kam ihm nicht sonderlich wohlwollend entgegen, denn es ärgerte mich, daß er hinter meinem Rücken sich beim Ministerium um die Adjutantenstelle hier bewarb, und zwar so unerwartet schnell, daß meine Vorschläge noch unterwegs waren, als seine Ernennung schon erfolgte.«

»Vielleicht wünschte er nur hierher zu kommen, weil der Herr Oberst hier kommandieren.«

»Das wäre ein psychologisches Rätsel. Aber lieber Freund, ich will Ihnen durch mein Entgegenkommen Ihre Aufgabe erleichtern. Doch rate ich Ihnen trotzdem, die Hoffnung, Ihre Wette zu gewinnen, aufzugeben. Nächsten Sonntag ist Ihre Zeit um, abends findet das Theater statt, und andern Tags werden wir Sie mit dem Zuge da unten fortsausen hören. Wie wollten Sie in diesen wenigen Tagen noch das Kunststück fertig bringen, ihn verliebt zu machen? Studieren Sie die Balladen!«

Damit empfahl sich der Kommandant und ging schnurstracks in die Adjutantur. Otto sah ihm lächelnd nach.

»Der gute Mann wird jetzt, um das Versäumte nachzuholen, zu viel des Wohlwollens auf den Adjutanten ausgießen. Doch das schadet nichts; desto besser lernt und spielt er seine Rolle,« sagte Bormann für sich. –

227 »Wir werden abends zum Thee einen neuen Gast bekommen,« verkündete der Oberst während des Mittagstisches.

»Und wer ist das?« fragte die Oberstin.

»Der Adjutant,« lautete die Antwort ihres Eheherrn.

»Der Adjutant?« riefen die Damen und Otto gleichzeitig, aber mit verschiedenen Gefühlsausdrücken. Otto lachte, Adele errötete und die Oberstin machte ein sehr erfreutes Gesicht – im Grunde genommen aber freuten sich alle darüber.

»Hat er bei uns Besuch gemacht?« fragte die Oberstin.

»Nein,« antwortete der Oberst. »Ich habe ja vergessen, seinen ersten Besuch zu erwidern. Ich habe das heute gut gemacht und ihn gleich eingeladen. Kommt ihm freundlich entgegen! Er scheint mir in Damenkreisen sehr schüchtern zu sein.«

Bormanns und Adelens Blicke begegneten sich.

»Das ist Ihr Werk!« schien ihm Adele zuzurufen.

Als dann abends im Garten der Thee eingenommen wurde, erschien der Adjutant am Arme des Hauptmanns Bergen und wurde von den Damen aufs beste empfangen. Auch der Oberst gab sich sichtlich Mühe, den bis jetzt Zurückgesetzten auszuzeichnen. Er bot ihm fortwährend mit Butter bestrichenen Pumpernickel und Napfkuchen an, hatte ihm zwei- und dreimal Arak in das Getränk gegossen, so daß dem Adjutanten allmählich ganz ängstlich zu Mute wurde. Der Oberst rückte gar nicht mehr von seiner Seite, zumal der Adjutant jetzt gestand, daß er durch die Güte Bormanns die poetischen Produkte des Herrn Obersten zum Lesen erhalten habe und diese seine Lieblingslektüre geworden seien. Er zitierte auch einige Stellen aus einem 228 Gedichte, worüber dem Oberst vor Freude die Augen übergingen.

Nach dem Thee machte man einige Gänge durch den Garten und die jungen Herren wußten die Sache so einzurichten, daß der Adjutant mit Adele allein sein konnte, und ihr flüchtig die Hand drücken durfte.

»So ist es freilich bequemer, als durch die Schießscharte,« meinte er.

»Und so soll es bleiben,« entgegnete Adele. »Papa ist ja ganz entzückt von dir.«

»Thee und Arak sollen mich seines neuen Wohlwollens versichern. Doch mag es sein! Ich habe mich auf Gnade und Ungnade Herrn Bormann ergeben, und jetzt glaube ich selbst, daß er hält, was er versprochen.«

»Und was versprach er dir?« fragte Adele.

»Daß du mein Weibchen werden sollst, liebste Adele.«

»Bst!« wehrte sie, als er ihr wieder die Hand drücken wollte, da sie merkte, daß ihr Papa in diesem Augenblicke aufmerksam zu ihnen herüber sah.

»Der spricht ja mit meiner Tochter ganz kouragiert,« sagte der Oberst verwundert zu Otto.

»Kein Wunder!« entgegnete letzterer. »Ich habe ihm sehr eingeschärft, sich recht liebenswürdig zu machen und sich keinen Zwang anzuthun.«

»Daran thaten Sie wohl,« versetzte der Oberst, und er beobachtete aufmerksam, in wie weit der Schüler seinem Lehrmeister gehorsam war.

»Aber erlauben Sie mir,« wandte er sich plötzlich zu Otto, »haben Sie Ihrem Schüler auch gesagt, daß er meiner Tochter die Hand küssen soll? Jetzt schon wieder!«

Bormann sah mit Entsetzen, daß der Adjutant, 229 wahrscheinlich infolge des starken Arakgenusses, dort ganz ungeniert Adelen ein über das anderemal die Hand küßte.

»Meine Tochter ist ja blutrot vor Verlegenheit – sie weiß sich nicht mehr zu helfen,« sagte der Oberst.

»Ich befahl ihm, beim Abgange die Hand zu küssen. Da hat er mich eben mißverstanden,« antwortete Otto. »Ich mache dieser Ritterlichkeit sogleich ein Ende.« Und er eilte zu den Liebenden.

»Herr Adjutant – nicht so galant!« rief er ihm zu, und leise sagte er: »Der Oberst hat Sie im Auge. Er bemerkte die Handküsse; nehmen Sie sich zusammen. Küssen Sie lieber der Frau Oberstin die Hand. Noch ist unsere Sache nicht reif.«

In der nächsten Minute war der Adjutant an der Seite der Oberstin.

»Wer die Tochter haben will, halte sich an die Mutter,« dachte er, und jetzt gab er sich wirklich Mühe, liebenswürdig zu sein. Es fiel ihm auch bei, daß man der Mutter am besten schmeichelt, wenn man die Tochter lobt, und so sagte er denn ganze Episteln her, wie schön und liebenswürdig das Fräulein sei, wie es ganz der Frau Oberstin gleiche, und es währte nicht lange, so drückte er die Hand der Oberstin ebenfalls an seine Lippen, und nicht nur einmal, sondern öfter.

»Der Mensch küßt fürs tägliche Brot!« rief der Oberst lachend.

»Jetzt kommen Sie an die Reihe!« sagte Bormann. »Er küßt die ganze Familie.«

»Im Stande wäre er's!« versetzte der Oberst. »Aber thun Sie ihm Einhalt; meine Frau ist geniert.«

Otto war sofort an der Seite der Oberstin und bat 230 um ihren Arm, den Adjutanten einladend, den Herrn Oberst aufzusuchen. Dieser that das mit Vergnügen. Sein Gesicht strahlte vor Freude und war hochgerötet.

»Ich habe ihm wahrhaftig zu viel Arak gegeben!« dieser Gedanke kam dem Obersten jetzt selbst. »Herr Kamerad,« sagte er zu dem Adjutanten, »Sie sind erhitzt, wahrscheinlich an Thee und Arak nicht gewöhnt. Kommen Sie; es wird Bier serviert. Lassen Sie uns ein Glas trinken und eine Havanna dazu rauchen.«

»Herr Oberst sind zu gütig,« entgegnete der Offizier und folgte ihm freudig, denn er sehnte sich in der That nach einem erfrischenden Trunke. Seine Zunge war wie gelöst. Der Oberst staunte über diese plötzliche Veränderung.

»Sie werden uns jetzt wohl öfter die Ehre schenken,« sagte er zu seinem Gaste. »Um diese Zeit nehmen wir täglich Thee und trinken dann unser Abendbier. Kommen Sie, so oft es Ihnen beliebt. Sie sind willkommen!«

»Dann werde ich mir schon erlauben, hie und da nach dem Thee zu kommen. Er regt mich zu sehr auf; ich bin nicht daran gewöhnt.«

»Das nächste Mal werde ich Ihnen weniger Arak eingießen;« versprach der Oberst lächelnd.

»Das allerdings möchte für mich gut sein, Aber Herr Oberst,. ich weiß wirklich nicht – dieses Wohlwollen – fast möchte ich wagen –«

»Aha!« dachte der Oberst, »jetzt möchte er mir die Hand küssen.« Und um diesem Schicksal zu entgehen, sagte er, rasch aufstehend: »Sehen Sie nur, wie prächtig heute die Abendbeleuchtung ist!«

»Sehr wohl!« rief der Adjutant, sich vergessend, und sich ermannend, fügte er bei: »Prachtvoll!«

231 »Der Strom fließt wie glühendes Gold,« sagte der Oberst, zu dem Flusse hinabdeutend. »Es ist etwas Erhabenes in diesem Zauber der Natur, nicht wahr?«

»Zu Befehl!« erwiderte der Adjutant verwirrt, denn seine Sinne waren bei Adele, welche im mittleren Gange mit dem Hauptmann promenierte.

»Was sagen Sie?« fragte der Oberst überrascht. »Wir sind jetzt nicht im Bureau.«

»Herr Oberst,« fing jetzt der Adjutant von neuem an, »Ihr Wohlwollen, welches Sie – nachdem und da –«

»Ich muß die Sache abschneiden,« sagte der Oberst zu sich. »Wenn ich ihn ausfaseln lasse, küßt er mir wahrhaftig die Hand.« Und er rief: »Meine Herren, trinken wir unser Bier; es wird sonst matt!«

Die Gerufenen folgten der Einladung, und man versammelte sich um den Tisch.

»Um Gotteswillen, nehmen Sie den Adjutanten für den Abend in Beschlag,« sagte der Oberst zu Otto. »Es geht sonst in Erfüllung, was Sie vorhin im Spaß gesagt.«

Bormann fand selbst, daß es an der Zeit sei, den Empfindungen des Adjutanten einen Hemmschuh anzulegen. Dies war zwar schwer, so lange die Damen zugegen, denn so oft von der Pracht der Abendbeleuchtung die Rede war und alles in die Landschaft hinausblickte, wandte der Adjutant seinen Kopf und suchte Adelens Augen, die er auch immer auf sich gerichtet fand. Bormann war froh, als es endlich dunkelte, noch froher aber, als die Damen sich zurückzogen.

Natürlich setzte es noch einige Handküsse von seiten des Adjutanten ab. Glücklicherweise zwangen auch diesen bald dienstliche Obliegenheiten, sich zu entfernen. Der 232 Oberst reichte ihm die Hand und geleitete ihn bis an die Ausgangsthüre und als hier der Adjutant wieder einen Anlauf zur Rede nahm, schnitt sie der Oberst rasch ab, indem er ihm »gute Nacht!« wünschte und eiligst zu den Freunden zurückkehrte.

Bormann und Bergen waren wie von einem Lachkrampf befallen. Sie hatten sich alle Gewalt angethan, das Lachen über die komischen Szenen zurückzuhalten, aber jetzt war ihnen das nicht mehr möglich. Der Oberst lachte natürlich auch mit. Er ahnte nicht, daß er selbst zum großen Teil diese Heiterkeit hervorgerufen.

»Aber die Balladen deklamieren Sie doch!« rief er Bormann zu.

»Ich glaube,« erwiderte dieser, »der Kuß gewinnt mehr an Wahrscheinlichkeit.«

»Anlage zum Küssen hat er!« bemerkte der Oberst, »aber daran waren nur Sie und der Arak schuld.«

»Ich und der Arak werden bald einer höheren Ursache weichen,« versetzte Otto.

»Wieso?« fragte der Oberst.

»Spielen wir einen Tarok und lassen wir für heute den Adjutanten in Ruhe,« sprach der Hauptmann ausweichend.

Der Oberst blickte die beiden Gäste verdutzt an und mischte die Karten. 233

IV.

Die nächsten Tage brachte der Adjutant meistens auf Bormanns Zimmer zu, und auch bei den Proben, welche jetzt fast täglich abgehalten wurden, war er gegenwärtig, um genau zu studieren, wie Otto seine Rolle spielte. Bald hatte er so viel abgesehen und alles so gelernt, daß er jeden Augenblick imstande gewesen wäre, statt Ottos auf den Brettern zu erscheinen und als erster Liebhaber zu figurieren. Natürlich ahnte der Oberst nicht den wirklichen Grund, der den Adjutanten zu einem so eifrigen Beobachter machte. In das Geheimnis war nur Adele eingeweiht.

Aber die Beziehungen zu dem sonst so oberflächlich behandelten Adjutanten wurden täglich angenehmere. Die Unterhaltung im Bureau war nicht mehr bloß auf Rapporte und »Sehr wohl!« beschränkt, der Oberst ließ sich auf einen Stuhl nieder und plauderte in kameradschaftlicher Weise mit ihm.

»Warum heiraten Sie nicht?« fragte ihn einmal der Oberst. »Das kanonische Alter haben Sie erreicht, und das Leben hat doch einen höhern Reiz, wenn man sich dessen in der Familie erfreuen kann.« Der Oberst wollte bei dieser Frage nur auf den Busch klopfen, um sich wegen seiner Wette zu orientieren.

234 »Ich hätte wohl Lust dazu,« meinte der Adjutant, »aber –«

»Setzen Sie weg über das »Aber« – die Sporen in die Weichen – Zügel frei lassen – Hopp! drüber sind Sie!«

»So schnell geht es nicht,« erwiderte lächelnd der Adjutant. »Ich habe kein Vermögen und –« er stockte.

»Nun, will der Alte nicht beistimmen?« fragte der Oberst.

»Ich glaube – verschiedene Umstände – Adelsstolz –« stotterte der Adjutant.

»Bah!« machte der Oberst. »Die Hauptsache ist das Mädchen. Der Adel macht nicht glücklich, sondern die gegenseitige Zuneigung, die Zufriedenheit. Mit dem Adel kann man sich keine Wassersuppe schmalzen, wenn man sich nicht sonst etwas zu verdienen weiß. Das habe ich auch an mir erfahren. Ich stamme auch von altadeligen, aber armen Eltern. Da war auch Schmalhans Küchenmeister, und ich hielt, als ich zum Militär kam, die Soldatenmenage für eine Table d'hôte. Nach meines Vaters Tode schickte ich lange Zeit meiner Mutter unter dem Vorwand, daß sie dieselbe für die Aufwärterin benötige, eine Menage nach Hause, für die ich täglich sechs Kreuzer einlegte. Davon lebte die gute Frau; vom Adel hatte sie nichts. Als ich Junker und Leutnant wurde, da ging es schon besser, obwohl ich, wenn ich zurückdenke, nicht mehr begreifen kann, wie es mit dem geringen Gehalt, an dem noch alle möglichen Abzüge für Equipierung, Unterstützung und oft auch für Gläubiger zehrten, möglich war, ihr doch so manche Freude zu machen. Aber es ging. Dabei lebte ich vergnügt, war so zu sagen der Hans in allen Gassen, 235 opferte mich für die tanz- und vergnügungssüchtige Welt auf und die reichsten Partien hätten mir zur Verfügung gestanden, wenn ich das Geld dem Glücke vorgezogen. Ich aber ließ mein Herz wählen, und ob ich ein glückliches Familienleben führe, das sieht man wohl auf den ersten Blick. Doch ich schwafle Ihnen da vor und im Theatersaale erwartet man mich zur Probe.« Bei diesen Worten erhob sich der Oberst und schickte sich zum Gehen an.

Der Adjutant hielt jetzt die Zeit für gekommen, einen weiteren Schritt vorwärts zu thun.

»Herr Oberst würde also die Gnade haben, mich zu protegieren?« fragte er.

»Bei dem Vater Ihrer Auserwählten? Meine Hand darauf!« entgegnete der Gefragte.

»Dieses Wohlwollen –« stotterte der Adjutant, unwillkürlich des Obersten Hand festhaltend; doch dieser erinnerte sich an das Handküssen beim Thee und zog schnell seine Hand zurück.

»Weder Gnade, noch Wohlwollen!« rief er lachend, »alles aus Kameradschaft!« nahm seine Mütze und eilte aus dem Zimmer. – –

Der Adjutant versäumte nicht, Bormann von dem stattgehabten Zwiegespräch in Kenntnis zu setzen, und beide hielten nun den Weg zu dem Wagestück für geebnet. Auf den nächsten Tag war nämlich die Vorstellung angesetzt. Otto studierte mit dem Adjutanten noch die halbe Nacht durch und sprach ihm seine Zufriedenheit über seine theatralischen Fortschritte aus.

Der Oberst hatte allerdings Hauptmann Bergen gefragt, wer die Auserwählte des Adjutanten sei, und ob sie unter den Geladenen sich befinde; aber Bergen verriet nichts.

236 So war denn der Tag der Vorstellung herangekommen, welcher zugleich Bormann seine Freiheit brachte. Der Oberst kam schon in aller Frühe auf dessen Zimmer und kündigte ihm seine Freilassung an.

»Ich zerbreche Ihre Fesseln,« sagte er. »Von dieser Stunde an sind Sie unser lieber Gast.«

Otto wollte ihm in einigen gewählten Worten danken, aber der Oberst ließ ihn nicht ausreden.

»Wenn es Ihnen recht ist, machen wir einen Spaziergang in die Stadt hinab,« sagte er, »denn ich lasse Sie nicht los, so lange Sie noch in unserer Nähe weilen. Benutzen wir den Vormittag. Gleich nach Tisch ist die Hauptprobe, und dann heißt es arbeiten, um vor unsern Gästen zu bestehen.«

Bald darauf gingen sie Arm in Arm den Festungsberg hinab und der Stadt zu. –

Gegen Mittag kamen beide in der heitersten Stimmung nach der Festung zurück, denn sie hatten sich im »wilden Mann« für die bevorstehende Anstrengung gestärkt. Gleich nach dem Diner begann die Hauptprobe. Nachdem die Fenster bedeckt worden, um das Eindringen des Tageslichtes zu verhindern, wurde das Theater beleuchtet. Der Oberst rannte hin und her, schaffte Requisiten herbei, ordnete dies und jenes, und nachdem der Souffleur hinter der Coulisse Posto gefaßt, gab er mit der Glocke das Zeichen zum Beginn.

Der Vorhang rauschte auf, und die erste Szene wurde abgespielt. Otto hatte mit Adele aufzutreten. Letztere sollte sich setzen – da fehlte der Stuhl. Otto sprang, um einen solchen zu holen, über die Rampe, fiel 237 – ein Schrei – er konnte sich nicht mehr erheben; er hatte sich den Fuß verrenkt.

Der Oberst sprang entsetzt heraus, ihm folgten alle Mitspielenden. Hauptmann Bergen trug den Beschädigten mit Hilfe des Obersten in ein an den Saal grenzendes Zimmer.

Bormann war nicht mehr imstande, aufzutreten. Es schmerze ihn fürchterlich, sagte er. Zu allem Unglücke war der Gefängnisarzt nirgends zu finden. So übernahm es Bergen, seinem Freunde die ärztliche Hilfe angedeihen zu lassen. Er machte Einreibungen und Umschläge – aber Otto konnte nicht mehr auftreten, weder auf den Boden, noch als Schauspieler.

»Was fangen wir an?« rief der Oberst in halber Verzweiflung. »Die Einladungen sind nicht mehr rückgängig zu machen und wir haben keinen ersten Liebhaber.«

»Es muß ein anderer die Rolle übernehmen,« erwiderte der Hauptmann. »Gespielt muß heute werden!«

»Wer soll sie übernehmen? Jetzt noch, so spät!«

»Ich weiß jemand, der ein ganz eminentes Gedächtnis hat und die Rolle Ottos ohnedies schon halbwegs kann, weil er diesen einigemale auf die Schlagwörter prüfen mußte,« sagte Bergen.

»Doch nicht der Adjutant?« rief der Oberst überrascht.

»Herr Oberst befehlen?« ließ sich in diesem Augenblicke des eintretenden Adjutanten Stimme vernehmen.

»Kamerad Bergen meinte soeben, Sie könnten statt des Herrn Bormann die Rolle des Liebhabers übernehmen. Ist das möglich?«

»Warum nicht?« entgegnete der Adjutant. »Wenn ich dem Herrn Oberst damit einen Dienst erweise, so spiele ich die Rolle.«

238 »Ja, nicht bloß lesen,« sagte der Oberst, »auswendig – da steckt das nisi

»Natürlich auswendig,« erwiderte lächelnd der Adjutant;»ich glaube sofort für Herrn Bormann einspringen zu können.«

Der Oberst schüttelte ungläubig den Kopf.

»So lassen Sie uns die unterbrochene Probe wieder aufnehmen,« schlug Bergen vor.

»Der ganze Spaß ist mir verdorben!« sagte der Oberst.

Bormann bat jetzt, man möchte ihn doch in den Saal hinaustragen, damit er wenigstens die Probe mit anhören könne. Bergen und der Adjutant kamen seinem Wunsche sofort nach und setzten ihn die vorderste Reihe.

Nun klingelte es wieder und das Spiel begann von neuem. Der Adjutant sprach seine Rolle ganz vorzüglich. Des Obersten Mienen erheiterten sich von Satz zu Satz; er wußte in der That nicht, ob er träume oder wache. War denn dies der »lederne« Adjutant? Und wie zärtlich er zu Adele sprach, ihr die Hand drückte und jetzt feurig den Kuß markierte!

Der erste Akt ging anstandslos vorüber. Der Oberst drückte dem Adjutanten die Hand.

»Sie sind ja ein prächtiger Mensch!« sagte er. »Das hätte ich mir nicht träumen lassen, daß ich gleich über zwei erste Liebhaber verfügen kann. Aber wie wird es mit dem zweiten Akt gehen?«

»Wie mit dem ersten,« entgegnete der Adjutant. »Jetzt bin ich schon im Zuge; lassen der Herr Oberst nur beginnen.«

Und, gleichwie im ersten Akte, spielte der Adjutant seine Rolle anstandslos zu Ende. In der letzten Szene, 239 wo der geprellte Alte einsieht, daß er der Liebe seiner Tochter zu ihrem Auserwählten nicht mehr steuern kann, macht er zum bösen Spiel gute Miene und überrascht die Liebenden in dem Augenblicke, als der junge Mann gerade vor seiner Tochter kniet und ihr ewige Treue schwört, mit dem Ausruf: »An meine Brust, mein Sohn!«

Der Liebhaber in Gestalt des Adjutanten läßt sich das nicht zweimal sagen, springt auf und küßt unter dem Jubel seiner Braut den versöhnten Schwiegerpapa.

»Die Küsse nur markieren!« sagte der Oberst leise. Und laut sprach er nach seiner Rolle: »Habt meinen Segen – seid glücklich!«

»Bravo!« rief Bormann laut und sprang plötzlich frisch und gesund auf die Bühne.

»Was ist das?« rief der Oberst erstaunt.

»Der Verlust Ihrer Wette hat mich wieder gesund gemacht,« entgegnete Otto.

»Wieso?« fragte der Oberst. »Ich hätte die Wette verloren?«

»Mit Pauken und Trompeten. Sie sahen den Adjutanten knieend vor seiner Herzenskönigin und Sie selbst umarmten und küßten ihn bereits.«

»Ja, das ist nur Theater gespielt. Das gilt nicht.«

»Nein, nein, das ist schon Ernst,« sagte Otto. »Sehen Sie nur, da knieen die beiden wiederholt. Markieren Sie diesesmal nicht und geben Sie den Liebenden Ihren Segen.«

Der Oberst sah erstaunt nach dem jungen Paare.

»Ja, was soll denn das sein?« rief er. »Adele, ist es wahr?«

»Ach ja, Papa!« sagte diese. »Wir lieben uns schon über zwei Jahre. Mama hat nichts dagegen.«

240 »Schon über zwei Jahre.« Dann wandte er sich zum Adjutanten: »Also, das ist sie – die –«

»Ja,« sprach dieser lächelnd, »die ich meinte.«

»Sonach bin ich eigentlich der geprellte Alte,« sagte der Oberst, »und alles hat mitgeholfen – sogar Sie, Otto!«

»Es wird wohl so sein,« entgegnete dieser. »Aber Herr Oberst, das Liebespaar kniet noch immer. Sprechen Sie doch den Schlußsatz Ihrer Rolle.«

Der Oberst sah einen Moment zu seiner Frau, die ihm bejahend zunickte, dann drehte er sich zu dem jungen Paare und sagte erfreut: »Habt meinen Segen – seid glücklich! An meine Brust! Aber diesesmal nicht markieren!«

Und er küßte herzhaft den Adjutanten und dann sein Töchterlein. Alle Anwesenden gratulierten sofort.

Man begab sich dann in des Obersten Wohnung und später in den Garten. Bormann erklärte sich natürlich bereit, bei der Abendvorstellung seine Rolle wieder zu übernehmen, da der Adjutant doch nicht mehr die nötige Ruhe finden würde. Die Vorstellung ging vor einer zahlreichen Zuhörerschaft zum Entzücken des Obersten ganz prächtig von statten. Alles unterhielt sich köstlich, und nach dem Spiele gab Otto auch noch die drei Balladen zum besten, was dem Oberst um so mehr schmeichelte, als die Zuhörer in offenen Applaus darüber ausbrachen, und alles wissen wollte, wer der geniale Dichter dieser schönen Verse sei. Otto nannte den Oberst und dieser schwamm in einem Meere von Wonne und Vergnügen. Souper und Tänzchen folgten dem Theater. Des Abschieds Bormanns wurde bei einem Toaste in warmen Worten gedacht, und Adele nahte sich mit ihrem Bräutigam, ihm ganz speziell zuzutrinken.

241 »Jetzt brauchen Sie keine so gefährlichen Ronden mehr zu machen!« sagte Otto lächelnd zu letzterem.

»Nein, jetzt bleibe ich auf festem Boden,« entgegnete dieser. »Aber die Spukgeschichten, die bleiben unter uns?« »Wenn der Profoß nicht plaudert,« versetzte Otto lachend. »Dem Ärmsten müssen wir doch ein Glas Wein schicken.« – –

»Sapperment!« rief der Profoß, als er die Flasche am Licht prüfte. »Rheinwein! Donnerwetter! Braut und Bräutigam! Hurra!« Und er hörte nicht eher zu trinken auf, als bis die Flasche leer war.

Andern Tags nahm Bormann von der Familie des Obersten Abschied. Diesem standen die Thränen in den Augen, als er Otto die Hand reichte. Auch die Oberstin und Adele weinten.

»Gedenken Sie freundlich unser!« sagte die Oberstin; »wir werden Sie nie vergessen. Sie waren ein guter Geist in unserm Hause.«

»Sie ließen es mich sein,« entgegnete Otto, den Damen die Hand küssend. »Im Himmelreich hält es nicht schwer, einen Engel zu spielen. Werde ich wieder einmal eingesperrt, so bitte ich um gleiches Wohlwollen,« setzte er lächelnd hinzu.

Alle, auch der Adjutant und Hauptmann Bergen, gaben dem Scheidenden das Geleite zum Bahnhofe, und nach nochmaligem herzlichen Abschiede fuhr Otto von dannen. Er winkte noch zurück, so lange es anging, und sah dann mit grüßendem Blick zu der stolzen Feste hinauf, wo er zur Strafe einen lustigen Monat verlebt und glückliche Menschen zurückgelassen hatte. – 242


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