Maximilian Schmidt
Humor (erste Reihe)
Maximilian Schmidt

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II.

Am nächsten Morgen erwachte Dr. Weiß zeitig. – Der Wirt brachte ihm höchst eigenhändig den blaßblauen Bliemchenkaffee. Als er die Brühe vor den Doktor hinstellte, konnte er nicht umhin, einen bedeutsamen Seitenblick auf die Katze zu werfen, die noch immer schlafend auf ihrem Platze lag.

»Hören Se,« sagte er, »das liebe Vieche liegt noch am alten Fleck, wie tot. Wenn meine Frau gestern Abend doch ooch dagewesen wäre, vielleicht hätte sie die Nacht schlafen könne; die Ärmste hat sie keen Oge nich zugemacht vor lauter Zahnweh.«

Der Doktor fand des Wirtes Witz so geschmacklos, wie seinen Kaffee. Die Rechnung ward beglichen, dann rollte Weiß in dem alten Omnibus über das holperige Kieselpflaster dahin, hinaus zum Bahnhof. Hier mußte er noch über eine Stunde bis zum Abgange des Güterzuges warten. Der gereizte Bahndiener von gestern ging einige Male stolz an ihm vorüber, wobei er ihn die möglichste Tiefe seiner Verachtung empfinden ließ.

Endlich saß der Doktor wieder im Coupee. Im Freien betrug die Temperatur 3°R. und auch hier war es empfindlich kalt. Er kauerte sich in die Ecke und suchte sich durch Schlafen die Zeit abzukürzen. Aber das gelang 168 ihm nicht. Das Resultat seiner gestrigen Vorlesung machte ihm doch heimlich Sorge. Noch peinlicher aber war ihm ein öfter wiederkehrender Husten und die Zigarre wollte ihm nicht munden.

»Nur heute keinen Katarrh!« stöhnte er besorgt. »Nur heute keine Heiserkeit!«

Einmal in Angst darüber, nahm er ein warmes Tuch aus dem Koffer und wickelte es sich so um den Hals, daß das Gesicht bis zur Nasenspitze darin vergraben war. Er bemerkte nicht, daß während der stundenlangen Fahrt der Kopf des Schaffners ungewöhnlich oft am Fenster erschien und neugierig zu ihm hereinguckte. Der durchgegangene Bankdirektor spukte auch hier.

Endlich, endlich war C. erreicht.

Mit einem »Gott sei's gedankt!« wollte der Doktor die Thüre seines Coupees öffnen, aber er vermochte es nicht. Er rief dem Schaffner. Dieser kam auch, jedoch in Begleitung von zwei Sicherheitswachmännern, von denen der eine den Doktor höflich, aber bestimmt um seine Legitimation fragte.

»Eine Legitimation?« fragte der Doktor verwundert. »Eine solche brauche ich ja in Deutschland nicht. Ich bin Dr. Weiß aus N. und komme hieher, einen Vortrag zu halten.«

»Sie werden uns aufs Gericht folgen müssen,« sagte das Sicherheitsorgan.

»Warum? Wie kommen Sie dazu?«

»Weil von dem Orte, wo Se heute übernachteten, die telegraphische Nachricht kam, daß Se gefälligst verdächtig wären, mit einem flüchtigen Bankdirektor identisch zu sein. Höre Se! Ohne Grund verhüllt man sich nicht so 169 auffällig das Gesicht. Bitte gefälligst keene Umstände zu machen; der Wagen steht vor dem Bahnhofe.«

Also sein Auditorium von gestern, vielleicht der gekränkte Bahndiener hatten ihm diesen Schabernack gespielt. Was war da zu thun? Hatte er auch gehofft, auf dem Bahnhofe in C. von seinem Freunde erwartet zu werden, eines so offiziellen Empfanges hatte er sich nicht versehen. Mit einem gewissen Galgenhumor folgte er den ihn Geleitenden; auf der Polizei mußte sich ja alles aufklären.

Und es klärte sich auf, denn kaum hatte er das Verhörzimmer betreten, da kam auch schon sein Freund, der Vereinsvorstand Dr. Walser hereingestürzt, stellte des Doktors Identität fest und bewillkommte diesen, indem er ihm vor Freude um den Hals fiel. Arm in Arm verließen dann die Vereinten unbehelligt das Zimmer des Beamten. Ein Polizeisoldat trug das Reisegepäck nach. Auf die Straße gelangt, bestiegen die beiden Freunde eine Droschke und fuhren direkt ins Hotel »zum Elephanten.«

Dort brannte im Zimmer Nr. 1 seit gestern nachts 12 Uhr das Feuer im Ofen. Der Doktor machte Toilette, dann begab er sich mit dem Freunde zur Table d'hôte. Über dem heiteren Gespräche und dem guten Wein vergaß der Doktor all das Ungemach der Reise. Das Andenken an frühere, schön verlebte Stunden wurde erneuert und sie gerieten in eine sehr animierte Stimmung, die in dem schönen Klang der Gläser ihren Ausdruck fand. Aber auch des Doktors Thaler klangen schön auf dem silbernen Teller des Oberkellners, auf welchem ihm dieser die Rechnung präsentierte. Der Freund und Vereinsvorstand wollte diese zwar begleichen, aber der Doktor beeilte sich, ihm vorzukommen. Der alte Mathematikus würde freilich schon 170 wieder eine Vergrößerung des b konstatiert haben, doch sein Schwiegersohn dachte jetzt an so etwas nicht. Er fühlte sich sehr behaglich, hätte aber jetzt am liebsten ein wenig ausgeruht. Der Freund ließ dies nicht zu. Der Doktor wurde bei Verwandten desselben, welche eine Villa außer der Stadt bewohnten, erwartet. Der Wagen, der sie dahinbringen sollte, war schon bestellt, es gab keine Widerrede. Man fuhr nach dem Landhause, wo sich der Gelehrte bald zum Mittelpunkte einer zahlreichen Gesellschaft von Herren und Damen gemacht sah. Die Zeit flog nur so dahin, man unterhielt sich köstlich und erst kurz vor der Vortragsstunde wurde in die Stadt und in das Hotel zurückgekehrt.

Der Vereinsvorstand gab dem Freunde nun eine halbe Stunde Zeit, sich zu sammeln und Toilette zu machen.

Toilette? Er trug doch schon einen glänzend schwarzen Rock, was sollte er noch andere Toilette machen?

Aber sein Freund setzte ihm auseinander, daß er sich nur im Frack und Cylinder, mit weißer Halsbinde und weißen Glacéhandschuhen seinen Zuhörern zeigen könne, und diese Erkenntnis setzte den Vortragenden in nicht geringe Verlegenheit. Er hatte in seinem Koffer nichts von alledem.

Aber Freund Walser wußte Rat. Es würde sich im Hotel wohl der Frack und Hut eines Kellners finden, meinte er, die passen, und gegen angemessenes Trinkgeld gerne für die wenigen Stunden geliehen werden. Weiße Halsbinde und Handschuhe erbot er sich selbst dem Freunde zu kaufen. Er möchte ihm nur die Nummer der letzteren nennen; bevor zehn Minuten verflossen, würde er im Besitze des Gewünschten sein.

171 »Ruhe aus, sammle dich und mache dem Rufe, den ich über dich verbreitet, Ehre!«

Mit dieser Mahnung verließ Dr. Walser seinen Freund.

Dieser nahm sich dieselbe zu Herzen. Er trat vor den Spiegel, um vor allem seine äußere Erscheinung zu mustern. Sein Vollbart schien ihm heute ganz abscheulich grau zu sein und seine Haare flatterten in der Luft, wie Schilf am Gestade. Er klingelte dem Kellner und befahl ihm, einen Friseur zu holen. Dieser sollte Haar und Bart zustutzen und mittelst Kosmetik und Pomade das aufdringliche Grau mindern.

Das geschah denn auch. Ein Jahr nach dem andern schwindelte ihm der Haarkünstler von seinem Kopfe, und bald waren Zimmer und Doktor erfüllt mit wonnigem Duft. Ein blanker Thaler lohnte den, der dieses Zauberwerk vollbracht. Nun erschienen auch Frack, Hut, Handschuhe und Kravatte – und alsbald stand der Doktor, gerüstet zur Schlacht vor dem Spiegel.

»So wenn mich Adelgunde sähe!« sagte er sich. »Ich will ihr nur schnell telegraphieren, daß ich glücklich hier angekommen und soeben im Begriffe bin, in tadelloser Toilette zur Vorlesung zu fahren.«

Die Depesche ward abgeschickt. Was lag an den anderthalb Mark! Für die Teuren zu Hause war ihm nichts zu teuer. Schließlich bestellte er noch einige Stück rohe Eier zur Konservierung seiner Stimme und eine Flasche Bordeaux und nun – er war bereit.

Freund Walser ließ nicht lange warten.

»Der Wagen steht bereit!« berichtete der Eintretende. »Ich nahm den Wagen des Hotels. Er kostet zwar das 172 Doppelte einer Mietkutsche, aber er steht ganz zu unserer Verfügung.«

Der Doktor war's zufrieden. Er hatte sich ganz den Anordnungen seines Freundes ergeben.

»So komm!« sagte Walser, ihn unter den Arm nehmend und die Treppe hinabführend. »Wie befindest du dich?«

»O, mir ist fürchterlich zu Mute!« stöhnte der Doktor. Sein Traum und die Erlebnisse des gestrigen Abends kamen ihm in Erinnerung.

»Nur keine Sorge!« tröstete der Freund; »ich habe dir den Boden schon geebnet. Wer auf Bildung Anspruch macht, muß dich heute hören. Ich habe dich riesig populär gemacht, denn ich ließ durchblicken, daß du morgen einen zweiten Vortrag halten wolltest zu Gunsten eines Christbaumes für arme Waisen verunglückter Bergleute.«

»Was?« rief der Doktor. »Das kann ich ja gar nicht.«

»Das kannst du und wirst du,« entgegnete der andere. »Du verdankst dein heutiges Renommee deinem Wohlthätigkeitssinn.«

»Aber ich bin –«

»Du bist ein Mann mit einem warmfühlenden, kindlichen Herzen,« unterbrach ihn Walser, »du fühlst das Elend des Volkes wie dein eigenes, du hilfst mit dem Edelsten, was der Mensch besitzt, mit dem Geiste.«

»Hör' auf, oder ich vergesse mein heutiges Thema,« rief der Dokter. »Du betrachtest mich in der That als dein Schlachtopfer.«

»Höre, dein Schlachtopfer werde ich sein, wenn die Fahrt noch lange dauert,« lachte der Freund. »Mensch, 173 du duftest ja wie ein ganzes Blumenlager. Du wirst das gesamte Auditorium betäuben.«

»Fürchtest du, daß es einschläft?« stieß der Doktor entsetzt hervor.

Da hielt der Wagen vor einem hellerleuchteten Hause. Der Schlag wurde aufgerissen und der Vereinsdiener half den beiden Herren beim Aussteigen.

Barhaupt, um die Frisur nicht zu verderben, stieg der Doktor mit dem Freunde die kalte Treppe hinan, um gleich darauf in einen glühend heißen, mit Menschen vollgepfropften Saal einzutreten. Sofort verstummte das Gemurmel, tiefste Stille herrschte und als der Doktor den Katheder bestiegen, empfing ihn ein allgemeiner Applaus.

»Das ist für morgen,« raunte ihm sein Freund zu.

Der Doktor wünschte, es möchte für heute sein und mit Bangen begann er seinen Vortrag. Doch bald merkte er das Interesse, welches er bei seinen Zuhörern erweckt, und manchmal unterbrochen von wahren Beifallssalven, verfolgte und beschloß er nach einer Stunde seinen Vortrag. Der Applaus war großartig.

Diese gute Stimmung benützte der Vorstand, ihn nochmals zu bitten, einen zweiten Vortrag zu halten, und als wüßten die Anwesenden, um was es sich handelte, wurde er immer von neuem hervorgejubelt.

Halb betäubt von dem unerwarteten Erfolge und hochgradig erregt, betrat er nun abermals die Rednerbühne und begann:

»Meine hochverehrten Damen und Herren! Ihr Beifall macht mich stolz, macht mich glücklich. Um ihnen einen schwachen Beweis meines Dankes zu geben, erkläre ich mich bereit, morgen noch einmal vor ihnen zu lesen und 174 den Erlös des heutigen Vortrages den armen Waisen verunglückter Bergleute zuzuwenden.«

Jetzt brach der Beifallssturm von neuem los. Der Vorstand aber eilte zu ihm und fiel ihm vor der ganzen Versammlung um den Hals.

»Du bist ein edler Mensch!« rief er. »Den Erlös der heutigen Vorlesung übergiebst du uns? Das ist mehr, als wir zu hoffen gewagt.«

Der Doktor erwachte wie aus einem Traume. Die heutige Vorlesung hatte er gesagt? Wie konnte er sich nur so entsetzlich versprechen! Den Erlös der morgigen hatte er ja sagen wollen. Konnte er sich jetzt korrigieren, sein vor dem gesamten Auditorium gegebenes Wort zurücknehmen, jetzt, nachdem ihm von allen Seiten gedankt wurde und er sich als den Helden aller Tugenden auf den Schild erhoben sah? Sein Irrtum war schrecklich, aber er war nicht mehr gut zu machen; er konnte es wenigstens nicht, ohne sich zu blamieren. Und sich blamieren, nein, das wollte er nicht; lieber das Honorar für die heutige Vorlesung verschmerzen!

Mit sauersüßer Miene empfing er die Dankesbezeugungen, die ihm von allen Seiten zu teil wurden, hörte er die Dankrede, die der Armenrat mit thränenfeuchtem Blick an ihn richtete. Vor seinen Augen flimmerte und flirrte es, in seinem Gehirn hämmerte und pochte es, als wären tausend Kobolde geschäftig, ihn zu necken. Er merkte es kaum, daß Freund Walser seinen Arm ergriff und ihn unter hundert Schmeichelreden aus dem Saale führte und mit sich fortzog, während den beiden eine Anzahl Herren und Damen auf dem Fuße folgte. Erst die kühle Luft auf dem Korridore brachte ihn wieder zu sich.

175 »Wohin?« fragte er den Freund.

»Ins Restaurationslokal,« versetzte dieser. »Man hat dir zu Ehren einen »Abend« veranstaltet. Wir wollen vergnügt sein, edles, großmütiges Menschenherz!«

Wohl waren sie vergnügt bis lange nach Mitternacht, und der Doktor wußte kaum, wann und wie er in sein Hotel zurückgekommen. Als er des anderen Tages gegen Mittag erwachte, fühlte er nur die Wirkung eines doppelten Katers, der eine kam vom übervollen Magen, der andere vom überleeren Portemonnaie. –

Er hatte gestern seinen ersten Triumph gefeiert! – 176


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