Maximilian Schmidt
Humor (erste Reihe)
Maximilian Schmidt

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Die Feldherrnhalle.

Reminiszenz aus der Zeit vor 1860.

I.
Das Wachsfigurenkabinet.

Es schlug sieben Uhr.

Beim ersten Schlage war die lange Tafel, welche sich in dem mit dem Hauptlokale in offener Verbindung stehenden, länglich schmalen Anbau des Restaurants zunächst dem Bahnhofe befand, noch völlig leer. Die auf beiden Seiten angebrachten runden Tischchen dagegen waren trotz des herrlichen Juliabends völlig mit Gästen der verschiedensten Kategorien besetzt, während die große Tafel bis jetzt nur »belegt« war. Die Stühle waren nämlich sämtlich angelehnt und auf dem Tische standen die Privatgläser für die Insassen der reservierten Stühle, an der Wand aber hingen eine Menge Tabakspfeifen in den verschiedensten Formen und Längen. Diese Merkmale deuteten auf eine große Anzahl von Stammgästen hin.

»Dieser Tisch ist abonniert,« rief die Kellnerin, wenn jemand trotz der dieses bestätigenden Anzeichen sich dort niederlassen wollte. »Schlag sieben Uhr kommen die Herren,« setzte sie hinzu.

Und sie kamen.

53 Feierlich und gemessenen Schrittes traten sie herein. Es hatte anfangs den Anschein, als kämen die circa zwanzig alten Herren von einem gemeinsamen Ausfluge zurück; doch sogleich sah man, daß dieses nicht der Fall war, denn sie machten sich gegenseitig so viele Komplimente und dies mit einer solchen Umständlichkeit und Akkuratesse, daß man es für die erste Begrüßung halten mußte. Auf den ersten Blick erkannte man die Ankommenden für pensionierte Offiziere. Sie sahen gar grimmig aus mit ihren oft mächtigen weißen Schnurrbärten, an welchen fast alle strichen und drehten, als wenn sie dafür bezahlt würden. Desto weniger strichen sie sich in den Haaren. Der eine wischte nur die spärlichen hinteren Büschel nach vorwärts, der andere bemühte sich, seinen dünnen Kakadu in einer einigermaßen senkrechten Stellung zu erhalten, und die anderen, die weder über das eine noch das andere verfügen konnten, drehten um so eifriger an ihrem Schnurr- und Knebelbart. Aus den größeren und kleineren Verbeugungen, in welchen die Begrüßung erfolgte, erkannte man auch sogleich die Rangstufen der einzelnen gegen einander. Derjenige, welcher an der Spitze der Tafel Platz nahm, war ein Oberst, dann kamen zwei Oberstleutnants, sieben Majore, acht Hauptleute erster Klasse, ein Hauptmann zweiter Klasse, ein Regimentsquartiermeister und ein Oberleutnant. Dieser Benjamin war aber bis jetzt noch nicht sichtbar. Jeder der bereits Seßhaften blickte auch fragend nach dem leeren Stuhle. Es fühlte jeder, daß ihm das gehorsamst respektvolle Kompliment des geringst Chargierten noch ausständig sei. Wohlwollen und Mitleid lag jedesmal in der Erwiderung des Grußes gegen diesen Untersten an der Tafel. Nüancierte der Oberst schon bedeutend das 54 »Guten Abend, Herr Hauptmann«, wenn es dem zweiter Klasse galt, so legte er in den Gruß: »Guten Abend, Herr Oberleutnant« einen solchen Wehlaut und dehnte die Worte so schmerzlich lang, als wenn es der Anfang eines Klageliedes wäre. Je weiter die Rangstufen herabgingen, desto weniger Wehlaut ward beim Gruße des Oberleutnants erkennbar, ja der Hauptmann zweiter Klasse versprach sich sogar hin und wieder, indem er »Herr Kamerad« zu seinem Tischnachbar sagte.

Dieser Benjamin war aber bereits ein Mann in Mitte der Fünfziger, eine lange hagere Figur mit kohlschwarzer Perücke, welche einen mächtigen Kakadu ober der Stirne bildete, während an den Schläfen sorgfältig gestrichene Haarschnecken sich befanden. Schnurr- und Knebelbart waren gleichfalls kohlschwarz und rochen nach viel gebrauchter ungarischer Bartwichse. Eins aber nannte er sein eigen, nämlich prachtvolle weiße Zähne, und da er ein sehr freundliches Wesen hatte und sehr gerne lächelte, so wirkte dieser Umstand neben seinen sonst frischen Augen, daß man ihn für viel jünger hielt, als er in der That war.

Die meisten der Herren Pensionisten waren Hagestolze, einige waren Witwer, einige auf die linke Hand verheiratet, und nur zwei wurden auf legale Weise Papa und sogar Großpapa genannt, nämlich Major Schnurrer und Hauptmann Meier.

So saßen sie alle Abende, die lange Pfeife im Munde an der langen Tafel, und der Stadtwitz nannte diesen Raum »die Feldherrnhalle.«

Fast alle trugen Veteranen- und Dienstalterszeichen, der Oberst hatte sogar das Band der französischen Ehrenlegion im Knopfloche und der Oberleutnant das griechische 55 Denkzeichen für die Freiwilligen. Er war einer derjenigen, welche freiwillig nach Griechenland gingen, um dem bayerischen Königssohne Beistand zu leisten zur Befestigung des ihm angebotenen griechischen Thrones, die aber späterhin gezwungen waren, das fremde Land zu verlassen, und in der Heimat mit genauer Not wieder als die jüngsten Offiziere eingereiht wurden. So kam es, daß ihre früheren Kameraden bereits Stabsoffiziere waren, während sie noch als Leutnants und Oberleutnants, nur der Subsistenz halber, ihre Jouren »brannten.«

Die Tagesfragen waren bald erschöpft und nachdem jeder der Herren rapportiert, welchen Spaziergang sein Schnauzl heute mit ihm gemacht, stockte wie gewöhnlich die Unterhaltung. Da blickte einer nach dem leeren Stuhle des Oberleutnants und glücklich, den Faden der Konversation wieder weiterspinnen zu können, sagte er: »Wo nur heute unser Herr Oberleutnant bleibt!«

Aller Blicke richteten sich nach dem leeren Stuhle und dann nach der Thüre. Diese öffnete sich oft und brachte alle möglichen Gäste: Beamte, Studenten, Bürger mit ihren Familien – aber der Herr Oberleutnant wollte nicht sichtbar werden. Endlich meinte der Regimentsquartiermeister und charakterisierte Kriegskommissär mit einer Weisheit, gegen welche Sokrates ein dummer Junge gewesen: »Er wird sich verspätet haben.«

»Ich bemerke schon seit einigen Tagen,« sagte der Hauptmann zweiter Klasse, »daß der Herr Kamerad nicht mehr mit gewohnter Pünktlichkeit eintrifft.«

»Wer?« fragten mehrere der Herren.

»Der Herr Kamerad, der Herr Oberleutnant,« erwiderte der Gefragte.

56 »Ah so!« machten die Herren spöttisch lächelnd. Dabei machte einer der Stabsoffiziere eine Bemerkung nach oben hinauf, die lachend aufgenommen wurde. Man sah dann ebenso wehmütig auf den Hauptmann zweiter Klasse, als man des Oberleutnants gedachte. Aber trotzdem mußte dieser auch noch den weiteren Stoff zur Konversation abgeben, weil in Ermangelung eines anderen Themas die Feldherrnhalle eine Bethalle geworden wäre, oder, wie sie der Volkswitz auch oft benannte, ein »Wachsfigurenkabinet.«

»Ist der Herr Oberleutnant auf Abwege geraten?« fragte einer der Majore. Der Hauptmann zweiter Klasse zuckte lachend die Achseln. In diesem Augenblicke stellte die Kellnerin, ein schmuckes Ding, einige Gläser hin und hörte die Frage.

»Der Herr Oberleutnant,« rief sie, »der hat heute einen anderen Dienst; ich bin ihm mit mehreren Damen auf dem Wege nach dem B. Keller begegnet.«

»Mit Damen? Mit mehreren Damen?« fragte es von allen Seiten.

»Ja,« antwortete Suschen, die flinke Kellnerin, »und so schön hat er mit einer davon gethan, daß es eine Freude war, ihm zuzuschauen. Er trug den Arm voll Regenmäntel und Schirme und that so galant wie ein junger Leutnant, der an der Seite seiner Braut wandelt.«

Die Feldherrn schüttelten die weißen und kahlen Köpfe, verzogen ihre Mienen zu einem eigentümlichen Lächeln und sagten:

»Schau, schau! hm, hm!«

»Er wird doch keinen dummen Streich mehr machen und sich verheiraten!« meinte der charakterisierte Kriegskommissär mit weit geöffneten Lippen und Augen, die sich 57 aber sogleich in sein Glas versenkten, als er des Obersten Augen etwas verweisend auf sich gerichtet sah.

»O, wie kann man so etwas nur aussprechen!« rief Major Schnurrer. »Ein pensionierter Oberleutnant mit 500 Gulden Gehalt und wahrscheinlich verschiedenen Abzügen, der sich nicht einmal zu einem ordentlichen Nachtessen aufschwingen kann!«

»Was das anbelangt,« fiel jetzt Hauptmann Meier mit sehr bestimmtem Tone ein, »so steht es nicht so schlimm. Der Herr Oberleutnant ist glücklicherweise nicht auf seine Pension allein angewiesen.«

»Er ist's,« versetzte der Major, »ich weiß bestimmt, daß er kein Vermögen hat.«

»Aber Talent hat er,« entgegnete der Hauptmann.

»Das trägt nichts ein,« erwiderte der Major, »das sehe ich an mir.«

»Sie verstehen es eben nicht, dasselbe zu verwerten,« sagte der Hauptmann in etwas sarkastischem Tone.

»Er wird doch keine Bücher drucken lassen?« rief der Oberstleutnant.

»Wenn wir sie nur nicht lesen dürfen!« meinte der Kriegskommissär.

»O, was er schreibt, ist sehr witzig; er versteht recht wohl, faule Zustände zu geißeln, und die »Fliegenden Blätter« haben schon manchen wertvollen Beitrag von ihm erhalten,« erklärte Hauptmann Meier.

»Die Fliegenden Blätter?!« rief der Kriegskommissär ganz exaltiert.

Die eben in der Nähe weilende Kellnerin war der Meinung, man hätte nach den »Fliegenden Blättern« verlangt und brachte sie im Nu herbei.

58 Der Kriegskommissär wechselte die Farbe. »Ich will dieses Malefizblatt nicht,« rief er, sich vergessend.

»Dann müssen es der Herr Oberst lesen,« erwiderte Suschen, die Kellnerin, »es soll ein ganz herrliches Gedicht darin sein. Die Herren dort an dem vordern Tisch haben eine große Freude darüber gehabt.«

»Herr Oberst werden doch einen solchen Schund nicht lesen,« rief der Kriegskommissär mit zitternden Lippen und sich über die Stirne streichend.

»O, die Fliegenden Blätter haben keinen Schund,« entgegnete der Oberst. »Ich bin, aufrichtig gesagt, neugierig, was das für ein Gedicht ist.«

»Hier steht's,« sagte Suschen, »und die Figur daneben – ist die nicht lustig? Jesses, das ist ja –« Sie vollendete nicht und sah mit einem eigentümlich prüfenden Blick nach dem Kriegskommissär, der an dem Beißer seiner Pfeife drehte, um seine Verlegenheit zu verbergen.

»Des Quartiermeisters Liebesklage,« las der Oberst.

Wie auf Kommando richteten sich aller Blicke nach dem Kriegskommissär, selbst der des Obersten.

»Sehen Sie nur,« sagte der letztere zu dem ihm zunächst sitzenden Oberstleutnant, »das Bild hat viel Ähnlichkeit mit dem Kriegskommissär.«

»Ich liebe diese Karikaturen nicht,« erwiderte der Oberstleutnant. »Heute wagt er sich über den Rechnungsbeamten, morgen über den Offizier.«

»Wer?« fragte der Oberst.

»Nun, jedenfalls dieser Oberleutnant, den man eigentlich gar nicht an unsere Tafel hätte zügeln sollen, es paßt sich nicht, daß Stabsoffiziere mit Subalternoffizieren so zwanglos verkehren.«

59 »Aber Herr Kamerad, wir sind ja in Pension –«

»Das thut nichts, ich werde alles Mögliche aufbieten. daß er künftig sein Bier wo anders trinkt,« entgegnete der erstere. »Ich hasse die Pamphletisten,« setzte er hinzu.

»Sie haben eine persönliche Abneigung gegen ihn?« fragte der Oberst.

»Ja, und mit Grund. Ich weiß nämlich ganz gewiß, daß er auch mich karikiert hat.«

»Was Sie sagen?« rief der Oberst scheinbar entrüstet, aber doch mit innerer Schadenfreude. »Bei welcher Gelegenheit?«

»Ich hatte als Oberstleutnant die üblichen Quartalsvisitationen vorzunehmen und ich nahm es sehr genau. Da enthielt denn mein Revisionsprotokoll manches Unangenehme für den bei meinem Regiment stehenden Oberleutnant, welcher interimistisch ein Kompagnie-Kommando hatte.«

»Ach, ich erinnere mich an einiges,« rief der Oberst lachend, »aber es gelang mir nie, das witzige Revisionsprotokoll zu Augen zu bekommen. Es war mir auch lieb, daß es nicht der Fall gewesen. Ich hätte es ebenso geahndet, wie damals, als er sich vor der ganzen Mannschaft eine Bemerkung zu machen erlaubte, wegen der Sie ihn in Arrest setzten. Ich kam an demselben Tage zurück und übernahm von Ihnen wieder das Regimentskommando. Es war einen Tag vor der Frühjahrsinspektion. Ich erinnere mich noch ganz gut. Der alte General erstickte fast vor Lachen, als ihm der Oberleutnant Auskunft geben mußte, warum er in Arrest sei. Was machten Sie damals für ein Gesicht, als ihn der General sofort auf freien Fuß setzte und Sie eine sehr bemerkbare Inspektionsnote erhielten.«

60 »Von dieser Note weiß ich nichts,« versicherte der Oberstleutnant kleinlaut. »Alle Teufel,« fügte er hinzu, »daher also datiert sich schon der Grund zu meiner Pensionierung?«

»Das weiß ich nicht,« antwortete der Oberst, »doch wir kommen von unserem Thema ab. Sie glauben, der Herr Oberleutnant habe wirklich ein Pamphlet auf Sie gemacht?«

»Ich möchte es beschwören, und so wie mir und dem Kriegskommissär, wird es bald auch andern Stabsoffizieren ergehen, vielleicht dem Herrn Oberst selbst.«

»O, ich bin mir nichts bewußt,« sagte dieser. »Ich habe meine Untergebenen niemals chikaniert, war niemals ein bloßer Wauwau, und wenn ich, gottlob! auch meine Feinde habe, lächerlich habe ich mich doch nie gemacht.«

Der Oberstleutnant verbiß seinen Groll an der Spitze seiner Tabakspfeife.

»Auch ich habe mich nie lächerlich gemacht,« sagte er dann, »ich that nur meine Pflicht.«

»Ich werde es den Oberleutnant gewiß entgelten lassen, falls sich Ihr Verdacht bestätigt,« beruhigte der Oberst. »Verlassen Sie sich darauf.« Er drehte dabei seinen weißen Schnurrbart und dachte etwas ganz anderes, als er sprach.

»Unser Ansehen verlangt es,« sagte der Oberstleutnant. »Dem Civil gegenüber kann man das nicht so ungestraft hingehen lassen. Ein Bericht an die Stadtkommandantur könnte vielleicht seine Entlassung aus dem Militärverband und Einziehung seiner Pension –«

»Nein, Herr Kamerad, zu so etwas können Sie mich nicht haben,« unterbrach ihn der Oberst. »Sie und der 61 verliebte Kriegskommissär sind nicht der ganze Stand. Aber ein Ende wollen wir der Sache machen.«

Der Kriegskommissär verstand von dieser Unterhaltung zwar kein Wort, aber er nickte fortwährend beifällig dem Oberstleutnant zu und warf wütende Blicke auf den leeren Stuhl des Herrn Oberleutnants.

»Wer ist denn die Flamme unseres liebeklagenden Quartiermeisters?« fragte der Oberst den ihm zur Linken sitzenden Major.

»Sie ist die Tochter des Major Schnurrer,« gab der Gefragte zur Antwort. »Derselben macht auch der Oberleutnant die Cour; aber der Major ist ihm nicht hold. Er wünscht vielmehr den Kriegskommissär zum Schwiegersohn. Dieser und der Oberleutnant sind demnach Rivalen und so erbittert auf einander, wie es junge Leutnants, die sich gegenseitig aus dem Felde schlagen wollen, nicht heftiger sein könnten.«

»Das ist ja alles höchst interessant!« rief der Oberst. »Jetzt muß ich doch das Gedicht lesen. O weh!« fügte er suchend bei, »ich habe meine Brille vergessen.«

»Wenn Sie mir erlauben, Herr Oberst, lese ich Ihnen das Gedicht vor,« sagte der Major bereitwillig, rückte seinen Stuhl nahe an den des Obersten und las leise, aber doch so, daß es fast die ganze Tischgesellschaft hören konnte, nachfolgende Verse:

Quartiermeisters Liebesklage.

            Ich denke Dein, wenn ich kollationiere,
Wenn ich am Pult im tiefsten Denken bin,
Ob schwarz, ob rot, ob blau ich revidiere,
Ich denke Dein, stürz ich das Magazin. 62
Dort flötet jeder Helmschweif Deinen Namen,
Ein jedes Trommelfell, es lispelt einen Gruß,
Es strahlt Dein Bild von jedem Leinmwandrahmen,
In jedem Bundschuh ahn' ich Deinen Fuß!

Dein Auge glänzt gleich einer Helmessonne,
(Neu abgegeben vom Monturdepot),
Dein blondes, reiches Haar, – o welche Wonne!
Gleicht's nicht dem frischgefaßten Lagerstroh?
Das Ebenmaß um Deiner Schultern Fülle
Wie ein Tornister erster Klasse, neuer Art,
Die Haut, ich schwör's beim Habel, eine Hülle,
Wie Strohsackzwilch so mustermäßig zart!

Es dringt ein Blick aus Deinen Augenpaaren
Wie Regen durch das neue Manteltuch,
O wärst Du mein, wie wollt ich Dich verwahren,
Im Herz verschlossen, gleich dem – Kassabuch!
Was ich da drin gelitten schon für Qualen,
Und was mein Aug für Dich geweint, gethränt,
Du kannst nur die Aerarschuld nicht bezahlen,
Und wärst Du bis zum jüngsten Tag präsent.

Ja, jede abgewich'ne Periode,
Wo die Gebühr sich richtig hat erstellt,
Begeistert mich zu einer neuen Ode,
Du bist mir mehr als Naturalempfang und Geld!
O, jeden Tag, wo Du mir hold gewesen,
Verbuche ich als gut von Deiner Huld,
Doch mußt' ich Kält' in Deinen Augen lesen,
Den Tag schreib ich auf ewig Dir zur Schuld.

Nach Dir blick ich gleich einem schönen Sterne,
Der winkend mir aus schwarzen Wolken bricht,
Du bist fürs Herz, was Öl der Ganglaterne,
Du meines Lebens Dochtgarn, Holz und Licht! 63
Dein Name ist gleich einem Mantelzeichen
In meines Herzens Ärmel eingebrannt,
Mit roter Tinte will ich unterstreichen
Den Tag, der Dich im Wandkalender nennt.

So streich ich an Quartale um Quartale,
Und der Etat des Herzens bleibt stets leer;
Mich lassen freudenlos die Manuale,
Die Jahresrechnung selbst reizt mich nicht mehr.
Doch willst mit mir verbunden Du stets bleiben,
So schlage ein, eh' ich mich tot gegrämt,
Sonst bin gezwungen ich, das Leben abzuschreiben,
Als wie ein wertlos abgeschätztes Hemd.

Der Vorlesende wurde oft durch vielstimmiges Gelächter unterbrochen. Nur zwei von der Gesellschaft lachten nicht, nämlich der Kriegskommissär und der Oberstleutnant, und noch ein Dritter war zugegen, der nur gezwungen lachte; es war Major Schnurrer.

»Der Herr Oberleutnant ist ja ein ganz witziger Kopf, wenn er dieses Gedicht wirklich selbst gemacht hat,« sagte der Oberst. »Aber wer will es ihm beweisen? Der Verdacht ist oft ein Schelm.«

»Er hat es gemacht!« versetzte der Oberstleutnant. »Man sollte einen solchen Judas nicht mehr unter sich dulden.«

Jetzt kam Suschen herbei.

»Die Herren am runden Tisch dort bitten um die Fliegenden, sobald sie frei sind,« sagte sie.

»Nein,« rief der Kriegskommissär, »sie sind belegt für den ganzen Abend.« Er bat den Oberst, ihm das Blatt zu geben, was dieser auch that. Kaum hatte der beleidigte Rechnungsbeamte dasselbe in Händen, riß er das Blatt mit dem verhängnisvollen Gedicht heraus und warf 64 es unter den Tisch, nachdem er es zu einem Ballen zusammengeknittert hatte.

»Aber was treiben Sie denn?« rief Suschen verweisend. »Sie haben ja etwas herausgerissen? Meiner Seel', gerade das Schönste – das herrliche Liebesgedicht –«

»Kaufts Neueste Nachrichten, Abendzeitung, Fliegende Blätter!« schrie jetzt eine Kolporteurin und wanderte langsam die lange Tafel entlang.

»Fliegende Blätter!« tönte es von allen Seiten und im Nu hatte sie die vorrätigen Exemplare verkauft. Der Oberst erhielt noch mit genauer Not ein solches.

»Sie kaufen es wahrscheinlich als corpus delicti?« fragte ihn der Oberstleutnant etwas verwundert.

»Natürlich!« entgegnete der Gefragte. »Ich warte aber noch, bis ich das Revisionsprotokoll bekomme.«

»Meine Schuldigkeit!« rief der Kriegskommissär, dem die Schweißtropfen auf der Stirne standen.

»Ich habe drei halbe Kalbskopf und eine Portion Bier.«

»Ich weiß schon, was Sie sagen wollen,« erwiderte die Kellnerin lachend. »Aber warum gehen's denn heut schon so früh?«

»Weil – weil –«

Er konnte nicht ausreden. Vor Schrecken fiel er wieder auf seinen Stuhl zurück, denn die Thüre hatte sich geöffnet und in derselben erschien der Oberleutnant, Mathilde, des Kriegskommissärs langjährige Flamme am Arme. Entsetzt starrte er den Ankommenden entgegen. 65

II.
Militärische Reminiszenzen.

Lassen wir den verliebten alten Rechnungsmann entsetzt nach dem soeben eintretenden Helden des Tages blicken, während wir über denselben noch das Nötige, insbesondere sein Verhältnis zum Oberstleutnant klar machen wollen.

Ihm war es nicht vergönnt, die ersehnte Pfarrei, die Hauptmannschaft, zu erreichen. Die in griechischen Diensten zugebrachten Jahre wurden ihm nicht angerechnet, und seine Erfahrungen, seine Bildung waren einer gewissen Sorte von Vorgesetzten damals geradezu ein Greuel. Es war sehr bedenklich, außer Dienst ein Gespräch über wissenschaftliche und politische Materien zu führen, oder gar einem Vorgesetzten zu widersprechen, geradezu aber verdammlich, unbeirrt von etwaigen »Belehrungen« auf seiner Ansicht zu beharren. Rechtbehalten mußte der Vorgesetzte am Schlusse. Das verlangte die seinem höhern Rang und seiner längeren Diensterfahrung gebührende Achtung. Die Konversation war meistens von einer ermüdenden Schalheit, und selbst, wenn man sich auf wissenschaftliches Gebiet wagte, behielt die »Patentnummer« immer Recht und war es auch das unsinnigste Zeug. Über die »Dienstesvorschriften« und das »Exerzierreglement« wagten sich die damaligen 66 Subalternen und selbst Stabsoffiziere selten hinaus. Dagegen wurden die niederen Befehlsgrade in thunlichster Unmündigkeit und Abhängigkeit von den höheren gehalten. So pfuschte der Oberst dem Hauptmann, der Hauptmann dem Leutnant, oft sogar der Bataillonskommandant dem Korporal in das Handwerk und es entstand unwillkürlich ein gewisser Servilismus nach oben. Unser Oberleutnant kannte aber keinen solchen. Er that seine Schuldigkeit und kümmerte sich weiter um keinen Vorgesetzten, wenn Tages- oder andere Fragen zur Besprechung kamen. So stieß er gewaltig bei dem Oberstleutnant an, als bei einer gelegentlichen Besprechung der Himmelskörper der Oberleutnant behauptete, der Polarstern behalte Tag wie Nacht unserm Standpunkte gegenüber seine nördliche Richtung bei. Der Oberstleutnant belehrte aber die Untergebenen dahin, daß sich die Erde drehe und demnach der Polarstern nur bei Nachtzeit in unsern Gesichtskreis kommen könne. Es half nichts, daß der Oberleutnant die Kreide zur Hand nahm und im Bibliothekzimmer auf der schwarzen Schultafel durch eine Zeichnung seine Behauptung erläuterte.

»Wenn Sie mir noch weiters widersprechen, schicke ich Sie in Arrest!« rief endlich erzürnt der Oberstleutnant.

»So mögen Himmel und Erde vergehen,«sagte der Oberleutnant und wischte mit dem Schwamme die Zeichnung ab – »so lange der Herr Oberstleutnant nicht anders befehlen.«

Der Oberstleutnant fühlte wohl das Sarkastische in des Offiziers Rede, er glaubte auch, einige der Hauptleute schmunzeln zu sehen, und schwur dem Ärmsten Rache.

Diese ließ er ihm zuvörderst als Pascha des 67 Monturmagazins fühlen. So oft unser Oberleutnant Soldaten dorthin führen mußte, welche Monturstücke zu fassen hatten, kam es zwischen beiden Herren zu Häkeleien. Der Oberleutnant sah darauf, daß seine Leute Sachen erhielten, die ihnen paßten und nicht z. B. zu große oder zu kleine Bundschuhe. Der Oberstleutnant aber schnitt alle Kontroverse mit dem Machtwort ab: »Ich befehle, daß die Schuhe passen, und wenn ich noch ein Wort höre, schicke ich Sie in Arrest!«

So mußten die Leute nicht selten Kleidungsstücke nehmen, die sie gar nicht gebrauchen konnten, schließlich kam aber die Schuld doch auf den Offizier der Jour, der ja für den richtigen Empfang verantwortlich war. Bei der Listen- und Büchervisitation hatte der Oberstleutnant jedesmal eine Umständlichkeit, ja geradezu eine Chikane, daß die Kompagniekommandanten, Feldwebels und Listenführer den »grandigen« Herrn überall hinwünschten, wenn es nur recht weit vom Platze war. Aber Wünsche sind eitel, und sobald das Quartal hinüber, ordnete der Regimentsbefehl die üblichen Quartalsvisitationen an, und für den Oberstleutnant, der die übrige Zeit nur im Monturmagazin zubrachte, wo er teils Schneider, teils Schuster, teils Riemer, teils Leinwandhändler, kurz alles war, nur kein Soldat, für den waren diese Visitationen ein »Fressen.«

Konnte er doch wieder seine Macht zeigen, konnte er Offiziere und Unteroffiziere, ja die ganze Mannschaft vor sich erzittern sehen, wenn er die Reserve-Schuhnägel abzählte, und wehe, wenn ein solcher kleiner Kerl fehlte. Der Mann kam in die Strafstube, der Korporal in den Stubenarrest, der Offizier der Jour erhielt einen Wischer und der Hauptmann eine Nase. Außerdem wurde die 68 ganze Nagelgeschichte zu Protokoll genommen, was der jetzige charakterisierte Kriegskommissär, damals Regiments-Quartiermeister, mit »Wollust« besorgte und im Revisionsberichte umständlich dokumentierte, was dann dem Regimentskommando Veranlassung gab, nochmals auf die Sache zurückzukommen und der betreffenden Kompagnie im Tagesbefehl rügend zu gedenken.

Auch der Oberleutnant war einst das Opfer einer solch strengen Visitation. Er war wegen Erkrankung des Hauptmanns provisorisch Kompagniekommandant. Die Revision und Monturvisitation wurde mit einer ans Lächerliche grenzenden Genauigkeit gemacht, aber es fehlte im Verschlag kein Schnürchen. Auch die Mannschaft hatte alles prächtig ausgelegt. Der »Tändlerladen«, wie es die Soldaten nennen, ließ nichts zu wünschen übrig. Aber als der Oberstleutnant alle Reservenägel nachgezählt, fand er bei einem Soldaten, daß ein solcher fehlte.

»Womit entschuldigen Sie diesen groben Abgang?« fragte er den Oberleutnant.

»Herr Oberstleutnant werden sonst alles in Ordnung finden. Der Mann ist sehr ordentlich.«

»Was? Nichts ist in Ordnung!« schrie der Oberstleutnant. »Ein Nagel fehlt. Es giebt allerdings Leute, die nach einem Nagel nicht viel fragen, weil sie ihn im Kopfe haben –«. Dabei blickte er den Oberleutnant scharf an.

»Ich bin ganz Ihrer Meinung,« entgegnete dieser, den Pascha ebenfalls vielsagend anblickend.

»Darnach habe ich Sie nicht gefragt,« gab letzterer zur Antwort. »Der Mann soll zusammenpacken – drei Tage Strafstubenarrest. Wo ist der Korporalschaftsführer?«

69 »Hier!« rief der unglückselige Vize, bis in den Mund erbleichend.

»Drei Tage Stubenarrest!« diktierte der Oberstleutnant. »Kehrt Euch!«

Der Vize taumelte hinweg und rannte dabei den Regimentsquartiermeister, der, die Feder hinterm Ohr und den Schiffhut auf dem Haupte, hinter ihm stand, fast zu Boden.

Die übrige Visitation der Bücher wurde sodann in peinlichster Weise vorgenommen und da die Gegenwart wenig Anlaß zur Rüge gab, suchte der Visitierende aus früheren Quartalen Anstände und machte den Offizier spöttisch oder zog ihn zur Rechenschaft, wenn er darüber keine Aufschlüsse zu geben vermochte.

Des Oberleutnants Rache war, daß er das witzige Revisionsprotokoll verfaßte, dessen wir den Oberstleutnant erwähnen hörten.

Aber all dieses reichte nicht aus, dem Subalternoffizier empfindlich auf den Leib rücken zu können.

Da traf es sich, daß der Oberstleutnant das Regimentskommando übernehmen mußte, weil der Oberst zu einer Kommission im Ministerium kommandiert war. Es war zur Zeit der Frühjahrsinspektion. Dem Oberstleutnant, der nach der Anciennetät am Obersten stand, lag alles daran, daß das Regiment unter seinem Befehle glänzend bestände. Einen Tag vor der Inspektion kam er noch beim Verlesen in die Kaserne, ließ die Feldwebel zusammentrommeln und trug ihnen auf, den Leuten auf das strengste einzuschärfen, daß sie beim Eintritt des Herrn Generals in die Kompagnie immer ein freundliches Gesicht machen sollten. Er hatte nämlich im Kaffeehaus 70 erfahren, daß der General ein fröhlicher alter Herr sei, der es gerne sieht, wenn die Mannschaft heiter dareinschaut.

Die Feldwebel schärften diesen Befehl den Korporalschaftsführern ein und diese nahmen ihre Leute sofort auf dem Zimmer zusammen und lehrten sie das »Freundlichsein.«

Ein Vizekorporal von des Oberleutnants Kompagnie gab sich besonders Mühe; er war derjenige, welcher wegen des fehlenden Schuhnagels bereits drei Tage brummte, und wir wollen ihn belauschen – aber nicht wir allein, auch der Oberleutnant, der zufällig noch einmal in das Kompagniezimmer kommt, und selbst der Oberstleutnant, der sich von dem Vollzuge seines Befehles persönlich überzeugen will, leisten uns Gesellschaft.

»Also angetreten!« kommandiert der Vize.

Die Leute treten an.

»Ihr werdet wissen,« begann er, als die Leute mit Achtung dastanden, »was man unter Freundlichkeit versteht. Unser Herr General sieht das gern und deshalb ist befohlen worden, daß alle Leute lächeln sollen, sobald der Herr General in das Kompagniezimmer tritt, aber nicht nur lächeln allein; die Freude muß wirklich auf eines jeden Antlitz strahlen. Der Herr General muß erkennen, daß ihr euern Stand liebt und freudig und aus Überzeugung gehorcht. Und daß ihr's wißt, jeder Mann, der ein finsteres Gesicht macht, wird in Arrest geschickt. Also probieren wir's einmal. Ich geh' zur Thür hinaus und trete als General wieder ein. Denkt euch also, ich sei der General. Ich will sehen, was eure Gesichter auf mich für einen Eindruck machen.«

71 Damit ging er hinaus, riß dann die Thüre angelweit auf und trat majestätisch wie ein General wieder herein. Da keine Ordonnanz zur Stelle war, die Thüre zu schließen, so blieb sie offen. Die Mannschaft, der die Geschichte sehr lächerlich vorkam, lachte dem ankommenden Vize mit weit aufgesperrten Mäulern entgegen.

»Nix is's!« rief dieser. »Zum Freundlichsein reißt man doch das Maul nicht so weit auf. Der Mund muß geschlossen bleiben. Ihr könnt die Freude auf eurem Gesichte auch ohne Maulaufsperren strahlen lassen. Man kann das in den Muskelbewegungen und durch die Augen ausdrücken, z. B. so.« Dabei machte er ein zuckersüßes Gesicht. – Die Soldaten preßten nun ihre Lippen zusammen und machten blitzdumme Gesichter. Sie getrauten sich nicht mehr, laut zu lachen, weil der Oberleutnant an der Thüre erschien und erstaunt dieser Übung zusah. Hinter dem Oberleutnant aber erschien das strenge Gesicht des Oberstleutnants, bei dessen Anblick die Mienen der Soldaten einen geradezu verzweifelten Ausdruck annahmen. Der Vizekorporal, der sich unbelauscht glaubte, korrigierte sie nunmehr einzeln.

»So, Nr. 1 macht es ganz gut. – Nr. 2 dürfte die Freude ums Kennen besser strahlen lassen. Nr. 3 strahlt sehr schön. Nr. 4, du machst ja Backen, als ob du in jedem einen Deggendorfer Knödl stecken hättest. Warum denn so aufblasen? Du kannst dir schon denken, du hättest Knödl, aber deine Mienen müssen das anzeigen. So – jetzt ist's schon besser. Nr. 5, du strahlst zu viel. Denk dir, du hättest unsern Herrn Oberstleutnant zwischen den Zähnen – Halt – Kerl, du knirschst ja jetzt förmlich – denk dir, du hast ihn nicht ganz, nur ein Stück von ihm, 72 so – jetzt kommt wieder ein Strahl Vorschein. Nr. 6, ja wie siehst denn du aus? Soll das auch gestrahlt sein?«

»Ha!« rief jetzt der Oberleutnant, »was in Teufels Namen treiben Sie denn da?«

Der Vizekorporal drehte sich nach dem Offizier um und sah mit Entsetzen hinter demselben den Oberstleutnant. Er erblaßte, denn seine Bemerkung zu Nr. 5 bewirkte jetzt in seinem Innern einen fürchterlichen Zustand. Er konnte nicht sofort Antwort geben.

»Was macht ihr denn für saudumme Gesichter?« rief dieser jetzt die Mannschaft an, die noch immer ihre Freude 73 mehr oder weniger strahlen ließ, weil ja im Hintergrunde der »Wauwau« sichtbar war.

»Es ist die Hauptprobe zur morgigen Inspektion,« stotterte endlich der Vizekorporal; »es muß auf hohen Befehl des Herrn Oberstleutnants geschehen.«

»Was muß geschehen?« fragte der Offizier.

»Die Freude muß geübt werden,« antwortete mit einem verzweifelten Anfluge von Poesie der Vize.

»Das ist ja purer Unsinn!« rief der Oberleutnant. »Macht morgen euer Gesicht, wie es euch gewachsen ist, ob es nun ein gescheites oder ein Schafsgesicht ist! Solche Narrenspossen werden bei meiner Kompagnie nicht eingeführt! Der General will Männer, aber keine Laffen sehen!«

Der Vizekorporal war in Verzweiflung. Er zwinkerte zwar immer seinem Oberleutnant mit den Augen zu, er möge schweigen, der Oberstleutnant stünde hinter ihm und höre alles, aber dieser verstand ihn nicht.

»Was zwinkern Sie denn so, Sie freudespendender Vize?« fragte er endlich den Unteroffizier. »Sehen Sie vielleicht im Geiste den Herrn Oberstleutnant, wie er Ihnen wieder drei Tage Stubenarrest diktiert?«

»Ja, ich sehe ihn!« antwortete mit zitternder Stimme der Vize.

»Zum Teufel mit Ihren Spukgestalten!« rief der Oberleutnant. »Auseinander, marsch!«

Aber die Mannschaft und der Vize blieben unbeweglich stehen.

»Ich gehe nicht zum Teufel,« rief jetzt der Oberstleutnant an der offenen Thüre, »aber jemand anderer begiebt sich sofort nach Hause in Arrest.«

»Und wer ist das?« fragte der Oberleutnant, nicht 74 die geringste Erregung beim Ansichtigwerden des Paschas verratend.

»Das sind Sie!« rief der Vorgesetzte.

Der Oberleutnant machte sein Honneur und meldete sich in Arrest; dann verließ er das Lokal.

»Auch deine Zeit kommt!« dachte er sich.

Der Vizekorporal, dem die Beine vor Angst schlotterten, kam wegen seiner respektswidrigen Bemerkung sofort in die Strafstube, und der Mann, der ihn geistig zu einem Brei zerkaute, erhielt Zimmerarrest. –

Noch an demselben Abend jedoch rückte der Oberst unvermutet ein und übernahm das Kommando. Wie er schon dem Oberstleutnant gegenüber erwähnte, hob der General den Arrest des Offiziers sofort auf und gab dem Oberstleutnant für solch lächerliche Anordnungen eine empfindliche Rüge, die allerdings mit zu seiner Pensionierung beitrug.

Die Zeit kam, oder besser, »Kriegsminister Lüder« kam, der gleich einem Orkan die unnützen, welken Blätter abschüttelte von dem halb verkommen gewesenen Baume der Armee, und diese abgeschüttelten Blätter zogen sich grollend zurück in Pension. Im bescheidenen Civilrocke achtete die sonst so Gefürchteten niemand mehr, aber sie fanden sich wieder zusammen, sich gegenseitig Weihrauch spendend und empfangend in der Feldherrnhalle, und selbst im Civil erkannte man sie als Militärs und man konnte mit Heine sagen:

Sie stelzen noch immer so steif heran,
So kerzengerade geschniegelt,
Als hätten sie verschluckt einen Stock,
Womit man sie einst geprügelt. 75

III.
Die Liebe auf dem Wochenmarkt.

Der Oberleutnant sagte dem aktiven Dienste auch bald Valet; er fand, daß er für seine Charge zu alt sei, und sehnte sich nach Freiheit. Entging ihm auch ein Teil seiner Gage, so hatte er Talent genug, das Fehlende, und auch ein gut Stück mehr durch Honorare zu decken, welche er für literarische Arbeiten bezog. Niemand wußte zwar hievon, außer seinem gewöhnlichen Tischnachbar, Hauptmann Meier, der es nach und nach im Gespräche erfahren hatte, und welcher nun, ferne der Absicht, ein Geheimnis zu verraten, im Gegenteile den Entfernten dadurch zu ehren glaubte, daß er in Gegenwart Major Schnurrers, auf dessen Tochter es der Oberleutnant abgesehen hatte, in dieser Weise von ihm aussagte. Dieser Major war auch die einzige Ursache, die unsern Oberleutnant veranlaßte, sich den Zwang anzuthun, in die Feldherrnhalle zu gehen und den »Vorgesetzten« Komplimente zu machen, während er sonst sein Abendbier im Kreise gemütlicher Freunde trank.

Doch hören wir, wie er die Bekanntschaft der Majorstochter machte. Sie war kein Töchterlein mehr, im Gegenteile hatte sie ein Menschenalter bereits hinter sich, sie 76 hatte, wie man sagt, das »kanonische Alter«, aber noch nicht das »Schwabenalter« erreicht, gleichwohl sah sie viel jünger aus und ihr Temperament zeugte von jugendlichem, rasch fließendem Blute. Mathilde war äußerst häuslich erzogen und sie hätte nach dem Tode ihrer Mutter gewiß mit Ehren und Sachverständnis das kleine Hauswesen regiert, wenn nicht des Majors Schwester Eulalia diese Aufgabe übernommen haben würde. Letztere lebte seit Mathildens Geburt im Hause ihres Bruders und war ihrer Nichte mit mütterlicher Sorgfalt zugethan. Des Majors Vermögen war sehr gering, Mathildens Aussteuer eine sehr bescheidene, trotzdem ward ihr vielfach gehuldigt. Leider aber waren ihre Verehrer, da Papa ausschließlich nur Offiziersgesellschaften besuchte, Offiziere, die es bei Huldigungen belassen mußten, da die Erstellung der Heiratskaution das unübersteigliche Hindernis bildete, den letzten Akt eines Lustspiels zu inszenieren. So wurde Mathilde alt und älter, bis ein unerwartetes Ereignis eintraf, das ihr in sonst hoffnungsarmen Jahren gleich zwei Bewerber auf einen Schlag brachte. Und dieses Doppelgestirn erschien am Abendhimmel ihres Lebens infolge einer Gans.

Eine Gans, zumal wenn sie gut gebraten ist, kann wohl den Appetit erregen, aber wie kommen Gans und Amor zusammen? Das soll in folgendem kurz erzählt werden.

Mathilde begab sich eines Samstags auf den Viktualienmarkt, um einen Sonntagsbraten in Gestalt einer Gans zu erwerben. Die Gans fand sich – aber als das Fräulein bezahlen wollte, war das Portemonnaie verschwunden. Ein Taschendieb hatte sich dasselbe angeeignet. Das 77 Fräulein hatte den Braten bereits in ihrem Handkörbchen verwahrt, die Ganshändlerin gab nicht nur keinen Kredit, sondern blickte mit eigentümlich mißtrauischer Miene auf Mathilde, als sie deren erschrockenen Ausruf vernahm:

»Mir ist mein Portemonnaie gestohlen worden!«

Die Händlerin antwortete mit dem Gegenrufe:

»Das ist g'scheita, als wenn mir mei' Gans wär g'stohl'n wor'n,« und griff rasch nach dem Körbchen des Fräuleins, welches sich im Augenblicke von einer Menge Leute umgeben sah, die sich alle sichtlich an der Verlegenheit Mathildens ergötzten.

Da teilten zwei lange Arme die Menge und ein Mann auf zwei langen Füßen brach sich Bahn zu seiner längst im stillen angebeteten Dame. Es war der pensionierte Oberleutnant, den es heute ahnungsvoll auf den Gänsemarkt trieb. Der Zufall war ihm günstig, er kam eben zum Beginne von Mathildens peinlicher Situation, deren er, weit über die Köpfe der andern Neugierigen ragend, sofort Herr war. Mit einem Ruck stand er an der Seite des Fräuleins.

»Meine Börse steht Ihnen zur Verfügung, gnädiges Fräulein,« rief er.

»Sie kommen als mein guter Geist,« entgegnete das Fräulein aufatmend. »Papa wird es Ihnen danken, Herr Oberleutnant.«

»Die Gans bleibt, wo sie ist. Ich bin Zahler,« sagte letzterer zu der Händlerin, welche sich soeben des Geflügels bemächtigen wollte. Zugleich griff er in die Tasche – aber Entsetzen – sie war leer. Auch sein Geldtäschchen fehlte.

78 »Was ist das?« rief er, eine Tasche nach der andern durchsuchend.

»Mir scheint, Ihnen is 's Geld auch g'stohl'n worn,« rief lachend die Händlerin und die Umstehenden lachten mit.

»Wahrhaftig,« sagte der Oberleutnant, »ich hatte das Portemonnaie noch vor fünf Minuten, wo ich mir Zigarren kaufte – aber gleichwohl können Sie mir kreditieren; ich gebe Ihnen einstweilen meine goldene Uhr zum Pfand.«

»Die b'haltens nur selber!« rief die Händlerin; »wer weiß, ob dös koa tumbakene is.«

»Warum nicht gar!« entgegnete der Oberleutnant; »die Uhr ist an siebzig Gulden wert.«

»Von mir aus!« rief die Händlerin. »D' Gans will i wieder haben, oder bar Geld und damit basta!«

Der Oberleutnant sah das Fräulein mit einer halb komischen, halb verlegenen Miene an.

»Welche Sympathie!« sagte er dann lächelnd. »Wir wollen beide die Gans, und beiden hat man uns das Geld gestohlen.«

»Ich danke Ihnen für den guten Willen,« antwortete Mathilde. »Ich eile nach Hause, um dem Malheur abzuhelfen.«

Der Kreis der Umstehenden hatte sich immer mehr vergrößert und der Oberleutnant suchte eben einen Durchgang für das Fräulein zu machen, als der Regimentsquartiermeister sich herandrängte.

»Wo ist die Gans?« rief er. »Ich bin Zahler.«

»Mit was?« fragte die Händlerin. »Mit einer tombakenen Uhr?«

»Mit Geld – hier – wie viel? Fräulein, bleiben Sie. – Ich entreiße Sie dieser Verlegenheit – da ist 79 das Geld – hier ist die Gans. – Sie erlauben, daß ich Ihnen dieselbe nach Hause trage. Ich habe immer ein Netz bei mir – so – also gehen wir,« sagte er zum Oberleutnant, »die Gans mit uns.«

Dieses alles war mit sichtlicher Erregung gesprochen; er wischte sich den Schweiß von der Stirne und seine Perrücke kam dabei in einige Unordnung. Jetzt suchte er Mathildens Blick. Er hatte ihn schon so oft gesucht, aber vergebens; jetzt – jetzt konnte er ihm nicht mehr mißgönnt werden.

»Herr Regimentsquartiermeister,« sagte das Fräulein, »Sie bringen mich in Verlegenheit.«

»So? Ich meine, ich hätte Sie aus der fürchterlichsten Verlegenheit befreit. Man muß opfern können, Fräulein, darin bewährt sich der Freund.«

»Ein Gulden dreißig Kreuzer, das ist ein Opfer!« lachte der Oberleutnant.

»O, wie viele können das nicht,« gab der andere zurück, »wenn sie auch noch so groß sind und groß thun.«

»Ich möchte Sie aber darauf aufmerksam machen,« sagte das Fräulein zu dem opferwilligen Rechenmanne, »daß ich Sie gar nicht darum gebeten habe, für mich einzutreten. Ich bekomme heute noch genug Gänse zu kaufen. Wer sagt Ihnen, daß Sie –«

»Jetzt haben wir sie einmal,« unterbrach sie der Quartiermeister, »und ich trage sie Ihnen nach Hause.«

Das Fräulein wollte dem gaffenden Publikum nicht länger zum Objekte dienen, deshalb sagte sie: »So gehen wir!«

Alsbald war sie in Mitte ihrer beiden Ritter auf dem Heimwege. Der Gänseträger ließ es sich nicht nehmen, 80 ihr das Geflügel bis an die Gangthüre zu tragen, während sich der Oberleutnant empfahl.

»Da bring ich die Gans!« rief er dem die Thüre öffnenden Major entgegen.

Dieser wußte nicht gleich wie und wo – als er aber den Braten in dem Netze des alten Bekannten sah, da lachte er und sagte: »Ah so – Sie haben sich bemüht.«

»Nicht nur bemüht, sondern auch bezahlt,« sagte Mathilde. »Papa, zahle meine Schulden.«

In Kürze erzählte sie, was ihr passiert, und der Major bezahlte, der Quartiermeister sträubte sich aber und bestand darauf, der Major müsse die Gans als Geschenk nehmen, was dieser nur unter der Bedingung that, daß der Quartiermeister sie mit verzehren helfe.

Und bei diesem Mittagessen wurde viel Süßholz geraspelt. Nach dem Lobe über die gebratene Gans mit obligaten Klößen vergaß der Quartiermeister nicht, die Kochkunst der Hausfrau in des Majors Schwester Eulalia zu rühmen, und erging sich schließlich in spöttischen Bemerkungen über den Hungerleider, wie er den Oberleutnant nannte, dessen Portemonnaiediebstahl er nun für vage Ausrede hielt, und der sich heute, wie er meinte, statt eines Gansbratens wohl mit einer Knackwurst begnügen müsse. Als schließlich die Weingläser gefüllt wurden und der Major auf das Wohl des Gastes trank, schwamm der Regimentsquartiermeister in einem Meere von Seligkeit, und beim Abschiede versicherte er dem Fräulein, so oft er künftig eine Gans erblicke, werde er ihrer gedenken.

Diesem Besuche folgten mehrere, und um dem Fräulein zu beweisen, wie sehr seine Gefühle noch Schwung hätten, schickte er ihr seine Liebe in Versen, die allerdings 81 denen nicht unähnlich waren, welche wir in »des Quartiermeisters Liebesklage« gehört.

Der Oberleutnant aß zwar nicht an jenem Gansbraten mit, aber er saß doch mit bei Tische in Mathildens Herz und Kopf, und ein von der Tante selbst protegierter Briefwechsel hielt ihn über alles im Laufenden. Der Major wurde von der Neigung des Oberleutnants zu Mathilde durch seine Schwester selbst unterrichtet, er befahl aber, daß nie mehr über diese Sache gesprochen werde. Sein Mann war der Regimentsquartiermeister, mochte er auch noch so alt sein und die Charakterisierung desselben zum Kriegskommissär mußte auch Mathilden, so glaubte er, jede Alternative unmöglich gemacht haben.

So standen die Dinge am Abend, an dem das Gedicht in den Fliegenden Blättern den Kriegskommissär außer Rand und Band brachte und er eben im Begriffe war, das Lokal zu verlassen, als der verhaßte Nebenbuhler, mit Mathilde am Arme, in der Thüre erschien.

Der Kriegskommissär starrte entsetzt nach den Ankommenden. »Er und sie!« murmelte er mit bebenden Lippen und sein altes faltenreiches Angesicht spielte in Grau und Gelb. 82

IV.
Krieg und Frieden.

Der Oberleutnant steuerte nicht, wie gewöhnlich, zum Tische der Feldherrnhalle, sondern in das Hauptlokal, wo er sofort ein kleines Tischchen neben der Wand beschlagnahmte und die beiden Damen, Mathilde und ihre Tante Eulalia, einlud, Platz zu nehmen, während er ihre Überwürfe an den Nagel hing. Dann erst wollte er dem Major von der Anwesenheit seiner Damen rapportieren. Dieser hatte aber gleich dem Kriegskommissär die Ankunft des Oberleutnants bemerkt und nicht ohne Verlegenheit erhob er sich, um die Ankommenden aufzusuchen.

Der Kriegskommissär faßte sich endlich auch und sagte leise: »Herr Major – das ist eine Infamie – Ihre Tochter –«

»Was?« fragte der Major, »meine Tochter? –«

»Am Arme, mein' ich. Leiden Sie das? Denken Sie an Ihr Wort, das Sie mir damals gaben, als ich Ihnen die Gans nach Hause brachte.«

»Sprechen Sie von meiner Tochter?« fragte der Major. »Ich muß bitten – Sie scheinen verrückt zu sein.«

»Ja!« seufzte der Kriegskommissär und beobachtete 83 dann, durch einen Pfeiler verdeckt, die Begrüßung des Majors und der Seinigen.

»Ah, Herr Major,« sagte der Oberleutnant, »ich war gerade im Begriffe, Ihnen gehorsamst zu melden, daß ich Ihre Damen hergebracht habe, da ein fürchterliches Hagelwetter über die Stadt zieht und jeden Augenblick losbrechen muß.«

»Wir sind dem Herrn Oberleutnant sehr zu Dank verpflichtet,« fügte Eulalia bei, »daß er uns seinen Schutz so ritterlich angedeihen ließ.«

»Papa,« rief Mathilde heiter, »heute mußt du uns schon mit dir zechen lassen; die Elemente haben uns zu dir getrieben. Du nimmst doch bei uns Platz?«

»Ich begreife nicht, was das heißen soll!« sagte der Major in schlecht verhehltem Ärger. »Herr Oberleutnant, ich sehe es sehr ungerne, daß –«

»Daß ich die Damen nicht in Regen und Hagel außen ließ,« fiel der Angesprochene ein. »Hören Sie, der Teufel geht schon los.«

Ein fürchterliches Getöse hatte unterdessen in der Natur begonnen, die Fenster klirrten, die Scheiben fielen zerbrochen ins Zimmer.

»Gottlob und Dank!« rief Eulalia, »daß wir rechtzeitig hieher gekommen sind.«

Alle Gäste drängten nach den Fenstern, um den Aufruhr in der Natur zu betrachten, und auch die Feldherrn eilten in das vordere Lokal und sahen mit einem gewissen Wohlbehagen hinaus in das Unwetter.

Allerdings machte sich bei dem einen oder anderen ein Seufzer Luft.

»Wird doch mein Mops nicht vor dem Hause gewesen 84 sein!« seufzte der eine. »Meine Blumentöpfe, man wird sie doch rechtzeitig hereingestellt haben?« der andere. »Meine Fenster! Meine Kanarienvögel!« jammerte ein dritter; »der Hagel wird sie doch verschonen!«

Mathilde allein nahm von dem Gewitter keine Notiz. Sie blickte nur hie und da freundlich hinaus mit einem dankbaren Blick, denn ihr allein brachte ja der gefürchtete Hagel das Vergnügen, mit dem Ritter ihres Herzens noch länger beisammen sein zu können.

Auch der Major hatte einige Schritte gegen das Fenster gemacht und betrachtete das Donnerwetter draußen, nach welchem er ein solches im Innern loslassen wollte.

Der Oberleutnant, der wie alle anderen den Blick nach dem Fenster gerichtet hatte, hörte sich auf einmal angesprochen. Er blickte sich um und vor ihm stand der Oberst.

»Herr Kamerad kamen gerade noch rechtzeitig mit Ihren Damen unter Dach und Fach!« sprach er den Oberleutnant an, der seinen Ohren kaum traute, als ihn der Oberst »Kamerad« nannte.

Letzterer machte jetzt den Damen sein Kompliment und sprach mit ihnen über das – Wetter. Er hatte sich auf dem Stuhle niedergelassen, welchen der Oberleutnant für sich reservierte, und dieser eilte, für sich und den Major andere zu holen.

Inzwischen hatte sich Mathildens Vater von seinem Schrecken, den ihm der Anblick des Oberleutnants an der Seite seiner Tochter verursachte, erholt und wandte sich wieder dem Tische zu. In der allgemeinen Verwirrung hatte man vergessen, die Lichter anzuzünden, und es dunkelte bereits stark. In der Meinung, der Oberleutnant sitze neben Mathilde und sei mit den Damen in so lebhafter Konversation begriffen, neigte er sich zu dem Obersten nieder und sagte leise:

»Erlauben Sie mir, ich muß Ihnen offen gestehen, daß mir Ihre Gesellschaft hier nicht paßt.«

»Aber Papa,« rief Mathilde, »was fällt dir ein!«

»Nichts fällt mir ein,« erwiderte der Major, und zum Obersten als vermeintlichem Oberleutnant gewendet, fuhr er fort: »Ich finde Ihre Person mehr als lästig.«

»Meine Person?« rief der Oberst, indem er sich erhob und erregt dem Major ins Gesicht schauen wollte, aber dieser blickte ihn gar nicht an und setzte sich auf den freien Stuhl.

»Diese Beleidigung wird morgen ein paar Kugeln in Bewegung setzen!« rief der Oberst und entfernte sich erzürnt.

»Was hast du gethan!« rief Eulalia.

»Ihr bleibt nicht hier,« befahl der Major. »Sobald das Wetter vorüber, führe ich euch nach Hause. Ich werde schon sorgen, daß euch das Kellergehen vergeht. Das dulde ich nicht, daß ihr in euren alten Tagen noch anfangt, leichtsinnig zu werden.«

»Ja, bist du denn rein verrückt geworden?« rief Eulalia. »Du weißt in der That nicht, was du sprichst. Mir ist der Schrecken in die Kniee gefahren. Ach, das geht ohne Duell nicht ab!«

»Was? In meiner Familie bin ich Herr! Es wird mir hoffentlich frei stehen, mich von lästigen, zudringlichen Menschen zu befreien.«

In diesem Augenblick kam der Oberleutnant mit den Stühlen. Auch Licht wurde auf den Tisch gestellt.

»Darf ich bitten, Herr Major –«

»Wie,« rief der Angeredete, »Sie wagen es nochmals –«

86 »Ist der Herr Oberst schon wieder fort?« fragte der Oberleutnant dagegen.

»Ach, Papa hat ihn soeben entsetzlich beleidigt,« seufzte Mathilde.

»Wen?« rief der Major.

»Den Herrn Oberst, der auf deinem Stuhle hier saß und sich mit uns unterhielt,« rief Eulalia.

»Auf welchem Stuhle?« fragte der Major.

»Auf dem du jetzt sitzest. Du hast ihn in beleidigendster Weise fortgehen heißen.«

»Den Oberst?« rief Major Schnurrer, und sein Gesicht, bis jetzt rot vor Aufregung, erbleichte. »Saßen denn nicht Sie vorhin an diesem Platz?« fuhr er den Oberleutnant ziemlich ungnädig an.

»Ich? Nein,« entgegnete dieser. »Ich ging, um Stühle zu holen für Sie und – für mich.«

»Potz Element!« rief der Major aufspringend, »in der Dunkelheit glaubte ich – Aber das ist ja entsetzlich! Meine Grobheiten –«

»Kamen an die unrechte Adresse,« lachte der Oberleutnant, den das gar nicht zu genieren schien.

Der Major stierte vor sich hin – diese Entdeckung raubte ihm fast das Bewußtsein.

»Was thue ich jetzt?!« rief er endlich. »Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«

»Erlauben Sie mir, daß ich diese Sache wieder repariere?« fragte der Oberleutnant.

»Sie?«

»Jawohl. Der Oberst hat mich soeben Kamerad genannt. Ich werde als Kamerad mit ihm sprechen und die Sache klären.«

87 »Ja, überlaß es dem Herrn Oberleutnant,« baten die Frauen.

»Meinethalben!« sagte der Major in fast apathischem Zustande, »aber –«

»Das »Aber« können wir nachher abmachen. Ich eile jetzt zum Herrn Oberst,« sagte der Oberleutnant.

Er schickte sich soeben zum Fortgehen an, als der Oberstleutnant herzukam. Nachdem er einen wütenden Blick auf den Oberleutnant geworfen, wandte er sich an den halb in Verzweiflung dasitzenden Major und seine Ansprache klang so dienstlich, daß der Oberleutnant unwillkürlich stehen blieb, um abzuwarten, in welcher Absicht der Oberstleutnant kam.

»Herr Major!« begann dieser, »ich komme auf Befehl des Herrn Obersten, Sie haben sich erkühnt –«

»Pardon!« unterbrach ihn der Oberleutnant, »der Herr Major hat mich mit dieser Sache beauftragt und ich bin gerade im Begriffe, zum Herrn Oberst zu gehen. Ich ersuche Sie, nur mit mir zu unterhandeln.«

»Mit Ihnen?« rief der Oberstleutnant geringschätzig; »ein Stabsoffizier verkehrt mit keinem Subalternen in solcher Angelegenheit.«

»Sie werden aber doch mit mir verkehren müssen,« entgegnete der so verächtlich Behandelte, »da ich nun einmal der Bevollmächtigte des Herrn Majors bin. Stabsoffizier oder Subaltern, das gilt hier gleich; hier frägt sich's nur, ob man ein Ehrenmann ist, und ich wollte keinem raten, das bei mir zu bezweifeln.«

»Ein Mann, der Pamphlete schreibt und witzig sein sollende Revisionsprotokolle verfaßt, muß sich das schon 88 gefallen lassen,« versetzte der Oberstleutnant in schneidigem Tone.

»Man macht nur auf Eseleien Pamphlete,« erwiderte der Oberleutnant.

»Was wollen Sie mit dem Worte »Eseleien« sagen?« rief der Oberstleutnant. »Ist das auf mich angespielt?«

»Auf jeden, der sich betroffen fühlt,« entgegnete ruhig der andere.

Der Oberstleutnant atmete tiefer und tiefer.

»Sie begeben sich sofort in Arrest!« rief er, sich vergessend.

»Ja, ja,« lachte der so Gemaßregelte, »das ist die bequeme Schlußformel tyrannischer Vorgesetzter, aber gottlob im Munde des Pensionisten ein leerer Schall.«

»Ich werde Ihre Entlassung aus dem Militärverbande beantragen. Sie sollen Ihre Pension verlieren!«

»Dann schreibe ich Revisions- und andere Protokolle, das Fehlende in meiner Kasse zu ergänzen, und gleich morgen beginne ich damit. Jetzt aber gehe ich zum Herrn Oberst und werde mit diesem Ehrenmanne jedenfalls eher zu einem Resultat kommen, Herr Major,« wandte sich dann der Sprechende an diesen, »ich betrachte es als Ehrensache, daß in dieser Angelegenheit nicht Sie persönlich mit dem Herrn Oberstleutnant verkehren.«

»Sind Sie derselben Meinung, auch wenn ich Ihnen sage, daß ich mich dadurch persönlich verletzt fühle?« fragte letzterer den Major.

»Ja!« entgegnete dieser und bei diesem »Ja« blitzte sein Auge wieder auf. Der Dienstton des Oberstleutnants hatte ihn verletzt und er fand, daß hier der Oberleutnant im Rechte sei.

89 »Das weitere werden wir sehen!« sagte der Oberstleutnant und entfernte sich.

Die beiden Damen hörten von dieser Verhandlung sehr wenig, nur aus den erregten Mienen und dem zornfunkelnden Auge des Oberleutnants erkannten sie, daß die Temperatur der Konversation den Siedepunkt erreicht hatte.

Wie gefiel dem Fräulein der Eifer, mit welchem der Offizier ihren Vater verteidigte! Ihr Blick war an seine hohe Gestalt gefesselt, und als er jetzt fort war, da konnte sie nicht mehr umhin, ihrer Bewunderung Luft zu machen und die Frage zu stellen: »Papa, wie wirst du es dem Herrn Oberleutnant lohnen, wenn er dein Versehen wieder gut macht?«

»Lohnen? Ich glaube, der Mann ist nicht so interessiert, daß er für alles einen Lohn will.«

»Bruder, du mußt Raison annehmen,« sagte Eulalia.

In diesem Augenblicke kam der Kriegskommissär herbei. Er hatte, so gut er es vermochte, alles beobachtet, und als jetzt der Oberleutnant wegging, hielt er es an der Zeit, seine Person wieder in den Vordergrund zu stellen.

»Ihr Diener!« sagte er und setzte sich auf den leeren Stuhl.

»Dienerin,« erwiderte Eulalia und es blitzte in der alten Jungfer ein schelmischer Gedanke auf.

»Ich sehe alles konsterniert,« begann der Kriegskommissär. »Was ist vorgefallen?«

Der Major vermochte kein Wort zu sprechen, seine Gedanken waren mit dem Oberst beschäftigt, aber Eulalia flüsterte ihm leise zu:

»Herr Kriegskommissär, es hat Ehrenhändel gegeben; es wird morgen Duelle geben. Beweisen Sie uns Ihre 90 Freundschaft und machen Sie die Sache für meinen Bruder ab, der, wie Sie sehen, zu erregt ist, um es selbst zu thun. Sie haben doch kaltes Blut und –«

»Ich?« fragte der Kriegskommissär, »ich kaltes Blut? Ein Duell –?«

»Auf Pistolen und Säbel!«

»Mit wem?«

»Mit dem Oberstleutnant; vielleicht auch mit dem Oberst,« entgegnete Eulalia.

Der Kriegskommissär sah die am Tische Sitzenden nach der Reihe an. Auf den Oberst hatte er seit einer Stunde ohnedies einen »Pick,« weil er so schadenfroh über das Gedicht lachte, – aber er zog es doch vor, seinen alten Bekannten, den Oberstleutnant auf sich zu nehmen, das heißt, die Sache zum Guten zu vermitteln. Den Damen gegenüber konnte er ja den furchtlosen Ritter spielen. Wenn nun von seiner Erklärung das Wohl und Wehe seiner Liebe abhinge? »Verschnapp dich nicht,« sagte er zu sich selbst und warf sich stolz in die Brust, als er antwortete: »Ich bin bereit, den Oberstleutnant auf mich zu nehmen! Ich will den Leuten, besonders diesem Oberleutnant beweisen, daß keine Tinte in meinen Adern fließt!«

»Ich danke Ihnen,« sagte Eulalia und reichte ihm die Hand. Der Kriegskommissär drückte einen Kuß auf dieselbe und als er jetzt sein Auge erhob – zu ihr erhob, was war es denn? Fiel es wie Schuppen von den seinigen? Diese Augen, die ihn jetzt so freundlich, so, er wußte nicht wie? anblickten – sah er sie heute zum erstenmale?

Er wollte sie mit Mathildens Augen vergleichen, aber diese waren von ihm abgewandt, sie suchten den entfernten Oberleutnant.

91 Der Kriegskommissär blickte wieder nach Eulalia. Ach! sie war längst über das Schwabenalter hinaus, ach! sie hatte schon einen Anflug von Schnurr- und Backenbart, ach! ihre Stimme klang schon in einem eigentümlichen Bariton, aber die Augen waren frisch und –«

»In den Augen liegt das Herz!« lispelte er ihr jetzt leise zu, indem er nochmals ihre Hand küßte.

»Sie Schelm!« entgegnete Eulalia lächelnd, »lassen Sie doch meine Hand frei.«

Aber er ließ sie nicht frei. Er wollte etwas sagen, aber es fiel ihm nichts ein, nur ein einziges Wort lispelte er ihr noch zu, dieses Wort war: »Mein Engel!« Dann erhob er sich rasch und eilte zu dem Tische des Oberstleutnants. Dabei rannte er beinahe den Oberst und den Oberleutnant nieder, die soeben herbeikamen. – Der Major hatte von alledem keine Notiz genommen. –

Der Oberst lachte in einem fort und machte durch seine Heiterkeit auch den Major wieder lebendig. Nachdem sich alles aufgeklärt, meinte der Oberst, da er die Schläge für den Oberleutnant bekommen, wolle er auch die Freude für ihn mitgenießen helfen und warb für ihn um Mathildens Hand.

»Ich habe sie leider schon dem Kriegskommissär zugesagt,« antwortete verlegen der Major. »Ich kann mein Wort nicht brechen.«

»Der Kriegskommissär wird mit sich reden lassen,« versicherte Eulalia. »Da kommt er soeben zurück.«

In der That stand er schon vor dem Tische, ganz erregt vor Zorn, denn der Oberstleutnant hatte ihn fürchterlich abfahren lassen.

»Was giebt's?« fragten ihn alle.

92 »Der Oberstleutnant schlägt sich nicht mit mir!« rief er. »Ich wollte die Angelegenheit zwischen ihm und dem Herrn Major vermitteln, aber er verletzte mich, ich forderte ihn, darauf hieß er mich gehen mit der Erklärung, daß er sich mit mir nicht schlagen könne.«

»Aber wer hieß Sie denn für mich vermitteln?« fragte der Major.

»Ich,« antwortete Eulalia, »und es war sehr ritterlich von dem Herrn Kriegskommissär, ich danke Ihnen.«

»Und ich möchte Sie bitten, solch unberufene Freundschaftsdienste ein andermal bleiben zu lassen,« sagte der Major.

»O, wenn ich ihm nur ankönnte!« rief der Kriegskommissär.

»Überlassen Sie mir die Sache,« sagte der Oberleutnant leise zu ihm.

»Ihnen?« Der Kriegskommissär sah ihn erstaunt an. Dann schien ein schneller Entschluß in ihm zu reifen. »Wohlan,« sprach er leise, »rächen Sie mich! Ich trete Ihnen dafür die mir zugedachte Braut ab. Ich sehe schon, daß ich zu alt für das Fräulein bin. Ich habe mich eines anderen besonnen. Gleich und gleich gesellt sich lieber; ich lenke meine Schritte zu Eulalia.«

»Topp, eingeschlagen!« rief der Oberleutnant heiter.

»Aber noch eines bitte ich mir aus,« setzte der Kriegskommissär bei. »Das Revisionsprotokoll müssen Sie mir geben. Mit dem will ich den Oberstleutnant ärgern.«

»Hier ist es!« sagte der Oberleutnant, einen Bogen Papier aus der Tasche ziehend.

»Grün und blau soll es ihm vor den Augen werden,« rief der Kriegskommissär.

93 Der Oberst wollte nun nicht länger stören und ließ die Glücklichen allein. Doch bat er sich die Ehre aus, bei der Hochzeit den Brautführer machen zu dürfen. Der Kriegskommissär eilte ihm nach und übergab ihm das soeben erhaltene Protokoll zur geneigten Durchsicht und beliebigem Gebrauche für heute Abend.

Wie vor einer Stunde »Quartiermeisters Liebesklage,« so las der neben dem Oberst sitzende Major diesem jetzt zur allgemeinen Belustigung das so viel besprochene Revisionsprotokoll vor. Der Oberstleutnant glaubte vor Wut und Ärger ersticken zu müssen, aber je grimmiger sein Gesicht wurde, desto herzlicher lachte der Oberst und mit ihm die ganze Feldherrnhalle.

Das Elaborat des Oberleutnants lautete:

 

N. Armeedivision. N. Inf.-Regmt.

Revisionsprotokoll

über jene Anstände, welche sich bei der Visitation der Bücher und Listen der N. Kompagnie für das 4. Quartal 185 . als noch aus früheren Jahren herrührend, ergeben haben und während des laufenden Quartals zu berichtigen sind.

1. Grundbüchel. – 2315 v. Christi Geburt, I. Quartal ist bei den Soldaten Adam und Eva die Rubrik »Stand der Eltern und ob solche noch leben« nicht ausgefüllt, was aus der Ablieferungsliste des Konskriptions-Bezirkes Paradies noch zu ergänzen ist.

2. Strafbogen. – 2314 v. Christi Geburt, III. Quartal ist die Strafe der ersten Sünde bei den Soldaten Adam und Eva in der 2. statt in der 3. Rubrik eingetragen. 94 Da diese Strafe nach der Art des in Kompagnie verschuldeten Vergehens sich unter die Kompagniestrafen eignet, so ist dies alsbald abzuändern.

3. Menagebüchel. – 2006 v. Christi Geburt, II. Quartal. Die eigenmächtige Vertauschung der Menage des Soldaten Jakob an den Gefreiten Esau hätte nicht geduldet werden sollen, und wäre bei besserer Beaufsichtigung dieses wichtigen Dienstzweiges durch den Herrn Offizier vom Tage nicht vorgekommen, was nachträglich gerügt werden muß.

4. Montur im Ratensystem. – 1976 v. Christi Geburt, II. Quartal. Der bei der Cisterne stattgehabte Raufhandel, wobei der Soldat Josef (vulgo der ägyptische) seinen Waffenrock verschleuderte, hätte sich zur Spezialuntersuchung geeignet; – jedenfalls hat das jetzige Kompagniekommando diesen Waffenrock, da dessen Tragzeit unbekannt, – als neu mit 6 fl. 33 kr. 4 hl. dem Militäraerar noch im Laufe dieses Quartals zu ersetzen, da dieses Monturstück bei seiner Auffindung im Walde aktengemäß als wertlos angenommen und abgeschätzt werden mußte.

5. Montur außer dem Ratensysteme. – 1977 v. Christi Geburt, I. Quartal. Der hellgraue Mantel, welchen derselbe Soldat Josef angeblich bei einer gewissen Potiphar zurückgelassen haben will, und dessen Brennzeichen nicht mehr genau zu ermitteln ist, ist in gleicher Weise vom jetzigen Kompagniekommando als neu mit 6 fl. zu ersetzen, und giebt zu der Bemerkung Veranlassung, daß auf besagten Soldaten Josef wegen fortgesetzter mangelhafter Beaufsichtigung seiner Monturstücke ein wachsameres Auge hätte gerichtet werden sollen. 95

6. Kammer- und Küchenrequisiten. – 809 v. Christi Geburt, III. Quartal. Nachdem die ägyptischen Fleischtöpfe, welche während der Kantonierung in Ägypten öfters erwähnt werden, sich weder in der Kompagnie-Verschlagsliste noch in dem unfehlbaren Haupt-Material-Nachweisungsbuche abgeschrieben finden, und mithin als gewiß anzunehmen ist, daß selbe noch in Händen der Kompagnie stehen, so sind dieselben noch im Laufe dieses Quartals vom jetzigen Kompagniekommando mit 57 fl. 42 kr. und 7 hl. zu ersetzen, und am nächsten Löhnungstage diese Summe abzuschlagen.

7. Verpflegsliste. – 6 v. Christi Geburt, IV. Quartal fehlt die Neuigkeit, wann der heilige Josef zum Pionier ernannt worden ist, und hat sich das jetzige Kompagniekommando zu verantworten, warum besagter Josef nicht nach Verlauf von zwei Jahren in die durch Reskript vom 8. April 1848 Nr. 33,765 festgesetzte Zulage von 1 kr. täglich sofort getreten ist.

24 nach Christi Geburt, II. Quartal. Nach dem Austrittsbillet hat der Soldat Jairus vor seinem Wiedererwachen 2 Tage als scheintot im Grabe gelegen. Es sind mithin dem Soldaten Jairus noch nachträglich zwei präsente Tage auszuwerfen, mit allen treffenden Gebühren beizunehmen, jedoch da derselbe während dieser Zeit keine Dienste gemacht hat, unter der Rubrik »tote Tage« wieder pro aeraria zu vereinnahmen.

29 nach Christi Geburt, II. Quartal. Nachdem der Gefreite Lazarus laut Divisions-Kommandoordre vom 3. August d. J. Nr. 17965 auf Grund des Gutachtens beider Sanitätskommissionen wegen unheilbarer scabies und vollendeten Krampfadersystems zu allen ferneren Militärdiensten 96 für untauglich erkannt und zum Realinvaliden ohne Anspruch auf irgend eine militärische Versorgung erklärt, sofort normalmäßig entlassen worden, so ist über das noch rückzuersetzende Propretätsgeld à 50 kr. beim nächsten Löhnungsempfange das Geeignete zu bethätigen, oder bei dessen nachgewiesener Vermögenslosigkeit das treffende Armutszeugnis noch nachträglich vom Königlichen Landgerichte Bethlehem zu erholen.

Commissio
N. Oberstleut.
N. Obleut.
N. Hauptm.
Gesehen zum Vollzug
das Regimentskommando
N. Obst.
                          N. Leut.
N. Unter-Quartiermst.
II. Cl.
N. Aktuar.

 

»Hier am Schlusse,« bemerkte der Major, »befindet sich auch eine Zeichnungsskizze des Vorstandes der Kommission; es ist ein Porträt –«

»Am Ende das meinige?« rief der Oberstleutnant.

»Bitte,« sagte der Oberst und nahm das Blatt, legte es sorgfältig zusammen und steckte es in die Tasche.

»Herr Oberst werden dieses Blatt doch nicht mehr zurückgeben?« fragte der Oberstleutnant.

»Warum nicht?« entgegnete dieser lächelnd. »Es soll ja morgen in die Redaktion der »Fliegenden Blätter« kommen.«

»Das darf nicht sein!« rief der Oberstleutnant aufgeregt. »Wer hat das Recht, meine Vergangenheit lächerlich zu machen!«

»Jedermann hat dieses Recht, Herr Kamerad!« erwiderte der Oberst ernst. »Wenn wir vom Schauplatz 97 abgetreten als einfache Pensionärs, wenn wir nicht mehr durch die oft mißbrauchte oder mißverstandene Gewalt das laute Urteil unserer Untergebenen zurückhalten können, dann muß es sich jeder gefallen lassen, Lob und Tadel über sich aussprechen zu hören. Was wir in unserer dienstlichen Machtsphäre ungestraft zu thun vermögen – die Strafe kommt hinterdrein in der öffentlichen Meinung, in der Achtung oder Abneigung, mit der man uns zugethan bleibt.«

»Und Sie dulden, daß dieses Blatt öffentlich bekannt gemacht wird?«

»Ich habe dem Oberleutnant nichts mehr zu befehlen. Ich glaube aber, er ließe mit sich sprechen, wenn Sie ihn dieser Ehre würdig erachteten. Sie haben ihn und den Kriegskommissär beleidigt, ohne ihnen Satisfaktion zu geben. Sie können das halten, wie Sie wollen; ich für meinen Teil habe andere Ansichten von Beleidigung und Genugthuung. Recht guten Abend!«

Damit empfahl sich der Oberst. Seine Zeit war längst überschritten. Bevor er das Lokal verließ, sagte er noch der Familie des Majors und den beiden Bräutigams herzlich gute Nacht und übergab das Protokoll seinem Eigentümer, ohne ein Wort dabei zu sagen. Bald verließ auch die kleine Gesellschaft das Lokal, um sich nach Hause zu begeben und dort noch in später Abendstunde eine Flasche echten Rheinweins, wie ihn der Major stets im Keller hatte, auf das Wohl der beiden Brautpaare zu trinken. Der Kriegskommissär wurde von Eulalia beim Gute Nacht wünschen sogar mit der süßen Anrede »holder Engel« beglückt. Wohl fühlte er auf dem Nachhausewege an seine Perücke und an seine rote Nase und dachte über 98 seine Einreihung in die Schar der Engel mit eigentümlichen Empfindungen nach.

»Alles wäre mir recht,« sagte er zu dem ihn begleitenden Oberleutnant, »wenn nur das Gedicht mit meinem Bilde nicht in den »Fliegenden Blättern« wäre!«

»Ah bah!« erwiderte der Oberleutnant. »Morgen kaufen Sie sich eine andere Perücke und lassen sich den Schnurrbart scheren, dann erkennt Sie niemand mehr. Ein Engel hat ohnedies nicht das Recht, einen Schnurrbart zu tragen.«

»Recht so, Herr Schwager,« erwiderte etwas taumelnd der gutmütige Kriegskommissär. »Aber der Oberstleutnant kommt hinein, nicht wahr? Sie geben mir Ihr Wort darauf, daß Sie das Revisionsprotokoll in die Redaktion der »Fliegenden« tragen.«

»Ganz gewiß. Mein Wort darauf! Für heute gute Nacht!«

»Gute Nacht, Herr Schwager!«

Der Hausschlüssel setzte sich in Bewegung und bald stolperte der Kriegskommissär die Stiege hinauf zu seiner Wohnung.

Der Oberleutnant ging allein seiner Wege. Als er in die Nähe seiner Wohnung kam, bemerkte er dort einen Mann auf und ab patrouillieren, den er für einen Gendarm hielt. Näher gekommen, erkannte er in der dunklen Gestalt – den Oberstleutnant.

»Ich erwarte Sie,« sagte dieser. »Ich habe Sie heute verletzt, Herr Kamerad, und wollte Ihnen persönlich mitteilen, daß ich bereit bin, Ihnen jede Genugthuung zu geben.«

»Sie überraschen mich, Herr Oberstleutnant,« erwiderte 99 der Angeredete. »Ich bin mit Ihrer Erklärung zufrieden und verlange keine andere Genugthuung mehr.«

»Aber noch eins,« sagte etwas zögernd der Oberstleutnant; »ich hoffe – das heißt, ich ersuche Sie, das Revisionsprotokoll nicht zu veröffentlichen.«

»Aha,« dachte der Oberleutnant, »damit habe ich ihn zahm gemacht.« Und laut erwiderte er: »Das hängt leider nicht mehr von mir allein ab. Ich gab dem Kriegskommissär mein Wort, es der Redaktion zu übergeben und mein Wort breche ich niemals.«

»So werde ich sorgen, daß Ihnen der Kriegskommissär Ihr Wort zurückgiebt,« sagte der Oberstleutnant.

»Wie es Ihnen beliebt, Herr Oberstleutnant«, entgegnete fröhlich der andere.

»Und Sie beehren doch nach wie vor unsere Gesellschaft mit Ihrer Gegenwart?«

»Nein,« antwortete der Oberleutnant. »Ich besuchte die Gesellschaft nur, weil ich mich meinem jetzigen Schwiegerpapa nähern wollte. Künftig gehe ich dahin, wo man mich nicht als »den Oberleutnant« bedauert und begnadigt, sondern wo ich als gebildeter Mann geachtet bin. Ich wünsche Ihnen gehorsamst eine gute Nacht!«

Damit sperrte er die Hausthür auf, und der Oberstleutnant ging halb erleichtert von dannen.

Der Kriegskommissär, angethan mit weißer Zipfelhaube und einem alten geblümten Schlafrock, war am andern Morgen eben damit beschäftigt, seinem Schwarzblättchen eine gelbe Rübe zu reiben, als er durch den Besuch des Oberstleutnants überrascht wurde.

Der Kriegskommissär war aber nicht so leicht »herum zu kriegen« wie der Oberleutnant. Er erinnerte sich aller 100 Chikanen, welche er jahrelang von dem Manne zu erdulden gehabt, und die ihm gestern kundgegebene Verachtung lag ihm noch im Magen. Zudem fühlte er sich als Eulalias »Engel« und wollte dem Oberstleutnant beweisen, daß auch ein Tintenklexer Mut und Ehrgefühl habe. Kurz, es kam zu unliebsamen Erörterungen, die so heftig wurden, daß der Kriegskommissär außer Rand und Band geriet und das Vogelnirschchen nach dem Oberstleutnant warf, so daß dieser eiligst sich aus dem Staube machen mußte, wollte er nicht noch mit größerem Meublement in Fühlung kommen.

So mußte also der Oberleutnant, seinem Worte getreu, das Protokoll in die Redaktion der Fliegenden Blätter tragen.

Der Oberstleutnant war wütend. Er sann auf Mittel zur Rache. Abends vertraute er dem Obersten an, wie weit er sich gedemütigt und wie er trotzdem nichts erreicht habe, dieser aber tröstete ihn, indem er meinte, wenn er sich mit dem Oberleutnant versöhnt habe, werde dieser die Sache schon in Ordnung bringen trotz seines gegebenen Wortes.

In diesem Augenblick brachte die Kellnerin einen soeben eingetroffenen Brief des Oberleutnants für den Oberstleutnant. Dieser öffnete rasch das Schreiben und las folgende Zeilen: »Ich mußte, meinem Worte getreu, das fragliche Protokoll der Redaktion der Fliegenden Blätter übergeben, bezweckte jedoch, daß es sofort als »nicht brauchbar« zurückgeschickt wurde.«

»Sagt ich's nicht!« rief der Oberst.

»Ja, ja, der Mann versteht sich wirklich auf Kameradschaft,« meinte der Oberstleutnant. »Schade, daß er unsere Gesellschaft künftig nicht mehr besuchen will!«

101 »Er wird kommen, wenn wir als Pensionisten aufhören, den Zopf als unsere Standarte hoch zu halten,« versicherte der Oberst. –

Der »Herr Oberleutnant« mußte noch lange Zeit vorzugsweise als Thema der Unterhaltung in der Feldherrnhalle dienen, besonders war dieses an dem Tage seiner Trauung mit Mathilde der Fall, welche der Oberst als Brautführer an den Altar führte.

Die neu geschlossenen Ehen waren glücklich, die alten Hagestolze fühlten als neugebackene Ehemänner jeder eine Portion Jugendkraft in sich aufleben und der Major lernte durch den Oberleutnant sogar noch die Freuden und die Würde eines Großpapas kennen.

Die Feldherrnhalle aber führte gewohnheitsgemäß ihre ruhigen, wortkargen Sitzungen fort; einer oder der andere blieb wohl aus, weil er dem großen Verschlagssergeanten »einliefern« mußte, dafür aber kamen neue, meist unzufriedene, sich verkannt glaubende oder wirklich verkannte Pensionisten, nicht nur alte, sondern auch noch jugendliche Männer, die sich was darauf zu gute thaten, im Jahre 1866 die Feuertaufe vor dem Feinde erhalten und den siegreichen Krieg von 1870 und 71 mitgekämpft zu haben. Das verdroß die alten, die nur Schulmanöver und Lager in ihrer Erinnerung hatten, und einer um den andern zog sich zurück, nur wenige blieben, unter ihnen der wackere Oberst, der sich in die neue Zeit gar leicht zu finden und alten wie jungen Kameraden zu imponieren verstand. 102


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