Maximilian Schmidt
Humor (erste Reihe)
Maximilian Schmidt

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Das fatale Bündel.Die in dieser Humoreske erzählte Begebenheit spielt in München.

Der Privatier Brauneberger war einer jener vielbeneideten Sterblichen, welche sich um das tägliche Brod nebst Zubehör nicht zu kümmern brauchen, ein Mann, der von den Renten seines Kapitals lebte, zu welchen er ohne jede Schwierigkeit gekommen – infolge einer Erbschaft. Das Kapital war in Aktien der bayerischen Hypotheken- und Wechselbank sicher und fruchtbringend angelegt; er hatte keine Sorge, konnte ruhig schlafen, gut essen und trinken, und das schlug Herrn Brauneberger ganz vortrefflich an. Den kleinen Kaufladen, den er früher inne gehabt, gab er, zum reichen Manne geworden, auf. Er wollte nichts als ein Privatier, der Mann seiner Frau und der Vater seiner Tochter Susanne sein. Die Frau war ein äußerst sanftes Geschöpf; sie bot alles auf, den Gatten bei guter Laune zu erhalten, sie gab ihm niemals Gelegenheit, sich aufzuregen, alle seine Wünsche las sie ihm von den Augen ab und ihr Töchterchen erzog sie zu einem braven und bescheidenen Mädchen.

Herr Brauneberger sagte und dachte sich oft, daß er den Himmel auf dieser Welt schon habe, er konnte sich kein glückseligeres Leben wünschen. Täglich machte er 103 zweimal seine Promenade, am liebsten zu den Neubauten. Da schlug er dann seine Stunden tot mit Arbeiten – zusehen. Ein kleiner Rattenfänger, auf den Namen »Buzl« gehend, war sein ständiger Begleiter.

Herr Brauneberger erschien stets in Zylinderhut, der von Quartal zu Quartal ausgedehnt oder neu ersetzt werden mußte, da sein Kopf stetig an Umfang zunahm. Ein Doppelkinn bildete die Unterlage des feisten, glattrasierten Gesichtes, Schultern und Rücken gestatteten den Vergleich mit einem Tanzbären, und seine Körperfülle war gleichsam eine Biographie ohne Worte. Da er niemals ein Gast- oder Kaffeelokal besuchte, ebensowenig das Theater oder sonst einen Vergnügungsort, so hatte er, im ganzen genommen, wenig Zerstreuung. Hingegen gestattete er seiner Frau und seiner Tochter, welch letztere bei den englischen Fräulein in Nymphenburg eine vortreffliche Erziehung genossen hatte, nach Belieben Theater und Konzerte zu hören, und er hatte auch nichts dagegen, daß sie im Sommer einige Wochen Landaufenthalt nahmen, wenn nur er nicht dabei zu sein brauchte.

Die fünf Maß Hofbräuhausbier, welche sein tägliches Quantum bildeten, mochte er auch um der schönsten Landschaft nicht entbehren, denn es galt ihm eine Landschaft nicht mehr oder weniger, als eine andere, aber das Münchener Hofbräuhausbier galt ihm für das Höchste im Leben. Kurz, Herr Brauneberger hatte alles, was er sich wünschte, und sein Gesicht strahlte sozusagen vor Glück und Zufriedenheit.

So ging es lange Jahre, nichts änderte sich in seinen Verhältnissen, in seinem Leben, und doch zeigte sein Gesicht immer weniger den an ihm früher so gewohnten, 104 zufriedenen Ausdruck. Ein gewisses Mißbehagen faßte in seinem Herzen Wurzel, er wußte selbst nicht, wie das kam. Sein Lebenskahn fuhr immer so gleichmäßig dahin, ohne den leisesten Widerstand, – weder Ärger noch Verdruß, weder Sorge noch Trauer schlugen auch nur die leiseste Welle nach dem sicheren Fahrzeuge. Es war ein ewiges Einerlei.

Ein Bekannter aus früherer Zeit, ein Tischlermeister, dem das Leben mit all seinen Licht- und Schattenseiten wohl bekannt war, begegnete Herrn Brauneberger auf seinem Spaziergange mit dem Buzl.

»Wie geht's, lieber Freund?« fragte der Privatier den Tischlermeister.

»So, so, la, la!« entgegnete der Angeredete. »Man schlägt sich halt durch, so gut es geht. Es hängt zum Glück nicht immer nach einer Seite. Heute Regen, morgen Sonnenschein, heute Sturm, morgen Windstille. Unser Herrgott hat's schon weislich so eingerichtet. Bei dir natürlich giebt's nichts als Sonnenschein! Ich gönn' dir's von Herzen und doch möcht' ich nicht mit dir tauschen. Mir schmeckt nur das Brot, das ich mir durch Arbeit verdiene. Je mehr ich mich plagen muß, desto freudiger bin ich g'stimmt. Faulenzen könnt ich nicht um die ganze Welt, das macht mich völlig grandig (grämlich).«

»Grandig?« wiederholte Herr Brauneberger.

»Ja, verdrießlich, mürrisch, kurzum – grandig!« entgegnete der andere.

»Schau,« versetzte jetzt der Privatier, »mir ist, als hättest du mir meine Krankheit genannt. Grandig, ja, ja, das ist das erlösende Wort: Ich bin grandig.«

»Das kommt daher, weil du kein Leid und nur immer 105 Freuden hast. Wenn du dich dann und wann recht ärgern, wenn du dich sorgen und mitunter Not leiden müßtest, dann wär's anders. Aber so! Denk an die Wassertümpel, die keinen Ab- und Zufluß haben, sie werden faul, schimmelig und schlammig; dagegen ein Wasser, das sich rühren kann, das bleibt frisch und rein. So ist's auch beim Menschen. Rühren muß sich's, 's Blut muß zuweilen in schnellere Gangart kommen, Abwechslung muß sein im Leben, dann vergeht's einem, grandig zu sein. Jetzt b'hüt dich Gott! Mir pressiert's, ich muß heut' noch eine Arbeit fertig machen, und dann freu' ich mich auf meinen Abendtrunk, eine Maß Bier. Adieu!«

Herr Brauneberger sah dem sich Entfernenden ganz verblüfft nach.

»Er freut sich auf seine eine Maß Bier,« sagte er zu sich, »und ich trink' fünf, und freu' mich nicht. Ich freu' mich überhaupt auf nichts mehr, auf gar nichts. Der Tischler hat recht, mein Blut muß in Wallung kommen, ich muß mich ärgern. Wenn ich mich nur über etwas recht ärgern könnt'!«

Er dachte nach. Wären nicht gerade Frau und Tochter auf einige Tage am Starnbergersee zur Erholung gewesen, so hätte er vielleicht irgend einen Anlaß genommen, zu Hause eine Ursache zum Ärgern zu suchen; er war aber bereits so phlegmatisch geworden, daß er aus seiner Ruhe nur schwer aufzustören war.

Er nahm sich jedoch vor, bei der Rückkehr in seine Wohnung die Köchin als erstes Objekt zum Ärgernis zu nehmen. Es war gerade Freitag. Zur Abendmahlzeit war ein Karpfen bestellt.

»Ich zank' die Köchin in jedem Fall,« plante er. 106 »Hat sie den Fisch gebacken, so sag' ich, ich hätt' ihn blau abgesotten gewünscht, hat sie ihn blau abgesotten, dann möcht' ich ihn gebacken. Sie wird mir widersprechen, ich werd' ihr meine Meinung sagen, und so will ich mich ärgern, so gut es geht.«

In solch löblichem Vorhaben kam er zu Hause an. Die Köchin erwartete ihn bereits mit einem freundlichen Gruße.

»Gnä' Herr,« fragte sie, »wie ist Ihnen der Fisch gefällig? Wünschen Sie ihn blau gesotten oder gebacken?«

»Ja, ist er denn noch nicht fertig?« fragte Herr Brauneberger enttäuscht und ärgerlich, daß er sich nicht ärgern konnte. »Ich will ihn gebacken haben.«

»Bis Sie sich's bequem gemacht haben, kann ich anrichten. Sie werden eine Freude haben, denn es ist ein prächtiger Spiegelkarpfen.

Sie eilte in die Küche.

Die Mahlzeit schmeckte Herr Brauneberger; dann trank er sein Abendbier. – Ärgern konnte er sich mit dem besten Willen nicht. – Ein paar Tage später begegnete er abermals dem Tischler, welcher soeben an der Trambahnhaltestelle an der Ecke der Galeriestraße dem Wagen entstiegen war und demselben in grade nicht gewählten Worten nachschimpfte.

»Warum bist denn so aufgeregt?« fragte Brauneberger den Tischler.

»Geärgert habe ich mich über so ein paar Faulenzer, denen es nicht recht war, daß ich mein Bündel mit Handwerkszeug neben mich hinlegte, das ihnen zu viel Platz einnahm. Und waren doch nur fünf in der Reihe.«

»Da hätt' ich halt zwei Plätze bezahlt,« lachte Herr 107 Brauneberger, »dann möcht' ich wissen, ob dir jemand was anhaben könnte. Warum kann mir so etwas nicht passieren? Mich einmal recht ärgern, das müßte eine wahre Wohlthat sein! Hast mir ja selbst gesagt, daß mein Blut zu langweilig läuft. Aber was kann ich dafür, wenn mich niemand ärgern will! Es ist grad', als wenn sich alle Leute verschworen hätten, gegen mich recht höflich zu sein und mir alles nach Wunsch zu thun. Wie gern möcht' ich so recht in Wut geraten, so, wie du vorhin.«

»So?« lachte der Tischler jetzt seinerseits, und einem plötzlichen Einfall nachgebend, fuhr er fort: »Ich wett' mit dir, daß du binnen – sagen wir einer halben Stunde so außer Rand und Band kommst, daß du dich vor Wut gar nicht mehr auskennst.«

»Das wettest du?« fragte Brauneberger. »Wie wäre das möglich, heute schon gar, wo ich von meiner Alten und meiner Susanne einen so lieben Brief bekommen habe, heute ist das gar nicht möglich,« behauptete Brauneberger.

»Wetten wir?« fragte der Tischler. »Ich habe nichts zu verlieren, aber ich wette um hundert Mark. Schlag' ein!«

»Von jetzt an – es ist halb sieben Uhr – in einer halben Stunde. Recht! Ich wette; es gilt! Also, was soll ich thun?« fragte Brauneberger lachend.

»Du steigst in den nächsten Trambahnwagen der Ringlinie und fährst bis zum Sendlingerthor, aber du belegst zwei Plätze, einen für dich, den anderen für das Bündel mit meinem Handwerkszeug. Du giebst wir aber das Wort, daß du den Platz niemand gutwillig einräumst, du mußt die beiden Plätze bis zum Sendlingerthor behaupten. Dort erwart' ich dich. Steigst du aus, ohne 108 dich geärgert zu haben, und reichst du mir lachend die Hand, dann habe ich verloren. Im andern Falle hab' ich gewonnen.«

»So, jetzt entschließ' dich; der Wagen kommt schon.«

»Brüderl,« entgegnete Brauneberger lachend, »die 100 Mark gehören schon mir. Gieb her dein Bündel, ich thu' nach deiner Vorschrift. Was sollte mir auf der kurzen Fahrt passieren? Aber was fang ich mit meinem Buzl an?«

»O, der lauft schon mit,« meinte der Tischler. »Am Sendlingerthor auf Wiedersehen! Glückliche Fahrt!« Er half dem dicken Privatier beim Einsteigen, reichte ihm das Bündel mit dem Arbeitszeug und schlug dann vergnügt den Weg nach dem Sendlingerthore zu ein, welches er gut vor Ankunft des Trambahnwagens, der einen weiten Umweg machte, erreichen konnte.

Der Buzl wollte durchaus mit auf den Wagen, aber sein Herr bedeutete ihm, daß er nebenher laufen müsse, und der Hund schien es verstanden zu haben, denn er that genau nach seines Herrn Befehl. Brauneberger aber begab sich in das Innere des Wagens und legte den großen Pack neben sich.

»Den Pack müssen Sie beim Kutscher niederlegen,« sagte der Kondukteur.

»Bitte,« entgegnete Brauneberger, »ich möcht' ihn neben mir haben. Ich bezahl' zwei Plätze. Hier ist das Geld – bis zum Sendlingerthor – und hier 10 Pfennig extra für Sie.«

Der Kondukteur lachte. »Mir ist's recht,« sagte er, »aber es wird nicht ohne Anstand abgehen. Um diese 109 Zeit ist's immer am vollsten; da fahren die Arbeiter heim und Theaterzeit ist's auch.«

»Ich hab' das Recht für zwei Plätze,« meinte Brauneberger unbesorgt, indem er die zwei Zettel auf dem Hute befestigte.

Die noch im Wagen sich befindenden vier Fahrgäste sahen sich lächelnd an.

An der nächsten Haltestelle wechselte der Kondukteur mit einem anderen. Es stiegen drei Personen ein, eine Dame und zwei Herren. Einer der letzteren sah mißvergnügt nach dem großen Bündel Braunebergers. Dieser jedoch konnte nicht darauf achten, denn wider Fug und Recht drängte sich sein Buzl zur Thüre herein.

»Der Hund muß fort!« rief der Kondukteur.

»Buzl, geh' naus!« gebot Herr Brauneberger, aber der treue Hund schlupfte unter die Bank und wollte nicht hervor.

»Lassen's den armen Kerl da,« meinte Brauneberger; »ich zahl' für ihn, wenn's sein muß, doppelt.«

»Ich darf nicht, werd' g'straft!« sagte der Kondukteur. »Machen Sie, daß Sie das Vieh hinausbringen!«

»Das ist ein schönes Verreckerl!« bemerkte lachend einer der Herren und die anderen lachten mit.

Brauneberger wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er das Tier am Genick packte und es trotz des Geheules vom Trittbrett auf das Pflaster hinabließ. Etwas echauffiert kehrte er in den Wagen zurück, aus welchem inzwischen das Bündel entfernt worden. Der Kondukteur hatte es auf dem vorderen Trittbrett neben dem Kutscher niedergelegt.

110 »Wer hat meinen Pack weggenommen?« fragte Brauneberger.

»Ich,« entgegnete der Kondukteur; »da draußen liegt er.«

»Er gehört aber herein! Er hat bezahlt!« rief Brauneberger.

»Wer hat bezahlt?« fragte unter allgemeinem Gelächter der Kondukteur.

»Der Pack hat bezahlt –«

Wiederholtes Gelächter. Brauneberger ärgerte sich jetzt in der That.

»Ha, ha, ha!« spottete er nach. »Lachen Sie, so viel Sie wollen. Ich habe zwei Marken – der Pack muß herein.« Und er eilte zur vorderen Thüre, schob sie auf, nahm sein Bündel und legte es wieder neben sich.

Der Kondukteur, welcher auf dem hinteren Trittbrett Marken abgegeben hatte, kam herein und sagte: »Mein Herr, wenn noch ein Passagier mehr kommt, muß der Pack wieder verschwinden!«

»Oder was!« erwiderte Brauneberger.

Bei einer der nächsten Haltestellen traf es sich, daß in der That zwölf Passagiere im Wagen waren. Der zwölfte, ein Arbeiter, konnte sich aber nicht setzen wegen Braunebergers Bündel.

»Sie erlauben's,« sagte er, »thun's den Pack weg, ich möcht mich setzen.«

»Der Pack hat bezahlt,« lautete Braunebergers Antwort.

»Sechs Personen müssen Platz haben auf einer Bank,« rief der Kondukteur. »Hier sind nur fünf, also fort mit dem Bündel.«

111 »Aber der Bündel hat bezahlt!« rief Brauneberger.

»Aber der Bündel ist keine Person,« gab der Kondukteur zurück.

»Da macht man wenig Umständ'!« rief der Arbeiter, nahm das Bündel, warf es zu Braunebergers Füßen und setzte sich auf den Platz.

»Oho! oho!« rief Brauneberger.

»Ja, oho!« wehrte der Arbeiter. »Glauben Sie, Ihre zehn Pfennige sind mehr wert als die meinen? Warum fahren's in keiner Droschke, wenn Sie so viel Platz brauchen? Alle Teufel, rücken's, ich kann mich ja kaum rühren.« Damit drückte er gegen seinen Nachbar, der bereits ganz erzürnt sagte: »Ich bitt' mir mehr Manier aus! Sie – Sie – Sie sind ein –«

»Ja, Sie sind auch ein –«

»Kondukteur, schaffen Sie Ruhe, bevor es zu Thätlichkeiten kommt,« rief jetzt ein Herr.

Der Gerufene erschien.

»Aber erlauben Sie mir,« wandte er sich an Brauneberger, »wenn nicht bald Ruh' wird, muß ich Sie entfernen. Der Pack da, ich sag's zum letztenmal, der gehört nicht herein. Außen beim Kutscher ist Platz dafür, so lange nicht mehr Personen kommen.« Und indem er das Bündel abermals zur vorderen Thür hinausschob, fuhr er ärgerlich fort: »Es kommt bald so weit, daß die Leut' noch Kleiderkasten mit in die Trambahn nehmen.«

»Aber ich hab' dafür bezahlt. Der Pack ist eine Person!« rief Brauneberger.

Alle lachten ihn aus. Der Arbeiter aber gab den übrigen durch Zeichen zu verstehen, daß er vermute, der dicke Herr müsse wohl verrückt sein.

112 Brauneberger hatte diese Zeichen wohl bemerkt. Er sah seinen Nachbar mit einem durchbohrenden Blick an; dieser lachte ihm frech ins Gesicht.

In Brauneberger kochte es. Welche Wohlthat wäre es ihm gewesen, wenn er dem Frechen eine hinter's Ohr hätte versetzen dürfen. »Aber ich riskiere Schläge dabei,« sagte er sich im Geheimen. »Hätte ich nur die Wette nicht eingegangen! Aber nun heißt's aushalten.«

Der Wagen hielt jetzt am Bahnhofsplatz. Wenigstens zwanzig Personen wollten einsteigen. Sie kletterten auf der Vorder- und Rückseite des Wagens hinauf, trotz des Kondukteur-Rufes: »Besetzt!«

Braunebergers Bündel genierte jetzt ganz erheblich.

»Sie müssen aussteigen. Den Pack kann ich nicht mehr im Wagen lassen,« sagte der Kondukteur.

»Ich habe bezahlt und bleib'!« entgegnete Brauneberger. »Hier sehen Sie« – er zog dabei den Zylinder ab und nahm die Marken in die Hand – »zwei Marken: eine für mich, eine für den Pack.«

»Dann gehen Sie auf die vordere Plattform und stellen sie sich auf Ihren Pack; anders geht's nicht,« riet man ihm. In diesem Augenblick hörte man ein entsetzliches Hundegeheul. »Jesses, Jesses, mein Buzl!« schrie Brauneberger. »Was ist's mit meinem Buzl?«

Indem er zur Wagenthür eilte, trat er den Mitfahrenden heftig auf die Füße und erweckte dabei einen allgemeinen Unwillen, ebenso bei den Außenstehenden, die er kräftig auseinanderdrängte, um sich Platz zu schaffen.

»Buzl! Buzl!« schrie er aus Leibeskräften.

Der Hund hörte die Stimme seines Herrn, kam herangesprungen und lief wieder mit dem Wagen.

113 Brauneberger hatte in seiner Aufregung die Marken unbemerkt aus der Hand fallen lassen. Er schob sich wieder in den Wagen hinein, wankte und schwankte nach der vorderen Plattform, stieß und wurde wieder geschoben und gestoßen und bekam manche unangenehme Titulatur zu hören. Alles schimpfte über das große Bündel, das so viel Raum wegnahm, Brauneberger selbst am meisten, denn wenn er sich darauf stellte, stieß er oben an die Decke, stieg er herab, so trat er den andern auf die Füße.

Das Fluchen!

Jetzt drückte sich zum Überfluß noch der Kontrolleur unter sie.

»Billets vorzeigen!« rief er.

Brauneberger wies nach seinem Hut.

»Da seh' ich nichts oben,« sagte der Kontrolleur.

»So thun's halt Ihre Augen auf!« erwiderte der Privatier gereizt.

»Ich hab' sie auf,« bemerkte der Beamte. »Wo ist Ihr Billet?«

Brauneberger, der wie eingekeilt stand, zwängte seinen Arm aus der Menge, nahm so gut es ging, den Hut ab und bemerkte, daß die Marken fehlten. Er erinnerte sich gar nicht mehr, daß er sie selbst herabgenommen.

»Die muß mir jemand gestohlen haben,« sagte er jetzt, die Umstehenden mit eigentümlichen Blicken musternd.

»Was?« rief einer der Mitfahrenden. »Gestohlen? Soll'n wir etwa –«

»Hauts eam sein Fäiba (Hut) ein!« rief ein anderer in schmutziger Arbeitstracht. Und – piff! paff! Der Hut Braunebergers zeigte sofort eine jener Verwandlungen, 114 die am besten mit dem Blasbalg einer Zugharmonika vergleichbar sind.

Jetzt aber schimpfte er, wie seit undenklichen Zeiten nicht mehr. Dabei sah er so possierlich aus, daß die eng an ihn gepreßten Nachbarn geradezu in einen Lachkrampf verfielen. Dazu mußte er sich noch ein neues Billet lösen. Gleich darauf hörte er wieder seinen Buzl bellen.

»Buzl! Buzl! herein! herein!« schrie er.

Er neigte sich hinaus, da fiel ihm unglücklicherweise der soeben wieder aus der Stirn geschobene Hut vom Kopfe.

»Halt! halt! Mein Hut!« rief er. »Buzl, schön apport!«

Buzl hatte gehört und sofort den Hut erfaßt

»Wenn nur den verdammten Pack der Teufel holte!« rief jetzt ein Mann, der sich soeben an das Bündel gestoßen. »Es ist eine Unverschämtheit, die Leute so zu genieren. Verstanden, Sie – Sie –«

»Wer, ich?« rief Brauneberger.

»Ja, Sie! Wenn Sie den Pack nicht gleich wegthun, werf' ich ihn zum Wagen hinaus.«

»Das probieren's!« entgegnete der Privatier. »Dann kann sein, daß – was g'schieht.«

»G'schieht, was will!« rief der andere dagegen. »Mit so rücksichtslosen Leuten macht man nicht viel Federlesens,« nahm das Bündel und warf es hinaus.

»Herr Kondukteur! Herr Kondukteur!« schrie Brauneberger. »Ich protestiere! Ich will meinen Pack!«

Der Kondukteur, welcher soeben das Zeichen zur Abfahrt von der Haltestelle gegeben, hörte bei dem allgemeinen Lärm und Gelächter nicht sogleich die Rufe des Hilfesuchenden.

Der Hund lief neben dem Wagen, den ruinierten 115 Hut apportierend, lustig nebenher. Seinem Herrn rannen die Schweißtropfen von der Stirn.

»Gemeines Volk!« räsonierte er. »Wer sich unter euch mischt, ist verloren!«

Da kam er aber übel an.

»So eine Frechheit!« hieß es. »Er will uns Arbeiter verachten, der Faulenzer!«

»Werft's 'n 'naus!« schrieen andere.

In diesen Richterspruch stimmten all ein. Er ward, trotz Braunebergers Gegenwehr, auch vollzogen. Als am Sendlingerthor der Wagen Halt gemacht, flog Brauneberger hinaus. –

Der Tischler empfing ihn mit offenen Armen.

116 »Die Hallunken!« schrie Brauneberger, hochrot vor Zorn. »Vergiften könnt' ich sie, die miserablen –«

»Ruhig, ruhig!« besänftigte der Tischler den Freund, außer sich vor Freude. »Wenn ein Gendarm kommt, arretiert er dich wegen öffentlicher Ruhestörung.«

»Das ging mir g'rad noch ab!« schrie der andere. »Um Gotteswillen, mein neuer Hut!« fuhr er entsetzt fort, dem Buzl die arg zugerichtete Kopfbedeckung aus dem Maule nehmend.

»Aber wo ist mein Bündel!« fragte der Tischler.

»Der Teufel hol' dein Bündel und dich dazu! Beim Stachus droben haben sie's aus dem Wagen g'worfen, die Lumpen, die Tagediebe, die –«

»Bst! bst!« beruhigte der Tischler. »Es sind Arbeiter. Die haben sich einen Spaß mit dir gemacht, du grantiger Faulenzer.«

»Einen Spaß? Mit mir?« fragte Brauneberger, ein äußerst dummes Gesicht machend.

»Geärgert, mein' ich, hast du dich rechtschaffen. Dein Blut wallt noch. Ich hab' die Wette gewonnen. Die hundert Mark hol' ich mir morgen. Hoffentlich bekomm' ich das Bündel mit dem Arbeitszeug wieder, sonst mußt du mir auch dies mit – fünfzig Mark ersetzen. Die Fahrt hat sich für mich rentiert.«

Jetzt erst dachte Brauneberger wieder an die Ursache dieser Vergnügungsfahrt. Er atmete hoch auf. Sein Gesicht nahm allmählich einen ruhigeren Ausdruck an und heiterte sich zuletzt ganz auf.

»Freunderl,« sagte er, »was einem in einer halben Stunde alles passieren kann, ich hätt' es nie geglaubt! Und wirklich – mir ist schon lange nicht mehr so wohl 117 gewesen. Ja, du hast wahrhaftig Recht; das Blut muß in Bewegung kommen, wenn man sich wohl fühlen, wenn man nicht grantig werden soll. Aber dein Bündel fahr' ich auf der Trambahn nie mehr spazieren. Das hat mir genug Püffe eingebracht. Es war geradezu schandvoll, und gar so eindringlich möchte ich meine Kur doch nicht fortsetzen. Weißt, dieser Doktor »Trambahn« ist wir zu grob!«

»Dann weiß ich für dich einen anderen,« sagte lachend der Tischler, »nämlich den Doktor »Hobler«. Komm jeden Tag eine Stunde zu mir zum Hobeln. Ich lern' dir's schon; und paß auf, du hobelst dir die Grillen für alle Zeiten weg.«

»Das ließ' ich mir schon eher gefallen,« meinte Brauneberger. »Jetzt laß uns um das vermaledeite Bündel Umschau halten. Die Wette hast du gewonnen. Ich bin um hundert Mark ärmer, aber um eine sonderbare Erinnerung reicher, denn die Püffe, die ich bekommen, werde ich noch lange spüren, und so oft ich daran denke, wird mein Blut rebellisch werden. Morgen aber fahre ich zu meiner Frau und Tochter aufs Land und bleibe bei ihnen. Abwechslung muß sein, das ist wahr, sonst wird man schimmelig, wie's stehende Wasser, und grantig, oder –«

»Du mußt wieder eine Trambahnfahrt mit meinem Bündel machen,« lachte der Tischler.

Brauneberger aber erwiderte schnell und entschieden: »Einmal und nicht wieder!« 118


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