Maximilian Schmidt
Humor (erste Reihe)
Maximilian Schmidt

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Ein Geschwisterkind.Vom »Deutschen Soldatenhort« in Berlin mit dem 1. Preis gekrönte Militärhumoreske.

Leutnant Felhuber vom bayerischen x. Infanterie-Regiment zählte zu den beliebtesten Offizieren der Festungsgarnison. Er, sowie Leutnant Schlosser – beide standen bei verschiedenen Regimentern des Platzes – waren die Arrangeure von vielerlei Vergnügungen und erwarben sich dadurch den Dank aller, besonders aber der Damenwelt. Felhuber hatte ein hübsches, männliches Äußere und war in seiner Denkungsart ein vollkommener Kavalier, wenn er auch in seinem bürgerlichen Wappen nur den Pflug führte.

Sein Vater war ein wohlhabender Großgrundbesitzer. Doch war es nicht das Bewußtsein seiner guten materiellen Lage allein, das ihn wagen ließ, seine Augen zu dem Töchterchen des alten, gestrengen Festungskommandanten zu erheben, das sein Herz in Fesseln geschlagen; das schöne Fräulein selbst hatte ihn bei Cotillontouren sichtlich ausgezeichnet und die meisten Orden, welche er am Aschermittwoch an den Spiegel heftete, wobei er gleichsam die schöne Zeit des nun verflossenen Karnevals nochmals geistig durchlebte, – sie waren von Laura.

36 Und »An Laura« brachte er jetzt, gleich Friedrich von Schiller, seine innersten Gefühle in Verse und verewigte sie auf rosa Papier, das der Holden früher oder später bestimmt sein sollte. Er plagte gerade sein Genie um einen passenden Reim auf »Durst«, denn es hieß aus einer Zeile: »Du stilltest meiner Seele heißen Durst,« worauf er immer nur »Wurst« fand. Das Bild eines Fleischerladens mußte natürlich seine poetische Stimmung beeinträchtigen und diese schließlich ganz verflüchtigen.

Es hatte geklopft und herein kam ein junger, häßlicher Bursche. Eine Mütze aus Fuchspelz war auf den dicken Kopf gestülpt, ein grün und rot gestrickter Shlips doppelt um seinen Hals gewunden. Dazu trug er eine abgenutzte Jacke und lange Lederhosen, feste Schnürschuhe und in den mit wollenen Fäustlingen bedeckten Händen den langen Haselnußstock.

Alles an dem Menschen war plump: der runde Kopf, der weite Mund mit den dicken, schwulstigen Lippen, deren obere ein dunkelroter, vernachlässigter Schnurrbart bedeckte, die große, etwas gebogene Nase; sehr weit und groß waren sogar seine ins Grünliche spielenden Augen. Sein zwanzigjähriges Alter war das schönste von ihm.

»Wollt Ihr zu mir?« fragte ärgerlich der Offizier.

»Ja freili, Herr Litnant – kennst mi denn nit? I bin ja der Johann Meier, dei' G'schwisterkind; 's Hanserl bin i vom Viehhändler Meier. D' Schwester von deiner Muatta is ja mei' Muatta. No', so grüaß di halt Gott!«

»Gruß Gott!« erwiderte der Offizier. »Der Hans bist? Dich hab' ich ja seit acht Jahren nimmer g'sehn. Leg doch ab!« Dabei blickte er nach der Pelzkappe des andern.

37 »Bin so frei,« entgegnete dieser, Mütze und Stock auf den Tisch legend und sich dann bequem aufs Sopha setzend.

»Was treibst d' denn? Was bist denn?« fragte der Offizier.

»Nix bin i. Nach Schrullhausen hab' i a Herd Ochsen mittreib'n helfen und da hab' i mir denkt, mach' i mein Vettern a Freud, hab' i mir denkt, und überrasch'n. Der wird schaug'n! hab' i mir denkt.«

»Ich schau auch,« entgegnete Felhuber.

Dieser nach allem Möglichen duftende, gemütliche Vetter war gerade genug für den Aschermittwoch. Er war der Sohn eines reichen, aber geizigen Viehhändlers und mehr im Stall, wie in der Stube erzogen worden.

»Schade, daß du nicht gestern gekommen bist,« meinte der Offizier sarkastisch.

»O mein Gott, i bin so kreuzfidel g'wen gestern, Fastnacht hab' i g'feiert und an' Rausch hab' i kriegt, an' wunderbaren! Wenn 's dir g'legen wär', so gehn ma jetzt ins Wirtshaus, denn i bin hungri und dursti. Und da sollst nacha hör'n, was i für an' Plan hab. Und an' schön Gruaß soll i ausrichten von deiner Frau Muatta und von meiniger Muatta und da is a Briaferl, wo alles g'schrieben steht.«

Felhuber nahm den schmierigen Brief und las. Er war von seiner Mutter und drückte den Wunsch aus, der Leutnant möchte Johann, der schon jetzt seine Militärzeit abdienen wolle, bei seinem Regimente als Freiwilligen unterbringen und für sein weiteres Fortkommen sorgen.

»Du wirst ja nächstes Jahr ohnehin konskribiert, warum denn freiwillig jetzt schon eintreten?« fragte der Offizier.

38 »Dös hat sein' guten Grund,« entgegnete Johann schlau. »Als konskribiert muß i hingeh'n, wo's mi hinschieb'n, i aber möcht' bei dein Regiment sein, damit der Herr Vetter mi in Hochachtung bringt, denn als der Vetter vom Herrn Litnant bin i in Respekt und werd' dann aa, hab' i mir denkt, Unteroffizier oder gar Feldwebel und kann sein mit der Zeit aa Litnant.«

»Man sagt ja Leutnant und nicht Litnant,« belehrte der Offizier.

»No', für mi is Litnant aa guat gnua. Aber jetzt geh'n ma auf a paar Maaßln; i bin schon Zahler,« sagte der gemütliche Vetter.

»Alle Teufel!« rief jetzt der Offizier, denn es wurde Säbelgeklirr hörbar und man klopfte an der Thür. »Herein! – Und du schnell hinaus! Warte einstweilen auf dem Gange.«

Der Vetter sprang bereitwillig auf, eilte zur Thür und rannte den eintretenden Offizier, Leutnant Schlosser, beinahe über den Haufen.

»Oho!« riefen beide.

»Tölpel!« setzte Schlosser hinzu, und schloß die Thür. Das erste war, daß er sich über die Empfindung äußerte, die seine Nase zu verletzen schien, indem er rief:

»Wo kaufst du denn dieses Parfum? Da duftet's ja wie –«

»Wie Kuhparfüm,« vollendete Felhuber. Und er teilte dem Kameraden die ihm zu Teil gewordene Überraschung und Verlegenheit mit.

Schlosser gab den Rat, vorläufig vor allem das Geschwisterkind von der Bildfläche verschwinden zu lassen, damit sie ruhig über den Kasus beratschlagen könnten.

39 Sonach ward Hansl hereingerufen und Felhuber sagte zu ihm:

»Geh' jetzt ins Bräuhaus hinüber zum Mittagessen. Ich muß im Kasino speisen –«

»O, da geh' i aa mit!« meinte Hansl.

»Das geht nicht,« entgegnete der Vetter. »Nach dem Essen siehst du dir die Stadt an und abends, wenn es dunkel ist, kommst du wieder. Bis dahin werde ich über dein Schicksal verfügt haben. Aber teile vorerst niemand mit, daß wir Vettern sind, man könnte sonst denken, ich wäre parteiisch – du weißt schon –«

»Wie 's d' willst, Vetter Bernhardl,« entgegnete Hansl, pfiffig lachend und dehnte dabei seinen Mund ins Unendliche aus.

»Jetzt eile dich, sonst bekommst du nichts mehr zu essen, denn heute ist Fasttag,« meinte Felhuber.

»Mari und Josef!« rief Hans erschrocken, Pelzmütze und Stock aufraffend; »da pressiert's freili. Und so wünsch' i halt an' guten Appetit und« – sich an Schlosser wendend – »nix für unguat, 's is nit gern g'scheh'n – wir wer'n uns schon no' kenna lerna – b'fehl mi.«

Felhuber schob ihn zur Thür hinaus; fort war er.

Schlosser lachte hell auf und öffnete vor allem das Fenster, um frische Luft einzulassen.

Nun teilte Felhuber dem Freunde das Vorhaben des ochsentreibenden Jünglings mit. Er berichtete, wie er gewisse Verpflichtungen gegen Johanns Mutter habe und daß er diesen nicht wohl abweisen könne, gestand aber zugleich, daß es ihm schrecklich sei, den jungen Menschen hier als seinen Vetter figurieren zu lassen, jetzt, wo er damit umgehe, sich ernstlich Laura zu nähern. Ihr Vater, der 40 General, könnte leicht von diesem Zweige der Verwandtschaft auf den ganzen Stamm schließen und seine Vorzüge, die zu besitzen er sich schmeichle, müßten dadurch verdunkelt werden u. s. w.

Der stets Rat findende Kamerad wußte auch hier Bescheid. Er wollte es übernehmen, dem Geschwisterkind bei seinem Regiment Aufnahme zu verschaffen und dasselbe womöglich in seine Kompagnie einreihen zu lassen. So habe er dann Hans stets unter den Augen. Dieser Ausweg fand den vollsten Beifall des Freundes, und dieser war wieder so getröstet und aufgeheitert, daß er dem Kameraden sein neuestes Gedicht an Laura vordeklamierte bis zur letzten Zeile, wo er an dem Reime auf »Durst« hängen geblieben war. Schlosser riet ihm, wenn er durchaus nicht das dazu reimende »Wurst« gebrauchen wolle, es mit einem anderen Worte zu versuchen, z. B.:

»Du stilltest meiner Seele heißen Drang,«

worauf sich eine halbe Stunde lang nach Herzenslust losreimen ließe.

Nun war auch hier geholfen und Schlosser erbot sich, das an der frischen Luft entduftete Papier in die richtigen Hände gelangen zu lassen.

Als gegen Abend Vetter Johann kam, ward er für den nächsten Morgen in die Kaserne bestellt und dann zur Nachtherberge geschickt. Am nächsten Tage wurde er, da er mit allen nötigen Papieren bereits versehen, als Freiwilliger aufgenommen und bei Schlossers Kompagnie eingeteilt.

Der Rekrut war nicht ungelehrig und konnte schon nach wenigen Monaten in den Dienst eintreten. Er fühlte dich ganz glücklich. Wäre die Menage doppelt so groß 41 gewesen, hätte er keinen weiteren Wunsch gehabt. Sein Appetit war aber ein rätselhafter; er litt, wie es schien, an unstillbarem Heißhunger.

Seinen Vetter Felhuber besuchte er jeden Feiertag und glaubte ihm dadurch die größte Freude zu machen. Dieser aber suchte ihn jedesmal baldmöglichst weiter zu bringen.

Für Leutnant Schlosser wäre Johann durch Feuer und Wasser gegangen und als eines Tages dessen Bursche erkrankte, bat er den Offizier in flehender Weise, er möchte ihn an dessen Stelle aufnehmen. Schlosser gestand es ihm zu und Johann vermochte vor Vergnügen seinen weiten Mund nicht mehr zusammenzubringen. Aber auch der Offizier hatte keine Ursache, es zu bereuen.

Freilich war der bis jetzt nur in den Vieh- und Menschenkreisen seines Berufs lebende Johann für diesen Dienst durchaus nicht geschult und zeigte sich daher sehr begriffsstutzig, wenn ein ihm erteilter Auftrag über seinen Horizont hinausging. So bürstete er am ersten Tage die Goldbeschläge des Helmes und die vergoldeten Uniformknöpfe seines Herrn mit in Weingeist aufgelöstem Hirschhornpulver, putzte ein anderesmal die vergoldeten Spiegel- und Bilderrahmen mit einem nassen Lappen, und als ihn Schlosser eines Tages beauftragte, seinen zerbrochenen Zwicker zum Optiker zu tragen, der ganz in der Nähe war, blieb er mehrere Stunden fort.

»Wo in Teufelsnamen bleiben Sie denn?« schrie ihn sein Herr bei der Wiederkehr an.

»D' Augenbrilln hab' i forttragen,« sagte Johann gutmütig lachend. »Aber da is weit hin.«

»Ja, wohin gingen Sie denn?« fragte Schlosser.

42 »No', halt zum Schinder. Der hat g'lacht und gemeint, der erst' April is schon lang vorüber. Da bring' i d' Brilln wieder.«

»Was?« rief der Offizier, seinen Ohren kaum trauend. »Wie kommen Sie denn zum Schinder?«

»Sie hab'n ja g'sagt, i soll's zum Abdecker trag'n,« entschuldigte sich Johann.

»Zum »Optiker« hab' ich gesagt,« lachte jetzt der Offizier.

»So hoaßt bei uns der Schinder,« entgegnete Johann ebenfalls lachend, hartnäckig Optiker mit Abdecker verwechselnd.

So hatte denn Schlosser ewig zu belehren und zu erziehen, doch hatte er seinem Schützling nach kurzer Zeit schon so viel Routine beigebracht, daß er es eines Tages wagen durfte, der Frau Landrichter, die große Kaffeevisite hatte, seinen Johann für etwaige Besorgungen zur Verfügung zu stellen. Es war ein Regentag, und der Besuch des gastfreien Hauses ein unerwartet großer. Die Kaffeekuchen gingen zu Ende und die Hausfrau gab Johann den Auftrag:

»Laufen Sie schnell auf den Markt und holen Sie noch einen Kranz für zwei Mark.«

Johann galoppierte, soweit es ihm seine Schwerfälligkeit erlaubte, zum Markte. Aber er trat dort nicht in den großen Laden des Konditors, sondern in den kleinen einer Blumenhändlerin, die denn auch dem Soldaten für sein Geld einen aus künstlichen Blumen gefertigten Kranz übergab, mit welchem Johann zum Landgerichtsgebäude 43 zurückeilte. Ein allgemeines Gelächter des Küchenpersonals war sein Lohn.

»Ja, was bringen Sie denn da?« rief die Landrichterin, vor Verwunderung die Hände zusammenschlagend.

»Gnä' Frau hab'n befohl'n, an' Kranz,« sagte der Bursche.

»Ich meinte ja ein Gebäck zum Eintunken, Kaffeebrot, verstehen Sie?« belehrte ihn die Dame.

»Ja so!« meinte Johann, »zum Eintunken soll i was holen; ja dös is freili was anders.«

Er eilte von dannen, zuerst zur Blumenhändlerin, um für den Kranz sein Geld wieder einzuwechseln, dann zum Bäcker. Nach seinem Geschmack hielt er Semmeln für das Beste zum Eintunken, und ließ sich um zwei Mark etwa 70 Stück vorzählen. Der Bäcker gab ihm darüber noch sechs Stück als Dareingabe. Da er sie nicht anders zu tragen wußte, nahm er sein von Brasiltabak duftendes Sacktuch und band die Brote hinein.

»Aber um Himmelswillen, was ist denn das?« rief die Landrichterin, als Johann den Pack auf den Tisch legte und das Tuch aufknüpfte.

»Was zum Eintunken!« erklärte er.

»Aber ich sagte Ihnen doch deutlich: einen Kaffeekuchen, etwas Feines.«

»O, d' Semmeln sind auch ganz fein,« meinte Johann. »Ich eß 's recht gern zum Kaffee.«

»Nun, dann lassen Sie das Tuch nur zu; sie gehören alle Ihnen,« sagte die Hausfrau.

»Ja, da sag' i halt: Vergelts Gott!« erwiderte Johann mit freudestrahlendem Gesicht; »da hab' i ja zwei Tag lang dran z' essen.«

44 »Nu, da braucht man Ihnen keinen guten Appetit mehr zu wünschen,« entgegnete die Dame. »Sie können übrigens gehen; ich bedarf heute Ihrer Dienste nicht mehr. Die Köchin wird Ihnen noch einen Topf Kaffee geben; lassen Sie sich denselben schmecken. Aber da Sie alles dem Wortlaute nach zu nehmen scheinen, so bitte ich, verzehren Sie nicht auch den Topf, sondern nur den Kaffee. Haben Sie das auch wirklich begriffen?«

»Ja, ja, freili,« antwortete Johann verlegen und, selbst in das Gelächter des Küchenpersonals einstimmend, setzte er hinzu: »I bin halt no' a bißl dumm, aber i wer mi schon bessern.«

Es schien ihm mit dieser Besserung auch wirklich Ernst zu sein. Er hatte öfter über das Sprüchwort seines Herrn »Nichts ist unmöglich« seine Betrachtungen angestellt, und dabei kam ihm wiederholt der Wunsch, ein »Vorgesetzter« zu werden. Der Unteroffizier steckte ihm noch immer im Kopfe. Was weiter nachkommen könnte, das getraute er sich jetzt, da er mit der Sache vertrauter war, freilich nur mehr zu träumen. Und da sein Herr sagte, nichts sei unmöglich, so erbat er sich von diesem Papier und Federn und verwendete alle seine freien Stunden darauf, sich im Schreiben zu üben und die vier Spezies im Rechnen zu lernen, wobei ihm sein Herr gern behilflich war.

Eher, als Hans es sich träumen ließ, sollte sein kühner Wunsch erfüllt werden. Krieg war in Sicht, die Nachbarstaaten lagen sich in den Haaren. Bayern machte sich kriegsbereit, neue Bataillone wurden geschaffen, Offiziers- und Unteroffiziersstellen waren jetzt leichter zu erringen. Das »halbwegs« genügte. Auch Johann Meiers Rockkragen ward mit der Unteroffiziersborte geschmückt. Seine 45 Treue und Zuverlässigkeit hatten Anerkennung gefunden. Mit der roten Brieftasche unter dem Arm machte er seinem Vetter die erste Aufwartung, um ihm zum Oberleutnant zu gratulieren und sich gratulieren zu lassen.

Mit Krieg und Aufmarsch war es nun nichts geworden, aber die Chargen waren nun einmal da, und Johann blieb wohlbestallter Unteroffizier.

Sein Vetter Felhuber war aber auch nach anderer Richtung hin avanciert, nämlich in der Gunst seiner Angebeteten und ihres Papas, des Generals; der Verlobungstag war bereits festgesetzt.

Da traf es sich, daß am gleichen Tage – es war in der Pfingstwoche, Unteroffizier Meier das erstemal als Ordonnanz zum Festungskommandanten beordert wurde. Auf dem Wege zur Kommandantur, kurz vor 8 Uhr morgens, begegnete er dem festlichen Zuge, welcher dem soeben zur Spendung der Firmung anwesenden Bischofe zum Dome das Geleite gab. Das interessierte den Hans ungemein, denn derselbe Kirchenfürst hatte auch ihn vor etwa zehn Jahren gefirmt, und die Erinnerung an jenen für ihn unvergeßlichen Tag tauchte lebhaft vor ihm auf. Mit weit aufgesperrtem Munde sah er lange dem Zuge nach. Er vergaß ganz seinen Dienst. Da schlug es acht Uhr. Er erschrak heftig und lief jetzt mehr, als er ging, zur Kommandantur, um sich in der ebenerdigen Dienstkanzlei des Generals zu melden. Er war fünf Minuten zu spät gekommen. Der General, an die größte Pünktlichkeit gewöhnt, donnerte ihn deshalb in einer Weise an, daß er seine Meldung nur stotternd und mit Not herausbrachte und sich dann auf das »Kehrt!« ganz taumelnd 46 nach dem Wartezimmer zurückzog. Aber unheilvolle Ahnungen beschwerten ihm das Herz.

Einige Stunden ging alles ganz gut, er hatte dies und jenes zu besorgen, und es fehlte nichts. Als er wieder von einem Gange zurückkehrte, hörte er den General schimpfen und poltern. Der alte Platzfeldwebel, Namens Bischoff, hatte sich irgend ein Versäumnis zu schulden kommen lassen und mußte nun den ganzen Unmut des leicht aufgeregten Generals über sich ergehen lassen. Bleich und zitternd entfernte sich der alte Feldwebel durch das Wartezimmer. Meier kannte ihn wohl vom Sehen, aber nicht dem Namen nach und dankte Gott im stillen, daß er nicht in der Haut dieses Abgekanzelten stecke. Während er sich so seinen Betrachtungen überließ, riß der General die Thür auf und rief: »Ordonnanz!«

Meier sprang hinzu: »Herr General befehlen!«

»Der Bischoff soll nochmals zu mir kommen. Ohne Verzug!«

Meier starrte den General an. »Der Herr Bischof?« fragte er zaghaft.

»Hören Sie nicht gut?« herrschte ihn der General an.

»Ja – der – Bischof –« stammelte Meier.

»Also – sofort! Suchen Sie ihn!«

Der Unteroffizier machte »Kehrt!« und entfernte sich im Laufschritte, um den Bischof zu holen. Er nahm seinen Weg schnurstracks zum Dom und zwar in die Sakristei, wo er den Meßner antraf.

»Sagen's dem Herrn Bischof, er soll ohne Verzug nochmal zum Herrn Festungskommandanten kommen,« sagte er zu diesem.

»Halt nach der Firmung,« erwiderte der Meßner.

47 »Nein – sofort!«

In diesem Augenblick kam der Stadtpfarrer herbei, dem der Meßner die Sache mitteilte. Der geistliche Herr beruhigte den übereifrigen Unteroffizier mit der Versicherung, daß er es Seiner Eminenz wissen lassen werde; die Firmung sei ohnedem zu Ende.

Aber Hans Meier war damit nicht zufrieden. »I muaß 's glei wissen, ob er kimmt,« sagte er, »der Herr General is fuchsteufelswild.«

Der Pfarrer lächelte und entgegnete: »So warten Sie einen Augenblick; ich sage Ihnen gleich die Antwort.«

Der Bischof hatte den Schlußsegen gespendet und kam soeben in die Sakristei zurück. Der Pfarrer teilte dem Vikar des hochwürdigen Herrn den Wunsch des Generals mit, und dieser vermittelte die Sache seinem hohen Herrn in der bedeutend gemilderten Form:

»Der Herr Festungskommandant lassen Seine Eminenz nochmals in einer dringenden Sache um die hohe Ehre hochdero Besuches bitten.«

Der Bischof hatte nämlich schon am vorhergehenden Tage dem Kommandanten seinen Besuch gemacht und auch denselben sofort erwidert erhalten. Er bat jetzt den Herrn General, nebst seinen Empfehlungen, wissen zu lassen, daß er sich von der Kirche aus direkt zu ihm begeben werde.

So ward es dem Unteroffizier übermittelt, und dieser kehrte sofort in die Kommandantur zurück und trat in das Zimmer des Generals.

»Was ist's?« rief ihm dieser zu.

Meier entgegnete: »Eine schöne Empfehlung vom Herrn Bischof, und er wird sich gleich von der Kirche –«

48 »Zum Teufel! Was soll das? Warum kommt er nicht sofort?« unterbrach ihn polternd der General.

»Die Firmung ist erst aus worden.«

»Die Firmung? Was hat denn der bei der Firmung zu thun?«

»Das ist ja heut' sein Geschäft!« platzte Meier heraus. »Aber sehens, Herr General, da kommt er schon ang'fahr'n.«

»Was? Wer?« rief der General, durchs Fenster blickend. Er sah, wie der Bischof und sein Vikar soeben dem Wagen entstiegen.

Der General traute seinen Augen kaum. Dann eilte er zu Meier, packte ihn bei einem Knopfe seines Rockes und schrie mit entsetzlicher Stimme: »Ja, Sie Ri – Ri – Sie haben doch nicht anstatt des Platzfeldwebels Bischoff den hochwürdigen Herrn Bischof geholt?«

»Wie der Herr General befohlen haben,« erwiderte der bis in den Mund hinein bleich gewordene Unteroffizier mit bebender Stimme.

Der General wankte, er mußte sich einen Moment setzen.

»Da hört sich alles auf!« rief er, »den Bischof holen – Sie Ri – Ri –«

Er konnte seinem Ärger nicht weiter Luft machen, denn zum Glücke für die Ordonnanz klopfte es an der Thür, und die Eminenz erschien mit freundlichem Gruße.

Der General eilte entgegen.

»Eure Eminenz sehen mich ganz konsterniert – es ist zum Schlag treffen! Dieser Mensch sollte den Platzfeldwebel Bischoff holen und – kehrt Euch! Die Strafe folgt nach!« herrschte er Meier an.

49 Der Unteroffizier taumelte wie betäubt zur Thür hinaus. Er dachte im Vorzimmer darüber nach, ob Erschießen, lebenslänglicher Kerker oder Selbstmord sein nächstes Schicksal sein werde. Aus seiner Verzweiflung riß ihn nur das Lachen der Herren im inneren Zimmer.

Der Bischof wünschte, daß, wie er, auch der General das Mißverständnis von der heiteren Seite nehme und es den Ärmsten nicht entgelten lasse. Und als ihm dann der General in der Folge mitteilte, daß heute mittag die Verlobung seiner Tochter mit einem braven Offizier gefeiert werde, bat der hohe Kirchenfürst, der Braut persönlich seine Glückwünsche darbringen zu dürfen.

Der General geleitete ihn nach der sich im oberen 50 Stocke befindenden Familienwohnung und eine Viertelstunde später wieder hinab zum Wagen, wo sich beide Herren in der freundlichsten Weise verabschiedeten. Als der General ins Ordonnanzzimmer zurückkam, stand der Unteroffizier in Achtung, aber mit schlotternden Beinen da.

Der General trat ganz nahe an ihn heran, blickte ihn eine Weile scharf an und sagte dann sarkastisch:

»Hm, hm! Ich wär' doch neugierig, Näheres über Ihre Abstammung zu hören. Sagen Sie einmal, woher stammen Sie denn eigentlich?«

»Von Trimsfelden, Herr General,« entgegnete Meier, leichter atmend. »Mei' Vater is Viehhändler. Der Herr Oberleutnant Felhuber is mei' G'schwisterkind,« und sein Gesicht zu freundlichem Grinsen verziehend, setzte er hinzu: »Ihna Fräuln Tochter wird nächstens mei' Basl wer'n, so viel i weiß.«

Diese Nachricht traf den General wie ein Donnerschlag. Entsetzt ließ er sich auf einen Stuhl nieder.

»Was?« rief er. »Da mache ich die ganze Geschichte rückgängig.« Er erhob sich, ging einigemale im Zimmer auf und ab und blieb dann wieder vor Meier stehen. Lachend sagte er jetzt: »Auf diese Weise würde ich ja gar Ihr Vetter?«

Jetzt lachte auch Hans, indem er weinte:

»Ja wohl, Herr General, mi freut's! Die Dummheit mit 'n Bischof wär' mir nit passiert, wenn der Herr General gleich deutlich befohlen hätten, ich sollt' den Platzfeldwebel hol'n; i hab' nit g'wußt, daß der aa a Bischof is.«

Das war so richtig gesagt, daß der General nicht umhin konnte, sich schließlich selbst die Schuld an dem Mißverständnis zuzuschreiben. Er sagte deshalb in ruhigem 51 Tone: »Sie haben nicht ganz unrecht. Es ist nicht genug, zu befehlen; der Befehl muß auch verständlich sein.«

Nach einer Weile fragte er dann: »Wie lange haben Sie noch zu dienen? Oder wollen Sie beim Militär bleiben?«

»Nein, Herr General,« erwiderte der Unteroffizier rasch. »I hab' mir schon g'nug. Zum Litnant bring i 's nit, und in drei Monat is mei' Zeit um.«

»Ich werde veranlassen, daß Sie sofort in Urlaub kommen – wenn Sie wollen.«

»Das wär' wir die größt' Freud, und mei' Herr Vetter, der Litnant, wird auch nix dageg'n hab'n.«

»Ich glaube nicht,« meinte der General. »Für heute brauch' ich Sie nicht mehr, Sie können einrücken. Vom Verlobungsschmause wird Ihnen etwas zugeschickt werden, und Ihre künftige Basl – die darf ich wohl von Ihnen grüßen?« fragte der General lachend.

»Ja, wenn i bitten därft, Herr Vetter!« erwiderte Hans mit unbeschreiblich freundlicher Miene, machte »Kehrt!« und verließ im Dienstschritt das Zimmer. Der General lachte jetzt hell auf. – –

Beim Verlobungsschmause gab er die Geschichte zur allgemeinen Erheiterung zum besten. Felhuber zeigte zuerst eine gewisse Verlegenheit, dann aber lachte er auch mit.

Als sich schon am nächsten Tage Meier als beurlaubt zur Heimreise anschickte und sich bei Oberleutnant Felhuber verabschiedete, sagte dieser lachend zu ihm:

»Vetter, ich bin stolz auf dich! Was du alles vollbracht, das bringt nicht leicht einer zu Stande. Grüß' wir die Verwandten und reis' mit Gott!« 52


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