Christoph von Schmid
Der Weihnachtsabend
Christoph von Schmid

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Neuntes Kapitel.

Ein unerwarteter Besuch.

Indessen wurde wiederholt geklopft, und noch stärker als zuvor. »Geh, Christian,« sagte der alte Förster, »und öffne die Thüre.« Christian ging. Nach einigen Augenblicken trat ein schöner, ansehnlicher Herr, den sie nicht kannten, in einen dunkelgrünen Mantel gehüllt und mit einer Pelzmütze bedeckt, zur Thüre herein. »Das ist der neue Förster!« dachten alle mit erschrockenem Herzen. Der Unbekannte schien aber selbst erschrocken, so viele rotgeweinte Augen und schreckenblasse Angesichter zu sehen. Er nahm seine Mütze ab, stand einige Augenblicke still und sagte: »Kennen Sie mich denn nicht mehr?«  »Ach Gott,« rief Luise, »es ist Anton!«  »Anton!« rief Katharine, »ist’s möglich?«  »Was fällt euch ein,« sagte die alte Mutter; »dieser Herr da ist ja viel größer und stärker als Anton.«  »Wahrhaftig, er ist es,« sprach Christian, »es ist Anton! Um des Himmels willen, Bruder, wie kommst du hieher? Ich hätte dich in Rom gesucht, mehrere hundert Meilen von hier!« Der alte Vater rieb sich die Augen, als traute er ihnen nicht, trat langsam näher, eilte aber plötzlich mit weitausgestreckten Armen auf Anton zu, schloß ihn in die Arme und konnte nichts mehr sagen, als: »O mein Sohn Anton!« Sie umarmten sich lange und innig. Nun grüßte Anton seine ehrwürdige Pflegemutter, seine Geschwister, Christian, Katharine und Luise, voll der herzlichsten Freude des Wiedersehens. Auch die junge Försterin und ihre Kinder, die er das erste Mal sah, grüßte er mit großer Freude und Herzlichkeit. So tief betrübt alle noch vor wenigen Augenblicken waren, so hoch erfreut waren jetzt alle. Die unerwartete Freude hatte alle Traurigkeit verscheucht, wie die aufgehende Sonne die nächtlichen Schatten zerstreut.

Jetzt aber fing die Mutter an: »Ach Anton! du findest uns in sehr traurigen Umständen. Du hast ja unsere Thränen noch gesehen, als du in die Stube herein kamst. Ach, laß dir unsern Jammer doch erzählen.«  »Ich weiß alles,« sprach Anton; »seien Sie aber vollkommen ruhig, liebste Eltern! Ihre Angelegenheiten stehen aufs beste. Ich komme eben vom Fürsten. Er grüßt Sie, liebster Vater, auf das freundlichste.«

»Mich?« rief der alte Vater. »Wie kamst du zum Fürsten? Das begreife ich nicht. Wahrhaftig, ich fürchte, dieses alles ist nur ein glücklicher Traum.«

»Nein,« sprach Anton, »nichts weniger als ein Traum, sondern die volle Wahrheit. Setzen Sie sich einmal in Ihren Lehnsessel, liebster Vater, und Sie, liebste Mutter, nehmen Sie hier Platz, und lassen Sie sich alles ausführlich erzählen.« Er legte seinen Mantel ab und holte noch ein paar Sessel herbei. Die erfreuten Pflegeeltern nahmen ihn in ihre Mitte. Alle übrigen standen umher und sahen voll Verwunderung und Erwartung auf ihn. Anton erzählte:

»Unser jetziger gnädigster Fürst war, wie Sie wissen, noch vor kurzem als Erbprinz in Italien. Da wurden nun einmal zu Rom die Gemälde junger Künstler zur Schau ausgestellt. Er ging hin, und unter den vielen Gemälden gefiel ihm eines ganz vorzüglich. Man sagte ihm, ein junger Maler aus seinem Fürstentume, Anton Kroner, habe es gemalt. Der Prinz ließ mich rufen, lobte mich sehr und war gegen mich ganz ungemein gnädig. Er fragte mich, was ich für das Gemälde fordere, und bezahlte mir mit fürstlicher Großmut noch einmal so viel als ich verlangt hatte. Da er die berühmtesten Gemälde zu Rom sehen wollte, so mußte ich ihn öfter begleiten, durfte neben ihm in seinem Wagen sitzen, ja sogar einige Male bei ihm speisen.«

»Nun wurden zu Rom mehrere alte Gemälde von ganz vorzüglicher Schönheit zum Verkauf ausgeboten. Der Prinz fuhr mit mir hin, sie zu besehen. Er fragte mich bei jenen Stücken, die ihm besonders gefielen, um meine Meinung, und beschloß sie zu kaufen. Es war ein Tag bestimmt, an dem sie öffentlich sollten versteigert werden. Der Prinz konnte aber nicht mehr so lange bleiben; er mußte nach Hause reisen und die Regierung übernehmen. Er gab mir daher den Auftrag, die Gemälde zu kaufen und dafür zu sorgen, daß sie ihm sicher und unbeschädigt überliefert würden. Er bestimmte, wie viel ich im äußersten Falle für die Gemälde geben dürfte, und wies mir eine Summe Geldes an. Dieser für mich so ehrenvolle Auftrag lag mir nun sehr am Herzen. Ich war auch so glücklich, die Gemälde für eine bedeutend geringere Summe, als er mir gestattet hatte, zu erhalten.«

»Da ich bereits alles, was für einen Maler in Italien vorzüglich sehenswert ist, gesehen hatte, und da eben ein Schiff zum Absegeln bereit lag, so schiffte ich mich samt den Gemälden ein. Ich kam mit meinem kostbaren Schatze glücklich an das Land. Da mietete ich nun für die Gemälde einen besonderen Wagen, und fuhr, damit sie ja keinen Schaden nehmen möchten, selbst mit, bis wir in der Residenz anlangten. Ich eilte sogleich nach Hofe und ließ mich melden. Der Fürst war eben von der Mittagstafel aufgestanden und befand sich in seinem Kabinette. Ich kam sogleich vor. »Nun, willkommen in Deutschland,« sprach der Fürst sehr freundlich; »was bringen Sie mir Gutes aus Italien?«  »Die Gemälde,« sagte ich, »die ich Eurer Durchlaucht höchstem Befehle gemäß gekauft habe.«  »Nun,« sprach der Fürst, »und wie viele davon?«  »Alle!« sagte ich. »Alle!« rief er sehr erfreut; »das ist ja ganz vortrefflich.« Er gab sogleich Befehl, daß die Bilder ausgepackt und aufgestellt würden. Ich half auch mit. Alle waren vollkommen unbeschädigt. Der Fürst war in seinem größten Vergnügen. Denn er ist nicht nur ein Liebhaber, sondern auch ein Kenner von Gemälden. Ich überreichte ihm die Quittungen für die bezahlten Gemälde. »Die Summe,« sprach er, »beträgt ja ein Merkliches weniger, als ich Ihnen gestattete.« Ich sagte: »Eure Durchlaucht wollen befehlen, wo ich das übrige Geld abzugeben habe.«  »Ach,« sagte er sehr gnädig, »davon kann keine Rede sein. Ich bin Ihnen Dank schuldig. Wenn Sie mit mir zufrieden sind, so bin ich es mit Ihnen noch viel mehr. Doch – Sie sind müde von der Reise und haben sich mit Auspacken noch mehr abgemattet. Sie bedürfen der Ruhe.« Er befahl, mir ein Zimmer in der Residenz anzuweisen.«

»Als ich abends in meinem Zimmer saß, fiel mir plötzlich ein, den alten Forstrat Müller zu besuchen. Er war ja, außer dem Fürsten, der einzige Mann, den ich in der Residenz kannte, und ich erinnerte mich sehr wohl, wie er ehemals als Oberförster Sie, bester Vater, öfter besuchte und mit Ihnen in der herzlichsten Freundschaft lebte. Er fragte mich, wie ich hieher komme. Ich sagte es ihm. »Sie kommen zur glücklichsten Stunde!« sprach er, und fing nun sogleich an, mir zu erzählen, wie es Ihnen, liebster Vater, gehe, wie viel Verdruß Ihnen der Oberförster mache, wie Sie deshalb selbst in die Residenz gekommen, wie Sie aber einige Tage vor meiner Ankunft unverrichteter Sache wieder abgereist waren.«

»Ich wollte sogleich wieder zum Fürsten. »Nicht doch!« sagte der Forstrat, »das geht nicht. Morgen frühe müssen Sie um eine besondere Audienz bitten. Ich werde Sie begleiten. Die Sache ist jetzt schon so vorbereitet, daß wir ein geneigtes Gehör finden werden.« Wir wurden am folgenden Morgen sehr bald vorgelassen. Ich fing sogleich von Ihnen an, und redete mit großem Eifer. Ich erzählte, wie ich in Ihr Haus gekommen, und was Sie alles an mir gethan haben. Ich war sehr ausführlich. Der Forstrat sagte einige Male: »Zur Sache, zur Sache!« Der Fürst aber lächelte nur und sagte: »Lassen Sie ihn immerhin reden! Die Dankbarkeit des guten Sohnes gegen seine Pflegeeltern gefällt mir. Wir werden ja am Ende finden, wo das alles hinaus will.« Ich kam nun auf den Herrn von Schilf und sagte es geradezu, warum er Ihnen so aufsässig sei, und daß er als ein Wilddieb in das Zuchthaus gekommen wäre, wenn der hochselige Fürst nicht zu gnädig gewesen wäre. »Nicht doch,« sagte der Forstrat ernsthaft zu mir, »Sie vergessen den schuldigen Respekt. Fürsten können kaum zu gnädig sein.« –

»Der Oberförster war damals ein junger Mensch, und es konnte deshalb immer einige Schonung eintreten. »Nur weiter, nur weiter!« sagte der Fürst zu mir. Ich zeigte ihm nun die Briefe, die Sie, liebster Vater, mir nach Italien geschrieben. Ich hatte sie noch in der Nacht aus meinem Koffer hervorgesucht. Da ist auch nicht ein einziger darunter, in dem nicht für den Durchlauchtigen Erbprinzen, der mit mir damals in einem Lande lebte, die besten Segenswünsche enthalten wären. Der Fürst las nicht nur die Stellen, die ich ihm zeigte, sondern nachdem er mich zuvor, mit zu vieler Gnade, um Erlaubnis gefragt hatte, die ganzen Briefe. »Nun wohl,« sprach er, »ich erinnere mich jetzt, daß Sie mir schon in Italien von dem wackern Manne gesagt haben; ein Mann, der so schreibt und einen so guten Sohn erzog, kann kein schlechter Mann sein.«  »Deshalb,« sagte ich, »müssen Eure Durchlaucht den Oberförster bestrafen, und dem Sohne des Försters den väterlichen Dienst geben.« Der Forstrat blickte mich unwillig an und sagte: »Spricht man denn auch einmal so mit dem gnädigsten Herrn. Zu einem Fürsten darf man nicht sagen: Sie müssen.« – Der Fürst aber sprach mit Lächeln: »So schnell geht es freilich nicht, wie Sie meinen, junger Mann. IU muß den Oberförster erst auch hören.« Er winkte den Forstrat an ein Fenster und redete einige Zeit besonders mit ihm. Der Forstrat setzte sich hierauf und schrieb. Der Fürst sagte aber zu mir: »Seien Sie ruhig, es wird recht werden.«

»Er redete nun, während der Forstrat schrieb, mit mir von den Gemälden. »Mein seliger Vater,« sagte er, »hat mir eine ganz artige Sammlung hinterlassen. Ich bin begierig, was Sie dazu sagen. Indessen müssen alle Gemälde wieder in bessern Stand gesetzt werden. Diese Arbeit übertrag ich hiemit Ihnen. Wollen Sie das Geschäft übernehmen?«  »Mit dem größten Vergnügen,« sagte ich; »aber erst nach den Weihnachtsfeiertagen. Am heiligen Weihnachtsabende habe ich meine ehrwürdigen Pflegeeltern das erste Mal gesehen; an dem Weihnachtsabende muß ich sie wieder sehen; besonders da sie in einer so traurigen Lage sind, und ich ihnen erfreuliche Nachrichten bringen kann.«  »Das ist nicht mehr als billig!« sagte der Fürst. »Der Dankbarkeit gegen Eltern will ich gern nachstehen.«

»Der Forstrat war indessen mit dem Schreiben fertig geworden, und überreichte dem Fürsten das Blatt. Der Fürst unterzeichnete es. »Grüßen Sie mir Ihren guten Pflegevater,« sprach er zu mir, »und sagen Sie dem braven, alten Manne, er solle außer Sorge sein.«

»Aber wie frei Sie doch mit dem Fürsten sprachen,« sagte der Forstrat, indem er mich auf mein Zimmer begleitete. »Ich wehrte Ihnen immer, aber Sie achteten nicht darauf. Nun, Ihrer Liebe zu Ihren Pflegeeltern ist dieses zu verzeihen. Auch finde ich, der geradeste Weg ist immer der kürzeste.« Ich fragte nun den Forstrat, was der Fürst mit ihm gesprochen und was er ihm zu schreiben befohlen. Nach vielem Bitten gestand er mir endlich, der Fürst habe gesagt: »Bald hätte man mich zu einer Ungerechtigkeit verleitet. Dort liegt ein Dekret, in dem an die Stelle des alten Försters ein anderer Mann ernannt wird. Ich fand jedoch einige Bedenklichkeiten dabei, und habe, so sicher man auch darauf rechnete, es noch nicht unterzeichnet. Ich werde nun die Sache zuvor noch gründlicher untersuchen.« Was der Forstrat schreiben mußte, war ein besonderer Befehl an den Oberförster, ungefähr dieses Inhalts: »Seine Durchlaucht hätten mit allergrößtem Mißfallen vernommen, wie unwürdig der Oberförster den würdigen Förster Grünewald behandle; der Oberförster erhalte hiemit die geschärfteste Weisung, bis auf weiteres weder den alten Förster noch dessen Sohn im geringsten zu beunruhigen.« Den Befehl mußte der Forstrat sogleich durch eine Stafette absenden. »Denn,« hatte der Fürst gesagt, »es liegt mir sehr daran, dem alten ehrlichen Manne, sobald als möglich, Ruhe zu verschaffen.« Der Forstrat gab mir nun noch auf, Sie zu grüßen und Ihnen zu sagen: »Die Untersuchung, die der Fürst anordnen werde, falle zuverlässig zu Ihrem Besten aus, und Ihr Sohn erhalte sicher den Försterdienst.«

Der alte Förster wischte sich, so wie alle übrigen, während dieser Erzählung öfter die Augen. Jetzt stand er auf, umarmte Anton, nahm den Flor von dem Gemälde der Geburt Jesu hinweg, blickte dankend zum Himmel und rief: »Nun laßt uns in den Lobgesang der Engel einstimmen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen, die eines guten Willens sind.«


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