Christoph von Schmid
Der Weihnachtsabend
Christoph von Schmid

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Achtes Kapitel.

Wie es dem Förster weiter ergangen.

Unter diesen traurigen Umständen brach der heilige Weihnachtsabend an. Es wurde heute früher Nacht als sonst. Denn der ganze Himmel war mit schweren Wolken bedeckt. Der Sturmwind brauste durch die alten Eichen und die schwankenden Tannen des Waldes. Es schneite und regnete sehr heftig und die Dachrinne rauschte gleich einem Regenbach, der von einem Felsen stürzte. »Ach du mein Gott,« sagte die alte Försterin, nachdem sie lange zum Fenster hinausgesehen hatte, »sie kommen noch nicht. Wenn sie heute, am heiligen Christabende, ausbleiben, so ist ihnen sicherlich ein Unglück begegnet. Mir ist ganz unaussprechlich bange. Es ist ja ein Wetter, man sollte keinen Hund vor die Thüre jagen, und die Wege sind zum Versinken schlecht. Ach, wenn sie nur wieder da wären, gehe dann alles übrige, wie es wolle!«

Sie öffnete wieder das Fenster, sah hinaus und rief: »O gottlob, nun kommen sie!« Alle eilten ihnen vor die Hausthüre entgegen; alle fragten: »Nun, wie ist es in der Stadt gegangen?«  »Ich hoffe, es soll noch alles gut gehen!« sagte der alte Förster. »Ihr werdet aber unsertwegen Kummer gehabt haben. Wir blieben lange aus. Allein ich wurde auf der Reise unwohl, und konnte nicht mehr weiter; und da es wieder besser ging, waren von dem vielen Regen die Flüsse und Bäche so angeschwollen, daß wir noch einige Tage aufgehalten wurden. Nun gottlob, daß wir wieder da sind!« Er trat in das Haus, kleidete sich um, und setzte sich in seinen Lehnsessel an den wärmenden Ofen. Die alte Försterin brachte eine Flasche Wein, zwei Gläser und die brennende Öllampe. »Erquickt euch doch beide ein wenig,« sagte sie, indem sie einschenkte; »ihr werdet es beide sehr nötig haben. Das Essen wird bald fertig sein.«  »Wohl!« sprach der Förster, beim Scheine des hellen Öllichtes umherschauend; »es ist doch gut, wieder zu Hause zu sein, unter den lieben Seinigen, wo man lauter freundliche und fröhliche Gesichter um sich erblickt.«

Der junge Förster hatte aber indes seiner Frau im Vertrauen gesagt: »O, es steht gar nicht gut; wir kommen wahrscheinlich um den Dienst.« Diese erschrack sehr, und sagte es heimlich den übrigen. Der alte Förster sah, wie sich auf einmal alle Gesichter verfinsterten, und voll Schrecken und Angst zeigten. »Hat Christian schon geplaudert?« sagte er, »je nun, es ist da nichts zu verhehlen. Ihr sollt alles hören, doch werdet mir zu traurig. Es ist uns ja heute nacht ein Erlöser geboren; über dieser großen Freude müssen wir unsere kleinen Erdensorgen vergessen, wenigstens sie uns nicht zu sehr zu Herzen nehmen.« –

»Als wir,« sprach er hierauf, »abends spät in der Residenz ankamen, ging ich noch zu dem alten Forstrat Müller. Er ist ein sehr biederer Mann, dachte ich; er war vor alter Zeit mein Oberförster und immer mein Freund. Die übrigen Räte, die mich kannten, sind alle tot oder in Ruhe versetzt. Wiewohl auch er sich Alters halber von Geschäften zurückgezogen hat, so kann er mir doch den besten Rat geben.« So dacht‘ ich. Der edle Mann nahm mich auch in der That mit großer Herzlichkeit auf. Ich sagte ihm mein Anliegen. Er sprach: »Sie haben an dem Oberförster einen sehr schlimmen Feind, der dahier mächtige Freunde hat. Er will Ihren Dienst einem jungen Menschen, der sein Bedienter war, zuschanzen, und sendet immer die nachteiligsten Berichte über Sie und Ihren Sohn ein. Ich fürchte sehr, er dringt durch, und bringt den guten Christian um das väterliche Brot.«  »Ach,« sagte ich, »es wird ja nicht so weit kommen! Indes bin ich Willens, selbst zum Fürsten zu gehen.«  »Thun Sie das,« sagte der Forstrat. »Ich gehe mit. Indes kommen Sie eben jetzt zu der ungelegensten Zeit. Der Herr hat zu viele Geschäfte. Sie werden kaum vorkommen. Auch zu dem obersten Forstmeister und den Forsträten müssen Sie gehen. Allein ich fürchte, da finden Sie keine gute Aufnahme. Herr von Schilf hat sie alle ganz verblendet.« Ich fand auch, daß der Forstrat vollkommen recht hatte. Ich machte manchen sauern Gang. Der oberste Forstmeister nahm mich sehr kalt auf und fertigte mich kurz ab. Die andern Räte behandelten mich nicht viel besser; ich sah nur finstere Gesichter und mußte manche harte Rede anhören. Bei dem Fürsten aber wurde ich, da der oberste Forstmeister eben um ihn war, gar nicht vorgelassen. Der Oberförster wußte mich und den Christian sehr schlau zu verleumden. Ich mag euch dies jetzt nicht ausführlich erzählen; es betrifft ohnehin Geschäfte, die ihr nicht versteht. Alles, was wir hoffen können, ist eine Untersuchung; allein es ist zu fürchten, daß sie in solche Hände kommen werde, von denen wir wenig Gutes zu erwarten haben. – Doch diese Gespräche machen uns zu traurig, und heute abend sollten alle Menschen in der ganzen Christenheit fröhlich sein. Es ist ja der heilige Weihnachtsabend; wir wollen der Geburt unsers Erlösers gedenken. Das wird unsern trüben Sinn erheitern.«

Er richtete seine Blicke auf das Gemälde von der Geburt Jesu, das Anton einst geschickt hatte. Es hing in der Stube an jener Stelle, wo vorhin der Spiegel gehangen, und war, damit es nicht Schaden nehme, mit einem feinen weißen Flor verhüllt. Die kleinen Enkel des alten Försters, zwei liebliche Kinder, Franz und Klara, hatten sich schon seit mehreren Wochen auf die Feier des heiligen Weihnachtsabends gefreut. Sie sprangen auf und trockneten sich schnell die Thränen von ihren erheiterten Gesichtchen. »Großmutter,« sagte der kleine Franz, »nimm den Flor weg von dem Bilde und zünde, wie im vorigen Jahr, die Kerzen an, damit man es auch recht sehe.«  »Und du, Großvater,« sagte die kleine Klara, »hole deine Harfe; wir wollen unser Weihnachtsliedchen singen, das uns die Mutter gelehrt hat.«

»Nun wohl,« sprach der Förster, »wir wollen ein Weihnachtslied singen. Doch, sagt zuvor noch, hat sich, während wir fort waren, nichts Besonderes ereignet?«  »Nichts,« sagte die alte Försterin; »nur ist leider bald nach eurer Abreise, wie ein Schreiben von dem Oberforstamte angekommen. Was es wohl sein mag!« Sie reichte ihm das Schreiben verschlossen hin. Er öffnete es – erblaßte – und sagte mit einem Blick zum Himmel: »Nun, Herr, dein Wille geschehe!« Alle schauten erschrocken und erwartungsvoll auf ihn. »Was ist es denn?« fragte die Großmutter. »Wir sollen aus diesem Hause fort,« sagte er, »ja wir sollten schon fort sein. Der Oberförster befiehlt in diesem Schreiben, das Forsthaus müsse längstens bis zum Weihnachtsabende geräumt und gereinigt sein, damit der neue Förster auf die Weihnachtfeiertage einziehen könne. Er droht, wenn wir ihm nicht gehorchen würden, uns durch die Amtsdiener abführen zu lassen. Mich wundert, daß sie noch nicht da sind, wir sind keinen Augenblick sicher, daß sie uns aus dem Hause werfen.«

»Ach Gott!« rief die junge Försterin, »jetzt, in dieser fürchterlich stürmischen Nacht! Hört ihr, wie draußen der Sturmwind braust? Wie es regnet? Wo werden wir gegen Sturm und Regen ein Obdach finden?« Sie sank auf einen Sessel und umfaßte ihre zwei Kinder. »Guter Gott,« seufzte sie, »ach erbarme du dich dieser unschuldigen Kinder!« Der junge Förster stand mit gefalteten Händen sprachlos vor ihr, und blickte sie und seine zwei Kinder mit Augen voller Thränen an.

»O du mein Gott,« sagte die Großmutter schluchzend und die Hände ringend, »in unsern alten Tagen mit Kindern und Enkeln aus dem Hause vertrieben zu werden, in dem ich geboren bin, in dem mein Vater und Großvater lebten – ach, es ist schrecklich! Guter Gott, laß mich in diesem Hause, in dem ich geboren ward, vollends absterben!«

Katharina weinte stille Thränen; Luise stand zitternd und bebend da, wie ein Lamm, das man schlachten will. Der alte Förster aber mit seinem ehrwürdigen Angesichte, der hohen kahlen Stirne und den grauen Seitenlocken, blickte lange schweigend zum Himmel, und sprach dann ruhig und gefaßt: »Ja, meine liebsten Kinder, es ist an dem, daß wir dieses Haus verlassen müssen. Ich weiß keinen Menschen, der uns alle zugleich in sein Haus aufnehmen könnte. Wir werden jetzt wohl von einander getrennt werden. Ich hoffte zwar, in eurer Mitte ein ruhiges Alter zu genießen – hoffte, ihr würdet, so wie ihr jetzt um mich versammelt seid, in diesem Hause einst alle an meinem Sterbebette stehen. Gott beschloß es anders – wir wollen uns in seinen heiligen Willen ergeben.«

Er blickte auf seine Enkel und sprach weiter: »Unser Herz regt sich, wenn wir diese weinenden Kinder betrachten. Gott hat noch ein liebevolleres Vaterherz gegen uns. Schickt er ein so schweres Leiden über uns, so hat er gewiß die weisesten Absichten dabei. Auch diesen Jammer wird er zu unserm Besten lenken. Wenn es einmal auf das äußerste gekommen, muß es wieder besser gehen. Die Alten sagten ja aus wohlbewährter Erfahrung: Ist die Not am höchsten, so ist Gottes Hilfe am nächsten. – Wir haben in dieser Stube viele Weihnachtsabende in Freuden zugebracht, laßt uns auch den einen traurigen von Gottes Hand willig annehmen.«

»Du hast recht, liebster Mann!« sagte die alte Försterin; »wir wollen alles Gott überlassen und in unserm großen Jammer getrost sein. Ach, ich dachte oft daran, wie es Marien sein mußte, als sie nicht nur in dem Stalle übernachten mußte, sondern bald darauf ihre Wohnung bei dunkler Nacht – wie jetzt wir – gar verlassen und mit ihrem göttlichen Kinde fortziehen sollte in ein anderes Land. O so groß ihr Glauben, ihr Vertrauen war, ich denke doch, daß ihr, wo nicht um ihrer selbst, doch um ihres Kindes willen, Thränen in die Augen traten! Ich weiß, was es um ein Mutterherz ist! Ihre Leiden waren gewiß herzzerschneidend. Jeder Mensch auf Erden aber muß in ähnliche Lagen kommen. Gott läßt keines seiner Kinder ungeprüft. Jene alten Geschichten werden auf eine gewisse Art an uns erneuert. Allein derjenige, der Marien, in dem armen Stalle und auf ihrer traurigen Flucht, tröstende Freunde und leitende Engel zuschickte, wird auch uns nicht ohne Trost lassen. Er wird zu rechter Zeit Hilfe schicken.«

Nun wurde mit einem Male an der Hausthüre geklopft. »Jetzt kommen sie,« sagte der alte Förster »und werden uns aus dieser Stube vertreiben.« Der Förstersohn fuhr auf, blickte nach seinem Gewehre, und rief: »Das sollen sie sich nicht unterstehen, meine grauen Eltern, mein liebes Weib, meine Kinder, meine Schwestern aus dem Hause zu werfen. Den ersten, der an sie Hand anlegt, den – –«

»O nein, nein, mein Sohn,« sprach der alte Vater, »sprich diese schrecklichen Worte, die du auf der Zunge hast, nicht vollends aus. Keine Widersetzlichkeit; nichts von unrechtmäßiger Gewalt! Gott ist über uns und ihnen. Er allein ist unser Schutz und unsere Zuflucht. Wenn unsere Bitten und Vorstellungen über diese Männer, die uns zu vertreiben kommen, nichts vermögen, so gehen wir willig aus dem Hause, und flüchten uns, bis die Nacht vorüber ist, in jene Höhle des Waldes, in der wir bei stürmischer Witterung auf der Jagd oft eine Zuflucht gefunden hatten. Ach,« sprach er, indem er aus seinem Lehnsessel aufstand, »ich wollte, ein jedes aus euch könnte mit mir altem, vielgeprüftem Manne sagen:

Um mich hab‘ ich mich ausbekümmert,
    Und alle Sorg‘ auf Gott gelegt,
Würd‘ Erd‘ und Himmel auch zertrümmert,
    So weiß ich doch, daß er mich trägt;
Und hab‘ ich meinen treuen Gott,
So frag’ ich nichts nach Not und Tod.«

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