Christoph von Schmid
Der Weihnachtsabend
Christoph von Schmid

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Siebentes Kapitel.

Widerwärtige Schicksale des Försters.

Der treffliche Förster hatte mit den Seinigen seit Antons Abreise mehrere Jahre in Ruhe und Zufriedenheit verlebt. Seine Kinder waren erwachsen; der Sohn ein rüstiger junger Mann, die Töchter blühende Jungfrauen; alle sehr gut erzogen und von untadelhafter Aufführung. Allmählich empfand der gute Vater aber die Beschwerden des herannahenden Alters. Er ward darauf bedacht, seinen Dienst dem Sohne abzutreten. Der Fürst des Landes besuchte jährlich im Herbste auf einige Tage das fürstliche Jagdschloß Felseck; denn die Jagd war ihm bei seinen vielen Geschäften immer einige Erholung. Er war ein sehr leutseliger Herr; jeden seiner Unterthanen, auch den geringsten, hörte er liebreich an und redete freundlich mit ihm. Als der Fürst wieder auf dem Jagdschlosse angekommen, und die Jagd in dem Walde des alten Försters besonders gut ausgefallen war, näherte sich ihm der Fürst, klopfte ihm sehr zufrieden auf die Schulter und sagte: »Nun wie geht’s, mein lieber Förster?«

»Eure Durchlaucht,« sprach der Förster, »diesen alten Schultern will die Last des Tages zu schwer werden; ich wünsche sie jüngern Schultern übertragen zu dürfen.«  »Nun,« sprach der Fürst, »doch wohl Eurem Sohne, dem Christian dort? Er ist ein braver Jäger, und, was ich ohne Vergleich mehr schätze, ein sehr guter Forstmann. Die Waldungen sind, wie ich auf der Jagd gar wohl bemerkte, im besten Zustande. Verlaßt Euch darauf, kein anderer bekommt den Dienst. Er mag ihn auch einstweilen versehen. Indes ist mir’s lieb, wenn Ihr noch eine Zeit die Oberaufsicht und den Förstertitel beibehaltet. Auch die besten jungen Leute werden leicht übermütig und nachlässig, wenn ihr Rockkragen zu frühe mit goldenen Börtchen verbrämt wird. Es ist mein und euer Vorteil, wenn Ihr noch eine Zeit Förster bleibt.«

Der Förster bezeigte dem Fürsten für die gnädige Zusicherung seinen Dank, und sagte dann: »Es ist aber noch ein anderer Umstand dabei. Mein Sohn könnte sich eben jetzt gut verheiraten – mit der Tochter meines Jugendfreundes, des längst verstorbenen Försters Busch. Das Mädchen hat erst kürzlich auch ihre Mutter verloren und weiß nun nicht wohin. Sie ist arm – aber sehr fromm, fleißig und die lautere Unschuld, Güte und Bescheidenheit.«  »Nun wohl,« sprach der Fürst; »ich lobe es sehr, daß ein braver Mann bei seiner Wahl mehr auf Unschuld und Tugend, als Geld und Gut sehe. Ich gebe ihm die Erlaubnis zu heiraten mit Vergnügen – und die Anwartschaft auf den Försterdienst dazu. Ich werde sogleich Befehl geben, damit das Dekret ausgefertigt werde.«

Der Förstersohn, der voll banger Erwartung in einiger Entfernung stand, kam auf den Wink seines Vaters herbei, und dankte dem Fürsten. Die Heirat kam zu stande. Mit der jungen sanften Frau kam neuer Segen in das Haus; Friede und Eintracht wohnten unter dem Dache des guten Försters. Dem alten Manne wurde noch die Freude, seine Enkel auf seinem Schoße zu sehen, und die alte Försterin wurde wie verjüngt, nun ihre kleinen Enkel pflegen und tragen zu können. Die Töchter des Hauses lebten mit der jungen Försterin wie mit einer Schwester. Alle waren sehr glücklich.

Allein bald kam über dieses glückliche Haus eine große Widerwärtigkeit. Sie entspann sich aus einer alten Geschichte, die der alte Förster beinahe vergessen hatte. Jener junge Herr von Schilf, der ehemals mit dem Förster auf die Jagd gegangen war, hatte bald darauf sich herausgenommen, allein und ohne Erlaubnis des Försters in den Wald zu gehen, und alles, was ihm zu Gesicht kam, ohne Erbarmen niederzuschießen. Der Förster traf ihn im Walde und sagte: »Das Wildschießen ist sehr strenge verboten. Haben Sie, mein lieber junger Herr, Lust zur Jagd, so kommen Sie, wie bisher, zu mir. Ich nehme Sie dann gern mit mir, und weise Ihnen die besten Plätze an, wo Sie dann nach Herzenslust schießen können. Allein das darf ich nicht zugeben, daß Sie eigenmächtig in dem mir anvertrauten Forste schalten und walten.«

Wer aber nach wie vor auf die Jagd ging, war der junge Herr. Der Förster traf ihn wieder, nahm ihm das Gewehr und sagte: »Gott weiß es, ich thu‘ es ungern. Allein ich muß. Die Befehle sind streng; ich kann nicht anders. Wenn ich Sie nochmals treffe, muß ich weitere Anzeige machen, und dann – geht es Ihnen nicht gut.« Der brave Förster ging überdies noch zu dem alten Herrn von Schilf und bat ihn, dem jungen Herrn das Jagen zu verbieten. Der alte Herr ließ zwar sonst seinem Sohne alles hingehen. Allein diesesmal ward er doch sehr aufgebracht; er fürchtete die fürstliche Ungnade. Er drohte seinem Sohne mit der Enterbung, wenn er noch ein einziges Mal auf die Jagd gehen würde; es sei denn, der Förster gehe mit ihm. Allein der junge Herr war es schon gewohnt, seinem Vater nicht zu gehorchen. Bald darauf hörte der Förster einen Schuß, eilte hin und traf den jungen Herrn bei einem erlegten Hirsch. Der Förster machte die Anzeige. Der alte Herr von Schilf reiste selbst zum Fürsten und flehte um Gnade. Der Fürst sagte: »Nach den Gesetzen sollte der junge Herr in das Zuchthaus wandern. Ich will ihn zwar begnadigen; allein läßt er sich noch einmal treffen, so schicke ich ihn sicher dahin – und da begreifen Sie wohl, daß ich mir einmal keinen Rat oder andern Diener aus dem Zuchthause nehmen kann.« Die Sache wurde so beigelegt. Der junge Herr von Schilf faßte aber einen grimmigen Haß gegen den ehrlichen Förster und glühte, wiewohl indes viele Jahre verflossen waren, noch immer von Rache gegen ihn. Jetzt starb nach einer Krankheit von wenigen Tagen der Fürst; der Erbprinz war noch minderjährig und befand sich eben auf Reisen. Es wurde eine Vormundschaft angeordnet, und in dem Lande ging manche Veränderung vor. Der junge Herr von Schilf, der sehr reich war und angesehene Verwandte hatte, wurde Oberförster. Mit großer Pracht zog er in das fürstliche Jagdschloß Felseck ein, von dem ihm ein Teil zur Wohnung angewiesen wurde. Er war nunmehr der Vorgesetzte des guten Försters, und quälte den alten Mann unsäglich. Des Tadelns war kein Ende. Der Förster konnte ihm nichts recht machen.

Der Erbprinz hatte zwar kürzlich die Regierung angetreten. Allein der Oberförster von Schilf, der sehr abgeschliffen, gewandt und beredt war, wußte den obersten Forstmeister, der bei dem neuen Fürsten sehr viel galt, ganz für sich einzunehmen, und ward nun gegen den guten Förster noch übermütiger und feindseliger, als zuvor. »Ihr taugt nicht mehr zum Dienste,« sagte er einmal zu ihm; »ich werde darauf antragen, einen brauchbareren Mann für den schönen Forst zu bekommen.« Der Förster sagte: »Herzlich gern lege ich mein Amt nieder. Ich hätte es schon längst gethan, wenn der hochselige Fürst es zugegeben hätte. Es ist also mein Sohn Förster.«  »Das wäre«, sagte Herr von Schilf höhnisch lächelnd. »Da müßte ich auch etwas davon wissen.« Der Förster berief sich auf jenes fürstliche Dekret, dem zufolge sein Sohn geheiratet hatte. »Pah«, rief Herr von Schilf, »ich kenne es wohl.« Er wußte es sehr künstlich auszulegen. »Es ist«, sagte er, »bloß ein Versprechen auf Wohlverhalten; nichts weiter. Der Junge taugt aber nichts. Ich werde meinen Mann besser zu wählen wissen.«

Der alte, graue Förster bemühte sich vergebens, eine Thräne zu verhehlen und sagte: »Seien Sie nicht ungerecht, Herr Oberförster! Sie glaubten sich einmal von mir beleidigt. Deshalb sollten Sie sich zweifach in acht nehmen, mir wehe zu thun.«  »Was«, rief Herr von Schilf, und seine Augen funkelten von Zorn: »Ihr selbst erinnert mich an Eure Grobheiten; Ihr selbst mahnt mich daran, daß Ihr mir mein einziges Jugendvergnügen geraubt und mich bei Hofe angeschwärzt habt. Ihr seid ein ungeschliffener, übermütiger Kerl. Von jeher hattet Ihr keine Achtung für höhere Stände, und hieltet Euch nur an Bettelgesindel. Eurem Sohne habt Ihr gestattet, ein Mädchen ohne Heller und Pfennig, eine wahre Bettlerin zum Weibe zu nehmen. Euer hübsches Vermögen habt Ihr an den Bettelbuben, den Anton, weggeworfen. Ihr wußtet Euer eignes Vermögen nicht zu verwalten, wie solltet Ihr fremdes Eigentum und das Interesse des Fürsten gut besorgen? Geht, geht, mit Euch ist nichts anzufangen. Ich hoffe, wir werden bald wenig mehr miteinander zu thun haben, und Ihr sollet mir bald gar nicht mehr unter die Augen kommen.«

Der Förster ging. »Hm«, dachte er auf dem Heimwege, »der Oberförster mag sagen, was er will. Meine Waldungen sind in der besten Ordnung. Er kann, so abgeneigt er mir ist, mir doch nichts anhaben. Ich lasse es darauf ankommen.« Er sagte indessen zu Hause den Seinigen von allem, was der Oberförster gesagt hatte, nichts, um sie nicht ohne Not zu betrüben.

Allein bald darauf, da der alte Mann eben aus dem Walde zurückgekommen war und in seinem Lehnsessel ausruhte, trat ein Bote in die Stube, und überreichte ihm ein Schreiben vom Oberforstamte. In dem Schreiben stand: »Der bisherige Förster Grünewald sei vermöge höchsten Befehls, wegen Altersschwäche und davon herrührender Unfähigkeit, seines Dienstes entlassen und der Forst bis zur Wiederbesetzung einstweilen dem benachbarten Förster zu Waldenbruch zur Verwaltung übergeben worden.« Von einem Ruhegehalt für den verdienten alten Mann, von einer andern Anstellung seines Sohnes war keine Rede. Nur wurde noch bemerkt, der abgekommene Förster solle sich von dem Augenblicke an, da er dieses Schreiben erhalte, nicht mehr unterstehen, im Walde einen Schuß zu thun oder sich auch nur mit einem Gewehre blicken zu lassen, bei Strafe, daß es ihm abgenommen werde.

Der alte Förster öffnete das Schreiben und ward sehr bestürzt; seine Hand zitterte, in der er es hielt. Indessen faßte er sich wieder und las den Seinigen, die in der Stube mit allerlei Arbeiten beschäftigt waren, das Schreiben laut vor. Die alte Försterin und ihre zwei Töchter wurden bleich vor Schrecken. Der junge Förster glühte vor Zorn über die Bosheit des Oberförsters. Die junge Försterin stand eine Weile sprachlos da und fing dann an, laut zu weinen. Ihre Kinder, die in der Stube spielten und die Mutter weinen sahen, weinten auch. Es entstand ein allgemeiner Jammer. Nur der alte ehrwürdige Förster stand ruhig in ihrer Mitte, und sprach: »Vergeßt nicht, daß der alte Gott noch lebt. Du, Großmutter, höre zuerst auf zu weinen, und gib unsern Kindern und Enkeln ein Beispiel von Vertrauen auf Gott. Gegen seinen Willen können böse Menschen uns nicht schaden. Diese Prüfung kommt von ihm; sie wird uns einmal zu unserm Besten gereichen. Also Mut gefaßt! Gott ist unser mächtiger Beschützer. Er verstoßt uns nicht, wenn uns auch alle Welt verstoßen sollte. Er, der gute, reiche Vater wird uns, seinen Kindern, nie an Brot fehlen lassen. Auf ihn wollen wir vertrauen und unverzagt und getrost sein.«

»Indes,« fuhr er fort, »will ich nichts von dem unterlassen, was ich thun kann. Ich reise morgen des Tages zum Fürsten. Er ist so edelmütig, als sein hochseliger Vater. Er wird mich hören, so überhäuft er auch jetzt, bald nach dem Antritte seiner Regierung, mit Geschäften sein mag. Er ist gerecht, er wird nicht zugeben, daß man einen alten Diener, der dem Fürstenhause über vierzig Jahre treu und redlich diente, so ohne weiteres mit Weib, Kindern und Enkeln dem Mangel und dem Hungertode preisgebe. Du, Christian, mußt mich begleiten. Wir können ja jetzt beide abwesend sein, ohne den Oberförster um Urlaub zu bitten. Wir machen die Reise zu Fuß; das Reiten oder Fahren wäre für unsere jetzigen Umstände zu kostbar; ist auch gar nicht notwendig. Die nötigen Kleidungsstücke für die Reise finden in unsern Jagdtaschen wohl Platz. Macht nur Anstalt, daß morgen frühe alles bereit sei.«

Der alte Förster war am folgenden Morgen schon vor Anbruch des Tages aufgestanden und weckte seinen Sohn. »Es wird mir zu lange, auf den Tag zu warten,« sagte er; »es ist ja Mondschein und wir kennen alle Wege. Laß uns gehen!« Die alte Försterin legte die grüne, goldbordirte Uniform hübsch zusammen, und schlug ein reines Leinentuch darüber, um sie bequemer in die Jagdtasche zu packen. Katharine brachte Weißzeug und einige Lebensmittel für die Reise. Die junge Försterin und Luise machten das Frühstück zurecht und kamen damit in die Stube. Die Kleinen schliefen noch. »Und bis wann gedenkst du denn wieder zurückzukommen?« fragte die alte Försterin ihren Mann. »Das weiß ich selbst noch nicht genau,« sprach er; »vor acht Tagen schwerlich.«  »Morgen über vierzehn Tage ist der heilige Weihnachtsabend,« sagte die alte Försterin; »bis dahin kommst du doch gewiß?«  »Will’s Gott, morgen über acht Tage,« sagte der Förster. »Übrigens gehe es wie es wolle, den heiligen Weihnachtsabend muß ich mit Euch feiern.«  »Gott gebe, in Freuden!« sagte die Försterin. »Betet indessen,« sagte der Förster noch, »und vertraut auf Gott. Er wird machen, daß die Sachen gehen, wie es heilsam ist.« Alle begleiteten die zwei Männer unter die Hausthüre. Es war noch völlig Nacht, und man sah noch nicht das geringste von der Morgenhelle. Sie gingen indessen in der kalten schauerlichen Dezembernacht getrost weiter.

Alle im Hause waren nun um die lieben Reisenden, besonders um den alten Vater sehr besorgt. Die ersten acht Tage wußten sie sich zwar immer zu trösten. Als aber weiterhin ein Tag nach dem andern verging und die Witterung höchst unfreundlich und stürmisch wurde, und es fast unaufhörlich regnete, wurden sie sehr unruhig. »Ach,« sprachen sie, »der Christian, so rüstig er ist, wird genug auszustehen haben; wie wird aber der alte Vater durchkommen?« Die zwei Kinder des jungen Försters liefen alle Augenblicke vor die Hausthüre, um zu sehen, ob der Vater und der Großvater denn noch nicht kämen.

So verfloßen zu den ersten acht Tagen noch acht Tage in Kummer und Sorgen. Überdies hatte bald nach der Abreise der beiden Förster ein Jägerbursch des Oberförsters ein amtliches Schreiben gebracht. Die Försterin getraute sich zwar nicht, es zu öffnen; allein sie fürchtete, daß es nichts Gutes enthalte. Denn der Jägerbursch hatte noch mündlich mit höhnischer Miene gesagt: »Es ist toll, daß der alte Mann mit seinem jungen Brausekopf in die Residenz lauft. Der Herr Oberförster ist seiner Sache gewiß. Sie richten sicherlich nichts aus und kehren mit Schand und Spott zurück.« Alle im Hause beteten indes täglich, Gott wolle die beiden Reisenden bei dem Fürsten ein gnädiges Gehör finden lassen und sie glücklich wieder nach Hause führen! Auch die Kinder beteten ungeheißen mit.


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