Christoph von Schmid
Der Weihnachtsabend
Christoph von Schmid

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Fünftes Kapitel.

Ein Weihnachtsgeschenk.

Der heilige Weihnachtsabend war, seit Antons Abreise bereits das dritte Mal, wieder angebrochen. Der Förster kam heute mit seinem Sohne Christian früher aus dem Walde nach Hause. Es war sehr kalt. Der Abendhimmel strahlte glühendrot durch die Fenster in die Stube. Die runden Scheiben fingen schon an zu gefrieren und schimmerten in dem rötlichen Abendschein wie Edelsteine. Der Förster setzte sich in seinen Lehnsessel neben dem großen Ofen. Er legte mehr Holz zu; denn der Ofen war so eingerichtet, daß man ihn auch in der Stube öffnen konnte. Die Flamme loderte bald hoch auf, verbreitete einen wallenden Schimmer durch die Stube, spiegelte sich in den Fenstern und vermehrte das Funkeln der gefrornen Fensterscheiben.

Jetzt kam die Försterin in die Stube. »Ist kein Brief von Anton da?« fragte der Förster. »Nein!« sagte sie mit betrübtem Angesichte. »Wunderlich!« sprach der Förster und schüttelte den Kopf. »Auf den Weihnachtsabend war sonst allemal richtig ein Brief von ihm da. Er schrieb immer sehr ausführlich und seine Briefe waren mir immer die angenehmste Weihnachtsfreude. Was treibt der Junge, daß er nicht schreibt?«

Kaum hatte der Förster dies gesagt, so trat ein Bote mit weißangeduftetem Haar in die Stube. Er hatte einen Brief in der Hand und eine neue Kiste von Tannenholz auf dem Rücken, die zwar nur ganz flach, aber ziemlich breit und so hoch war, daß der Mann sich bücken mußte, um in die Stube zu kommen. »In dem Kistchen wird wohl ein Spiegel sein!« sagte Katharine. Der Bote überreichte dem Förster den Brief, und lud die Kiste ab. »Der Brief ist von dem Herrn Maler Riedinger,« sagte der Förster. »Wie kommt das? Nun glaube ich bald, daß dem armen Anton ein Unglück begegnete.« Er riß den Brief eilig auf, und durchlief ihn am Glanze des Feuers, das aus dem Ofen strahlte, mit begierigen Blicken. »Denkt nur,« rief er freudig, »Anton schickt uns bis aus Rom ein Gemälde zum Weihnachtsgeschenk. Er hat es, zusammengerollt, an Herrn Riedinger übermacht, und ihn ersucht, es in eine reiche goldene Rahme fassen zu lassen, und dafür zu sorgen, daß wir es auf den heiligen Abend sicher bekämen. Das Gemälde sei ein wahres Meisterstück, schreibt Herr Riedinger. Der Anton ist doch ein trefflicher Junge; ich möchte ihn gleich umarmen.«

»Katharine!« rief er jetzt, »bring doch dem ehrlichen Boten, bis das Essen kommt, einstweilen ein Glas Wein. Das wird ihm gut thun; denn es ist draußen wirklich grimmig kalt.« Der Bote nahm den Wein mit Dank an; verbat sich aber das Abendessen. Er habe, sagte er, zu Äschenthal Anverwandte, und wolle bei diesen den Weihnachtsabend und den heiligen Tag zubringen. »Auch gut!« sprach der Förster, hieß den Boten austrinken, beschenkte ihn reichlich und entließ ihn.

»Nun,« sprach der Förster, »setzt euch alle um mich her! Da ist in des Herrn Riedingers Brief auch noch ein Brief von Anton eingeschlossen; den will ich euch vorlesen.« Luise sagte: »Ich will nur noch zuvor ein Kerzenlicht holen.«  »Wohl,« sprach der Förster; »ich kann dann den Brief mit mehr Bequemlichkeit lesen. Aber eile!« Luise brachte die brennende Kerze sogleich auf einem glänzenden Leuchter von Messing. Alle saßen bereits begierig im Kreise umher. Der Förster las:

»Liebste, beste Eltern und Geschwister! Sie erhalten hier ein Weihnachtsgeschenk, ein Gemälde, das ich mit viel Fleiß gemalt habe. Es stellt den neugebornen Heiland in der Krippe vor. Mehrere Künstler versicherten mir, das Bild sei sehr gelungen. Ich wünsche, daß es Ihnen nur halb so viel Freude machen möchte, als mir die Vorstellung des Kindes Jesu in der Krippe machte, da ich das erste Mal in Ihr Haus trat. Gewiß würden Sie dann keine geringe Freude haben.«

»Ach, daß ich doch mit dem Bilde selbst zu Ihnen reisen, und es Ihnen überreichen könnte! Es ist zwar dahier ein herrliches Land! Jetzt, im Monate November, da ich dies schreibe, ist es bei Ihnen wohl schon längst Winter, und Ihr Dach und die Tannen und Eichen umher seufzen unter der Last des Schnees. Aber hier prangen die Zitronen- und Pomeranzenbäume noch mit silberhellen Blüten und goldenen Früchten. Dennoch sehen ich mich unter all diesen Herrlichkeiten nach Ihrem ländlichen Kaminfeuer zurück, an dem ich die seligsten Stunden meines Lebens zugbracht habe.«

»Ihrer Güte habe ich es zu danken, daß ich unter dem milden Himmel Italiens lebe, daß ich, wenn ich je diesen Namen verdiene, ein Künstler bin. Jene gemütliche Vorstellung der Krippe Jesu für Kinder, so unvollkommen sie auch sein mochte, weckte mein Talent zuerst. Immer steht sie mir noch vor Augen, und was ich auch, allerdings ohne Vergleich Herrlicheres, von Kunstwerken sehe, so werde ich doch nicht so, wie damals, davon entzückt. Ach, die seligen Jahre der Kindheit gehen doch über alles! Da erblicken wir alles umher wie verklärt vom goldenen Glanze der Morgenröte. Schade, daß sie so schnell vorüber sind.«

»Jetzt, in diesem Augenblicke, da Sie diesen Brief lesen und meine Malerei betrachten, bin ich im Geiste unter Ihnen zugegen. Ich erinnere mich mit gerührtem Herzen, wie ich halb erstarrt unter Ihr ländliches Dach kam, wie mich die gute Mutter mit warmen Speisen erquickte, wie Sie mich zu Ihrem Kinde aufnahmen, wie Christian, Katharine und Luise ihre Weihnachtsgeschenke so freudig mit mir teilten. O liebster Vater! Ich küsse dankbar Ihre und meiner Pflegemutter ehrwürdigen Hände.«

»Ich umarme alle meine Geschwister. Ich freue mich jetzt schon im voraus, Ihnen nach einigen Jährchen nicht bloß im Geiste und aus weiter Ferne, sondern von Angesicht zu Angesicht sagen zu können, wie von ganzem Herzen ich sei – Ihr dankbarer, Sie innigstliebender Anton. Rom, den 15. November 1765.«

»Das ist ein Brief,« sagte der Förster und wischte sich die Augen; »was wir auch an den Jungen gewendet haben, es ist alles noch zu wenig. Ich setzte zwar immer keine kleine Hoffnungen auf ihn; allein er übertrifft sie alle bei weitem. Niemals hätte ich geglaubt, eine solche Freude an ihm zu erleben. Doch,« sagte er jetzt lächelnd, »ich denke das Nachtessen wartet auf uns. Nach Tische wollen wir das Gemälde besehen.«  »O nein!« riefen alle einmütig, »jetzt gleich! Das geht uns über das Essen!« fügte Luise noch bei; »ich will nur geschwind noch eine Kerze holen, damit wir das Gemälde noch besser betrachten können.« Christian brachte Stemmeisen und Hammer, und öffnete die Kiste, und alle riefen, als das schöne Bild zum Vorschein kam: »O wie schön! Wie lieblich! Welche himmlischen Gestalten! Welche unvergleichlichen Farben!« – –


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