Christoph von Schmid
Der Weihnachtsabend
Christoph von Schmid

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Drittes Kapitel.

Die edle Försterfamilie.

Der Förster, der den armen Waisenknaben an Kindesstatt angenommen hatte, war ein sehr rechtschaffener, biederer Mann, und, wie er sich selbst ausdrückte, noch von altem Schrot und Korn. Er war sehr gottesfürchtig, gegen alle Menschen wohlwollend, und in dem Dienste seines Fürsten unermüdet und von unverbrüchlicher Treue. Der ehrliche Förster hielt sich streng an die frommen Sitten seiner Großeltern, die er noch gekannt hatte, und seiner Eltern, die ganz so wie die Großeltern gesinnt waren.

Am Morgen war es immer sein erstes Geschäft, mit Mutter und Kindern das Morgengebet gemeinschaftlich zu verrichten; eben so wurde auch der Tag mit dem Abendgebete gemeinschaftlich beschlossen. »Wie sollten wir,« sagte er, »nicht jeden Tag mit dem Gedanken an denjenigen anfangen und beschließen, der uns jeden Tag das Leben fristet, und uns Speis und Trank und alles Gute gibt? Es ist wohl auch, denke ich, selbst für Engel ein rührender Anblick, wenn Vater und Mutter in Mitte ihrer Kinder vor Gott knieen, und alle, auch das kleinste nicht ausgenommen, die Hände betend und dankend zum Himmel erheben. Der Vater im Himmel kann nicht anders als segnend auf sie herabblicken.«

Eben so andächtig und ehrerbietig betete der Förster mit allen den Seinigen vor und nach dem Tische. Eines Tages brachte er den jungen Herrn von Schilf von der Jagd mit nach Hause und lud ihn, da eben die Suppe aufgetragen wurde, zum Mittagessen ein. Der junge Herr setzte sich sogleich ohne Tischgebet an den Tisch. Allein der Förster, der sich, wie er zu sagen pflegte, nie ein Blatt vor den Mund nahm, sagte sehr ernsthaft: »Pfui, junger Herr! So machen es meine Wildschweine draußen im Walde; die verschlucken die Eicheln, ohne aufzuschauen, woher sie kommen.« Der junge Herr wollte Einwendungen machen, und meinte, das Tischgebet sei eben nicht so bedeutend. Allein der Förster sprach mit großem Nachdrucke: »Was uns zu bessern Menschen macht, ist von großer Bedeutung. Die Gottseligkeit ist zu allem nütze; von der Gottvergessenheit hingegen habe ich noch keine guten Früchte gesehen, wohl aber schon sehr viele schlimme. Beten Sie mit uns, wie es einem Christen und vernünftigen Menschen geziemt, oder Sie sind mir das letzte Mal auf der Jagd gewesen. Mit einem Heiden möchte ich nichts weiter zu thun haben. Ich mag nicht einmal mit ihm an einem Tische essen.«  »Doch,« setzte der Förster gelassener hinzu, »ich weiß wohl, daß Sie über die Sache nie nachgedacht haben. Sie sahen etwa einige vornehme junge Herren nicht zu Tische beten, und machten es ihnen ohne weitere Überlegung sogleich nach; Sie glaubten dadurch sich selbst ein vornehmes Ansehen zu geben. Allein, mein lieber junger Herr, obwohl Sie Schilf heißen, so müssen Sie deshalb doch nicht dem Schilfe gleichen, das innen leer und ohne Mark ist, und sich nach jedem Lüftchen dreht.« Der junge Herr stand wieder auf und bequemte sich mitzubeten. Er that es aber nicht aus Andacht gegen Gott, sondern bloß aus Liebe zur Jagd.

Am fröhlichsten war der ehrliche Förster immer, wenn er sich in der Mitte seiner Familie befand. »Was soll ich die Freude auswärts suchen,« sagte er, »da ich sie zu Hause besser und wohlfeiler haben kann.« Er trank daher nach vollbrachtem Tagewerk seinen Krug Bier und Sonntags sein Glas Wein daheim, führte mit seiner Hausfrau vertrauliche Gespräche oder erzählte den Kindern fröhliche und lehrreiche Geschichten. Wenn er besonders aufgeräumt war, nahm er seine Harfe zur Hand. »Diese gilt uns,«ehrliche Förster immer, wenn er sich in der Mitte seiner Familie befand. »Was soll ich die Freude auswärts suchen,« sagte er, »da ich sie zu Hause besser und wohlfeiler haben kann.« Er trank daher nach vollbrachtem Tagewerk seinen Krug Bier und Sonntags sein Glas Wein daheim, führte mit seiner Hausfrau vertrauliche Gespräche oder erzählte den Kindern fröhliche und lehrreiche Geschichten. Wenn er besonders aufgeräumt war, nahm er seine Harfe zur Hand. »Diese gilt uns,« sagte er, »bei den langen Winterabenden in unserm rauhen Walde anstatt Konzert und Oper.« Er hatte in seiner Jugend zwar das Waldhornblasen angefangen; allein da der Arzt ihm es untersagte, so verlegte er sich, als ein großer Freund der Musik, auf die Harfe. Die Försterin wußte mehrere schöne Lieder, und der Förster begleitete sie mit seinem Harfenspiel. Auch die Kinder hatten bald einige ihrem Alter angemessene Liedchen gelernt und sangen zusammen, gleich den Zeisigen im Walde.

Die Kinder des Försters gingen nach Äschenthal, dem nächsten Pfarrdorfe, in die Schule. Sobald die Weihnachtsfeiertage vorüber, und die Wege durch den Wald wieder gangbar waren, mußten Christian und Katharine täglich dahin gehen. Anton ging mit tausend Freuden mit, und übertraf bald alle seine Mitschüler. Sein Fleiß und seine Talente waren ausnehmend. Wenn der Förster abends von der Jagd nach Hause kam und in seinem Lehnstuhle nächst dem wärmenden Ofen saß, mußten ihm die Kinder erzählen, was sie in der Schule gelernt hatten, und ihm ihre Schriften vorweisen. Anton wußte immer am meisten zu erzählen; seine Schriften waren immer die schönsten, und in dem Lesen brachte er es bald zu einer großen Fertigkeit. Nach dem Abendessen mußten die Kinder abwechselnd vorlesen; allein alle im Hause hörten am liebsten dem Anton zu. »Er liest am natürlichsten,« sagte die Försterin. »Wenn man es nicht sähe, daß er ein Buch vor sich habe, so meinte man sicher, daß er die Geschichte nicht lese, sondern daß er sie einmal gehört habe, und sie uns nur so aus dem Kopfe erzähle.«

Der fröhlichste Tag in der Woche war den Kindern immer der Sonntag. An diesem Tage ging der Förster nicht auf die Jagd und die Kinder konnten den ganzen Tag um ihn sein. »Ich bringe,« sprach er, »die sechs Tage der Woche unausgesetzt und unverdrossen in herrschaftlichen Diensten zu; allein der Sonntag ist dem Dienste eines größern Herrn gewidmet. Auch ist mir und meinen Holzhauern nach sechs Arbeitstagen wohl ein Ruhetag zu gönnen.« Am Sonntage morgens gingen Vater und Mutter in der lieblichen Sonntagsfrühe mit den Kindern nach Äschenthal in die Kirche. Das war den Kindern, besonders im Frühlinge und im Sommer, eine große Freude. Der Weg führte bald über waldige Berghöhen hin, bald durch schmale Wiesenthälchen, die mit buschigen Felsen und hohen Bäumen umgeben waren. »O wie schön ist’s doch im Walde,« sprach dann wohl Anton; »wie herrlich grünen die Bäume im Glanze der Morgensonne! Ja, am Sonntage kommt mir der Wald noch viel schöner vor, als sonst. Mir ist’s, als hätten alle Bäume ein freundlicheres Grün. Die Vögelein auf den belaubten Zweigen singen viel fröhlicher. Und außer ihnen schweigt alles! Man hört keine Holzaxt, kein Wagenrad und keinen Schuß; nur die Kirchenglocke ertönt in der Ferne. Es ist alles so still und ruhig, wie in der Kirche.«

»So feierlich, wie in einem Tempel,« sagte der Förster. »Auch der Wald ist ein Tempel des Herrn; er, der Allmächtige, stellt diese Bäume wie Säulen umher, und fügt Zweige zu einem grünen Gewölbe zusammen. Alles, von der ungeheuren bemoosten Eiche dort bis zu den kleinen Maiblümchen hier zu unsern Füßen, verkündet uns seine Allmacht und Güte. Ja die ganze Erde, so weit der blaue Himmel sich wölbt, ist ein Tempel seiner Herrlichkeit. Besonders am Sonntage sollen wir ihn in diesem seinem Tempel anbeten und diese herrlichen Werke andächtig betrachten. In diesem prachtvollen Tempel, den er selbst erbaute, können wir seine unermeßliche Größe und Herrlichkeit wahrnehmen; in unsern Kirchen aber, wiewohl sie von Menschenhänden erbaut sind, läßt er seine Ratschlüsse und seinen heiligen Willen uns näher offenbaren. Auch deshalb wurde der Sohn Gottes ein Mensch, lehrte uns Menschen und ordnete das Lehramt an. In hunderttausend Tempeln und Kirchen der ganzen Christenheit wird an dem heutigen Tage seine Lehre verkündet und von Millionen Menschen angehört. Merkt daher auch ihr, meine Kinder, heute in unserer Kirche andächtig auf jedes Wort des Lehrers und bewahrt es in eurem Herzen.« Solche und ähnliche Gespräche führte er mit den Kindern auf dem Wege zur Kirche; auf dem Heimwege aber redete er mit ihnen von der Predigt, und sie wetteiferten, ihm zu erzählen, was sie daraus sich gemerkt hatten.

Bei Tische war der Förster Sonntags immer besonders fröhlich. »Die Freude,« sprach er, »mit euch zu Mittag zu essen, wird mir unter der Woche selten zu teil; da verzehre ich mein Mittagsmahl meistens gleich im Walde aus der Faust, und es schmeckt mir, Gott sei Dank, immer sehr gut. Aber am Sonntage schmeckt es mir doch am besten, nicht weil die Mutter da eine bessere Mahlzeit bereitet, sondern weil ich die Speisen in eurer Mitte genießen kann.« Er legte den Kindern mit dem herzlichsten Wohlwollen selbst vor. »Esset, Kinder, esset,« sprach er, »und danket Gott für seine Gaben.« Nach Tische ging er mit den Kindern im Wald umher, lehrte sie die mancherlei Bäume, Sträuche und Kräuter kennen und pries ihre mannigfaltige Schönheit und Brauchbarkeit. »So,« sprach er dann immer, »hat Gott alles, auch das kleinste Kräutlein, schön gebildet und zu dem Nutzen des Menschen eingerichtet. Auch der Wald ist ein Buch, in dem ihr auf allen Blättern von der Weisheit und Güte Gottes lesen könnet.«

Wenn im Frühlinge oder im Sommer der Abend schön war, so deckte die Försterin unter der großen Linde, nicht weit vom Försterhause, wo ein Tisch nebst einigen Bänken angebracht war. Nach dem Abendessen sangen sie noch einige schöne und rührende Abendlieder. Der Förster spielte dazu die Harfe und die Vögel auf allen Bäumen des Waldes umher stimmten in den Gesang und das Harfenspiel mit ein.

Anton fühlte sich unter diesen edlen Menschen, bei denen wahre Frömmigkeit, Eintracht und Liebe, Fleiß, Ordnung und Zufriedenheit wohnten, höchst glücklich. »Gott meinte es doch recht gut mit mir,« sagte er öfter. »Er hätte mich auf der ganzen Welt zu keinen besseren Menschen führen können.« Der gute Knabe war aber auch die lautere Dankbarkeit und Dienstfertigkeit gegen seine Pflegeeltern. Wenn der Förster abends aus seinem Forstbezirke heimkam, eilte Anton sogleich, ihm den alten hechtgrauen Überrock mit grünen Aufschlägen, dessen sich der Förster als eines Schlafrockes bediente, und die Pantoffeln zu bringen. Wenn die Försterin in der Küche am Herde stand und kochte, trug er ihr ungeheißen Holz zu oder lief, um ihr einige Schritte zu ersparen, in den Gemüsegarten am Hause und holte Schnittlauch, Petersilie oder was sie sonst eben von grünen Kräutern nötig hatte. Mancher ihrer Wünsche ward, bevor sie ihn aussprach, schon erfüllt.

Seinem guten Pflegevater erzeigte er aber noch ganz besonders gute Dienste. Der Förster verfertigte von allen ihm anvertrauten Waldungen Risse, und gab ihnen mit Farben ein schönes, gefälliges Ansehen. In der Ecke jedes Blattes war der Namen des Waldes mit großen Buchstaben geschrieben, und, nachdem es ein Wald war, mit einem Kranze von Tannenzweigen oder Eichenlaub eingefaßt. Anton brachte es bald so weit, daß er die größten Risse nett und genau nachzeichnen konnte. Die Verzierungen aber, die er dabei anzubringen wußte, waren von ihm selbst erfunden und so gut ausgeführt, daß der Förster darüber erstaunte. Anton zeichnete zum Beispiel einen Eichbaum, an dem ein Schild mit dem Namen des Waldes lehnte, und seitwärts sah man ein Wildschwein, das nach Eicheln suchte. Oder der Name des Waldes stand in einem Felsen eingegraben, der mit Tannen gekrönt war, und unten am Felsen ruhte ein Hirsch mit zackigem Geweihe. Überhaupt zeichnete und malte Anton in allen seinen freien Stunden bald Landschaften, bald Tiere, und wo er nur ein Streifchen weißes Papier oder einen leerer Briefumschlag fand, zeichnete er einen Vogel, eine Blume, oder einen Baumzweig darauf. Er konnte keinen Augenblick müßig sein. Der Förster und die Försterin liebten den guten Knaben wie ihr eigenes Kind, ja ihre eigenen Kinder wurden, von Antons Beispiel aufgemuntert, noch viel dienstfertiger und thätiger, als sie es zuvor waren.


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