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Zehntes Kapitel.
Ein Kinderfest

Die Frau von Waldheim reiste nun mit Karl in die Residenz, stellte diesen ihren wieder gefundenen Sohn dem Fürsten vor, und bat um die Wiedereinsetzung in ihre Güter. Der ehrwürdige Pfarrer und der wackere West waren auch mit gekommen, um durch ihr vereintes Zeugniß zu beweisen, Karl sey wirklich ein junger Herr von Waldheim. Der Fürst hörte sie sehr gnädig an, fand die vorgebrachten Beweise vollkommen hinreichend und befahl, die Güter unverzüglich ausfolgen zu lassen; er verordnete jedoch, daß die Frau von Waldheim, so lange bis Karl das gesetzliche Alter erreicht haben würde, die Verwaltung der Güter übernehmen solle.

Voll Freude kam Frau von Waldheim mit ihrer Reisegesellschaft zurück auf ihr Schloß. Der würdige Pfarrer reiste nach einem Paar Tagen, unter den dankbaren Thränen der Frau von Waldheim, Karls und Emiliens ab, um sich wieder zu seiner geliebten Pfarrgemeinde zu begeben. Karl bezog, reichlich ausgestattet und unter glänzendern Umständen als vorhin, die hohe Schule. Den trefflichen West aber ernannte die Frau von Waldheim als Vormünderin, zum Rentmeister, und übergab ihm, als einem sehr geschickten Forstmanne, zugleich die Oberaufsicht über die Waldungen, die zu dem Gute gehörten und sehr ansehnlich waren.

Nachdem Karl seine Studien rühmlichst vollendet, dann zu seiner weitern Belehrung und Bildung eine große Reise gemacht, und nunmehr seine Herrschaft übernommen hatte, saß er eines Abends mit seiner Mutter und mit Emilien, die nun eine erwachsene schönblühende Jungfrau war, auf der eichenen Bank nächst dem Schloßthore. Es wurden eben die Schafe eingetrieben. Frau von Waldheim hatte sehr viele angeschafft. Auch jenes Lamm hatte sich zu einer kleinen Heerde vermehrt, die aber von Emilie als ihr besonderes Eigenthum betrachtet wurde. Karl und Emilie unterhielten sich damit, die Schafe und Lämmer zu zählen. »Nun Kinder,« fing die Frau von Waldheim an, als die Heerde vorbei getrieben war, »können wir den Gedanken ausführen, mit dem ich Euch schon längst bekannt gemacht habe. Die Heerde ist jetzt zahlreich genug. Morgen ist es abermals ein Jahr, daß Gott mir, Eurer Mutter, und Euch, meine lieben Kinder, durch jenes Lamm eine so unbeschreibliche Freude gemacht hat, an der alle Aeltern und Kinder unserer kleinen Gutsherrschaft den herzlichsten Antheil genommen haben. Der morgige Tag soll daher ein allgemeines Kinderfest werden für das ganze Dorf und alle dazu gehörige Orte. Ja, auch die Aeltern sollen nicht leer ausgehen.« Frau von Waldheim ging nun mit Karl und Emilien in den Schloßhof, suchte eine Anzahl der schönsten Schafe heraus und befahl dem Schäfer, sie besonders einzuschließen. Am folgenden Morgen gebot sie den Mägden im Schlosse, die Schafe reinlich zu waschen, und die Mägde wetteiferten, es recht schön zu machen. Die Schafe wurden fast so weiß wie Schnee, und Emilie und Christine schmückten sie überdieß noch mit rosenfarbenen Bändern.

Frau von Waldheim ließ nun alle Kinder des Dorfes und des umliegenden Thales, die bereits in die Schule gingen, einladen, Nachmittags um zwei Uhr auf das Schloß zu kommen. Die Kinder, Knaben und Mägdlein, kamen mit tausend Freuden, und waren wohl schon eine Stunde früher in ihrem schönsten Aufputze vor dem Schloßthore versammelt. Zur bestimmten Zeit wurden sie in den Schloßhof gerufen. Und sieh! da stand zu ihrem Erstaunen eine lange Tafel, fast so lang, als der Schloßhof und auf der Tafel erblickten sie, zu ihrer nicht geringen Freude, große schöne Kuchen, blinkende Schüsseln aufgehäuft voll mit allerlei Backwerk, und zierliche Körbchen voll rother und schwarzer Kirschen, und gelber und blauer Pflaumen. Auch standen einige große gläserne Flaschen mit dunkelrothem Methe dazwischen. Die Kinder mußten nun auf den langen Bänken zu beiden Seiten des Tisches, und zwar auf einer Seite die Knaben und auf der andern die Mädchen, Platz nehmen, und es wurde ihnen von Allem reichlich vorgelegt. Da sah man nun lauter fröhliche Gesichter. Die Kinder ließen es sich recht wohl schmecken, und vergaßen auch nicht von dem süßen Methe auf die Gesundheit der gnädigen Frau, Karls und Emiliens zu trinken.

Nachdem alle satt waren, ertönten auf einmal fröhliche Schallmeien. Die Söhne des Schäfers zogen mit dieser ihrer ländlichen Musik in den Schloßhof; die reinliche, schön geschmückte Schafheerde folgte ihnen, und der alte Schäfer, mit seinem großen, zotigen Schafhunde, machte den Beschluß. Die Kinder hatten an den schönen Schafen große Freude, und bald rief dieses, bald jenes: »O wie schön! So schöne blüthenweiße Schafe, die mit so schönen rothen Bändern geziert sind, haben wir noch nie gesehen.« Aber wie groß war erst die Freude der Kinder, als sie hörten, die Schafe sollen unter sie vertheilt werden, und die Kinder jedes Hauses sollen zusammen ein Schaf bekommen! Die Frau von Waldheim wollte die Schafe durch das Loos vertheilen lassen, um die Vertheilung unterhaltender zu machen und jeden Schein von Parteilichkeit zu vermeiden. Jedes Schaf hatte an dem rothen Bande, womit sein Hals umgeben war, ein Blatt mit einer Nummer hängen. In einem großen, irdenen Topfe, den die Kinder einen Glückshafen nannten, befanden sich auf zusammen gerollten Blättchen eben die Nummern, wie an den Schafen. Nun mußte ein Kind nach dem andern eine Nummer ziehen, und sobald es gezogen hatte, erschallten die Schallmeien und spielten so lange fort bis das Schaf mit eben der selben Nummer aus der Heerde herausgefunden war. Die Begierde der Kinder bei dem Ziehen, die Erwartung, welches Schaf dem ziehenden Kinde zu Theil werden würde, die Freude des Kindes, wenn ihm das Schaf übergeben wurde, lassen sich gar nicht beschreiben. Der ganze Schloßhof war voll Jubel.

Nachdem die Schafe alle vertheilt waren, zogen die Kinder damit hinab in das Dorf. Die Schäferssöhne mit ihren helltönenden Schallmeien gingen voran, die Schafe von den Kindern begleitet folgten, und der alte Schäfer mit seinem Schafhunde beschloß den Zug. Gleichsam im Triumphe zogen sie in dem Dorfe ein. Als die Leute die Schallmeien und das Jubeln der Kinder hörten, und die schön geschmückten Schafe erblickten, wunderten sie sich sehr, was doch dieses alles zu bedeuten habe. Allein da sie vernahmen, daß die gnädige Herrschaft die Kinder so gütig beschenkt habe, da hätte ihre Freude kaum größer seyn können. Viele Aeltern vergossen über die mildthätigen Gesinnungen ihrer gnädigen Herrschaft Freudenthränen.

In jene Häuser, wo sich kein Schulkind befand, schickte Frau von Waldheim dennoch ein Schaf hin; den wackern Bauersleuten aber, die einst die arme Rosalie so liebreich in ihr Nebenhäuschen aufgenommen hatten, schenkte sie zehn Schafe. Auch den ehrlichen Bauern und die gute Bäuerin auf dem Eichhofe, die einst der kleinen Christine jenes Lamm geschenkt und sie so freundlich zum Nachtessen eingeladen hatten, vergaß sie nicht. Da diese Leute sehr reich waren, und noch immer Schafe genug hatten, so ließ sie auf den folgenden Sonntag beide zum Mittagsessen einladen, und der Bauer versicherte öfter, diese Ehre schätze er viel höher, als wenn die gnädige Frau ihm hundert Schafe geschenkt hätte.

Am andern Morgen kamen alle Hausväter aus dem Dorfe in ihren Sonntagskleidern auf das Schloß, der gnädigen Herrschaft für die erzeigte Wohlthat zu danken. Nun nahm Karl das Wort und sagte: »Liebe Männer! Ihr wißt, als ein armer Jüngling, der beinahe nichts hatte, als seinen Stab, wanderte ich einst durch diese Gegend. Durch ein Lamm half mir Gott wieder zu meinem väterlichen Erbtheile, und machte mich so glücklich, der Gutsherr von Euch lieben Leuten zu werden. Meine Mutter, meine Schwester, und ich wünschten, daß die Wohlthat, die Gott uns durch ein Lamm erwies, auch noch für unsere und Eure Nachkommen unvergeßlich bleiben, und ihnen noch zum Segen werden möchte. Hört deßhalb, was wir beschlossen haben!

Das Recht der Schafweide in unserm Dorfe hieher gehörte bisher Ausschließungsweise der Herrschaft zu. Dieses Recht sollt ihr von dem heutigen Tage an nun Alle genießen. Deßwegen gab meine Mutter Euren Kindern zu einem kleinen Anfange die Schafe. Gott wolle sie Euch segnen!

Ich hoffe, Euer Ackerbau soll durch die Schafzucht sehr verbessert werden, nach dem alten Sprichworte: Die Fußtritte der Schafe verwandeln sich in Gold. Aber auch den Aermern, die keinen Acker haben, wird wenigstens Wolle und Milch sehr gut kommen.

Ich werde die Anstalt treffen, daß die Wolle, die wir gewinnen, sogleich in unserm Dorfe verarbeitet werde, und ich hoffe, es soll noch der Tag kommen, daß die Kleider aller Bewohner meiner Herrschaft von selbst gewonnener Wolle verfertigt seyn werden. Gott gebe seinen Segen dazu!«

Karls Wunsch ging auch vollkommen in Erfüllung. Die arme Rosalie, nunmehr Frau Rentmeisterin, und ihre Tochter Christine gaben Unterricht im Wollspinnen und Stricken. Ein Tuchmacher, ein Hutmacher und ein Strumpfwirker zogen auf Karls Veranstaltung in das Dorf. Es wurden sehr schöne Tücher und auch sehr gute Hüte und Strümpfe verfertigt. Karl bemerkte oft mit Rührung, wie Groß und Klein im Dorfe vom Haupte bis zu den Füßen mit selbst gewonnener und verfertigter Kleidung versehen waren, und wie alle Getreidfelder des ganzen Thales in einen blühenderen Zustand kamen und reichlichere Früchte trugen.

Emilie verlegte sich noch besonders auf das Sticken mit gefärbter Wolle. Sie hatte von ihrer kleinen Heerde einen Vorrath an Wolle gesammelt, die von sehr feiner Art war. Der Rentmeister West legte ganz unerwartet ein neues Talent an den Tag. Er hatte von jenem Färber, bei dem er einige Zeit gelebt hatte, gelernt, der Wolle alle Farben, und jeder Farbe alle mögliche Abstufungen zu geben, von dem hellsten Lichte bis zum dunkelsten Schatten. Emilie war daher in den Stand gesetzt, ganz vorzüglich schäm Stickereien zu verfertigen. Karl machte dazu die Zeichnungen und Christine leistete ihr dabei treffliche Hülfe. Sie stickten bunte Blumenkränze und niedliche Körbchen voll Blumen von allen Farben, große Rosensträuche, die mit halb und ganz aufgeblühten Rosen und reichlichem grünem Laube prangten, ja ganze Landschaften, in denen Bäumschläge, Felsen, Wasserfälle und dergleichen zu sehen waren, und die mit Gewinden von Reblaube und gelbgrünen und purpurblauen Trauben dazwischen oder mit andern schönen Verzierungen eingefaßt waren. Emilie richtete so nach und nach ein ganzes Zimmer im Schlosse sehr schön ein. Der Teppich auf dem Tische, die Ueberzüge der Sessel und des Kanapees und auch der Fußteppich waren auf diese Art gestickt, und wer hineintrat, erstaunte über die Pracht der lebhaften Farben, die Richtigkeit der Zeichnung, und die kunstreiche Schattirung.

Da alle die schöngefärbte Wolle, die dazu verwendet worden, ursprünglich von jenem einzigen Lamme herkam, so machte Karl, nunmehr Herr von Waldheim, eine sehr schöne, große Zeichnung, in der er den ihm unvergeßlichen Augenblick abbildete, in dem er Mutter und Schwester vermittelst des Lammes wieder gefunden. Ganz im Vordergrunde auf der Felsenbank unter den Eichen zeichnete er seine Mutter, nebst ihrer Gesellschafterin Rosalie. Weiterhin in dem Walde erblickte man Emilie und Christine und ihn selbst, und in ihrer Mitte befand sich das Lamm. Er hielt in einer Hand den Ring und deutete mit dem Zeigefinger der andern Hand auf die goldenen Buchstaben, die auf dem rothen Halsbande des Lämmchens deutlich zu sehen waren. Emilie aber zeigte mit ausgestrecktem Arme nach der Gegend hin, wo ihre Mutter saß, als wollte sie sagen: »Dort ist sie!« Karl malte die Zeichnung mit sehr lebhaften Farben vortrefflich aus, und die sehr kenntlichen Personen auf dem Bilde, die nebst dem Lamme von der untergehenden Sonne kräftig beleuchtet waren, machten zwischen den dunkeln Schatten des Waldes eine unvergleichliche Wirkung. Er hängte das Gemälde, in einen goldenen Rahmen gefaßt, in dem Zimmer auf, nachdem er zuvor mit goldenen Buchstaben die drei Worte darunter geschrieben hatte:

» Unter Gottes Leitung

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