Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.
Unterhaltungen der beiden Töchter

Nach vierzehn Tagen besuchten Frau von Waldheim und Emilie die kranke Rosalie wieder. Es hatte sich mit ihr indessen sehr gebessert. Die trefflichen Arzneien und die angemessenen Speisen hatten ihr überaus gut angeschlagen. Sie war bereits auf, saß an der Tischecke auf der Bank und strickte. Sobald sie die gnädige Frau erblickte, stand sie auf, eilte ihr entgegen, und Thränen der Rührung und Dankbarkeit flossen ihr über die blassen Wangen. Sie konnte keine Worte finden, ihren Dank auszudrücken. Frau von Waldheim setzte sich an die andere Ecke des Tisches. Sie hatte ihr Arbeitskörbchen mitgebracht und nahm ihr Gestrick hervor. Emilien erlaubte sie, mit Christinen indessen in den Baumgarten zu gehen, der sich von der Hütte bis an den Bach erstreckte, und den guten Bauersleuten gehörte, von denen Rosalie so liebreich aufgenommen worden.

Während nun die zwei Mütter sich über ihre Schicksale miteinander unterredeten, unterhielten sich die zwei Töchter in dem Garten. Christine führte ihr zahmes Lämmchen dem Fräulein vor. Emilie hatte über das artige Thierchen eine ungemeine Freude. Da sie in einer großen Stadt erzogen worden, kannte sie die Schafe beinahe nur aus ihrem Bilderbuche. Noch nie hatte sie ein Lamm in der Nähe gesehen. Das Lamm ließ sich von Emilien streicheln, fraß die zarten, grünen Blättchen, die Emilie ihm vorhielt, ihr aus der Hand, und lief ihr sogleich nach, als wollte es noch mehr. Emilie war ganz entzückt. Auch ein solches Lämmchen zu haben, war ihr herzlichster Wunsch. Allein sie war zu bescheiden, es sich merken zu lassen. »Nein,« dachte sie, »um Alles in der Welt möchte ich die arme Christine nicht um ihre einzige Freude bringen!«

Nachdem Frau von Waldheim und Emilie fort waren, erzählte Christine ihrer Mutter, welche große Freude das Fräulein an dem Lämmchen gehabt habe. Da sprach die Mutter: »Höre einmal, Christine! Emilie und ihre Mutter haben viele Güte für uns gehabt. Ohne sie läge ich vielleicht in dem Grabe, und du hättest keine Mutter mehr. Es ist billig, daß wir uns so dankbar bezeigen, als möglich. Du könntest Emilien nun wohl auch eine große Freude machen – aber ich fürchte, es kommt dich zu schwer an. Mein an deiner Stelle wüßte ich wohl, was ich thun würde!«

»Ihr mein Lämmchen schenken!« fiel Christine ihrer Mutter schnell ins Wort. »Ja, das will ich!« rief sie. »Morgen in aller Frühe soll sie es haben. Emiliens Mutter hat mir das Liebste erhalten, was ich in der Welt habe – dich, liebste Mutter! Warum sollte ich mein Lämmchen, so lieb es mir auch ist, nicht mit Freuden Emilien schenken!«

»Nun, das freut mich,« sprach die Mutter, »daß du ein dankbares Herz hast. Das ist mehr werth, als wenn man dir das Lamm mit Gold aufwägen würde.«

Die Mutter erinnerte sich, daß sie unter ihren Sachen noch ein kleines Streifchen rothen Atlas und einige vergoldete Flittern habe. Sie suchte sie unverzüglich hervor, und saß sogleich hin, aus dem Atlasse für das Lämmchen ein Halsband zu machen, und mit den Flittern Emiliens Namen hineinzusticken. Emilie hatte Christinen ein feines, weißes Halstuch geschenkt. In der Ecke desselben waren die Anfangsbuchstaben von Emiliens Namen zierlich mit blauer Seide eingenäht. Diese Buchstaben dienten der Mutter zum Muster. Sie war gesonnen, so lange auszubleiben, bis sie mit dieser Arbeit fertig wäre. Christine leistete ihr treulich Gesellschaft, fädelte ihr jedesmal die Nadel ein, und suchte die schönsten und tauglichsten Flittern heraus und bot sie ihr hin. Endlich gegen Mitternacht war die Stickerei vollendet, und Christine war über das schöne gelungene Werk so erfreut, daß sie vor Freude fast nicht schlafen konnte.

Sobald am andern Tage die Morgenröthe anbrach, eilte das gute Mädchen mit dem Lamme dem Bache zu, und wendete ihr letztes Stückchen Seife daran, das nette Thierchen so rein zu waschen als möglich. Und sieh da! es ward fast so weiß, wie neugefallener Schnee. Die Mutter legte nun dem Lämmchen das Halsbändchen an. Der hochrothe Atlas mit den goldenen Buchstaben und der goldenen Einfassung nahm sich zwischen dem reinen, weißen Gekräusel der Wolle ganz unvergleichlich schön aus. Christine und ihre Mutter betrachteten das Lämmchen mit Entzücken, und konnten kaum aufhören es zu loben.

Christine führte nun das Lämmchen in das Schloß. Sie ging zuerst in die Küche zur alten Köchin, die sich immer besonders liebreich gegen Christine bezeigt hatte, und redete mit ihr, wie sie ihr Geschenk am schicklichsten anbringen könne. Die Köchin hatte an dem schön geschmückten Lamme ein großes Wohlgefallen und lobte Christinens Einfall sehr. Sie nahm das Lämmchen, ging zu dem Zimmer der Herrschaft, und öffnete leise die Thüre. Die gnädige Frau saß am offenen Fenster und stickte. Emilie las ihr aus einem Buche vor. Beide waren so emsig, daß sie nicht aufblickten. Da schob die Köchin das Lämmchen geschwind zur Thüre hinein, machte die Thüre eben so leise wieder zu, und eilte zurück in die Küche.

Frau von Waldheim und Emilie hatten von allem nichts gemerkt. Das Lämmchen blieb an der Thüre stehen, schaute eine Weile umher, und fing dann laut an zu blöcken. Emilie blickte auf, und rief: »Je, das Lämmchen!« Sie nahm von dem Seitentischchen ein wenig Brod, das von dem Frühstücke übrig geblieben war, und hielt es dem Lämmchen hin, und das arme Thierchen, das den Morgen noch kein Futter bekommen hatte, lief sogleich auf sie zu, und fraß es ihr aus der Hand. Emilie hatte eine unbeschreibliche Freude. Das Lämmchen kam ihr ohne Vergleich schöner vor als gestern, und als sie erst die goldenen Anfangsbuchstaben ihres Namens bemerkte, und daraus ersah, das Lämmchen sey zum Geschenke für sie bestimmt, da war ihre Freude noch größer.

»O wie gut ist doch Christine,« sagte sie, »daß sie mir ihr Liebstes gibt! Ich getraue mir kaum es anzunehmen. Was meinen Sie, liebste Mutter, daß ich thun soll?«

»Du mußt es annehmen,« sagte die Mutter, »sonst würdest du das gute Kind betrüben. Ich werde Christinen auf eine andere Art entschädigen.«

Emilie eilte nun in die Küche, ihr gutes Erdbeermädchen zu rufen. Christine hatte sogleich fort gewollt; allein die Köchin hatte sie aufgehalten. Es kostete Emilien viele Mühe, das bescheidene Mädchen herein zu nöthigen in das Zimmer.

Die Frau von Waldheim hatte indessen aus ihrem Schreibkasten ein Goldstück hervor gesucht, auf dem ein Lamm abgebildet war. »Du hast ein sehr dankbares Herz, mein liebes Kind!« sagte sie, als das erröthende Mädchen an Emiliens Hand in das Zimmer trat. »Du hast meiner Tochter ein Geschenk gemacht, das ihr wohl nicht für Gold feil wäre. Nimm hier als eine kleine Gegenerkenntlichkeit dieses goldene Lämmchen.«

Die gute Christine war von dieser feinen Art zu geben so gerührt, daß es ihr sehr schwer ankam, das Geschenk zurück zu weisen. Allein noch mehr würde es sie geschmerzt und gekränkt haben, sich ihr dankbares Gemüth bezahlen zu lassen. Sie kam in große Verlegenheit und die Thränen traten ihr in die Augen. »O nein, nein, gnädige Frau,« sagte sie; »ich kann das Gold wahrhaftig nicht nehmen. Es würde mir meine ganze Freude verderben. Nichts, als die reinste, herzlichste Dankbarkeit bewog mich, Fräulein Emilien mein Lämmchen als ein armes, geringes Geschenk darzubringen, und es ist mir unmöglich, mich dafür so überreichlich belohnen zu lassen.« Sie blieb ungeachtet alles Zuredens darauf, nichts zu nehmen.

Diese Uneigennützigkeit an einem so armen Mädchen gefiel der Frau von Waldheim noch mehr, als das überbrachte ländliche Geschenk. »Nun,« sagte sie, »so will ich dich auf eine andere Art zu belohnen suchen die deiner Denkart angemessener ist. Wegen deines edlen Herzens sollst du von nun an die Gespielin meiner Emilie seyn. In deiner Gesellschaft läuft sie keine Gefahr, niedrige Gesinnungen anzunehmen. Komm für's erste nur allzeit nach Tische hieher. Da will ich euch mit einander Arbeit geben, und dann wollen wir schon sehen, was noch weiter zu thun ist.«

Als Christine nach Hause kam und erzählte, wie es gegangen sey, war ihre Mutter mit ihrem Betragen sehr zufrieden. »Siehst du nun,« sprach sie, »es ist so, wie ich dir schon öfter gesagt habe. Das ärmste Kind, wenn es sich nur bestrebt, von Herzen gut zu seyn, findet am Ende doch Menschen, die es um seiner Güte willen mehr schätzen, als wäre es mit Gold und Perlen behängt. Das reichste und schönste Mädchen hingegen – wenn es sonst nichts weiter ist! – wird der gerechten Verachtung am Ende doch nie entgehen, und das Glück, von guten Menschen aufrichtig geliebt und geehrt zu seyn, wird ihm nie zu Theil werden. Gutseyn, Gutseyn ist das Einzige, was uns wahrhaft froh, reich und geehrt macht.«

.


 << zurück weiter >>