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Zweites Kapitel.
Frau von Waldheim und ihre Tochter Emilie

Das Dörflein, in dem Christine lebte, lag unten an einem waldigen Berge. Oben aus den Eichen des Berges ragte ein altes Schloß mit einem großen Thurme hervor. Hier wohnte seit einigen Wochen die Frau von Waldheim. Das Schloß hatte ehemals ihr gehört; allein nach dem Tode ihres Gemahls war es ihr bloß zu ihrem Wittwensitze angewiesen worden. Sie hatte sich hier, weil das Schloß etwas vergangen war, einige Zimmer neu eingerichtet, die eine sehr schöne Aussicht hatten, und lebte nun da in ländlicher Einsamkeit ganz der Erziehung ihrer einzigen Tochter Emilie, eines sehr liebenswürdigen Fräuleins von Christinens Alter.

Christine kam, so lange es Erdbeeren gab, beinahe täglich in das Schloß. Fräulein Emilie kaufte die Beeren von Niemand lieber als von ihr, und nannte sie nur ihr artiges Erdbeermädchen. Denn die Beeren, die Christine pflückte, waren alle vollkommen reif und roth wie Scharlach; die Schale, in der sie die Beeren brachte, war, wiewohl nur von geringem Porzellan, weiß und rein wie Schnee; und die Reinlichkeit ihrer Hände und ihres ganzen Anzuges schickte sich genau zu dem reinlichen Geschirre.

Allein schon seit acht Tagen kam Christine nicht mehr. Emilie, der die Erdbeeren lieber als alles Zuckerwerk waren, beklagte sich öfter, daß ihr Erdbeermädchen so lange ausbleibe. Eines Morgens kam endlich Christine wieder in das Schloß. Die Köchin ging in das Zimmer der Herrschaft, sie zu melden, und Christine blieb indessen draußen stehen. Emilie kam sogleich heraus und sagte: »Warum ließest du mich denn so lange ohne Erdbeeren? Das ist nicht schön! Du weißt ja, daß ich immer nur von dir kaufte. Wenn du so wenig Aufmerksamkeit für mich hast, so wirst du meine Kundschaft verlieren.«

Christinens Augen füllten sich mit Thränen. »Ach, gnädiges Fräulein!« sagte sie, »meine Mutter ist schon den ganzen Frühling krank. Diese Woche aber war es so schlimm mit ihr, daß ich mir sie nicht eine Stunde zu verlassen getraute. Nur gestern Abends wurde sie ein wenig besser, und da eilte ich heute sogleich mit Anbruch des Tages in den Wald, um wieder einmal einige Kreuzer für sie zu verdienen.«

Emilie sprach: »Warum hast du mir aber nicht schon längst von der Krankheit deiner Mutter gesagt? Meine Mutter ist nicht hart gegen die Armen. Sie hätte es euch in dieser Noth gewiß nicht an Unterstützung fehlen lassen.«

»O gnädiges Fräulein,« sagte Christine, »ich weiß wohl, daß Sie und die gnädige Frau Mutter gegen die Armen sehr gütig sind. Allein meine Mutter sagt: So lange man sein Brod selbst erwerben kann, muß man Andern nicht zur Last fallen. Es gibt viele Arme, die gar nichts mehr erarbeiten können. Es wäre Sünde, diesen das Brod abzustehlen.«

Diese Worte gefielen Emilien sehr wohl. »Warte hier ein wenig!« sagte sie freundlich, und eilte in das Zimmer, mit ihrer Mutter zu reden. Ihre Mutter, die Frau von Waldheim, wollte Christinen sehen. Emilie führte sie herein – und Christine erstaunte nicht wenig über das prächtige Zimmer, die lieblich grünen, mit bunten Blumenkränzen bemalten Wände, den großen Spiegel mit goldenem Rahmen, die zierlichen Schränke und Tische von glänzend braunem Holze, das Kanapee und die Sessel mit grünen seidenen Ueberzügen und über den eingelegten, geglätteten Boden. In ihrem Leben hatte sie noch nichts dergleichen gesehen, und es wandelte sie bei dem Anblicke all dieser Pracht eine Art von Ehrfurcht an.

Die gnädige Frau aber, die eben an ihrer Stickrahme saß, ward innig gerührt, als sie das arme schüchterne Kind, das noch Thränen in den blauen Augen hatte, in seinem dürftigen, aber reinlichen Kleidchen von weiß und roth gestreifter Leinwand, mit seinem gelben Strohhütchen, und mit der reinlichen Schale voll Erdbeeren in der zitternden Hand so bei der Thüre stehen sah.

»Komm doch näher zu mir her,« sagte sie freundlich. »Du darfst dich nicht fürchten.« Indem Christine näher trat, erblickte sie ihr Bild im Spiegel. Sie hatte noch nie einen großen Spiegel gesehen; der ihrige zu Hause war nicht größer, als ein Taschenkalender. Sie glaubte im ersten Augenblicke noch ein anderes Erdbeermädchen, das ihr die Kundschaft streitig machen wolle, gehe auf sie zu. Sie blieb verwundert stehen. Am meisten aber erstaunte sie darüber, daß dieses Mädchen gerade so wie sie gekleidet sey, eben ein solches Strohhütchen, mit Erdbeerblüthen geziert, aufhabe, und eben eine solche Schale mit Erdbeeren in der Hand halte. Indeß merkte sie bald, daß sie sich geirrt habe, und wurde über und über roth.

Frau von Waldheim lächelte über den unschuldigen Irrthum des armen Kindes und erkundigte sich auf das liebreichste nach den Umständen der kranken Mutter. Christine bekam wieder Muth und gab auf jede Frage eine verständige Antwort. Als sie aber von der Armuth und den vielen Leiden und Schmerzen ihrer lieben Mutter erzählte, konnte sie vor Betrübniß fast nicht mehr reden. Sie schluchzte und reichliche Thränen flossen über ihre Wangen.

»Weine nicht so, liebes Kind,« sagte die Frau; »ich werde für deine Mutter sorgen. Du mußt mir jetzt nur noch sagen, wo ihr wohnet?« »In der letzten Hütte des Dorfes,« antwortete Christine. »Sie können aus dem Fenster hier das Strohdach dort zwischen den Bäumen sehen.« »Nun wohl,« sprach Frau von Waldheim, »das kleine Haus mit den weißen Mauern und dem gelben Dache nimmt sich zwischen den dunkelgrünen Bäumen sehr artig aus. Da wohnt also deine Mutter! Und wie heißt sie denn?« »Sie heißt Rosalie West,« sagte Christine; »in dem Dorfe heißt man sie aber gewöhnlich nur die arme Rosalie.«

Die Frau bezahlte hierauf die Erdbeeren dreifach, und befahl, die Porzellanschale, in der Christine die Beeren gebracht hatte, mit der besten Fleischsuppe für die kranke Mutter zu füllen.

»Das ist ja ein überaus liebes, gutes Kind!« sagte Frau von Waldheim zu Emilien, als Christine fort war. »Ich will nicht einmal etwas davon sagen, daß sie bei all ihrer Armuth schon in ihrem Aeußerlichen ein Muster der Reinlichkeit und Ordnung ist. Allein ihre Liebe zu ihrer Mutter geht über Alles. Ein solches Herz voll kindlicher Liebe ist mehr werth, als ein Diamantstern auf der Brust. O Emilie! wenn ich einmal – was zu seiner Zeit auch eintreffen wird! – so krank und elend da läge, wie Christinens Mutter, würdest du wohl auch so zärtlich um mich besorgt seyn, meiner so liebreich pflegen, und so Vieles für mich thun?«

Emilie, der bei Christinens Erzählung die Thränen schon immer in den Augen standen, fiel ihrer Mutter weinend um den Hals. »Das wolle Gott verhüten,« sprach sie schluchzend, »daß Sie, liebste Mutter, krank und elend werden. Lieber wolle Er mir eine Krankheit zuschicken. Aber wenn es denn doch so seyn müßte, und Sie krank werden sollten – o gewiß, gewiß, ich würde nicht weniger für Sie thun, als Christine für ihre Mutter thut.«

»Gott segne dich, liebes Kind, für diese deine kindliche Liebe!« sprach die gerührte Mutter. »O bleibe immer so gesinnt, und du wirst auf Erden noch viele frohe Tage erleben. Denn glaube mir, jedem Kinde, das seine Aeltern aufrichtig ehrt und liebt, läßt es Gott wohl gehen. Und so wird, denke an mich, auch die arme Christine noch bessere Tage sehen!«

Christine war indeß vergnügt und fröhlich nach Hause geeilt. Ihre Mutter ward über ihre Erzählung hoch erfreut, und die kräftige Fleischbrühe bekam der armen Frau, die seit langer Zeit nichts als Wassersuppen gegessen hatte, sehr wohl. »O liebe Christine,« sagte sie, indem sie mit aufgehobenen Händen andächtig zum Himmel blickte, »so verläßt Gott die Seinen doch nie! Er hilft allemal noch zur rechten Zeit! – Laß uns fernerhin auf Ihn vertrauen; allein dabei auch immer das Unsrige treu und redlich thun. Denn fleh, liebe Christine, wenn du, aus kindlicher Liebe zu mir, nicht so fleißig Erdbeeren gesammelt und meine Ermahnungen zur Reinlichkeit und Ordnung nicht befolgt hättest, so hätten wir das Glück wohl nicht gehabt, daß die gnädige Frau und das liebe Fräulein sich unserer Armuth so liebreich annehmen wollen. Sieh, nicht das geringste Gute bleibt ohne gute Folgen; Gott bedient sich desselben, edle Herzen zu rühren, und durch sie uns aus der Noth zu erretten.«

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