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Drittes Kapitel.
Die Schicksale der beiden Mütter

Der folgende Tag war ein Sonntag. Christine saß des Abends, nachdem sie ihre kleinen Hausgeschäfte besorgt und ihr Lämmchen gefüttert hatte, neben dem Bette ihrer Mutter, und las ihr aus einem Buche mit sanfter, lieblicher Stimme deutlich und langsam vor. Der Abend war sehr schön und die untergehende Sonne schien durch die Nebenblätter am Fenster glutroth in das kleine Stüblein. Da trat ganz unerwartet die Frau von Waldheim mit Emilien herein. »Je,« rief Christine und sprang auf, »die gnädige Frau und das Fräulein!« Die Kranke war von der Gnade dieses Besuchs sehr gerührt.

Die Frau von Waldheim blickte vergnügt in dem engen Stübchen umher. Die Wände waren schneeweiß, die wenigen Schüsseln und Teller auf dem Rahmen an der Wand hell und glänzend, der Tisch, die Bank, das Paar Stühle und der Stubenboden rein gefegt. Auch die Bettüberzüge und die Kleidung der kranken Frau waren, so ärmlich sie aussahen, äußerst reinlich. Die Frau von Waldheim setzte sich auf den Stuhl, von dem Christine aufgestanden war. Mit Wohlgefallen vernahm sie, daß Christine alles so in Ordnung halte. Sie blätterte in dem Buche, lobte das Buch und Christinens gutes, vernehmliches Lesen, das sie noch gehört hatte. Sie bemerkte auf dem Kasten an der Wand ein Paar Strickkörbchen, durchsuchte sie, und war mit den Arbeiten, der Mutter sowohl als der Tochter, sehr zufrieden.

»Ihr seyd sicher nicht aus dem Dorfe dahier,« sagte Frau von Waldheim. »Denn, Ihr habt das Stricken und Euere Tochter hat das Lesen nicht dahier gelernt. Ihr müßt wohl durch besondere Schicksale hieher gekommen seyn?«

»Ja wohl hatte ich besondere und sehr harte Schicksale!« sagte die Kranke und fing an zu erzählen. »Mein Mann,« sprach sie, »war Leibjäger in den Diensten einer Herrschaft jenseits des Rheins. Wir waren kaum zwei Jahre verheirathet und hatten diese Zeit ungemein glücklich und vergnügt gelebt – da brach der französische Krieg aus. Unsere Herrschaft flüchtete sich über den Rhein, und konnte uns nicht mitnehmen. Mein Mann trat auf ihr Anrathen bei einem Jägerchor in Dienste. Mir wurde es nicht gestattet, ihm mit meiner Tochter, die damals noch so klein war, daß sie den Namen Vater noch nicht aussprechen konnte, zu folgen. Unter tausend Thränen nahmen wir Abschied. Ach, es war das letzte Mal, daß ich ihn sah! Er schrieb mir zwar von Zeit zu Zeit, daß er gesund sey. Allein plötzlich vernahm ich, er sey schwer verwundet, und bald darauf erhielt ich die Nachricht, er sey an seinen Wunden gestorben. Mein Jammer war unbeschreiblich! Ach, er war ein guter Mann, ehrlich und redlich! Ich weiß zwar sein Grab nicht; allein seine Gebeine ruhen gewiß in Frieden! – Ich gerieth nun mit meiner Tochter bald in sehr großes Elend. Ich hatte mich nach Hause zu meinen Aeltern begeben. Allein auch diese Gegenden wurden nunmehr von dem Kriege schrecklich heimgesucht. Meine Aeltern verloren all das Ihrige, und starben bald darauf an einer ansteckenden Krankheit, die der Krieg verbreitet hatte. Ich war genöthigt, auszuwandern. Meine Habseligkeiten waren klein beisammen. Ich hatte fast nichts, als diese zwei Hände. Ich irrte weit umher. Endlich kam ich in dieses Dorf. Diese Hütte stand eben leer. Die wackern Bauersleute, zu deren Bauernhofe sie gehört, gestatteten mir, hinein zu ziehen, unter der Bedingung, daß ich ihre zwei kleinen Mädchen im Nähen und Stricken unterrichte, was ich denn auch sehr gerne that! Ich habe allerdings viel gelitten; allein Gott hat doch immer treulich für mich gesorgt und mir immer und überall durchgeholfen, bis auf diesen Augenblick, da Er Sie, edle Wohlthäterin, unter dieses Strohdach führte. Ihm sey Dank für Alles – für Leiden und Freuden!«

Die Frau von Waldheim hörte sehr aufmerksam zu, und die hellen Thränen glänzten ihr in den Augen. »Ach,« sagte sie, »mein Schicksal gleicht sehr dem Eurigen, nur ist es noch trauriger! Ich habe nicht nur, wie Ihr, Aeltern und Ehegemahl verloren, sondern überdieß noch meinen einzigen Sohn. Mein Gemahl war Major eines Husarenregiments. Sogleich in einer der ersten Schlachten, in der er sich sehr auszeichnete, die aber unglücklich ausfiel, ward er gefährlich verwundet. Ich eilte auf die Schreckensnachricht mit meinen zwei Kindern unverzüglich zu ihm. Allein mir ward nur mehr der traurige Trost, ihn noch einmal zu sehen. Er starb in meinen Armen. Wie mir zu Muthe war, könnet Ihr Euch denken, beschreiben kann ich es unmöglich. – Auf die unglückliche Schlacht folgte eine übereilte Flucht. Alle Straßen waren mit Flüchtlingen bedeckt. Ich ward unter dem Gewühle von Menschen mit fortgerissen, fast ohne zu wissen wohin. Meine zwei Kinder – ein lieblicher Knabe von kaum vier Jahren, und diese Tochter hier, die damals noch kein Jahr alt war, vermehrten noch meinen Jammer. Als ich mit ihnen an den Rhein kam und über die Brücke wollte, war das Gedränge von Soldaten zu Fuß und zu Pferde, von Kanonen, Pulverkarren, Wagen voll verwundeter Krieger, die alle hinüber wollten, so groß, daß ich mich der Brücke gar nicht nähern konnte. Indeß war die Sonne untergegangen. In einiger Entfernung wurde noch gefochten, um den Uebergang über den Fluß zu decken. Allein der Donner der Kanonen rückte immer näher. Ach es war der schrecklichste Abend meines Lebens! Einige der Flüchtlinge bemächtigten sich weiter hinab an dem Flusse eines Schiffes, um das andere Ufer zu erreichen. Aus Mitleid nahmen sie mich und meine Kinder in das Schiff auf. Allein das Schiff war so mit Menschen überladen, und sie waren des Fahrens so unkundig, daß es umschlug.

Ein Offizier am andern Ufer hatte unsere Gefahr bemerkt und uns zwei Soldaten mit einem kleinen Schifflein, dem einzigen, das eben vorhanden war, zu Hülfe geschickt. Es kam eben an, als das unsrige gesunken war. Ich und meine Tochter, die ich fest in den Armen hielt, wurden mit genauer Noth aus den Fluthen gerettet und halb todt an das Land gebracht. Allein mein Sohn war untergegangen und von ihm ward nichts mehr gesehen!«

Frau von Waldheim konnte hier vor Weinen nicht mehr reden, und verbarg ihr Gesicht in ihr weißes Tuch. Ueber eine Weile sprach sie weiter: »Ich und meine Tochter wären vor Frost und Näße wohl auch noch umgekommen, wenn nicht eine mitleidige Herrschaft, die eben vorbeikam und sich auch auf der Flucht befand, uns in ihren Reisewagen aufgenommen hätte. Allein die Angst und der Schrecken beim Schiffbruche, die beständige Traurigkeit über den Tod meines Gemahls und meines Sohnes, und die Beschwerlichkeiten auf der Flucht, zogen mir eine Krankheit zu. Als ich wieder hergestellt war, dachte ich erst an eine andere nachtheilige Folge dieses zweifachen Todfalles. Weil mein Gemahl ohne einen männlichen Erben gestorben war, so fielen unsere Güter dem Landesherrn anheim. Unser Schloß dahier wurde zu einem Spitale für kranke und verwundete Krieger eingerichtet. Ich mußte, was ich jedoch nur den unruhigen Zeiten zuschreiben kann, lange ohne Wittwengehalt leben! Da ich keine eigene Wohnung mehr hatte, mußte ich in der Stadt einen sehr hohen Hauszins bezahlen, und zuletzt wirklich Mangel leiden. Endlich ward mir ein anständiger Gehalt ausgeworfen, der Betrag für die verflossenen Jahre baar ausbezahlt, und mir ein Theil des Schlosses dahier, das ehemals unser Eigenthum war, zum Aufenthalt angewiesen. Allein der Verlust meines Gemahls und meines Sohnes bleiben doch unersetzlich! So groß indeß auch dieser Verlust ist, so ist doch dieß ein schöner Gewinn dabei, daß meine Leiden mich Gott mehr kennen lehrten und mich gefühlvoller für die Leiden meiner Mitmenschen machten. Und dann – was können wir uns auf Erden Besseres wünschen, als unser ordentliches Auskommen und ein ruhiges Plätzchen zu haben, wo wir im Frieden leben, Gott dienen und unsern Mitmenschen Gutes thun können – in der seligen Hoffnung, unsere verklärten Geliebten in einer bessern Welt wieder zu sehen!«

Indeß war es spät geworden. Die Frau von Waldheim sah an ihre Uhr, und stand auf. »Bedient Ihr Euch auch der Hülfe eines Arztes?« fragte sie noch. »Ach nein!« sagte die Kranke. »Einen ordentlichen Arzt vermag ich nicht, und mich eines Pfuschers zu bedienen, trage ich Bedenken.« »Ihr habt Recht!« sagte die Frau. »Besser gar keine Hülfe, als eine solche.« Sie versprach, der Kranken ihren eigenen Arzt zu schicken, und tröstete sie mit der Hoffnung, unter Gottes Beistande werde es dann bald besser werden. Hierauf befahl sie, Christine solle alle Tage in dem Schlosse für ihre Mutter das Essen holen, wünschte Beiden freundlich gute Nacht, und kehrte mit Emilien wieder zurück in das Schloß.

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