Christoph von Schmid
Wie Heinrich von Eichenfels zur Erkenntnis Gottes kam
Christoph von Schmid

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Zweites Kapitel.

Großes Unglück aus kleinem Ungehorsam.

Margareta war ein armes, verwaistes Landmädchen. Sie hatte ein kindlich frommes Gemüt, einen heitern, fröhlichen Sinn, und ein sehr liebliches, blühendes Aussehen. Deswegen hatte die Gräfin sie zur Wärterin des kleinen Heinrichs angenommen. Margareta, das gute, fromme Mädchen, befolgte alles, was die Gräfin ihr befohlen hatte, genau, und es verging keine Stunde, in der ihr die Ermahnungen der Gräfin nicht zu Sinne gekommen wären. Denn sie liebte die edle Frau als ihre größte Wohlthäterin, und hatte an dem holden Kinde die herzlichste Freude; ja sie ehrte in demselben schon ihren künftigen Grafen und Herrn.

Eines Tages saß Margareta neben dem schön geflochtenen Wiegenkorbe des schlafenden Kindes, und strickte. Sie hatte den Korb, der sich über dem Haupte des Kindes zierlich emporwölbte, mit Rosen geschmückt, damit dem Kinde sogleich bei dem Erwachen etwas Schönes in die Augen falle. Ein feiner weißer Flor schützte das Kind, damit keine Fliege es im Schlafe störe – und lieblicher und schöner als die frischen Rosen schienen die roten Wangen des schlafenden Kindes durch den zarten, durchsichtigen Flor.

Da kamen einige herumziehende Musikanten vor das Schloßthor und ließen sich da hören. Die Leute im Schlosse liefen alle zusammen und riefen die Musikanten herein in die untere Stube, um sich, weil die Herrschaft eben nicht zu Hause war, bei Musik und Tanz einen lustigen Nachmittag zu machen. Margareta hörte nichts lieber, als Musik; dennoch blieb sie, der Worte der Gräfin eingedenk, an dem Wiegenkorbe des schlafenden Kindes ruhig sitzen. Da kam Görge, der Gärtnerjunge, eilig in das Zimmer. »Gretchen,« rief er, »komm doch auch herab! Du glaubst nicht, wie lustig es zugeht. Solche prächtige Musik hab' ich noch nie gehört. Einer hat ein Hackbrett, und schlägt darauf zu, als wolle er's in Stücke zerschlagen. Ein kleiner Bube spielt Triangel, der auch nicht übel klingt, und ein großer dickbackiger Junge bläst das Posthorn dazu, daß einem beide Ohren klingen, fast lauter als der Triangel. Komm doch geschwind herunter!« Margareta sagte, sie dürfe das Kind keinen Augenblick verlassen. »Sei nur nicht so kindisch,« sagte der leichtsinnige Bursche. »Du wirst wohl nicht allein die Heilige machen wollen. Das Kind schläft ja, und du kannst ihm ja nicht schlafen helfen. Komm, komm, und zier' dich nicht so. In einem Viertelstündchen bist du wieder hier. Einen Reihen wirst du mir nicht abschlagen.« Margareta ließ, wiewohl mit klopfendem Herzen, sich bereden, und ging mit hinab. Sie hatte aber wenig Freude; eine große Angst kam sie an. Sie wollte gehen; allein die übrigen hielten sie auf. Zuletzt riß sie sich mit Gewalt los, und eilte zur Wiege des geliebten, ihr anvertrauten Kindes.

Aber – welches Entsetzen ergriff sie! Das Bettchen war leer; sie sah nichts mehr von dem Kinde. Sie faßte sich zwar, und tröstete sich mit der Hoffnung, es habe wohl nur jemand von den Leuten im Schlosse das Kind zum Scherze in ein anderes Bett gelegt, um sie zu erschrecken. Aber schon der Gedanke, die Gräfin könnte dieses inne werden, machte sie zittern. Sie eilte von Zimmer zu Zimmer – und sah nirgends etwas von dem Kinde. Eine wahre Todesangst ergriff sie. Sie eilte hinab, und rief unter die Tanzenden: »Der Graf ist nicht mehr in seinem Bettchen; wer von euch hat mich so erschreckt und das Kind hinweggenommen?« Niemand wußte etwas davon; kein Mensch war aus dem Zimmer gekommen. Alle hörten sogleich auf zu tanzen, und die Musikanten gingen fort, ohne das Trinkgeld abzuwarten. Alle, so viel ihrer in der Stube waren, eilten erschrocken hinauf; alles wurde durchsucht. Bald zeigte sich, daß außer dem Kinde noch allerlei Kostbarkeiten fehlten. Was konnte man anders denken, als das Kind sei geraubt worden!

Die allgemeine Lustbarkeit verwandelte sich nun in Weinen und Wehklagen. Es war ein Jammer, als träge man eine Leiche hinaus. »Ach Gott,« rief die Beschließerin lautweinend, »ach, die gute Gräfin! Wie wird es erst ihr sein, wenn sie das hört! Das ist ihr Tod.« Margareta aber wollte verzweifeln; sie wäre im ersten Anfall der schrecklichsten Verzweiflung fortgerannt, und vielleicht gar in den Fluß gesprungen, wenn man sie nicht aufgehalten hätte. »O du mein Gott,« rief sie mehrmals und voll des heftigsten Schmerzens, »wer hätte das geglaubt, daß ein so kleiner Ungehorsam so große, schreckliche Folgen haben könne!«


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