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Heilkunst im Felde

Lassen wir nun unseren Sanitätsoffizier weiter berichten, wie er sich den Ablauf der Wundpflege unserer stattlichen Armee von Kämpfern gegen den Tod durch Blei und Eisen und unserer Operateure im Felde auf Grund der Berichte über moderne Schlachten vorstellt. Er würde uns etwa folgendes sagen:

Der Beginn einer Schlacht ist unter allen Umständen auf beiden Seiten eingeleitet durch sprungweises Vorgehen der Mannschaften. Da dieselben zwischen Sprung und Niederkauern am ehesten getroffen werden können als auftauchende Ziele, ist die Verwundung mit der Kugel an allen Körperteilen möglich, denn im Vorwärtsspringen können selbst die Füße getroffen werden. Meist werden denn auch die Schüsse von vorn beobachtet, die ganze Leibeslinie entlang, weil Schüsse in den Rücken nur bei fliehenden oder umzingelten Truppen in größerer Zahl angetroffen werden, falls nicht das zufällige Umwenden beim Avancieren dem Feinde den Rücken bietet. Dieser Krieg wird, wie der von 1870, die Rückenschüsse äußerst selten sein lassen, dafür bürgt uns die tiefe, stille und zähe Entschlossenheit der Truppen, die wir alle eisern ernst in den Kampf ziehen sahen. Von vorne her getroffen gibt es nicht viele Stellen, an denen eingedrungene Kugeln sofort das blühende Leben verlöschen. Kopfschüsse, Lungen-, Herzschüsse, Arterien-, Leber-, Nierenschüsse dürften sehr häufig, aber durchaus nicht immer sofortigen Tod bedingen. Es kommt darauf an, ob lebenswichtige Organe außer Funktion gesetzt werden. Ein Schußkanal ist immer tödlich ohne Ausnahme: das ist der überm Wirbelkanal in das verlängerte Mark eindringende oder ihn heftig erschütternde. Hier sitzt der Lebensknoten, das Zentrum für Herz- und Atmungstätigkeit, auf kleinstem, erbsengroßem Raum zusammengedrängt. Von hier aus gehen die Rhythmen der Herz- und Atmungstätigkeit aus auf den Bahnen von Nerven, deren Funktion fortfällt, sowie das Zentrum, und sei es mit einer Nadel, durchstoßen wird. Aber schon die Schüsse durchs Gehirn, wenn es sich um Kleingewehrkugeln handelt, sind durchaus nicht alle absolut tödlich, wenn nicht Knochensplitter größeren Kalibers, mit in das Gehirn eindringend, so viel Zentren (dynamische Zentralstationen für den Funktionsbetrieb des Leibes) verletzen, daß durch Preßdruck oder Zerreißung die Harmonie der Funktionen blitzartig aufgehoben wird. Ein glatter Schuß des Gehirns aber kann sehr wohl heilen, selbst wenn die eingedrungene Kugel im Gehirn liegen oder in festeren Knochenteilen der Schädelbasis (Untergrundschale der Hohlkugel des Schädels) steckenbleibt. Bedenklich bleibt es immer, ob ein mit Hirnschuß dahingestreckter, noch atmender Krieger am Leben erhalten respektive gerettet werden kann. Das hängt von zweierlei ab: erstens, ob der Schußkanal im Innern des Schädelraumes nachblutet (das ist der gleiche Fall wie beim Schlaganfall), zweitens, ob durch mitgerissene Helm-, Mützen- und Hautfetzen oder Haare eine Infektion stattgefunden hat. In ersterem Falle kommt die Gefahr des steigenden Hirndrucks durch Bluterguß in Frage, im zweiten solcher Druck durch Hirnhautentzündung und allgemeine Blutvergiftung. In beiden Fällen kann der Gefallene durch kunstgerechte Operation gerettet werden. Das blutende Gefäß kann durch die heroischen Mittel des Schädelaufklappens an der Stelle der vermeintlichen Blutquelle unterbunden werden. Die Stelle der Blutung kann aus gewissen Nervensymptomen mit ziemlicher Sicherheit erschlossen werden. Auch die Diagnose des primär oder sekundär einsetzenden Hirndrucks ist im allgemeinen klarzustellen. Auf das Kugelsuchen im Gehirn wird sich so leicht kein Chirurg im Felde einlassen; man wird abwarten, ob sogenannte Herdsymptome (Nervenzeichen, welche vom Körper aus die Stelle der gestörten Funktion im Gehirn erkennen lassen) sich einstellen. Dann kann versucht werden, sekundär die Kugel herauszubefördern. Der Röntgenapparat zeigt dazu ihren Sitz direkt. Sind ohne allgemeine Hirndrucksteigerung solche Herdsymptome vorhanden, so kann der Versuch gewagt werden, eingedrungene Splitter zu entfernen und das Gehirn von den verletzenden Knochenstücken zu befreien. Alles das kann natürlich nicht in der Gefechtszone ausgeführt werden.

Ein solcher meist bewußtloser Soldat wird mit leichtem Kleb- oder Druckverband versehen hinter die Gefechtslinie in die ersten Etappenlazarette geschafft, in denen Chirurgen von Weltruf und die Schar der exakt ausgebildeten Militärchirurgen zu Werke gehen. Für einen Hirnschuß ist es von ungeheurer Wichtigkeit, ob der Schußkanal infiziert wird, was zum Glück nicht immer der Fall zu sein braucht, oder nicht. Durch kühne und sachgemäße Eingriffe gelingt es aber doch, eine kleinere Anzahl solcher Fälle zu retten. Gegen die allgemeine Hirnhautentzündung sind wir leider beinahe völlig machtlos. Wir haben auch kein Mittel, ihrem Eintritt mit Sicherheit vorzubeugen, denn die ernstlich vorgeschlagene Methode, alle Kämpfer am Kopf zu rasieren und ihre Glatzen mit Jod zu bestreichen, dürfte schon aus Mangel an Barbierern undurchführbar sein.

Herzschüsse sind meist auf der Stelle tödlich, nicht weil die Verletzung des Herzens an sich das Ende des Lebens bedingt, sondern weil die Vollblutung des Herzbeutels das Herz zusammendrückt und seinen rhythmischen Schlag erstickt.

Immerhin werden solche Fälle durch einen raschen, entschlossenen Eingriff bisweilen zu retten sein. Das Brustbein wird schnell umschnitten (hier handelt es sich um Blitzoperationen), die Rippen auf der linken Seite durch Loslösung vom Brustbein zurückgeklappt, der Lungenüberzug seitlich nach links zurückgeschoben, und der blutgefüllte Herzbeutel liegt frei zum Einschnitt. Die oft enormen Blutgerinnsel werden herausgehoben, ebenso das zuckende Herz, und der Schußkanal am Eintritt und Austritt vernäht. Diese heroische, zuerst von Rehn in Frankfurt vorgenommene Operation rettet gewiß manchen Armen, wenn sie auf dem Fleck vorgenommen werden kann. Wir werden sicher von solchen Heldentaten der Chirurgie vernehmen. Ebenso können große Gefäße, die durchschossen sind, heute genäht werden. Viele solche Gefäßschüsse werden sich von selbst schließen, weil die Kleinheit des Kugelschlitzes durch die Elastizität der Gefäßwand noch unterstützt wird und schließlich unter Gerinnselbildung das Ausströmen von Blut aufhört. Auch die allgemeine Ausblutung eines Körpers gewährt einen Schimmer von Hoffnung auf Rettung, weil das Aufhören des Blutens zugleich die Bildung von rettenden Blutgerinnseln begünstigt. Es muß nur das Herz nicht inzwischen aufgehört haben zu schlagen. Aber selbst hier gibt es ein Mittel, das Herz beinahe zu zwingen, seinen Wunderpendelschlag wieder aufzunehmen, wenn es gelingt, dem ausgebluteten Verwundeten statt des verlorenen Blutes ein bis zwei Liter einer Kochsalzlösung in die Adern zu treiben. Daß das salzige Meerwasser, auf 28 Grad Celsius erwärmt, dienlich ist, das Leben neu zu entfachen bei Ausgebluteten, soll hier nur deshalb erwähnt werden, weil es ein schöner Beweis dafür ist, daß auch der Mensch, wie jedes Lebewesen, im Meere seine letzte Heimat und seinen Ursprung zu denken hat. Von diesen Einspritzungen von Salzwasser in die Blutgefäße bei Entbluteten oder Schweroperierten wird die Chirurgie in diesem Feldzuge Triumphlieder zu singen haben.

Noch zahlreicher dürfte die Zahl der Geretteten trotz Bauchschusses mit mehrfachen doppelten Durchschießungen der Därme respektive des Magens gegen früher ansteigen. Wir haben gelernt, im Leibe wahre Meisterstücke des Flickens und Stopfens am lebenden Gewebe auszuführen, und man kann sagen, daß beinahe alle solche Leibschüsse glücklich enden würden, wenn nicht die Infektion durch Speisereste im Magen und Darm uns so oft einen Querstrich durch die chirurgischen Kunstleistungen machen würde. Man kann aber zwar allgemein bekanntmachen, daß der Soldat vor einer zu erwartenden Schlacht nüchtern bleiben sollte. Aber wann wird in diesem Kriege eine Truppe eine Schlacht vorausahnen können? Kann sie nicht jeden Augenblick beginnen? Ein hungernder Krieger ist aber auch kein wünschenswerter Vaterlandsverteidiger. Leider sind alle solche heroischen Vorschläge wie auch der des hygienischen Badens aller Krieger vor der Schlacht, der allen Ernstes einmal auf dem Chirurgenkongreß gemacht wurde, von einer gewissen tragischen Komik. Sie sind ebenso gut gemeint wie technisch unmöglich.

Immerhin ist die allgemeine Hygiene im Felde von ungeheurem Segen und nicht nur das sicherste Mittel, Seuchen zu verhüten, die Reinlichkeit der Haut würde aber auch den Wunden mindestens fünfzig Prozent ihrer Gefährlichkeit nehmen, weil die Infektion ja meist durch die Passage einer Bakterien im Überschuß haltenden Haut bedingt ist.


Als wir den vorangehenden Abschnitt niederschrieben, schwebte noch die drohende Wolke ungewisser Kriegsfragen über unserem Haupte. Nun, man kann jetzt sagen, daß das Gewitter losgebrochen ist mit einer Allseitigkeit, welche den Freunden des Reinen-Tisch-Machens gewiß nichts zu wünschen übrigläßt. Wenn die Leser verfolgen, was wir heute über die Schmerzlinderung im Felde zu sagen haben, so ist das Gewitter der Kugelblitze und Kanonendonner längst in vollem Gange, und eine Kette von deutschen Heldentaten wird aus der Schmiede der Entschlossenheit zum Letzten ans Licht gehoben sein, wie sie in der Geschichte der Völker ohne Beispiel ist. Man kann wohl angesichts dieser ausmarschierenden ernsten, oft froh lächelnden Streiter, die Kaiser und Vaterland grüßen, die Frage aufwerfen: Was hat es solchen Heldenmännern und -jünglingen gegenüber überhaupt für einen Sinn, an Schmerzlinderung zu denken, wenn sie selbst bei sich so gar keine Gedanken zulassen darüber, welchen Qualen ein großer Teil von ihnen entgegengeht. Freilich, man sollte meinen, die Chancen eines Krieges seien gar nicht so schlecht, wenn 1870/71 kaum zehn Prozent der Krieger ihr Leben lassen mußten, aber man bedenke, daß die Zahl der nur Verwundeten doch stets höhere Prozente erreicht. Damit wird leider für viele die Wunde und der Schmerz Ereignis, und es lohnt sich wohl, bei einem Heer von vielen Millionen die Frage der Schmerzlinderung im Kriege wieder einmal aufzurollen, sowenig auch gerade diese Frage für die Schmerzlinderung innerhalb des Gefechts, d. h. primär auf dem Schlachtfelde, noch vor Eingreifen der Chirurgen, die neben dem Messer und dem Verband ja auch Chloroform, Morphium und alle Waffen örtlicher Schmerzlinderung in den Händen tragen, wieder einmal zu beleuchten. Da können oft bitterschwere Stunden verrinnen, bis der heldenhafte Dulder der Segnungen aktiver Humanität teilhaftig wird, und es taucht ein bisher nur selten berührtes und beinahe unlösbares Problem auf: Kann etwas geschehen, um die erste Frist zwischen dem Schlagen der Wunde und ihrer Versorgung mit werktätiger Schmerzstillung zu kürzen? Was sollte das sein? Nun, es liegt ein Vorschlag aus Friedenszeiten vor, der, obwohl noch nicht erprobt, doch wohl jetzt im Felde hier und da sicher ausstudiert werden dürfte, das ist der Vorschlag der Selbstnarkose der Verwundeten im Kriege. Nicht etwa dergestalt, daß jeder Soldat, wie er die Möglichkeit hat, sich selbst provisorisch zu verbinden, auch jene haben könnte, sich selbst zu betäuben, respektive sich in einen längere Zeit andauernden schmerzlosen Schlaf zu versetzen. Das ist undurchführbar, weil solcher Besitz von Betäubungsmitteln die Gefahr eines frühzeitigen Verbrauchs des Mittels heraufbeschwört in der Sekunde einer Panik usw. Aber es kann mit Fug und Recht erörtert werden, ob nicht die Möglichkeit besteht, daß die Ambulanzen zahlreichen Verwundeten das Betäubungsmittel heranbringen können in und hinter der Front. Das ist gänzlich ausgeschlossen mit Chloroform oder Äther, die man beide niemand frei in die Hand geben kann, das erstere deshalb nicht, weil es tödlich wirken kann, das zweite aus dem Grunde nicht, weil es einen Rauschzustand erzeugt, der die Sachlage nur verschlimmern würde, da im Ätherrausch der Verwundete zwar die Schmerzen nicht mehr fühlt, aber durch Aufstehen, Rasen, Sichumherwerfen die entsetzlichsten Verschlimmerungen seiner Verletzungen einleiten könnte. Es entsteht nun die Frage: Gibt es ein Narkosemittel, welches man ohne diese beiden Gefahren der Vergiftung oder der Verschlimmerung dem getroffen Daliegenden in die Hand zur Selbsteinschläferung geben könnte? Diese Frage ist mit keinem absoluten, aber doch relativen Ja zu beantworten. Wir haben ein Narkosegemisch, welches zwar nicht absolut ungefährlich ist, aber doch so gut wie niemals zur Vergiftung führt und welches die Narkose sofort so tief gestaltet, daß ein Rauschstadium mit seinen Folgen nicht auftritt. Das ist das sogenannte Siedegemisch zur Narkose, das folgende Zusammensetzung hat:

Aethychlorid 20,0, Chloroform 40,0, Aether sulf. 120,0. Dieses Gemisch siedet bei der Körpertemperatur des Menschen, es befindet sich darum bei 38 Grad Lungentemperatur im sogenannten Optimum seiner Gasspannung und kann nicht aufgespeichert werden im Blute, weil fast jedes Ausatmen ebensoviel entfernt, wie der Atemzug eingeführt hat. Nur ein kleiner Rest macht die Narkose beim Umkreisen des Gehirns und des Rückenmarks. Darum ist es so gut wie ungiftig und an zahlreichen Selbstnarkosen, z. B. der Gallensteinkranken, durchaus erprobt. Eine Steinkolik gehört zu den schmerzhaftesten Dingen, sie ist schmerzhafter als eine Geburt und dürfte gewiß von Wundschmerzen auch der schlimmsten Art nicht überboten werden. Trotzdem wird, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, der heftigste, wahnsinnigste Schmerz in ganz kurzer Zeit nicht mehr empfunden, obwohl das Bewußtsein noch nicht ganz geschwunden ist, ja man hat das unendlich selige Gefühl, daß auch der rasendste Schmerz im Bewußtsein sich zu Schlaf und Traum auflöst und unerträglich psychisch-physische Spannungen verrinnen. Ich selbst habe schon Schwerverletzte, Tobende, Schmerzrasende gleich vom Fleck weg mit diesem Mittel in Schlaf versetzt und sie schlafend zur Klinik transportiert und kann nicht anders, als das Verfahren auch im Felde, hinter der Gefechtslinie, für durchaus praktikabel zu erklären, wie das ja sicherlich diesmal ausprobiert werden wird. Ich kann mir den Segen eines solchen Vorgehens nicht köstlich genug ausmalen. Die Heilgehilfen und Schwestern fahren umher mit kleinen Narkosewagen voller Flaschen jenes Gemisches. Sie haben faustgroße, in Gaze eingewickelte Wattebäusche, welche sie mit je 100 bis 150 Gramm der Flüssigkeit tränken. Diese reichen sie den sichtlich schwer Verwundeten und weisen sie an, sich den Bausch fest vor die Nase und den Mund zu drücken und tief Atem zu holen, bis sie schlafen. Sie sterben nicht im Schlaf, wenn ihre Verwundung sie nicht auch sonst tötet, aber selbst ein solch Einschlafen beim unvermeidlichen Tode – welch ein Segen, welch letztes Glück! Das Gemisch kann sie nicht töten, denn die Hand des Schläfers sinkt, der Bausch fällt von selbst vom Munde. Aber selbst wenn er bliebe: 150 Gramm dieses Gemisches können nicht töten, nicht einmal schädigen. Im Gegenteil, nach der eigentlichen Narkose folgt ein tiefer, langer Schlaf, der das Herz und die gepeitschten Nerven schont, bis die chirurgische Hilfe naht. Auch den Transport der Schwerverletzten leite man in dieser eventuell fortgesetzten Narkose – sie kann über Stunden ausgedehnt werden – und lasse den Leidenden im Bett erst wieder erwachen. Welch ein schöner Traum: mitten in Eis und Feuer, Blut und Qual kommt, von Menschenhand getragen, der Schlaf, der erlösende Schlaf, das Vergessen, die Enthebung aus der furchtbaren Gegenwart und dann erst die Hilfe der mannhaften, meisterhaften Chirurgie!

Ich will hier nicht die Einwände alle wiederholen, die diesem Vorschlag der Selbstnarkose der Verwundeten in Krieg und Frieden entgegengehalten sind; es muß sich herausstellen, ob sie unüberwindlich sind oder nicht. Es kann aber meines Erachtens dieser erste, kühne Gedanke der Selbstbetäubung eines schwer Verletzten nie mehr ganz verschwinden und wird einst so oder so verwirklicht werden, hoffen wir, recht bald. Ich will hier den naheliegenden Gedanken nur streifen, ob nicht eine Morphiumspritze, jedem Verletzten hinter der Front appliziert, viel einfacher und ebenso zweckmäßig wäre. Ich glaube das nicht, obwohl ich auch dieses für eine enorme Wohltat und einen großen Fortschritt halten möchte, aber das Morphium ist gewiß in den nötigen hohen Dosen nicht ungiftig und bei Blutenden direkt bedenklich; es war aber, bei Gallensteinattacken angewendet und verglichen mit der Selbstnarkose, der letzteren gegenüber entschieden an Promptheit und Schnelligkeit der Wirkung nicht ebenbürtig.

Mögen diese Zeilen dazu beitragen, einen bei vielen Militärärzten vielleicht in der Ruhe des langen Friedens vergessenen Gedanken wieder neu zu beleben! Diese Selbstnarkose ist natürlich, wenn sie überhaupt durchführbar ist, bei den schwersten Verwundungen zuerst angezeigt. Sie wird häufiger zurückstehen müssen bei den einfachen Verletzungen der Glieder, Arme und Beine, weil hier durch eine schnelle, sachgemäße Ruhigstellung, Schienung und Eingipsung derselben sehr vieles getan werden kann, die Schmerzen auf ein Minimum zu reduzieren. Denn ein gut verbundener und richtig fixierter Arm oder ein Bein, richtig gelagert und geschient, läßt den Wundschmerz nicht qualvoll werden. Schnelligkeit ist alles im Felde; im Bunde mit technischen Kenntnissen wird hoher Segen gewährleistet auch in sanitär-humaner Nachlese, für die unser Vaterland unter größter Opferbereitschaft von Mann und Weib ja noch eine zweite Armee zum Kampfe gegen das Leid mobil gemacht hat.

Wir werden an anderer Stelle ausführlich besprechen, was an fleißigster Friedensarbeit die Ärzteschaft geleistet hat, um vollbereit den unausbleiblichen Leiden gegenüber dazustehen und sich opferfreudigst zu bewähren. Was Mütter, Kinder und Geliebte der Heeresverwaltung an felsenfestem Vertrauen in diesen Tagen entgegenbringen, um daran ihr Herz zu stählen und auszurichten das können sie auch getrost übertragen auf die Verwaltung des Sanitätswesens, an dessen Spitze ein Mann von höchster Kraft und herrlichstem Menschentum steht, Exzellenz von Schjerning, dessen Geist und Macht seit Jahrzehnten in jedem kleinsten Zweige des Sanitätsdienstes der Armee fühlbar gewesen ist. Ihm sei an dieser Stelle im Namen aller, auch der Zivilärzte, ein »Gott erhalte!« zugerufen.


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