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XXXII.

Wie die Ritter König Artus drohten und er sich in einen Turm verschanzte, Merlin ihm den Weg zu Leodagan wies, zur schönen Genevra und dem Reich Thamelide

Die Geschichte sagt, daß nach langer Zeit König Artus einst Hof halten wollte. Er ließ die Fürsten und Barone des Landes zusammen berufen, die auch mit großer Begleitung ankamen. Zuerst kam König Loth von Orcanien, welche das Land Leonnois hatte, mit fünfhundert Rittern, alle in guter Rüstung und wohl beritten; dann kam König Urien vom Lande Gorre, ein junger, in den Waffen wohl geübter Ritter, begleitet von vierhundert Rittern von hohem Wert. Alsdann König Uter von Gallot, welcher eine Schwester des Königs Artus zur Gemahlin hatte, mit siebenhundert Rittern; dann König Lrarados von Brebas, ein sehr großer und starker Herr, er beherrschte Estrangegore, und war einer der Ritter von der Tafelrunde. Dann kam der schöne junge König Aguiseaulx von Schottland, mit fünfhundert Rittern; zuletzt König Idiers mit vierhundert jungen, tapfern und in den Waffen wohlgeübten Rittern.

König Artus war höchst erfreut, eine so vortreffliche und edle Ritterschaft bei sich in London versammelt zu sehen, und empfing sie allesamt mit vielen Ehrenbezeigungen und großer Festlichkeit. König Artus war unterdessen auch ein sehr schöner Herr und vortrefflicher Ritter geworden, so daß es eine Freude war, ihn anzuschauen, und er war mit seinen Gütern sehr freigebig. Er beschenkte jeden der Fürsten und jeden Ritter mit kostbaren Kleinodien und mit allerhand reichen Gaben, und mit so edlem freigebigem Anstand, wie einer, dem es an solchen Schätzen nicht fehlt, und der gewohnt ist, sie zu verschenken. Einige von den Fürsten nahmen die Geschenke mit Freude an und dachten sehr gut von ihrem König deswegen; andre aber waren voller Neid, und von dieser Zeit an trugen die größten und vornehmsten einen tödlichen Haß gegen den König im Herzen. »Ist es nicht eine Torheit«, sagten sie untereinander, »daß wir einem Burschen von so geringer Abkunft eine solche Macht und das beste Königreich gelassen haben, daß er solche Schätze sammeln und sie mit Stolz verschenken kann? Das wollen wir von nun an nicht länger zugeben.«

Sie schlugen also die Geschenke des Königs hoffärtig ab und schickten sie ihm zurück, ließen ihm auch dabei sagen, er solle wissen, daß sie ihn nicht länger als ihren König ansähen, er möge daher nur aufs eiligste sein Reich sowie das ganze Land verlassen und sich wohl hüten, sich je wieder dort sehen zu lassen, sonst würden sie ihn auf alle Weise ums Leben zu bringen suchen.

König Artus war sehr ergrimmt über diese Drohungen; da er sich aber nichts Gutes von ihnen versah, entfernte er sich in der Stille und verschloß sich in einen festen Turm, welcher in der Stadt London stand, wo er sich fünfzehn Tage lang verbarg, weil er die Verräterei der Fürsten schon kannte. Hierauf kam Merlin an, und zeigte sich öffentlich dem ganzen Volk. Als dieses den Merlin erkannte, war seine Freude so groß und die Freudensbezeigungen und der Tumult so laut um ihn her, daß man wohl den Donner nicht gehört hätte, so sehr lärmten sie. »Merlin ist gekommen! Merlin ist da!« So schrien sie auf allen Gassen einander zu. Auch die Fürsten gingen ihm entgegen, erzeigten ihm viel Ehre und führten ihn in den Palast, in einen Saal, dessen Fenster über die Stadt weg auf eine luftige grüne Wiese sahen; durch diese Wiese sah man einen schönen hellen Fluß fließen, den man sehr weit verfolgen konnte, bis er die Mauern der festen Burg Clarion umgab. Hier setzten die Fürsten sich mit Merlin nieder und zogen ihn zur Rechenschaft, fragten ihn, was ihn bedünke zu dem neuen König, welchen der Erzbischof Brice gekrönt habe, ohne ihre Erlaubnis und gegen ihren Willen, wie auch gegen den Willen des Volkes.

»Er hat wohl getan«, antwortete Merlin, »Ihr mögt wissen, daß er keinen andern hätte wählen können, der geschickter dazu wäre.« – »Wie das, Merlin? Erklärt Euch; denn uns dünkt, es sind viele unter uns, die sowohl der Tapferkeit als der Geburt nach diese Ehre mehr verdient hätten als ein solcher Bursche, von dem man nicht weiß, wer er ist?« – »Er ist von höherer Abkunft als einer von Euch«, sagte Merlin, »denn er ist weder Anthors Sohn noch Lreux Bruder!« – »Merlin, Ihr macht uns immer mehr und mehr verwirrt; wer ist er denn? was sollen wir denken?« – »Sendet nach dem König Artus, daß er hier vor uns erscheine, und versprecht ihm Sicherheit; auch seinen Pflegevater Anthor lasset zugleich herkommen, und Ulsius, den Rat des Königs Uterpendragon, nebst den Erzbischöfen von Brice und von London, in deren Gegenwart sollt Ihr hören, wer Artus ist, und Eure Zweifel sollen gelöst werden.«

Es wurde sogleich einer aus ihrer Mitte abgesandt, der den König Artus im Namen Merlins und der versammelten Fürsten rufen mußte, so auch die Erzbischöfe, und die andern beiden. Als sie hörten, daß Merlin dabei war, wurden sie fröhlichen Mutes und begaben sich sogleich hin; Artus zog aber einen Panzer unter seinem Rock an, denn er traute den verräterischen Fürsten nimmer. Als sie nun in den Saal vor die versammelten Herren kamen, wo sich auch eine große Menge von Volk befand, um diese Sache zu hören, setzten sich alle, Merlin aber stand auf, und erzählte den ganzen Verlauf von der Geburt des Königs Artus mit allen Umständen und mit großer Deutlichkeit, worauf denn Ulsius und Anthor den Eid vor den Bischöfen ablegten, daß alles sich so zugetragen, wie Merlin es erzähle. »Ihr seht also«, sagte Merlin weiter, »daß König Uterpendragon, sein Vater, ihn nicht für seinen Sohn und Erben erklären wollte, aus große Gewissenhaftigkeit, weil er nämlich diesen seinen Sohn mir überliefert hatte, noch ehe er wußte, daß er ihn erzeugt, er wollte also seinen Schwur auf keine Weise brechen. Gott der Herr aber, der seine Frömmigkeit und die Tugend seiner Gemahlin Yguerne sah, beschloß, daß um der Eltern willen der Sohn dennoch zu seinem rechtmäßigen Erbe gelange, und sandte das Wunder mit dem Schwert, damit Ihr alle erkennen möget, wie Gott selber ihn erwählte, und daß er Euer König sein soll.«

Das ganze Volk weinte vor Freude, als es diese wunderbare Geschichte hörte, und daß Artus ein Sohn des sehr geliebten Königs Uterpendragon sei, und verfluchte im Herzen diejenigen, welche diese Zerstörung anfingen und nicht wollten, daß Artus König sein solle.

Die Fürsten aber erklärten laut, sie wollten keinen König, der nicht in rechtmäßiger Ehe erzeugt sei; stießen darauf sehr üble Reden aus, die ich gar nicht hersetzen will; unter anderm sagten sie, er sei ein Bastard, und einem Bastard hätten sie nicht nötig, den Frieden zu halten, oder ihn in einem Reich wie London herrschen zu lassen. Darauf gingen sie alle in großem Zorn und Grimm davon; die Erzbischöfe aber, der Klerus und alles Volk war auf Artus Seite. Die Ritter bewaffneten sich in ihren Gasthöfen; und ließen dem König Artus den Frieden aufsagen. Dieser begab sich wieder nach seinen festen Turm und setzte sich nebst so vielen Leuten, als er habhaft werden konnte, in Bereitschaft, sich zu verteidigen. Nachdem seine ganze Partei versammelt war, fand es sich, daß er wohl, den Klerus mitgezählt, an siebentausend Mann hatte. Ritter hatte er aber nur eine sehr geringe Anzahl, ungefähr dreihundert und fünfzig an der Zahl; der König gab ihnen Waffen und Pferde, und sie versprachen ihm treu bis in den Tod zu bleiben und ihm zu helfen.

Merlin ging zu den Fürsten, die sich fertig machten, den König anzugreifen, und machte ihnen Vorstellungen wegen ihres bösen Unternehmens. Die Fürsten aber spotteten über Merlin, nannten ihn Schwarzkünstler und hießen ihn schweigen. Merlin sagte, es würde sie dieses Betragen zeitig genug gereuen, ging von ihnen, und begab sich zum König Artus in sein festes Schloß.

»Sei nicht erschrocken, Sire«, sagte er, »Du darfst Deine Feinde nicht fürchten, denn ich will Dir helfen gegen sie; keiner unter ihnen ist so keck, daß er nicht, noch ehe es Nacht wird, wenn auch ganz nackt, bei sich zu Hause zu sein wünschen soll.« Artus bat ihn darauf in sehr sanften und demütigen Worten, daß er ihn nicht verlassen möchte, und daß er ihn so lieben möge, wie er seinen Vater Uterpendragon geliebt; er wolle, so wie dieser, ihm in allen Stücken gehorchen und seinen Willen pünktlich erfüllen. »Sei gutes Mutes, König Artus«, erwiderte Merlin, »Du darfst nichts fürchten; höre aber genau zu, was ich Dir hier sagen will. Sobald Du diese Barone Dir vom Halse geschafft haben wirst, was gar nicht lange dauern soll, so tue, wozu ich Dir hier raten will. Wie Du weißt, sind die Ritter von der runden Tafel, nach dem Tode Deines frommen Vaters, dessen Seele jetzt bei Gott ist, als sie sahen, welcher Betrug und welche Falschheit hier im Lande entstand, von hier fortgezogen und haben die Tafel verlassen. Nun mußt Du wissen, es regiert ein König, Namens Leodagan, in Thamelide, seine Gemahlin ist tot, er ist schon bei Jahren und hat nur eine einzige Tochter, Genevra genannt, die einzige Erbin seines Reiches ist. Dieser König Leodagan ist in einem schweren Krieg begriffen gegen Rion, König des Riesen- und des Hirtenlandes, das niemand bewohnen kann, denn es gehen so wunderbare und seltsame Dinge dort vor, daß kein Mensch weder des Tags noch des Nachts Ruhe findet. König Rion ist sehr mächtig, an Land und an kühnen, tapfern Leuten; dabei ist er ein sehr grausamer Mann. Er hat wohl schon an zwanzig gekrönte Könige bezwungen und ihnen grausamer Weise die Bärte abgeschnitten, aus denen er sich einen Mantel verfertigen ließ; diesen Mantel muß einer seiner Ritter ihm stets vortragen bei seiner Hofhaltung; da nun an diesem Mantel noch etwas fehlt, so hat er geschworen, nicht eher zu ruhen, bis er dreißig Könige besiegt und mit ihren Bärten seinen Mantel vollendet hätte. Jetzt macht er dem König Leodagan den Krieg und hat seinem Land schon unendlich viel Schaden zugefügt.

Du mußt aber wissen, wenn er erst sein Land erobert hat, verlierst Du auch das Deinige gegen ihn; und würde König Leodagan nicht von den Rittern der Tafelrunde unterstützt, die sich alle bei ihm versammelt haben, so hätte er schon jetzt sein Königreich verloren, denn er ist schon alt. Zu diesem König Leodagan ziehe also und diene ihm eine Zeitlang; er wird Dir seine Tochter Genevra zur Gemahlin geben, und Du wirst Erbe seines Reiches werden. Seine Tochter ist eine junge, sehr schöne Dame und dabei eine der verständigsten in der Welt. Trage keine Sorge um Dein Land, es wird ihm nichts geschehen, denn die Barone, welche jetzt mit Dir Krieg führen wollen, werden so viel zu tun haben, daß sie nicht daran denken können, Dein Land zu bekriegen, außer daß sie Dich angreifen werden im Vorbeigehen, wenn Du auf dem Wege nach dem Festland sein wirst; doch sollen sie auch da keinen Vorteil finden. Ehe Du aber ziehst, versorge Deine Hauptstädte und die festen Burgen mit Nahrungsmitteln, mit Kriegsleuten und allem, was zur Gegenwehr notwendig ist. Und dem Erzbischof von Brice trage auf, daß er alle die excommuniziere, die dem Lande auf irgend eine Weise schaden oder als Feinde begegnen, und daß er gleich diesen Abend anfange, die Fürsten und Barone mit dieser Excommunication zu belegen, und so muß es die Geistlichkeit in jeder Stadt und an jedem Ort, alle Tage wiederholen. Du sollst sehen, daß auch die frechsten Deiner Feinde davon erschreckt und vom Kriege abgeschreckt sein werden. Auch will ich zu jeder Zeit und bei allen Gelegenheiten Dir zu Hilfe sein und Dich niemals verlassen, wo Du Dich auch aufhalten magst.«

König Artus dankte dem Merlin sehr, nachdem er aufmerksam alle Worte vernommen. Hierauf überreichte Merlin ihm eine Fahne von großer Bedeutung; es war ein eherner Drache darin, der helles Feuer auszuspeien schien; sein Schwanz, gleichfalls von Erz, war ungeheuer lang und dick und wand sich in vielen Krümmungen. Kein Mensch wußte, wo Merlin diese Fahne herbekommen. Artus nahm den Drachen an und überreichte ihn dem Lreux, seinem Seneschall, daß er ihn ihm selber vorantrage, mit dem Bedeuten, daß er auf Lebenszeit Fahnenträger im Königreiche London sei.

Lreux war ein tapfrer Ritter und von allen wohl geehrt, hielt sich auch bei allen Fehden und in den Schlachten mutig und tapfer, nur daß er den Fehler hatte, sehr verdrießlich und langweilig zu sprechen; und wegen dieses Fehlers flohen alle Ritter seine Gesellschaft und verspotteten ihn. Wer ihn kannte, der ließ sich seine törichten Reden nicht verdrießen, weil er im Herzen eigentlich niemand übel wollte oder zu schaden suchte, aber er sprach bloß aus Gewohnheit töricht; so daß, wenn er zu reden anfing, er nicht recht wußte, was er eigentlich sagen wollte, sondern so allerlei sprach, bis irgend ein verkehrtes Wort ihm entfiel, man über ihn lachte, und ihn stehen ließ. Diesen seltsamen Fehler ausgenommen, war er von den besten Sitten; er hatte ihn sicher nicht von seiner Mutter, der artigsten und verständigsten Frau von der Welt, sondern von der Amme, welcher er überlassen war, um Artus desto besser zu erziehen. Da von hier an Merlin nicht weiter bedeutend vorkommt, als daß er dem Artus beständig in allen Schlachten zum Siege verhilft, übergehen wir hier den größten Teil des Originals um so mehr, da dies alles in dem Roman vom König Artus, den wir in der Folge zu geben gedenken, besser und ausführlicher stattfindet.


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