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XV.

Wie Merlin dem neuen König in verschiedener Gestalt begegnete, zu seinem Ratgeber wurde und allerhand Schabernack trieb

Die Boten kamen zum König zurück, erzählten ihm alles, was ihnen begegnet war; fanden auch zu ihrer großen Verwunderung alle diejenigen aus dem großen Rat tot, von denen der alte Hirt dies vorhergesagt hatte. Nun riefen alle, die zugegen waren, es könne kein andrer sein, als Merlin selber, der zu ihnen in der Gestalt eines alten Hirten gekommen sei.

König Pendragon ließ sein Reich unter der Obhut seines Bruders Uter, nahm sein Gefolge mit sich und ritt nach Northumberland, wo er, wie die Boten aussagten, den Merlin finden sollte. Er fragte im ganzen Northumberland nach Merlin, keiner aber wußte etwas von ihm zu sagen, denn er hatte sich nirgend zu erkennen gegeben. Endlich vertiefte der König sich in die Wälder und sandte einige von seinen Edelleuten voran in den Wald. Einer von ihnen stieß auf eine große Herde Vieh und einen sehr ungestalteten häßlichen Mann, der sie hütete. Der Edelmann fragte ihn, wem das Vieh angehöre. »Ich gehöre«, antwortete jener, »einem angesehenen sehr weisen Mann aus Northumberland zu; er sagte mir, König Pendragon würde kommen und ihn hier suchen, könnt Ihr mir sagen, ob dem so ist?« – »Ja wahrlich«, sagte der Edelmann, »dem ist so; kannst Du mir den Ort sagen, wo ich den weisen Mann finde?« – »Dir werde ich es nie sagen, dem König aber, wenn er hier wäre, will ich es wohl entdecken.« – »Nun, so geh mit mir zum König.« – »Ei, da könnte ich ja meine Herde schlecht hüten, auch habe ich nicht nötig, den König zu sehen; wenn er zu mir kommt, will ich ihm sagen, wo er findet, was er sucht.« – »Nun, so bitte ich Dich, erwarte mich hier, ich will Dir den König herführen.«

Der König ritt sogleich, als der Edelmann ihm dies erzählte, mit ihm zu dem Hirten in den Wald. Es war wieder Merlin selber, der in Gestalt eines Viehhirten erschien. Er sagte dem König: »Du willst den Merlin holen, aber wüßtest Du auch, wo er ist, er ginge doch nicht eher mit Dir, bis es ihm gefiele; willst Du meinem Rat folgen, so begib Dich in die nächste Stadt; sobald Du dort sein wirst, wird auch Merlin bei Dir sein.« – »Wie soll ich wissen«, fragte der König, »ob das, was Du sagst, die Wahrheit ist?« – »Wenn Ihr mir nicht glauben wollt«, antwortete der Hirt, »so tut nicht, was ich Euch sage; es wäre ja eine Torheit, einem Rat zu folgen, dem man nicht traut.« – »Ich will Dir nicht mißtrauen«, sagte der König, »und will Deinem Rat folgen«, ritt darauf wieder zurück und begab sich in die nächste Stadt; hier kehrte er in ein Wirtshaus ein. Kaum war er abgestiegen, als ein sehr wohl aussehender, gut gekleideter Mann auf einem schönen Pferd ankam, der nach dem König fragte. Es war Merlin selber. Als er vor den König kam, sagte er: »Herr König, Merlin sendet mich und läßt Dir sagen, er sei es gewesen, den Du im Wald als einen Hirten angetroffen hast. Er hatte Dir versprochen, zu Dir herzukommen, er läßt Dir aber sagen, Du bedürfest seiner nicht mehr.« – »Gewiß, mein Freund«, antwortete der König, »ich werde immer seiner bedürfen.« – »Er läßt durch mich Euch gute Botschaft wissen: nämlich Hangius ist tot, Euer Bruder Uter hat ihn erschlagen.« – »Du sagst erstaunliche Dinge!« rief der König höchst verwundert aus, »ist es denn gewiß so wie Du sagst?« – »Wenn Du zweifelst, so schicke hin und erkundige Dich nach der Wahrheit.«

König Pendragon ließ alsbald zwei von seinen Leuten aufsitzen und schickte sie zu seinem Bruder Uter; sie waren aber noch nicht weit geritten, als sie zwei Boten von Uter begegneten, die den König Pendragon aufsuchten, um ihm zu sagen, daß Uter den Hangius erschlagen habe. Alle vier kehrten sie nun in die Stadt zurück, wo König Pendragon immer noch Merlin erwartete. Er war erstaunt, den Tod des Hangius so eingetroffen zu sehen, wie es ihm durch den verwandelten Merlin, den er aber nicht erkannt, war vorhergesagt worden. Er verbot es jenen bei Lebensstrafe, irgendeinem zu sagen, auf welche Weise Hangius erschlagen worden war; er wollte sehen, ob Merlin auch dieses wissen würde, wenn er käme.

Endlich zeigte Merlin sich dem König in seiner wahren Gestalt, so daß alle ihn erkannten, die ihn vormal gesehen. Er nahm den König beiseite und sagte ihm: »Von nun an bin ich ganz der Eurige und will Euch in allem, was Ihr bedürft, beistehen. Ich bin Merlin, nach dem Ihr so lange sucht; ich war der Hirt, der im Walde mit Euch sprach; ich war auch derselbe, der als Abgesandter hier bei Euch war; ich habe auch Eurem Bruder geraten, mit dem Hangius zu fechten. Unter den verschiedenen Gestalten, die ich angenommen, konnten Eure Räte, die mich ehedem gekannt, mich nicht wiedererkennen; denn diese Leute kennen nichts an mir als meine Außenseite, mein inneres Wesen aber werden sie nie erkennen. So wie ich jetzt hier vor Dir stehe, bin ich ihnen bekannt; ich kann aber, wenn ich will, mich immer vor ihnen verbergen. Euch aber, Herr König, bin ich ganz ergeben.«

Der König freute sich so, den Merlin zu haben, als hätte man ihm die ganze Welt geschenkt. Er ließ seine Räte kommen, diese erkannten den Merlin sogleich und waren ganz erstaunt, als sie hörten, daß er unter so mancherlei Gestalt schon mit dem König geredet habe. »Jetzt, Merlin«, fing Pendragon an, »sage mir, wie starb Hangius?« – »So bald als er erfuhr«, sprach Merlin, »daß der König aus dem Lager gegangen sei, um mich aufzusuchen, beschloß er in seinem kühnen Mut, sich bei Nacht zu waffnen und in das Zelt Eures Bruders Uter zu dringen. Ich wußte seine Absicht sogleich, begab mich also zu Eurem Bruder und warnte ihn, daß er auf seiner Hut sei, weil Hangius in der Stadt in sein Zelt kommen wolle, um ihn meuchelmörderisch zu erschlagen; sagte ihm auch viel von des Hangius Kühnheit, Stärke und Tapferkeit. Gott und der seinigen sei Dank! er glaubte meinen Worten. Als nun die Nacht gekommen, schlich Hangius sich mit gezognem Schwert in das Zelt Eures Bruders; dieser war aber nicht darin, so wie ich ihn gelehrt hatte, worüber Hangius sich sehr ärgerte. Als er wieder vom Zelt zurückgehen wollte, paßte Euer Bruder ihm auf und fiel ihn an; sie fochten so lange, bis Uter den Sieg davon trug und den Hangius erschlug.« – »Unter welcher Gestalt erschienst Du meinem Bruder?« fragte der König. »Unter der Gestalt eines sehr alten Mannes.« – »Sagtest Du ihm, wer Du seist?« – »Nein, dies sagte ich ihm nicht, er wird es auch nicht erfahren, als bis Ihr es ihm entdecket.« – »Gehst Du nicht mit mir? denn ich sehe ein, welcher Weisheit Du voll bist, und werde Deines Rates immer bedürftig sein.« – »Je länger ich bei Euch bleibe, je mehr ärgern sich Eure Räte, weil für sie nichts zu tun bleibt, wenn ich Euch guten Rat erteile; aber über zwölf Tage sollt Ihr mich bei Eurem Bruder Uter wiedersehen, in derselben Gestalt, in der ich ihm erschienen bin; aber ich bitte Euch, Herr König, sagt davon keinem Menschen, ich sage Euch sonst nie wieder etwas.« – »Gewiß«, sagte der König, »ich werde keinem Menschen ein Wort davon sagen.«

Sie nahmen also die Abrede, daß Merlin sich den zwölften Tag im Lager Pendragons und Uters einfinden sollte, und trennten sich darauf. Merlin ging wieder in den Wald zum Meister Blasius und ließ ihn alle diese Begebenheiten aufschreiben, so wie wir es hier in seinem Buch finden; Pendragon aber ging zurück ins Lager zu seinem Bruder Uter. Die beiden Brüder freuten sich sehr, als sie einander wiedersahen. Pendragon nahm seinen Bruder sogleich besonders und erzählte ihm mit den kleinsten Umständen, wie er den Hangius erschlagen habe, nebst noch vielen andern Dingen, worüber Uter sehr erstaunte. »Niemand«, sagte er, »kann diesen ganzen Hergang so wissen als Gott, und ein wackrer alter Mann, der mir insgeheim sagte, daß ich vor Hangius auf meiner Hut sein sollte, weil er mich in der Nacht erschlagen wolle. Um Gottes willen also, wer kann diese Dinge Dir erzählt haben?« – »Du siehst also, mein Bruder«, antwortete der König, »daß ich es sehr wohl weiß. Wer aber war der Mann, der Dich warnte? denn hätte er Dich nicht gewarnt, so wärst Du wohl, denke ich, jetzt vom Hangius erschlagen.« – »Bei meinem Leben«, sagte Uter, »ich kenne ihn nicht, hatte ihn auch nie vorher gesehen; aber er schien mir ein rechtschaffener ansehnlicher Mann, darum traute ich seinen Worten.« – »Würdest Du wohl«, fragte Pendragon, »den Mann wiedererkennen, wenn Du ihn vor Dir sähest?« – »Gewiß denke ich ihn wiederzuerkennen.« – »Nach elf Tagen wird er hier bei Dir sein, entferne Dich also zu dieser Zeit nicht von mir, damit auch ich ihn sehe und kennen lerne.« Uter versprach, den Tag, an dem jener erscheinen wollte, bei ihm zu erwarten. Merlin wußte sehr genau, was die Brüder zusammen verabredet hatten, und wie Pendragon ihn auf alle Weise auf die Probe stellen wollte; sagte auch alles dem Meister Blasius wieder und ließ es ihn aufschreiben. »Was werdet Ihr nun mit ihnen machen?« fragte Meister Blasius. »Pendragon und sein Bruder Uter«, antwortete Merlin, »sind schöne liebenswerte edle Fürsten; ich will ihnen mit Liebe und Treue, mit Wort und Tat dienstbar zugetan sein; will ihnen auch gar seltnen Spaß vormachen, daß sie fröhlich darüber lachen sollen. Uter liebt eine schöne Dame von hohem Adel, ich will die Gestalt des kleinen Pagen dieser Dame annehmen und ihm einen Brief von ihr bringen; er wird mir also glauben, was ich ihm sage, und da ich nun alles, was er mit dieser Dame insgeheim gesprochen hat, sehr wohl weiß, will ich es ihm erzählen, worüber er sehr erstaunt sein wird; und das soll grade auf den elften Tag geschehen, an welchem er mich erwartet.« Er nahm Abschied vom Meister Blasius und kam an dem bestimmten Tag in dem Lager des Königs an. In Gestalt des kleinen Pagen wurde er vor Uter gebracht, der sich sehr freute, eine Botschaft von seiner Dame zu erhalten. Er nahm den Brief, welchen der Page ihm in ihrem Namen überreichte, erbrach ihn mit vor Freude bebendem Herzen und fand die allerlieblichsten Worte darin, auch stand da, daß er dem Pagen alles glauben dürfe, was er ihm sage. Merlin gab ihm darauf die fröhlichsten Nachrichten, erzählte ihm Dinge, von welchen er wohl wußte, daß sie dem Uter viel Vergnügen machen würden, und unterhielt ihn mit solch angenehmen Dingen bis gegen den Abend. Uter freute sich über die Maßen, und beschenkte den Pagen reichlich. Pendragon, der an diesem Tage Merlins Erscheinen erwartete, ward sehr bestürzt, als es Abend wurde und er immer nicht kam. Auch Uter erwartete ihn, und während er mit dem Pagen sich unterhielt, zog dieser sich einen Augenblick zurück, nahm die Gestalt des alten Mannes an, so wie er ihm zum erstenmal erschienen, und zeigte sich ihm so in dem Schloßhof, wo er zuvor mit ihm auf und ab gegangen war. Uter erkannte ihn auch sogleich, ging ihm entgegen und sagte: »Freund, ich bitte Dich, warte hier ein wenig auf mich, bis ich mit meinem Bruder Pendragon gesprochen habe.« Jener willigte ein, auf ihn zu warten, und Uter ging zum König. »Bruder«, rief er, »der Mann ist angekommen.« – »Weißt Du gewiß«, fragte Pendragon, »daß es derselbe ist, der Dich vor Hangius warnte?« – »Ja wohl er ist es, ich kenne ihn genau.« – »So geh doch noch einmal zu ihm hinaus und prüfe ihn, ob es derselbe ist, und wenn Du dessen ganz gewiß bist, so komm und rufe mich.«

Uter gehorchte seinem Bruder und ging wieder hinaus in den Hof, wo er den Mann noch so fand, wie er ihn zuvor verließ. »Ihr seid es«, sagte er, »der mich vor Hangius warnte, wohl kenne ich Euch, und Ihr seid mir sehr willkommen. Wundern muß ich mich aber, daß mein Bruder Pendragon alles genau weiß und mir erzählte, was Ihr mir damals sagtet, und auch alles genau wußte, was ich tat, als Ihr nicht mehr bei mir wart; so wußte er auch, daß Ihr heute herkommen würdet; ich muß mich darüber verwundern, wer ihm alles das mag offenbart haben.« – »Geht, holt Euren Bruder«, sagte Merlin, »er soll uns sagen, durch wen er es erfahren.« Uter ging hinein zu Pendragon und sprach: »Jetzt komm, mein Bruder, denn es ist wirklich derselbe Mann.« Pendragon, der wohl wußte, daß es Merlin sei, und daß er seinem Bruder noch verschiedene artige Streiche spielen würde, befahl den Torhütern, keinen Menschen weder hinaus noch herein zu lassen, und als sie beide sich dahin begaben, wo Uter den Mann verließ, fanden sie niemand als den kleinen Pagen. »Nun, Bruder«, fragte Pendragon, »wo ist der Mann?« und Uter stand bestürzt und wußte nichts zu sagen, worüber Pendragon sich sehr ergötzte, weil er wohl merkte, daß Merlin nur scherzen wollte. Er trieb dieses Spiel auch noch eine Zeit lang, bis er sich endlich dem Uter und Pendragon in seiner wahren Gestalt zeigte und ihnen alles erklärte, worüber sie beide noch viel darüber scherzten und fröhlich waren.

»Sieh, mein Bruder«, sagte Pendragon, »er ist es, der Dich vor Hangius beschützte; er ist es, den ich zu suchen ausging; er ist es, der Macht hat, alles zu wissen was geschieht und was gesagt wird, so wohl in der Gegenwart wie auch in der Zukunft. Bitten wir ihn also, daß er stets mit uns sei und uns mit seinem Rat und seiner Hilfe beistehe, damit wir nichts ohne ihn unternehmen und er uns allenthalben leite.« Beide Brüder baten ihn also, daß er bei ihnen bleiben möchte, indem sie alles mit ihm beraten, und nur unter seiner Leitung regieren wollten. »Gern«, antwortete Merlin, »will ich Euch raten, nur müßt Ihr an mich glauben«, welches auch beide Brüder zu tun versprachen, weil sie noch alles wahr gefunden, was er ihnen gesagt; beide wiederholten auch nochmals ihre Bitten, daß er nicht von ihnen gehen möchte.

»Gnädige Herren«, erwiderte Merlin, »Ihr sollt allein um mich wissen, und Ihr besonders sollt mein Wesen stets erkennen; jetzt aber muß ich notwendig mich nach Großbritannien verfügen, ich bin dazu genötigt und gezwungen. Aber bei Gott schwöre ich Euch, daß, wo ich auch sein möge, ich immer Eure Angelegenheiten zuerst und ganz vorzüglich bedenken und besorgen werde. Laßt es Euch nicht verdrießen und kränkt Euch nicht, wenn ich von Euch gehe, denn ich kann ja zu jeder Stunde des Tages bei Euch sein, wenn es nötig ist, und wo Ihr in Verlegenheit oder in Gefahr seid, werdet Ihr mich bei Euch sehen, meine Hilfe und mein Rat soll Euch niemals fehlen, sobald Ihr dessen benötigt. Wenn ich jetzt wieder zu Euch komme, werden Eure Leute mich bei Euch melden, tut vor ihnen, als sähet Ihr mich zum erstenmal und freut Euch meiner Gegenwart, als käme sie Euch ganz unerwartet. Sie werden Euch alsdann raten, mich um alle Dinge zu fragen, und werden mich sehr rühmen; alsdann könnt Ihr in völliger Sicherheit meinen Rat und meinen Vorschlägen folgen, so als ob es die Meinung der anderen wäre.«


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