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VI.

Ungefährdet kamen sie heim. Friede und Ruhe lag über der Estanzia, die Simplizio, der Neger, treulich behütete.

»Ich wußte es ja«, nickte Gedon vor sich hin, »bis hier herauf kommen die Halunken nicht.«

Er erzählte seinen Leuten kurz von den Vorgängen im Lande, organisierte einen regelmäßigen nächtlichen Wachtdienst und ging an die Arbeit.

Für Renate war das große, inbrünstig ersehnte Erlebnis vorüber. Alltag war wieder. Wieder stand sie am Ufer des Flusses und blickte, die Augen gegen die Sonne beschattet, nach Norden. Und das, was die Hoffnung und Erwartung ihres Daseins gewesen war, solange sie hier am Castanho lebte, lag nun als Vergangenheit hinter ihr. Sie hatte ihn wiedergesehen. Sie hatten miteinander gesprochen. Und nun war alles vorüber – bis zum nächsten Jahre.

Jetzt, da sie wieder an der alten Stelle des Ufers stand und ihre Sehnsucht den Fluß hinabsandte, wußte sie, sie würde es nicht ertragen. Es war undenkbar, dieses schmerzende Verlangen in der Brust, dieses fast körperliche Trennungsweh Tag für Tag, Woche für Woche, ein langes, endloses Jahr dieser Einsamkeit zu erdulden.

Es schien ihr, sie habe Ortner vor diesem Wiedersehen nie geliebt. Erst jetzt liebte sie ihn, aus ganzer Seele, von ganzem Gemüte. Sie krümmte sich in qualvoller Angst bei dem Gedanken, daß ihm Gefahr drohe. War er auf seinem Rancho geblieben? War er mit den anderen gegangen? Es war eine sinnzerrüttende Folter, nichts von ihm zu wissen.

Der Abschied war eine Betäubung gewesen. Das Treue, Ehrliche, Pflichtbewußte in ihr hatte alles andere niedergeworfen, das sich erst während der langen Flußfahrt staunend, klagend, vergewaltigt wieder aufrichtete.

Sie begriff jetzt kaum noch, woher sie die Kraft genommen hatte, ihm zu wehren. Suchte in langen Grübelstunden zu ergründen, was sie eigentlich von diesem Wiedersehen erwartet hatte. Sie fand, daß sie dieses fiebernd erharrte Glück niemals bis zum Ende durchdacht hatte. Von dem Wieder-Sehen hatte sie geträumt, davon geschwärmt, es sich ausgemalt, weiter nichts. Hatte vergessen, daß auch auf der anderen Seite ein Mensch von Blut und Willen stand, der Forderungen stellen konnte und mußte.

Sie hatte Stunden, in denen sie sich weit fort vom Haus stahl durch unwegsamen Urwald und bitterlich vor hilfloser Sehnsucht weinte. Dann sah sie sein verstörtes, erstorbenes Gesicht beim Abschied. Fühlte seine Küsse durch die Kleider auf ihrem Leibe brennen. Fluchte in ohnmächtiger, klagender Reue ihrem Widerstande. Und wußte doch im Tiefsten, sie würde ihm wieder so antworten, wie sie ohne Überlegung, unbedacht fast, aus ihrer wahrsten Natur heraus gesprochen hatte.

Sie rang die Arme zum Dome des Urwalds empor und blickte um sich mit den scheuen irrenden Augen eines gefangenen Tieres. Wie in einem Käfig saß sie, gefesselt und verstrickt in ihr Schicksal und in ihren Charakter.

Müde und zerschlagen schleppte sie sich dann zurück zur Estanzia, wo besorgte Blicke und Fragen Gedons sie empfingen. War es das Klima, das sie nicht ertrug? Hatte sie Angst vor einem Überfall der Banden? Fühlte sie irgend ein bestimmtes Unbehagen?

Sie schüttelte mit einem kleinen, schmerzlichen Lächeln zu allem den Kopf. Und einmal küßte sie in einer plötzlichen Aufwallung der Schuld und Scham dem besorgten Manne die Hand.

»Renate!« stammelte er verdutzt und bestürzt.

»Du bist so gut,« entschuldigte sie ihre impulsive Tat. –

Dann kam der Überfall.

Es war in der Dämmerung. Ein heißer, stiller Tag. Sie hielt es im Zimmer nicht aus. Eine Sehnsucht, die stärker war als alles, was sie bisher erlitten hatte, raste in ihrer Brust. Sie rannte kopflos hinaus in den Wald. Gedon schlief noch. Er wurde an Seltsamkeiten seines Weibes immer mehr gewöhnt.

Da – etwa dreihundert Meter vom Hause – hörte sie plötzlich wildes, rohes Geschrei. Sie stand gelähmt. Sie wußte sofort, was es bedeutete. Als habe sie es diese ganze Zeit über erwartet. Eine Kälte wehte in der Herzgegend. Dann überwand sie das erste Entsetzen und rannte den eng geschlagenen Urwaldpfad zurück.

Das wüste Johlen ward jetzt von dem scharfen Knall von Schüssen durchtönt. Sie erkannte das große Jagdgewehr ihres Mannes. Jetzt rollten die Schüsse ununterbrochen. Dazwischen gelle Todesschreie.

Jede Furcht war nun von ihr gewichen. Sie hatte nur den einen Gedanken, bei ihrem Manne zu stehen, ihm zu helfen, an seiner Seite zu kämpfen, ihn zu schützen, zu verteidigen.

Sie kam zur Lichtung, gedeckt von dem dichten Wall der Bäume. Der Hof war schwarz von einer Horde zerlumpter Burschen in allen Schattierungen der Haut. Ohne Deckung standen sie da, schrieen, schossen, fielen. Drängten gegen die Tür des Wohnhauses, suchten sie einzudrücken, schlugen mit Kolben gegen die Fensterläden. Auf der Erde lagen dunkle Gestalten auf dem Rücken, die Arme emporgereckt, die Finger seltsam verkrallt. »Wie auf Kriegsbildern«, durchzuckte es Renates Hirn.

Immer wieder krachte es aus der Stube. Und immer brach einer draußen zusammen. Auch das Gesindehaus war dicht umzingelt. Dort kämpfte Simplizio tapfer mit seiner Schar.

Jetzt schlich eine Rotte um das Wohnhaus herum. Trockene Palmenblätter, Schilf in den Armen. Das Herz setzte ihr aus. Sie wußte, was das bedeutete. Gleich darauf prasselte das Feuer auf.

Sie griff sich ins Haar. Das hatte sie schon irgendwo gesehen. Ja, in Berlin im Film – in wilden Abenteuerfilmen. Aber das gab es doch nicht! Das war doch nie Wirklichkeit. Das geschah doch im fühlbaren Leben nicht! Vor ihren Augen. Sie berührend – sie betreffend. Sie rieb wirr ihr Gesicht. Das war doch Traum.

Aber sie hörte das Feuer knistern, hörte es die von der Tropenhitze ausgedörrten Palmenstämme gierig anfressen. Jetzt flogen brennende Zweige auf das Dach von Palmenblättern. Zuckend sprühte die Flamme hoch. Auch das Gesindehaus wurde zur Fackel. Renate stand zwischen dem Gestrüpp mit vorgebeugtem Körper. Sie wollte vorstürzen, sich zwischen die Bande werfen, mit ihren Fäusten, ihren Nägeln, irgendwie. Eine Wut war in ihr, ein Haß, ein unbedachter, verzweifelter Grimm.

Da sah sie einen Kerl, abgerissen, in Fetzen gekleidet. Ein tückisches Gesicht, das sie kannte. Joao, ihr früherer Knecht, der Gaucho, der ihr nachgestellt hatte.

Blitzhaft durchschaute sie alles. Dieser Schurke hatte die Bande hergeführt. Er suchte Rache an ihrem Manne für den Faustschlag und er suchte – sie.

Der Mischling blickte in ihrer Richtung. Sie glaubte, er habe sie gesehen. Er machte einige Schritte auf ihr Versteck zu. Sie wich in Todesfurcht zurück. Warf sich auf den weichen Waldboden, kroch auf Händen und Füßen, wie ein fliehendes Tier, jedes Geräusch zu vermeiden. Fiel, von Angst zerbrochen, flach auf den Leib, lag, rote Ameisen fielen über ihre Hände her, Blut quoll aus der Haut. Sie sprang empor. Blickte sich irr nach einer Rettung um. Lief einige Schritte, taumelte gegen einen Baum. Wußte dunkel, man würde sie suchen, wenn man sie nicht dort drüben fand. Ihre Spur im Urwald war leicht zu verfolgen. Ihr Hirn arbeitete rasend. Wohin? Wohin denn? Wie diesem Gaucho und seiner mordenden Gier entrinnen?

Sie starrte empor, hatte einen jähen Gedanken. Packte eine tiefhängende Feigenkette, schwang sich empor.

Plötzlich war sie in einem weit verstrickten Netz von Lianen. Wie eine Strickleiter war es. Sie stieg und stieg, klammerte sich mit den Händen an, zog sich empor, scheuchte Papageien und Pfeffervögel, fiel fast hinab, weil sie einen dicken Ast für eine Cobra hielt, und klomm und hing und schwebte, fand wieder einen zitternden Halt für die tastenden Füße. Das Tageslicht erlosch, grünes Dunkel umfing sie. Sie kletterte mit einer Benommenheit im Kopfe, dachte immerzu: Alles ist Wahnsinn, und griff über sich einen wilden Weinhang und zog den Körper nach, fühlte sich zerschunden, hörte ihr Kleid fetzen, kletterte, hing, schaukelte an. den Händen, schwang sich wie ein verfolgter Affe in den Gipfel des Urwaldes.

Dann wurde es wieder hell um sie. Und da kehrte klares Bewußtsein zurück. Sie umklammerte den nahen starken Ast einer Palme, schwang sich hinauf. Sie war hoch über dem Boden, den sie nicht sehen konnte. Aber vor sich sah sie, durch das Gewirr der Blätter, Zweige und Bäume. Sah den Hof, sah die rauchenden, blaurot brennenden Häuser, sah die Gauchos mit anschlagbereiten Gewehren warten. Gleich, gleich mußten sie ausbrechen aus den tödlichen, flammenden Häusern.

Es dauerte nur Sekunden. Da öffnete sich die Tür des Wohnhauses. Eine kleine, gedrungene Gestalt, unkenntlich schwarz vom Rauch, stand auf der Schwelle. Die Salve knatterte. Die Gestalt schwankte, reckte sich, stürzte vor, den Revolver in der Hand, warf sich in den dichten Knäuel der Banditen, der Revolver blitzte auf, einmal, zweimal, zwei warfen die Arme hoch, fielen gegen ihre andrängenden Hintermänner. – Von ihrer Höhe konnte sie in den Knäuel hineinblicken, sah zehn braune Burschen sich an ihren Mann hängen – er schüttelte sie mit Riesenkräften ab, stand noch einmal frei, Blut rann über sein Gesicht, noch zweimal blitzte die Waffe auf. – Es stürmte hervor aus dem Gesindehause – eine Salve krachte – viele stürzten steif wie Planken. Doch Simplizio lief zu seinem Herrn, hieb mit einer schweren Eisenstange um sich – war neben Gedon, der blind von Blut torkelte, packte ihn, riß ihn dem Walde zu.

Da krachte es wieder. Gedon fiel auf das Gesicht – Simplizio reckte sich steif auf – stand sekundenlang schief nach hinten geneigt und schlug dann rücklings über.

Dann wurde es still. Der Kampf war aus. Sie sah deutlich, wie die Hände ihres Mannes seltsam den Boden schlugen. Da packten sie ihn – zwei Kerle – einer war Joao – er hielt Gedon an den Armen – grinste auf sein Gesicht nieder, schrie ihm etwas zu mit fletschenden Zähnen. Dann – ein heftiger Schwung – der Körper flog in die aufprasselnden Flammen des Hauses.

Da schrie Renate auf, verlor ihren Halt und stürzte in die Tiefe.


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