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IV.

Die Geschichte einer schönen Frau ist immer die Geschichte ihrer Versuchungen.

Renate war von der ersten Zeit ihres Erblühens an Mannesziel und Jagdbeute gewesen. Sie selbst suchte vergebens zu ergründen, was an ihr die Sinne und das Begehren aller, denen sie begegnete, erweckte. Waren es Ausstrahlungen, Körperströme, ein geheimnisvolles starkes Fluidum? Vielleicht war es ihr bizarres Gesicht mit den starken Backenknochen, der geraden, kleinen, nervösen Nase, dem großen Munde voll unbewußter Verheißung. Vielleicht lag es auch an den in tiefe Schatten gebetteten grauen Augen, die stets leicht verschleiert waren, als bärgen und verbärgen sie Mysterien und Wissen von erotischen Geheimkünsten, von denen sie in Wahrheit nichts ahnte. Auch reizte ihr Körper, dessen schmiegsame Formen jedes Gewand erregend abzeichnete, und die Zartheit ihrer Gelenke und Glieder männliches Kraft- und Besitzgefühl. Das Geheimnis der Lockung entzieht sich der klaren Ausdeutung. Tatsache blieb, daß Renate schon mit vierzehn Jahren ihren Körper zu verteidigen hatte.

Eines Nachts drang der siebzehnjährige Sohn des Mannes, der die Waise in sein Haus genommen hatte, in ihr Zimmer.

Sie war sieben Jahre alt, als die Eltern kurz hintereinander starben. Da sich keine Verwandten ihrer erbarmten, öffneten sich ihr die Tore der öffentlichen Anstalt für elternlose Kinder.

Professor Wolbach, Arzt und Philantrop, sah sie dort. Das hübsche fremdartige Kind gefiel ihm. Er nahm es in sein Haus, sehr gegen den ahnungsvollen Widerspruch seiner Frau. Renate und Georg, der Sohn ihrer Wohltäter, wuchsen zusammen auf, gute Gefährten – bis zu jener verhängnisvollen Nacht, die ihr Leben entschied.

Sie wehrte sich instinktiv, verständnislos gegen den entflammten unbändigen Knaben. Das Geräusch riß den Professor in das Zimmer. Die Frau folgte. Die Frau Professor schrie Feuer. Nicht den Täter, den Anlaß traf die Strafe.

Renate wurde als gefährliche Versuchung aus dem Hause gewiesen. So verlor sie Heim und Schutz. Um ihre Gefühle scherte sich keiner. Sie kam in strenge Obhut, entlief ihr, trieb sich umher, verfolgt, gehetzt, stand hilflos im Getriebe Berlins. Keller, der Maler, griff sie auf, ließ ihre Anlage zum Rhythmus ausbilden. Auch ihn verlor sie, als er sie als Nymphe malte und überfiel.

Sie tanzte. Zuerst in kleinen, verrauchten Lokalen, dann in der Skala. Immer in der Abwehr, immer umbrandet, umbuhlt, umlodert von den Wünschen der Männer.

Doch da sie kühl und ungeweckt war, blieb sie unversengt in einem Bacchanal von Gluten.

In der Skala sah Gedon sie. Sie wurde das Geschick dieses Mannes, der, aus der Bahn geworfen, unzufrieden mit dem Wandel der Dinge, seine Verzweiflung an Deutschland im unbekannten Gestrüpp des brasilianischen Urwalds begraben hatte. Er schrieb ihr. Der ernste, schicksaldurchwehte Klang seiner Worte ergriff sie. Sie antwortete. Sie trafen sich – heirateten. Sie liebte ihn nicht. Belog sich hierüber auch nicht einen Augenblick. Doch sie war zermürbt von den Nachstellungen, müde der nervenzerrüttenden Abwehr. Es lockte sie, sich in der Stille und Abkehr des Urwaldes zu verbergen, dem Scheiterhaufen der Verfolgungen zu entrinnen, endlich nicht mehr gescheuchtes Wild zu sein. Es war eine Erlösung, sich in die Hut dieses wortkargen, gelassenen Mannes zu schmiegen. Sie nahm dankbar und mit gelobenden stillen Vorsätzen seine poesielose Werbung an.

Während der Überfahrt lag sie auf Deck wohlig neben ihm in dem Liegestuhl, eingehüllt in warme Decken und seinen wehrhaften Schutz, und die versuchenden Blicke der Reisenden waren zu einer lächerlichen Kurzweil geworden.

Auf der Bootsfahrt den Aripuanan hinab, als schon der Urwald sie in sein bergendes Grün genommen hatte, als sie glaubte, endlich auf immer aller Bedrohung entronnen zu sein, traf sie Walter Ortner.

Schon am ersten Abend fühlte sie, daß dieser Mann, der monatelang kein Weib gesehen hatte, sie begehrte. Zwei Tage ruhten sie auf der werdenden Estanzia von den Mühen der Stromfahrt aus. Es war eine gepeitschte Ruhe. Nie in ihrem gehetzten Leben war sie aufgestörter gewesen. Zum ersten Male traf männliches Verlangen nicht auf ihre Angst, ihre Abwehr. Zum ersten Male liebte sie, ganz, als gewecktes Weib, mit allen Pulsen, mit allen Sinnen.

Es kam nicht zu Worten, geschweige denn Taten. Doch beider Blut schrie lauter, als Worte rufen können.

Und dann kam heute der Brief. Mit hellhöriger Frauenklugheit erkannte sie, daß er ihr schrieb, nur ihr. Ihrer Sehnsucht klang das Ungesagte zwischen den Zeilen. Seine Verzweiflung, sein Verlangen, seine Qual. Sie sah den Mann in seiner Einsamkeit am Ufer des Aripuanan stehen und seine Liebe in die verlorene Weite klagen. Wie oft hatte sie am Strome gestanden und sehnend eifersüchtig den Wassern nachgeblickt! Blätter, Holzstückchen hatte sie kindlich in die Flut geworfen – als Gruß für ihn. Und oft, wenn das Wasser sie beim Baden umrauschte, dachte sie: es fließt zu ihm und bringt ihm einen Hauch von mir.

Sie sprach kein Wort über den heimlich Geliebten. Hastig kramte sie unter den Ramschwaren des Senhor Luiz Barboso, kaufte und wählte in Gedanken an den Mann dort unten im Urwald am Zusammenflusse des Castanho und Aripuanan. Nur für ihn. Für ihn wollte sie sich schmücken, für ihn schön sein, allein für ihn. Aber als sie am Abend auf dem festgestampften Boden vor dem Hause mit den beiden Männern saß, gaben ihre geschundenen Nerven nach. Sie sprach und sprach. Gedon staunte. Nie hatte er seine stille, in sich gekehrte Frau so lebhaft und redselig gesehen. Senhor Luiz Barboso aber fand diese hübsche kleine Deutsche sehr anregend und unterhaltsam. Seine grünen Schlemmeraugen unter dem roten Haare glitten über ihre Gestalt. Und als die Gastgeber sich zur Nacht verabschiedeten und im Hause verschwanden, blieb der stolze Senhor noch lange angewurzelt stehen und sah auf die Tür, die sich hinter der Frau geschlossen hatte.

Mit einem Seufzer riß er sich endlich los und ging schwerfällig und schleppend zu seinem Lager im Boote.

»Per dios, der Deutsche da drinnen hat es gut – verdammt gut!«


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