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24

Rutland war bereits auf hoher See. Die englischen Behörden hatten das Auslieferungsverfahren beschleunigt. Es war eine allzu peinliche Angelegenheit. Man wollte den Mann so rasch als möglich aus dem Lande haben.

Wohl überlegte man, ob man ihn nicht zunächst wegen der in Großbritannien begangenen Delikte aburteilen müsse. Bei genauer juristischer Prüfung aber stellte es sich heraus, daß die Verbrechen, die dieser »Schwindler, Heuchler, Halunke, Bluffer, Ehren-Zechpreller, politischer Hochstapler« in England auf sich geladen hatte, in einer kleinen Übertretung gipfelten, die mit einigen Schillingen Geldstrafe geahndet wurde. Er hatte einen falschen Namen geführt. Weiter hatte er zum Staunen, selbst der Juristen, in England nicht gefrevelt. Und zuerst hatte man – der Wirkung auf die Öffentlichkeit nach – einen Rattenkönig von Schurkereien zu sehen geglaubt.

Denn schließlich verlangte kein Gesetz der Welt, daß einer hinging und bekannte, er habe vor Jahren einen Menschen niedergeschossen. Aus diesem Unterlassen konnte ihm kein rechtlicher Vorwurf gemacht werden.

Es blieb nichts als eine lächerliche Übertretung, wegen der man ihn zu einer Geldbuße verurteilte, die prompt bezahlt wurde. Dann schob man diese leidige, verkörperte Bloßstellung schleunigst ab unter der Hut Mr. Watsons und eines englischen Geheimpolizisten, den man dem Neuyorker Kriminalisten als Gehilfen beigab.

Rutland war in seltsam gehobener Stimmung – zum Staunen Watsons und des englischen Detektivs. Jetzt erst, nachdem die Tat offenbar geworden war, empfand er nachwirkend den Druck, unter dem sein Leben gestanden hatte. Es war ihm, als sei er diese langen Jahre gebeugt gegangen unter einer zentnerschweren Last, die plötzlich von seinen Schultern gefallen war.

So wunderbar es war, jetzt, da er als Schwerverbrecher, als Mörder, nach Amerika überführt wurde, in den Eisenbahnzügen, auf den Straßen in Fesseln, trug er den Kopf höher, die Gestalt gereckter als in den Jahren seines bewunderten Erfolges. Die Brust dehnte sich, das Herz atmete freier als seit langem. Das Geheimnis seiner Vergangenheit hatte ihn zu Boden gedrückt, gelähmt, umschnürt. Er erlebte jetzt eine Wiedergeburt. Verjüngte sich, sah frischer und kräftiger aus als in den Tagen des »Glückes«.

Sein Gemüt war ruhig, fast heiter. Es schien, als sei ein Schimmer aus den ungebundenen forschen Leutnantstagen wieder über ihn gekommen, als sei durch die plötzliche Enthüllung der Jugendtat sein Leben in jene frischen Seemannstage zurückgeschnellt, als sei die Zwischenzeit überbrückt, zurückgesunken, nie gewesen. Elastisch ging er in seiner geräumigen Kabine auf und nieder, die Hände in den Hosentaschen, mit leicht schaukelndem Seemannsgange und pfiff alte Hafenmelodien, die fast ein Jahrzehnt in ihm geschlummert hatten. Er war voll jugendlicher Zuversicht und Kühnheit.

Angelita hatte er nicht wiedergesehen. Doch der Beamte von Scotland Yard hatte ihm wortgetreu ihre Botschaft mitgeteilt und ihn dabei angesehen, als wollte er sagen: »Sie Glücklicher, ich beneide Sie um diese Frau!«

Da streckte ihm Rutland im Überschwange des Glückes die Hand entgegen. Der Beamte nahm sie, noch ehe Rutland gesagt hatte: »Ich schwöre Ihnen, ich bin kein gemeiner Mörder!«

Von diesem Augenblicke an kam diese Freudigkeit der Seele über Rutland-Paterson. Angelita hielt zu ihm, sie stand bei ihm, sie hatte die grausame Lage vergessen, in die er sie gebracht hatte. Sie glaubte an ihn!

Die alte tollkühne Verwegenheit und der unbedachte Angriffsschneid, der ihn einst zu dem Ruhme eines der hoffnungsvollsten Offiziere der USA.-Flotte erhoben hatte, sprühte in ihm auf. Kampf! Kampf! Er würde für diese heilige Frau, für dieses Wunder an Treue und Liebe, kämpfen bis zum letzten Blutstropfen. Er hatte zu leben, zu leben für sie. Er hatte sein Anrecht auf Leben und Glück. Er wollte darum ringen, wie nie ein Mann gerungen hatte.

Er hatte nicht gemordet, wenn Muriel es auch tausendmal behauptete. Er hatte in berechtigtem rasendem Jähzorn den Schänder seiner Ehre in seinem Ehebett gezüchtigt! Nie vorher hatte er die Sachlage so kaltblütig und wägend überschaut. Hatte sich selbst in dem Grauen des Blutvergießens, des Auslöschens seines besten Freundes, für einen Mörder gehalten und war in dem uralten Entsetzen Kains, des Totschlägers, geflohen, und hatte sich in feiger, kopfloser Angst verborgen gehalten.

Jetzt, da es Angelita galt, erwachte der gelassen urteilende Mann in ihm. Gut. Vielleicht sperrten sie ihn einige Jahre in den Kerker. Das mußten sie tragen. Er wußte, sie würde auf ihn warten. Alles verging, auch Jahre des Kerkers, alles war zu ertragen, wenn am Ende des Weges – sie stand und auf ihn harrte.

Aber er wollte kämpfen, um jedes Jahr Gefängnis, um jeden Tag, um jede Stunde mit den Richtern ringen und trotzen, denn jede Stunde, die er gewann, gab ihn früher frei für sie, für sie. –

Er stand am Rundfenster seiner Kabine und schaute hinaus auf das Meer. Endlich wieder erlebte er die See, seine See, die geliebte Heimat seiner Jugend, die er so lange gemieden hatte. Genießerisch sog er die Brise tief in die Lungen ein, kostete den Salzgeschmack auf Zunge und Lippen als schwelgerischen Leckerbissen.

Er machte seinen Wächtern ihr Amt nicht schwer. Hatte ihnen das Ehrenwort gegeben, nicht zu entfliehen. Watson glaubte ihm als Gentleman. Er durfte sich auf dem Mitteldeck vor seiner Kabine ergehen. Nur nachts wurde er bewacht. Man hatte ihn heimlich an Bord gebracht. Keiner der Fahrgäste der »Olympia« ahnte den interessanten Passagier.

Rutland stand am Bullauge seiner Kabine und atmete zukunftsfroh den Odem der See. Er wußte, irgendwo auf diesem Rund schwamm auch sie, wußte, daß auch sie auf dem Wege nach Amerika war, daß diese Himmelskuppel auch über ihr hing und sie mit ihm einte.

Es war Abend, ein herzbeklemmender Sonnenuntergang, auf den das Schiff mit seinem westlichen Kurs geradeswegs zulief. Das Meer am Horizont war violett, purpurn, wie die Luft. Der Himmel darüber Flamme, Feuerqualm, rotblaue Lohe.

Ein Symbol, dachte Rutland. Wir steuern mitten hinein in die Feuergarben unserer beglückten Zukunft. Es war ihm, als sehe und empfinde auch Angelita diesen Sonnenuntergang und diese Verheißung ihres zukünftigen Glückes.

Dann wurde es schnell Nacht. Er war auf das Verdeck hinausgetreten. Im Osten, gerade hinter dem Schiffe, stand der Vollmond. Er mußte sich aus bleichen Wolkenbarren hervorarbeiten. Doch dann stand er groß und selbstbewußt an dem schwarzen Hintergrunde des Himmels.

Er steht auch über Angelita, dachte Rutland und sandte stumme Grüße zu ihm an sie empor.


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