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13

Er wurde vom König wegen seiner Verdienste um die englische Wirtschaft – geadelt. Er wurde Sir John Rutland. Er wurde zum Tee in den Buckingham Palace geladen, sich für diese Auszeichnung zu bedanken. Der König und die Königin drückten ihm die Hand, dieser erste Gentleman Englands sprach die Hoffnung aus, daß »Sir John« noch lange zum Segen und zur Ehre Großbritanniens seines Amtes walten werde. Nie erschien der neue Knight sich höhnischer als Betrüger und Gaukler als in diesem Augenblick beneideten höchsten Glanzes.

Jetzt war es unmöglich geworden abzutreten. Dieser Schritt hätte eine Brüskierung und Beleidigung der höchsten Person des Landes, seiner liebenswürdigen Anerkennung und seines Wohlwollens bedeutet. Es wäre ein unwürdiger, bösartiger Schlag gegen die Krone gewesen, der nicht im Bereiche des Möglichen lag.

Da ballte Rutland die Fäuste. Wenn er auf der Höhe bleiben mußte, auf die Angelita ihn gestellt hatte, wollte er ihr zeigen, wer er war. Wollte er ihr beweisen, daß sie keinen Unwürdigen zu schwindelnden Gipfeln emporgehoben hatte. Da warf er sich in die Arbeit wie nie zuvor in diesen Jahren, in denen er das verantwortungsvolle Steuer von Killick & Ewarts geführt hatte. Jetzt erst wurde die Firma das erste industrielle Unternehmen des ganzen Landes, jetzt erst ein nationaler Ruhm, in dem jeder Brite sich geehrt fühlte. Jetzt erst wurde Rutland der erste Mann des englischen Wirtschaftslebens.

Sein Ruf wurde international.

Schon am Tage nach seiner Erhebung in den Adelsstand erschien bei ihm im Verwaltungspalaste der Chefredakteur der »Nation« in höchsteigener Person, bat um ein Bild Sir Johns und einige Daten aus seinem Leben. Diese klassische Wochenschrift wollte ein Essay über den großen Heros der englischen Volkswirtschaft veröffentlichen.

Notgedrungen willigte Rutland in das Interview. Der Chefredakteur gestattete sich einige harmlose Fragen, ohne zu ahnen, in welche peinvolle Verlegenheit er den neuen »Sir« stürzte.

»Wo sind Sie geboren?«

Nach kaum wahrnehmbarem Zögern entgegnete Rutland: »In Liverpool.«

Damals, unmittelbar nach der Tat, war er auf sein Torpedoboot zurückgeeilt und mit den alarmierten Schiffen gegen die »feindliche« Flotte, die von Japan her ansteuerte, ausgelaufen. Es war ein Manöver größten Stils, eine gewollte Demonstration gegen Japan, als Warnung in der Spannung, die zwischen den Vereinigten Staaten und dem Reich der aufgehenden Sonne wieder einmal akut geworden war.

Bei dem Nachtangriff der Zerstörerflottille auf das »feindliche« Gros bei diesigem Wetter war einer der Unglücksfälle eingetreten, mit dem jede Marinenachtübung rechnen muß. Mit abgeblendeten Lichtern stürmte Rutlands Boot, das Führerschiff der Flottille, mit Vollkraft durch die schwarze Nacht. Da plötzlich sah er von der Brücke aus etwas Seltsames vor sich, etwas wie eine riesenhafte Fontäne, die geradeswegs auf sein Schiff zukam. Das Rätsel war über ihnen, ehe er noch erkannte, das es ein Kreuzer war, der mit seinem hohen Steven ungeheure Fluten aufwarf in seiner Sturmfahrt von achtundzwanzig Kilometern.

Er hatte kaum noch Zeit zu dem entsetzten Befehle: »Hart Steuerbord, Volldampf voraus beide!« Da platzten die Schiffe mit grausigem Krache zusammen. Das Torpedoboot stellte sich steil auf. Rutland sah noch, wie der Vormast herunterkam, hörte den Dampf aus dem aufgerissenen Leibe der vorderen Kessel herausbrüllen, sah weiße Schwaden gegen das Schwarz der Nacht und des Meeres – dann sackte das Boot davon.

Im Wasser packte er eine treibende Planke. Wellen trugen ihn davon, unheimlich rasch. Eine Strömung. Als sie die Unglücksstelle mit Scheinwerfern bewarfen, war er schon außerhalb ihres Lichtfeldes.

Drei Tage und Nächte trieb er. Bewußtlos bargen japanische Perlenfischerinnen ihn ans Land. Im Hause des Dorfältesten pflegte ihn liebevoll die kleine gütige Kikuyatko mit der unerreichbaren Anmut und Demut des japanischen Mädchens.

In der Stube des Schulzen hatte er, als er wieder zu Kräften gekommen war und umhergehen konnte, einen Haufen alter verwaschener Schiffspapiere gefunden. Der Taifun warf so manches Schiff an diese gefährlichen Riffe. Hier lag zu Stapel, was von den Mannschaften nach ihrer Beerdigung auf dem kleinen Seemannshügel geblieben war.

Er hatte die Wahl unter diesen verblichenen, vom Meereswasser ausgesogenen Dokumenten. Er wählte einen Seemannspaß, dessen ertrunkener früherer Besitzer im Alter zu ihm paßte. Das Ausweispapier des ledigen Steuermanns John D. Rutland aus Liverpool von dem zerschellten Dampfer »Nancy«.

Und begann unter diesem Namen das neue Leben.

Wohl war ihm später oft der Gedanke gekommen, nach den Verwandten seines Paten und toten Doppelgängers zu forschen, hatte diese Notwendigkeit aber im Drange der anstürmenden Geschäfte aufgeschoben und immer wieder verschoben. Wer fragte in England nach Paß und Ausweispapieren! Er hatte die Erkundung vertagt und schließlich vergessen.

Die Frage des Chefredakteurs der »Nation« erfüllte ihn mit peinlicher Reue ob dieser Vernachlässigung. Was wußte er von dem ersten Offizier John D. Rutland aus Liverpool? Nichts!

»Wie hieß Ihr Vater, Sir John?« fragte liebenswürdig der Chefredakteur.

»John David Rutland«, erwiderte Sir John aufs Geratewohl. »Er ist tot.«

Auch die Mutter ließ er sterben und phantasierte seine Jugend und Seemannslaufbahn kühn zusammen.

Eifrig notierte der Zeitungsmann.

Wenige Tage später erfuhr das Vereinigte Königreich zum ersten Male Einzelheiten aus dem Leben seines größten Wirtschaftsmagnaten.


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