René Schickele
Meine Freundin Lo
René Schickele

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Ich telephonierte mit meiner Zeitung. »Die Regierung ist entschlossen, mit ganzer Energie . . .«

40 Aber dann war die große Leere da, und die rollende Stille in der Leitung.

Ich schrie:

»Hallo! Sind Sie da? Hallo! Hallo!«

Ich krampfte mich am Apparat fest, drückte ihn an die Brust, und aus Leibeskräften, daß ich es wie Blech rasseln hörte:

»Sind – Sie – da?«

Vielleicht war jemand da. Aber er verschwieg es.

Ich überdachte meine Lage . . . Ich führe ein Nachtgespräch. Das Gespräch ist »reserviert« und »dringend«. Die Minute kostet zwölf Francs . . . Gut . . . Ich werde zum drittenmal unterbrochen! Ich kann kaum sprechen vor Heiserkeit . . . Gut . . . Ich muß brüllen! Denn wenn alles gut geht: sämtliche Mittelspersonen Lust am Leben haben, das Gespräch sich ungestört entwickelt und ich buchstabiere, daß die Leute auf der Straße erschrocken stehen bleiben, dann habe ich die Aussicht, in Deutschland zur Hälfte verstanden und zur andern Hälfte erraten zu werden. Der Kopf brennt. Der Nacken schmerzt. Wie 41 nennt man das? »Hexenschuß!« Aber gälte es mein Leben, ich muß in dieser vorgerückten Stunde sagen, wozu die Regierung entschlossen ist. Das ist mein Beruf.

Um mich zu zerstreuen, – Gott, ich war ja so krank – sang ich »Hallo« auf alle Weisen, die so gut waren, mir in dieser Stunde der Prüfung einzufallen, manchmal verstummte ich, um den Apparat auf allen Seiten sorgfältig zu untersuchen. Er gefiel mir nicht. Die deutschen Apparate waren praktischer und schöner. »Oh,« flüsterte ich mir zu, wie wenn ich mir Stöße in die Brust versetzte: »Oh! Du bist geduldig, du!«

Stimmen! Ich hörte Stimmen, sehr fern, aber Menschenstimmen.

»All–o! All–o!«

Das war französisch . . .

Es war Lo!

Sie hatte sich eine Leitung in ihre Garderobe legen lassen, um mir die sensationellen Dinge mitzuteilen, die sich doch immer in der lateinischen Welt 42 ereignen konnten. Und davon hätte ich hier draußen natürlich nichts erfahren, und meine Zeitung wäre betrogen gewesen. Und darum telephonierte Lo Abend für Abend drei-, viermal und »sah zu, ob ich noch da sei«. Ich sagte mir jedesmal, daß eine entzückende Freundin mich liebte.

»Wie weit seid ihr?«, fragte ich.

»Zwischen dem zweiten und dem dritten.«

»Erst!« Ich zog die Uhr.

Lo lachte.

»Wie weit dachtest du?«

Ja, ich hätte mich soeben auf der Uhr überzeugt, daß sie nicht weiter sein konnten. Schade.

Los Stimme wurde ernst:

»Du, hör einmal.«

Ich beugte mich aufmerksam vor.

»Du kennst doch Herrn Bertrand?«

»Herrn . . .?«

Wenn ich recht verstanden hatte, so kannte ich ihn nicht. Ich erwartete eine Aufklärung. Aber Lo bestätigte:

43 »Ja, den bekannten Herrn Yves Bertrand, unsern ersten Regisseur.«

Der Kerl stand neben ihr . . .

»Er möchte uns gern einmal besuchen. Ich . . .«

Sie unterbrach sich, und ich vernahm eine männliche Stimme. Ich seufzte deutlich in den Apparat. Lo seufzte leise zurück. Der Herr neben ihr redete. Ich hörte Lo: »Ja . . . gewiß . . . ach? . . . famos! . . .«

»Nämlich,« erklärte sie dann, »du mußt wissen, Herr Yves Bertrand liebt die Natur. Den vorigen Sommer hat er in der Bretagne zugebracht, auf einem Schloß . . . Auf dem Schlosse des Herrn Barons von Vatrouille.«

Der Mann neben ihr unterbrach sie schon wieder! Aber ihre Stimme zitterte vor Entschlossenheit, da sie, ohne auf ihn zu hören, fortfuhr:

»Diesen Sommer ist er bei einem andern Baron eingeladen. Ja, lauter Barone. So! Möchtest du ihn jetzt nicht selbst einladen? Er steht neben mir.«

44 »Hum!«

Pause.

»Hum?«

Ich schwieg.

»Na, und? All-o!!«

»Ja, ich bin da.«

Und ich lud Herrn Bertrand ein. Er werde sehn, daß wir eine außerordentliche Natur bewohnten.

Er zweifelte nicht daran. Es würde ihm ein Vergnügen sein . . . Ich beschwor ihn!

Plötzlich senkte er die Stimme und raunte mir ein Geheimnis zu.

»Fräulein Lo hat heute einen glänzenden Abend. Das Publikum war außer sich nach dem Zweiten. In einem Wort: –« Er ahmte das Geräusch eines springenden Champagnerpfropfens nach. Ich wußte Bescheid.

Lo, behauptete ich, wäre mir nicht weniger wert gewesen, wenn sie . . . (Denn ich fühlte mich schwachsinnig.)

Ich kam nicht weiter. »Ich weiß, ich weiß.« Der Herr schäkerte. Er »kannte das«, der Schuft.

45 Dann drückte er mir die Hand. Beide Hände.

»Aber die Kunst, das wissen wir am besten, die Kunst ist auch etwas wert.«

Wir waren Freunde.

Lo erhielt das Schlußwort. Ich stöhnte ihr zu:

»Der Mann ist fürchterlich.«

Sie antwortete:

»Nicht wahr, es ist nett von ihm, daß er sich über meinen Erfolg freut?«


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