René Schickele
Meine Freundin Lo
René Schickele

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Ich hatte bis in die Nacht gearbeitet. Jetzt stand ich über die Schublade der Kommode gebeugt und holte eine Schachtel mit geschmuggelten Zigaretten hervor. Ich nahm eine, dann eine zweite, schloß die Lade und ging, die beiden Zigaretten auf der Hand, vorsichtig wie ein Jongleur, zur Lampe. Die Zigaretten rollten leise hin und her, schließlich begegneten sie einander und blieben mäuschenstill liegen. Auf dem Tisch glänzte ein schönes weißes Blatt Papier. Darauf stützte ich die Fingerspitzen und ließ die Zigaretten langsam die sanfte 9 Ebene meiner Handfläche hinabrollen. Ich setzte mich davor, nahm eine nach der andern in die Finger und prüfte sie.

Die schöne Pedanterie solcher Betrachtung kann man bei Uhrmachern, Juwelieren, Antiquaren und Kriminalisten beobachten. Die Finger, die den Gegenstand hin und her drehen, scheinen ganz feine, fast selbständige Organe, die in jede Pore der geliebten Sache hinein schmecken, hören, fühlen und voll Verklärung sehen. So strahlten meine Finger, da sie die blonden Engländerinnen zwischen ihren gefühlvollen Enden rollen ließen. Sie waren schlank, meine Engländerinnen, und zart anzufassen in ihrer weißen »Kombination«, die ihnen wie ein Handschuh am Leibe saß. Vorn sah ein goldnes Mieder hervor, sie waren überall von Goldstaub überglitzert, wie mit winzigen Sternen gepudert – sehr vornehm. Sie dufteten ein wenig nach Honig, ein wenig nach Teer.

Die eine wurde zwischen zwei Seiten eines aufgeschlagenen Buches gebettet. Die andre brachte – endlich! – das Glück der 10 nächsten fünf Minuten . . . Ich lehnte mich aus dem Fenster. Der Garten des Luxembourg schimmerte silbergrau, aber zwischen dem Glanz der Wipfel öffneten sich große dunkle Trichter, über dem Eiffelturm hing die Mondscheibe. Ich wurde weihevoll und dachte an den Bericht über die Pariser Theater, den ich schreiben sollte.

Aber Lo trat ins Zimmer, nahm die Zigarette aus dem Buch und zündete sie über der Lampe an, prüfte mit vier, fünf Griffen, was auf dem Schreibtisch lag, und sagte:

»Er schläft wie ein Walroß, und ich bin nervös. Wollen wir nicht spazierengehn?«

Ich antwortete, daß es doch wohl zu spät sei – und richtig kam es zurück:

»Monico«.

Ich schauderte . . . Wir waren in der letzten Zeit durchschnittlich viermal in der Woche dort gewesen und jedesmal nach Sonnenaufgang in einem Auto den Montmartre hinuntergerast, daß es aussah, als ob wir an der nächsten Straßenecke in 11 einem furchtbaren Zusammenstoß zugrunde gehn sollten. Aber wir waren heil davongekommen. Deshalb mußte ich jetzt wieder hinauf.

»Monico« ist ein kleines Restaurant auf Montmartre. Eine schmale Treppe führt zwischen hohen Spiegeln in einen sechseckigen Saal, der nicht sehr groß ist, statt Fenster gibt es da große Spiegel, man sitzt in weißem Licht wie in einem Sphärenbad, auf roten Polstern, und in der Mitte drängt sich eine rot uniformierte Zigeunerkapelle zusammen. Es bleiben vier Meter, worauf kleine Mädchen, phantastisch aufgemacht, zu einer rasenden Musik tanzen. Sie tanzen still und fein, als würde ihnen von einer Musikdose aufgespielt, nach der sie aufmerksam hinhören müßten. Sie streifen einander leise und bewegen kaum die Beine, halten einander nur lässig umfaßt. Aber die Augen, ihre Augen stehen unbewegt voreinander und sind gebannt. Die Mädchen tanzen wie in einer leichten Hypnose, im faszinierenden Lärm der überlauten und zu nahen Musik, in einer Hypnose, 12 die nichts Dunkles oder Gewaltsames, nichts Geheimnisvolles hat und nur die blütenhafte und gewohnheitsmäßig entzückte Hingabe an ein süßes Spiel ist . . .

Lo hatte sich in einen Sessel niedergelassen. Ihre Haltung sagte: »Zwar wird es eine Weile dauern, bis ich dich soweit habe –!« Sie sprach.

»Früher warst du sehr begeistert. Jetzt heulst du auf, wenn man bloß Monico sagt . . . Früher –«

Als sie daran war, mit den Worten zu schließen: »Also widersprich dir doch nicht immer und komm«, trat ich vor sie hin und fragte:

»Wer sagt dir denn, daß meine frühere Ansicht die richtige war?«

Lo antwortete einfach:

»Ich.«

Nun gestand ich, daß ich für eine deutsche Zeitschrift einen Artikel über Pariser Theater schreiben sollte.

Lo überlegte.

»Also bleiben wir zu Hause. Ich hole meine Rolle, und du überhörst mich ...«

13 Dies dauerte anderthalb Stunden. Wir waren heiser vom Leisesprechen. Sie funkelte wie eine Katze und war schön.

. . . »Schauspielerin!«


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