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Zweites Kapitel. Reform, Revolution und Reaktion

Politische Lage Europas und Deutschlands beim Beginne der Reformperiode. – Gescheiterter Versuch einer Reichsreform. – Luther. – Die lutherische Theologie. – Hoffnungsreiche Anfänge der Reformation. – Hutten. – Karl V. – Revolutionsversuch der Ritterschaft. – Revolutionsversuch der Bauerschaft. – Fall der Hansa. – Die lutherische Politik. – Regeneration des Katholizismus. – Die Gesellschaft Jesu. – Der Dreißigjährige Krieg und der Westfälische Friede.

 

Die politische Lage von Europa hatte sich dazumal also gestaltet: Italien war der Zerstückelung verfallen, eine lockende Beute für fremde Eroberungsgelüste, aber immer noch schön in seinem Verfall, die zivilisierte Welt bezaubernd durch seine Literatur und Kunst, die Gemüter der Massen beherrschend durch sein Papsttum, dessen Ansehen selbst das Regiment eines Alexanders VI. und die Greuelwirtschaft seiner Bastarde nur hatte schwächen, nicht aber brechen können. Jetzt saß auf dem päpstlichen Stuhle der Mediceer Leo X., der die Galerien seines Vatikans durch Raffaels Hand mit himmlischen Gebilden füllen ließ und die Kosten seiner Bauten und seiner heidnisch muntern und geistreichen Schwelgereien mit den »deutschen Sünden«, d. h. mit den Summen deckte, welche er mittels des Ablaßhandels den gutmütig frommen Barbaren im Norden der Alpen aus den Taschen fegte. Die Fürstengeschlechter der Halbinsel boten die Züge zu jenem Bild eines »Fürsten«, wie es Macchiavellis dämonischer Griffel in seinem »Principe« gezeichnet hat. In Oberitalien waren die nebenbuhlerischen Republiken Genua und Venedig mächtig; beide, doch insbesondere die letztere, aristokratische Bevormundung bis in die äußersten Konsequenzen ausbildend und damit jene diplomatischen Künste verbindend, die unter dem Namen der »welschen Praktik« im 16. und 17. Jahrhundert auch in Deutschland so wirksam gewesen sind. In Spanien wurden nach dem Fall von Granada die verschiedenen Provinzen von der eisernen Faust des absoluten Königtums, welches die Inquisition zu seiner Handlangerin hatte, zu einem Ganzen zusammengeschmiedet, und die Nation suchte für den Verlust innerer Freiheit Erlaß in Eroberungen, die namentlich jenseits des Ozeans mit allem Reiz abenteuerlichen Heldenlebens sich umgaben. Frankreichs stolze Seigneurie war durch den vor keinem Mittel zurückschreckenden Ludwig XI. gebrochen worden und verwandelte sich durch seine und seiner Nachfolger Bemühungen allmählich in einen sittenlosen und kriechenden Hofadel. Der Staat wuchs an innerer Einheit und vergrößerte sich durch den Raub von Burgund und Bretagne, so daß Franz I. nach der deutschen Kaiserkrone trachten und die Eroberung Italiens versuchen konnte. In England machte sich, nachdem in den Bürgerkriegen der roten und der weißen Rose die Kraft des normannischen Feudalismus gebrochen worden, das germanische Element der Gemeinfreiheit immer siegreicher geltend und verband sich das Bürgertum unter den Tudors zunächst mit dem Königtum gegen den Adel, bis es dann unter den Stuarts erstarkt genug war, um dem Thron und dem Adel zugleich die Spitze bieten zu können. In den skandinavischen Reichen hatten sich widerstrebende Elemente durch die Kalmarer Union zu einem Ganzen zusammengeschlossen, das bald wieder zerfallen mußte, obgleich es der dänische Christian II. mit dem Blute der schwedischen Aristokratie neu zu kitten versuchte. In Polen bildete sich unter den Jagellonen von 1386 an jene adelige Anarchie aus, an welcher das Land zugrunde gehen sollte. Rußland vollbrachte unter Iwan Wassiljewitsch seine Befreiung vom mongolischen Joche und breitete sich auf seine zarische Eroberungsrolle vor. Im südöstlichen Europa war mit dem Falle Konstantinopels 1453 die byzantinische Fäulnis der jugendfrischen Barbarei der Türken völlig erlegen, und diese drangen unter kriegerischen Sultanen über die Donau nach Norden vor, um die Kreuzzüge an der Christenheit zu rächen und das durch seine Magnatenoligarchie geschwächte Ungarn mit furchtbarer Verheerung heimzusuchen.

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Nr. 13. Gravelot, Dekameron-Illustration.

Das deutsche Kaisertum war, wie wir im ersten Buche gesehen, seit dem Falle der Hohenstaufen in fortwährendem Sinken gewesen und die staatliche Zersplitterung, welche die beklagenswerte Stammeifersüchtelei der Deutschen untereinander weit mehr erst schuf, als sie von dieser geschaffen wurde, erhielt in der mehr und mehr sich befestigenden fürstlichen Territorialgewalt sozusagen ihre amtliche Gestalt. Alle Verständigen und Wohlgesinnten erkannten dies deutsche Grundübel klar und legten den warnenden Finger auf die dynastischen Keile, welche in die Reichseinheit getrieben wurden. »Wehe euch, ihr deutschen Fürsten,« rief der treffliche Gregor von Heimburg aus, »wehe euch, die ihr unbillige Gesetze gebt und Sophistereien anwendet, um das Kaisertum abzuschütteln und das Volk zu verderben, damit ihr euch als unumschränkte Tyrannen auf dessen Nacken setzen könnt. O, du blindes und unvernünftiges Deutschland, einen einzigen Kaiser weigerst du dich zu tragen und unterwirfst dich dafür tausend Herren!« Ganz wirkungslos verhallten solche Stimmen doch nicht, und der Gedanke einer zeitgemäßen Reform der Reichsverfassung, wie er sich am Ausgang des 15. Jahrhunderts unter dem niederen Adel, sowie in der Bürger- und Bauerschaft lebhaft regte, fand sogar in der hohen Reichsaristokratie seine Vertreter. Ein solcher war der Erzbischof und Kurfürst von Mainz, Berthold von Henneberg, der den Städten einen gesetzlich bestimmten Anteil an den reichsständigen Versammlungen verschaffte (1486) und auf dem Reichstage zu Worms 1495 zur Gründung eines Reichsschatzes die Erhebung einer allgemeinen Reichssteuer (»der gemeine Pfennig«) durchsetzte. Jeder Deutsche sollte von 1000 Gulden Vermögen einen ganzen, von 500 einen halben Gulden jährlich dem Reiche steuern und die minder vermöglichen, je vierundzwanzig Personen ohne Unterschied des Geschlechtes oder Standes, sofern sie über fünfzehn Jahre alt wären, mitsammen jährlich einen Gulden aufbringen. Der Ertrag dieser Steuer sollte zunächst zur Erhaltung eines stehenden Reichsheeres verwendet werden. Berthold ging noch weiter. Ihm schwebte in bestimmten Zügen die Einrichtung eines durch das reichsständige Parlament beschränkten deutschen Königtums vor, und es geschah ein bedeutender Schritt zur Verwirklichung dieser Idee, als auf dem erwähnten Reichstage beschlossen wurde, alljährlich am 1. Februar sollte der Reichstag zusammentreten, er allein sollte über die Verwendung des Reichsschatzes entscheiden, ohne seine Einwilligung dürfte der Kaiser keinen Krieg anfangen, und jede Eroberung müßte dem Reiche verbleiben. Es läßt sich aus diesem Beschlusse unschwer der Schluß ziehen, daß Berthold und seine Freunde dahin strebten, das Königtum durch parlamentarische Einrichtungen zu kräftigen, wobei die geistlichen und weltlichen Fürsten gleichsam das Oberhaus, die Repräsentanten der Städte das Unterhaus gebildet hätten. Wie frisch und mächtig Deutschland durch eine solche Verfassung sich verjüngt haben würde, bezeugen die Ausdrücke bewundernder Furcht, welche vom Auslande her über die Wormser Beschlüsse laut wurden. Bei den vielen persönlichen Interessen aber, welche dadurch verletzt worden wären, bei der starken Opposition, die sich deshalb gegen den heilsamen Plan erhob, kam es vor allem darauf an, ob der Kaiser das Zeug und den Willen hätte, an die Verwirklichung des Verfassungsprojekts ernstlich die Hand zu legen. Maximilian I. hatte nicht das Zeug dazu. Zwischen den verständigen, auf die Bestrebungen der neuen Zeit gerichteten Einsichten seines Kopfes und den mittelalterlich-romantischen Eingebungen seines Herzens unstet hin und her schwankend, jetzt, wie im Jahre 1510, wo er eine umfassende Zusammenstellung der deutschen Beschwerden gegen die Kurie ausarbeiten ließ, einen Anlauf zur Reform nehmend, dann bei den ersten Schwierigkeiten wieder von dem Versuche ablassend, war Kaiser Max bei allen menschlich-schönen Regungen, die ihn auszeichneten, und ungeachtet seines populären Gebarens doch eben viel zu sehr der »letzte Ritter«, als daß es ihm hätte zu Sinne kommen können, mit den zu seiner Zeit allerdings vorhandenen Elementen einer volksmäßigen Reichsreform aufrichtig sich zu verbünden, und Tatsache ist, daß er auf die patriotischen Pläne Bertholds nicht einging, sondern gegen dieselben heimlich und offen machenschaftete. Berthold starb 1504, der letzte ehrenvolle Repräsentant der alten Reichsaristokratie, und mit ihm ging auch die Hoffnung auf eine politische Reform des Deutschen Reiches zu Grabe.

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Nr. 14. Disputierende Gelehrte.

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Nr. 15. Die Verproviantierung des Klosters.

So waren, in flüchtigen Umrissen angedeutet, die staatlichen Zustände Europas und Deutschlands, als der Mönch Luther am 31. Oktober 1517 an die Türe der Wittenberger Schloßkirche seine 95 Streitsätze gegen den Ablaß und dessen Hauptkrämer Tetzel anschlug, der die Unverschämtheit seines Handwerks zuletzt soweit getrieben, daß er z. B. behauptet hatte, selbst einer, der die Muttergottes beschliefe, könnte durch einen päpstlichen Ablaßbrief entsündigt werden.

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Nr. 16. Ulrich: Spottbild auf das unmäßige Leben der Mönche und der Nonnen.

Martin Luther war in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1483 zu Eisleben geboren, aus sächsischem Bauernblute stammend und die ganze Zähigkeit dieses Geschlechtes in seinem Wesen darlegend. Nach einer durch widrige äußere Verhältnisse und hypochondrische Leiden verbitterten Jugend wurde er Mönch, und das ging ihm sein Leben lang nach. Es beweist nichts dagegen, wenn er sich in glücklichen Momenten zu der lebensfreudigen Stimmung erhob, welcher er in seinem berühmten geflügelten Worte vom Weib, Wein und Gesang Ausdruck verlieh; denn zu solcher Stimmung erhoben sich bekanntlich vor und nach ihm zahllose Mönche. Bei jedem Schritte, welchen der merkwürdige Mann macht, glaubt man zu sehen, wie ihm die Kutte schwerfällig um die Beine schlägt. Die humanistische Bewegung verstand er nicht und wollte auch nichts mit ihr zu schaffen haben, weil eben das ganze Maß seiner Bildung kaum merklich über das Niveau mönchischer Kultur sich erhob. Die klassischen Studien lagen ihm ferne. Von der still und groß in sich gefaßten Lebensweisheit der Alten, von der Schönheit hellenischer Poesie und Kunst hatte er gar keine Ahnung. Ebensowenig besaß er ein Organ für Politik; aber dennoch hat er häufig genug in dieselbe hineingepfuscht, und zwar zum Unheil deutscher Nation, deren schmerzhaftes Ringen nach staatlicher Wiedergeburt er freilich nicht begriffen, wohl aber nach Kräften gehindert hat. Von seiner Politik der Knechtseligkeit werden wir weiter unten noch zu reden haben. Im Grunde aber war er nichts anderes und wollte auch nichts anderes sein als ein bibelbuchstäblicher Theologe, und weil er dies mit aller Energie eines ungewöhnlich kräftigen Gemütes, mit der eisernen Beharrlichkeit einer zwar sehr beschränkten, aber unbeugsamen Überzeugung war, ist es ihm unter Begünstigung der Umstände gelungen, einem ganzen Zeitraum deutscher Geschichte das Gepräge des protestantisch-theologischen Geistes aufzudrücken, während soviele seiner Zeitgenossen mit ihren tiefer und weiter gehenden Bestrebungen für nationale und soziale Befreiung des deutschen Volkes gescheitert sind. Es ging eben auch hier wie überall und allzeit. Nicht die sturm- und drangvolle Genialität, sondern die praktisch rechnende Mittelmäßigkeit gelangte an ihr Ziel und brachte etwas zuwege. Und das war ganz in der Ordnung, wie es immer und allerorten in der Ordnung ist, weil ja das Mittelmaß in allen Dingen der Durchschnittsmittelmäßigkeit des Begriffsvermögens und des moralischen Mutes der Menschen entspricht. Das Geniale macht wohl die Menge staunen, aber das Gewöhnliche gefällt ihr und heimelt sie an. Eine ganze Tat erschreckt leicht die Leute, aber die Halbheit ist ihnen bequem. Die Gesellschaft lebt ja von lauter Kompromissen. Was den Luther angeht, so glaubte er in den Stürmen religiöser Zweifel, welche seine Seele befallen hatte, einen festen Ackergrund gefunden zu haben in der Augustinischen Lehre von der absoluten Sündhaftigkeit des Menschen und seiner Rechtfertigung durch die göttliche Gnade. Der Mensch ist von Natur durch und durch böse und sündhaft, er hat daher keinen freien Willen, weil dieser von vornherein in der Sünde befangen ist, und demnach der Mensch nur das Böse wollen und tun kann. Dennoch aber vermag er die ewige Seligkeit zu erlangen, nämlich durch die göttliche Gnade, welche erstrebt wird nicht etwa durch unsere eigenen Werke, sie seien, welche sie wollen, sondern einzig und allein durch den Glauben an Christus und sein Erlösungswerk. Das ist die Quintessenz der lutherischen Theologie.

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Nr. 17. Porträt der angeblichen Päpstin Johanna als Papst Johannes VII.

Erfüllt von solcher theologischer Überzeugung, konnte Luther den Ablaßkram nicht ungerügt hingehen lassen. Er trat dagegen auf und wurde durch die Folgen dieser Fehde in seiner Opposition gegen die hierarchischen Institute, gegen das Prinzipat des Papstes, gegen die Werkheiligkeit, gegen die Heiligenverehrung, gegen Zölibat und Zeremonienwesen immer weiter gedrängt, bis er bei jener Bibelgläubigkeit anlangte, über welche hinauszugehen sein Naturell nicht gestattete. Er und andere kannten anfänglich die Tragweite des Ablaßstreites nicht. Die Humanisten sahen in demselben zuerst nur ein scholastisches Schulgezänke, und Hutten freute sich offen darüber, daß die Theologen Miene machten, sich gegenseitig selber aufzureiben. Erst mit der Leipziger Disputation (1519), wo Luther seine theologischen Ansichten gegen Eck verteidigte, nahm die Sache eine bedeutendere Wendung und wurde, namentlich infolge der beiden Flugschriften Luthers: »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« und »Von der babylonischen Gefangenschaft und der christlichen Freiheit«, worin das Papsttum schon geradezu »eine Anstalt des Teufels« genannt und gegen die kirchlichen Mißbräuche aufs schärfste losgefahren ward, rasch zur nationalen Angelegenheit. Der gehäufte Brennstoff des deutschen Hasses gegen Rom und die Romanisten loderte nun an allen Ecken und Enden in lichten Flammen auf. Hunderttausende deutscher Gemüter glühten in Begeisterung bei Anhörung der Anklagen, welche der Wittenberger Mönch gegen Rom erhob in einer Sprache, deren metallene Klänge zum ersten Male wieder die ganze Fülle, Kraft und Schönheit der deutschen Sprache vernehmen ließen. Darin liegt ein unsterbliches Verdienst Luthers, daß er deutsch schrieb und so deutsch schrieb. Seine Sache gewann eine unermeßliche Popularität. Der päpstliche Bann, welchen Eck in Rom gegen den Reformator 1520 erwirkte, verhallte ganz wirkungslos. Luther konnte die Bannbulle in feierlicher Gegenwart der Universität Wittenberg öffentlich verbrennen. Ritter-, Bürger- und Bauernstand neigten sich der von ihm gepredigten evangelischen Lehre zu. Jetzt ein Kaiser, der das reformistische Panier aufgepflanzt hätte, und unser Land wäre ganz und für immer vom römischen Wesen frei geworden. Einen solchen Führer hoffte die Nation in dem Enkel Maximilians, in dem inzwischen gewählten Karl V. zu finden. Die edelsten Herzen schlugen dem jungen Fürsten entgegen. Der niedere Adel, die Städte, die Bauerschaft erwarteten von dem Kaiser die Neugestaltung des Reiches in kirchlicher und politischer Beziehung. Hutten entfaltete die rastloseste Tätigkeit, die öffentliche Meinung nach dieser Richtung hin zu bearbeiten und dem Kaiser die Wege zu ebnen. Er schrieb seine »Klagschrift an alle Stände deutscher Nation«, er schleuderte sein blitzendes Meistergedicht »Klang und Vermahnung wider den Gewalt des Papstes« ins Publikum. »Latein ich zuvor geschrieben hab«, rief er darin aus, »jetzt aber schrei' ich an das Vaterland. Den Rauch, welcher der deutschen Nation die Augen blendete, wollen wir wegblasen, damit das Licht der Wahrheit hell aufleuchte. Wohlauf, ihr frommen Deutschen, viel Harnisch' haben wir und Schwerter und Hallbarten, die wollen wir brauchen, wenn freundliche Mahnung nicht hilft!«

Aber die Natur der Dinge sorgte dafür, daß alle die stolzen Hoffnungen der Nation vereitelt wurden. Karl V. war ja nicht das Haupt, dessen sie in dieser Krisis bedurfte. Ein spanisch-burgundischer Herr, ein Romane so durch und durch, daß ihm sogar die deutsche Sprache, die Sprache des Volkes, dessen Kaiserkrone er trug, widerwärtig und verächtlich war, konnte und wollte er die Bewegung, welche Deutschland durchpulste, nicht verstehen. Seine weltliche »Praktik« sagte ihm nur, daß er des Papstes wegen seiner Händel um Italien mit Franz I. von Frankreich bedürfte. So stellte er sich denn sogleich feindlich gegen die antipäpstliche Bewegung. Doch wurde er von Luthers einflußreichen Freunden, unter denen der Kurfürst von Sachsen die vorderste Stelle einnahm, bewogen, den gebannten Reformator wenigstens zu hören, bevor er mit kaiserlichem Strafrecht gegen ihn verführe. Luther erhielt einen kaiserlichen Geleitsbrief und ward auf den Reichstag nach Worms vorgeladen, um sich zu rechtfertigen. Er kam, trotzdem daß man ihn warnend an das Schicksal des Hus erinnerte. »Ich will nach Worms,« sagte er, »und zielten so viel Teufel auf mich, als Ziegel auf den Dächern sind.« Es sind denkwürdige Tage, dieser 17. und 18. April von 1521, an welchen der arme Mönch vor Kaiser und Reich, unbeirrt von all dem drohenden Glanz um ihn her, seine Sache führte, und in dem Augenblicke, wo er seine Verteidigung mit dem Kernworte schloß: »Man widerlege mich aus der Heiligen Schrift, sonst widerrufe ich nicht, hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen« – stand er auf dem Höhepunkte seiner Wirksamkeit und seines Ruhmes. Der Erfolg ist bekannt. Der Kaiser und seine romanistischen Ratgeber blieben unbewegt, und die Reichsacht ward über den Ketzer ausgesprochen, welcher von seinem Kurfürsten in das Asyl der Wartburg gerettet wurde und dort seine Bibelübersetzung förderte. Was die verdeutschte Bibel angeht, so hat sie nach Inhalt und Form bekanntlich auf den Gang der deutschen Zivilisation eine unermeßliche Wirkung geübt. Eine ganz andere Frage ist freilich die, ob diese Wirkung eine heilsame, ob die dadurch zuwege gebrachte Imprägnierung des Deutschtums mit Juden-Christentum, ob die Ein- und Durchbildung, die Verjudung unseres Volkes ein wirklicher Kultursegen gewesen und geworden sei. Wissende, welche so frei sind, die Geschichte nicht durch die theologische Brille, sondern mit ihren eigenen wohlorganisierten Augen anzusehen, werden diese Frage kaum bejahen.

Die unheilvolle Spaltung konfessioneller Trennung begann nun in Deutschland zu klaffen, maßen das Luthertum von einigen Fürsten und vielen Städten gebilligt wurde, während andere Dynasten an Rom festhielten. Indessen gingen von zwei deutschen Ständen, vom niederen Adel und von der Bauerschaft, Versuche aus, die angebahnte theologische Reform zur politischen und sozialen Revolution zu erweitern. Der Ritter Franz von Sickingen, mit Hutten innig befreundet, als Kriegsmann berühmt, war der Mittelpunkt der Gärung in der Reichsritterschaft, welche sich durch das Anschwellen der Fürstenmacht, durch das Umsichgreifen der fürstlichen Zölle, Lehenseinrichtungen und Gerichte immer mehr in ihrer Existenz bedroht sah. Der patriotische Feuereifer Huttens, die Predigt Luthers hatte in diesen mißvergnügten Kreisen weitgehende Pläne angeregt. Sickingen, auf dessen Ebernburg der Gottesdienst zuerst nach evangelischem Ritus eingerichtet wurde, Sickingen, der Abgott der Landsknechte, versuchte unter der Form einer Fehde gegen den Kurfürsten von Trier im Jahre 1522 einen Staatsstreich, welcher nie Geringeres bezweckte als die Vernichtung der Fürstenmacht und eine zeitgemäße Umwandelung der Reichsverfassung. Dieser Staatsstreich hätte die Möglichkeit des Gelingens für sich gehabt, wenn Luther, wie Sickingen wollte, das Gewicht seiner Popularität in die Wagschale des Unternehmens gelegt hätte. Allein Luther war aus seiner theologischen Einseitigkeit und Beschränktheit nicht herauszubringen; er mochte außerdem dem guten Willen der Ritterschaft nicht recht trauen. Sickingens Unternehmen scheiterte, und er selbst fand bei Verteidigung seiner Burg Landstuhl gegen die verbündeten Fürsten von der Pfalz, von Trier und von Hessen den Tod (1523). Wenige Monate darauf brach auch das Herz seines Freundes Hutten, das beste, welches damals in einer Männerbrust schlug. Er war nach Sickingens Fall in die Schweiz geflohen und starb, von dem feigen Erasmus schnöde verleugnet und verfolgt, in dem Asyl, welches ihm Zwingli auf der Insel Ufnau im Zürichsee bereitet hatte, aufgezehrt von Eifer, Gram und Krankheit, verlassen und einsam, bevor er das sechsunddreißigste Lebensjahr erreicht hatte.

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Nr. 18. Angebliche Niederkunft der Päpstin Johanna auf der Straße in Rom.

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Nr. 19. Lukas Cranach, Der Papst als Herr der Welt.

Woran aber der Ritter erlegen, das nahm nun der Bauer zur Hand. Auch er hatte von der lutherischen Predigt von evangelischer Freiheit vernommen, auch an ihn war das Wort Huttens ergangen und nicht vergebens. Und war er nicht der »arme Mann«? War sein Stand nicht der, auf dessen Rechtlosigkeit die Vorrechte der übrigen Stände fußten? Sollte er allein alle Lasten tragen? War ein bäuerlicher Zustand, wie wir ihn im ersten Buche geschildert haben, zu ertragen, wenn einmal, wie die neue Lehre zu versprechen schien, mit der christlichen Brüderlichkeit Ernst gemacht werden sollte? Nein, und so regten sich denn in der Bauerschaft tiefrevolutionäre Gedanken. In weit höherem Grade jedoch im südlichen Deutschland als im nördlichen. Schon vor der Reformation hatten sich 1471 die Würzburger, 1502 die elsässischen und rheinländischen, 1514 die Württemberger Bauern gegen die Tyrannei ihrer geistlichen und weltlichen Machthaber erhoben und das Feldzeichen des bäuerischen »Bundschuh« bekannt gemacht. Jetzt aber gegen das Jahr 1525 zu nahm die Bauernrebellion, hauptsächlich in Schwaben, Franken und im Elsaß losbrechend, einen wahrhaft nationalen Charakter an. Das macht den Bauernkrieg zu einer der wichtigsten Epochen unserer Geschichte, daß damals gerade der gedrückteste und vernachlässigtste Stand zur Idee einer Wiedergeburt des Deutschen Reiches im demokratischen Sinne sich erhob.

Die Bauern hofften auf Luther und wandten sich an ihn. Allein Luther war, wir wiederholen es, Theolog und blieb es. Er, welcher glaubte und sagte, »der gemeine Mann müsse mit Bürden überladen sein, sonst werde er zu mutwillig«, er, welcher die Leibeigenschaft ausdrücklich billigte, konnte sich unmöglich dazu hergeben, den Armen und Unterdrückten ihre Menschenrechte erobern zu helfen, um so weniger, da er gewaltsamen Mitteln, wenigstens sofern sie von unten nach oben angewandt werden sollten, abgeneigt war. Er mahnte daher die Bauern mit beredsamen Worten von ihrem Vorhaben ab und sprach zugleich den Fürsten ins Gewissen, gegen ihre Untertanen milder zu verfahren. Allein damit war den Bauern nicht geholfen, der revolutionäre Funke glimmte fort und wurde besonders von Thomas Müntzer aus Altstädt zur hellen Flamme angeblasen. Er war ein Schwärmer, dieser Mann; aber alle die Dünste der Apokalypse vermochten den klaren Blick, womit er die Leiden, Bedürfnisse und Bestrebungen des armen Mannes erkannte, nicht zu umschleiern. Er hatte ein Herz für sein Volk, und wie groß auch seine Irrtümer waren – der größte war, daß er vom Kriege nichts verstand –, er hat sie durch seinen Märtyrertod redlich gesühnt. Der eigentlich denkende Kopf des Bauernaufstandes saß jedoch auf den Schultern des redlichen Wendel Hipler, der aber leider schon zuviel von dem modernen Doktrinarismus an sich hatte. Um ihn gruppierten sich als Volksführer Balthasar Humbaier, Pfarrer Schappeler, Jörg Metzler, Franz Rebmann, Friedrich Weigand und andere. Ritterliche Kriegsleute liehen der Bauernsache ihr Schwert: so Florian Geier von ganzer Seele, so Götz von Berlichingen halb gezwungen. Die Bauern stellten im Frühjahr 1525 ihre Beschwerden und Forderungen in einem vollständig und gemäßigt gehaltenen Manifest zusammen, welches, von Oberschwaben ausgegangen, sich mit Blitzesschnelle durch Deutschland verbreitete. Diese »gründlichen und rechtlichen zwölf Hauptartikel aller Bauerschaft und Hintersassen der geistlichen und weltlichen Obrigkeiten, von welchen sie sich beschwert vermeinen«, tragen zwar die protestantisch-theologische Färbung der Zeit, gehen aber dabei doch auf gründliche politische und soziale Reformen aus. Zunächst fordern die Bauern, daß den Gemeinden das Recht zustehe, ihre Pfarrer selbst zu wählen und im Notfall wieder abzuberufen, und daß ihnen das Evangelium lauter und klar, ohne allen »menschlichen« Zusatz gepredigt werde. Dann verlangen sie Beschränkung des Zehnten auf den großen Kornzehnten und völlige Aufhebung des Viehzehnten, ferner gänzliche Abschaffung der Leibeigenschaft, Beschränkung das Jagdprivilegiums und Freigebung von Jagd und Fischfang, Herausgabe der den Gemeinden widerrechtlich entrissenen Waldungen, Wiesen und Äcker, Abstellung oder wenigstens billige Beschränkung der Gilten, Fronden und sonstigen Dienste, Reform des Gerichtswesens, Abschaffung des sogenannten Todfalls, wodurch Witwen und Waisen so schwer litten. Zum Schluß erklären sie: »Wenn einer oder mehrere der hier gestellten Artikel dem Worte Gottes nicht gemäß wäre, so wollen wir, wo uns selbige Artikel mit dem Worte Gottes als unziemlich nachgewiesen werden, davon absteigen, sobald man es uns mit Grund der Schrift erklärt; und ob man uns gleich etliche Artikel jetzt schon zuließe und es befände sich hernach, daß sie unrecht wären, so sollen sie von Stund an tot und ab sein und nichts mehr gelten.« Man sieht, nicht in roher Gewalt und unsinnigen Forderungen suchten die Bauern anfänglich Hilfe. Aber man entsprach ihren durchweg gerechten Wünschen nicht, und so griffen sie mit Fug und Recht zum Schwerte. Ihre Vorschritte waren zunächst nicht unbedeutend, und ihre Erfolge schienen den Aufstand umso mehr über ganz Deutschland hinleiten zu wollen, als sie mit kluger Hand die religiös-reformistische Idee auf ihr Banner geschrieben hatten. Allein das furchtbare Strafgericht, welches die Bauern zu Weinsberg an dem Grafen von Helfenstein und vierzehn Edelleuten – Hipler wollte sie vergeblich retten – vollstreckten, veranlaßte einen gefährlichen Umschlag in der öffentlichen Meinung.

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Nr. 20. Titelblatt der Dunkelmännerbriefe. Satirische Kampfschrift wider die Mönchsunwissenheit und Mönchsroheit.

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Nr. 21. Papst Johannes XXII.

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Nr. 22. Papst Johannes XXIII., der berüchtigste Papst dieses Namens.

Denn nun brach Luther seine Neutralität und fuhr in wahrhaft kannibalischer Wut gegen die Bauern los. In seinem Pamphlet »Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern« rief er aus: »Man soll sie zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie tolle Hunde –« und mit schäumendem Munde schrie er den Fürsten zu: »Loset hie, rettet hie; steche, schlage, würge die Bauern, wer da kann!« So etwas brauchte man den Gewalthabern wahrlich nicht zweimal zu sagen. Die Fürsten sammelten ihre Landsknechtebanden, ihre Kyrisser und ihre Artillerie und zogen allwärts gegen die Bauern ins Feld, während diese die beste Zeit vertrödelt hatten. Es fehlte ihnen an durchgreifender Organisation, an Zusammenhang, an militärischer Übung und Disziplin, an einem General, dessen Berechtigung die einzelnen Haufen unbedingt anerkannt hätten. Statt energische Abhilfe dieser Mängel zu versuchen, beschäftigte sich der zu Heilbronn sitzende Bauernausschuß, Hipler an der Spitze, mit Entwerfung einer Reichsverfassung! Man glaubt sich, wann man das hört, aus dem Jahr 1525 plötzlich in das Jahr 1848 versetzt. Allerdings ist dieser Reichsverfassungsentwurf von hohem historischem Interesse, allerdings ist er voll großartiger, praktischer und gemeinnütziger Ideen, für die damalige Zeit ein wahres Meisterstück hellsichtiger, gerechter und patriotischer Politik. Aber mit Recht, Einsicht und Vaterlandsliebe allein hat man gegen Despoten, Söldner und Kanonen noch nie etwas ausgerichtet. Auf den Schlachtfeldern von Sindelfingen, Frankenhausen, Würzburg und Königshofen, wo die Bauern den fürstlichen Heeren unterlagen, und dann auf den zahllosen für die Besiegten errichteten Hochgerichten verblutete für Jahrhunderte die Kraft der deutschen Demokratie und mit ihr auch die beste Kraft der Reformation. Zwar flammte ihr revolutionärer Geist da und dort noch einmal auf, aber dann brachte er nur Unglückliches zustande, wie die Wiedertäuferposse zu Münster, welche mit ihrem urchristlichen Kommunismus, mit ihrem davidischen Königtum und mit der salomonischen Vielweiberei des Jan Bockold 1535 so tragisch endigte.

Doch auch edlere Erscheinungen gingen noch aus der Reformation hervor, so vor allen der mächtige Aufschwung, welchen die deutsche Hansa im dritten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts nahm, unter Führung des Lübecker Bürgermeisters Jürgen Wullenweber, in welchem wir eine gewaltigste Gestalt des deutschen Bürgertums zu bewundern haben. »Groß,« sagt sein Ehrenretter Barthold, »groß und eines schönen Lohnes wert war der Gedanke, für welchen er glühte, auf dem freien Bürgertum und dem freien Bauernstande des Nordens, auf dem Protestantismus die Macht seines Vaterlandes zu bauen.« Aber wie der Ritter und wie der Bauer an dem Problem einer politischen Gestaltung der Reformation gescheitert war, so scheiterte auch der Bürger. Die Herrschaft der Demokratie in Lübeck wurde durch kaiserliche Einmischung gebrochen (1535) und damit auch die Macht der Hansa. Wullenweber legte sein Amt nieder und fiel zwei Jahre später »der verruchten Justiz eines blutgierigen, dumm-fanatischen Fürsten, der ungroßmütigen Rache eines siegreichen Königs und der schandbaren Lüge eines beleidigten Patrizierregiments« zum Opfer.

Eine bleierne Reaktion hob jetzt an und zwar zunächst im Protestantismus selbst. Luther glaubte sein Werk beeinträchtigt durch die Bestrebungen, welche vom Ritter-, Bauern- und Bürgerstande für Einführung der reformatorischen Ideen in Staat und Gesellschaft ausgingen. Er beeilte sich daher, bei den Fürsten eine Stütze zu suchen und zu diesem Zwecke den Nachweis zu liefern, daß der Vorwurf, die revolutionären Bewegungen seien aus seiner Lehre hervorgegangen, durchaus unbegründet sei. Er zeigt, welche Bewandtnis es mit der evangelischen Freiheit habe, wie er sie gepredigt wissen wollte, und wie diese Freiheit eigentlich gar keine wäre, wenigstens mit politischer und sozialer Freiheit durchaus nichts zu schaffen hätte. Er betonte aufs schärfste die christliche Lehre von unbedingter Unterwerfung unter die Obrigkeit. Er ist der eigentliche Erfinder der Lehre vom beschränkten Untertanenverstand und von der Berechtigung der unbedingtesten Willkür von Gottes Gnaden. »Daß 2 und 5 gleich 7 sind,« predigte er, »das kannst du fassen mit der Vernunft; wenn aber die Obrigkeit sagt: 2 und 5 sind 8, so mußt du's glauben wider dein Wissen und dein Fühlen.« In einer »Heerpredigt wider den Türken« (1542) sprach er gar denen, welche in türkische Gefangenschaft geraten sollten, eifrigst zu, ihre Knechtschaft »treuwlichst und fleißigst« zu ertragen und ja keinen Versuch der Selbstbefreiung zu machen. So weit war es mit dem Rechte der Vernunft gekommen, welches Luther beim Beginne seiner Laufbahn angesprochen hatte. Freilich, er konnte die Vernunft nicht heftiger verleugnen als er tat, indem er sie »die Hure des Teufels« nannte. Es begreift sich leicht, welches Wohlgefallen soviele deutsche Fürsten an der knechtschaffenen Politik des Luthertums haben mußten.

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Nr. 23. Papst Alexander VI. Der Nero unter der Päpsten.

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Nr. 24. Papst Innocenz VIII., der Hexenverfolger.

Diese lutherische Politik diente so recht zur Ausbildung der fürstlichen Souveränität gegenüber dem Kaiser – denn der war ja, als Feind der evangelischen Lehre, nicht berechtigt, Gehorsam zu fordern –, wie auch zur Befestigung der absoluten fürstlichen Despotie gegenüber dem Volke, dessen Landesherren nun auch in Glaubenssachen höchste Autorität waren. Auf das Luthertum ist demnach die Gründung der vollendeten fürstlichen Autokratie in Deutschland zurückzuführen, obzwar deren Formen im einzelnen allerdings erst durch Richelieu und Ludwig XIV. zum Vorbilde deutscher Fürsten ausgebildet wurden. Wie süß mußte diesen das Wort Luthers klingen: »Ein Christ ist ganz und gar Passivus, der nur leidet; ein Christ soll nichts in der Welt haben noch wissen, sondern ihm genügen lassen an dem Schatz im Himmel« – oder das andere: »Der Christ muß sich, ohne den geringsten Widerstand zu versuchen, geduldig schinden und drücken lassen. Weltliche Dinge gehen ihn nicht an; er läßt vielmehr rauben, nehmen, drücken, schinden, schaben, pressen und toben, wer da will, denn er ist ein Märtyrer auf Erden.« Denn daß derartiges doch nur für die Untertanen gesprochen wäre, war ja klar. Euch den Himmel, uns die Erde! Bedenkt man dann noch welcher gewaltige Zuwachs an Geld und Macht den Fürsten und Städten aus dem durch die Reformation ermöglichten Raub der geistlichen Güter erwuchs, so wird man nicht gerade geneigt sein, mit den lutherischen Kompendienschreibern anzunehmen, die Bekehrung zur Kirchenverbesserung sei vorwiegend und überall das Werk der Überzeugung gewesen. Schon trat auch die lutherische Theologie als solche herrisch und unduldsam auf. Wer Luthers Unfehlbarkeit in Glaubenssachen nicht unbedingt anerkannte, wie Karlstadt und andere, war ihm ein »Schwarmgeist« und »Rottierer«. Als er bei dem bekannten Religionsgespräche zu Marburg (1529) gegen die überlegene Dialektik Zwinglis, welcher inzwischen in der Schweiz das Werk der Reform so wacker gefördert hatte, nicht mehr aufkommen konnte, wies er die vernünftigere Auffassung der Abendmahlslehre durch denselben mit dem Grobianismus zurück: »Ihr habt nicht den rechten Geist!« Der neue Papst Bibelbuchstabe war also fertig. So unduldsam belferte gegen Andersdenkende, so hündisch kroch vor den Mächtigen die aus hundert und aber hundert Päpstlein bestehende lutherische Pfaffheit, daß der ehrliche Sebastian Frank bereits 1534 in der Vorrede zu seinem »Weltbuch« über die gehässige Rechthaberei der protestantischen Orthodoxie klagte und hinzufügte: »Sunst im Papsttum ist man viel freier gewesen, die Laster auch der Fürsten und Herren zu strafen; jetzt muß alles gehofieret sein oder es ist aufrührerisch. Gott erbarms!« So weit war es binnen kurzem mit einer Bewegung gekommen, von welcher die edelsten Geister Deutschlands die Wiedergeburt der Nation gehofft hatten.

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Nr. 25. Die Tafelrunde des Lasters.

Die äußere Stellung der protestantischen Partei hatte sich inzwischen erweitert und befestigt, weil der Kaiser durch seine anderweitigen Händel zu sehr in Anspruch genommen war, um sich ernstlich mit der Unterdrückung des Luthertums beschäftigen zu können. Das feindliche Verhältnis, in welches er um 1526 zum Papst geraten war, bewirkte sogar, daß auf dem Speierer Reichstage genannten Jahres in betreff der Religionsstreitigkeit beschlossen wurde, der Kaiser sollte zum Austrage derselben baldmöglichst ein allgemeines Konzilium veranstalten und inzwischen möge jeder Reichsstand in bezug auf das Luthertum so verfahren, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten zu können glaubte. Als sodann vor dem Speierer Reichstage von 1529 die Mehrheit der Reichsstände Anstalten gegen den Fortgang der Neuerung getroffen wissen wollte, reichten die Lutheraner, fünf Fürsten und vierzehn Städte, dagegen jene Protestation ein, von welcher sie den Parteinamen Protestanten erhielten. Im Jahre 1530 kam Karl V., nachdem er als Sieger mit dem Papst und dem König von Frankreich Frieden geschlossen, mit der festen Absicht nach Deutschland, der Kirchenspaltung durch Unterdrückung der Reformation ein Ende zu machen. Er wurde durch das Kredo der Protestanten, die von Melanchthon verfaßte und von Luther gebilligte »Augsburgische Konfession«, welche sie auf dem Reichstage von Augsburg (1530) einreichten, nicht anderen Sinnes. Aber er mußte die Ausführung seines Planes noch verschieben. Die protestantischen Stände schlossen nun das Schmalkaldische Bündnis (1531), welches sich mittels der Ausbreitung des Luthertums im deutschen Süden und Norden rasch verstärkte. Nachdem sodann durch das erfolglose Religionsgespräch zu Regensburg (1541) von Seiten des Kaisers der letzte friedliche Versuch zur Einigung zwischen Katholiken und Protestanten gemacht worden, nach dem auch die Hoffnung auf erfolgreiches Einschreiten des Konziliums von Trident, welches die Protestanten als unfrei und parteilich verwarfen, gescheitert war, kam es zur Entscheidung durch das Schwert in dem sogenannten Schmalkaldischen Kriege, welcher hauptsächlich infolge des Abfalls des Herzogs Moritz von Sachsen von seinen Glaubensgenossen so rasch beendigt wurde, daß der Kaiser im Herbste von 1547 als unbeschränkter Gebieter von ganz Deutschland dastand. Er benutzte seinen Sieg und fuhr mit der katholischen Reaktion entschieden vor. Aber Karl V., der Adept der welschen Praktik, hatte sich in dem ehrgeizigen Moritz von Sachsen, den der ihm gewordene Kurhut keineswegs zufriedenstellte, einen Schüler gezogen, welcher den Meister selbst übertraf. Während der Kaiser gar nicht ahnte, daß ein »plumper« Deutscher das Zeug hätte, ihn um die Früchte seiner militärischen und diplomatischen Siege zu bringen, hatte Moritz seinen Abfall von der kaiserlichen Partei schon vollbracht und erzwang durch seinen plötzlichen kühnen Zug ins Tirol den Passauer Vertrag (1552), dessen Bestimmungen der Augsburger Religionsfriede von 1555 des näheren dahin ausführte, daß den protestantischen Ständen Augsburgischer Konfession völlige Religions- und Gewissensfreiheit, sowie politische Gleichberechtigung mit den katholischen und der Besitz der eingezogenen Kirchengüter gesichert wurden. Wie innerlich faul dieser Friede war, sollte sich im folgenden Jahrhundert nur allzu schrecklich erweisen, und um diesen faulen Frieden zuwege zu bringen, waren der skrupellose Moritz von Sachsen und seine protestantischen Mitfürsten selbst vor offenem Reichsverrat nicht zurückgeschrocken. Denn sie hatten ja, um Frankreichs Hilfe gegen den Kaiser zu gewinnen, mit dem französischen Hofe jenes Verbündnis gemacht, mittels dessen es den Franzosen möglich wurde, das Reichsbollwerk Metz samt Toul und Verdun von Deutschland wegzustehlen. Der deutsche Katholizismus, welcher die Geschäfte Roms und Spaniens besorgte, konnte mit gutem Grunde sagen, der deutsche Protestantismus habe schon zuvor die Geschäfte Frankreichs besorgt, wie derselbe später auch die Geschäfte Schwedens besorgte.

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Nr. 26. Burgkmair, Die Kolonisationstätigkeit der Kirche.

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Nr. 27. Karikatur auf die Mönchslaster.

Unterdessen hatte auch der Katholizismus an seiner Regeneration gearbeitet, ganz im alten hierarchisch-päpstlichen Sinne zwar, aber mit Berücksichtigung und Benutzung aller Mittel und Umstände, welche ihm die neue Zeitlage darbot. Man kann von dieser Regeneration nicht sprechen, ohne des Jesuitismus zu gedenken, oder vielmehr der Jesuitismus war diese Regeneration selbst. Aus Spanien, der alten Heimat des Fanatismus, ging er hervor. Gestiftet 1540 durch Inigo de Loyola, wurde die »Gesellschaft Jesu« in überraschend kurzer Zeit ein Institut, welches der päpstliche Stuhl mit ungeheurer Wirkung dem lutherischen Geiste entgegensetzte, Geist gegen Geist oder, wenn man will, Ungeist gegen Ungeist. Die Beschlüsse des Tridentiner Konzils von 1562, welche die Entwicklung des Katholizismus zum Abschlusse brachten, ließen die Tätigkeit des Jesuitenordens, welcher zuvor schon an katholischen Höfen Deutschlands Eingang gefunden hatte, schon deutlich spüren. Diese Beschlüsse boten der Ketzerei den Kampf auf Leben und Tod. Der Jesuitenorden führte ihn. Die Jesuiten entwarfen die große katholische Kombination, welche Europa umfaßte, und gestützt auf die spanische Macht, durch das Scheitern der Anschläge Philipps II. auf England wie durch die Thronerlangung des Bearners in Frankreich zwar gehemmt, aber nicht aufgegeben wurde.

Der Jesuitismus wollte die ganze Erde zu einer Art Gottesstaat im Sinne des Katholizismus, zu einer Domäne des Papstes machen. Jedem freien Gedanken auf den Kopf zu treten, an die Stelle des Denkens ein unklares Fühlen zu setzen, mit unerhörter Systematik und Konsequenz die Verknechtung der Massen durchzuführen, gescheite Köpfe, die Reichen und Mächtigen, die einflußreichen Leute jeder Art durch blendende Vorteile an sich zu fesseln, die vornehme Gesellschaft zu gewinnen mittels einer Moral, welche durch ihre Klauseln und Vorbehalte zu einem Kompendium des Lasters wurde, die Armen durch Beachtung ihrer materiellen Bedürfnisse zum Danke zu verpflichten, hier der Sinnlichkeit, dort der Habsucht, hier der Gemeinheit, dort dem Ehrgeize zu schmeicheln, alles zu verwirren, um endlich alles zu beherrschen: darauf ging die Gesellschaft Jesu aus. Ihre Organisation war großartig und bewunderungswürdig. Hier war im vollendeten Gegensatze zu der auf Befreiung des Individuums gerichteten Reformationsidee das völlige Hingeben der Persönlichkeit an ein Ganzes durchgeführt. Das Herz des Jesuiten schlug in der Brust seines Ordens. Nie hat ein General gehorsamere, unerschrockenere, heldenmütigere Soldaten gehabt als der Jesuitengeneral, und nie auch wurde ein Heer mit meisterhafterer Strategie geführt als die Kompagnie Jesu. In ewiger Proteuswandlung und dennoch stets dieselbe, führte sie den nimmer rastenden Krieg wider die Freiheit. Alles wurde auf diesen Zweck bezogen, und alles mußte ihm dienen. Der Jesuit war Gelehrter, Staatsmann, Krieger, Künstler, Erzieher, Kaufmann, aber stets blieb er Jesuit. Er verband sich heute mit den Königen gegen das Volk, um morgen schon Dolch oder Giftphiole gegen den Kronenträger in Anwendung zu bringen, weil bei veränderter Konstellation der Vorteil seines Ordens dies heischte. Er predigte den Völkern die Empörung und schlug zugleich schon die Schafotte für die Rebellen auf. Er scharrte mit geiziger Hand Haufen von Gold zusammen, um sie mit freigebiger wieder zu verschleudern. Er durchschiffte Meere und durchwanderte Wüsten, um unter tausend Gefahren in Indien, China und Japan das Christentum zu predigen und sich mit von Begeisterung leuchtender Stirne zum Märtyrertode zu drängen. Er führte in Südamerika das Beil und den Spaten des Pflanzers und gründete in den Urwaldwildnissen einen Staat, während er in Europa Staaten untergrub und über den Haufen warf. Er zog Armeen als fanatischer Kreuzprediger voran und leitete zugleich ihre Bewegungen mit dem Feldmeßzeug des Ingenieurs. Er schweigte das Gewissen des fürstlichen Herrn, welcher die eigene Tochter zur Blutschande verführt, wie das der vornehmen Dame, welche mit ihren Lakaien Ehebruch trieb und ihre Stiefkinder vergiftet hatte. Für alles wußte er Trost und Rat, für alles Mittel und Weg. Er führte mit der einen Hand Dirnen an das Lager seiner prinzlichen Zöglinge, während er mit der anderen die Drähte der Maschinerie in Bewegung setzte, welche den Augen der Entnervten die Schreckbilder der Hölle vorgaukelte. Er entwarf mit gleicher Geschicklichkeit Staatsverfassungen, Feldzugspläne und Handelskombinationen. Er war ebenso gewandt im Beichtstuhl, Lehrzimmer und Ratssaal, wie auf der Kanzel und auf dem Disputierkatheder. Er durchwachte die Nächte hinter Aktenfaszikeln, bewegte sich mit anmutiger Sicherheit auf dem glatten Parkett der Paläste und atmete mit ruhiger Fassung die Pestluft der Lazarette ein. Aus dem goldenen Kabinette des Fürsten, den er zur Ausrottung der Ketzerei gestachelt hatte, ging er in die schmutztriefende Hütte der Armut, um einen Aussätzigen zu pflegen. Von einem Hexenbrande kommend, ließ er in einem frivolen Höflingskreise schimmernde Leuchtkugeln skeptischen Witzes steigen. Er war Zelot, Freigeist, Kuppler, Fälscher, Sittenprediger, Wohltäter, Mörder, Engel oder Teufel, wie die Umstände es verlangten. Er war überall zu Hause, er hatte kein Vaterland, keine Familie, keine Freunde; denn ihm mußte das alles der Orden sein, für welchen er mit bewunderungswürdiger Selbstverleugnung und Tatkraft lebte und starb.

Die katholische Reaktion, welche in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den romanischen Ländern durchgeführt worden war, wurde im folgenden auch in den germanischen mit Energie versucht und bot namentlich in Deutschland, wo die Protestanten in die Fraktionen der Lutheraner und Kalvinisten zerfallen waren, große Aussicht auf Erfolg. Doch hinderte die duldsame Gesinnung der beiden Kaiser Ferdinand I. und Maximilian II. vorerst ein rasches Vorgehen. Der frühzeitige Tod des letzteren (1576), der ein mild verständiger und aufgeklärter Mann war und der religiösen Bewegung freien Lauf ließ, war ein um so größeres Unglück für Deutschland, als ihm seine beiden untauglichen Söhne, der düster grüblerische Wollüstling Rudolf II. und der unheimliche Matthias, auf dem Kaiserthrone folgten. Die Pläne der Jesuiten, für welche in Deutschland der Bayernherzog Maximilian und der spanisch-fanatische Erzherzog Ferdinand von der Steiermark, nachmals als Kaiser Ferdinand II., gewonnen waren, reiften jetzt rasch zur Ausführung. Die Protestanten, welche, wie schon erwähnt worden, durch ihre reichsverräterischen, unter dem schändlichen Vorwande der Wahrung »deutscher Freiheit« mit der Krone Frankreich unterhaltenen Verbindungen dieser schon im 16. Jahrhundert den Raub der deutschen Städte Metz, Toul und Verdun ermöglicht hatten, schlossen unter der Leitung des Kurfürsten von der Pfalz die protestantische Union (1608), welcher Maximilian von Bayern sofort die katholische Liga entgegenstellte (1609). Beide Bündnisse waren gleich widernational, beide setzten zum Verderben Deutschlands ihre Hoffnung auf die Fremden. Die Union hatte zum Rückhalte Frankreich, Dänemark und Schweden, die Liga den Papst und die spanische Macht. Der Dreißigjährige Krieg, von dessen ungeheurer Trübsal wir noch mehrfach zu sprechen haben werden, brach aus (1618) und erniedrigte, durch den schmachvollen Westfälischen Frieden beschlossen, unser Land zu dem, was es so lange geblieben, zum Spielball fremder Interessen, zum Schlachtfelde der Kriege Europas.

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Nr. 28. Erasmus von Rotterdam.

Der von den Fremden diktierte Westfälische Friede (1648) gab für das Staatsleben Deutschlands Bestimmungen, welche im wesentlichen bis zum gänzlichen Einsturz des Reichs dieselben geblieben sind. Die Unabhängigkeit der schweizerischen Eidgenossenschaft und ihre Lostrennung vom Reiche wurde auf Frankreichs Betreiben förmlich anerkannt; zu der siebenten Kurwürde, welche auf Bayern übergegangen, wurde die des restituierten Hauses Rheinpfalz als achte gefügt. Die Zerrissenheit Deutschlands ward ein integrierender Teil seiner Verfassung; denn die Reichsstände erhielten in ihren Territorien die volle Landeshoheit und das Recht, unter sich und mit auswärtigen Mächten Bündnisse zu schließen, nur nicht gegen Kaiser und Reich, eine Klausel, die weiter nichts war als ein Kanzleischnörkel. Den Reichsständen, nicht dem Kaiser, sollte die Entscheidung über Fragen der Reichgesetzgebung und Reichsbesteuerung, über Krieg und Frieden zukommen, und man sorgte dafür, daß die Reichsregierungsmaschine eine recht schwerfällige und ungeschickt gebaute war, damit ja nichts damit ausgerichtet werden könnte. Die Gleichberechtigung der katholischen und protestantischen Konfession ward anerkannt, der Reichshofrat und das Reichkammergericht aus Katholiken und Protestanten zusammengesetzt. Alles in diesem auf den Eingebungen und Machenschaften der französischen Politik beruhenden Friedensschlusse war darauf angelegt, daß das Reich im Innern zerstückelt und nach außen gelähmt bliebe und daß der Marasmus, von welchem es angefressen war, ungehinderten Fortgang hätte. Das war der Ausgang des großen Kampfes für die Deutschen. Glücklicher waren andere germanische Völker. Die Niederländer hatten sich Unabhängigkeit und republikanische Freiheit erkämpft, England legte unter Führung des großen Cromwell, der größten staatsmännischen und kriegerischen Erscheinung des Germanentums von damals, das unzerstörbare Fundament seiner welthistorischen Größe und sandte seine Söhne über den Ozean, um der Menschheit eine neue Welt zu gewinnen. Jeder der Puritaner, welcher in den Wildnissen Nordamerikas unter Bedrängnissen und Gefahren aller Art der Zivilisation, der Freiheit, dem Volke, der Zukunft eine Stätte bereiten half, hat unendlich viel mehr für die menschliche Gesellschaft getan, als alle die Tausende theologischer Zungendrescher, welche von der Reformation bis auf unsere Tage herab das Bewußtsein des deutschen Volkes trübten und verwirrten.

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Nr. 29. Berühmtes Flugblatt über den Ablaßkrämer Johs. Tetzel: Sobald der Gülden im Becken klingt, Im Huy die Seel in' Himmel springt.

Die Saat, welche der Westfälische Friede ausgesät hatte, schoß bald genug in giftige Halme. Deutschlands Ohnmacht zeigte sich den Eroberungsgelüsten Ludwigs XIV. gegenüber in ganzer Blöße. Das Elsaß ging schmachvoll verloren, und von Osten her drohte durch die Türken eine Gefahr, deren Abwendung man ebenfalls hauptsächlich nur Fremden, den Polen unter Sobiesky, zu verdanken hatte. Des französischen Räubers despotischer Absolutismus wurde mit seinem Hofluxus kleinlich nachgeahmtes Vorbild der deutschen Fürsten. Die Abstufung der Lehensmonarchie zur absolutistischen vollbrachte sie rasch. Tyrannen und Verschwender à la Louis XIV. schossen in Deutschland wie Pilze auf, und dem Fluche der Kleinstaaterei gesellte sich der religiöser und konfessioneller Intoleranz. Die Politik wurde Kabinettspolitik, die Rechtspflege Kabinettsjustiz. Mit der Verkümmerung aller Volksrechte, mit der Steigerung der Regierungsgewalt ins Maßlose wuchs der Steuerdruck ins Unerhörte und Unerträgliche. Der Adel sank zum Schranzentum herab, welches seine Unbedeutendheit unter Ordenskram verhüllte. Das Bürgertum verknöcherte zur jämmerlichsten Philisterei, die Bauerschaft verfiel stupider Entwürdigung. Von einer ebenso unsinnigen als hartherzigen »Finanzerei« großgezogen, kam eine Bureaukratie auf, welche, kriechend nach oben, brutal nach unten, die Pflanzschule jenes deutschen Lasters geworden ist, das man mit dem Worte Bedientenhaftigkeit in seiner ganzen Verworfenheit kennzeichnet, jenes Lasters, das der alten Dienstbarkeit die neuzeitlich lakaienhafte Dienstbeflissenheit verband und die Niederträchtigkeit in ein System brachte.

Doch hier setzen wir diesen allgemeinen Betrachtungen ein Ziel und beginnen sofort die Darstellung des deutschen Kultur- und Sittenlebens in seinen einzelnen Äußerungen vom 17. bis ins 18. Jahrhundert.

 


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