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Erstes Kapitel. Wiedergeburt

Reformbestrebungen innerhalb der Kirche. – Verrottung der Scholastik. – Wiedererwachen der klassischen Studien. – Dante, Petrarca und Boccaccio. Macchiavelli. – Die Elemente der deutschen Opposition. – Die Humanisten. – Die volksmäßige und die gelehrte Satire. – Die Dunkelmännerbriefe.

 

Wie oft im Leben des einzelnen Menschen heilsame Krisen eintreten, wo alle seine geistigen und leiblichen Kräfte auf eine Erneuerung des ganzen Organismus hinarbeiten, so auch im Leben der Völker. Hat in solchem Falle der Mensch die moralische Kraft, dem Treiben und Drängen seines Wesens zu einem entschiedenen Vorschreiten energisch die Wege zu bahnen, ohne Bedauern mit der Vergangenheit abzuschließen, die Gegenwart klar ins Auge zu fassen und die dargebotene Hand der Zukunft mit Entschlossenheit zu ergreifen, so wird er als ein wahrhaft Erneuerter und Wiedergeborner aus der Krisis hervorgehen, welche den glücklichsten Wendepunkt seines Daseins bezeichnet. Erlahmt aber der Mensch mitten im Kampfe, kann er sich nicht losmachen von den geliebten oder verhaßten Erinnerungen der Vergangenheit, läßt er sich betören von allen den tausend Rücksichten der Gegenwart, tut er zagend wieder einen Schritt zurück, nachdem er begeistert zwei vorwärts getan, schafft er, mit einem Worte, nur ein halbes Werk: dann wendet ihm die flüchtige Göttin des Glückes hohnlachend den Rücken und läßt einer Reaktion den Lauf, die dem unleidlichen alten Zustande noch das quälende Bewußtsein gesellt, daß alles, alles anders und besser geworden wäre, falls dem Wissen und Wollen das Vollbringen entsprochen hätte. Schwache Naturen verkümmern dann in tatlosem Bedauern ihrer Ungeschicklichkeit und Kraftlosigkeit, stärkere aber schöpfen aus der ihnen gewordenen Lehre den Mut, die etwa wiederkehrende günstige Gelegenheit mit fester Hand beim Stirnhaare zu fassen und festzuhalten.

Die Anwendung dieser Erfahrungssätze auf die Geschicke der Völker ist keine gezwungene; sie wird überall von der Geschichte bestätigt. Den schlagendsten Beleg aber für das Gesagte liefert gewiß die Geschichte Deutschlands im Zeitalter der Reformation. Welch ein großartiger Anlauf zur Erneuerung der Nation wurde damals genommen! Wie umfassend war die Einsicht in die Schäden der Zeit! Wie lebhaft die Beteiligung der Massen! Und doch wurde die Gelegenheit, hauptsächlich durch das eigensüchtige Übelwollen der Entscheidung gebenden Kreise, schmählich verpaßt. So kam denn statt eines ganzen Werkes nur eitel Stückwerk zustande, und von allen den gehofften Errungenschaften jener Zeit blieb dem deutschen Volke nichts als die lutherische Theologie. Wahrlich, keine ausreichende Vergütung so großen Kampfes, so vieler Opfer, so schrecklicher Leiden!

Wir können uns nicht dabei aufhalten, den Verfall der Kirche, wie er am Ende des Mittelalters eingetreten war, hier des breiteren darzulegen, um so weniger, da wir auf die bezüglichen Andeutungen und Schilderungen im ersten Buche verweisen dürfen. Das sittliche Verderben der Kirche in Haupt und Gliedern war so offenkundig, daß selbst die entschiedensten Anhänger der katholischen Kirchenverfassung durchgreifende und schleunige Reformen verlangten. Dieses Verlangen rief die Konzilien von Pisa (1408), Konstanz (1414-18) und Basel (1431-49) ins Leben; aber sie blieben erfolglos, weil die versammelten Kirchenväter bald wahrnahmen, daß die Reformen im äußeren Kirchenwesen auch solche in der Lehre nach sich ziehen müßten, wie dies die drei bedeutendsten Theologen jener Zeit, die Pariser Professoren Gerson, d'Ailly und Clemange, erkannt und gefordert hatten. Allein ihre und Gleichdenkender Bestrebungen scheiterten völlig. So ging denn der Gedanke, innerhalb der Kirche zu reformieren, zunichte, und sie war noch mächtig genug, solche, die von außen mit reformistischen Absichten an sie herantraten, auf den Scheiterhaufen zu schicken. Johannes Huß starb den 6. Juli 1415 den Flammentod, und bald nach ihm sein treuer Genosse Hieronymus von Prag.

Die moralische Versumpfung der Kirche nicht allein, nein, auch ihre Vernachlässigung der Wissenschaft, ihre Schändung des menschlichen Verstandes mußte Opposition zeugen. Wem auch nur noch ein schwacher Funke von Vernunft im Haupte glimmte, der mußte sich angeekelt und empört fühlen, wenn die Vertreter der kirchlichen Gelahrtheit, die letzten Scholastiker, in allem Ernste Fragen aufwarfen und jahrelang diskutierten wie diese: »Kann Gott etwas Geschehenes völlig ungeschehen machen, z. B. aus einem Freudenmädchen eine reine Magd? – Warum hat Adam im Paradiese von einem Apfel und nicht von einer Birne gegessen? – Wo fängt ein Haufen an? – Wieviele Engel haben Platz auf einer Nadelspitze? – Konnte Christus auch in Gestalt eines Weibes oder eines Esels oder eines Kürbisses erscheinen, und wie hätte er in solcher Gestalt die Erlösung vollbracht? – In welcher Sprache hat die Schlange zu Eva geredet? – War der erste Mensch auch mit einem Nabel ausgestattet?«

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Nr. 1. Johann Huß aus Prag in Böhmen.

Gegen derartige Abgeschmacktheit, wie gegen die Habsucht und Zuchtlosigkeit des Klerus hatten sich schon die südfranzösischen Trobadors und Ketzer aufs entschiedenste erklärt. Ihre Opposition war dann nach Italien hinübergewandert. Hier hatten die drei großen Männer, welche die Literatur ihres Landes geschaffen, Dante, Petrarca und Boccaccio, aus dem hauptsächlich durch ihren Eifer wieder aufgegrabenen Jungbrunnen des Humanismus, der in den klassischen Studien sprudelte, ihren Geist erquickt und gestärkt und seine belebende Flut auch ihren Zeitgenossen zugänglich gemacht. Die Bildungssonne des Altertums begann, um ein anderes Bild zu gebrauchen, am Horizonte des mönchischen Mittelalters heraufzuleuchten und brachte alsbald neue Regungen in das stockende Geistesleben der Völker Europas. Ja, das verachtete, verstoßene und verfolgte Heidentum war es, welches die christliche Welt verjüngen mußte. Die edelsten Geister der Griechen und Römer lehrten zuerst wieder die Menschen als Menschen sich fühlen, sie brachten gegenüber der christlichen Vertröstung auf das Jenseits wieder die Schönheit und Geltung des Lebens zu Ehren, sie weckten in tausend Herzen den Haß gegen die Tyrannei und das Hochgefühl der Freiheit. Man hat mit Recht von der Wiedererweckung und Ausbreitung der humanistischen Studien die Wiederherstellung der Wissenschaften datiert.

Die Beschäftigung mit dem klassischen Altertum war in Italien schon während der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein Bedürfnis aller Gebildeten geworden, und der Geist dieser Studien prägte sich ja auch in den Anfängen der italischen Nationalliteratur bedeutsam aus. Dantes Genius erhob in seiner »Göttlichen Komödie« das Schwert der Nemesis und wies mit deren flammender Spitze auf alle die geistlichen und weltlichen Tyrannen, die er in den »Bolgen« seiner Hölle versammelt hatte. Aber das sinnliche Naturell seiner Landsleute vermochte Dantes prophetischen Geist nicht zu würdigen; es verlangte statt erhabener Tragik prickelnde Laune und drastische Komik. Boccaccio verstand den Sinn seines Landes und gab demselben den »Dekamerone«, eine von heidnischer Lebenslust strotzende Oppositionsschrift, welche das ganze Pfaffenwesen mit unsterblichem Gelächter überschüttete. Das Volk lachte, die Fürstenhöfe lachten, die Klosterbewohner lachten, die Kurie selbst lachte über diese prächtige Satire. Aber das eben war der Fehler, daß die Opposition in leichtfertiges Lachen sich verflüchtigte. Was half es im Grunde, daß der Humanismus in Italien gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in den gebildeten Kreisen die offenkundigste Geringschätzung des Christentums zuwege gebracht hatte? Gleichgültigkeit und Leichtfertigkeit bringen es nie zu einer weltgeschichtlichen Tat, und die Satire muß einen festen sittlichen Boden unter sich haben, um wirksam zu sein. Luigi Pulci verhöhnte in seinem Rittergedichte vom großen Morgant die christlichen Mysterien aufs keckste, indem er das Sakrament der Taufe zur Folie der Wollustbefriedigung einer lüsternen Prinzessin machte. Man ließ ihn gewähren und lachte. Etwas später schrieb der große Macchiavelli die »Mandragola«, in welcher er zur Schärfung des satirischen Stachels die schändlichste Kasuistik, die verworfenste Ehebruchstheorie nicht etwa einem liederlichen Frater, nein, einem wirklich frommen Pater in den Mund legte. Und diese Komödie wurde am päpstlichen Hofe aufgeführt! Nahm man sich etwa die Sache zu Herzen? Bewahre, man hatte Geist, man lachte, man vergnügte sich vortrefflich, und Se. Heiligkeit klatschte dem Komöden Beifall, der seinen Plautus und Terenz so wohl studiert hatte und die Herzen der Frauen wie die Dialektik der Kirche gleich gut kannte. Wo sich aber daneben im Ernste der reformatorische Gedanke regte, da erstickte man ihn im Rauche des inquisitorischen Scheiterhaufens. So wurde, wie früher Arnold von Brescia, 1498 Girolamo Savonarola zum Märtyrer; so noch hundert Jahre später (1600) Giordano Bruno, Italiens tiefster und kühnster Denker.

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Nr. 2. Huß auf dem Wege zum Scheiterhaufen.

Nicht aber auf solchem Boden, wo mit der zügellosesten Verspottung der Religion die gewaltsamste Aufrechterhaltung hierarchischer Institute Hand in Hand ging, konnte der Versuch die Kirche zu reformieren, mit Aussicht auf Erfolg gemacht werden. Eine ernster gestimmte, nicht nur mit Intelligenz, sondern zugleich auch mit sittlicher Kraft ausgerüstete Nation nahm die reformistische Idee auf und machte sie zum Mittelpunkt ihres Lebens. Deutschland trat vor und eröffnete den Kampf gegen Rom in deutsch zäher und gründlicher Weise, dabei gern geneigt, die nachdrücklichen Schwertschläge, welche es austeilte, ebenfalls mit dem satirischen Gelächter heidnisch-klassischer Lebenslust zu begleiten.

Die Opposition gegen den römischen Stuhl ist, wie bekannt, alt in unserer Geschichte. Vom nationalen Standpunkt aus hatte sie sich kundgegeben in allen den Kämpfen, welche unsere großen mittelalterlichen Kaiserdynastien gegen die päpstliche Gewalt geführt. Sie hatte auch in der gleichzeitigen Literatur, namentlich in den patriotischen Liedern eines Walter von der Vogelweide, ein starkes Echo gefunden. Jetzt, auf dem Scheidepunkte des 15. und 16. Jahrhunderts, gesellten sich dem nationalen Elemente des Widerstandes noch andere. Es war damals eine wunderbare Zeit. Eine jener weltgeschichtlichen Krisen, wie wir sie oben angedeutet haben, trat ein. Es wurde der Menschheit zu eng und dumpf in dem dämmerigen Dome mittelalterlicher Romantik: sie strebte nach Licht, Luft und Bewegung. An allen Ecken und Enden wurde der Druck des Bestehenden als unleidlich empfunden, überall gärte und kochte es. Während die klassischen Studien eine verlorene und wiedergefundene geistige Welt aufschlossen, erweiterten die geographischen Entdeckungen eines Bartholomäus Diaz, Vasco da Gama und Christobal Colon die Grenzen der Erde, wiesen der Tatenlust und dem Handelsgeiste neue Wege und bereiteten der Wissenschaft das Fundament, auf welches gestützt sie sich anschickte, dem erstaunten Menschenauge die Unermeßlichkeit des Weltgebäudes aufzuschließen. Das alles war nicht verzeichnet »in der Santa Casa heiligen Registern« und mußte demnach die Beschränktheit und Ärmlichkeit dieser Register selbst unwiderlegbar aufzeigen. Derweil aber die romanischen Nationen mit Hast auf die neueröffneten Bahnen der Abenteuer und Eroberungen sich warfen, wandte sich die germanische, deren politische Tatkraft und Herrlichkeit ja dahin war, mit ihrer ganzen Innerlichkeit zur geistigen Arbeit. Sie fühlte, daß ihre Wiedergeburt an die Bedingung der Befreiung vom hierarchischen Joche geknüpft wäre, und begann mit außerordentlichem Eifer an der Entwicklung der Elemente zu arbeiten, die eine solche Befreiung fördern sollten.

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Nr. 3. Flugblatt auf das Schandleben der Päpste.

Es sind ihrer wesentlich drei: das religiös-oppositionelle, das humanistische und das volksmäßige, zu denen dann noch das neu belebte politisch nationale sich gesellte.

Was das religiöse Element der deutschen Opposition gegen Rom angeht, so ist dasselbe in seinen Anfängen auf unsere früheren Ortes berührte mittelalterliche Mystik zurückzuführen, sowie auf die Nachwirkung der Waldenserei und des Hussitentums. Aus den Lehren der »Brüder des gemeinsamen Lebens«, welche gegenüber der Veräußerlichung des Christentums durch die Kirche auf Verinnerlichung desselben und auf Betätigung praktischer Frömmigkeit gedrungen hatten, entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts allmählich eine weitergehende Richtung. Zunächst wieder in den Niederlanden, wo der Prior Johann von Goch († 1473) laut erklärte, die Bibel sei die einzige authentische Quelle des Glaubens, und Johann Wessel († 1489) diesem Satze zu weiterer Ausbreitung verhalf. Gestützt hierauf, verwarf der Deutsche Johann von Wesel, Zeitgenosse Wessels, die Autorität des Papstes, befehdete die Zeremonien und den Ablaß und behauptete, die Rechtfertigung des Menschen vor Gott bestände nicht in äußerlichen Werken, sondern nur in der Gesinnung. Auch den volkstümlichen Humor ließ er schon keck genug spielen, wie er z. B. sagte, falls Petrus das Fasten empfohlen hätte, so hätte er das nur getan, um bessere Kundschaft für seine Fische zu erhalten. Noch glücklicher verband sich das oppositionell theologische und volksmäßige Element in Johann Geiler von Kaisersberg (1440-1509), der zuerst in Basel, dann in Straßburg wirkte und als beliebter Prediger die Hauptgrundsätze der Reformation in ebenso klarer als mildverständiger Weise popularisierte. Ganz in seinem Sinne war sein Freund, der unglückliche, im Kerker verkümmerte Schweizer Felix Hemmerlin, für eine Reform der Theologie und Kirche tätig. Er hatte in Italien studiert und brachte von dort als einer der ersten die neugeweckten humanistischen Studien mit über die Alpen. Diese waren zwar auf deutschem Boden im Mittelalter nie ganz erloschen, allein erst jetzt gewannen sie eine höhere Geltung, weil der Grundsatz, daß nur das Evangelium die unverfälschte Quelle der Religion sei, den Geist philologischer Forschung spornte und schärfte. Hatte man sich aber einmal, zunächst theologischer Zwecke wegen, mit den alten Sprachen und ihren Schriftwerken bekannt gemacht, so konnte es nicht fehlen, daß man die humanistischen Studien, deren man zur Bekämpfung der Scholastik bedurfte, bald um ihrer selbst willen liebgewann und hochstellte. Denn auch damals, wie noch heute, wie allzeit, haben die großen Alten, haben die hellenischen und römischen Dichter, Denker und Historiker in allen empfänglichen und erwählten Geistern das Gefühl geweckt und wachgehalten, daß der Genuß ihrer Werke aller Genüsse edelster.

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Nr. 4. Die Versuchung des Heiligen Antonius.

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Nr. 5. Schwankillustration. 17. Jahrhundert.

Sonderbar, daß ein Italiener und noch dazu ein Mann, der später als Kurtisan des römischen Hofes und dann als Papst die reformistische Richtung gefährlich befehdete, es sein mußte, welcher dem Humanismus in Deutschland mit unter den ersten Vorschub leistete. Ich meine den feingebildeten Äneas Silvius Piccolomini. Schon auf dem Baseler Konzil hatte er einen Kreis von Deutschen um sich gesammelt, die er in die klassischen Studien einführte; dann gab er als Geheimschreiber Kaiser Friedrichs III. zu Wien, zu Prag, überall auf seinen Geschäftsreisen, die nachhaltigsten Anregungen in dieser Richtung. Zu seinen nächsten Freunden von damals, zu seinen entschiedensten Gegnern von später gehörte der vortreffliche Gregor von Heimburg († 1472) aus Franken, einer der hellsten Köpfe jener Zeit, einer der bedeutendsten Wegbahner der Reformation. Er gründete dem Humanismus besonders in Nürnberg eine bleibende Stätte und kämpfte aller Verfolgung ungeachtet als Gelehrter und Staatsmann bis an sein Ende für Deutschlands Befreiung von römischer Gewalt, wie für die von Seiten der dynastischen Interessen bedrohte Einheit des Reichs. Infolge seiner und seines früheren Freundes Bemühungen machte die neue wissenschaftliche Richtung in Deutschland außerordentliche Vorschritte. Man sah ein und sprach es offen aus, daß die Deutschen nur mittels der humanistischen Studien aus ihrer Barbarei herauskommen könnten. Und wo diese Studien einmal Wurzel geschlagen hatten, gestalteten sie mit wunderbarer Kraft das ganze Geistesleben um. Die oppositionelle Bildung begnügte sich aber nicht etwa damit, die scholastische Autorität und Methode zu verneinen und zu bekriegen und die Freiheit wissenschaftlicher Forschung zu fordern; sie wollte mehr. Sie verlangte, daß die Wissenschaft aus den dumpfen Wänden der Schule heraus und in das Leben eingeführt werde; sie wollte das Wissen dadurch recht befruchten, daß es überall mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in lebendigste Wechselwirkung träte. Sie bannte und ächtete endlich den Barbarismus der bisherigen wissenschaftlichen Form, forderte klare und anmutige Darstellung und ging demnach darauf aus, die Ideen der Freiheit in antik-schöne Gewänder zu kleiden. Um dieses zuwege zu bringen und so den Gegensatz der neuen Richtung zu der barbarischen Form des Scholastizismus recht entschieden hervortreten zu lassen, beschäftigten sich die Humanisten vorwiegend mit der antiken Poesie, deren leuchtende Vorbilder sie in lateinischen Gedichten nachahmten, die allerdings durchschnittlich das Mittelmaß nicht übersteigen, dennoch aber von großer Bedeutung waren, sofern sie nicht nur den Schönheitssinn nährten, sondern auch zur Weckung klassisch-heidnischer Tugenden, wie Manneswürde und Patriotismus, wesentlich beitrugen. Die geringschätzige Bezeichnung als »Poeten« von Seiten der Scholastiker und Obskuranten konnten die Humanisten, die ja eben durch ihren Humanismus auch auf die Disziplinen der mathematischen und physikalischen Wissenschaft, auf Geschichte, Geographie, Jurisprudenz und Theologie reformistisch einwirkten, unschwer sich gefallen lassen.

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Nr. 6. Eisen, Der Pater als Zauberer.

Wir müssen uns begnügen, auf einige Hauptchorführer der wissenschaftlichen Bewegung, welche damals Deutschland aufregte, hinzuweisen. Nennen wir daher zuerst Rudolf Agricola, welcher, 1482 nach Heidelberg berufen, die neue Richtung auf dieser Universität in Aufnahme brachte. Im nahen Württemberg wirkte Johann Reuchlin (1455-1521) aus Pforzheim, ein philologisches Genie, auf dem ganzen Gebiete der damals bekannten klassischen Literatur zu Hause und dem gründlichen Studium nicht nur der lateinischen und griechischen Sprache, sondern auch der hebräischen Bahn brechend. Wie sehr solche philologische Tüchtigkeit bei dem ungeheuren Werte, welchen man auf die griechischen und hebräischen Religionsurkunden und deren unverfälschte Exegese zu legen begann, ins Gewicht fallen mußte, ist klar. Ein unstetes Gelehrtenleben führte der Franke Konrad Celtes (geb. 1459), der, von Kaiser Friedrich III. mit dem dichterischen Lorbeer bekrönt, beständig von einem Orte zum andern reiste, überall im Sinne des Humanismus lehrend und schreibend, Schülerkreise um sich sammelnd, humanistische Gesellschaften stiftend, zur Herausgabe und Übersetzung der Klassiker treibend. Bald wirkten die humanistischen Studien über ganz Deutschland hin ein geistiges Netz, dessen einzelne Fäden durch den lebhaften Briefwechsel der Gelehrten, sowie durch ihre Wanderungen in beständiger Bewegung waren. In den Rheingegenden, in der Schweiz, in Schwaben, Franken, Bayern, Österreich, Sachsen und in den Nord- und Ostseeländern erstanden humanistische Schulen und Kreise und wurde dadurch mit Austreibung der Barbarei Ernst gemacht. So besonders auch in Nürnberg, der Vaterstadt Wilibald Pirkheimers (geb. 1470), der eine angesehene Stellung und ein patrizisches Vermögen zur Förderung der neuen wissenschaftlichen Richtung benützte, aus Italien her eine herrliche Bibliothek von Klassikern zusammenbrachte, mit den bedeutendsten Männern seiner Zeit in Verbindung stand und als Schriftsteller werktätig in den reformistischen Kampf sich mischte. Nach Würzburg kam durch den aufgeklärten Bischof Lorenz von Bibra der gelehrte Abt Johann Trithemius, der vor der Borniertheit und Zuchtlosigkeit der Mönche aus seinem Stifte Spanheim hatte weichen müssen. Ausgezeichnete Persönlichkeiten unter den Humanisten waren ferner Adelmann von Adelmannsfelden zu Eichstädt, Johann Rhegius Ästicampianus – (das Latinisieren und Gräzisieren der Namen war gelehrter Ton) –, welcher zu Basel, Heidelberg und Mainz lehrte; Johann Wimpfeling, ein wirksamer Polyhistor; endlich Desiderius Erasmus (1465-1536), geboren zu Rotterdam, aber später in Deutschland eingebürgert, und zwar so ganz, daß man ihn und Reuchlin »die beiden Augen Deutschlands« zu nennen pflegte. Erasmus hatte Geist und Form des klassischen Altertums in einem Grade sich zu eigen gemacht wie keiner seiner Zeitgenossen. Dabei aber war er keineswegs geneigt, das Christentum über Bord zu werfen oder sich wenigstens gleichgültig gegen dasselbe zu verhalten, wie dies die italischen Humanisten taten. Mit diesen teilte er wohl den antiken Sinn für heiteren Lebensgenuß, der überhaupt allenthalben auch in den geselligen Verkehr der deutschen Freunde der Klassik einging; allein daneben wollte er die bestehende Religion und Kirche mehr nur mit demonstrierendem Finger als mit reformierender Hand angetastet wissen. In diesem Sinne schrieb er 1501 sein »Handbuch eines christlichen Kämpfers«. Als aber energischere Schläge das alte Gebäude zu erschüttern begannen, erschrak Erasmus, der doch in nichtkirchlichen Dingen einer entschiedenen Polemik und Kritik nicht abhold war. Der reformatorische Tumult störte seine gelehrte Muße, die Aufregung der Massen verletzte sein zartes Nervensystem: er verschloß sich in seine Studierstube, statt mit seinen bisherigen Mitstreitern frei auf den Plan zu treten. Dann kam es noch schlimmer. Aus einem furchtsamen Freunde der Reformation wurde er ihr Gegner und benahm sich in der letzten Zeit seines Lebens überhaupt so, daß er ein richtiges und leider viel nachgeahmtes Vorbild jener deutschen Hofgelehrten geworden, deren Feigheit und Knechtschaffenheit eine so traurige Berühmtheit erlangt haben. Ganz anders der edelste der deutschen Humanisten, Ulrich von Hutten, Sprößling einer fränkischen Adelsfamilie, auf der unfern von den Quellen der Kinzig in der Landschaft Buchau gelegenen Steckelburg am 21. April 1488 geboren. Mit Genialität und Wissen vereinigte Hutten die umfassendste Einsicht in die Schäden und Bedürfnisse der Zeit. Mit staatsmännischem Blick erkannte er, was Deutschland not tat, um wieder eine Nation, eine nationale Großmacht zu werden. Und wie es edler Geister Art ist, ihr Licht leuchten zu lassen und ihre Erkenntnis zum Gemeingut zu machen, so hat er sein Leben lang mit Wort und Feder, mit Rat und Tat für die staatliche und kirchliche Form seines Landes gewirkt; aller Not, allem Mißgeschick, aller Verkennung und Verfolgung die unbeugsame Willenskraft eines starken Herzens, allen Schwierigkeiten die ebenso stetig als heiß brennende Begeisterung einer großen Seele entgegensetzend, über alle Gemeinheit und Mißgunst das Panier nationaler Freiheit und Ehre mit dem kühnen Wahlspruch: »Ich hab's gewagt!« hoch emporhaltend und die Wunden, welche ihm die vergifteten Waffen der Gegner geschlagen, mit dem Balsam der Poesie heilend. Wir werden noch von ihm zu sprechen haben. Vielfach mit Huttens Wesen verwandt war das des großen Züricher Reformators Ulrich Zwingli (geb. 1484 zu Wildhaus im Toggenburg), ein weit feinerer, freierer, edlerer und gebildeterer Geist als Luther. Zwingli war für den Kultus des Götzen, genannt Bibelbuchstabe, keineswegs so eingenommen wie der Wittenberger Mönch, sondern überall einer freieren und geistigeren Auffassung der christlichen Lehre zugänglich. Er achtete die Rechte des Menschen wie die der Vernunft, setzte das Wesen des Christen nicht in feiges Dulden und Geschehenlassen, sondern vielmehr in die freudige Übung der Menschen- und Bürgerpflichten, und hatte außerdem den Mut, sein edles republikanisch-reformatorisches Wirken mit einem glorreichen Märtyrertod in der Schlacht bei Kappel (1531) zu besiegeln.

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Nr. 7. Spottbild auf das Papstwappen.

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Nr. 8. Die papistische Pyramide.

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Nr. 9. Das ausschweifende Leben am Hofe des Papstes Leo X.

Aber nicht nur in den Schulen und Genossenschaften der Humanisten und freisinnigen Theologen regte sich die Opposition gegen das Bestehende, im Volke selbst breitete sie sich gewaltig aus. Hier beschäftigte man sich allerdings nicht mit der wissenschaftlichen Untersuchung der kirchlichen Schäden; allein diese traten dem Volke in einer Zeit, wo die Bauern darauf bestanden, daß neue Seelenhirten auch gleich ihre »Seelenkühe« mitbringen sollten, damit die pfäffischen Gelüste nicht auf die Frauen anderer sich richteten, in dem Wandel der Geistlichen tagtäglich abschreckend genug vor Augen. Welche Glossen sich das Volk darüber machte, zeigt schon sein damaliges Sprichwort: »Was ein Mönch zu tun wagt, dies würde selbst der Teufel zu denken sich schämen.« Und dieses volksmäßige Bewußtsein von der Verderbnis der Kirche und ihrer Diener war auch nicht erst von heute. Im 13. Jahrhundert schon hatte es sich in den bäuerischen Schwänken vom Pfaffen Amis, welche der unter dem Namen Stricker bekannte Dichter in Verse gebracht, deutlich genug ausgesprochen. Diese oppositionellen Schwänke gingen nachmals in das berühmte Volksbuch vom »Till Eulenspiegel« über, welches zuerst 1483 im niedersächsischen Dialekte niedergeschrieben worden sein soll. Erst später (1498) erschien auch die bedeutendste literarische Gestaltung der volksmäßig oppositionellen Richtung im Drucke, das uralt germanische, in niederdeutscher Sprache und im satirisch-reformistischen Zeitgeschmack erneuerte Tierepos vom »Reineke Fuchs«, welches sich nach allen Seiten hin gegen die Hierarchie ausließ. Wie sich das volksmäßige Oppositionselement der ungemein wirksamen Form des Volksschauspiels zu bemächtigen wußte, werden wir in einem späteren Kapitel berühren.

Es ergab sich von selbst aus den Verhältnissen, daß die theologische, humanistische und volksmäßige Opposition vielfach ineinander griff, ja daß gerade der derbsatirische Ton der letzteren allmählich in allen Streitschriften vorschlug, welche die Reformer gegen ihre Feinde ausgehen ließen. Die letzteren waren nämlich keineswegs gewillt, den Gegnern ohne weiteres das Feld zu räumen. Die alten Professoren an den Hochschulen hielten fest an der Scholastik, weil diese sie der Mühe des Selbstdenkens überhob. Zudem waren ja mit den Mißbräuchen des alten kirchlichen Systems zugleich auch alle die fetten Pfründen in Gefahr, welche die Kirche ihren Getreuen zuteilte. Da galt es denn, Widerstand zu leisten, und man leistete ihn. Die Universitäten Köln und Ingolstadt wurden Mittelpunkte desselben. Dort gab vornehmlich der Professor und Ketzermeister Hogstraten, hier der Disputierkünstier Johann Eck den Ton an. Die Mönche aller Farben erhoben ein wütendes Geschrei gegen die Neuerer, um die öffentliche Meinung zu verwirren. Wie das herkömmlich und üblich, schrien gerade die liederlichsten Pfaffen am lautesten, daß Religion und Moral in Gefahr sei, daß der Humanismus alles Heiligste und Ehrwürdigste umzustürzen beabsichtigte. Wäre die Phrase von der »Rettung der Gesellschaft« in jener Zeit schon erfunden gewesen, die Humanisten von damals hätten sie gewiß ebensooft zu hören bekommen, wie die von heute. Übrigens ließen sie sich nicht einschüchtern. Die Oppositionsschriften folgten sich Schlag auf Schlag, und ihre Streiche waren gut geführt. Heinrich Bebel aus Justingen bei Ulm, Professor der alten Literatur zu Tübingen, der schon in früheren Schriften die Geißel der Satire gegen das alte System und dessen Vertreter geschwungen, veröffentlichte 1506 in lateinischer Sprache seine »Fazetien«, eine Sammlung von Anekdoten, die er aus dem Munde des Volkes geholt hatte. Hier wurde der Geistlichkeit furchtbar mitgespielt, ja sogar das Dogma selber dem Gelächter preisgegeben. Ich führe einige dieser Schwänke an, weil dieselben für die damalige Volksstimmung so charakteristisch sind. Ein Franziskaner kehrte mal in einem Nonnenkloster ein, und nachdem er den Nonnen viel vorgepredigt hatte, legten sie ihn dann aus Erkenntlichkeit in das allgemeine Dormitorium. In der Nacht rief er wiederholt: »Nein, das werde ich nicht tun!« Auf die Frage der Nonnen, was er hätte, antwortete er, ihm sei vom Himmel eine Stimme gekommen, die ihm befehle, bei der jüngsten Nonne zu schlafen, um einen Bischof mit ihr zu zeugen. Da führten ihm die Nonnen die jüngste zu; allein diese sträubte sich anfangs. Die anderen tadelten sie, sagend, sie an ihrer Stelle würden sich nicht weigern. Endlich fügte sich die Nonne, aber nach neun Monaten gebar sie ein Mädchen. Der Mönch, hierüber von den Nonnen zur Rede gestellt, gab zur Antwort, das sei die Strafe Gottes, weil sich die Nonne anfänglich des frommen Werkes geweigert hätte. – Das Sprichwort: Wenn die Mönche reisen, regnet es, – legte ein Bauer so aus: Die Mönche haben stets schwere Dünste im Kopfe von dem vielen Wein, welchen sie trinken; diese Dünste werden dann von der Sonnenhitze herausgezogen und steigen in die Luft, wo sie zu Regenwolken werden. – Es kam jemand in ein Kloster und fragte hier einige Novizen, ob sie keine Weibsperson da hätten. »Nein,« antworteten die Gefragten, »solange wir nicht heilige Väter sind, ist es uns nicht erlaubt.« Die Geschichtchen gehören noch zu den unschuldigsten. Der Volkswitz wagte sich aber auch an die göttlichen Personen selbst. Als die Dreieinigkeit über die Erlösung des Menschengeschlechtes beratschlagte und es sich darum handelte, wer das Werk übernehmen sollte, habe Gott Vater gesagt, er sei zu alt dazu; der Heilige Geist habe geäußert, ihm sei seine Gestalt hinderlich, denn es käme ja ganz lächerlich heraus, wenn er als Taube ans Kreuz geschlagen würde. So mußte denn Gott der Sohn gehen, allein nach seiner Zurückkunft in den Himmel hätte er seinen Vater gebeten, ein andermal lieber den Heiligen Geist zu schicken, denn dieser könnte doch davonfliegen, wenn ihn die Juden martern wollten. Feiner und methodischer als Bebel in seinen übrigens sehr wirksamen Fatezien mischte Erasmus die Farben volksmäßiger Satire in seinem »Lob der Narrheit«, welches er 1508 verfaßte. Er legte den Hauptton auf die Verspottung des scholastischen Blödsinns. »Was wissen,« sagt er, »die scholastischen Theologen nicht für Geheimnisse zu erklären! Durch was für Kanäle die Pest der Sünde in die Welt gekommen und auf welche Art und Weise und in wieviel Zeit Christus im Leibe der Jungfrau zur Zeitigung gelangt? Ob in der göttlichen Zeugung ein Stillstand sei? Ob sich Gott mit einem Weibe, mit dem Teufel, mit einem Esel, Kieselstein oder Kürbis persönlich hätte vereinigen können? Wie der Kürbis gepredigt und Wunder getan haben würde? Was Art er hätte gekreuzigt werden müssen?«

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Nr. 10. Gravelot, Der Beichtvater.

Auf diese und andere derartige Angriffe konnte die Gegenpartei nicht schweigen, und es entbrannte daher die literarische Fehde an allen Orten und Enden. Freilich griffen die Römischen die Sache meist ungeschickt genug an. So verklagten die Straßburger Augustinermönche den Humanisten Wimpfeling beim Papste, weil er in einer seiner Schriften gelegentlich geäußert hatte, der Kirchenvater Augustinus hätte auch keine Kutte getragen, und machten sich dadurch bloß lächerlich. Ernsthafter wurde der Streit Reuchlins mit den Kölner Dominikanern, obgleich er sich an ein ganz elendes Subjekt, an den zum Christentum übergetretenen Juden Pfefferkorn knüpfte. Dieser hatte sich nämlich an den Kaiser Maximilian gewandt mit dem Ansinnen, alle hebräischen Bücher verbrennen zu lassen, ausgenommen die Bibel. Der Kaiser forderte von Reuchlin ein Gutachten über das Begehren, und dieses Gutachten, welches man unbedenklich die erste Streitschrift zugunsten der Judenemanzipation nennen darf, fiel sehr zur Beschämung Pfefferkorns und der hinter ihm stehenden Kölner Fanatiker aus. Verschiedene Schriften wurden darauf zwischen den streitenden Parteien gewechselt, bis es so weit kam, daß Hogstraten in seiner Eigenschaft als Ketzermeister den Reuchlin der Ketzerei anklagte und ihn 1513 zur Verantwortung nach Mainz zitierte. So hoffte man den Reformbestrebungen einmal einen recht empfindlichen Schlag zu versetzen. Aber man verrechnete sich. Alle Vernünftigen in Deutschland, und es gab deren denn doch eine gute Zahl, stellten sich auf die Seite Reuchlins, und die gewichtigsten Stimmen wurden für ihn laut. Als Vorkämpfer der humanistischen Kohorte ließ Hutten die tönenden Pfeile seines Wortes in den Pfaffenknäuel hineinschwirren. Dann ging aus den Kreisen der Humanisten eine Satire hervor, die bis jetzt in Deutschland noch nicht wieder ihresgleichen gefunden hat, die »Briefe der Dunkelmänner«, deren erster Teil 1516, deren Fortsetzung das Jahr darauf erschien. Wie von mehreren epochemachenden Streitschriften alter und neuer Zeit hat man auch von diesen den oder vielmehr die Verfasser nie mit zweifelloser Bestimmtheit ermitteln können; doch hat die neuere Forschung wahrscheinlich gemacht, daß der erste Teil der Dunkelmännerbriefe, welche ein jubelndes Gelächter über Deutschland hinschallen machten und zum Siege der Humanisten über die Scholastiker unendlich viel beitrugen, von Johann Crotus verfaßt worden sei, der Peter Eberbach und Hermann von Nuenar zu Mitarbeitern hatte; zum zweiten Teile dürfte Hutten beigesteuert haben. Die Form der Briefe schon ist vortrefflich gewählt; sie sind angeblich von Anhängern des alten Systems an einen Professor der Theologie zu Köln, einen gewissen Ortuin Gratius geschrieben, und zwar in einem wahrhaft klassischen Küchenlatein. Der Inhalt dieser Streitschrift ist eine ganz köstliche Persiflage auf die scholastisch theologische Sippschaft mit ihrer Unwissenheit, ihrem gelehrten Unsinn und ihrer offenen oder heimlichen Sittenlosigkeit. Kurz nach dem Erscheinen der vernichtenden Satire vollendete das schwere Geschütz ernster Logik, welches der wackere Pirkheimer in seiner »Apologie Reuchlins« gegen die scholastische Bande spielen ließ, die Niederlage derselben und den Sieg der Humanisten, so daß Hutten in seinem »Triumph Reuchlins« in die frohlockenden Worte ausbrechen durfte: »Da, ihr Deutschen, habt ihr den Triumph Kapnions (Reuchlins), den ihr den Zähnen der schändlichsten Menschen, der Theologisten, entrisset. Freut euch denn und klatscht in die Hände! Denn vernichtet ist die Mißgunst erbärmlicher Menschen, gezähmt die unbändige Wut verräterischer Schurken. Geachtet werden die Studien, die Wissenschaften dem Untergange entzogen, die Tugenden belohnt. Nach langer Blindheit ist Deutschland endlich wieder sehend geworden. Es erstarken die Künste, es kräftigen sich die Wissenschaften, es erwachen die Geister, verbannt ist die Barbarei. So nehmt denn den Strick, ihr Theologisten! Und ihr, meine Kampfgenossen, wohlan, drauf und dran! Der Kerker ist gesprengt, der Würfel geworfen, zurück können wir nicht mehr. Den Dunkelmännern habe ich den Strick gereicht: wir sind die Sieger!«

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11. Giovanni Boccaccio.

siehe Bildunterschrift

Nr. 12. Titelkupfer zum Dekameron.

 


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