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VI.
Die Kindtaufe.

Die Wirkung dieser letzten athembeklemmenden Scene war nun in den verschiedenen Gemüthern verschieden. Frau Sigbritte, an ihrem liebsten Wirken erschüttert, faßte einen grimmigen Haß gegen den Erzbischof Erik, und – machte den Ablaßkram und das Pfaffenthum im Reiche verhaßt, was eine entscheidende Folge hatte, da Luther in Sachsen aufgetreten war. Torbern ergriff inniges Leid um Düvecke, die schwieg wie zuvor. Er hätte sein Leben gelassen, um sie zu erlösen aus der Hand des Königs oder der Mutter, deren Opfer sie war. Diese merkte seine Stimmung, und zu Zeiten auch manchmal gerührt durch die Freudelosigkeit ihrer Tochter, da sie frohlocken sollte, wie sie meinte, ließ sie ihr den Umgang mit ihrem einzigen Freunde, mit Torbern, nach, begünstigte diesen wo sie nur konnte, ja, sie äußerte einst, daß sie ihm ihre Tochter heimlich zur Frau geben wollte. Was dann werden sollte – wußte sie jetzt noch nicht, und ließ es im Unbestimmten. Am gefährlichsten ward diese Nachwirkung in dem Geheimschreiber Hans Faaburg. Denn dieser vierschrötige Mann fühlte sich schon dadurch an seiner Ehre gekränkt, daß der König die schöne Düvecke auf seinen Namen verführt hatte. Auch war der Eindruck der liebenswürdigen Gestalt und des holdseligen Wesens der jungen Königin Isabella auf ihn nicht ausgeblieben. – Etwas schön nennen und sagen: ich liebe es, ist einerlei – war seine Aeußerung. – Denn es ist erst ein Kennzeichen eines vollständig gebildeten Geistes, daß er die Schönheit als etwas Selbstständiges, Geschlechtsloses, von gemeiner Liebe Geschiedenes betrachtet, daß er darum erst alles Schöne anschauen und verehren kann, weil er, zu voll von dessen Bewunderung, in nichts Einzelnes seine Leidenschaft verborgen – sich darein verliebt hat. Ein Verliebter ist nicht fähig, das Schöne würdig zu sehen; er sieht nur Gegenstände seiner Begierden. Ueber diese aber war nun eben Hans Faaburg's Liebe noch nicht erhoben, sondern sie steckte noch darin wie die fruchtbringende Aehre im wankenden Halm oder die hundertblätterige Rose in der verwickelten bitterduftenden grünen Knospe. Weder sich selbst noch Andern glaubte er eine Schmach oder ein Unrecht anzuthun, wenn er sich in Jemand verliebte. Was sollte es also der Königin schaden, wenn er ein Thor sei! Das sei Jeder nur auf eigene Hand und Gefahr. Er meinte der Königin aber sogar zu nutzen durch seine heimliche Gunst, die er nicht anders auslassen konnte, und den Umgang des Schloßhauptmanns Torbern mit Düvecke dem Könige bei schicklicher Gelegenheit pflichtschuldigst vorzutragen – nicht nach. Denn an Beobachten und Ausforschen laut seines Amtes gewöhnt, trug er die Amtsaugen und Amtsohren, sogar die Amtsnase auch in gemeiner Stadt und in Häusern umher, und der Erzbischof Erik von Walkendorp theilte ihm Vorfälle aus Obslo und Vermuthungen aus Bergen mit, die ihm seinen Vorgesetzten, den Schloßhauptmann Torbern, für reif zum Fallen erscheinen ließen. Und Düvecke hatte gelacht ... und Torbern hatte ihn zu ihr geführt – um ihn auslachen zu lassen und ausgelacht zu sehen! Außer in der Herzens- oder Lieblingssache glaubte Faaburg dem König auch noch in seiner Haupt- und Sorgensache sehr nützlich zu sein, wenn er Torbern's Bestrafung von einer andern Seite herbeiführte, da die von Oxe zu den ausgebreitetsten Familien gehörte, die überall mächtigen Anhang hatte und die geheime Unzufriedenheit im Lande nicht nur theilte, sondern mittheilte. Denn der König hatte nach seines Vaters Tode Alles nach seiner strengen selbstwilligen Denkungsart verändert, um zu uneingeschränkter Gewalt zu gelangen, die Bezwingung und Vernichtung der Hansestädte ins Werk zu setzen und sich des Reiches Schweden zu bemächtigen, dessen Regierung die Stände desselben seinem Vater oder ihm zu übergeben angelobt, oder jährlich dreizehntausend stockholmische Mark, als den Geldnutzen des Königseins in ihrem Lande. Er hatte, um nur in Dänemark und Norwegen gehuldigt zu werden, eine Kapitulation beschwören müssen, welche die Handfestningen enthielt, damit das Haupt des Reiches blos nutzen, aber nie schaden könne, und die Reichsräthe hatten ihn dadurch auf's Aeußerste beleidigt, so daß er keinen Rath zu Rathe zog, keinem Widerspruch, Vertraulichkeit und Zutrauen schenkte oder erlaubte und die geringste Beleidigung Seiner Majestät furchtbar bestrafte. Alles im Gegensatz seines, die Verhältnisse schonenden Vaters, der Alle daran gewöhnt hatte, den König gerecht zwar immer, doch immer auch liebreich zu sehen. Dazu war er in seinen Entschlüssen wankelmüthig, unvorsichtig, übereilt und dennoch hartnäckig, also Schaden-, ja Verderben-bringend und dem Verderben selbst schon geweiht. Dagegen galt Sigbritte Alles, welche er den Reichsräthen das Ruder des Staats aus den Händen reißen ließ. Jeden Vorfall bestrafte sie in der ersten Hitze sogleich mit den heftigsten Strafen und Beleidigungen, ohne zuvor die wahre Beschaffenheit der Sache zu untersuchen, und bändigte niemals den angebornen Jähzorn, die Rachbegierde alter Weiber, die unversöhnlich sind, noch selbst den Blutdurst und den heftigsten Haß gegen Alles, was nicht gemeines Volk war, das nichts auf sich habe! Dagegen waren ihre Reichsräthe herumschweifende Barbiere und Marktschreier, und wer irgend einmal davon gehört hatte, daß ein Reich regiert werde oder regiert werden müsse. So stimmte denn diese Reichsverweserin von Dänemark – wie Sten-Sture Reichsverweser in Schweden war, ohne Nebenkönig – den König Christian immer gefährlicher, und seine vom Vater geerbte Schwermuth vollendete die Stimmung. So war er denn unbewegt, stolz und feindselig gegen Alles, was ihm widerstand. Er brach die beschworenen Handfestningen; denn er legte einen hohen Zoll auf alle eingeführten ausländischen Waaren, was alle Hansestädte erbitterte, und verbot den deutschen Kaufleuten den Ankauf von Ochsen und die Einfuhr derselben in ihr Land, was die dadurch um ihre jährlichen Einnahmen gebrachten Gutsbesitzer der Sigbritte zuschrieben, welche überdieß eine große Schaar niederländischer Bauern von Waterland kommen lassen, und ihnen unter Ertheilung großer Freiheiten das Dorf Magleby auf Amager eingegeben, wo sie außer Acker- und Gartenbau, den Gänsefang und Gänsehandel einführen und betreiben sollten. Ja, es wurden Seeleute ins Eismeer geschickt, um den Weg nach den unschätzbaren ostindischen Inseln zu entdecken. Und nie ward Rechnung von einem Pfennig abgelegt, was Faaburg selbst am liebsten war, da sehr vieles Geld durch seine Hände floß – und Torbern hatte Rechnung von ihm verlangen wollen! Frau Sigbritte muß also gestürzt werden, wenn Torbern fallen sollte. Und unregelmäßige Liebe ist eifersüchtig, denn sie weiß, daß sie selbst nicht ehrlich ist. Vielleicht also reichte ein zugeflüstertes Wort hin! Auch erhielt Faaburg von unbekannter Hand eine schwere Rolle Gold, mit den Worten im Umschlage: »Thue das, so wirst Du leben. Es sind noch viele Stücke mit demselben Stempel geprägt.« –

Also noch mehr sollte er erhalten! Er war also nicht ohne heimliche Freunde und Unterstützer. Aber näher besehen, schien ihm die Weisung von Torbern's verstellter Hand. Das Gold war der Farbe und dem Gepräge nach – schwedisch. Er bedurfte es, und meinte, es sei vom Reichsverweser Sten-Sture, der dem Könige das Reich vorzuenthalten angeklagt und von den Bischöfen, welche diese Angelegenheit untersucht hatten, mit dem Banne belegt worden war. Und der König wollte in den schwedischen Krieg! –

Lange Zeit wagte Faaburg kein Wort. Endlich sahe er eines Tages den König, der eben von Düvecke höchst aufgebracht in sein Kabinett gekommen, sehr mitleidig an, und je länger er ihn ansah, je mitleidiger erschien sein Blick, bis er gefragt wurde, »warum er so erbarmungswürdig und jämmerlich aussähe?«

»– Ach!« seufzte er, »ich kann nicht länger schweigen! es drückt mir mein redliches Herz ab.«

»Nun so rede!«

»Und sollte es mein Leben kosten ....«

»Du weißt, ich verspreche nichts vorher, und halte nachher, was ich will; denn wenn Jemand frei sein soll, so muß es der König sein. Also – je nachdem die Sache sein wird!«

»Ich sollte freilich lieber schweigen. Aber meinen immer gnädigen Herrn so betrogen zu sehen, wo ....«

»Betrogen? – möglich! Vielleicht auch von Dir! –«

»... wo Er auf Felsen gebaut zu haben glaubt – – aber Weiber sind keine Felsen ...«

»Düvecke ausgenommen und mein Weib.«

»So erlaube mir mein gnädiger Herr zu schweigen von ...«

»Wohlgethan!«

»... aber Torbern trägt eine alte Schuld ....«

»Du meinst – er hat mich einmal ermorden wollen? – Ungewiß! Meinen Verdacht bestraf ich nicht an Andern.«

»Aber nicht mehr Verdacht, sondern sehr viel mehr als blos verdächtig ist seine Liebe zu ....«

Faaburg brach ab, und las in des Königs Augen. Dieser aber schwieg, vielleicht um zu hören, und schien ganz gleichgültig. Und so fuhr er fort: »Seine begünstigte Liebe ... die Mutter will sie ihm heimlich vermählen. – Nun habe ich meine Pflicht als Geheimschreiber erfüllt, der geheim gedacht, geheim bemerkt und jetzt auch geheim – doch deutlich – gesprochen hat. Untersuchen Sie meine Worte ... und dann ...«

Der König war noch gelassener geworden; er blieb ruhig im Lehnstuhl sitzen, hatte Papiere ergriffen, angefangen sie zu lesen und gab ihm jetzt das Zeichen zum Dictiren.

Faaburg setzte sich, wie es der König immer begehrte, mit dem Gesicht von ihm abgewandt, an den Tisch in der Brüstung des Fensters, legte Papier zurecht, tauchte die Feder ein und erwartete mit Herzklopfen und innigem Frohlocken das gewisse Todesurtheil Torbern's.

»Zuvor muß ich noch sagen,« sprach der König, »was ich halte, das entreißt mir Niemand. Was ich liebe, das ist mein – und keines Andern. So kenne ich mich, und Wen ich meine. Jetzt schreib!« Und nun dictirte er:

»Dem Schloßhauptmann Torbern Oxe.«

»Du sollst die Rechnungen des gewesenen Geheimschreibers Hans Faaburg untersuchen, und wenn ihm an Gelde fehlt, was nach dem Gesetze einem Veruntreuer königlicher Gelder den Strang verdient, so soll er gehangen werden.«

» Christian.«     
»Gegengezeichnet:
Hans Faaburg

Faaburg hatte mit Zittern und Beben zögernd sein eigenes Todesurtheil geschrieben. Nur am »Faaburg« fehlte der sonst immer fröhlich, ja übermüthig daran befindliche Zug des manu propria. Anfangs hatte er den Befehl für eine bloße Androhung künftiger Strafe gehalten, dann waren ihm seine Schuld und seine Schulden eingefallen, und er hatte nicht mehr eingetaucht, selbst das Papier und die Sonne draußen vor dem Fenster nicht mehr gesehen, und als ihm der König darauf befohlen, das Blatt sogleich selbst zu Torbern zu tragen und sich dann als Delinquent in das bekannte Gefängniß zu stellen, zu setzen oder zu legen – da war er todtenblaß geworden, mit dem Kopf auf den Tisch gesunken und die Kehle war ihm wie zugeschnürt. So lag er. Endlich kam er zu sich, er wollte sich dem König zu Füßen werfen, um Gnade bitten – er stand auf, er sah sich um – der König war fort – der Befehl war fort, und in die Thüre trat die Wache, der er besinnungslos zu Füßen fiel und die ihn forttrug.

Seine Untersuchung wurde ganz im Geheimen betrieben. Seine Schuld hätte, ihrer Stärke nach, ein Schiffstau verdient – wie der König zu Torbern sagte, der ihm das Urtheil vorlegen mußte – aber es mag bei dem Strange bewenden. –

Nicht schonender wurden auch Hofbediente der Königin bestraft, welche sich ihr zu Liebe und Gunst theils über des Königs Verbindung mit Düvecke aufgehalten, theils das arme Mädchen selbst getadelt. Die verhängten Strafen waren für Manche noch ärger als der Tod; denn den Geizigen und gern Reichen wurden die Güter eingezogen; Die, welche an der liebenswürdigen sanften Königin hingen oder die Stadt und das Vaterland liebten, wurden des Landes verwiesen. Denn wenn der König auch nicht, wie er wohl konnte, seine Gemahlin Isabella glücklich machen mochte, so wollte er sie doch auch nicht unglücklich wissen durch Kunde von seinem Umgange, weil die meisten Thränen um Schuld und Fehl der Männer vergossen werden, und keine Thränen bitterer sind, als die ein betrogenes gutes Weib weint. Da Isabella nun Faaburg lange nicht gesehen, fragte sie ihren Gemahl freimüthig und unbefangen nach der Ursache. Er aber zeigte nur mit dem Finger zum Fenster hinab, an welchem sie standen, und unter welchem derselbe, jetzt schon entfernter, hingeführt ward, und sagte nur lächelnd: »Er hatte sich in Dich verliebt, mein Kind!«

»Mein Gott! – Faaburg!«

»Siehst Du! er rührt Dich doch! Ein Verliebter ist immer gefährlich, auch ein ofengroßer unansehnlicher und kaum angesehener Faaburg. Denn Alles hat seine Zeit, auch jeder Mensch. Und Du sollst mir ohne Fehl und Verdacht, selbst ohne Nachrede und Nachliebe sein; denn es macht ein Weib lächerlich, von einem Lächerlichen angebetet zu sein. Laß ihn nun beten, zu Dem er es Ursache hat, denn er hat viele Menschen betrogen.« –

So ließ er sie am Fenster stehen und nachsehen. Sie war hoch erröthet. Und wenn etwas Erfreuliches in diesem Herben lag, so war es für sie die Betrachtung, daß ihr Gemahl so sehr auf sie halte, wie treu er ihr sei und sein müsse, da er solche Worte zu ihr gesprochen, wenn er auch sonst sich so gut wie gar nicht um sie bekümmerte, und sie ohne Kinder – ohne ein einziges Kind, meist einsam und in Gedanken saß. – Faaburg, der arme Faaburg, hatte sich in sie verliebt – und sollte darum gehangen werden, dachte und fühlte sie jetzt voll unerträglicher Unruhe und Angst. Und aus jenem den Frauen angeborenen Drange, das Furchtbare und Gefährliche mit anzusehen – vielleicht um dabei des eigenen Lebens und Wohlseins recht froh zu werden, wie bei den Thier- und Ritterkämpfen und Stiergefechten, – ging sie mit ihrer Kammerfrau, einfach gekleidet, unter das Volk, nicht ahnend, daß heut eine kleine Tochter ihres Mannes im Hause der Frau Sigbritte getauft werden sollte, da man die kleine stille Hausceremonie durch das öffentliche Schauspiel für am besten gedeckt gehalten.

Der traurige Zug mit Hans Faaburg war vor der Menge des Volkes in Stocken gerathen; das wogende Gedränge nahm immer zu, und Isabella ward schnell von ihrer Begleiterin getrennt, eben als sie an eine Ecke gelangt. Rufen wäre vergeblich gewesen, besonders da keine der andern Namen rufen und diese sich verrathen wollte. Sie standen sich vielleicht noch in der Nähe, aber ihre Blicke trafen sich nicht. Um nun von den Tritten unachtsamer Füße und roher platzsüchtiger Ellenbogen nicht noch mehr zu leiden, rettete sich Isabella in den Laden, der im Eckhause befindlich war, das Düvecke's Wohnung gegenüber lag. Die Königin war wenig bekannt und jetzt nicht zu kennen noch zu vermuthen; denn ein Weib ist ein Weib, die Natur hat keinen Unterschied zwischen jenen gemacht, welche die Menschen im Palast und mit der Krone auf dem Haupte Königin nennen, und zwischen jenen, welche sie im Bauerhof und mit schlichten Kleidern Bäuerin schelten. Das freundliche Wesen der lieben jungen Frau und ihre Angst und Furcht dabei gewannen ihr aber die Aufmerksamkeit der dicken Krämerin in dem Laden, welche heut, von Kunden und Hausgenossen verlassen, allein darin auf dem erhöhten Sitze im Fensterbogen saß.

»Hier ist ein Platz noch für Sie, liebes Kind! Kommen Sie her!« sprach die Alte und schlug mit der fleischigen Hand auf das Polster ihr gegenüber.

Isabella setzte sich zu ihr.

»Aber zu sehen ist nichts! durch die Rücken und Köpfe kann man nicht sehen; doch vorbei ist der arme Mensch kaum, denn er muß durch die lange Hauptstraße herum, und drüben sehen die Leute noch erst entgegen, selbst unsere Frau Reichsverweserin sieht einmal heraus.«

»– Die Reichsverweserin?« frug Isabella.

»Nun ja! die Frau Sigbritte; Sie sind wohl nicht lange hier, oder gar fremde, liebes Kind! sonst müßten Sie ja die rechte Hand unsers Christian kennen, oder sein Haupt – denn die Tochter ist sein Herz.«

»Christian! welcher Christian?« frug Isabella betroffen.

»Nun, unser Aller allergnädigster Christian, oder der König;« antwortete die Alte sich bekreuzigend.

»Der König?« frug die Königin wieder.

»Ja doch, ja! Heut können wir laut reden, denn der arme Geheimschreiber Hans Faaburg muß auch nur seinen besten Hals darum geben, weil er zu viel geredet. Nur die Großen dürfen den Großen die Wahrheit sagen; was die Kleinen sagen, ist Lüge und bekommt ihnen übel bei ihnen; aber alle Kleinen haben sie darum auch desto lieber.«

»Nun was hat er denn gesagt?« frug Isabella.

»Sie sprechen mir so gewiß mit niederländischem Munde!« entgegnete die Dicke. »Hat Sie Frau Sigbritte vielleicht mit lassen aus den Niederlanden kommen, als ... ich weiß freilich nicht als was – aber Sie wollen mich doch nicht ausfragen? liebes Kind! Ich bin zu dick und schwer zum Strick, und Sie thun mir auch selber zu ängstlich. Nehmen Sie mir es nicht übel! Es steht einmal übel im Lande, und schlechter Anfang nimmt kein gutes Ende!«

»Ich bin die ehrlichste Frau von der Welt,« sprach Isabella fast mit Thränen; »aber was hat der Faaburg gesagt?«

»Der Torbern wolle seine Düvecke heirathen.«

»Seine?«

»Nun ja, des Königs ... Düvecke. Der Name klingt besser als ihr Titel beim Volke. Es ist eine Schande!«

»Düvecke?« frug Isabella immer bleicher und zitternder, aber sich haltend, so viel als möglich.

»Wenn sie nur auch an das Fenster käme, da könnten Sie sie sehen! Es ist eins der schönsten niederländischen Mädchen, die ich all' mein Lebtage gesehen, das muß wahr sein!« sprach die Dicke; »aber es bleibt eine Schande! denn unsere blutjunge Königin soll auch ein herzensgutes, gar sauberes Weib sein! – Sie lächeln? aber so niedergeschlagen! Mir wäre es auch nicht recht! Der Thron will Erben – das Land will Kinder und eine Frau auch. Unsere Frau Isabella hat noch keines gewiegt – und die Düvecke wiegt zu ihrem Unglück jetzt schon das zweite; es ist ein Mädchen; wie ich gehört habe, ist heute Kindtaufe da drüben. Da hat sie gewiß mit dem Kinde zu thun und kann nicht zum Fenster hinaus sehen. – Aber sehen Sie! schnell! – da war sie! das war sie!« –

Isabella saß ohne Regung da, von Schmerzen zerrissen, und hatte, statt jetzt zu sehen, die Augen vor Scham geschlossen; aber unter den Augenliedern quollen Thränen hervor.

»Was ist Ihnen? mein Kind!« frug die Alte zwischen Lachen und Angst. »Was ficht Sie an? Was geht das mich und Sie an – Gott sei Dank, nichts! Laßt den Großen ihre Freuden und uns laßt ehrliche Leute sein und bleiben wie wir gewesen, seit Seeland eine Insel ist! Ich habe meinen alten Mann noch so lieb, als wäre er zwanzig Jahre, und meine siebzehn Kinder und Enkel erwürgen mich bald vor Liebe! Ich muß mir alle Taschen vollstecken, daß jedes was findet, wenn sie die Großmutter aussuchen! So geht es, knapp, doch voll Freuden, bis sie mich tragen! Ich gebe redlich und reichlich Gewicht und verkaufe rechtschaffene Butter und Käse – und so wird mir der liebe Gott wieder wiegen himmlische Manna und Labsal der Frommen! Amen! Aber, mein Kind, wenn Ihnen nicht wohl ist, da steht ungarisch Wasser, ich will Sie anstreichen, oder streichen Sie sich selber an! Ich kann so was gar nicht gut! Hat Sie der Delinquent so angegriffen? Nun, darum wird ja gehangen! Oder haben Sie sonst etwas auf dem Herzen? Reden Sie doch! Ist es vorüber? Nicht wahr, es ist besser!«

»Ja!« sagte Isabella mit erzwungenem Muthe, und sie mußte sogar lächeln über das Ja, daß ihr besser sei. Sie fühlte sich aber von ihrer vermeinten Höhe und Größe, von ihrer Jugend und Schönheit, von ihrem beneideten Zustande bis unter das Glück dieser alten dicken Frau gesunken, und sie drückte ihr mit dem kleinen zarten Händchen voll Gönnen des Glückes die volle fleischige Hand. Also darum hatte sie so einsam leben müssen am Tage! so verlassen die Abende! Darum entbehrte sie, weil eine Andere es hatte, was sie wünschte – Gemahl und Kinder!

Aber sie mußte ihre schöne Feindin doch einmal sehen, sie mußte seine Kinder doch einmal an ihren Busen drücken, und koste es ihr das Herz; denn die Ruhe konnte es nicht mehr gelten. Vielleicht gab es ihr Ruhe und stilles Bescheiden wieder. Sie sagte also mit dem Tone der Wahrheit kleinlaut zu der Alten: »Sie haben nicht ganz Unrecht, mich drückt wohl etwas sehr, so jung ich bin, denn ich bin schon eine Wittwe, oder mein Mann will mich dazu machen – oder sich zum Wittwer – o Gott! und wenn ich wüßte, daß die da drüben mir könnten behülflich sein, und ein gutes Wort für mich bei meinem ... und unserem Könige einlegen, so faßte ich wohl den Muth hinüber zu gehen! Da ihnen der liebe Gott heut so viele und große Freude vom Himmel bescheert, vielleicht gönnen sie mir einen Tropfen! Ist das älteste Kind ein Knabe oder auch ein Mädchen?« setzte sie leiser hinzu.

»Ein schon recht hübsches Hänschen!« sagte die Alte. »Aber Ihr Gedanke ist gut. Gehn sie hinüber mit Gott, sobald nur der Weg frei ist. Der Herr ist nicht da, denn solche Herren kümmern sich um dergleichen, als Kindtaufe und so weiter, dann nicht. Und Zutritt hat alles Gesindel, Zigeuner und Hexen, Pfaffen und Christen, und Sie gewiß viel eher. Und die Düvecke ist gut, recht gut! Unsere gnädige Königin Isabella läßt auch durch sie fast tagtäglich große Wohlthaten unter die Armen austheilen, und alle Bettler kommen fröhlich aus dem Hause und segnen die Königin für ihre Milde! – Düvecke behält also gewiß nichts von dem Gelde und den Gaben, welche die Königin gewiß deswegen durch Düvecke's Hand austheilen läßt, damit ihre Sünde des Ehebruches geringer werde.«

Isabella sich nicht bewußt, daß sie dergleichen Wohlthaten ausspende, erröthete fast vor Beschämung. Sie ließ ihren Schleier nieder, und hätte es lieber beweint, daß seine Düvecke so gut und wohlthätig sei, wenn sie sich nicht dieser Thränen geschämt.

Der dumpfe Lärm auf der Straße unterbrach jedes weitere Gespräch; und als endlich die Menge bis auf einige nachlaufende Buben vorübergewogt und sie Muth und Besonnenheit – wie sie meinte – wieder erlangt, schwebte oder schwankte vielmehr das edle Weib, welches das Unglück übernommen, das ihr Andere bereitet – »wie der Herzog gemeint« – in das Haus hinüber, so leis, als solle sie Niemand hören, und so mit eingezogenen Sinnen, wie die Schnecke mit eingezogenen Fühlhörnern, als könne sie sich dadurch unsichtbar machen.

Niemand hielt sie im Hausflur auf; Niemand begegnete ihr auf der Treppe; sie sah Niemanden auf dem Saale. Sie mußte sich erinnern, welche mächtige Verwandten sie habe, unter deren Schutze sie hier in der Ferne so sicher ging, wie an goldenen Ketten geleitet. Und doch stand sie angstvoll mit klopfendem Herzen, und die höchste Freude und der stechendste Schmerz durchzuckten sie, als ein kleiner Knabe mit goldenen Locken und rosigen Wangen aus der nur wenig geöffneten Thüre sah, heraussprang, sie an der Hand faßte und bat: »Wenn Du was willst von meiner Mutter oder von meinem Herrn Vater, komm nur herein und fürchte Dich nicht! Meine Mutter putzt die kleine Isabella an! Das sollst Du einmal sehen! Bei uns ist heute Taufen! Ich kann es schon und habe es Vormittags mit den Kindern gespielt. Komm nur herein! Ich bitte Dich! Ist es aber was Wichtiges, so stecke Dich nur hinter die Großmutter: die hilft Dir gewiß aus der Noth. Sie ist aber jetzt im Garten, nach den kleinen Bettchen!«

So freundlich bittend zog sie der Kleine hinein.

Drin im Zimmer war sie angenehm überrascht. Es war die Wohnung einer anscheinend glücklichen Mutter, die heut ihr schönstes Fest begeht, und ein Geheimniß der Liebe, ein Werk der heiligen Natur, das sie verborgen durch all' ihrer Kräfte Wunder gebildet, den Menschen zeigen und es einweihen will zu einem frommen Leben auf der Erde, die es für kurze Tage betritt. – Hier hingen breite bunte Bänder über die grüne Lehne des Sessels; dort saß ein Spitzenhäubchen auf einer angegossenen Flasche Wein, daraus sie das Kleine gewaschen, und selbst in dem noch halb vollen Weinglas standen einige Blumen, die wahrscheinlich der kleine Hans darin aufbewahrt und die er zuvor dem Schwesterchen gebracht.

»Sehen Sie nur den kleinen Schelm,« sprach Düvecke zürnend und doch lachend, »hat er nicht dem kleinen Windelkinde das ganze kleine Mündchen voll Zuckerbrot gesteckt aus Wohlmeinen! – Aber das Kind wäre bald erstickt – und ich wäre vor Schrecken und Kummer gestorben! Da sehen sie nur, wie es schläft!«

Düvecke ging auf leisen Zehen zur ruhenden Wiege, hob mit den Fingerspitzen den Schleier empor, und darunter blühte im Schlaf ein liebliches Mädchen. Diese ward es nicht müde, es zu zeigen, Isabella nicht müde, es zu sehen, denn der Anblick zündete eine unersättliche Begierde, eine heilige Sehnsucht in ihr an. Dann sahen sich beide Frauen in die Augen, und beiden gingen sie über; dann schlossen sie sie beide und athmeten kaum. Denn einfacher und lieblicher war die Königin nie empfangen worden als mit dieser stillen Sprache der Natur und den Zeichen eines wirklich gelebten Lebens. Schöner hatte sie nie ein Weib gesehen, das tausend Mal schöner war durch den empfundenen Neid, daß sie alle das Ihre besitze oder alles Glück des Lebens statt ihrer. Düvecke ging nur in einfachem weißen Kleide, aber ihr Wuchs beklomm ihr den Athem; Nacken und Hals und Brust umfloß das weichste, reichste blonde Haar, und die blauen Augen hatten so schwermuthselig geblickt! Aber die Wangen waren so blaß wie Blüthenschnee, ihre Lippen nur leise roth wie ein weißes Rosenblatt im Purpurschein des Abends! Sie faßte so viel Reiz, so viel überdrängende Wehmuth nicht. Sie mußte sich setzen – und der Kleine brachte ihr ein großes Stück Kindtaufenkuchen auf dem kleinen Handteller, der feingewirkt und schöner und kostbarer als ein goldener Teller sanft blühte wie ein Lotus. Sie zog den Knaben zwischen ihre bebenden Kniee, in ihre Umarmung, küßte ihn unersättlich und preßte zum erstenmal ein Kind ihres Mannes an ihre stürmisch-klopfende Brust, an ihr getäuschtes, leeres Mutterherz. O, wie liebte sie ihren Gemahl in dem Kinde! Und gleich einem guten Weibe aus der homerischen Welt, wie wenig konnte sie der verwünscht-schönen Mutter desselben zürnen – weil Er sie liebte – und sie nicht! O, das war nur ein Schmerz über alle Frauenschmerzen, aber kein Haß und keine Rache – bloße bittersüße Wehmuth einer guten wahrhaft liebenden Seele.

So waren ihre Empfindungen.

Aber Düvecke hatte ihre Augen geschlossen, denn sie hatte die Königin auch in der einfachen Kleidung erkannt. Frau Sigbritte, ihre Mutter, war indeß durch das Zimmer gegangen und hatte nur die an der warmen Sonne auf blühendem Rosengesträuch im Garten gesonnten weißen Bettchen für das Taufkind leicht zu Füßen der Wiege gelegt. Das Kind war aufgewacht. Düvecke nahm es aus der Wiege auf, drückte es noch einmal fest an sich und küßte es wie mit dem letzten Kusse; dann legte sie es in die von der Mutter gebrachten weißen Bettchen, band sie mit den Bändern zu, nahm es auf ihre Arme und kniete so mit dem Kinde auf einmal vor der Königin hin und sprach mit geisterhafter Stimme, das gute Weib überraschend:

»O Königin! nehmt das Kind von mir – es ist mein – und es sollte Euer sein! Nehmt es nur einmal auf Eure Arme, Euch und mir zum Trost! Mir brennen die Hände von dem kleinen Engel, den ich nicht verdient, der so unschuldig ist, wie seine Mutter schuldig – scheint und doch nur unglücklich ist; wenn das kurz bald gesprochene Wort, das die Luft so leicht trägt wie Nachtigallengesang, ach, wenn das Wort einen Zustand ausdrückt, dessen Elend unabsehbar tief und unabwerflich schwer ist! Ich bin nur getäuscht und betrogen – wie Ihr! Aber Ihr seid nicht so elend wie ich – denn Euch fehlt nur das Glück – ein Glück, das mich zu Boden drückt! Tödtet mich und die Kinder – auch das Kind! –«

Bei diesen Worten sank das Kind mit ihren Armen auf den Schooß der Königin, und ihr Haupt sank nach und ruhte auf den Knieen der erschütterten Isabella, die kein Wort hervorzubringen wußte und doch dem kleinen Kinde zureden mußte, weil es auf einmal ängstlich und laut zu schreien zwar anfing, aber auch nicht mehr aufhörte, bis es erschöpft keinen Athem mehr hatte, dann eine Weile ruhig schien, bis es wieder jämmerlich aufschrie und nicht zu beruhigen war.

Die Königin war mit ihm aufgestanden, und sich in die Unruhe und Sorge und Angst einer Mutter träumend, ging sie mit ihm die längste Zeit im Zimmer umher und wiegte es auf den Armen und klopfte mit flacher Hand nach Weise der Wärterinnen das Bettchen, um es zu beruhigen. Umsonst. Es ward nur schlimmer; und aus Angst tanzte sie singend sogar mit ihm oder zerschlug fast mit den zitternden Fingern der rechten Hand die Scheiben des Fensters, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Umsonst. Und Düvecke lag indeß bewußtlos mit dem Gesicht auf dem Sessel, von welchem die Königin aufgestanden. Der kleine Hans weinte und hing sich bald an die Mutter, bald in die Gewande der Königin, deren Angst immer stieg. Das Kind schrie noch einmal auf aus seiner Erstickung, dann war es ruhig und hatte keinen Athem mehr; denn es ward blaß, es streckte sich aus – es ward steif wie von Holz in dem Bettchen; – sie stand – sie sahe – sie horchte – es athmete nicht mehr – – das Blut schoß ihr ins Gesicht – sie starrte – sie hörte, ohne mehr zu hören – – – das Kind war todt.

»Das Kind ist todt!« rief sie entsetzt.

Auch dieses für sie gräßliche Wort hatte Düvecke nicht gehört – nur der kleine Knabe war fortgesprungen. Und so saß denn die Königin auf einem Sessel, gedankenlos und rathlos das Kind auf ihren Knieen sanft hin und her wiegend. Sie hatte die Augen zu vor dem Anblick und sie und das kleine Mädchen schienen beide nur sanft und leicht zu schlummern.

Da trat der König ein.

Sein erster Blick fiel auf die schöne Schlummernde mit seinem Kinde; und mit leisen Tritten ging er näher und blieb vor ihr stehen und sah sie lange an.

»Erwache!« sprach er mit seiner gebieterischen Stimme. »Schlage die Augen auf! Sieh' mich an!«

Isabella hatte kaum den Muth, den Kopf in die Höhe zu heben. Sie erkannte ihren Gemahl, den König. Aber gehorsam schlug sie die Augen auf und gehorsam sahe sie ihn mit ihren treuen Augen groß und unbewegt an – und die Geister spielten in diesem gegenseitigen Blicke ein geheimnißvolles Spiel des Himmels und der Hölle, und auf dem Blicke der Königin stiegen wie auf einer Brücke aus Regenbogen Engel auf und nieder; und auf seinem Blicke – wie aus der verfinsterten Sonne, die zwischen schwarzen Gewitterwolken herniederstrahlt – zuckten die Gespenster, die Reue, das Mitleid, der Betrug, der Zorn und die Wuth, aber alle gefesselt von der Scham.

Sie wendete ihr Auge, senkte den Blick auf das Kind, unhemmbare Thränen stürzten hervor; beide, Mann und Weib waren wieder aus jener Entfernung und Entfremdung der Geister auf der Erde, hier in dem Zimmer eingekehrt, und der Himmels- und Höllentraum war vorüber.

»Wie kommst Du hierher? Was machst Du hier?« herrschte er sie an. »Doch davon nachher! Gieb mir das Kind!«

Sie stand mühsam auf, kniete hin, sah nieder, hielt es ihm empor und sprach mit kaum hörbarer Stimme: »Da hast Du Dein Kind! – Das Kind ist todt.«

» Todt!« schrie Düvecke, die wieder zu sich gekommen, und fuhr dämonisch empor. Aber sie konnte nur hersehen, nicht herbeikommen, denn die Füße versagten ihr den Dienst.

» Todt!« wiederholte der König und stampfte mit dem Fuße. »Zittre!«

» Todt?« schrie Frau Sigbritte, die leise genaht war und hinter dem König gestanden. Sie riß es ihm von den Armen, legte es auf den Tisch und band seine Bettchen auf.

»Es ist todt;« sagte die Königin ruhig. »Aber ich zittere nicht. Es erstickte vor Angst und Geschrei.«

Die Bettchen waren inwendig voll Blut. Frau Sigbritte hob es daraus; aber es war keine Wunde an ihm zu sehen, und es blutete doch.

»Die Frau hat mein Schwesterchen todt gemacht!« sagte der kleine Knabe, »und ich habe ihr doch Kuchen gegeben! Aber die Mutter hat es ihr gesagt, sie soll das Kind todt machen und sie dazu! Ich hab' es gehört; und als Schwesterchen anfing zu sterben, lief ich nach Hülfe zu Euch, denn die Mutter war auch schon todt. Ach, mein Vater, mein Vater! Du kannst ja sonst Alles, Alles! Mache mein Schwesterchen doch auch wieder lebendig! Ich bitte Dich und bin Dein lieber Sohn – ich gebe Dir Alles, was Du mir gegeben hast, selber die Trommel!« – Und nun lief er herum, las die Spielsachen auf und häufte die kleinen lieblichen stummen Bilder des Lebens um das kleine, liebliche, stumme Bild des Todes.

Die Königin stand da in einem unglaublichen und doch schrecklichen Verdacht und sprach kein Wort. Aller Augen waren auf sie geheftet; nur Düvecke hatte sich über ihr Kind gebeugt, faltete ihm die kleinen noch warmen Händchen und bettete es ein wie zum Nachtschlaf, und sprach aus mütterlichem Irrsinn laut und inbrünstig und doch trostlos die jetzt erschütternden Worte: »Ich taufe Dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Geistes! Gehe ein in Deines Vaters Reich! – So kommen solche Kinder um! Früher oder später, und Niemand hoffe Freude zu erleben aus der Sünde! Gehe zu Deinem wahren Vater und meinem, weine dort nicht und klage mich nicht an, denn sage ihm, Du kleiner Engel, ich käme bald nach!«

Plötzlich fuhr sie auf: »Eine Otter! eine Otter!«

Und in der That schlüpfte eine schwarze, selber ermattete Otter, giftig und gräßlich genug für das kleine zarte Kind, aus seinen Bettchen hervor, die in der warmen Sonne auf den Hecken gelegen. Sie fiel vom Tisch auf die Erde, und der König trat ihr den Kopf entzwei. Dann sank er seinem Weibe in die Arme, die ihm wehrte. Er küßte sie auf die Stirn, aber sie wehrte ihm auch das. Denn von dem Allen im Herzen zerrissen, führte Sigbritte ihre arme Tochter fort; der König und die Königin sahen ihr nach; der Knabe stand zwischen Vater und Mutter bedenkend – dann lief er der Mutter nach, und der König seinem Knaben.

Die Königin aber stand allein im Zimmer, drückte noch einmal, sich langsam umschauend, das Bild des Ganzen und aller seiner Theile sich tief in die Seele, wie eine Scene vom fernsten äußersten Sterne, oder aus einem Geisterschloß, das sie einmal betreten und nie wieder, dann verließ sie es langsam und sahe ihren Weg kaum vor Thränen.



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