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II.
Düvecke's Flucht.

Die gegründete Scheu, ja der gerechte Abscheu des ehrbaren Mädchens vor dem als locker bekannten Herzog, schien für diesmal ganz überflüssig. Sie getraute sich nach und nach wieder in die Gaststube, weil sie gehört hatte – von ihrer Mutter – der arme Herr sei krank oder doch unwohl von der Reise zur See, weil das ungehorsame, unbezwingbare Element da mit ihm verfahre, wie es wolle, und das ärgere ihn! Sie hörte nun von den Gästen, der Herr erscheine nirgends. Nur die deutschen Kaufleute habe er vorgelassen, und ihre alten Begnadigungen des Comtoirs neu bestätigt. In Hedemarken drohe eine Empörung auszubrechen, und selbst der Bischof Karl von Hammer solle sie anspinnen und leiten wollen; und da dieser doch von des Herzogs Vater, dem König Christian I., zum Oberaufseher über den Sohn ernannt sei, so könne man denken, wie sehr der junge, trotzige, rücksichtslose Wildfang den Haß der Uebrigen verdiene!

Als nun Düvecke eines Abends allein bei ihrer Mutter saß, kam ein Offizier in seinen Mantel gehüllt herein, grüßte Frau Sigbritte lächelnd, nahm den Schlüssel zu seinem Zimmer von dem ihm bekannten Schlüsselhakenbrette, zündete das ihm bereitstehende Licht an dem Lichte des Tisches an, woran Düvecke saß, grüßte, ja bemerkte sie kaum, sondern sah auf das Licht, das nicht anbrennen wollte, und nahm dann kurze gute Nacht.

Dafür hatte Düvecke Gelegenheit gehabt, den schönen jungen Mann zu betrachten, wie sie noch keinen gesehen. Seine Erscheinung hatte sie tief getroffen – »daß sie ein Weib sei.« Sie war erröthet und saß jetzt ganz still und sann einem unergründlichen Geheimnisse nach, das ihr anbrach wie Morgenröthe eines Festtages – der Liebe. Sie war siebzehn Jahr auf der Erde; die Gestalt aber, die sie gesehen, schien sie ewig, ewig, wie einen aus dem unendlichen Himmel herwandelnden Stern erwartet zu haben, und nun war er da, aufgegangen, und das sonst nicht genug bedachte und empfundene Wunder, »daß zwei Menschen sich treffen,« war ihr ein Wunder!

Sie schwieg aber weislich, obgleich die Mutter darüber sie mit forschenden Augen ansah.

Am folgenden Abend kam der Fremde wie vor. Heute aber schien er sehr entrüstet auf das Leben am Hofe, die Langeweile, das Warten und die erbärmlichen Geschäfte, die alle Ein Fleißiger gut verrichten könnte, und die des Auslandes wegen von zehn Faulenzern schlecht verrichtet werden, weil Keiner was thun mag, und Jeder sich auf den Andern verläßt. Er setzte sich in Gedanken an den Tisch und richtete seine Worte blos an die Mutter. Da jedoch der schönen Tochter vor Allem seine Gesinnung innig gefiel, weil sie, wie ihr Gemüth, feindlich gegen den Herzog war, so schien er das desto lieber zu sagen, was ihn zu drücken schien; und so fuhr er fort: »Unser einziger allerbester König, Christian I., hat uns das liebe Söhnlein blos hergeschickt in das Land, weil er zu Hause nicht mehr gewußt, wie er ihn bändigen sollte! Zu den Wissenschaften hatte der Sausebraus keinen Gedanken; Waffenruhm, Faustthaten, das war sein Begehr. Und doch dauert mich das arme junge Blut!«

»Das meine ich auch!« schaltete Frau Sigbritte ein.

Nicht von Natur war er so eigensüchtig, und wollte Alles auf seinen Kuchen schaben, was in der Welt süß ist; und der Kuchen der Großen ist groß und ihr Messer lang. Aber seine ersten Erzieher waren Schwachköpfe, und wenn eines Kindes Gemüth in den ersten fünf Jahren nicht schon völlig gerichtet und gestimmt ist, so helfen alle spätere Helfershelfer nichts. Also sein Kern ward verdorben; denn selbstständige, selbstwollende, großherzige Prinzlein hat man nicht gern, und so verdarben ihn die Schmeicheleien und die Reizungen der Hofbedienten und Hofbedientinnen zu Stolz und – Reizen, als wären sie vom Volke oder von auswärtigen Feinden dafür mit goldenen Bergen belohnt worden! Und ob unsers Herrn Herzogs Erziehung Sr. Majestät gewiß tausend Sorgen gemacht, so war sie doch schlecht, wie ausgesucht. Denn nachdem der Kern vergiftet war, gab ihn sein mildgesinnter Vater, der ein Bürgerfreund sein und scheinen wollte, den Knaben, zu dem Bürger Hans Vogebinder in Kopenhagen ins Haus und an den Tisch, und der Chorherr George Hinze leierte ihm Etwas von der Lyra am Himmel vor – aus der neuen Lehre des wahren und bleibenden Gegenpapstes Tycho de Brahe – da doch die Sternkunde alle große Menschen klein macht, und was sie sich etwa einbilden, auf Erden Wichtiges oder Nachhaltiges vollbringen zu können, in ihrer Seele zu Baldvergangenem und Nichtswürdigem macht. Wäre der Himmel Homers nicht nahe und ehern gewesen, es hätte keinen Göttersohn Achill, oder wie sie alle heißen mögen, gegeben bis auf den heutigen Tag.

Frau Sigbritte sah ihn mit einiger Beklemmung an.

»Laßt das gut sein, Frau Sigbritte!« fuhr er fort. »Wir leben, das ist gewiß; und wir wollen leben, das ist noch gewisser. Aber der Hinze war zu schlecht bezahlt von Seiner Majestät, er konnte vom Unterrichten allein nicht leben, und nahm den jungen Wildfang in sein Haus, um neben ihm seine Nahrungsgeschäfte betreiben zu können; durch diese aber war er verhindert, ihn unter seinen zwei Augen zu haben, indem der immer neu unartige Bursche tausend Augen zum Hüten bedurfte, Tag und – Nacht, wo Aller Augen schlafen. Und so ward er die Beute derer, die auch des Nachts umherschwärmten, und ein Geselle oder Meister und Anführer der gemeinen Brut, die mit in dem Neste jeder Stadt jung wird, und vor der Zeit alt, und niemals was werth. Als ihm aber der schlaue Herr Hinze einst auf die Sprünge gekommen, mußte der junge Patron ihn nun stets begleiten, wie sein kleinerer Mittagsschatten, und in seinen Chorstunden mit unter den Chorknaben singend stehen, wo denn dem albernen Volke sein künftiger König so leid that – besonders aber darum, weil er unter armen Knaben singen mußte, die sich ihr Brot vor den Thüren ersangen – daß sich der König dadurch gerührt fühlte, und das unfolgsame Thronfolgerlein zweier Königreiche wieder in sein Schloß nahm.«

»Da war er zu Hause,« meinte Frau Sigbritte.

Aber er blieb nicht, wenigstens nur am Tage, dann schlich er aus – und wohin? überall hin! Denn Meister Konrad, welchen der Vetter Churfürst von Brandenburg ausgesucht und gesandt, war eben – ausgesucht nachsichtig, oder vermuthete vom Knaben noch nicht, so zu sagen: Junggesellenstreiche .... für welche denn der Vater höchst eigenhändig die Hetzpeitsche in Schwung brachte.

»Mein Gott, das arme junge Blut!« seufzte Sigbritte.

Freilich floß das! Nur bei dem Bischof Jens Anderson in Norwegen ward er seinem wahren Geiste und Muthe gemäß erzogen, denn dem Beldenack oder Kahlkopf – so war des staats- und kirchenklugen Bischofs Zuname – fehlte nichts als – die Haare. Und man muß gestehen, nun ja, da hat der Herzog Andern Anleitung gegeben, einige Tausend Leute zu erschlagen ....

»Mein Gott!« rief erschrocken Düvecke aus.

»Beruhigt Euch, schöne Jungfrau!« tröstete sie jener, »das geschah nur – im Kriege und gegen bloße Empörer. Aber wehe, wer ihn erzürnt und beleidigt – denn seine Rache ist wirklich furchtbar. Ich habe auch ungefähr – und wer kann das wissen – sieben bis acht in Eisen maskirte Menschen hier mit dem Schwerte erlegt ... schaudert nicht, liebes Mädchen ....«

»Ach, ich bewundere euch nur;« entgegnete Düvecke. ».... aber den Anführer der Feinde hinstrecken und halbtodt noch mit den Händen ganz todt würgen, wie der Herzog dem tapfern Herlof Hyddefad gethan, oder wie er die Besatzung des Schlosses Elfsburg – weil sie sich gar so tapfer ihrer Haut gewehrt – niederhauen lassen, das thut Faaburg nicht!«

»Schämt Euch, Herr Faaburg,« sagte Frau Sigbritte. »Ihr seid sein Geheimschreiber, und solltet dergleichen bloße Staatsaffairen nicht einmal geheim denken, geschweige laut sagen ... und hier vor dem Mädchen – Ihr wißt nicht, was Ihr mir für Schaden dadurch thut!«

»O, wenn ich so unedel dächte, erst Alles laut und offenbar zu schreiben in die Welt hinaus, da gäb' es viel andere Dinge! Ich aber schreibe sein Wesen seiner Frau Mutter zu, die auch erst mit Attestaten ihrer guten Frauenaufführung aus Stockholm nach Hause zu ihrem Manne oder Könige kam aus der Gefangenschaft. Genug, ich bin fest entschlossen – ich nehme den Abschied .... nehme mir ein braves Weib, das denkt wie ich, und bleibe ein braver Mann bei ihr und durch sie!«

Düvecke sah beschämt in den Schooß und wagte kein Auge aufzuschlagen, damit nicht ihr Anblicken ihm zu verstehen geben möchte, sie fühle sich getroffen, sie werde ein braves Weib sein. Und doch war ihr so zu Muth. Aber eine bescheidene Jungfrau scheut nichts so sehr, als ihren Werth zu zeigen oder zu sagen; sie wäre lieber nicht da, und unsichtbar, und blos ihren Geist, den Geist der Liebe fände ein Mann liebenswerth, und er beschwüre sie aus ihrem geheimnißvollen Dasein in das schöne Leben, und dann erschiene sie ihm schön und unsterblich, reich ausgestattet mit allen Schätzen des Himmels und allen Reizen der Erde zugleich. So ein holder Widerspruch liegt in dem Herzen der Frauen; und ob die Gewöhnlichen unter ihnen gleich die Schönheit als ihren höchsten Werth sowohl sich und Andern anrechnen, so liegt doch noch ein Himmlisches in ihnen – nicht der Stolz, sondern das Gefühl: daß sie Natur sind, die sicher in ihrem Dasein ist, und ruhig in ihrer schönen Erscheinung.

Düvecke schwieg also. Aber ihr Schweigen war einer allmächtigen Rede gleich für diesen Herrn Faaburg, ja es war eine Herausforderung für ihn, da es auch kein Zurückweisen bedeutete. Denn er schien ein großer, das heißt ein erfahrener Weiberkenner; und diese Erfahrung macht nicht groß, höchstens eitel, frei im Betragen, ja auch wohl frech. Er kam manche Nacht gar nicht aus dem Kloster, worin der Herzog wohnte, und welches nicht alle seine Leute faßte. Er entschuldigte sich mit Arbeiten – bei Düvecke. Aber seiner Sache sicher schon auf den ersten Blick, sprach er in den folgenden Tagen zu Düvecke wie ein Doktor mit einer Kranken, deren Leiden er alle aus ihren Worten oder Verschweigungen kennt, die er heilen will und kann, weil sie herzlich Hülfe von ihm begehrt. So, wie aus einem Geheimniß sprechend, oder von einem Schatze, den sie bewahrte, und wozu sie ihm die Schlüssel anvertraut, traf er oft mit einem Wort das Rechte – ihr Herz; eilig vorschreitend sprach er nicht vom kurz vorhergegangenen Zustande, noch erörterte er den, der sich eben gelöst, sondern er stellte durch ausgesprochene Gedanken dasjenige Bild klar und klärer in ihre Seele – wie in seinem Tempel – auf, welches, wie er zu wissen schien, nun in dem bunten Bildersaal der Liebe an der Reihe war, betrachtet, empfunden und auch wieder zurückgeschoben zu werden – zu den schon beschauten, gelebten, belächelten oder beweinten. Ein stilles Handreichen, wenn vor den Liebenden ein festlicher Brautzug vorüber zur Trauung zieht – ein Lächeln der Geliebten, wenn kleine holde Kinder vor ihr in Blumen spielen – das sind Bilder, ja Thaten, welche sie in vielen Nächten nicht verwindet, sondern welchen sie, wie ein mit dem dreizackigen Eisen verwundeter Aal, zwar entschlüpft und sich ihm entwindet, aber mit der Wunde in den Grund des Lebensstromes hinuntersteigt, und wo ihr die Sonne darüber Alles wunderlich groß und zauberhaft schön das süße Geheimniß erleuchtet.

Also solche »kleine Hülfen« und »Liebesrechtsmittel« und »Wohlthaten« wandte Faaburg redlich an; vor allen aber das größte, die Vorspiegelung der Ehe; die größte Schandthat und Sünde für den Unrechtschaffenen, und die himmlischste Gefangennehmung der Geliebten von dem Redlichliebenden. Dieses Alles aber kam noch zu dem Haß und der Furcht Düvecke's, welche sie schon bei Nennung des Namens des Herzogs empfand. »Christian« bedeutete ihr keinen Herzog, keinen Christen, noch Menschen. Ihr wäre schon Jemand fast unentbehrlich gewesen, dem sie nur ihre Angst mittheilen dürfen; aber Jemand, der sie aus derselben erlösen wollte, war ihr mehr; und Alles war ihr der Geliebte durch seinen entschiedenen Willen, seine fast unabweisliche Kraft der Liebe, seine kaum anblickbare Schönheit.

Sigbrittens Stillschweigen zur Anknüpfung dieses Verhältnisses, das ihren schlauen Voraussetzungen, die nur der Erfahrene macht, nicht entgehen konnte, hätte der armen Düvecke, als der vorigen Willensmeinung ihrer Mutter durchaus widersprechend, bedenklich erscheinen müssen – wenn sie nicht geliebt hätte. Und die Mutter schien oft zürnend und argwöhnisch sie zu beobachten. Argwöhnisch sein will Argwohn unterdrücken. Auch in dem Wesen ihres Hans Faaburg würde ihr etwas Schadenfrohes, Hinterlistiges, Verstecktes aufgefallen sein, wenn sie nicht geliebt hätte. Ja, selbst eher ergeben hätte sie sich dem kühnen Manne, dessen Blicke sie schon beherrschten – wenn sie nicht geliebt hätte; denn es giebt keine zuverlässigere Freundin der Tugend, als die wahre Liebe, weil sie sich und den Geliebten auf ewig verloren glaubt, und mit Recht glauben muß, wenn das Antlitz der Tugend nur einmal finster wird, oder gar ihre Augen sich mit Thränen füllen.

Daher erschrak Düvecke, als sie einmal ihren vorigen Liebhaber, den edlen Torbern Oxe, blaß wie einen Geist im Zimmer sah. Er wollte mit ihr reden; aber die Gegenwart der Mutter verhinderte jedes Wort. Er blieb lange. Sigbritte wich nicht. Und so konnte der redliche Freund hinter der Mutter Rücken seiner Geliebten nur warnend mit dem Finger drohen, und dann einmal flüchtig die Hände brechen, und sie flehentlich anblicken.

Sie verstand aber am Morgen das Leid des armen Torbern so, als sei es nur Eifersucht gewesen über den Hans Faaburg, oder Warnung vor dem Herzog Christian; denn die Vorsteher der deutschen Kaufleute waren gekommen, und unterhandelten mit ihrer Mutter Sigbritte über ein großes Gastmahl und prachtvolles Fest, das sie aus Dankbarkeit dem Herzog zu Ehren in dem großen Hause derselben geben wollten – in drei Tagen. – Düvecke bebten die Kniee; sie verließ das Zimmer wie eine Kranke. So fand sie Faaburg, der ihr traurig die Nachricht mittheilte, er müsse morgen zu Nacht nach Obslo reisen in wichtigen Geschäften des Herrn, und sie beschwur, ihm treu zu bleiben. Das bedrängte Mädchen empfand die ganze Macht dieses geforderten Schwures, der, von falschen Herzen gefordert, die größte Schlauheit und Falschheit ist, nicht sie verräth noch verrathen soll. Sie empfand die Schrecken und den Schmerz einer Trennung vom Geliebten mit der Stärke, die alles Erste auf ein zartes Gemüth übt; ihn zu verlieren schien ihr unmöglich; und doch vermochte sie nicht das Wort zu sagen: »Nimm mich mit! nimm mich mit Dir!« sondern Er sagte ihr mit der weichen schmelzenden Stimme der Liebe, als sie mit dumpfen Sinnen und düstern Schmerzen zum ersten Mal an seiner Brust lag: »Komm Du mit mir, meine Düvecke!« – Und ihr erster Kuß war ihre stumme, schwere, bange und süß bezaubernde Einwilligung. Und während er sie an sich preßte, bedeuteten sie wenige Worte, die wie erquickender Regen in das erweichte Herz fielen. Sie blickte seitwärts von ihm zum Himmel – und auf schweren, finstern Regenwolken stand ein prangender Regenbogen – sie nahm ihn für ein Zeichen der Hoffnung – sie drückte ihm die Hände – er erstickte ihre Lippen mit Küssen – und die Stadt und die Mutter und Torbern .... aber auch der ihr entsetzliche Herzog, waren schon im Geiste verlassen.

Der folgende Tag war ein Sonntag. Sie ging in die Kirche, gleichsam von dem lieben Gott in Bergen Abschied zu nehmen, still noch einmal alle gute Freundinnen und Freunde zu sehen und zu grüßen, auch wohl sich noch einmal hier sehen und bewundern zu lassen, damit sie in geehrtem Andenken bleibe, und alle Rechtschaffenen und alle Kenner und Gönner des Schönen sie entschuldigten, ja belobten. Sie betete dann inbrünstig, mit der Gemeinde hinkniend und bat Gott, ihre Mutter für Alles zu segnen, was sie Gutes an ihr gethan, und sie selbst auf ihrem Gang in die weite Welt zu beschützen, da er überall sei, und die ihn Liebenden liebe, ja die ihn Hassenden schone und nähre. Und sie schied aus dem Gotteshause, das sie nie wieder betreten sollte, mit dankbarer Innigkeit und seliger Wehmuth.

Zu Hause fiel sie der Mutter um den Hals, wie im Scherz; und wenn sie ihr nachher so unbemerkt nachsah, brach sie in Thränen aus, die sie gewaltsam unterdrücken mußte. Die Mutter frug sie am Nachmittag, was ihr fehle, nahm sie in ihre Arme und tröstete sie. Dann gab sie ihr einen Brief mit den Worten: »Vom Herzog an Dich! Er hat Dich in der Kirche gesehen!«

Düvecke nahm ihn, aber sie las ihn nicht. Denn ein Weib, die Liebesbriefe erbricht und liest, hat Lust zu sündigen, denn sie hat Freude an thörigem Lob von einem Sünder. Düvecke aber betrachtete sich als Faaburg's Weib; und jede ehrbare Jungfrau betrachtet sich schon als das Weib eines ehrbaren Mannes, dem sie einst gehören wird, auch wenn sie ihn noch nicht gesehen. Das ist der Unterschied zwischen gemeinen und reinen Seelen.

Endlich nahte der Abend der Flucht heran. Ein Gewitter verhing den Himmel wie ein schwarzer Mantel. Es donnerte nicht, aber es wetterleuchtete breit und schwebend und verzuckend, als spielten himmlische kleine Götterkinder mit Flämmchen, zündeten sie schnell an und bliesen sie sich einander aus. Auch der Wind war nicht stärker, die Nacht nicht furchtbar, sondern erhaben und für eine reine heitere Seele schön. Die Stunde war bestimmt, in welcher Düvecke am Strande sein sollte. Faaburg hatte ihr seinen Mantel und Hut dagelassen, auch schwedische Halbstiefeln, die Stulpen breit und umgelegt, wie welke Tulpenblätter. Sie zog sie über die Schuhe an. Es kam ihr während dem vor, als hätte die Mutter durch die Spalte der kaum geöffneten Thüre gesehen. Aber sie konnte sich aus Furcht getäuscht haben. Doch auch ihre Wäsche lag fertig, zwar nicht ausgewählt, und in ein Tuch geschlagen, aber auch das Tuch fehlte nicht. – Sie nahm das für glücklichen Zufall.

Und so kniete sie noch einmal in ihrem Stübchen nieder und dankte Gott, der sie erlöse aus der Hand ihres Feindes. Sie glühte, aber sie weinte nicht. Sie steckte einen Brief für die Mutter an den Spiegel, ergriff noch zum Andenken an sie das Brusttuch derselben, warf den Mantel um, setzte das Federbarett von Faaburg auf, beleuchtete sich vor dem Spiegel, und nahm von ihrer eigenen Gestalt in Bergen Abschied, wo sie nie mehr erscheinen würde; drückte die Augen zu, löschte das Licht aus, und tappte und fühlte sich leise aus dem Mutterhause.

Ihr däuchte, als sei ihr Jemand nachgeschlichen. Sie stand. – Es stand. – Sie ging. – Es folgte. – Sie stand wieder. – Da kam es langsam auf sie zu. Der Schein aus den Fenstern der Strandhäuser bewarf ihre Gestalt mit Licht. Niemand Anderes umher zu sehen. Sie schauderte, wandte sich um und ging hastig, wo sie das Schiff zu finden gewiß war, das sie fortführen sollte. Die vermummte Gestalt aber kam ihr nach, verschwand aber um eine Ecke rechts in ein Gäßchen. Als Düvecke aber desto mehr eilte und weiterhin gleichfalls rechts um die Häuser bog, und längs derselben hinschritt, trat ihr die vorige Gestalt entgegen, und ohne ein Wort zu reden stieß sie Düvecke ein Messer in den Leib, daß sie rückwärts hinsank.

Düvecke verrieth durch ihren Schrei, daß sie kein Mann sei, ja durch ihre Stimme sogar, wer sie sei; denn der Vermummte sprach dumpf in größter Bestürzung: »Düvecke! Du! Bist Du es? – Nur noch das eine Wort rede in Bergen, – nein, doch auf Erden!«

»Ich bin's;« antwortete Düvecke. »Aber Torbern! – – Bist Du Torbern?«

Da war aber Niemand mehr zu sehen und zu hören. Die vermummte Gestalt war wie verschwunden oder in die Erde gesunken. Dafür standen zwei andere bei ihr. Es war Faaburg mit dem Probst von Rothschild. »Bist Du gefallen, meine Düvecke?« frug sie Faaburg. »Wir sind Dir ganz von fern und langsam gefolgt. Du warst auch zu hastig in der finstern Nacht!«

Düvecke wunderte sich, daß sie lebte. Sie schöpfte Athem, Nichts schmerzte sie wo. Sie gab das Päckchen an Faaburg, das sie unter dem Mantel vor sich an der Brust getragen wie ein Windelkind, und das den tödtlichen Stoß aufgefangen hatte.

»Das Päckchen kann nicht sterben!« sprach sie.

»Wie denn das?« frug Faaburg sie fortführend.

»Man hat mich ermorden wollen.«

»Man? Dich? – Du hast meinen Mantel und trägst mein Barett – man hat geglaubt, Ich schleiche von Dir! Mir hat es gegolten!« sprach Faaburg.

»Vielleicht hat der Herzog den Mörder Dir nachgesandt! Du weißt!« sprach Düvecke.

Aber Faaburg lachte und murmelte dem Probst von Rothschild ein Wort oder einen Namen ins Ohr; er frug aber die über die Unbesonnenheit ihrer Aeußerung erschrockene Düvecke nicht weiter, da sie so eben am Strande von den Matrosen angerufen wurden, welche die Eingestiegenen rasch zu dem Schiffe hinüberruderten, das schon mit aufgezogenen Ankern wie eine Taube in der Hand auf den Wellen zuckte. Jetzt gaben ihm die Matrosen die Flügel, und hinaus in die Nacht segelte es fern und ferner von den Lichtern und den Strahlen aus der Stadt Bergen, bis sie ihnen unterging wie ein dunstiger Stern im Meere.



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