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I.
Der goldene Elephant von Rothschild.

Am Ufer und auf der Reede von Bergen in Norwegen wurde die seltsamste Doppelscene gespielt.

Eine davon war diese: Auf dem Schiffe, das vor dem Hafen lavirte und bei heftigem Morgenwinde ihm nur sehr allmählig näher zu kommen vermochte, stand der Herzog Christian, Kronprinz von Dänemark, mit seinem Kanzler, Erik Walkendorp, Probst von Rothschild, in vertrautem Gespräch, die Augen nach der Stadt gerichtet.

»Es ist eine Narrheit!« sprach der Herzog.

»Hierherzugehen? Hoheit! Finden Sie auf einmal Bedenken? Es wird Sie nicht gereuen! So ein Schatz ist unschätzbar!«

»Nein! Hochwürdiger,« entgegnete der Herzog; »ich meine, es ist eine Narrheit, daß wir unter dem Joche des Regierens nicht frei umherschauen, unter dem Wuste von Schein und Scheinen nicht das Wesen ergreifen, die Masse von Vergnügen, die uns so leicht und so gern auf goldenen Tellern überall von den sklavischen Seelen dargeboten wird! Es ist eine Narrheit, daß wir uns das Leben nicht gerade zu der Zeit süß machen, wenn man es uns sauer macht, nicht gerade das Vergnügen suchen, wenn uns die Unannehmlichkeiten bedrängen! Wir müssen ein Gegengewicht haben, um uns im Gleichgewicht zu halten! Also nur vorwärts, nur Land! Nur das schöne Mädchen! Laß Andere alljährlich nach Italien, nach Rom und Neapel, Palermo und Ischia, Nizza und den hierischen Inseln gehen – zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit – auch hier an dem nördlichen Strande waltet der Liebesgott, auch hier kann man seine Gesundheit herstellen! Aber der Wind ist rasend! widerwärtig, ein Feind, dem man den Hals brechen muß; laßt das Boot aussetzen, Hochwürdiger!«

»Zu Befehl! Jetzt ist mir wieder wohl,« versetzte der Bischof aufathmend. »Aber keine Uebereilung, Gnädigster! Ich würde rathen, selbst morgen, ja sogar übermorgen noch nicht in das Haus zu gehen! Denn das herrliche Mädchen ist so spröde als – jung, so feinfühlend – wie die erste Liebe oder ihre Ahnung. Sie hört noch kaum der Mutter Sigbritte schlaue gewogene Worte an, aber im Stillen bedenkt sie sich wohl – denn die Mädchen sind nach Ehre, das heißt, nach Geehrtsein, begierig, und was sie mit einem König oder Königssohne verbrechen, das scheint ihnen löblich und wünschenswerth, denn es erregt der andern Thörinnen Neid; und mehr als beneidet sein will zuletzt Keine. Darum geht heute nicht gleich hin! Laßt eine Sinnesänderung in ihr vorgehen, nämlich, laßt sie denken: Ihr mögt sie nicht! laßt sie denken: Ihr kommt nicht! Und anstatt daß sie heut das ihrer Gesinnung angemessen und vielleicht lieb fände, fängt sie an, morgen Zweifel zu empfinden, ihren Unwerth einzusehen; und kommt Ihr noch eine Nacht, noch einen Tag und noch eine Nacht nicht, dann fängt sie wohl an zu weinen, sich zu sehnen, und dann kommt Ihr, dann seid Ihr da; nahe, Ihr wohnt ihr im Herzen. Durch verlorene Tage gewinnt man Jahre. Setzt die Nacht noch ein, Ihr gewinnt sie tausendfach, Gnädigster!«

»Ihr habt Recht, Hochwürdiger! Aber ist sie denn wirklich so schön?« frug der fünfundzwanzigjährige Herzog, vor Ungeduld glühend.

»Ach, daß Eure Augen einen Augenblick Falken- oder Wildenaugen wären; denn – ich irre mich nicht, dort steht sie mit ihrer Mutter Sigbritte auf dem Altan, der in die See hinaussieht! Die Abendsonne beleuchtet gerade das Haus – ihr Gasthaus. Die Mutter hat es gekauft und mit lauter Aepfeln bezahlt, womit sie in Holland gehandelt; aber das schadet dem Mädchen nicht; denn wie heutige Aepfel noch so schön sind wie Wachs und so rothwangig wie einst im Paradiese – so schön und frisch, ja frischer ist das junge Mädchen hier, als Eva im Paradiese wäre! Ihr stoßt Euch daran nicht, Hoheit!«

»Narrheit!« sprach der Herzog.

»Ihr seid sehr gnädig, und die Mutter wird außer sich sein vor Freuden.«

»Narrheit!« sprach der Herzog noch einmal vor sich hin.

Die andere Scene war diese: Auf dem Altan des Gasthauses stand die Jungfrau Düvecke, ein ungemein schönes Mädchen, mit niedergesenkten Augen, und ein Anderer hätte gemeint, sie schlage sie vor dem kraftvollen goldenen Scheine der Abendsonne nieder; aber ihre Mutter wußte, ihre einzige liebe Tochter schlage sie vor dem Anblick des Schiffes nieder; denn Düvecke sprach leise und zaghaft zu ihrer Mutter: »Der Himmel will selber nicht, daß der leichtsinnige Herr zu uns kommt! Sein Wind drückt ihn zurück! O, wenn er ihn doch verschlüge, fort, weit zurück nach Island oder unter die Eisschollen, wo – –«

»Wo ihn ein Eisbär zerrisse und fräße! nicht wahr, Du junge Närrin!« sprach ihre Mutter Sigbritte vor Unmuth lachend.

»Närrin?« frug Düvecke gleichsam den purpurnen Abendhimmel und die heilig und rein und groß und göttlich daherschauende Sonne mehr als ihre halsstarrige Mutter.

Sigbritte aber ergriff ihre Hand, drückte sie erst bis zum Wehthun, ließ dann allmählig nach und sprach sich bezwingend: »Siehe, mein Kind, Du bist mein Kind, meine einzige Tochter! Wir leben nicht im Himmel, sondern hier unter den Wolken auf Erden, am unwirthbaren Meer, in der Stadt Bergen, unter Menschen, die norwegisch sprechen und deren Zuspruch wir brauchen – sonst verhungern wir; denn Dein Vater hat uns durch kein nachgelassenes Vermögen über die Sorge der Millionen gemeiner Menschen erhoben, die ohne Hände und Füße den Magen verfluchen müßten, und die Mäglein ihrer Kinder, und den Frost und den Schnee und den Regen und Wind!«

»Aber wir haben ja gesunde Hände und Füße!« meinte Düvecke.

»Wir?« frug die Mutter. »Du, ja; aber ich nicht. Mir kommen die berühmten Tage ganz leise geschlichen, die mir nicht gefallen und Dir nicht gefallen sollten an mir! Hast Du Sinn für die Wirthschaft im Hause? Schläfst Du gern morgens, oder bist Du die Erste auf? Geh' ich Nachts zuletzt zu Bett, oder sitzest Du bis tief in die Nacht bei den Gästen, selbst bei den rohen Matrosen, die ihren Brei oder ihr elendes Leben in aller Welt hier mit Faustschlägen auf unseren Tischen austhun. Muß ich nicht hören, sehen, riechen, kochen, essen, ja verschweigen, was ich nicht mag! Und wenn die hiesigen alten Götter Bier getrunken haben, so sind es gewiß derbe Flegel gewesen, wie unsere Gäste tagtäglich und nachtnächtlich beweisen, die leider nicht die Eigenschaft an sich haben, am Morgen mit gesunden Knochen und heiler Haut wieder aufzustehen, wenn sie sich bei ihrem zum Vergnügen geführten Streit in der Nacht die Hälse gebrochen! Hast Du denn gar kein Mitleiden mit mir, wenn ich Blut aufwasche, oder am Morgen nicht reden kann vor Heiserkeit, wenn ich am Abend zu viel geschrien und schreien und zutrinken müssen? Hast Du kein Mitleid mit mir, wenn ich mir die blauen Flecke einreibe, oder wenn ich im Winter am Fenster sitze, barme und den lieben Gott bitte: Wende doch den Paar Bauern da draußen das Herz, daß sie hereinkommen und ihre Paar Pfennige bei uns verzehren? Mögen sie doch einen Trödel machen; denn Krieg muß sein im Ganzen oder im Einzelnen, und der Krieg ist größer im Frieden als im nur sogenannten Krieg! Thut Dir das nicht leid? Sprich doch, rede etwas, meine gute Düvecke! Für Dich will ich ja eben nur sorgen – und willst Du nicht, je nun, ob ich ein Paar Jahre eher sterbe oder später, aus uns wird ja so nichts!«

»O Mutter!« bat die Jungfrau.

»Mutter hin, Mutter her!« zürnte Frau Sigbritte; »was bin ich Mutter, wenn mir das Kind nicht folgt!«

»In allem Guten und Ehrbaren gern, liebe Mutter! Ja, ich will auch die Frau des Schloßhauptmanns werden und treu sein, treu wie Sie ihrem Manne, meinem Vater gewesen – –«

»Weißt Du etwas von mir?« frug Frau Sigbritte, die Tochter groß ansehend. »Und wenn Du denn auch des vornehmsten Mannes Tochter wärest, wenn mein Mann je was Albernes, Eifersüchtiges geschwatzt hat, wie schwache alberne Väter kleinen unverständigen Kindern oft ihre Noth klagen, könntest Du nicht desto eher des vornehmsten Mannes –«

» Frau sein – wollen Sie nicht sagen, gute Mutter, weil Sie es nicht können; denn der Herzog, dem ich zwar gehören soll, aber er mir nicht – –«

»Schweig!« rief Frau Sigbritte. »Sieh lieber, er winkt Dir jetzt mit dem weißen Tuche, da er immer schräg fahrend uns jetzt gegenüber gekommen.« – Sie verneigte sich tief und sprach dann zur Tochter: »Kind, welche Ehre!«

»O,« lächelte Jungfrau Düvecke, »mit angethanen Ehren meinen die vornehmen Herrn ihre Lüste gar leicht zu kaufen und schwere Dienste gar leicht und gar reichlich zu bezahlen! Aber die falsche Münze gilt bei keinem redlichen oder vernünftigen Sinne. Eine arme Tagelöhnerfrau ist reicher und ehrenwerther in ihrer Armuth und höher in ihrem niedrigen Stande als ich – –«

»Du? Nun ja Du!« trotzte Frau Sigbritte. »Herzogin oder Königin gar einmal wärest Du Närrchen freilich lieber, und so eine Närrin wäre ich auch, wenn ich's nicht besser wüßte aus Holland und aller Welt Land her! Prinzessinnenblut und Thränen sind bloßer Staatenkitt. Zum Glück sind der Prinzessinnen nur wenige gegen die Unzahl der Mädchen auf Erden. Prinzessinnen heirathen nicht, sondern werden geheirathet. Sie glauben nichts Bestimmtes, bis sie einen Gemahl haben; dann treten sie über zu dessen Glauben, des lieben albernen Volkes wegen, das da denkt: ein Herz ist ein Handschuh oder ein Polyp, der rechts und links gewandt, noch ein Handschuh oder Polyp ist und fortlebt; und wenn er umgekehrt ist – nicht mehr von dem vorigen Leder bleibt! Selbst die besten vernünftigsten Prinzessinnenväter sind des Glaubens, weil sie so thun; besonders auch dieses: daß schöne Töchter in die Ferne geschickt und den Mann regierend; wie die Weiber überall, ihm wie Delila dem Simson die Haare abschneiden, und daß man mit ihnen den fremden Boden pflügen könne. Sie haben nur Prinzen oder Prinzessinnen, aber keine Kinder; denn die Oberhofmeister und Meisterinnen haben sie. Sie verheirathen sie nicht, wie glückliche Bauern, auf das Nachbargut, wo sie an der Kinder und Kindeskinder Freuden und Leiden herzlichen Theil nehmen in allen Fällen des Lebens, sondern sie verlieren sie, hin über Länder oder Meere und sehen sie nicht wieder und hören höchstens wann und wie elend vor Gram sie gestorben sind mit gebrochenem Herzen, wie verkaufte Sklavinnen. Nun, da ist kein Rath, denn der Rang will behauptet sein. Aber die Männer, die Prinzen, wissen Rath. Da ist ihnen Eine die Liebe, Eine die Taube, die Krone, wie der weise Salomo sagt. Und die sollst Du sein! und kein Leid von ihm erfahren Dein Leben lang. Denn schöner und lieber wie Du kann Niemand sein, und für alles Andere laß mich sorgen und Gott im Himmel!«

»Gott im Himmel!« sprach Jungfrau Düvecke mit gefalteten Händen seufzend nach. » Der hat schon gesorgt!« fuhr sie weinend und bittend fort. »Der Torbern Oxe, der Schloßhauptmann, bestürmt mich seit gestern ...«

»– Seit er weiß, daß der ihm gefährliche lebenslustige, keinen Spaß verstehende Herzog kommt!« schaltete Frau Sigbritte ein.

»... und lieber will ich mich entschließen, seine Frau zu sein, wozu es ohne das nie gekommen, lieber als – –«

»Dem Oxe bin ich Dank schuldig,« bemerkte Frau Sigbritte; »um mit Anstand in mein Haus zu kommen Dich und tagtäglich oder abendabendlich sehen und beschwatzen zu können, hat er es erst anständig und dadurch einträglich zu machen gewußt, daß er die deutschen Kaufleute der Stadt veranlaßt hat, gleichsam ihre Börse in meinem Hause zu halten und auszuleeren in meine! Dafür verdient er ein gratias oder laus Deo – er soll anborgen, so hoch er will, denn zehn volle Beutel machen einen Windbeutel passirlich – aber meine Tochter verdient er nicht, noch daß ich ihm meine Pläne opfere! Denn mein Kind, in mir steckt mehr als die demüthige, unterthänige Frau Sigbritt, die mit verbissener Wuth Danziger Goldwasser einschenkt! Ich will nicht hoch hinaus, sondern ich bin hoch, und denke hoch, und hoch will ich handeln! Das wirst Du mit Deinen lieben, himmelblauen Augen mit ansehen und sagen: meine Mutter hatte doch Recht! – Und mehr als Recht haben soll kein Mensch.«

Jetzt wollte Jemand die Thür des Zimmers aufklinken, vor welchem Mutter und Tochter auf dem Altane standen. Aber Frau Sigbritte hatte sie weislich verschlossen, weil sie im Angesicht des Schiffes mit dem Herzog zuerst ihrer Tochter die mütterlichen Absichten mit ihr hatte entdecken wollen, worauf sie sonst nur durch einzelne Reden bei schicklicher Gelegenheit angespielt.

Jetzt rief es mit sonderbarer Stimme durch das Schlüsselloch: »Das eine Mal mache nur auf, liebe Düvecke! Ich sehe Dich, Du bist es! Thu' auf! Oder siehst Du nach dem Herzog?«

»Es ist der arme, unglückliche Torbern;« sprach Düvecke leise, über seinen Verdacht empört.

»Torbern Oxe!« zischelte oder züngelte die Mutter Sigbritt.

»Düvecke! im Himmel vor Gott wirst Du an diese Stunde gedenken! Ich komme Dich zu retten! Der Wind ist uns günstig, die Nacht ist nahe, das Boot liegt fertig. Mein Gott, mir ist so angst um Dich, als rauschte ein Riesenhai auf Dich zu, und Du spieltest im Meerbad und hörtest und sähest ihn nicht! Doch ich rufe, ich schreie Dir zu: Er kommt, er ....«

»– will Dich fressen!« lachte die Mutter vor Zorn laut auf. »Nehmt Euch in acht, lieber Oxe, daß er Euch nicht verschlingt! Nicht alle Menschen heißen Jonas!«

Aber Jungfrau Düvecke trat an die Thür und sprach laut zu ihm: »Dank Euch Gott, lieber Torbern, für Eure Gutthat an mir! Euch kann es nur gut gehen – auch wenn Ihr leidet! Ich aber bin verloren – durch meine eigene Mutter, der es unvergolten bleiben möge, und bleiben wird, da sie der katholische Bischof Erik Walkendorp umgarnt und verführt hat, der, da er selbst umsonst nach mir lechzte, nun einen Gewaltigen herführt, der mich bändigen soll!«

»Bist Du rasend!« schrie die Mutter darein, daß er die Worte nicht verstehen sollte. Doch sie riegelte die Thür auf und hieß den Schloßhauptmann Torbern hereintreten, einen gediegenen, schönen, jungen Mann, jetzt vor Adel der Seele noch einmal so schön, aber vor Glut und Wuth, die er nicht äußern durfte, bald blaß und bald roth. Doch er reichte seiner armen Düvecke die Hand von der Seite, lehnte sich mit dem Arm an die Pfoste der Thür, sein Gesicht auf den Arm, und man sah es nicht, aber man hörte es – er weinte. Dann faßte er sich, stampfte mit dem Fuß auf die Erde, wollte die Mutter Sigbritte an der Kehle fassen; aber er streckte die Hand aus und griff in die offene See hinaus, als wollte er das klein erscheinende Schiff da draußen wie eine Meerspinne fassen und ohne die Gefahr zu scheuen wie einen Skorpion zerquetschen.

Frau Sigbritte sah das und verstand es wohl; doch sie drohte ihm nur mit dem Finger. »Ich habe nichts gesehen!« sprach sie zu ihm. »Aber ich will schweigen, weil es mir und meiner Tochter einmal zum Uebel werden könnte, daß ein gewisser Jemand erführe: Ihr habt sie geliebt. Denn Euch brächte es sichern Untergang! Darum Freundschaft in Feindschaft, Zorn in Güte, Liebe in Haß zwischen uns, armer Torbern! Ihr findet tausend Weiber, und ich gönne Euch die schönste und beste von Allen, außer meiner Düvecke, schon darum: weil sie Euch nicht will! Fragt sie selbst! Rede ich wahr?«

Und die spröde Düvecke sank in seinen Arm; sie weinte; er weinte; sie küßte ihn nicht, er sie nicht. Sie wollte ihn nicht beleidigen dadurch, daß sie sich ihm zuerst entzog; er vermochte sie nicht von seinem Herzen zu stoßen. Und so blieben sie in der seltsamsten Umarmung, bis die Mutter zu ihnen sagte: »Kinder, vergebt Euch! trennt Euch! und meinetwegen liebt Euch; aber das müßte sein wie ein Irrlicht am Tage, das Niemand sieht, und die Sonne gar nicht! Ich bin zwar eisenfest; aber wenn ein ehrenwerther Mann die Tochter liebt, das hält keine Mutter aus; denn sonst hätte ich Euch die Augen ausgekratzt!« Sie gab ihm nun selbst einen Kuß auf die Stirn und bat ihn heimlich, heimlich ihr Haus zu verlassen und in diesen Tagen sein Schloß wohl zu hüten!

Indeß waren die Flammen der Abendröthe am Himmel erloschen, die Sichel des Neumonds blinkte schon silbern zwischen den düstern Gestalten der ziehenden Abendwolken, Nachtvögel schwirrten schon an der Küste; das Schiff mußte gelandet sein, denn erschreckender Jubel erscholl ganz nahe drunten an den Häusern; Fackelschein floß hin und her – Er war da, sie war nöthig, und so riß die Mutter ihre Tochter mit fort; Torbern aber blieb zurück, allein, voll Eifersucht, Liebe, Rache, Haß und Wehmuth. Er kniete erst hin, dann sank er um, und so lag er vom Monde beschienen auf den kalten Steinen des Estrichs, unbekümmert um sich und die Welt. Und eine Eule setzte sich, nach Fraße spürend, auf das eiserne Geländer des Altans. Ihre Augen funkelten, sie kreischte drei Mal. Er erschrak, scheuchte sie fort und verließ mit Hast den ihm schrecklichen Ort.

Die bei Gelegenheit der Ankunft des Herzogs zusammen gelaufenen Menschen waren nach seiner Begrüßung nicht wieder einzeln in ihre Häuser heimgegangen, sondern, aufgeregt wie sie waren, schaarenweise in ihren sonntäglichen Vergnügungsörtern eingekehrt. Und so war denn auch der Frau Sigbritte bestes Haus gedrängt voll bis in die Nacht gewesen.

Jetzt saß sie am Tisch vor dem Licht und zählte das aus der Tasche ausgeschüttete Geld. An einer andern Tafel fern hinter ihr saßen zwei einfach gekleidete Herren im Dunkeln, die unlängst erst gekommen waren. Frau Sigbritte schien sich nicht um sie zu bekümmern; ihre Züge waren aber seelenvergnügt.

Da öffnete sich die Thür der Nebenstube, und im weißen Nachtkleide, einen Leuchter mit brennendem Licht in der Hand, trat ihre Tochter Düvecke herein und leise an ihren Tisch. Das Gesicht der Mutter nahm gleichsam eine höchst unzufriedene, zornige Maske vor, und sie sah die Tochter nicht an. Dagegen lächelte das schöne Kind so sanft, so mild um Verzeihung bittend, auf sie hin, wartete geduldig, bis die Mutter sie ansehen würde, und Thränen stiegen ihr in die Augen. Ihren Busen hob die schwere Beklemmung leis empor, denn die Mutter sollte gut sein, daß sie gut sein und bleiben wollte.

Da stand der Eine, der jüngere Herr, auf und trat einen einzigen Schritt näher. Düvecke hatte wegen der Stille im Zimmer geglaubt, die Mutter sei ganz allein. Jetzt verscheuchte sie das Geräusch. Sie blickte sich nicht um, sondern verschwand wieder in ihr Gemach.

Jetzt stand die Mutter auf und verschloß die Thür. Die Herren kamen nun und setzten sich zu Frau Sigbritte. Sie flüsterten dann mit halber Stimme. Sigbritte schien viel zu erzählen, vieles schwer zu finden. Der Probst von Rothschild und Kanzler Erik Walkendorp schien mancherlei Rath zu geben; der junge Herzog Christian endlich zu dem Letzten seine Einwilligung zu geben. Ja, er reichte zuletzt Frau Sigbritte zum Scheiden die Hand; mit der andern aber ergriff er die Rechte des Erik Walkendorp und sagte ihm dankbar: »Erik, Ihr habt vortreffliche Augen! Ihr habt brüderlich an mir gehandelt! Und zum Danke für den getreuen Dienst belohnt euch der Herzog, als Probst von Rothschild – und zum dankbaren Andenken derselben an Euch – alle künftigen Pröbste von Rothschild mit dem vorzüglichen Ehrenwappen im blauen Schilde, dem goldenen Elephanten der königlichen Brüderschaft

Der Probst küßte dem Herzog die Hand.

»Und der König ernennt Euch künftig zum Bischof von Drontheim! Glaubt mir das. Denn ich und der künftige König sind Eine Person, Ein Herz und Ein Sinn!«

Der Probst war außer sich vor Begnügung, und so sprach er etwas unvorsichtig die Worte: »Hoheit, nehmt die Wahrheit als meinen größten Dank! – In diesen Zeiten, wo eine Reformation an Haupt und Gliedern der Kirche unfehlbar bevorsteht, thun die Glieder – gewiß auch das Haupt – sehr wohl, sich zeitig die künftigen Regenten, die Kronprinzen und Kronprinzessinnen zu verbinden, und Düvecke – –«

»Düvecke ist einzig auf Erden! Es giebt keine dergleichen schön und ehrbar!« lächelte der Herzog. »Gebt mir Euern Arm! mir schwindeln die Sinne.«

Und als der Probst vor der Ehre anstand, sprach der Herzog: »Thut mir den Gefallen! Ihr gehört ja zur königlichen Brüderschaft

Frau Sigbritte verneigte sich stumm und leuchtete klug dem höchsten Gaste und dem Freunde nicht hinaus, die Beide draußen im Finstern einen plumpen Fall thaten und dumpf brummten. Frau Sigbritte aber biß sich vor heimlichem Lachen die Lippen.



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