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III.
Du sollst nicht Abschied nehmen ohne Zeugen.

Sie kamen glücklich in Obslo an. Um nicht seine Düvecke jemals dem Herzog Christian zu verrathen – meinte Faaburg zu ihr, sei es gut, daß sie in Obslo ganz verborgen und eingezogen lebe. Und da sie gehört hatte, daß der Herzog sogar öfters und lange in dieser schönen Stadt verweile, so folgte sie gern, und bezog ein kleines einsames Haus, während ihr Faaburg seines Amtes wegen, und um nicht Verdacht zu erwecken, hier wieder auf dem Schlosse wohnen ging. Düvecke schien es hier doch wohler und sicherer im Schutz eines liebenden Mannes, als im Verrath einer herrschsüchtigen Mutter. Die Einsamkeit war ihr geringster Kummer, denn ein liebendes Weib ist nie allein, ihre Hoffnungen, Befürchtungen, Wünsche und zärtliche Sorgen sind ihr wie eine vom Himmel gesandte Gesellschaft von kleinen Genien, die sogleich sie umschweben, wenn sie nicht schwere irdische Menschengestalten bei ihr gewahren. Ihr Kummer war nur um ihre Mutter, der sie doch weh gethan als Tochter, da dieselbe nun einmal so war wie sie war; und ihre Gedanken schwebten oft um Torbern Oxe, dessen Eifersucht sie zwar kannte, aber ihn auch keiner bösen That fähig hielt, am wenigsten einer, die ihr Schmerz machen mußte, wenn sie Den liebte, den er zu den Schatten senden wollte. Das konnte er nicht thun! Das war er nicht gewesen!

Ein anderes Bedenken quälte sie mehr: daß der Probst von Rothschild, der Erik Walkendorp, der mit dem Herzog nach Bergen gekommen, auch ein Freund ihres Faaburg war. Konnte der Mann erst so schlecht, dann so falsch sein? Sie frug ihn einst, als er sie in der Abenddämmerung besuchte; aber er nannte sie nur, wie zuvor schon immer, seine liebe Tochter, und versicherte sie so herzlich und glaubbar, daß er immer wie ein Vater für ihr bestes und schönstes Glück sorgen werde. Es sei noch nicht aller Tage Abend, und Ueberflüssiges erfahre man noch immer zu zeitig.

Die den Jungfrauen eigene Sprödigkeit und ihr Anhalten gegen den Geliebten, kam ihr jetzt gleichsam nach gegen Faaburg, da der Drang der Umstände ihr vorher nicht dazu Raum und Zeit gelassen. Denn fast immer ist ein Mädchen den ersten Augenblick schon geneigt ober abgeneigt, entschieden zu gewähren oder zu verweigern, auf den Fall, wenn der junge Mann, den sie sieht, sie selbst von ihr fordern sollte auf jene zarte Weise, die man Liebe nennt. Es könnte nun auch wohl Ehre sein, ihn gleich zu beglücken mit ihrem holden Ja; aber so gut und besser als irgend ein anderer Vorgang in der Welt, eine That, ein Werk, ein Kunstwerk, oder die herrlichste Prachtblume, ist auch die Liebe eine Erscheinung des Himmels, die Zeit zum Erscheinen bedarf, und ihre Auseinanderlegung und reizende Entfaltung ist eben der schönste Theil ihres himmlischen Lebens in irdischer Luft, wie der schönste Theil des Lebens einer Königin der Nacht ihr Aufbrechen und Oeffnen des duftenden großen Kelches ist, der eben auch Liebe ausgießt als Nektargeruch.

Der Schritt – über's Meer – den Düvecke aber mit Faaburg gethan, ließ sich bei ihm nicht mit dem Drange nach Rettung verkleiden; denn sie hatte ihm erlaubt, sie zu retten – ja, sie sich zu retten; und das war ihm Grund des Beweises ihrer Neigung zu ihm genug, auf welchen er fein und unmerklich, aber unhinderlich und getrost fortbaute – ohne eine zarte Schonung edler Menschen, die nicht mit Worten, noch Voraussetzungen, geschweige mit Ansprüchen und Forderungen je Das berühren, was sie dem Andern Gutes oder Werthes gethan, sondern ihm stillschweigend den Dank dafür überlassen, und selber den Undank nicht gewahr zu werden scheinen und nie ihn auch noch so leise belächeln.

Faaburg stellte aber seiner Düvecke klar ihre Lage vor, wenn auch nur in Gleichnissen, aber vielleicht dadurch desto augenscheinlicher. An seiner Liebe konnte sie nicht zweifeln. Denn ob sie seine Glut und Weise höchstens nur mit Torbern's bescheidenem, edlem und stillem Hoffen, mit dem Anschmachten seiner Augen vergleichen konnte, so schien ihr Faaburg's Liebe doch einzig wahr, zuverlässig und unübertrefflich, wenn nicht unwiderstehlich – denn er begehrte Alles, Alles von ihr, und sie selbst, auf immer und einzig nur sie. Er durfte ihr nicht erst geloben, sie zu heirathen – er konnte nichts Anderes, nichts Einzelneres oder Geringeres wollen. Nur ohne die Einwilligung seines Vaters in Kopenhagen schien es ihm nicht wohlgethan, in einen Stand zu treten, der des größten Segens bedürftig sei. Jeder Morgen, jeder Tag, jeder Abend schien ihm verloren; sie hätte ihn nicht an die Heirath erinnern dürfen, auch wenn ein Mädchen sich für so werthlos halten könnte, es zu thun. Und so reiste er denn bald.

Am Abend der Abreise nahm er Abschied von seiner Liebend-Geliebten. Er brachte ihr schon die kostbaren Trauringe, er steckte ihr den mit seinem Namen schon an den Finger; sie trug ihn schon. Ihr weißer voller Nacken war schon von dem herrlichen Perlenhalsband umschlungen, und das große Demantkreuz ruhte schon, oder wiegte sich schon auf ihrem Busen. Ihre reizenden Arme waren schon von den goldenen Spangen umarmt, und umarmten den reizenden Bräutigam schon wieder: denn wer reizend ist und schenkt, reizt zehnfach. Das Brautkleid, das der Diener zugleich gebracht, hing schon entfaltet und bewundert über die Sammetlehne des Sessels. Ihre Augen leuchteten ihn an. Die seinen bestaunten wie schwelgend ihr schönes freudiges Antlitz. Sie waren im Paradiese.

Aber sie blieben nicht darin.

Er war daraus fort. Sie schlief noch und wonnig eine Nacht darin, die ihr süßer genügevoller Sinn bis tief in den Vormittag verlängerte.

Da schlug sie die Augen auf. Sie streckte die Arme aus, als wolle sie Jemanden umfangen und hielt sie so. Denn Niemand war da. Aber sie erblickte die goldenen Spangen daran wie Fesseln. Der Diamant des Traurings spielte einen matten blauen Strahl in ihr Auge. Auf der Lehne des grünen mit goldenen Zwecken beschlagenen Sessels hing das rosenfarbene Brautkleid. Aber der Schein der Sonne kam matt, gelb und bleich unter Gewitterwolken hervor, und die Beleuchtung war ängstlich, ja grauenhaft. Sie sprang aus dem Bett – sie rührte das Kleid an wie ein Gespenst und schauderte vor dem leisen Geräusch des Atlasses zurück – die Perlenschnur um ihren Nacken war zerrissen und verschüttete die Perlen, die auf dem Boden hart und scharf in die Ecken rieselten und schurrten – – nun war es todtenstill. Sie horchte. Sie blickte auf das Meer hinaus. Was sie Einem streng aus weiblicher Ehre verweigert, das hatte sie einem Andern aus Furcht und Liebe zugestanden! Ihre Brust war beklommen, sie brach in Thränen aus, verdeckte ihr Gesicht mit den Händen und warf sich auf's Bett, weinte sich aus, schlief endlich und träumte sich wieder ein, und am folgenden Morgen erst begann für sie der gestrige Tag.

Sie ging in die Beichte. Und nachdem sie der geistliche Herr absolvirt, sagte er ihr für die Zukunft: » Du sollst nicht Abschied nehmen ohne Zeugen! Meine Tochter! Keine Jungfrau soll das, und kein Weib von einem Andern als ihrem Manne, Vater oder Bruder; von keinem sonst! Der Scheidende ist eine Art Sterbender. Aber er lebt und bleibt noch! Der Frauen Herz aber ist in der Scheidestunde wie zum Tode betrübt und erweicht. Nichts scheint ihnen wichtiger, als den Geliebten ganz zu beglücken, damit er ruhig scheide. Die Scheidestunde hebt die Zukunft auf, und wer die Zukunft nicht bedenkt, dem ist nichts mehr so wichtig und groß, wie immer wohl sonst, selbst die eigene Tugend nicht und die Tugend des Andern, wie man einem sterbenden Kinde noch alle Süßigkeiten giebt – denn es kann sich den Magen nicht mehr verderben. Aber die Seele ist ein zarterer geistiger Magen, der nicht Alles verdaut und die Sünde nie! Und wer auch immer zuvor anhielt in Würde und Anstand, wer nie zuvor an die Möglichkeit dachte, der begeht die Sünde im Scheiden, denn sein Herz ist gelöst und betrübt und tausend milder Gedanken voll. Darum nicht allein Abschied nehmen von Männern, das ist ein Rath, den jede wohlwollende Frau oder Mutter den Mädchen und Frauen und ihren Töchtern geben muß und wird, gleichsam als eilftes Gebot, oder als Erläuterung und Numero B, oder als N. B. zum sechsten! – Gehe hin in Frieden! Meine Tochter! Aber Du wirst keinen Frieden haben noch finden, denn Du kennst Deinen Hans Faaburg noch nicht!« –



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