Heinrich Schaumberger
Vater und Sohn
Heinrich Schaumberger

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Du sollst Vater und Mutter ehren.

Am Nachmittag bereitete die Bäuerin einen ausnehmend starken Kaffee, Auguste ordnete die guten Tassen mit den breiten Goldrändern auf dem Tisch, und während sie Kuchen und Krapfen auftrug, holte der Bauer seine Staatspfeife – der Ulmerkopf mit hohem, helmartigen Silberbeschlag und schwerem Kettenbehang war eine Rarität – aus dem Schrank. Vergnüglich die Wölkchen von sich blasend, schritt er langsam auf und ab; so oft sein Blick durchs Fenster auf das stattliche Schreinershaus fiel, in dem nun Auguste bald als Herrin walten sollte, zog ein Lächeln über sein Gesicht, ganz im stillen dachte er: Es ist eben einmal wahr: kein Unglück ist so groß, es hat ein Glück im Schoß! Hätte Frieder nicht den dummen Streich gemacht, wer weiß, ob sich für uns die Geschichte so erfreulich gestaltet hätte.

Eben stellte die Bäuerin die dampfende »Kaffeekannel« auf den Tisch, als Annelies mit Johannes in die Stube trat. Nach herzlicher Begrüßung, den Weibern kam dabei das Wasser in die Augen, setzte man sich 175 zu Tisch, Johannes natürlich neben Auguste, und Annelies tat es nicht anders, der Hans mußte ihr Nachbar werden. Kaffee und Kuchen fand den ungeteilten Beifall der Schreinerin, die vor lauter Loben und Bewundern fast Essen und Trinken vergaß, bis ihr die Bäuerin lachend zurief: »Denk' nur auch an dich selber und steck' dem Hans nicht alles zu, der Bub ist ohnehin nicht blöde.«

Johannes und Auguste saßen still zusammen, nur einmal hatten sich ihre Blicke getroffen, und während der Bergbauer Annelies erfreut anstieß und ihr zublinzelte, konnte das arme Mädchen nur mit Mühe die Tränen zurückhalten; – sie hatte Johannes verstanden und wußte, das Glück war dahin!

Leise zitternd räumte das Mädchen den Tisch ab, dann setzte sie sich im Kafenetle aufs Bett und weinte. In der Stube ging indes der Bauer ans Wandschränkchen, brachte, nachdem er lange darin gekramt, ein Päckchen Papiere hervor, setzte sich an den Tisch und sagte, indem er die Schnur öffnete. »Johannes, ich habe dich immer gern gehabt, wie mein eigen Kind, die Papiere, denke ich, sollen's beweisen, daß ich auch väterlich für dich sorgte. Ich sage das nicht, um mich groß zu machen, dafür kennst du mich – und jetzt merk' einmal auf – dein Vater ist abgeteilt, sein Anteil am Vermögen bar ausgezahlt – da, sieh dir die Quittung an! Haus, Hof und Güter gehören jetzt schuldenfrei deiner Mutter, ja, es sind auch noch Kapitalien vorhanden. Ihr seid wohlbehaltene Leute, und wenn ihr dem Unfrieden ein 176 Ende macht, brav zusammenhaltet und an der Arbeit bleibt, wie bisher, muß es alle Tage vorwärts gehen. – So rede doch auch was, sitzest du nicht da wie ein Stock?«

»Was soll ich sagen? – Mein Reden ändert doch nichts!«

»Johannes,« rief der Bauer und stemmte beide Fäuste auf den Tisch. »Laß mich so was nicht noch einmal hören. Überhaupt, aufrichtig gestanden, gefällt mir dein Wesen und Treiben in letzter Zeit gar herzlich schlecht. Was soll dabei herauskommen, wenn du den ganzen Tag grübelst und sinnierst? Das muß anders werden, ganz anders; ein Bauer, der viel denkt, taugt nichts.«

»Ja, wenn man die Gedanken nur so von sich werfen könnte,« lächelte Johannes, »ich meine, Ihr selber müßtet wissen, daß das nicht so leicht angeht.«

»Ganz unrecht hast du nicht,« entgegnete der Bauer, der sich getroffen fühlte, »ich rede auch nur von dem trübseligen Nörgeln über Dinge, die einmal nicht zu ändern sind. Hebe den Kopf auf, Elend und Jammer war genug in eurem Haus, es darf nun anders werden. Deine Mutter hat das Unglück hart angegriffen, dabei wird sie alt, kränklich ist sie auch – ich verdenk's ihr nicht, daß sie sich nach Ruhe sehnt. Und, Johannes, dazu sollst du ihr helfen – sie will dir die Güter übergeben.«

»Ruhe mag sich die Mutter gönnen; ich selber habe sie schon täglich darum gebeten, sie soll sich's leicht machen und die Arbeit andern überlassen. Aber 177 das Hausregiment kann sie deswegen immer behalten, so schwach ist sie nicht, daß sie das aus den Händen geben müßte.«

»Es ist schön, daß du deine Mutter nicht drückst,« entgegnete der Bauer mit finsterem Seitenblick auf den Jüngling, während Annelies heftig schluchzte. »Aber die Sache hat noch einen andern Grund. Deine Mutter braucht Warte und Pflege, fremde Leute, wenn sie auch noch so gut bezahlt werden, sind dazu nichts nütz. Frieder hat deine Mutter nie gut gehalten, jetzt, da endlich Ordnung im Haus ist, sehnt sie sich nach liebreicher Behandlung – kurzum, damit du ihr eine rechtschaffene, brave Schnur ins Haus führen kannst, übergibt sie dir die Güter. – Du sollst einen leichten Anfang haben,« fuhr er fort und trommelte in steigender Verstimmung über Johannes' Schweigen auf dem Tisch, »Haus und Hof, Schiff und Geschirr wird dein Eigentum gegen die Verpflichtung, deine Mutter treulich zu versorgen bis an ihr Ende. Sollte Annelies wider alles Erwarten mit dir oder deiner Frau sich nicht vertragen können, so hat sie sich einen Auszug festgesetzt – da habe ich dir's aufgeschrieben – ich denke, du kannst damit zufrieden sein. – – Aber zum Kuckuck,« fuhr er auf, und sein Gesicht rötete sich, als Johannes immer noch beharrlich schwieg und das Papier, welches ihm der Pate zuschob, gar nicht ansah, »hast du kein Maul?«

»Mutter,« sagte Johannes leise, ohne aufzublicken, 178 »Ihr seid noch jung und kommt Ihr erst wieder zu Kräften, reut es Euch gewiß – behaltet die Güter.«

»Jetzt rede du, Gevatterin!« wendete sich der Bauer an Annelies; »ich weiß nichts mehr zu sagen.«

»Ich verstehe dich gar nicht, Johannes,« rief Annelies; »ich will's nun einmal so, darum bleibt es dabei: du nimmst die Güter und heiratest – –«

»Solch wichtige Sache bricht man nicht übers Knie,« fiel ihr Johannes ins Wort. »Bedenkt wohl, was Ihr tut, Mutter; ist's einmal geschehen, kommt die Reue zu spät.«

»Deine Mutter und ich haben's uns hin und her überlegt, es bleibt dabei, du nimmst die Güter und – –«

»Pate,« unterbrach ihn Johannes, »nichts für ungut, aber ich meine, darüber hätte ich bloß mit der Mutter zu verhandeln, nicht mit Euch!«

»Laß mich ausreden, so wirst du hören, daß mich die Sache auch angeht,« sagte der Bauer und riß die Weste auf, als drohe ihm Erstickung. »Du bist schon lange um meine Auguste herumgegangen, jetzt wird sich zeigen, ob du ein ehrlicher Bursch bist. – Deine Mutter will dir die Güter übergeben, daß du, merk' auf, daß du Auguste freien kannst. Unter der Bedingung, daß du die Schreinerssachen übernimmst, habe ich auch meine Einwilligung gegeben. – Nu? – – Johannes! – – Himmelheiden – was ist das?«

Auguste stand bleich in der Kammertür und blickte mit weitgeöffneten Augen auf Johannes, der, ohne sie zu bemerken, sich erhob und tiefernst begann: »Ich 179 wollte verhüten, daß Auguste in die Sache gemischt würde – nun ist's doch geschehen, Gott sei's geklagt. Pat' – Mutter – es ist nicht Trotz, nicht sträflicher Ungehorsam; – ich habe mir die Sache auch lange hin und her überlegt, und Gott weiß, der Entschluß ist mir schwer genug geworden; – jetzt aber ist es entschieden – ich kann die Güter nicht nehmen! Seht mich nicht so wild an, Pat', ich verdiene Euren Zorn nicht, ich will Euch sagen, warum ich Euch nicht zu Willen sein kann. – Was dem Vater geschehen ist, darüber steht mir keine Entscheidung zu; aber wie ich mich zu ihm stelle, das ist meine Sache, und in der Bibel steht, ›du sollst Vater und Mutter ehren!‹ – Im Unfrieden sollen die Eltern nicht sterben, ihren Haß sollen sie nicht vor Gottes Thron schleppen, wenn ich's verhindern kann; – heute habe ich mir gelobt, ich will nicht ruhen und nicht rasten, bis die Eltern versöhnt sind. Darum muß ich mir die Hände rein halten, muß frei zwischen den Eltern stehen, darf weder von Vater noch Mutter oder andern abhängen, damit ich frisch vom Herzen weg zum Frieden reden kann, da und dort! – Auguste,« fuhr er weich fort, als er sie jetzt erblickte, »armes Mädle, wie gern hätte ich dir das Leid erspart! Glaub' mir, ich habe dich nicht vergessen. Dein Kummer, den ich voraussah, lag mir schwer auf dem Herzen, und die Angst, du könntest an mir irre werden, mich vielleicht gar verachten, hätte mich beinahe umgewendet. Dir besonders will ich noch eins sagen, warum ich nicht kann: mir graut vor dem Zorn und Haß, der auf Haus und 180 Gütern drüben liegt. Dahinein einen neuen Haushalt gründen, wäre sündhafter Frevelmut und könnte zu keinem guten Ende führen. Auguste, weißt du noch, was ich dir versprochen habe? Glaubst du auch jetzt noch daran?«

»Johannes, mein lieber, lieber Johannes,« schluchzte das Mädchen an seinem Hals. »Wie kannst du so fragen? Ich habe es vorher gewußt, daß es so kommen würde – es ist auch gewiß recht so. Bleib' dabei, ich selber hätte jetzt nicht in das Haus ziehen können.«

»Ist das dein Ernst, ist's wirklich dein Ernst?« rief Johannes erleichtert, und zwei dicke Tropfen rollten über seine Backen. »Auguste, du weißt nicht, was du mir tust – nun ist's ja gut, o, nun ist alles, alles gut! – Was noch kommt – ich laß nicht von dir, und: brav und treu, weil ich lebe.«

»Glaube auch an mich, brav und treu jetzt und immerdar,« weinte das Mädchen und eilte hinaus. Tief aufatmend blickte Johannes dem Mädchen nach, alle Sorgen waren von ihm genommen, die freudige Zustimmung der Geliebten, ihre Versicherung unwandelbarer Treue schwellten ihm das Herz, und in seiner Versunkenheit hörte er weder das Zanken und Schelten des Bergbauern, noch das Weinen und Klagen der Annelies. Erst als sie ihre Stimmen zu immer größerer Heftigkeit steigerten, ward er wieder aufmerksam. Auf die maßlosen Schmähungen des Bergbauern, der mit der Faust auf den Tisch schlagend ihn beschuldigte, er übertreffe noch seinen Vater an Tücke und Hinterlist, begnügte er sich, leise mit dem Kopf zu schütteln, der Mutter jedoch, die ihm mit 181 Fluch und Enterbung drohte, wenn er nicht von seinem Starrsinn lasse, erklärte er: »Es ist schlimm, daß Ihr solche Worte in den Mund nehmen könnt, da Ihr das Unrecht Eures Vaters selber noch nicht verwunden habt. Übrigens geht das Enterben nicht so leicht, und vor einem ungerechten Fluch fürchte ich mich nicht.«

»Habt Ihr's gehört, Bauer, wie er mir antwortet?« weinte Annelies. »Und das wagt er gegen seine leibliche Mutter! – Du meinst wohl, ich führe es nicht durch, was ich sage? – Warte nur! Enterben? – Das ist noch viel zu wenig, aus dem Haus jag' ich dich in Schimpf und Schande, wenn du nicht auf der Stelle umkehrst! – Denkst, ich tu's nicht, weil ich dann allein wäre? – Dafür wird Rat! – Die Auguste nehm' ich zu mir, die muß mich pflegen, dafür vermache ich ihr all mein Gut.«

»Nun höre aber auf, Annelies, das ist ja ein sinnloses Geschwätz und ein sündhaftes obendrein,« rief die Bergbäuerin, die bisher mit Mühe an sich gehalten hatte, und stellte sich dicht vor die Schreinerin. »Schämst du dich nicht, so gegen dein Kind aufzutreten? – Das sage ich dir, meine Auguste lasse aus dem Spiel, da haben ich und sie auch ein Wort mit drein zu reden. – Gott im Himmel behüte uns vor Geschichten, wie du sie im Kopf hast! Und du bist mir ganz still, Jörg, jetzt will ich meine Meinung sagen. Wenn du auch gänzlich zum Narren worden bist, Gott sei Dank, ich habe meine fünf Sinne noch beisammen; und es bleibt dabei, Johannes weiß wohl, was er tut, ich laß nichts auf ihn kommen. 182 Ich leid's auch nicht, daß du dich noch weiter in die Sache hängst, Johannes ist alt genug und braucht keinen Vormund mehr.«

»Das geht ja wie geschmiert, wußte gar nicht, daß du solch ein Advokatenmaul hast,« zankte der Bauer. »Aber so mir nichts, dir nichts wirfst du mich nicht über den Haufen. Zum letztenmal, Johannes: willst du die Güter nehmen? – Bedenk', was du tust! – Himmelmillion, soll ich erleben, daß du das Mädle ausschlägst?«

»Von Auguste ist vorläufig gar nicht die Rede, Pat',« entgegnete Johannes, der sich hoch aufgerichtet hatte. »Es handelt sich bloß um die Güter, und da ist ein Wort so gut wie tausend; ich kann sie jetzt nicht nehmen. Im übrigen bin ich ein ehrlicher Bursch und Auguste bleibe ich treu, solang ich lebe, nehme ich keine andre. Warum stellt Ihr Euch so ungebärdig? Sind wir nicht beide jung und können noch warten? – Muß Euch nicht auch daran liegen, daß ich meine Schuldigkeit gegen die Eltern tue in jeder Weise?«

»'s ist gut, 's ist gut,« fiel ihm der Bauer giftig ins Wort. »Herrgott, wer mir das heut' morgen gesagt hätte! Aber tu' in Teufelsnamen, was du magst, nur die Gedanken auf Auguste laß dir vergehen; ich sage dir, ehe ich darein willige, daß du sie einmal freist, eh soll mich –«

»Verredet's nicht, Pat'!«

»Verreden – dummes Zeug! Man kann nichts verreden als das Nasenabbeißen, und das nur bei 183 der eignen!« rief die Bäuerin. »Und jetzt bist du still, Jörg, ich leid's nicht, daß du den Johannes so schändlich behandelst, er verdient's nicht und ist obendrein unser Pat'.«

»Was Pat' – ich bin sein Pat nimmer,« fuhr der Bauer auf. »Merk's, bei mir hast du's aus, ich kenn' dich nicht, für mich bist du nicht mehr auf der Welt. Marsch, jetzt aus dem Haus, du hast hier nichts mehr zu suchen, und erwisch' ich dich, daß du nur mit einem Blick nach dem Mädle guckst, dann sei dir Gott gnädig. – Was stehst du da? – Soll ich noch deutlicher reden? – Hinaus – marsch – du bist übrig!«

»Eure harten Worte rechne ich Euch nicht an, ich will hoffen, daß Euch die Zeit auf andre Gedanken bringt,« entgegnete Johannes. »Euch, Patin, dank' ich für Euren Beistand, Eure Worte sind mir ein rechtschaffener Trost, und ich werde sie immer im Herzen behalten.«

»Nimmt das Geplapper kein Ende?« schalt der Bauer; die Bäuerin jedoch, ohne darauf zu achten, drückte seine Hand und sagte weinend. »Geh, Johannes, der Bauer weiß nicht mehr, was er tut; geh ihm aus dem Weg. Vertrau' auf den Herrgott, der wird alles zum besten lenken; ich laß mich nicht gegen dich aufbringen, darauf verlaß dich – und jetzt geh!«

Auf dem Hausflur blieb Johannes stehen, ließ den Kopf auf die Brust sinken und seufzte: »So wär's überstanden; – aber – Auguste – ach, du armes, armes Mädle!«

184 »Ich bin nicht arm!« flüsterte es neben ihm, und weiche Arme schlangen sich um seinen Hals. »Ich habe viel geweint, und es wird noch manches Augenwasser geben, aber innerlich ist mir doch leichter, da ich nun weiß, woran ich bin. Du hast recht getan, Johannes, ich sag' dir's noch einmal, und ich bin stolz auf dich, daß du das gekonnt hast. Nun wollen wir auch aushalten und feststehen; geh jetzt nicht mehr so betrübt und verstört herum wie bisher, Johannes, ich bitte dich herzlich darum; denk' nur, wie soll ich das Leid ertragen, wenn ich dich schwach sehe?«

»Habe keine Angst, Auguste, ich habe selber eingesehen, das trübselige Wesen muß ein Ende nehmen, von jetzt an will ich beweisen, daß ich ein Mann bin. Aber wirst du dich auch nicht abspenstig machen lassen? – Bleibst du mir auch treu?«

»Immer und ewig! – Wie könnt' ich anders?«

»So härme dich nicht. Wir haben beide ein reines Gewissen. Und dabei soll's bleiben. Will es Gott, ist's ihm ein Leichtes, uns zusammenzubringen– darauf wollen wir hoffen. Mein herzlieber Schatz – ade!«

Daheim legte er die halboffene Rosenknospe, die heute morgen Augustens Brust geschmückt, zu der Rose vom vorigen Jahr und seufzte, als Annelies drunten laut aufheulte. »Ich kann ihr nicht helfen, ich bezahl's ja doch am teuersten. – Und Gott sei Dank, das Schwerste ist nun überwunden!« 185

 


 


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