Heinrich Schaumberger
Vater und Sohn
Heinrich Schaumberger

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Der Wurm frißt tiefer.

Ein merkwürdiges Glück hatte Frieder begünstigt; früher als er es zu hoffen gewagt, sah er sich am Ziel seiner Wünsche. Aber merkwürdig, seit dem Beginn des Neubaues war er unzufrieden, ein Unmut gärte in ihm, über den er sich selbst nicht klar werden konnte. Der Bau war ihm lästig, die Arbeit verleidet, Geld und Gut erschien ihm nicht mehr so begehrenswert, oft ekelte ihn die ganze Welt an. Schon jetzt fürchtete er den Einzug in das neue Haus, ihm graute vor dem alten Leben in den neuen Räumen, und je tiefer dieses Gefühl wurzelte, desto größer ward eine unbestimmbare, unerklärliche Sehnsucht. Zornig murrte er oft, wenn Annelies, die in letzter Zeit kränkelte und auffallend verfiel, an ihm vorüberschlich: »Paßt solch eine Frau in das schmucke Haus?«

Daran reihten sich Gedanken, vor denen er selber erschrak, und die er doch nicht los werden konnte. Von da an verbarg er seinen Widerwillen gegen Annelies nicht mehr: nach einer sechsundzwanzigjährigen Ehe begann er seine Frau rauh und hart zu behandeln. 33 Annelies erriet ihn, weinend klagte sie oft: »Ich seh's, Frieder wartet auf meinen Tod; ich werde kaum die Augen zugetan haben, führt er eine Jüngere und Schönere in meine Sachen.«

Solche Reden, die sie fast täglich hörte, brachten die Magd des Hauses, die Bärbel, zuletzt auf wunderliche Gedanken. Die runde, kräftige Dirne galt im Bergheim für ein schönes Mädchen; sie selbst wußte das und glaubte daran, darum standen ihre Sinne nach hohen Dingen. Schon manchen ehrlichen Knecht, selbst den Eckenphilipp, der doch eine hübsche Sölde von seinen Eltern erben sollte, hatte sie schnöde und spöttisch abgewiesen; – ihre Absichten gingen auf den Sohn ihrer Herrenleute. Allein Johannes beachtete ihre Aufmerksamkeiten nicht, und als sie zudringlich wurde, fertigte er sie so derb ab, daß sich ihre Neigung in Haß verkehrte. Die zunehmende Verstimmung ihrer Herrenleute, die wachsende Kränklichkeit der Annelies, besonders aber deren Befürchtungen vor der Zukunft erweckten, wie gesagt, eigne Gedanken. Sie war jung und schön, gesund und kräftig; – wenn Frieder nach dem Tod der Annelies wieder heiratete, warum sollte er sie nicht freien? Er war wohl alt, und lieb hatte sie ihn nicht, aber sie ward dann eine angesehene Frau und – das war nicht ihr letzter Grund – konnte dem Johannes heimzahlen, daß er sie verschmäht. Aber würde sie auch Frieder wollen? – Sie, die arme Magd, war gewiß die letzte, an die er dann dachte. Wollte sie darum ihren Plan nicht fallen lassen, so blieb ihr nur ein Weg, zum Ziel zu 34 gelangen – sie mußte Frieder noch bei Lebzeiten der Annelies auf ihre Seite bringen. Zuerst erschrak Bärbel wohl vor solchen Gedanken, aber bald ward sie vertraut mit ihnen, auch an schlauen Entschuldigungen ihres Vorhabens gebrach es ihr nicht; – nach kurzer Zeit stand ihr Entschluß fest, und sie wartete nur auf günstige Gelegenheit, ihren Plan ins Werk zu setzen. Beim Aufrichten des Hauses, als Frieder Weib und Kind verächtlich behandelte, jubelte sie innerlich; das Wort beim Tanz: Ihr dauert mich! – war der erste vergiftete Pfeil, den sie nach Frieders Herzen abschoß, und – er traf.

Wie ein Blitz schlug das Wort in Frieders Seele, grauenvoll erhellte er das Dunkel seines Innern; – die Sehnsucht war keine unklare Empfindung mehr, er wußte jetzt, was ihm fehlte. Von Stund' an war er wie umgewandelt. Die so lange unterdrückte Sinnlichkeit brach hervor, das Bild der Bärbel verfolgte ihn im Wachen und Träumen. Es half ihm nichts, daß er erkannte, in welcher Gefahr er stand; es schützte ihn nicht, daß er sich seine Grundsätze ins Gedächtnis rief – die Leidenschaft war stärker als seine Vernunft. »Du bist unglücklich, und kein Mensch weiß darum; sie allein hat dein Elend erkannt, sie allein hat Mitleid mit dir, sollst du sie deswegen verstoßen?« rief es in ihm, wenn er daran dachte, Bärbel aus dem Hause zu tun. Der innere Zwiespalt machte ihn unstet und hastig; mancherlei begann er, um es halbvollendet liegen zu lassen; oft starrte er stundenlang ins Leere, zusammenschreckend blickte er 35 dann verstört um sich, oder er tat ausgelassen fröhlich, pfiff und sang die lustigsten Weisen, während doch verhaltener Unmut in seinen Augen glühte. Dazu begann er das Wirtshaus öfter als sonst aufzusuchen, geistige Getränke über Bedürfnis zu genießen – ein trostloser Zustand! Annelies faßte sich endlich ein Herz, machte ihm Vorstellungen; eine Weile hörte sie Frieder an, brach dann in höhnisches Lachen aus und ließ die tiefgekränkte Frau allein.

Die Befürchtung des Bergbauers schien einzutreffen, der Neubau brachte der Schreinersfamilie eitel Jammer und Herzeleid; Johannes ging traurig umher, selbst Auguste vermochte ihm kaum mehr ein Lächeln abzugewinnen, und Annelies klagte ihrer Gevatterin trostlos: »Ich weiß nicht, was über den Frieder gekommen ist, aber das weiß ich, mit uns nimmt es kein gutes Ende.« Der Bergbauer schwieg und schüttelte verdrießlich den Kopf, wenn seine Marie in ihn drang, er solle dem Frieder ins Gewissen reden. Als aber dieser zum großen Ärgernis der Bergheimer sogar Streit im Wirtshaus begann, ward es ihm zu bunt, er beschloß nun nicht länger zu schweigen.

An einem heißen Sonntag Nachmittag, der leichte Ostwind trug den süßen Heugeruch vom Werthagrund herauf, trat der Schreinersfrieder aus den Hecken der Hausgärten und folgte dem Sülzdorfer Kirchsteig. Bei den Rotwiesen, wo der Kirchsteig in der Badergasse endet, traf er mit dem Bergbauer zusammen, der, wie er selber, auf dem Weg nach Schottendorf war. Nach einigen gleichgültigen Bemerkungen über 36 Wetter und Ernte meinte der Bergbauer: »Habe im Vorbeigehen deinen Bau angesehen, ist wacker damit vorwärts gegangen. Wirst froh sein, daß die Unruhe und Sorge bald ein Ende nimmt.«

»Ich wollte, mit mir selber ging's zu Ende«, entgegnete Frieder finster.

»Frieder, was ist das für eine Rede!« rief der Bergbauer und sah seinem Nachbar erschrocken ins Gesicht. »Schäm' dich! Hast alles, was du dir wünschen kannst – und führst solche Reden? Ich kann nicht anders denken, das Glück hat dich übermütig gemacht.«

»Übermütig? – Daß sich Gott erbarm'! Ich will dir mein Glück nicht wünschen, meinem ärgsten Feind nicht.«

»Du versündigst dich! – Was hättest du zu klagen? – Ist dir nicht vom ersten Tag deiner Ehe bis heute geglückt, was du angefangen hast? Du bist einer der Reichsten im Dorf, und was noch mehr bedeutet, der angesehenste Mann nicht bloß in Bergheim – gilt dir das nichts? – Dazu hast du eine rechtschaffene Frau, einen Sohn so brav und – –«

»Und wo steckt das Glück?« unterbrach ihn Frieder ungeduldig. »Merk auf, Jörg! Seit ich gezwungen worden bin, die Annelies zu freien, ist mein Herz zu Eis geworden, von da an habe ich keinen Menschen mehr gern haben können, und mir war auch niemand aufrichtig gut. Das Leben war mir schon damals zur Last, aber ich meinte, Reichtum und Ehre wäre auch was; das könnte wohl die Liebe ersetzen. Drum 37 hab ich danach gearbeitet jahraus, jahrein – und jetzt, da ich's erreicht habe, seh' ich, es ist nichts. Was nützt der Reichtum, was hilft Ehre und Ansehen, wenn sich niemand mit mir darüber freut? – Kein Mensch dankt mir für meine Mühe und Plage; ich bin ärmer wie der geringste Tagelöhner; meine Arbeit war vergeblich; die Jahre, die ich dran setzte, um es vorwärts zu bringen, sind weggeworfen!«

»Das ist ja schrecklich! – Sage, wie kommst du auf solche Gedanken? – Du warst doch bisher zufrieden.«

»Zufrieden? – Geduldig vielleicht. Weißt du, solange ein Nachtwandler nicht erweckt wird, ahnt er nichts von der Gefahr, in der er steht; ich war auch eine Art Schlafwandler, aber ich wurde angerufen, nun ist's vorbei.«

»Ich verstehe dich nicht! – Wo soll's noch hinaus?«

»Wo es kann! Das Leben ist mir zur Last; es ist zu schlimm, wenn man niemand von Herzen gut sein kann – und darf,« setzte er leise hinzu.

Kopfschüttelnd schritt der Bergbauer dahin; endlich begann er: »Frieder, so tut es nicht gut, die Gedanken bringen dich ins Elend. Ich will mich nicht in deine Sachen mischen, aber wenn ich dich noch was achten soll, dann führe nicht mehr solche lästerlichen Reden.«

»Du hast gut predigen! Was weißt du, wie es da drinnen in mir aussieht? – Denke von mir, was du magst; ich bin so unglücklich, daß es mir darauf wahrlich nicht ankommt, was du von mir hältst.«

38 »Du schlägst dir selber ins Gesicht. Erst beklagst du dich, daß dir niemand gut sei, und jetzt behandelst du mich so? – Mach nur zu Frieder! Dann wird's freilich bald Wahrheit werden, was du dir jetzt nur einbildest, dann wirst du bald allein stehen – du müßtest denn Sauf- und Kartbrüder für Freunde rechnen.«

»Ich dachte, darauf würde es hinauslaufen. Wer hat dich an mich geschickt, die Annelies oder der Johannes?«

»Pfui, Frieder, jetzt sehe ich, daß du ganz gering von mir denkst.«

»Du etwa besser von mir? Siehst du nicht ein, daß ich nicht anders kann? – Ohne Freude hält es kein Mensch aus, und wo soll ich das Vergnügen suchen, wenn nicht im Wirtshaus? – Und Jörg, wenn mir das Bier zu Kopf steigt, dann habe ich Ruhe vor den wüsten Gedanken, die, – o könnt' ich die Gedanken los werden!«

»So weit ist's mit dir? Ich hab' dich für einen Mann gehalten, verzeih' mir, ich tat dir unrecht.«

»Was willst du damit sagen?«

»Die Spatzen werden es bald von den Dächern schrein! Ich habe dich warnen wollen – aber wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen.«

Ohne Gruß wendete er sich ab in das Sülzdorfer Wirtshaus, vor dem sie eben angekommen waren. Frieder stand eine Weile still und sah dem Bergbauer mit zusammengekniffenen Lippen nach. Die Spatzen 39 werden es von den Dächern schrein; was er damit meinte? sann er im Weiterschreiten. »Sollte er ahnen? Dummheit! Wie kann er wissen, was ich selber nicht wissen will? – Und er soll nicht recht behalten, nie und nimmer. Ich bleib der Schreinersfrieder. Nein, nein, schlecht werde ich nicht, dem Bergbauer zum Trotz nicht!« Wie zur Bestätigung seines Entschlusses stieß er den Stock heftig in die Erde. 40

 


 


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