Heinrich Schaumberger
Vater und Sohn
Heinrich Schaumberger

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Sturm über dem Grab.

»So hat der alte Hofhannes doch endlich Feierabend machen müssen, wenn er gleich immer tat, als hätte ihm unser Herrgott selber nichts an,« sagte die Beckenbäuerin, als wenige Tage vor Weihnachten feierliches Glockengeläute vom Turm herabtönte.

»Ja und die Welt wird fortbestehn ohne ihn,« stimmte der Beckenjörg bei, der nach Hut und Gesangbuch griff, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. »'s ist ein wunderlich Ding! Sein Lebtag hat er nicht genug kriegen können, Ehre und Seligkeit setzte er eines lumpigen Gewinstes willen aufs Spiel, und nun muß er doch mit sechs Brettern zufrieden sein. – Ich möchte nicht für den Hofhannes vor unsern Herrgott treten.«

Draußen schloß er sich stille dem langen Zuge an, der dem reichgeschmückten Sarg zum Friedhof folgte, und dachte: »Ja, wenn ein Verstorbener durch Gold, Atlas und Seide geehrt werden könnte, dann wäre der Hofhannes noch im Tode zu beneiden, aber – 82 aber – das Beste fehlt doch; wenn die Annelies nicht weinte, kein Auge würde naß.«

Und er hatte wohl recht. Der Glanz und Prunk des Reichtums, den die Angehörigen des Verstorbenen entfalteten, ließ grell und schneidend den Mangel jeglicher Liebe und Teilnahme für den Toten hervortreten. Hochmütig schritten die drei Söhne hinter dem Sarge drein, nicht der leiseste Zug von Wehmut oder Trauer milderte die harten Züge, tückisch funkelten die Augen unter den gesenkten Lidern, Mißtrauen und Hinterlist lauerten in den Falten der Stirn und den herabgezogenen Mundwinkeln. Über das Gesicht des jüngsten Bruders zuckte es sonderbar, fast wie heimliche Freude, und der Tiefenorter Schmied stieß leise den alten Wirtshaushenner an: »Solche Leiche habe ich noch nie erlebt; sieh nur, wenn es lange dauert, fängt der Hofkaspar noch an zu lachen.«

Dabei ging ein unheimliches Flüstern durch den Zug. Daß er gestorben ist, war der größte Gefallen, den der Hofhannes seinen Buben tun konnte, und der Schreinersfrieder wird sich die Haare auch nicht ausraufen. – Seht nur die Pracht der Hofleute; aber ihre Schande deckt sie doch nicht zu. – Wie sich die Brüder anschielen; da traut keiner dem andern; ist auch in der Ordnung, ihr Reichtum ist kein ehrliches Gut, drum darf er ihnen auch keinen Segen bringen. – Paßt auf; 's gibt Krieg im Hofhaus, 's ist nicht alles in Ordnung dort! – – So rauschte es auf und ab, noch viel schlimmere Dinge, im Munde der Leichenleute lebendig, folgten dem Hofhannes zum 83 Grab; alte Sünden des Verstorbenen, lange vergessen, erwachten im Gefolge und schwebten wie dunkle Schatten über den Sarg. Ob sie die milden Friedensworte des Geistlichen wegbeteten? Auch auf die Grabrede achtete niemand. Die Weiber stießen sich an: »Wie die Annelies heult! – Das gilt auch nicht allein dem Hofhannes, der Frieder treibt's ja immer toller mit der Bärbel.« Und die Männer steckten die Köpfe zusammen: »Wie der Frieder aussieht! Was der wohl denken mag? – Ja, ja dem wär' es auch lieber, er könnte hinter dem Sarge der Annelies drein gehen.« Das waren harte Urteile, aber sie trafen auch nur teilweise zu. Annelies beweinte wohl ihr Hauskreuz daheim, aber von der Untreue, die Frieder zur Last gelegt wurde, ahnte sie nichts. In Frieders Seele hatte sich ein arger Tumult erhoben. auch anders als man vermutet. Eine Stimme in ihm sprach: »Der Tod des Hannes ist ein Fingerzeig Gottes, der dir auf den rechten Weg helfen will. Du bist jetzt frei von ihm, die Urkunde kommt in deine Hände, drum kehr' um.« Dagegen erwachten Erinnerungen auf Erinnerungen, und bei jeder glühte Zorn und Haß auf, Frieder kämpfte schwer; als er das Grab verließ, war es ihm noch nicht gelungen, die bösen Gedanken niederzuzwingen.

Nach dem Leichenbegängnis sammelten sich die Hinterbliebenen, drei Söhne mit ihren Weibern und die Bergheimer Schreinersfamilie, im Hofhaus zu Tiefenort. Von Wehmut und Trauer war nichts unter ihnen zu spüren; dafür saßen unholde, friedlose Geister genug um den Tisch.

84 Der dicke Ritzengottfried von Dammsbrück, der älteste Sohn, sagte zum jüngsten, dem Kaspar, der bisher mit seiner Frau dem Vater hausgehalten hatte. »Wir wollen noch nicht an die Sachen des Vaters rühren, aber die Bücher und Schriften müssen wir doch ansehen. Bin neugierig, was der Alte noch zusammengescharrt hat.«

»Ja,« nickte der zweite Bruder, der den Schäfershof in Meschenbach erheiratet hatte, »wenn's mit rechten Dingen zugegangen ist, muß ein schöner Brocken an Geld vorhanden sein. Drum gib die Obligationen einmal 'raus, wir wollen sie aufschreiben – 's ist von wegen!«

»Ja, von wegen!« lachte Kaspar. »Vor sechs Wochen wird nichts angerührt, das sag ich. Wär' mir 'ne schöne Sach', der Vater drehte sich ja im Grabe um.«

Nach dem Volksglauben kann allerdings der Tote nicht im Grabe ruhen, wenn gleich in den ersten Wochen nach seinem Verscheiden die Hinterlassenschaft aus ihrer Ordnung gerissen wird. Das wußten die Brüder gut genug, aber es paßte ihnen nicht, darum sagte Gottfried: »Behalte deine Weisheit für dich, wirst sie selber noch brauchen. Verrückt soll nichts werden, aber die Papiere ansehen, ist was anders, das wird den Vater in seiner Ruhe nicht stören.«

»Alles Reden ist vergeblich,« erklärte Kaspar, »ich tu's nicht, dazu ist mir der Vater zu gut.«

»Seit wann bist du so auf den Vater bedacht?« fragte der Schäfersbauer. »Das ist wunderlich, warst 85 doch früher ganz anders. Kaspar, deine Pfiffe kennen wir, damit ist es nichts.«

»Mache keine Geschichten; ich rate dir Gutes – zeig' die Schriften auf!« unterbrach Gottfried die Weiber, die sich zankend einmischten. »Wir wissen gut genug, wie du bisher uns und den Vater betrogen hast, damit hat's ein End'!«

»Das soll ich mir gefallen lassen im eignen Haus?« fuhr Kaspar auf. »Vergeßt nicht, Ihr sitzt an meinem Tisch, noch solch ein Wort und ich will Euch die Mäuler stopfen!«

»In deinem Haus? – An deinem Tisch?« schrien die Männer, während die Weiber aufkreischten, »bist du verrückt?«

»Wartet's ab, das Ende wird's klar machen,« lachte Kaspar und ging pfeifend hinaus.

Wie vom Donner gerührt starrten sich die Brüder ins Gesicht, fluchend rissen sie die Gäule aus dem Stall und jagten mit ihren weinenden Weibern davon.

»Das wird ja herrlich!« sagte Frieder, der auch aufstand und mit einem bösen Blick auf Annelies die Stube verließ.

»Mein Gott, was bedeutet das?« jammerte Annelies, die mit Johannes allein zurückblieb. »Was ist das mit dem Kaspar? – Der Vater wird doch nicht – er wird uns doch nicht unglücklich gemacht haben?«

»Mutter, wir wollen heim!« sagte Johannes, als die junge Bäuerin scheltend in Stube und Kammer herumwirtschaftete. »Wir sind hier übrig.«

Während Annelies, auf Johannes gestützt, seufzend 86 und klagend heimwankte, saß Kaspar im Wirtshaus bei den »Leichenleuten«, die sich auf dem »Leichentrunk« von ihrer Traurigkeit erholten. Lachend schwenkte er ein schäumendes Maßglas und schrie: »Mir ist's bei dem Alten schlecht gegangen, aber ich weiß doch, warum ich ausgehalten habe – mein Teil habe ich im Trockenen, und die Geschwister lache ich aus. – Sauft – ich, der Hofbauer von Tiefenort, kann was draufgehen lassen!«

Der Schulbauer, Herrnbauer und Beckenjörg verließen bald den Leichentrunk; das wüste Treiben, das Schreien und Lachen war ihnen zuwider. »Ich habe die Bauern gern,« sagte der Schulbauer unterwegs, »weiß auch, es ist ein tüchtiger Kern in ihnen, aber oft möchte ich zornig werden über ihre Herzlosigkeit und Roheit. Ist das ein Jammer, wie sie sich heute wieder auf dem Leichentrunk auslassen, und der eigne Sohn des Verstorbenen treibt es am ärgsten.«

»Du kannst eben noch immer den Schulmeister nicht los werden,« lächelte der Herrnbauer, sein Schwager. »Recht hast du, aber ist's zu ändern? Was einmal Sitte und Brauch ist, daran hängen wir wie Kletten, sei's gut oder böse. Mit dem Kaspar aber muß es eine besondere Bewandtnis haben.«

»Ich fürchte,« sagte der Beckenjörg, »der Hannes ist mit einem schlechten Streich aus der Welt gegangen.«

»Ich auch,« stimmte der Schulbauer bei, »und dann gnade Gott den Schreinersleuten, das wäre Frieders Untergang!«

* * *

87 Bleich, verstört schritt Frieder unterdes Bergheim zu; einen Zweig, den er von einer Hecke gerissen, zerbiß er in kleine Stücke; oft schlug er mit geballten Fäusten um sich und stieß heftige Verwünschungen aus. Bei seinem Eintritt ins Haus schrie Bärbel erschrocken: »Barmherziger Gott, wie seht Ihr aus? – Herr, was ist Euch geschehen?«

»Was?« rief Frieder und schleuderte den hohen Hut in eine Ecke. »Was mir geschehen ist? – Nichts! – Der Hofhannes, wie er als Lump gelebt hat, ist auch als Lump gestorben!«

»Fehlt Euch was? – Soll ich Euch Tropfen holen?«

»Was mir fehlt, dagegen helfen keine Tropfen. – Der Hofhannes hat vor seinem Tode dem Kaspar die Güter in die Hände gespielt!«

»Herr meines Lebens – ist's möglich? – Wißt Ihr das gewiß?«

»So gewiß Hannes sein Lebtag ein Spitzbub war; schriftlich erfahr' ich's erst in sechs Wochen.«

Bärbel fuhr erschrocken nach Frieder herum, der mit fest zusammen gekniffenen Lippen und unstet umirrenden Blicken auf und ab schritt – das ging sie ja auch an; was Frieder verlor, ward ihr selber genommen. Aber als sie ihm in das bleiche Gesicht blickte, als sie sah, wie es in ihm arbeitete, verwandelte sich ihr anfänglicher Schrecken in wilde Freude. Auch ohne das Erbe war Frieder noch immer reich genug, zumal jetzt die Urkunde, die ihr manche schlaflose Nacht gemacht hatte, nach ihrer Meinung unschädlich geworden war. Jetzt oder nie mußte es ihr gelingen, 88 Frieder ganz an sich zu ziehen; Haß und Zorn war ja da, nur noch auf einen bestimmten Punkt brauchte sie ihn zu lenken, und sie hat gewonnen Spiel. Vorsichtig ihre Freude hinter teilnehmendes Wesen versteckend, rief sie: »Es ist nicht möglich! – Und doch – Ihr bleibt dabei? – O diese Schlechtigkeit! – Nun versteh' ich, warum Euch alle aufs Leder knieten; es ist nicht anders, der Hofhannes wollte Euch zur Seite schieben, um in Sicherheit seine Streiche auszuführen.«

Aus seinem Brüten auffahrend, fiel ihr Frieder finster ins Wort: »Nimmst du das aus dir selber?«

»Ich bin freilich nur ein dummes Ding, aber meine eignen Gedanken habe ich doch, und ich meine auch, das läge nahe genug. Herr, Euer Schicksal geht mir zu Herzen! – 's ist nicht bloß wegen dem himmelschreienden Unrecht, das Ihr vom Hofhannes erfahren müßt, auch nicht bloß wegen der Schlechtigkeit und Undankbarkeit der eignen Leute – das wäre zuletzt alles zu ertragen; – ich kenne Euer Unglück, ich weiß, die Hauptsache ist ganz was anders. Ihr dürft mir glauben, Herr, die Leute sehen's auch ein und haben Mitleid mit Euch; wie oft habe ich sagen hören: der Frieder ist zu bedauern; ein Mann wie er – und solch elende, gebrechliche Frau! – 's ist wahrhaftig zu bewundern, daß er sie um sich leiden kann!«

Frieder war ans Fenster getreten und starrte hinaus in den Hof; bei den letzten Worten drehte er sich hastig um, auf seinen Wangen brannten dunkelrote Flecken, in seinen Augen loderte wildes Feuer, seine Blicke hingen an dem Mädchen, das mit 89 geröteten Wangen und niedergeschlagenen Augen auf der Ofenbank saß und mit ihren Schürzenbändern spielte. Bärbel fühlte, wie die Blicke Frieders auf ihr ruhten, sie wußte, daß er sie jetzt mit Annelies verglich, und ihr Herz fing an zu klopfen. Allein sie zwang sich zur Ruhe und fuhr fort: »Ja, sie wundern sich, wie Ihr so sanftmütig gegen die Annelies seid, obgleich sie Euch alles gebrannte Herzeleid antut; sie sagen: der Annelies wäre es gar nicht zu verzeihen, wie sie Euch behandle; wenn sie Euch auf den Händen trüge, täte sie lange nicht genug; denn ein Mann wie Ihr verdiene von Gottes und Rechts wegen die schönste und beste Frau. Ihr wäret freilich auch viel zu gut, sagen sie, und das mache die Annelies erst schlimm; zeigtet Ihr nur einmal den Meister, dann würde es bald anders werden.«

Frieder mußte sich abwenden, er fühlte, wie er die Herrschaft über sich verlor; da sah er Annelies und Johannes aufs Haus zukommen, mit einem Fluch hob er die Fäuste. »Still jetzt!« rief er der Bärbel mit heiserer Stimme zu. »Geh – sie kommen!« Dann setzte er sich hinter den Tisch, drückte die Hand vors Gesicht. »Ich wollte umkehren – ja, ich wollte – aber es soll nicht sein, ich bin zum Unglück geboren!«

Annelies trat ein und sank wie zerschlagen in einen Lehnstuhl; ein Gefühl der Vereinsamung und Hilfsbedürftigkeit trieb ihr die Tränen in die Augen und erweckte fast etwas wie einen Nachhall der früheren Liebe zu Frieder, war er doch der einzige, bei dem sie Trost und Beistand suchen konnte. »Frieder, ich 90 vergehe vor Kummer und Angst!« klagte sie und blickte unter Tränen bittend zu ihm auf. »Ach Gott, gelt, du glaubst auch nicht, daß es sein kann, mit – mit dem Kaspar; gelt, du sagst auch, es ist gar nicht möglich? – Ich bin ja sein Kind so gut als der Kaspar!«

»Nicht möglich? – Was wäre dem Hofhannes nicht möglich? Hat er fremde Leute bestohlen, warum sollte er nicht auch einmal die eignen Kinder betrügen?«

»Frieder – daß sich Gott erbarm! Ist das dein Ernst? – Fürchtest du dich auch nicht der Sünde, einem Toten, der kaum unter der Erde ist, so was nachzureden?«

»Und ich soll ihn wohl loben, den –, ich will den Namen nicht sagen, den er verdient! – Soll ihn loben, daß er meinen Vater um das Vermögen und mich ins Elend gebracht hat?«

»Gott verzeih' dir! – Was er mit deinen Vater hatte, weiß ich nicht, aber was tat er dir? – Wodurch hat er dich ins Elend gebracht.«

»Und du fragst auch noch?« schrie Frieder, der aufgesprungen war und ihr mit blitzenden Augen in das Gesicht starrte. »Meinst wohl, ich hätte das Herz nicht, mit der Farbe herauszugehen? Ich sage dir's und vor allen Leuten sage ich's: du – du bist mein Unglück; durch dich hat mich mein Vater ins Elend gebracht.«

Annelies stieß einen Jammerruf aus, dann fuhr sie auf: »Du willst sagen, ich hätte dich ins Elend gebracht? – Hast du es nicht mir zu danken, daß 91 die Liederlichkeit deines Vaters zugedeckt und du aus Armut und Schande gerissen wurdest?«

Frieder hob die Hand gegen die schreiende Frau, noch zur rechten Zeit fiel ihm Johannes in den Arm mit den Worten: »Laßt ab, Vater, laßt ab! Ich leid's nicht, Ihr dürft die Mutter nicht schlagen.«

»Bist du auch da?« lachte Frieder wild. »'s ist schon recht so, haltet nur wacker zusammen, du gehörst ja auch zu den Hofhannsen – aber nehmt euch in acht, du und deine Mutter, wir sind noch nicht fertig zusammen!« Damit riß er sich los und eilte hinaus.

»Das habt ihr brav gemacht – fahrt nur so fort, und es wird bald anders werden im Haus!« flüsterte Bärbel, die an der Tür gelauscht hatte. Als aber Frieder, ohne darauf zu achten, an ihr vorbeieilte, murrte sie hinter ihm drein: »Er bleibt ein Narr! Sollte ich heute wieder vergebens gearbeitet haben? – Aber warte, ich weiß jetzt, wie du zu fangen bist, du entgehst mir doch nicht!«

Im Wirtshaus ward Frieder von seinen Zechbrüdern, die den Lärm im Schreinershaus gehört hatten, sehnlichst erwartet. Saufpaule behauptete, Annelies habe gewiß die Geschichte mit der Bärbel erfahren, der Holsteiner und Geuß rieten dagegen auf einen Verdruß in Tiefenort; auch die übrigen Gäste sprachen lebhaft ihre Vermutungen aus, als Frieder eintrat. Seine Erzählung über die heutigen Vorgänge im Hofhaus erregte großes Aufsehen; der Unwille über die Schlechtigkeit des Hofhannes, die niemand bezweifelte, war um so größer, als wohl kaum einer 92 unter den Anwesenden war, der nicht einen heimlichen Groll gegen den Verstorbenen im Herzen trug. Einstimmig rieten die Gäste Frieder, er solle sich nur nichts gefallen lassen, sondern dem Hofkaspar die Hölle gehörig heiß machen. »Und was werde ich erreichen?« war Frieders Antwort. »Der Alte war ein Fuchs. Hat er Kaspar die Güter wirklich verkauft, so machte er die Sache gewiß so fest, daß sie nicht umzustoßen ist.«

»Eigentlich geschieht dir's schon recht!« lachte Geuß. »Was warst du so dumm dein Leben lang? Was nützt dir jetzt deine Rechtschaffenheit, deine Mühe und Plage? – Da war ich gescheiter, ich habe wenigstens mein Leben genossen.«

»Hast dich garstig hinters Licht führen lassen,« rief der Holsteiner. »Und wenn du den Reichtum bekämst – was nützt' er dir? – Ich möchte die Annelies nicht, und wenn sie mit Gold behängt wäre.«

»Sei vernünftig, Frieder,« schrie Saufpaule. »Nimm mit, was mitzunehmen ist. Hast's vergessen: lustig gelebt und selig gestorben? – Ich an deiner Stelle wüßte, was ich tät – hast du keine Augen?«

Frieder lauschte; berauscht taumelte er spät heim. Vor der Haustür griff er mit der Hand an die Stirn: »Sagte nicht der Bergbauer, du spielst jetzt mit der Sünde; aber gib dem Teufel ein Haar, so bist du sein mit Leib und Seel'? – Und soll er recht behalten? – Nein, ich tu's nicht – ihm zum Trotz nicht!«

In der Nacht wachte Johannes am Bett der Mutter, die, kaum aus langer Ohnmacht erwacht, mit 93 bitteren Tränen ihr schweres Geschick beweinte und auf alle Trostgründe mit Kopfschütteln antwortete. Traurig wendete sich Johannes ab und gedachte seufzend des nahen fröhlichen Weihnachtsfestes; damals bei der Geburt des Heilandes hatte der Engel den Hirten zugerufen: Friede auf Erden! – Sollte nicht endlich auch ein Engel des Friedens bei ihnen einkehren? – »Laßt's genug sein,« sagte er ernst, als die Mutter in Schmähungen gegen den Vater ausbrach. »Der Vater behandelt Euch wohl schlimm, aber er tat es im Zorn. – Nein, ich helf' ihm nicht, ich stehe nicht gegen Euch. – Seid jetzt still, wir leben in der heiligen Zeit, und in drei Tagen ist Weihnachten, denkt daran. Ich will Euch ein Kapitel aus der Bibel vorlesen!« Ohne eine Antwort abzuwarten, zündete er die Lampe an und holte das heilige Buch. 94

 


 


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