Heinrich Schaumberger
Glückliches Unglück
Heinrich Schaumberger

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Jetzt seid vernünftig und eßt,« schalt der Bauer. »Ihr könnt's beide brauchen; zum Ansehen und Händedrücken habt ihr hernach Zeit. Du, Hanehret, spannst gleich ein und holst die Bergheimer Bas, daß noch heute richtige Freierei gehalten wird. – Ist schad, daß die Musikanten wohl längst heim sind, – auf einer Musikantenfreierei sollte es doch auch nicht an Musik fehlen!«

»Wenn's weiter nichts ist, dem Mangel ist abzuhelfen! – Guten Morgen mit'nander! – Waren in grausamer Angst um den Schülzle! O Herrje! Ist's denn möglich? Macht 'nen Kessel voll Sauerkraut und Erdäpfel zurecht, ich bringe das ganze Chor mit, und wir haben Hunger wie die Wölfe!« Ehe ihn der erfreute Bauer erreichen konnte, war der Zimmerdick wieder verschwunden.

Das brachte rasch neues Leben in die Tischgesellschaft, lachend eilte die Bäuerin mit den Mägden in die Küche, die Knechte gingen hinab in den Stall, und es dauerte nicht lange, so klingelte Hanehret mit dem Schlitten auf dem Hof. Im selben Augenblick bog auch schon die Musikantengesellschaft um die große Scheune; vor der Haustüre machten sie Halt und begannen, trotzdem sie vor Frost mit den Zähnen klapperten, einen Tanz aufzuspielen. Zum Glück machte der Hausherr ihrer Not ein Ende, der ihnen befahl, in die Stube zu kommen, Sauerkraut und Kartoffeln seien angerichtet. Mitten im Strich brach Hanshenner ab, warf die Baßgeige auf den Rücken und eilte die Treppe hinauf, – solchem Beispiel konnte natürlich niemand widerstehen.

76 In der Stube gratulierte Hanshenner dem Brautpaar mit heimlichem Lächeln. »Wir haben unsere Schuldigkeit getan für euch,« schmunzelte er. »Und mein Baß auch! Ja, ja, Evebärble, ohne meinen Baß, – wer weiß, ob alles so gekommen wäre?« Danach erzählte er, wie er seinen Baß geopfert und den Rottensteinern zwischen die Beine geworfen, um sie aufzuhalten. Dies rührte das Mädchen so, daß sie nun selbst nach dem Kasten ging, ihn dem Alten abzunehmen und in Sicherheit zu bringen. Geschmeichelt ließ sie Hanshenner gewähren; als das Mädchen über die unerwartete Schwere des Instrumentes erstaunte, lachte er geheimnisvoll und sagte: »ja, Evebärble, das ist ein Hauptbaß! So einen trifft man nicht wieder Land auf und Land ab! Aber er hat auch seine Eigenheiten!«

Auch die übrigen Musikanten hatten sich unterdes in der Stube versammelt, das Staunen, die Begrüßung, die Gratulation wurde so rasch als möglich abgemacht, – das Sauerkraut und die Erdäpfel dampften gar zu einladend, und die in der Küche rasselnde Kaffeemühle erweckte noch erfreulichere Aussichten. Ohne viel Umstände machte sich die Gesellschaft darüber, ihren Hunger zu stillen; die Bauernleute und das Brautpaar mußten sich natürlich mit an den Tisch setzen, – es gab ja so viel zu fragen und zu erzählen.

Nach der Entfernung der Rottensteiner setzten sich, wie bereits mitgeteilt, die Musikanten mit widerstreitenden Empfindungen zusammen. Es war ihnen unangenehm, daß sie die Rottensteiner nicht länger aufzuhalten vermocht hatten, und das Schicksal ihres Kameraden machte ihnen Sorge, – auf der andern Seite war wieder die freie Zeche eine Errungenschaft, die jedes redliche Musikantenherz mit Entzücken erfüllte. Zuletzt half man sich aus diesem Dilemma mit der Erwägung: es wär ja wohl keiner unter ihnen, der sich nicht ein- oder mehrmals in ähnlicher gefährlicher Lage befunden. Der Schülzle wäre kein Kind mehr, wüßte, was für ihn auf dem Spiel stände, mochte er selber zusehen, wie er sich durchhalf, – überdem war es schon genug, daß er an den Musikanten im Wirtshaus einen Rückhalt hatte.

So recht behaglich ward die Kneiperei doch erst, als ein Teil der Rottensteiner zurückkehrte und man erfuhr, daß Schülzle durch das Evebärble ins Haus gezogen worden und so ihren Fäusten entgangen, – trotzdem nun aber auch der Bauer mit seinen 77 Knechten das ganze Haus nach ihm durchsucht, dennoch nicht aufzufinden gewesen sei. Das klang allerdings nicht ganz tröstlich, – der Bursche konnte doch nicht verschwunden sein? Doch richtete man sich an der Zuversicht der Rottensteiner auf, die mit überzeugender Bestimmtheit behaupteten, der Bursche befinde sich im Haus, einmal müsse er hervorkommen, – sie würden nicht vom Platz weichen, bis er seine Strafe erhalte.

Da die Musikanten nun ohnedies auf Rechnung des Hofmartin tranken, machte es sich ganz von selbst, daß man sich zusammensetzte, gemeinschaftlich zechte und so gar bald in ein recht erträgliches Verhältnis kam. Die Absicht der Musikanten, durch scharfes Zutrinken die Wachsamkeit der Rottensteiner einzuschläfern, gelang nicht. Bei der wahrhaft grimmigen Kälte mußten die Wachtposten vor dem Simeshaus fortwährend gewechselt werden, und die Kälte, die rasche Bewegung erhielt die Köpfe der Rottensteiner völlig klar, trotz der Unmassen von Bier und Branntwein, die sie verschlangen. Umgekehrt, die Musikanten selber gerieten gar bald in den Zustand, den sie Schülzles Feinden zugedacht hatten.

In der hintersten Ecke des Tisches saßen der Hanshenner und Eckenpeter, und während sie scharf zechten, klagten sie tiefgerührt über den Unverstand, die Ungerechtigkeit der Welt, die ja auch schon der Ritter von Rodenstein, der gewaltige Zecher, hatte erfahren müssen und mit den kräftigen, ewig denkwürdigen Worten abweist:

Man spricht vom vielen Trinken stets,
doch nie vom vielen Durste!

Tief gerührt über die vollkommene Übereinstimmung ihrer Ansichten, die sich so unerwartet herausgestellt, rückten sie enger und enger zusammen; während ihnen die hellen Tränen über die Wangen rollten, umarmten sie sich stürmisch, erklärten sich für ein paar tüchtige, wackere Kerle, wie man sie weit und breit nicht finde, und gelobten sich mit hohen Schwüren, der Welt zum Trotz sich keinen Zwang anzutun, vielmehr in diesem Jammertal das »Gute« zu genießen, solange es so »gut«, so »ewig schön« schmecke und »hinunterlaufe wie gar nichts!« – Als gewissenhafte Männer begannen sie denn auch sofort ihren Entschluß ins Werk zu setzen, zum großen Verdruß des Wirtes, der am liebsten sein 78 Haus leer gesehen hätte und nun spät in der Nacht nicht Arme und Beine genug hatte, nur die beiden Gurgeln in der Ecke feucht zu halten. Er dankte Gott, als endlich seine Quälgeister schläfrig wurden, Arm in Arm mit den Köpfen auf den Tisch sanken und die Welt – Welt sein ließen.

Auch von den übrigen Musikanten nickte der eine da, der andere dort; nur der Zimmerdick, der Hansaden und der Wasserfuchs hatten sich den Kopf frei gehalten. Da auch die Rottensteiner ihre freie Zeit, bis sie wieder auf Wache mußten, am warmen Ofen verschliefen, der Wirt selbst, als er seine Gäste um keinen Preis los werden konnte, nachdem er noch einmal tüchtig eingeheizt, zu Bette gegangen war, so ward es recht stille in der Wirtsstube, und die wenigen wachen, nüchternen Männer, zu denen auch der Hofmartin gehörte, fanden Zeit, ihren Gedanken nachzuhängen. Nun sind aber solche Stunden nach einer durchschwärmten Nacht dem Nachdenken nicht günstig. Wenn die Müdigkeit, der Schlaf in allen Gliedern liegt, tief heruntergebrannte, qualmende Lichter ein geisterhaftes Halbdunkel verbreiten, gerade hinreichend, die Unordnung und Verwirrung im wüsten Zimmer in ihrer ganzen schauerlichen Trostlosigkeit empfinden zu lassen; wenn umgestürzte, halbgeleerte Biergläser auf den Tischen, die in den umgesunkenen menschlichen Gestalten, den schnarchenden Gesichtern an den Wänden, die oft nicht bloß halb entgeistert sich darstellen, ein trauriges Gegenbild finden, so unleidlich und aufdringlich an die Vergänglichkeit aller Dinge, so widerlich an den schalen, gemeinen Rest aller Freuden mahnen, – dann erwacht zu allem physischen Elend auch das Nachtgevögel des Unmuts, Verdrusses und der Sorge, um den Jammer zu vollenden. Das empfanden ebensowohl der Zimmerdick und seine Freunde als auch der Hofmartin. Um nur die trostlose Gegenwart zu vergessen, das Elend des Augenblicks zu übertäuben, begann man ernsthaft die gegenwärtige Lage zu besprechen, und das führte notwendig auf Vorschläge zu einer friedlichen Beilegung der unerfreulichen Verhältnisse. Allerdings machten die Musikanten damit den Anfang, fanden aber so geneigtes Gehör bei Martin, ein solch bereitwilliges Entgegenkommen, daß es in die Augen sprang, wie sie nur seinen eignen Wünschen Worte gaben.

In der Tat war Martin sehr ernüchtert und infolgedessen sehr 79 verstimmt. Zwar hatte er sich so eigentlich nichts vorzuwerfen, nach ländlichen Begriffen hatte er durch Verfolgung seines Gegners nur sein Recht, seine Ehre gewahrt. Aber Martin war eben kein gewöhnlicher Bauer, und die Verfolgung und Belagerung Pauls war es auch eigentlich, was ihn quälte. Der Vorwurf des Mädchens, daß er ihren Zorn auf Paul geschickt für sich ausgenützt, wurmte ihn je länger je mehr. Er begann einzusehen, daß der rasche Erfolg, der ihn am Abend so unerwartet schnell an das Ziel seiner Wünsche geführt, der ihm, – gleichsam vom Himmel herab, in den Schoß gefallen, – ihn eher stutzig als siegesfroh hätte machen müssen. Wie konnte ein Verhältnis bestehen, das nicht aus herzlicher Neigung, sondern einer Wallung des Zornes hervorging? Wie konnte es von Dauer sein, da es sich auf die rollenden Trümmer zerstörter Hoffnungen und Wünsche gründete? Wenn der Zorn verflog, das Mädchen zu sich selber kam, wenn sie erst in Ruhe und Klarheit ihren raschen Schritt überlegte, mußte dann nicht Haß statt Liebe in ihr erwachen über den frechen Eindringling in das Heiligtum ihres Herzens? Martin war bitterböse über sich; nicht allein die Torheit, heute das Mädchen auf den Tanzplatz zu nötigen, – vielmehr das Herzlose, Verletzende seiner Werbung trieb ihm das Blut in die Wangen. Bald begann er seine Niederlage als gerechte Strafe zu betrachten, und er war um so geneigter, seine Rachepläne aufzugeben, da ja sein Gegner durch die ausgestandene Angst und Gefahr genug gestraft war. Daneben begann ihn eine andere Sorge zu drücken und seine Geneigtheit zum Frieden zu verstärken. Wenn allmählich die Musikanten über das ihm selbst unbegreifliche Verschwinden des Schülzle ernstlich sich ängsteten, so regte das in ihm die Frage auf: wo mag der Schmiedspitter stecken? Was ist mit ihm vorgegangen? Daß er treulos seinen Posten verlassen, war nicht anzunehmen; sein Verschwinden ließ nur zwei Möglichkeiten zu: entweder war ihm von den Musikanten ein Streich gespielt worden oder ein Unglück zugestoßen. Letzteres blieb unwahrscheinlich, denn Pitter war eine Bärennatur, – immerhin hatte er, – Martin, – ihn unverantwortlich lange in der grimmigen Kälte stehen lassen, und was ist in der Welt nicht möglich? Dann empfand Martin mit herbem Verdruß, daß er sich unverantwortlich auch gegen den Freund benommen, indem er ihn, ganz von 80 seinen Rachegedanken eingenommen, gleichgültig seinem Schicksal überließ. – Wie gesagt, das alles zusammen bewirkte eine sehr versöhnliche Stimmung in Martin, und die Vermittlungsvorschläge der Musikanten fanden freundliche Aufnahme. Als er so nebenbei Pitter erwähnte, kam auch der Mühljohann herbei; er schien etwas auf dem Herzen zu haben, – als jedoch Martin darauf bestand, das Simeshaus umstellt zu lassen, bis der Schülzle, der doch einmal heraus müsse, in ihre Hände gefallen sei, und alle Bitten und Vorstellungen der Musikanten ihn nicht von dieser unnützen Grausamkeit abbringen konnten, in der ihn freilich seine Kameraden eifrig bestärkten, – nickte er heimlich lachend und schwieg.

Wenn auch langsam, – immerhin wohl nicht so langsam als für den Gefangenen im Kaffenetle, – die Zeit ging hin, die Nacht neigte sich entschieden zum Morgen. Mißmutig und verschlafen erschienen die Wirtsleute und Dienstboten, – sie waren offenbar weder überrascht, noch erbaut, die Gäste noch am alten Platz zu finden, – gähnten sich eine Weile an und schlichen dann in die Ställe. Plötzlich ward ein solch brüllendes Lachen draußen laut, daß die Schläfer erschrocken auffuhren, die Gäste aus der Stube, das Gesinde aus den Ställen auf den Hausflur stürzte. Dort saß der Wirt auf der Bodentreppe, kämpfte sichtbar mit dem Ersticken und konnte doch kein Ende seines Lachkrampfes finden. Ein paar derbe Püffe in den Rücken, die ihm die scheltende Wirtin applizierte, brachten ihn zu sich, – allein er mußte erst noch einige Anfälle von Lachkrämpfen überstehen, ehe er sich fassen und erheben konnte. Statt einer Erklärung griff er nach seiner Stalllaterne und sagte: »Kommt!«

Die Wirtin, die ihren Mann für verrückt hielt, heulte, die Musikanten und Dienstboten sahen sich verblüfft an, der Mühljohann konnte nur mit Mühe eine große Heiterkeit unterdrücken, und der Martin kraute energisch die Haare, so oft der Wirt auf dem Wege nach dem Schafstall, der sich in einem im rechten Winkel an das Haus gebauten Schuppen befand, aufs neue losbrüllte. Der Wirt ging mit der Laterne voraus in den Schuppen, von da in den Schafstall. Vor einem großen Futterkorbe blieb er stehen, hielt die Laterne hoch, – alles drängte herbei, und ein sonderbares Bild war es, das sich den Umstehenden darstellte: in dem großen, mit 81 Heu und Stroh gefüllten Futterkorbe lag, zusammengerollt wie ein Igel, – der Schmiedspitter, – und schnarchte wie ein Dachs!

»Daß dich alle Teufel,« schrie der Schneidersnikel. »Wer hätt's gedacht, daß wir den Pitter unter seinen Geistern finden würden?« Und der Wasserfuchs brummte seelenvergnügt: »Schwenselens auch 'nein, hab schon mancherlei erlebt und gesehen in der Welt, – so was aber hat mir noch nicht vorgelegen!«

Das losbrechende Gelächter erweckte den Schläfer; hastig fuhr er in die Höhe, – der Korb krachte bedenklich, – und schrie noch mit geschlossenen Augen: »Herrgottseindunner! – Raus, – raus, – der Schülzle brennt durch mit dem Evebärble! – Raus, – raus!«

Martin rüttelte ihn am Arm und sagte sehr verdrießlich: »Laß das, Pitter, das ist lang vorbei! Wache auf! – Was in aller Welt ficht dich an, im Schafstall zu übernachten?«

Pitter blickte mit großen Augen erst Martin und die Rottensteiner, darnach die vor Lachen atemlosen Musikanten an. Heftig rieb er sich die Augen; plötzlich mußte eine Erinnerung in ihm auftauchen, denn mit gleichen Beinen sprang er aus dem Korbe, hob drohend die Fäuste und schrie: »Was mich anficht? – Tausend Million! Ich könnte gleich alles in Grund und Boden schlagen! – Mein Kreuz ist ganz verdreht, und alle Knochen tun mir weh, und das dank ich allein den sakermentischen Musikanten! Die haben mich in den Schafstall gelockt und eingesperrt, – und wenn sie nicht gleich das nichtsnutzige Lachen lassen, da soll doch gleich – – –«

»Ereifere dich nicht, 's nützt doch nichts,« sagte Martin und zog den Widerstrebenden aus dem Stall. »Sei still und lache auch mit, 's ist das Beste, was du tun kannst! – Gründlich haben uns diesmal die Musikanten geleimt! Himmelherrgott! Das Mädle mit dem Burschen fort, – der Bursche nirgends zu finden, – und du im Schafstall eingesperrt! – – Wer uns das gestern gesagt hätte! Aber tröste dich, – mir ward doch am ärgsten mitgespielt. Nicht bloß läuft das Evebärble richtig mit dem Schülzle fort, und wir merken's erst, wie's lang zu spät ist, sie einzuholen, – das böse Mädle zieht auch noch den Schlingel ins Haus, um ihn vor unsern Prügeln zu retten, und darüber entzweie ich mich so sehr mit dem Simesbauer, daß wir in heller Feindschaft auseinander 82 kommen. – Ja, ja, so ist's, Pitter, wie die begossenen Pudel dürfen wir heimschleichen.«

»Aber der Millionenkerl, der Schülzle, hat doch seine Tracht Prügel heimgetragen?« fragte Pitter mit sehr langem Gesicht.

»Wir alle haben ihn ins Simeshaus huschen sehen, dennoch konnte ihn der Bauer nirgends finden. Natürlich hielten wir das Haus umstellt, allein bis jetzt war von einem Schülzle nichts zu hören noch zu sehen!«

»Da möcht man doch an Hexerei glauben!«

»Ja, besonders, wenn man deine Reise in den Schafstall dazu nimmt! – Sag mir nur um Gottes willen, wie bist du da hinein geraten?«

»Wenn ich's selber wüßt?« schrie Pitter und fuhr sich in die Haare. »Und was fangen wir nun an?«

»Nichts, mit unsern Heldentaten ist's vorbei, je stiller wir heimgehen, desto besser! – Na, stell dich nicht dumm, Pitter! – Mir sind schon allerlei Gedanken durch den Kopf gegangen. Die Geschichte mit dem Evebärble war verfehlt von Anfang an, sie konnte nicht gut enden; wer weiß, – am Ende ist der Ausgang noch nicht einmal der schlimmste, der hätte eintreten können. Mag das nun aber sein, wie's will, – ich bin froh, daß du heil und gesund vor mir stehst. – Und ganze Kerle sind die Musikanten doch; was sie anfangen, das führen sie gewiß durch. Komm, Pitter, laß das Knurren, im Grund bist du nicht einmal am schlechtesten gefahren, komm, wir wollen uns mit den Musikanten vertragen, – bin neugierig zu hören, wie sie dich in den Stall lockten! – Wir wollen mit über die Geschichten lachen, – gewiß, so kommen wir am besten darüber weg!«

Pitter leuchtete das endlich auch ein, die Wachen vor dem Simeshaus wurden abgerufen, der Wirt mußte ein frisches Fäßchen anstecken, – bald saßen die Musikanten mit den Rottensteinern so lustig zechend zusammen, als habe nie die geringste Mißhelligkeit zwischen ihnen bestanden. »Und wie brachtet ihr den Pitter in den Stall?« fragte Martin.

»Er machte mir's leicht,« erzählte der Mühljohann lachend. »Wie ich hörte, der Pitter solle die Haustür bewachen, schlich ich ihm voraus in den Hof und zerbrach mir vergebens den Kopf, wie ich ihn beiseite bringen könne. Das Schuppentor war nur 83 angelehnt, und da ich mich vom Pitter nicht wollte sehen lassen, die Kälte auch fast unerträglich durch Mark und Bein ging, trat ich hinein. Wie ich so in der Dunkelheit umhertaste, mich in dem Schuppen zurechtzufinden, kommt mir ein Riegel in die Hand, und eine Türe geht auf. Ich merke gleich, daß es die Schafstalltüre ist, kann aber den Riegel nicht wieder vorschieben, denn eben kommt auch der Pitter pustend und stampfend in den Schuppen. Knurrend ging er hin und her, dann brummte er: »Ist doch eine Heidenkälte! Donnerwetter, – der Schafstall muß nicht weit sein, ich spür solch warmen Geruch. He, – wenn ich im warmen Stall dem Burschen auflauern könnte, das wäre nicht übel!« – Darauf kommt mein Pitter in Gang, findet richtig die Stalltür und tappt vorsichtig hinein. Meine Augen hatten sich indes an die Dunkelheit gewöhnt, ich stand schon auf der Lauer, kaum ließ Pitter die Türe los, zog ich sie sachte zu und schob den Riegel vor!«

»Ja, ja,« stimmte Pitter herzhaft in das Gelächter ein, »so wird es gewesen sein. War auch nicht wenig erschrocken, als ich den Riegel klirren hörte und mich gefangen wußte. Habe arg gewettert, – aber was half's? – Lärm machen durfte ich der Schafe wegen nicht, denn ehe jemand mein Brüllen gehört, wären die dummen Tiere toll und wild geworden und hätten sich an Barren und Raufen die Knochen zerschlagen. Also galt's ruhig den Morgen abwarten! Zum Glück fand ich den Futterkorb, – war aber ein schlechtes Lager, ich glaube, in vier Wochen bin ich die Kreuzschmerzen noch nicht wieder los!«

So löste sich auch dieses Geheimnis zu allseitiger Zufriedenheit. Noch eine Weile saß die Gesellschaft munter zechend beisammen, mit dem grauenden Morgen nahmen die Rottensteiner Abschied. Sie schieden als die besten Freunde der Musikanten, und Martin trug dem Zimmerdick einen Gruß an Schülzle und an das Evebärble auf. Sie sollten nicht im Zorn seiner gedenken, setzte er hinzu, es tue ihm leid, daß er ihnen so viel Sorge gemacht, und wenn er von ihrer Freierei höre, wolle er sich von Herzen freuen.

So weit war alles gut, aber die eine Hauptperson fehlte, und das unbegreifliche Verschwinden Pauls begann nachgerade die Musikanten ernstlich zu ängsten. An Stelle der Rottensteiner umschwärmten jetzt die jungen Musikanten das Simeshaus. Als 84 nun aber heller Tag ward, und noch immer auch nicht eine Spur von ihm sich zeigte, konnten sie ihre Unruhe nicht länger bezwingen, sie mußten ja doch auch an Rückkehr denken. So ward denn auf alle Gefahr der Zimmerdick in das Simeshaus abgeordnet, und nun freilich wandelte sich alle Sorge in herzliche Freude.

Begreiflich machte dieser Bericht auf die Bauersleute wie auf das Brautpaar großen Eindruck; Pitters Abenteuer ward vielleicht weniger belacht, als es verdiente, dafür nahm die Erklärung des Hofmartin den letzten Druck von den Gemütern, – nun war ja in Wahrheit alles gut. Die Freude von Schülzles Mutter zu schildern, als sie bald danach eintraf, versuchen wir nicht.

Und nun folgte eine fröhliche Freierei, bei der es an Sang und Klang nicht fehlte. Schon am Nachmittag fand sich das Dammsbrücker Jungvolk ein, und die große Bauernstube ward zum Tanzsaal. Einmal trat der Bauer mit der Trompete zu Schülzle und sagte: »Da, blas auch mir noch ein Stück! Kann's heute noch nicht vergessen, wie mir damals bei der Kirmes dein Blasen das Herz bewegte. – Möchte das noch einmal hören!«

Paul blickte zögernd auf die Trompete, endlich begann er leise: »Schwieger, ich danke Euch, – aber das Blasen erlaßt mir. Ich habe es nicht verredet, aber nach all den Vorfällen meine ich, es wäre besser, ich ließe das Instrument ganz aus der Hand. Überdem ist es mit jenem Blasen, von dem Ihr geredet, für immer vorbei; ich weiß, gestern brachte ich's zum letztenmal fertig.«

Der Bauer drückte ihm die Hand. »Weißt, eins liegt mir recht auf dem Herzen. Es wird mir schwer ankommen, wenn ich dich bei Kirchenmusiken nimmer unter den Musikern auf dem Chor erblicke.«

»Dafür kann Rat werden,« rief Paul mit leuchtenden Augen, »die Geige ist mir nicht unbekannt, und wenn ich mit dem Herrn Kantor rede – –«

»Tue das, tue das bald,« unterbrach ihn der Alte eifrig. »Sieh, ich habe ja nichts gegen die Musik und die Musikanten. Nur darf die Gesundheit unter dem Spielen nicht leiden, – und, – nun ja, das Rumtreiben auf allen Kirmsen und Tanzböden der Umgegend schickt sich nicht für einen Bauer. Komme ich aber 85 einmal auf den Bergheimer Tanzboden, und mein Schwiegersohn sitzt mit seiner Geige unter den Musikanten und zeigt, daß er was kann, – ei, das soll mich von Herzen freuen! Zum Vergnügen getrieben, ist das 'ne Ehre, – nur eben ein Geschäft darf nicht daraus gemacht werden.«

Hanshenner, dessen Wangen und Nase längst wieder glühten wie Leuchtkugeln, mußte etwas auf dem Herzen haben, er lächelte so geheimnisvoll und ging auffällig um Paul herum. Jetzt eben nahm er ihn für sich in Beschlag, führte ihn abseits und fragte mit glückseligem Kichern: »Höre, Schülzle, 's muß beim Geier doch 'ne sonderbare Geschichte sein, so als Flüchtling, als Einbrecher, – als, was weiß ich, – mit seinem ärgsten Feind in einer Kammer zu sein. Wie war dir's eigentlich zu Mute, als du in den Kleidern im Kaffenetle stecktest, – und gar erst, wie du mit dem Stroh durchbrachst und mitten in der Stube lagst?«

Paul, der mit voller Zustimmung Evebärbles sein unerfreuliches Nachtlager unter dem Bett des Schwiegervaters, von dem niemand eine Ahnung hatte, verschwieg, sah Hanshenner lachend in die Augen und sagte: »Ich meine, mir wird ungefähr zu Mute gewesen sein, wie jenem Musikanten, der nach einer Spielnacht in einer Dörnerhecke erwachte und seinen Baß im strömenden Regen obendrein noch in einem Wassergraben erblicken mußte.«

»Bist ein Spitzbube, ein arger Spitzbube,« schalt Hanshenner. »Wer sich mit dir einläßt, der ist schon geprellt! – Aber tue mir den einzigen Gefallen und sei still von der Geschichte, – kommen die andern darauf, habe ich vier Wochen keine Ruhe. Übrigens ist dies ein neuer Beweis: mein Baß ist eben doch ein Hauptbaß, Land auf und Land ab trifft man keinen solchen an; nicht tot zu machen ist die alte Base!«

Das Vergnügen, die Freude war groß, – doch schon vor Mitternacht verschwanden die Gäste, und auch die Musikanten rüsteten zum Aufbruch. Als Hanshenner mit großer Mühsal seinen Baß aufhockte und gar so künstliche Gangarten schon im Hausplatz exerzierte, sagte der Bauer gutmütig: »he, Hanshenner, der Weg ist schlecht und beim ungewissen Sternenschein gar gefährlich. Wißt Ihr was? Stellt Euren Baß bei mir ein, am Sonntag, wenn sie in die Kirche gehen, nehmen ihn die Knechte gern mit nach Bergheim.«

86 Hanshenner schwankte, es fiel ihm schwer, sich von seiner Baßgeige zu trennen, und doch leuchtete ihm der Vorschlag des Bauern ein. Endlich setzte er wirklich seine Last ab, übergab den Baß dem leuchtenden Evebärble zu treuer Hut und sagte: »habt recht, Bauer! Die Heimwege, – ja, die Heimwege vom Tanzspielen, die sind immer gefährlich, bei Sternen-, Mond- oder Sonnenschein, 's ist einerlei. Nun ist zwar mein Baß ein Hauptbaß und besonders, nachdem ich ihn versteupert und vernagelt habe, eigentlich nicht tot zu machen, – aber, – wer kann wissen, was auf dem Heimweg vorliegt, mit dem Wasserfuchs zu reden? Überdem hat heute der Schülzle solch ein unerhörtes Glück im Unglück gehabt, – wahrhaftig, ich traue nicht! Zwei Wunder geschehen nicht am gleichen Tag, käme ich heute ins Malheur, dann wär's gewiß ein gesalzenes und gepfeffertes! – Nein, heut will ich's auf kein glückliches Unglück ankommen lassen, 's könnte gefehlt sein. Halte den Baß gut, Evebärble, ich werde dir's zu danken wissen!« Damit stolperte er seinen Gefährten nach über die Schwelle. Durch die stille Nacht klang noch sein glückliches Lachen zurück, und vernehmlich hörte man ihn sagen: »Ja, 's ist ein Hauptbaß! Und ich und mein Baß, – wir sind nicht tot zu machen!«

 


 


 << zurück